Louise brown was bleibt wenn wir sterben

Louise Brown ist Trauerrednerin in Hamburg und wird tagtäglich mit dem Tod konfrontiert. Wir wollten von ihr wissen: Kann man dem Tod mit weniger Angst begegnen? Sollten wir uns unsere eigene Vergänglichkeit mehr ins Bewusstsein rufen? Und: Was spendet Trauernden am meisten Trost?

EMOTION: Du begegnest dem, wovor sich viele Menschen am meisten fürchten, durch deinen Job jeden Tag: dem Tod. Was hat dich dazu bewegt, Trauerrednerin zu werden?

Louise Brown: Meine Eltern sind 2011 innerhalb von drei Monaten gestorben. Da war ich schon Mitte 30 und dachte eigentlich, ich wüsste schon viel über das Leben. Ihr Tod war dann für mich eine ziemliche Lehre, weil ich verstanden habe, dass ich eigentlich so gar nichts wusste. Meine Eltern haben das Thema Tod von uns Kindern damals auch fern gehalten. Wir haben in der Familie nie darüber gesprochen, weshalb ich mich auch nie damit beschäftigt hatte. Und deswegen hat mich das Ganze dann auch ziemlich umgehauen, eigentlich aber erst so richtig ein Jahr nach dem Tod meiner Eltern, nach dem Auflösen ihres Hauses. Da habe ich gemerkt, dass ich mich irgendwie mit dem Thema Trauer und Tod beschäftigen muss.

Ich war ja damals noch Journalistin und führte dann ein Interview mit einem Bestatter. Am Ende unseres Gesprächs fragt er mich: Haben Sie eigentlich schonmal überlegt, Trauerreden zu schreiben? Und das war glaube ich so einer dieser Momente, in denen das Leben eine neue Richtung einschlägt, ohne dass man es eigentlich merkt. Eineinhalb Jahre später stand ich dann das erste Mal am Pult. Ich war tierisch aufgeregt und hatte wahnsinnig Lampenfieber, aber ich wusste genau: Das ist genau der richtige Weg für mich und ich stehe hier genau am richtigen Ort. Das war ein sehr schöner Moment.

Louise Brown ist 1975 in London geboren und zog als Jugendliche mit ihrer Familie ins norddeutsche Ostholstein. Sie studierte Politikwissenschaft in Nordengland, Kiel und Berlin. Sie ist Journalistin und seit einigen Jahren auch als Trauerrednerin in Hamburg tätig. In ihrem Podcast "Meine perfekte Beerdigung", dessen 2. Staffel Mitte Oktober 2021 startet, spricht sie mit Menschen darüber, wie sie einmal verabschiedet werden wollen. Louise lebt mit ihrem Partner, zwei Kindern und Hund in Hamburg.

Mittlerweile hast du schon unzählige Trauerreden gehalten. Gewöhnt man sich da an den Tod, ist er für dich "normaler" geworden bzw. kann man das überhaupt so sagen?

Nein, gar nicht. Vor jeder Trauerfeier habe ich einen riesigen Respekt und auch immer noch Lampenfieber, weil dieser Abschied so ein besonderer Moment ist. Man möchte ihn auf eine Art so schön, tröstlich und würdevoll gestalten wie möglich. Daher würde ich nicht sagen, dass ich mich daran gewöhnt habe. Aber der Tod und alles, was damit zusammenhängt – das Sterben, der Verlust, die Trauer –, sind für mich ein bisschen weniger groß geworden. Das Thema war lange Zeit einfach so schwer, sperrig und gruselig und ich konnte darüber gar nicht reden. Jetzt kann ich diese Worte einfach in den Mund nehmen und finde es auch total erleichternd, wenn man darüber spricht. Ich kann mich auch mit meinem eigenen Tod befassen. Das fällt mir nicht leicht, aber ich kann jetzt darüber nachdenken.

Der eigene Tod ist ja eigentlich ein Thema, das man gerne verdrängt und aufschiebt. Kann uns aber das Bewusstsein über unsere eigene Vergänglichkeit dabei helfen, ein besseres Leben im Hier und Jetzt zu führen? 

Ich kann nur aus Erfahrung sagen, dass nichts das Bewusstsein für das Leben mehr schärft, als der Gedanke daran, dass es irgendwann vorbei ist. Und ich meine damit nicht, dass wir alle mit düsteren Gedanken durch den Alltag gehen sollten. Aber ich glaube, wir wissen oft schon, was wichtig ist im Leben. Nur manchmal brauchen wir einen Reality Check, der uns noch mal aufhorchen und uns bewusst werden lässt: Ist es jetzt wirklich wichtig, dass ich hier noch am Laptop weiter tippe oder wäre es einfach ganz gut, ihn jetzt zuzuklappen und mit meinem Sohn eine Runde Karten zu spielen? Vieles kann sich einfach schnell ändern und man darf nicht für selbstverständlich nehmen, was man hat. Ich würde sagen, dass ich jetzt mehr Demut vor dem Leben habe und mehr Dankbarkeit für die kleinen Dinge und Momente im Leben. Seitdem mir meine Endlichkeit bewusster geworden ist, lebe ich auch ein bisschen entspannter und muss nicht mehr alles erreichen oder Karrierezielen hinterhereifern. 

