Welchen gegenstand will der niffler in harry potter und der feuerkelch von pansy parkinson stehlen?

Welchen gegenstand will der niffler in harry potter und der feuerkelch von pansy parkinson stehlen?


Joanne K. RowlingHarry Potter und der Feuerkelch

Das Haus der Riddles

In Little Hangleton nannten sie es immer noch das»Riddle-Haus«, obwohl die Familie Riddle schon seit vielen Jahren nicht mehr dort wohnte. Das Haus stand auf einem Hügel mit Blick über das Dorf, einige Fenster waren mit Brettern vernagelt, das Dach war löchrig, und der Efeu rankte sich ungezügelt an den Mauern entlang. Das einst schöne Anwesen der Riddles, das mit Abstand großzügigste und beeindruckendste Haus im ganzen Umkreis, war nun feucht, heruntergekommen und menschenleer.

In Little Hangleton waren sich alle einig: das Haus war ihnen»nicht geheuer«. Ein halbes Jahrhundert zuvor war hier etwas Merkwürdiges, etwas Entsetzliches geschehen, über das die Älteren im Dorf immer noch zu munkeln pflegten, wenn es sonst wenig zu klatschen und zu tratschen gab. Sie hatten die Geschichte so oft aufgewärmt und an so vielen Stellen weitergestrickt, daß keiner mehr so recht wußte, was nun in Wahrheit geschehen war. Doch wer auch immer die Geschichte erzählte, sie begann unweigerlich am selben Ort: Vor fünfzig Jahren – damals führten die Riddles noch einen stattlichen Haushalt – war ein Hausmädchen bei Anbrach eines schönen Sommermorgens in den Salon getreten und hatte alle drei Riddles tot vorgefunden.

Schreiend war das Mädchen den Hügel hinab ins Dorf gestürzt und hatte die halbe Einwohnerschaft aus dem Schlaf gerissen.

»Da oben liegen sie mit offenen Augen! Eiskalt! Und haben noch ihre Abendgarderobe an!«

Die Polizei wurde gerufen und in ganz Little Hangleton breitete sich eine Mischung aus ängstlicher Neugier und kaum verhohlener Erregung aus. Niemand gab sich sonderliche Mühe so zu tun, als wäre er besonders traurig über den Tod der Riddles, denn sie waren ausgesprochen unbeliebt gewesen. Mr und Mrs Riddle, die älteren Herrschaften, galten als reich, hochnäsig und grob, und ihr erwachsener Sohn Tom hatte sie darin noch übertroffen. Die Menschen im Dorf wollten einzig und allein wissen, wer der Mörder war – denn natürlich fielen drei offenbar gesunde Menschen nicht eines Abends einfach tot um.

Im Gehängten Mann, dem Dorfpub, ging es an diesem Abend hoch her; alles, was Beine hatte, war gekommen, um über die Morde zu spekulieren. Und es hatte sich gelohnt, die heimischen Kaminfeuer zu verlassen, denn plötzlich tauchte die Köchin der Riddles in ihrer Mitte auf und verkündete dem schlagartig verstummten Publikum mit dramatischer Geste, ein Mann namens Frank Bryce sei gerade verhaftet worden.

»Frank!«, riefen einige Gäste.»Unmöglich!«

Frank Bryce war der Gärtner der Riddles. Er war mit einem stocksteifen Bein und einer großen Abscheu vor Menschenansammlungen und Lärm aus dem Krieg zurückgekehrt und hatte seither immer für die Riddles gearbeitet.

An der Theke gab es jetzt Gedrängel, denn man wollte die Köchin nicht auf dem Trockenen sitzen lassen und Genaueres von ihr hören.

»Mir ist er immer schräg vorgekommen«, verkündete sie nach dem vierten Glas Sherry den begierig lauschenden Dörflern.»Irgendwie unfreundlich. Ich hab ihm mal 'ne Tasse Tee angeboten, aber das hat mir gereicht. Der wollte nichts mit anderen zu tun haben, das hat man gleich gemerkt.«

»Nun ja«, sagte eine Frau an der Bar,»der Krieg war 'ne harte Zeit für Frank, er mag eben gern seine Ruhe. Das ist noch lange kein Grund -«

»Wer sonst hatte denn einen Schlüssel für die Hintertür?«, fauchte die Köchin zurück.»In der Gärtnerhütte hing immer ein Zweitschlüssel, das hab ich selbst gesehen! Gestern Nacht hat jedenfalls keiner die Tür aufgebrochen! Und die Fenster wurden auch nicht eingeschlagen! Frank mußte bloß ins Herrenhaus schleichen, während wir alle schliefen…!«

Die Dörfler wechselten viel sagende Blicke.

»Ich hab mir immer schon gedacht, der hat den bösen Blick, sag ich euch«, brummte ein Mann an der Bar.

»Der Krieg hat 'nen komischen Kauz aus ihm gemacht«, sagte der Wirt.

»Hab doch immer gesagt, ich will Frank lieber nicht in die Quere kommen, stimmt's, Dot?«, sagte eine aufgeregte Frau in der Ecke.

