Show
21.03.2016. Erwerbsminderungsrenten können wegen voller oder wegen teilweiser Erwerbsminderung gewährt werden, und zwar entweder auf Dauer oder befristet bzw. auf Zeit. Möglicherweise schränkt § 33 TVöD die Rechte des Arbeitnehmers, trotz einer teilweisen Erwerbsminderungsrente auf Zeit im Arbeitsverhältnis weiter aktiv zu sein, zu sehr ein. Das ist im Ergebnis nicht der Fall, so das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer aktullen Entscheidung: BAG, Urteil vom 17.03.2016, 6 AZR 221/15.
Schränkt § 33 TVöD die Möglichkeiten teilweise erwerbsgeminderter Arbeitnehmer auf Fortsetzung ihres aktiven Arbeitsverhältnisses zu stark ein?Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können, erhalten auf Antrag eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, falls sie die Voraussetzungen gemäß § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert ist, wer täglich zwar drei, aber nicht sechs Stunden oder mehr arbeiten kann. Und da eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung meist recht gering ausfällt, ist sie meist keine ausreichende finanzielle Basis für einen Ausstieg aus dem Arbeitsleben. Trotzdem sieht § 33 Abs.2 Satz 1 TVöD sowohl bei der vollständigen wie bei der teilweisen Erwerbsminderung eine automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Immerhin stellt § 33 Abs.2 Satz 5 und 6 TVöD klar, dass die Folge einer zeitlich befristeten Erwerbsminderungsrente nicht in der Auflösung, sondern nur im vorübergehenden Ruhen des Arbeitsverhältnisses für die Dauer des Rentenbezugs besteht. Und für die Fälle einer (befristeten oder dauerhaften) Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gibt § 33 Abs.3 TVöD den Arbeitnehmern das Recht, weiter zu arbeiten und damit die Auflösung des Arbeitsverhältnisses (bei dauerhafter Berentung) bzw. das Ruhen (bei befristeter Berentung) durch einen Antrag beim Arbeitgeber zu verhindern. Diese Vorschrift lautet: "Im Falle teilweiser Erwerbsminderung endet bzw. ruht das Arbeitsverhältnis nicht, wenn der Beschäftigte nach seinem vom Rentenversicherungsträger festgestellten Leistungsvermögen auf seinem bisherigen oder einem anderen geeigneten und freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden könnte, soweit dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe nicht entgegenstehen, und der Beschäftigte innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids seine Weiterbeschäftigung schriftlich beantragt." Nun hat zwar das BAG Mitte 2014 zu einer gleichlautenden Tarifvorschrift entschieden, dass die extrem kurze Frist von zwei Wochen ab Zugang des Rentenbescheides aus verfassungsrechtlichen Gründen erst ab dem Zugang eines Schreibens des Arbeitgebers beginnt, in dem dieser dem Arbeitnehmer mitteilt, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund des Rentenbescheids endet (Urteil vom 23.07.2014, 7 AZR 771/12). Trotzdem fragt sich, ob die in § 33 TVöD enthaltenen Möglichkeiten, einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu entgehen, ausreichend sind, gemessen an der Berufsfreiheit des Arbeitnehmers (Art.12 Grundgesetz - GG). Denn die Berufsfreiheit schützt unter anderem die aktive Tätigkeit am Arbeitsplatz und das Geldverdienen, und beides wird ja durch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses eingeschränkt. Außerdem fragt sich, wie § 33 TVöD mit den Rechten schwerbehinderter Arbeitnehmer zusammenpasst, d.h. mit deren Recht auf behinderungsgerechte Beschäftigung. Der Fall des BAG: Schulhausmeisterin bekommt Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit und klagt gegen das Ruhen ihres ArbeitsverhältnissesEine schwerbehinderte Arbeitnehmerin war seit 1988 als Schulhausmeisterin tätig. Auf ihr Arbeitsverhältnis fand der TVöD Anwendung. Zuletzt arbeitete sie in Teilzeit mit täglich 4,7 Stunden und verdiente 1.600,00 EUR brutto. Mit Rentenbescheid vom 11.06.2013 wurde ihr eine bis zum 30.06.2015 befristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zugesprochen. Daher bekam sie monatlich 364,24 EUR Rente. Einen fristgerechten Antrag auf Weiterbeschäftigung stellte sie nicht, arbeitete jedoch noch guten einen Monat nach Zugang des Rentenbescheides weiter. Schließlich reichte sie Klage auf Feststellung ein, dass das Arbeitsverhältnis während der Dauer ihrer teilweisen Erwerbsminderung vom 01.07.2013 bis zum 30.06.2015 nicht ruhte. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Urteil vom 04.11.2014, 7 Sa 29/14) wiesen die Klage ab. BAG: Das automatische Ruhen des Arbeitsverhältnisses gemäß § 33 TVöD wegen einer teilweisen Erwerbsminderungsrente auf Zeit verstößt nicht gegen die BerufsfreiheitAuch in der Revision vor dem BAG hatte der Hausmeisterin keinen Erfolg. Zur Begründung heißt es in der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG: § 33 TVöD kann die gesetzlichen Rechte schwerbehinderter Menschen nicht verkürzen. Schwerbehinderte Arbeitnehmer können daher unabhängig von § 33 TVöD, d.h. jederzeit und in jeder beliebigen Form, vom Arbeitgeber eine behinderungsgerechte Beschäftigung verlangen, und zwar auf der Grundlage von § 81 Abs.4, Abs.5 Satz 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Außerdem kann jeder Arbeitnehmer, so das BAG, trotz des Ruhens seines Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber verlangen, dass er die Möglichkeit einer Beschäftigung unter Berücksichtigung seines verbliebenen Leistungsvermögens prüft. Rechtsgrundlage dieses Prüfungsanspruchs ist § 241 Abs.2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Setzt man diese Arbeitnehmerrecht voraus, dann schränkt § 33 TVöD nach Ansicht des BAG die Beschäftigungs- und Verdienstmöglichkeiten von Arbeitnehmern, die eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung beziehen, nicht unverhältnismäßig ein. Eine Verletzung von Art.12 GG liegt daher nicht vor. Hier im Streitfall hatte die Arbeitnehmerin aber keinen fristgerechten Antrag nach § 33 Abs.3 TVöD gestellt, und sie hatte auch keine weitere Beschäftigung als schwerbehinderter Mensch bzw. nach § 241 Abs.2 BGB verlangt und damit das Ruhen ihres Arbeitsverhältnisses beendet. Daher hatte sie mit ihrer Klage auch vor dem BAG keinen Erfolg. Fazit: Arbeitnehmern ist raten, sich vor der Stellung eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente arbeitsrechtlich beraten zu lassen. Für viele Arbeitnehmer gelten Tarifverträge oder arbeitsvertragliche Regelungen, denen zufolge eine (befristete oder unbefristete, teilweise oder volle) Erwerbsminderungsrente zu einer automatischen Beendigung oder einem automatischen Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt. Manche solcher Regelungen sind aufgrund der aktuellen Rechtsprechung unwirksam, andere dagegen muss man beachten. Je nach arbeitsrechtlicher Situation kann es daher z.B. sinnvoll sein, von vornherein nur eine zeitlich befristete und/oder eine Teilerwerbsminderungsrente zu beantragen. Nähere Informationen finden sie hier:
Hinweis: In der Zwischenzeit, d.h. nach Erstellung dieses Artikels, hat das BAG seine Entscheidungsgründe veröffentlicht. Das vollständig begründete Urteil des BAG finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 7. September 2021 Was passiert mit Arbeitsverhältnis bei befristeter voller Erwerbsminderungsrente?Wenn der Arbeitnehmer eine volle befristete Erwerbsminderungsrente erhält, wird nach vielen Tarifverträgen das Arbeitsverhältnis suspendiert. Dass heisst, es ruht. Auch eine solche Regelung ist mit dem geltenden Recht und Artikel 12 Grundgesetz ( Berufsausübungsfreiheit) vereinbart.
Welche Auswirkungen hat die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung auf das bestehende Beschäftigungsverhältnis?Durch die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente endet das Arbeitsverhältnis nicht automatisch. Damit der bestehen Arbeitsvertrag beendet wird, bedarf es einer Kündigung oder einer einvernehmlichen Beendigung durch einen Aufhebungsvertrag.
Kann Arbeitgeber bei voller Erwerbsminderungsrente kündigen?Erwerbsminderungsrente kann nur dann Grund für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sein, wenn sie den Arbeitnehmer auf Dauer wirtschaftlich absichert. Ist der Arbeitnehmer schwerbehindert oder gleichgestellt, muss das Integrationsamt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustimmen.
Wird Arbeitgeber über Erwerbsminderungsrente informieren?Der Arbeitgeber muss den Beschäftigten – vergleichbar dem Fall einer Zweckbefristung des Arbeitsvertrags – schriftlich über den Eintritt der auflösenden Bedingung, d. h. die Tatsache, dass aufgrund der unbefristeten Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis automatisch endet, und den Beendigungszeitpunkt unterrichten.
|