Ich glaube schon, dass Menschen oft gerne über den Tod sprechen wollen, aber häufig das Gefühl haben, es nicht zu dürfen.

Louise Brown

Glaubst du, dass wir in unserer Gesellschaft generell einen offeneren Umgang mit dem Thema brauchen? In manchen Kulturen wird der Tod sogar zelebriert – das ist hier natürlich kaum vorstellbar. Aber können wir trotzdem etwas von dieser Aufgeschlossenheit gegenüber dem Sterben lernen?

Das ist eine interessante Frage, denn ich finde, eigentlich ist es gar nicht so ein Tabuthema, wenn man die Menschen darauf anspricht. Was eher fehlt, ist der Raum dafür. Und damit meine ich Orte oder Momente, in denen man darüber sprechen kann. Ich bin zum Beispiel häufiger auf dem Land unterwegs und dort wird immer gesagt, dass die Leute nicht so gerne über Gefühle sprechen – aber das finde ich gar nicht. Manchmal erzählen die Menschen dort die schönsten Sachen. Aber es fehlt häufig einfach der Platz im Alltag dafür, dass man darüber sprechen kann. Und deswegen sind diese Trauergespräche auch für viele so schön – weil sie in dem Moment sozusagen die "offizielle Erlaubnis" haben, über das Thema zu reden. Ich glaube schon, dass Menschen auch häufig gerne darüber sprechen möchten, aber oft das Gefühl haben: das darf ich jetzt nicht.

Welche Rolle spielt eine Trauerfeier im gesamten Trauerprozess für die hinterbliebenen Angehörigen?

Aus meiner Sicht ist eine Trauerfeier sehr wichtig, weil sie nicht nur das Ende eines Lebens markiert, sondern auch den Beginn eines neuen Lebens ohne diesen verstorbenen Menschen. Wenn dieser Abschied gelingt, kann das glaube ich viel ausmachen für diesen Neustart. Das habe ich schon bei vielen Familien gespürt: Eine schöne Trauerfeier kann den Schmerz des Verlusts nicht nehmen, aber sie kann den Menschen ein klein bisschen mehr Zuversicht, ein klein bisschen mehr Wärme im Herzen schenken, mit der sie dann wieder neu in den Alltag starten. 

Manchmal sind es die kleinsten Details, die einen Menschen am präsentesten werden lassen und die am meisten sagen.

Louise Brown

Als Trauerrednerin musst du über fremde Verstorbene sprechen, die du nie persönlich kanntest. Trotzdem willst du ja, schreibst du im Buch, in deiner Rede ein authentisches Bild der verstorbenen Person zeichnen, in dem vor allem Details und individuellen Charakterzüge durchschillern. Ist das die "Kunst" einer guten Trauerrede?

Es ist sehr schön, wenn die Familie nach Rede sagen kann, sie habe die Verstorbene oder den Verstorbenen richtig gespürt. Wenn ein Mensch gestorben ist, sind bei Angehörigen die letzten Bilder, z.B. aus dem Krankenhaus, oft sehr präsent. Man erinnert sich so detailliert an die letzten Tage, Wochen und Monate und deswegen ist es im Trauergespräch am Anfang immer so schön, weil wir nicht nur über den Tod, sondern auch über das Leben sprechen. Und dann holt man diese anderen, schönen Erinnerungen wieder hervor und drängt das Schmerzhafte wieder ein kleines Stück nach hinten. Bei der Trauerfeier habe ich manchmal das Gefühl, dass die Ohnmacht und Traurigkeit am Anfang nicht so richtig spürbar ist. Wenn man dann aber diese ganzen kleinen Geschichten und Anekdoten zusammenbringt und daraus ein Bild entsteht oder ein Mensch wieder spürbar wird in dem Raum, dann entsteht eine Wärme. Manchmal sind es die kleinsten Details, die einen Menschen am präsentesten werden lassen und die so viel mehr sagen.

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Welche Trauerfeier ist dir besonders in Erinnerung geblieben und magst du davon erzählen? 

