Sanders und biden nennen trump korrupt

Die zwei verbleibenden Präsidentschaftsanwärter der Demokraten bieten den Wählern eine echte Alternative. Vor allem das Krankenversicherungswesen wird zu intensiven Debatten führen. Auch in der Handelspolitik fliegen die Fetzen.

Sanders und biden nennen trump korrupt

Bernie Sanders und Joe Biden (v.l.) machen Wahlkampf mit wirtschaftspolitischen Fragen.

Matt Rourke / AP

Mit dem 77-jährigen Joe Biden und dem 78-jährigen Bernie Sanders stehen nicht nur zwei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten zur Wahl, die beiden hausieren auch mit abweichenden Wirtschaftsprogrammen. Den Kampf gegen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit haben sich zwar beide auf die Fahne geschrieben, aber wo Biden gemässigt auftritt, tut es Sanders radikal-populistisch.

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Das Interview führte Nikolaos Gavalakis.

In Ihrem neuen Buch „The System: Who Rigged It, How We Fix It“ behaupten Sie, das Wirtschaftssystem und die Politik der USA seien in einem Teufelskreis aus Reichtum und Macht gefangen. Wie funktioniert dieser Teufelskreis?

Reiche nutzen ihr Vermögen, um auf die Politik Einfluss zu nehmen. In den USA gibt es keine oder nur wenige Beschränkungen, wie viel Geld man für den politischen Wettstreit ausgeben kann – vor allem für Werbung, zum Beispiel auf Facebook, und alle möglichen Aktivitäten zugunsten einzelner Kandidaten.

Dadurch, dass immer mehr Geld von Reichen in das politische System fließt, verändern sich die Spielregeln des amerikanischen Kapitalismus. Das beginnt schon mit der lascheren Durchsetzung des Kartellrechts. Gleichzeitig werden Arbeitnehmern, die sich organisieren wollen, mehr und mehr Steine in den Weg gelegt. Insolvenzverfahren werden für Normalbürger erschwert und für Großkonzerne erleichtert. Die geistigen Eigentumsrechte werden ausgeweitet, sodass Pharmaunternehmen und Technologieriesen ihre Patente und gewerblichen Schutzrechte ausdehnen können. Sammelklagen sind schwieriger geworden.

Insiderwissen für Börsengeschäfte zu nutzen oder durch Aktienrückkäufe die Kurse künstlich in die Höhe zu treiben ist mittlerweile legal. Die Beschränkungen, mit denen in den 1930er-Jahren die Wall Street an die Leine gelegt wurde, hatte man vor der Finanzkrise von 2008 fast komplett abgeschafft, und die Restriktionen, die nach der Finanzkrise eingeführt wurden, sind nach und nach wieder zurückgenommen worden.

Die Steuerlast für Reiche wurde drastisch gesenkt. Das meine ich mit Teufelskreis: Die Entwicklungen, die ich genannt habe, und unzählige weitere verändern den sogenannten „freien Markt“. Dadurch wird mehr Vermögen nach oben umverteilt, und somit gehen die Marktveränderungen zugunsten der Vermögenden in die nächste Runde. Dazu kommen noch die ganzen Rettungsmaßnahmen und Subventionen. Sogar jetzt während der Pandemie erleben wir, dass die großen Unternehmen gerettet und die Reichen steuerlich noch mehr entlastet werden, während die einfachen Bürger nur sehr wenig bekommen.

Und das macht viele Bürgerinnen und Bürger anfällig für Demagogen wie Trump?

Wenn mehr und mehr Leute das Gefühl haben, dass sie nie auf einen grünen Zweig kommen, auch wenn sie sich noch so abrackern, und immer mehr die Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse für sich und ihre Kinder verlieren, nehmen die Wut und die Frustration natürlich zu. Das ist ein gefundenes Fressen für Demagogen, die diese Wut und den Frust für ihre eigenen Zwecke nutzen, um sich eine politische Basis aufzubauen und die Wut so umzulenken, dass sie sich gegen Sündenböcke wie zum Beispiel Migranten, Arme, kulturelle Eliten oder den sogenannten „Deep State“ richtet. Das ist vergleichbar mit Hitlers Vorgehen in den 1930er-Jahren. Den Zorn und Frust der arbeitenden Klasse auszuschlachten, ist für Demagogen eine vertraute Strategie.

Warum gibt es nicht mehr Empörung und Massenproteste?

Es gibt jede Menge Protest. Zwei wichtige Kandidaten bei den Vorwahlen der Demokraten waren Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Ihr Erfolg ist ein Zeichen dafür, dass es in der Demokratischen Partei eine sehr große und breite progressive Strömung gibt. Bei den Republikanern schafft Donald Trump es nach wie vor, vielen Arbeitern weiszumachen, er sei ihr Held und Erlöser, aber allmählich durchschauen immer mehr dieses Spiel. Sie realisieren, dass Trump den Reichen und den Großkonzernen riesige Steuergeschenke macht und die Arbeitsschutzbestimmungen wieder lockert. Durch die Pandemie wird das alles noch deutlicher sichtbar.

