Ich kann mich auf Fotos nicht ertragen

Hässlich auf Fotos? DIESER Effekt ist Schuld!

17. Februar 2016 um 17:24 Uhr

Warum wir uns auf Fotos oft hässlicher finden als im Spiegel

Würde man eine spontane Umfrage in der Fußgängerzone zum Thema „Mögen Sie sich selbst gern auf Fotos anschauen?“ starten, würden höchstwahrscheinlich 80 Prozent der Befragten mit Nein antworten. Das liegt allerdings nicht an ausgeprägter Eitelkeit oder Selbstkritik, sondern an einem Phänomen aus der Psychologie

Sieht gut aus? Auf Fotos sehen wir uns richtig herum, das ist für's Auge oft verwirrend

Von Merle Wuttke

„Oh, nein! Bitte lösch’ das sofort!“: Na, kommt Ihnen der Satz bekannt vor? Seitdem wir uns jedes Foto sofort anschauen können und nicht wie früher warten müssen, bis die Filmrolle entwickelt ist, dauert das Auswählen des richtigen Bildes wahrscheinlich länger als das Fotografieren selbst. Schließlich kann man jetzt so lange knipsen, bis das Ideal-Bild, auf dem man sich so richtig gut findet, endlich darunter ist. Nur braucht das eben seine Zeit. Schuld daran ist unter anderem der so genannte 'Mere-Exposure-Effect' – ein Phänomen aus der Sozialpsychologie.

Was es beschreibt? Die Tatsche, dass wir die Sachen am besten finden, die wir besonders häufig sehen. Und dazu gehören in erster Linie – Trommelwirbel – wir selbst! Ja, wir alle finden uns selbst ziemlich gut oder besser gesagt, unser Spiegelbild. Nicht weil wir Narzissten sind, sondern weil unser Spiegelbild zu den Dingen gehört, denen wir am meisten begegnen, weshalb wir in der Regel positiv darauf reagieren.

Das Problem ist nur: Beim Blick auf uns selbst kennen wir eben auch nur dieses eine Bild von uns – weshalb es spätestens beim nächsten Selfie zur Krise kommt. Auf einem Foto sehen wir uns nämlich – anders als im Spiegel – richtig herum. Also genau so, wie unsere Familie, unsere Freunde und der Rest der Welt. Weil uns dieses Bild aber fremd ist, reagieren wir so ablehnend darauf.

Die Lösung: Noch mehr Bilder von sich machen!

Dieser 'Mere-Exposure-Effect' führt im Übrigen in anderen Lebensbereichen dazu, dass wir uns etwa mit Leuten anfreunden, denen wir besonders oft begegnen, etwa im Kindergarten oder an der Arbeitsstelle. Und die Werbung nutzt ihn dafür, uns Produkte schmackhaft zu machen. Wenn man ein Produkt nämlich kurz mehrmals hintereinander zeigt, führt dies ebenfalls dazu, dass wir diesem offener und positiver begegnen.

Tja, jetzt sind wir zwar schlauer und müssen uns von Freunden nicht mehr als eitel verspotten lassen, wenn wir wieder mal diejenigen sind, die erst mit dem zehnten Gruppen-Selfie einverstanden sind, sondern können fröhlich auf unsere psychologische Alltagsbildung verweisen. Aber blöd finden wir uns trotz dieses Wissens weiterhin auf den meisten Fotos.

Vielleicht liegt die Lösung aber genau hier: Je mehr Fotos wir nun von uns selbst machen, desto mehr gewöhnen wir uns an den Anblick und desto besser finden wir uns! Damit wäre auch erklärt, warum jeder Hans und Franz sich ständig und überall selbst ablichtet: Im Supermarkt, während der Kassierer die Milch übers Band zieht, am Flughafen in der Gepäckbandschlange, auf dem Klo. Sie alle tun es, um endlich mit sich und ihrem Aussehen im Reinen zu sein. Ach Mensch, endlich habe ich das auch verstanden. Es geht hier gar nicht um Eitelkeit, es geht um Selbstliebe! Na, denn fröhliches Knipsen!

Die Frau, mit der mein Partner zusammen ist, gibt es nicht. Sie sieht der Tochter meiner Eltern ähnlich. Vor allem mein Vater zeigt mir häufig Bilder von ihr. Er sagt immer, auf dem Bild ist sie wunderbar getroffen. Ein tolles Bild. Er ist der Fotograf und auch mein Vater, ich will ihn nicht kränken, ich nicke, wie immer, wenn mir Eltern Bilder ihrer Kinder zeigen. Eines haben sich meine Eltern groß ausdrucken und rahmen lassen. Es war an dem Tag, als sie zu Hause auszog. Ich zog am gleichen Tag aus. Gemeinsamkeiten haben wir viele.

