Welche bedeutung hat das wort geil

Yolo, Swag oder hartzen. Du verstehst nur Bahnhof? Dann geht's dir wohl wie vielen, die über 20 Jahre alt sind. Andere Wörter wie «geil» haben es aber längst in den allgemeinen Sprachgebrauch geschafft. Teste deinen Swag im FM1Today-Jugendsprache-Quiz.

Symbolbild

© (KEYSTONE/Manuel Lopez)

Es ist keine Schande, wenn man Ausdrücke der Jugendsprache als Erwachsener nicht versteht. Jugendsprache ist komplex, wird überall auf der Welt gesprochen und ist dementsprechend auch verschieden. Jugendsprache wird meist nur unter Gleichaltrigen verwendet und wandelt sich ständig.

Sprache entwickelt sich ständig weiter

Sprachforscher sind sich einig: Jugendsprache ist wichtig für den Sprachwandel. Jugendsprache ersetzt keine Wörter, sondern fügt dem Wortschatz neue hinzu und entwickelt diesen ständig weiter.

Ein gutes Beispiel ist das Wort «geil», das nach wie vor hoch im Kurs ist. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes wurde gemäss Duden eher abwertend für «gierig nach geschlechtlicher Befriedigung», «vom Sexualtrieb beherrscht» oder «sexuell erregt» verwendet. Jugendsprache hat «geil» die neue Bedeutung «schön», «gut», «grossartig» oder «toll» hinzugefügt. Ein Wort, das längst auch im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird.

Geil noch nicht ausser Mode

Dem Wort widmete die Hamburger Band Deichkind vor vier Jahren das Lied «Leider Geil», das auch als Enttäuschung über das in die Jahre gekommene Modewort verstanden werden kann. Auch Worte wie «derb», «krass» oder «episch» haben es nicht geschafft, «geil» abzulösen.

Der Wörterbuch-Verlag Langenscheidt kürt jedes Jahr das Jugendwort des Jahres. Dabei kann jeder einen Vorschlag einreichen. Eine 18-köpfige Jury wählt dann das Wort aus den zehn besten Vorschlägen.

Die Gewinner der letzten acht Jahre

2015: Smombie

2014: Läuft bei dir

2013: Babo

2012: Yolo

2011: Swag

2010: Niveaulimbo

2009: hartzen

2008: Gammelfleischparty

Einen Artikel über das Wort geil kann man sicher nicht glaubwürdiger anfangen als mit dem Zitat eines Pornostars: „Das macht den geil,“ soll Dolly Buster in einer Sendung des Fernsehsenders RTL über einen als „Knöllchen-Horst“ berüchtigt gewordenen Frührentner aus Badenhausen am Harz gesagt haben, der 40.000 Autofahrer wegen Falschparkens und ähnlicher Delikte angezeigt hat. Der Mann wollte das nicht auf sich sitzen lassen und verklagte Buster im Januar 2015 auf 1500 Euro Schmerzensgeld.

Damit machte sich „Knöllchen-Horst“ allerdings ziemlich zum Horst. Das Amtsgericht Osterode erteilte dem Frührentner eine Lektion in angewandter Linguistik. Der vorsitzende Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Büermann argumentierte dabei nicht nur soziolinguistisch und literaturwissenschaftlich, sondern auch sprachgeschichtlich.

Soziolinguistisch war, dass der Richter das gesellschaftliche Umfeld der Sprecherin berücksichtigte: Das Wort geil aus dem Munde einer Pornodarstellerin sei keine Herabwürdigung. Das stimmt, denn in diesem Milieu ist es – vor allem bei Männern – eine unerlässliche Arbeitsvoraussetzung, geil zu sein. Literaturwissenschaftlich exakt trennte das Gericht zwischen der realen Person Dolly Buster und der von ihr öffentlich gespielten Figur. Geil sei ein zu der von Dolly Buster verkörperten Rolle passender Sprachgebrauch. Das Gericht sieht Nora Baumbergerová also als Autorin an, die für die von ihr verkörperte Figur Dolly Buster Texte ersinnt und bescheinigte diesen Texten einen authentisch wirkenden Milieu-Realismus.

Sprachgeschichtlich begründete das Gericht sein Urteil mit dem Bedeutungswandel von geil in der allerjüngsten Zeit: Das Wort sei nicht länger ausschließlich negativ konnotiert. Wer heute geil sei, gelte ja sogar als kluger Käufer. Hier irrt der Richter. Denn der Werbeslogan der Elektronik-Fachgeschäftkette „Media Markt“, auf den der Jurist sich bezog, lautete ja: „Geiz ist geil“ und nicht „Geizige sind geil“. Die Reklametexter wussten schon warum: Wenn sie das Adjektiv auf Personen bezogen hätten, wäre die alte Bedeutung „nach Geschlechtsgenuss gierend, lüstern, sexuell erregt“ noch allzu naheliegend gewesen – gemeint war aber: „Geiz ist toll, großartig und absolut gerechtfertigt.“ Ein besseres Beispiel im Sinne des Gerichts wäre der Edeka-Werbespot gewesen, in dem der Musiker und Schauspieler Friedrich Liechtenstein Anfang 2014 Produkte aus dem Supermarkt und irgendwie auch das Leben selbst für supergeil befand. Dass die linguistische Kompetenz des Gerichts ihre Grenzen hatte, sieht man auch daran, dass die Osteroder Juristen die pragmalinguistische Seite von Dolly Busters Satz über „Knöllchen-Horst“ völlig ausblendeten. Die Pragmalinguistik betrachte Aussagen als Sprechakte und fragt, was mit diesen sprachlichen Handlungen beabsichtigt ist. Der Frührentner mag ja ein unangenehmer Zeitgenosse sein, aber sicherlich kein kompletter Idiot. Er ging zu Recht davon aus, dass die ehemalige Pornodarstellerin ihn keineswegs als „großartig“ bezeichnen wollte, als sie ihn geil nannte. Und ganz bestimmt, wollte sie ebenfalls nicht ausdrücken, dass sie ihn „erotisch begehrenswert“ oder „sexuell stimulierend“ findet – obwohl das Wort im 20. Jahrhundert auch diese Bedeutung angenommen hat und es vermutlich erst von dort, indem der sexuelle Hintergrund durch massenhaften Gebrauch verblasste, zu seinem neuen neutral positiven Sinn kam.

Nein, Dolly Buster hat geil ganz sicher in jenem Sinne gemeint, auf den sich das Wort seit dem 15. Jahrhundert als Gegensatz keusch verengte. Es war ein Lieblingswort des Barocks. Man geilte sich in aller Unschuld geradezu auf daran, wie ein Beispiel aus Johann Jacob Baulers „Hell-poliertem Lasterspiegel“ von 1681 zeigt, wo der gesellschaftliche Niedergang unkeuscher Männer in zeittypischer Drastik beschrieben wird: „So heisset es jetzo/ Huren-Balg/ Schand-Sack/ Unflat/ geiler Bock/ Huren-Hengst/ alle Ehr/ Respect und Ansehen verlieret sich.“

Ursprünglich hatte geil eine viel größere Bedeutungsvielfalt. Im Althochdeutschen konnte es seit dem achten Jahrhundert auch „übermütig, überheblich“ bedeuten, im Mittelhochdeutschen „von wilder Kraft, mutwillig, üppig“. Die letzte Bedeutungsnuance lebte noch weiter, wenn im älteren Sprachgebrauch von geil wachsenden Pflanzen die Rede ist – so noch bei Gerhart Hauptmann, der 1910 in „Der Narr in Christo Emmanuel Quint“ beklagen lässt: „Wie denn die Lüge noch immer auf allen Gärten und allen Äckern am geilsten wuchert.“ Wer diesen alten Sinn nicht kennt, wird folgenden Satz aus Heinrich von Treitschkes „Deutscher Geschichte“ von 1894 leicht missverstehen: „Zuweilen vermochte Rohmer doch, aus dem geilen Dickicht seiner Theorien in das Tageslicht hinauszutreten.“

Geil geht auf eine uralte indoeuropäische Wortwurzel ghoilos mit der Bedeutung „aufschäumend, heftig, übermütig, ausgelassen, lustig“ zurück. Es ist verwandt mit altenglisch gāl „lustig, lüstern, stolz“ und russisch „sehr“. Der frühere Sinn „übermütig, froh“ ist noch im neunzehnten Jahrhundert bezeugt.

Nach meiner Erinnerung war geil in all seinen heutigen Bedeutungen ein Modewort der Siebzigerjahre, und viele Indizien bestätigen das. Die Statistiken von Google Books und des „Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache“ zeigen einen starken Anstieg der Worthäufigkeit seit etwa 1970. Svende Merian verwendet es in ihrem vulgärfeministischem Bestseller „Der Tod des Märchenprinzen“, der erstmals 1980 erschien, geradezu inflationär, oft auch in der für den damaligen Szenejargon typischen Formulierung tierisch geil. Allerdings ist bei Merian immer noch Sex im Spiel, wenn sie das Wort gebraucht. Dabei lässt sich die sexfreie Bedeutung schon seit 1973 belegen. Da heißt es in der „Zeit“ über einen Katalog des Reiseveranstalters Neckermann: „In einem knalligen, ,geilen‘ (Macher Jürgen Schwarz) Prospekt sondergleichen prunken mitten in saftigen Werbefotos gelbe Eier mit schwarzen Preisknüllern.“ Sextourismus war damit sicher nicht gemeint. Massenhaft verbreitet hat sich geil als Synonym von toll aber erst wirklich seit Anfang der 80er, wenn wiederum in der „Zeit“ beispielsweise ein Jugendlicher zitiert wird: „Punk-Rock ist geil.“ Von da an lässt sich diese von jeder Erotik entleerte Bedeutung in deutschen Medien regelmäßig belegen, heute erscheint sie dort viel häufiger als das alte geile geil.

Vergessen ist der zurückgedrängte Sinn nicht. Und die 45 Jahre alte Dolly Buster erweist sich mit ihrer Einschätzung des Trieblebens von „Knöllchen-Horst“ als Erbin der Hippie-Ideologie der sexuellen Befreiung. In den 60ern stellte man, sich auf Theorien des Psychoanalytikers Wilhelm Reich berufend, einen Zusammenhang zwischen Sex und Faschismus her. Vereinfacht gesagt lautete die These: Wer nicht genug vögelt wird zum Nazi. Wenn nicht zum Führer, dann wenigstens zum kleinen Blockwart. In diesem Sinne wollte Buster ganz offensichtlich dem Frührentner unterstellen, er sei nur noch in der Lage, Befriedigung zu erlangen, indem er andere bei der Obrigkeit denunziere. Das Gericht hat ihm also unrecht getan.