Die amerikanischen Arbeitnehmer bekommen den Kapitalismus in seiner brutalsten Form zu spüren. Sozialismus gibt es bei uns nur für die Reichen.

In den USA gibt es ein paar Mythen, die von der Oligarchie kultiviert wurden und jetzt unter dem Druck der Wirklichkeit in sich zusammenfallen. Einer dieser Mythen lautet, es gebe immer noch die traditionelle politische Einteilung in Links und Rechts, während die Trennlinie in Wahrheit zwischen Demokratie und Oligarchie verläuft. Die Oligarchen wollen die Menschen spalten, weil sie so am einfachsten davon ablenken können, wie viel Vermögen und Reichtum sie anhäufen, aber immer mehr Menschen kommen ihnen auf die Schliche. Der zweite Mythos behauptet, es gebe einen freien Markt und der Staat mische sich in diesen freien Markt ein, aber auch dieser Mythos löst sich in Wohlgefallen auf – und die Pandemie beschleunigt diesen Prozess.

Ein weiterer Mythos will uns glauben machen, Konzerne würden sozial verantwortungsbewusst handeln oder fühlten sich ihren Arbeitnehmern und dem Gemeinwesen verpflichtet. Die Wirklichkeit sieht komplett anders aus. Die Einzigen, denen ein Konzern verpflichtet ist, sind dessen Aktionäre und CEOs, deren Vergütung sich nach dem Erfolg des Unternehmens richtet. Und dann gibt es noch den Mythos von der Leistungsgesellschaft, der behauptet, jeder werde entsprechend seiner Leistung bezahlt. Die Menschen beginnen zu erkennen, dass das System durch Vermögen und Macht verzerrt wird. Noch vor wenigen Jahren wurde in der ökonomischen oder auch in der politikwissenschaftlichen Diskussion das Phänomen der Macht nur selten thematisiert, aber inzwischen rückt es immer mehr in den Mittelpunkt. Dies alles zeigt, dass die Menschen ein wacheres Bewusstsein entwickeln und politisch aktiv werden, um die Politik und die Wirtschaft von der Oligarchie zurückzuerobern.

Bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2018 haben wir eine starke progressive Stimmung erlebt, die zum Erfolg führte. Die Demokraten gewannen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, und das war sicherlich nicht den unternehmerfreundlichen Wall-Street-Demokraten zu verdanken, sondern den jungen fortschrittlichen Demokraten wie Alexandria Ocasio-Cortez und vielen anderen Frauen und Nichtweißen. Die Zeiten ändern sich.

In der Vergangenheit haben Sie die Demokraten als Partei des Status quo kritisiert. Was haben diese Ihrer Meinung nach falsch gemacht, und was muss Joe Biden tun, um die Präsidentschaftswahl zu gewinnen?

Die Demokratische Partei hat die Arbeiterschaft im Stich gelassen. Das war der Hauptfehler. In den 1930er-Jahren, unter Franklin D. Roosevelt, spielte die Arbeiterschaft innerhalb der Demokratischen Partei eine zentrale Rolle. In den vergangenen 40 Jahren war die Demokratische Partei jedoch darauf aus, sich in der sogenannten Mitte neu zu positionieren. Die Demokraten dachten, die neue Mitte sei die obere Mittelschicht, die wir „suburban swing voters“ nennen – also die Wechselwähler aus den Vorstädten. Damit waren sie meiner Meinung nach schlecht beraten.

Die amerikanische Arbeiterschaft blieb damit verwaist zurück. Die Demokraten gaben wenig oder nichts auf die Gewerkschaften und schauten tatenlos zu, wie der Organisationsgrad der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft von 35 auf 6,4 Prozent absackte. Das Fehlen einer starken gewerkschaftlichen Bewegung hat die Demokratische Partei massiv geschwächt. Um Joe Biden zu beurteilen, ist es noch zu früh. Für viele ist er der Kandidat mit den besten Chancen, gegen Donald Trump zu gewinnen.

Und was meinen Sie?

Das stimmt vielleicht, aber Biden muss die Jungen und die Arbeitnehmer begeistern und mobilisieren. Dafür bleibt ihm genug Zeit. Bernie Sanders hat ihm vor Kurzem seine Unterstützung zugesichert. Es wird daran gearbeitet, dass die Partei sich geschlossen hinter ihn stellt, aber dabei lautet das Ziel vor allem, Trump zu schlagen – den meiner Meinung nach schlechtesten Präsidenten, den Amerika je hatte.