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Besonders was unsere Garderobe angeht, obwohl sie bestimmt eine Konfektionsgröße größer trägt als ich. Sicher weiß ich es nicht. Ich bin ihr nie begegnet, aber was ich sicher weiß, ist, dass ihr meine Garderobe nicht so gut steht wie mir. Sie füllt sie gleichzeitig zu viel und auch gar nicht aus. Sie wirkt, als hätte sie sich in etwas reinverkleidet, plump steht sie da.

Haltung, Stil, Anmut, all das hat sie nicht. Wenn sie lacht, fällt ihr Gesicht auseinander. Es ist rund, ihre Augen klein, liegen unter der Last einer ständig kritischen Stirn. Ihre Züge wirken so, als halte man sie seit Jahren auf einer Achterbahnfahrt gefangen. Wenn ich sie sehe, denke ich immer, steig doch endlich aus. Man sieht doch, dass es dir nicht gefällt. Leb doch nicht die ganze Zeit mein Leben mit. Es ist nichts für dich.

Die meiste Zeit ignoriere ich diese Frau

Ich mag sie nicht, die fremde Frau. Ich finde sie unangenehm. Peinlich. Ich sehe meinen Partner und sie auf vielen Bildern. Ich denke mir, du hast mich und Geschmack, was willst du mit diesem Trampel? Aber ich sage nichts, weil ich weiß, klar, Aussehen ist nicht alles, es kommt auf den Charakter an, und vor allem die Zeit, die man miteinander verbringt. Die meiste Zeit ignoriere ich diese Frau. Ich bin mir sicher, es gibt sie nicht.

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Denn wir begegnen uns nie. Fotos beweisen zwar, dass wir uns häufiger an den gleichen Orten aufhalten, sogar zur gleichen Zeit, aber ich habe sie noch nie gesehen, nicht hinter mir, nicht vor mir, auch nicht in Fensterscheiben oder Spiegeln. Soll sie doch meine Sachen anziehen und mit meinen Freunden meinen Geburtstag feiern. Im Grunde ist es mir egal. Ich bin mit mir im Reinen. Völlig zufrieden, da wo ich bin, mit dem, was ich bin, dass ich mich aufrege, wirklich aufrege, das wird doch immer seltener.

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Aber trotzdem gibt es diese Momente, da wäre ich gerne wie alle anderen Menschen, oder so, wie ich alle anderen Menschen wahrnehme, da hätte ich gerne die Möglichkeit, fotografiert zu werden, und dann einfach selbst auf den Foto drauf zu sein. Aber das passiert nie. Denn wenn man mich fotografiert, macht man ein Foto von ihr. Und es ist ja schon so, des Menschen größter Antrieb, als Etwas, das lebt, und damit als Etwas, das notgedrungen geht, ist es, zu bleiben, und man geht ja alle zehn Jahre, man möchte auch was von sich behalten, wenigstens von den guten Zeiten, Reisen, von all dem, was selten ist.

"Foto Spleen" Geschichte von Julia Friese Ein glücklicher Mensch im kalifornischen Sonnenschein. Versuch 142 ein gelungens Foto von Julia Friese zu machen.
(CREDITS: privat)

Ein glücklicher Mensch im kalifornischen Sonnenschein. Versuch Nr. 142, ein gelungenes Foto von Julia Friese zu machen

Quelle: privat

Gerade erst war ich in Los Angeles, dieser Stadt, die keine ist, sondern eine perfekte Kulisse. Die Möglichkeiten des sich Festhaltens sind unendlich, am Zuma Beach liegend, lesend, auf einer Terrasse in den Malibu Hills in bester Gesellschaft lachend, in Kassetten stöbernd im Amoeba Music am Sunset Boulevard. All diese Situationen habe ich verstreichen lassen, ohne sie mit mir festzuhalten, dann aber sind wir im Getty Center, hoch oben über der Stadt, ein Feld voller Goldkugelkakteen, die Interstate 405, die Sonne, und ich trage meinen gelben Valentino-Overall. Ich sage, ich möchte nun wirklich mal ein Foto.

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Mein Partner verkrampft sich, weiß, was nun passieren wird, da er weiß, ich mache 200 Mal das Gleiche und erwarte doch, dass es dieses eine Mal anders wird, und dann wird es doch nur wieder gleich. Er macht 200 Fotos. Ich sehe sie mir an und sage, was ich schon 200 Mal gesagt habe, du kennst mich all die Jahre, und doch schaffst du es nicht, auf mich zu halten. Wieder fotografierst du nur diese Frau. Wie schlimm sie in meinem gelben Overall aussieht.

Ich sage ihm, er soll es noch mal versuchen, ich sage ihm, stell dich da vorne hin, mit dem Licht, von da, und dann von oben. Ich werde zu einem Offizier im Krieg gegen die fremde Frau, und der Soldat, der keiner sein will, weil er seinen Gegner nicht sieht, der steht über mir, mit den Schuhen auf dem Richard-Meier-Springbrunnen.

Er schießt von links und von rechts, ich biete alles an, ich versuche, die Leute auszublenden, die gucken, sollen sie doch gucken. Die Möglichkeit, dass sie mich eh niemals sehen, besteht ohnehin. Und ich will doch nur das, was sie sicher tausendfach haben, und will davon doch nur eins. Ein Foto von mir. Ich nehme meinem Partner, der in dem Moment gleichzeitig mein Söldner und mein Gegner ist, die Kamera aus der Hand, und bin im Begriff, sie zu werfen.

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Ich weiß, dass das objektiv gesehen alles unfassbar eitel ist, aber subjektiv ist es vor allem traurig. All die Kilometer bin ich geflogen und habe nichts mitgenommen außer Erinnerungen, die notgedrungen irgendwann mit mir verloren gehen. Nichts wird je von mir bleiben.

Deswegen schreibst du, sagt mein Partner.

Nur die fremde Frau ist noch peinlicher als Selfies

Deswegen nehme ich mein Handy aus der Tasche. Wie ein Teenager, ich hasse es. Wenn nicht die fremde Frau auf meinen Fotos ist, dann ist es mein rechter Arm. Ich bin die Frau ohne Unterleib. Ich verachte Selfies. Nur die fremde Frau ist noch peinlicher als Selfies. All meine Profilbilder überall sind Selfies. Denn es ist nun mal so, nur auf einem Selbstporträt sehe ich mich. Wenn ich die Kamera selbst halte, schafft es die fremde Frau nicht, auf das Bild zu kommen. Nur, der Hintergrund leider auch nicht.

"Foto Spleen" Geschichte von Julia Friese CREDITS: (privat) Julia Friese ist ein sehr fotogener Mensch. (Credits: privat)

Später dann immer die Frage: Wer ist bloß diese seltsame Frau in dem gelben Hosenanzug?

Quelle: privat

Nach der Reise sitze ich bei einem Glas Wein über Hunderten von Bildern von meinem Kopf. Sie hätten fast überall entstehen können. Ich darf das niemandem erzählen, aber diese Bilder werde ich nicht löschen, sie sind wie ein Schrein, die Versicherung, dass es mich gibt, dass ich nicht nur meine eigene Einbildung bin.

Wie schlimm das wäre.

Ich stelle mich vor den Spiegel im Badezimmer.

Hi, sage ich.

Ich mag mich. Meine Augen, meine Nase, meinen Mund und wie das alles zusammengeht. Ich passe zu mir.

Ich gefalle mir.

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Und ich weiß, jeder Mensch hat ein Bild von sich selbst, das nicht der Realität entspricht. Wir definieren uns über die Erinnerungen, die wir von uns akzeptieren. Wir konstruieren uns. Und in den Spiegel gucken wir genauso.

Ich versuche, meine Züge komplett zu entspannen. Ich schließe die Augen. Ich öffne sie.

Aber meine Augen, die werden die fremde Frau nie sehen.

Ich verlasse das Badezimmer über den niedrigsten aller Wege.

Ich zeige meinem Partner ein Selbstporträt.

Ich frage ihn: Das bin doch ich, oder?

Er sagt, das bist du auch.

Warum sehen manche Menschen auf Fotos schlechter aus?

Auf Fotos sehen wir uns meistens gefühlt verkehrt herum. Aber eigentlich sehen wir uns da so, wie wir tatsächlich aussehen, also wie uns auch andere sehen. Im Spiegel sehen wir uns spiegelverkehrt. Wenn wir uns auf Fotos sehen, ist das ungewohnt, deshalb finden wir das erstmal weniger gut.

Warum bin ich auf Fotos dicker als im Spiegel?

Der Grund für die verzerrte Wahrnehmung ist genau das: eine Verzerrung, genannt „Tonnenförmige Verzeichnung“. Die sprichwörtlichen fünf Kilo, die die Kamera dazufügt, ist zurückzuführen auf die Perspektive. Da spielt zum einen die Brennweite des Objektivs eine Rolle, also die Entfernung zwischen Linse und Brennpunkt.

Ist das Spiegelbild echt?

Das Spiegelbild ist also variabel - und darüber hinaus seitenverkehrt. Das, was man darin sieht, wird als wahre Abbildung gespeichert. Doch es gibt noch mehr Gründe.

Wie guckt man auf Fotos?

Auf Fotos gut aussehen - Der Dreh macht's Besser ist es, wenn Sie auf den Fotos Ihre Schokoladenseite zeigen. Sie müssen sich also etwas eindrehen. Außerdem sollten Sie leicht über Ihre Schulter schauen und das Gewicht auf den hinteren Fuß verlagern. Am besten nehmen Sie einen 45-Grad-Winkel zur Kamera ein.