Am Anfang meiner Zeit als Trauerrednerin gab es eine Feier für eine relativ junge Frau. Sie war Sängerin in einer Band und ist mit ihrem Freund sehr gerne zur Lavendelzeit in die Provence gefahren. Die Trauerfeier fand in einer kleinen Kapelle auf dem Land statt und der Sarg war mit Lavendel geschmückt, auf den Stühlen lagen kleine Lavendelbündelchen. Und als man in die Kapelle eintrat, hat es überall nach Lavendel geduftet. Es wurde dann ein Lied von der Frau gespielt, das sie selbst gesungen hat, und das handelte vom Meer, von der Sehnsucht und der Liebe. Das war echt so ein Gänsehaut-Moment und dieses Bild war so unheimlich schön: der Lavendel, der Duft und die Familie, die sich weinend in den Armen lag. Und die kleinen Momente der Freude, als sie die Stimme der Verstorbenen hörten. 

Das Gefühl zu wissen, dass Menschen in dieser Zeit für einen da sind, gibt schon sehr viel.

Louise Brown

Außenstehenden fällt es oft schwer, mit der Trauer anderer Menschen umzugehen. Was spendet Trauernden den meisten Trost? Was wünscht man sich in solchen Momenten?

Das ist schwierig zu sagen, weil jeder Mensch damit ganz anders umgeht. Aber wenn man nicht weiß, was man der trauernden Person sagen soll, finde ich es total okay, wenn man genau das sagt: "Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll, aber ich bin trotzdem hier für dich". Präsenz kann man auf unterschiedliche Wege zeigen: mit Telefonaten, per SMS oder mit einem Besuch. Das Gefühl, zu wissen, dass Menschen in dieser Zeit für einen da sind, gibt schon sehr viel. 

Verändert sich unser Blick auf Menschen, wenn sie tot sind? Sehen wir sie danach in einem anderen Licht?

Vielleicht nicht in einem anderen Licht, aber in einem Licht mit ein paar mehr Schattierungen. Ich hatte neulich ein Trauergespräch mit der Ehefrau eines verstorbenen Mannes, und dort waren auch die Stieftochter und ein geflüchteter junger Mann, den der Verstorbene sehr unterstützt hatte. Also drei Personen mit sehr unterschiedlichen Beziehungen zu diesem Menschen. Und dann kamen während des Gesprächs so Momente auf, in denen jemand sagte: "Ach, echt? Das wusste ich gar nicht." Manchmal lernt man vielleicht im Nachhinein, etwa durch Gespräche, einfach neue Facetten oder Details von einer Person kennen und das kann helfen, sie besser zu verstehen. 

Viele Hinterbliebene wollen nicht, dass ihre Erinnerung an die verstorbene Person verblasst. Im Buch schreibst du, wie uns Rituale dabei helfen können, Erinnerungen lebendig zu halten. 

Die alten Rituale gibt es nach dem Tod nicht mehr und das ist oft sehr schmerzhaft. Aber ich finde, man kann auch neue Rituale erfinden, die einen an den Verstorbenen oder die Verstorbene erinnern. Mein Vater hat zum Beispiel jeden Sonntag eine besondere Teekanne benutzt, die gab's nur zum Sonntagsfrühstück. Die steht jetzt bei mir im Schrank und immer, wenn ich sie raushole und das ganze Ritual wiederhole – die Teekanne vorwärme, den Tee reinfülle und dann daraus trinke – dann hab ich sofort Bilder im Kopf. Für mich persönlich entsteht in dem Moment ein Gefühl von Verbundenheit, mit meiner Geschichte und meinem Vater. Eigentlich spannend, denn diese Teekanne ist ja nur ein kleines Objekt. Aber dadurch, dass ich das Ritual fortsetze, wird also etwas weitergesponnen. Das ist ein ganz schönes Gefühl. 

Verlust und Trauer sind Dinge im Leben, die alle Menschen miteinander verbindet.

Louise Brown

Ein letzter Tipp, wie man es schafft, dem Tod mit weniger Angst zu begegnen? 

Ich glaube, ganz entscheidend kann es sein, darüber zu sprechen. Das ist wie bei so vielen Dingen im Leben: Wenn man sich damit beschäftigt, hat man ein bisschen weniger Angst davor. Vielleicht dem Tod nicht immer aus dem Weg gehen sondern jetzt im Herbst einfach mal einen Spaziergang über den Friedhof machen, das sind eigentlich ganz schöne Orte: Man sieht gepflegte Grabsteine von Menschen, die sehr geliebt worden sind, man sieht Natur und man spürt diese Stille und eine Verbundenheit. Verlust und Trauer sind Dinge im Leben, die alle Menschen miteinander verbindet. 

Louise Browns Buch ist am 29. September 2021 erschienen. Darin schildert sie ihre Erfahrungen als Trauerrednerin und zeigt, wie uns das Thema Tod dabei helfen kann, den Fokus auf die wichtigen Dinge im Leben zu richten. 

"Was bleibt, wenn wir sterben", Diogenes Verlag, 22 €

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