Das Sicherheitsnetz, das wir haben, ist total durchlöchert und ramponiert. Das war schon so, bevor Trump Präsident wurde.

Gegen Trump gewinnen wird Biden nur, wenn es ihm gelingt, die jungen Leuten, die Arbeiterschaft und die progressiven Kräfte hinter sich zu versammeln. Eine ganz andere Frage ist, wie groß Bidens Machtbasis sein wird, wenn er denn gewählt wird und eine progressive, zukunftsorientierte Politik umsetzen und die Amerikaner sozial stärker absichern will, auch was die Gesundheitsversorgung angeht. Die USA sind bekanntlich ein Extremfall. Die amerikanischen Arbeitnehmer bekommen den Kapitalismus in seiner brutalsten Form zu spüren. Sozialismus gibt es bei uns nur für die Reichen; alle anderen bekommen einen Kapitalismus vorgesetzt, der sie in extremer Art und Weise maßregelt und sanktioniert.

In Ihrem Buch kritisieren Sie die Deregulierung und Privatisierung durch die Trump-Administration. Wie viel Schuld trifft die Trump-Regierung an der aktuellen Corona-Situation in den USA?

Ich würde sagen, für die Ausbreitung, die Todesfälle und die Schäden durch das Coronavirus ist sie zu 50 Prozent verantwortlich – durch ihre Inkompetenz, die Deregulierung des Gesundheitswesens und die grundsätzliche ideologische Ablehnung eines staatlichen Gesundheitssystems. Die anderen 50 Prozent waren in den USA strukturell schon vorprogrammiert. Es gibt in den USA kein staatliches Gesundheitssystem. Wir haben ein System mit privaten Krankenversicherungen, die Gewinne erwirtschaften wollen und meistens ebenso profitorientierten Konzernen gehören. Das Sicherheitsnetz, das wir haben, ist total durchlöchert und ramponiert. Das war schon so, bevor Trump Präsident wurde.

Donald Trump markiert den Kulminationspunkt einer langen Entwicklung, die von Versäumnissen, stagnierenden Löhnen, wachsender Ungleichheit und Korruption sowie einer zunehmenden Umverteilung von Einkommen, Vermögen und Macht nach oben geprägt war. Wenn es nie einen Donald Trump gegeben hätte, würde irgendein anderer Demagoge an seiner Stelle im Weißen Haus sitzen.

Infolge des Coronavirus haben sich allein in den vergangenen drei Wochen über 20 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner arbeitslos gemeldet. Wie beurteilen Sie das Zwei-Billionen-Dollar-Hilfspaket, auf das Demokraten und Republikaner sich verständigt haben?

Das reicht bei Weitem nicht aus, zumal ein großer Teil davon an die falschen Leute fließt. 500 Milliarden Dollar aus diesem Paket sind für die Rettung vor allem großer Unternehmen vorgesehen. Die sind nicht auf Hilfe angewiesen. Eines sollten wir aus der Bankenrettungspolitik von 2008 gelernt haben: Sehr große Unternehmen sollte man grundsätzlich nicht retten. Die Luftfahrtindustrie in den USA zum Beispiel hat jede Menge Sicherheiten in Form von Vermögen, Flugzeugen, Start- und Landerechten. Die großen Hotelketten besitzen Immobilien, die wieder sehr viel wert sind, sobald die Wirtschaft sich erholt.

Wenn es nie einen Donald Trump gegeben hätte, würde irgendein anderer Demagoge an seiner Stelle im Weißen Haus sitzen.

Diese großen Unternehmen führen permanent Umschuldungsverhandlungen mit ihren Gläubigern. In den vergangenen Jahren haben sie sich außerdem massiv verschuldet, um eigene Aktien zurückzukaufen und ihren Großanlegern, leitenden Angestellten und CEOs damit Profite zu bescheren. Warum sollten sie jetzt Nothilfe erhalten? Das ist grotesk. Auf der anderen Seite ist eine Einmalzahlung von 1 200 Dollar für jeden Erwachsenen absolut zu wenig. Diesen Betrag gibt der Durchschnittsamerikaner in einer Woche für Güter des täglichen Bedarfs aus. Das ist ein Schlag ins Gesicht. Ein großer Teil dieses Geldes hat die Menschen übrigens noch gar nicht erreicht.

Die Arbeitslosenversicherung ist eine gute Idee, aber das System ist überfordert. Die Anträge, die jetzt gestellt werden, können nicht alle bearbeitet werden. Unter den Republikanern und in den republikanisch regierten Bundesstaaten ist das System in weiten Teilen so gestrickt, dass es die Menschen davon abhält, Arbeitslosengeld zu beantragen, auch wenn sie darauf Anspruch haben. Was bis jetzt getan wurde, reicht vorne und hinten nicht aus.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld