Wie viel Prozent der Morde werden in Deutschland aufgeklärt?

Statistik des BKA Zahl der ungeklärten Tötungsdelikte steigt

Ermittler können zwar viele Tötungsdelikte aufklären, doch jedes Jahr kommen neue Fälle hinzu, die nicht gelöst werden. Manchmal hilft den Experten moderne Kriminaltechnik wie DNA-Tests.

Trotz hoher Aufklärungsquote nimmt die Zahl der ungeklärten Tötungsdelikte in Deutschland stetig zu. Wie aus Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) hervorgeht, blieben allein in den vergangenen drei Jahren fast 630 vollendete Straftaten gegen das Leben ungeklärt - und jährlich wird die Gesamtzahl größer. Von 2009 bis 2011 konnte die Polizei in jeweils mehr als 200 Fällen keinen Täter ermitteln oder einem Beschuldigten das Verbrechen nachweisen.

Zuletzt sank die Zahl der bundesweit vollendeten Tötungsdelikte zwar kontinuierlich. 2009 gab es 1591 Fälle, 2010 noch 1564 sowie im vergangenen Jahr 1536 Straftaten gegen das Leben - mehr als 13 Prozent davon blieben ungelöst. Zum Vergleich: Nach der vom BKA üblicherweise angebenen Aufklärungsquote, in die auch versuchte Taten einfließen, lösten die Ermittler in dem Zeitraum fast alle Fälle: Nur vier Prozent blieben ungeklärt.

Meist kennen die Opfer ihren Mörder. In rund zwei Drittel der Fälle gelten Verwandte oder nähere Bekannte als tatverdächtig. Schwierig wird es für die Ermittler, wenn sich kein Zusammenhang zwischen Täter und Opfer herstellen lässt - wie im Fall eines Anfang April in Berlin auf offener Straße ermordeten 22-Jährigen. Der unbekannte Täter schoss wohl grundlos und ohne Vorwarnung auf eine Gruppe junger Leute. Den Beamten fehlt jede Spur zu dem weiterhin flüchtigen Schützen.

Heute kümmern sich in Deutschland teilweise Sonderermittler um ungeklärte Morde - wie etwa beim Berliner Landeskriminalamt (LKA). Auch im brandenburgischen Eberswalde gibt es seit einigen Monaten eine solche Einheit. Die Experten setzen vor allem auf moderne Kriminaltechnik wie DNA-Tests.

cjf//DPA DPA

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In einer Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens seien immer weniger Menschen bereit, Hinweise auf mögliche Täter zu geben. (Symbolbild) Bild: dpa

Im Jahr 2021 wurde Recherchen zufolge nur noch jeder zweite Mordfall in den USA aufgeklärt. Mordfälle mit weißen Opfern würden zudem weit häufiger gelöst als Fälle mit schwarzen Opfern.

In den Vereinigten Staaten wird nur noch jeder zweite Mordfall aufgeklärt. Laut Recherchen der Organisation Murder Accountability Project und des Sender CBS lag die Aufklärungsquote im Jahr 2021 niedriger als in jedem anderen Jahr seit den Fünfzigern. Damals konnten Ermittler zwischen Los Angeles und New York etwa neun von zehn Tötungsdelikten aufklären.

Neben weniger Stellen im Polizeidienst und einer Welle von Gewaltverbrechen, die sich in den Vereinigten Staaten seit einigen Jahren ausbreitet, machen Beobachter auch das gestörte Verhältnis zwischen Polizei und Bewohnern ärmerer Stadtviertel für die ungeklärten Fälle verantwortlich. In einer Atmosphäre gegenseitigen Misstrauens seien immer weniger Menschen bereit, Hinweise auf mögliche Täter zu geben.

„Die Beziehung zwischen Polizei und Bürgern funktioniert nur als Zweibahnstraße, aber wir als Beamte blockieren sie immer wieder“, erinnerte die Polizeichefin von Philadelphia, Danielle Outlaw, an die Debatte zu Polizeigewalt. In der mehr als 1,6 Millionen Bewohner großen Stadt in Pennsylvania wurden 2021 etwa 550 Tötungsdelikte, mehr als in jedem früheren Jahr, gezählt. Weniger als jeder zweite Mord wurde bislang aufgeklärt.

Wie die Studie des vor sieben Jahren in Virginia gegründeten Projekts zur Verantwortlichkeit für Morde bei der Auswertung der Daten der amerikanischen Bundespolizei (FBI) belegt, werden Mordfälle mit weißen Opfern weit häufiger gelöst als Fälle mit schwarzen Opfern. Für das Jahr 2020 registrierte die Organisation bei weißen Opfern eine Verhaftungsquote von fast 90 Prozent. Bei afroamerikanischen Opfern lag die Quote lediglich bei knapp 60 Prozent. Outlaw, die erste schwarze Polizeichefin in Philadelphia, forderte jetzt, das Verhältnis zwischen Ermittlern und Bewohnern ärmerer Viertel zu verbessern, um mehr Mordfälle aufklären zu können. „Nur Polizeiarbeit reicht dazu aber nicht aus“, sagte sie dem Sender CBS.

Die Gerichtsmedizin bei einem Einsatz in Berlin | Foto: imago | Olaf Wagner 

Es gibt Morde, von denen erzählen sich Gerichtsmediziner immer wieder. Weil sie beinahe keiner bemerkt hätte. Der Eine: Ein Hausarzt hatte bei einer Leiche in München einen natürlichen Tod festgestellt. In der Brust der toten Frau steckte aber ein Küchenmesser mit schwarzem Griff – das war erst dem Bestatter aufgefallen. Bei einem ähnlichen Fall in Hannover stellte eine Ärztin als Todesursache Herzversagen fest. Später fand der Bestatter im Rücken der Leiche sechszehn Messerstiche.

Die wohl bekanntesten Fälle zunächst unentdeckter Morde sorgten 2005 für Schlagzeilen: Damals beobachteten Kollegen, wie der Krankenpfleger Niels Högel die Spritzenpumpe eines Patienten auf der Intensivstation in Delmenhorst manipulierte, um ihm das Medikament Gilurytmal gegen Herzrhythmusstörungen zu verabreichen, ohne dass ein Arzt das angeordnet hatte. Die Polizei begann damit, Todesfälle zu untersuchen, bei denen er diensthabender Pfleger war. Daraufhin haben die Behörden in 332 Fällen Strafverfahren wegen Mordverdachts eröffnet. Für zwei Morde und zweifachen Mordversuch wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, Ermittler gehen mittlerweile davon aus, dass er möglicherweise bis zu 106 Menschen umgebracht hat. Das wäre die schlimmste Mordserie der BRD.

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All die Fälle deuten auf ein riesiges Problem hin. "Die Praxis der ärztlichen Leichenschau in Deutschland ist bekanntermaßen schlecht", sagen Forscher der Universität Rostock. Sie untersuchten 10.000 Todesbescheinigungen zwischen 2012 und 2015. Im Herbst 2017 stellten sie ihre Ergebnisse vor: Nur 223 davon waren ohne Fehler. 27 Prozent wiesen mindestens einen schwerwiegenden Fehler auf, 50 Prozent enthielten mindestens vier leichte.

Rechtsmediziner schätzen, dass deswegen 1.000 Tötungsdelikte pro Jahr übersehen werden. Das wären dreimal so viele, wie derzeit in den Statistiken stehen: 2016 gab es in Deutschland 373 Morde. Die Stadt Frankfurt finanziert jetzt ein Pilotprojekt mit 100.000 Euro, damit immer ein Rechtsmediziner zum Einsatz kommt, wenn die Polizei zu einem Todesfall hinzugerufen wird. 7.000 Todesfälle gab es im letzten Jahr in Frankfurt, bei 935 wurde die Polizei eingeschaltet.

Auch der Frankfurter Rechtsmediziner Marcel Verhoff hat einmal einen Mord entdeckt, eher zufällig. Unter einem Pflaster auf der Brust einer Leiche fand er eine Stichwunde. Der Frankfurter will die Leichenschau verbessern, wie auch viele seiner Kollegen. Verhoff nennt Gründe, warum die Leichenschau so schlecht funktioniert: Hausärzte, die das in aller Regel übernehmen, hätten eine gewisse "Scheu" vor der Leiche und wären von vornherein der Meinung, dass sich bei einer Leichenschau ohnehin nichts sehen lasse. Um eine Leiche vernünftig zu untersuchen, müsse sie ausgezogen werden, doch welcher Arzt traue sich schon, vor den trauernden Angehörigen eine Leiche zu entkleiden? "Die meisten Totenscheine werden am Küchentisch ausgefüllt", sagt Verhoff.

Die Forscher der Uni Rostock kommen zu dem Schluss: "Es sind keine Spezialisten am Werk. Wenn ein niedergelassener Arzt beispielsweise zweimal im Jahr zu einer Leichenschau gerufen wird, stellt sich bei ihm kaum eine Routine ein." Ohne entsprechende Schulungen können sie Würge- und Drosselmale leicht übersehen.

Der Gerichtsmediziner Günter Weiler sprach mit dem Spiegel über Gift- und Medikamenten-Morde, über deren Dimension im Land überhaupt nichts bekannt sei. Die Leichen wiesen keine Spuren auf. Die Dunkelziffer der Tötungsdelikte sei so hoch, dass "wir nicht einmal die Spitze des Eisbergs kennen".

Wird ein Mord erkannt, sind die Aussichten sehr gut, den Schuldigen zu überführen. 96,5 Prozent der Morde werden in Deutschland aufgeklärt, so die polizeiliche Kriminalitätsstatistik. Das Problem sind Fälle, bei denen ohnehin keiner genau hinsieht: Tote im Drogenmilieu, Tote ohne Obdach, alte und kranke Menschen. Wie die Toten von Niels Högel. Sie haben keine sichtbaren Verletzungen, ohne Obduktion lässt sich in den meisten Fällen nichts feststellen. Doch werden in Deutschland gerade einmal zwei Prozent der Leichen obduziert, in Skandinavien sind es 50 Prozent.

Nicht die Geschichten von Messern in Brustkörben, die erst im letzten Moment entdeckt werden, sind so erschreckend. Nicht die kuriosen Fälle, von denen sich Gerichtsmediziner in kleiner Runde erzählen. Das Problem sind die vielen Fälle, denen man gar nicht ansieht, dass es Mord ist.

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Wie viele Morde in Deutschland werden aufgeklärt?

Im Jahr 2021 betrug die polizeiliche Aufklärungsquote bei Mord 94,2 Prozent.

Wie hoch ist die Aufklärung bei Mord?

Mord, Totschlag 94 % Rauschgiftdelikte 92,5 % (vorsätzliche leichte) Körperverletzung 90,7 %

Wie viel Morde in Deutschland?

Bundesweit gab es im Jahr 2021 etwa 0,3 Fälle von Mord pro 100.000 Einwohner. Die Anzahl der Mordopfer lag hierzulande bei 257 (Stand: 2021).

Wie viele Morde pro Tag in Deutschland?

So ermittelt man die durchschnittliche Mordrate pro Tag Teilt man nun die 801 durch die 365 Tage im Jahr, so erhält man den Durchschnittswert. Daraus resultiert ein Wert von 2,19. So starben täglich ca. 2 Menschen bei einem Mord.

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