»Übles Temperament«, erwiderte Dot und nickte eifrig.»Ich hab ihn schon als Kind gekannt…«

Am nächsten Morgen zweifelte kaum noch jemand in Little Hangleton daran, daß Frank Bryce die Riddles ermordet hatte. Doch drüben im benachbarten Städtchen Great Hangleton, im dunklen und schäbigen Polizeirevier, behauptete Frank hartnäckig, er sei unschuldig. Der einzige Mensch, den er an jenem Tag, als die Riddles getötet wurden, in der Nähe ihres Hauses gesehen hatte, war ein Junge im Teenageralter, ein Fremder mit dunklen Haaren und blassem Gesicht. Im Dorf jedoch hatte kein Mensch diesen Jungen gesehen, und die Polizisten waren sich ziemlich sicher, daß Frank ihn erfunden hatte.

Schließlich, als es für Frank schon bitterernst aussah, traf der Untersuchungsbericht über die Leichen der Riddles ein, und mit einem Schlag änderte sich alles.

Die Polizisten hatten noch nie einen so merkwürdigen Befund gelesen. Ein Ärzteteam hatte die Leichen untersucht und war zu dem Schluß gekommen, daß keiner der Riddles vergiftet, erstochen, erschossen, erwürgt, erstickt oder (soweit sie dies sagen konnten) überhaupt verletzt worden war. Tatsächlich, so hieß es in dem Bericht mit deutlicher Verblüffung weiter, schienen die Riddles alle bei bester Gesundheit zu sein – abgesehen von der Tatsache, daß sie alle tot waren. Allerdings vermerkten die Ärzte, daß allen Toten das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand – doch einer der ratlosen Polizisten bemerkte dazu nur: Wer hat je von drei Menschen gehört, die zu Tode geängstigt wurden?

Da ein Mord an den Riddles nicht zu beweisen war, mußte die Polizei Frank laufen lassen. Die Riddles wurden auf dem Friedhof von Little Hangleton bestattet und noch eine ganze Zeit lang wurden die Gräber immer wieder von Neugierigen besucht. Daß Frank Bryce in seine Hütte auf dem Anwesen der Riddles zurückkehrte, überraschte dann alle, und es gab viel Gemunkel.

»Wenn ihr mich fragt, dann hat er sie umgebracht, ist mir doch egal, was die Polizei sagt«, verkündete Dot im Gehängten Mann.»Und wenn nur ein Funken Anstand in ihm steckte, dann würde er hier abhauen, wo ihm doch klar ist, daß er uns nichts vormachen kann.«

Doch Frank zog nicht weg. Er blieb, um den Garten für die nächste Familie, die ins Riddle-Haus einzog, zu besorgen, und dann auch für die übernächste – denn keine Familie blieb lange dort wohnen. Vielleicht hatte es etwas mit Frank zu tun, daß jeder neue Besitzer behauptete, dieses Haus verbreite eine düstere Stimmung. Und als keiner mehr dort wohnte, begann das Haus zu verfallen.

Der reiche Mann, dem das Riddle-Haus inzwischen gehörte, lebte nicht hier und nutzte es auch nicht; im Dorf hieß es, er würde es aus»steuerlichen Gründen«unterhalten, doch keiner wußte so recht, was das heißen sollte. Der reiche Besitzer entlohnte Frank jedoch regelmäßig für seine Arbeit im Garten. Frank war jetzt fast siebenundsiebzig, er war auf einem Ohr taub und sein schlimmes Bein war noch steifer geworden, doch bei schönem Wetter konnte man ihn in den Blumenbeeten harken und schnippeln sehen, auch wenn ihm das Unkraut allmählich die Beine hochkroch.

Doch Unkraut war nicht das Einzige, womit Frank sich herumärgern mußte. Jungs aus dem Dorf kamen öfter herauf und warfen Steine durch die Fenster des Riddle-Hauses. Sie fuhren mit ihren Fahrrädern über den Rasen, den Frank so mühsam hegte und pflegte. Und wenn sie übermütig wurden, brachen sie auch schon mal ins Haus ein. Sie wußten, daß der alte Frank sich mit Leib und Seele dem ganzen Anwesen verschrieben hatte, und sie lachten ihn aus, wenn er durch den Garten humpelte, mit seinem Stock fuchtelte und sie krächzend beschimpfte. Frank wiederum glaubte, die Jungen würden ihn belästigen, weil sie ihn, wie ihre Eltern und Großeltern, für einen Mörder hielten. So dachte sich Frank nichts weiter, als er in einer Augustnacht erwachte und oben am alten Haus etwas recht Merkwürdiges sah. Die Jungs, so glaubte Frank, waren eben noch einen Schritt weiter gegangen, um ihn zu zermürben.

Geweckt hatte ihn sein schlimmes Bein; so stark hatte es noch nie geschmerzt, selbst jetzt im Alter nicht. Er stand auf und humpelte nach unten in die Küche, um seine Wärmflasche aufzufüllen, mit der er seinem steifen Knie ein wenig Linderung verschaffen konnte. Er stand am Waschbecken und füllte den Kessel, als sein Blick zum Herrenhaus hochwanderte. In den oberen Fenstern glommen Lichter. Frank war nicht sonderlich überrascht. Die Jungs waren wieder mal ins Haus eingebrochen, und nach dem flackernden Licht zu schließen hatten sie ein Feuer entfacht.

Frank hatte kein Telefon, und der Polizei vertraute er ohnehin nicht mehr, seit sie ihn nach dem Tod der Riddles zum Verhör mitgenommen hatten. Er ließ den Kessel stehen, hastete, so rasch sein schlimmes Bein es ihm erlaubte, nach oben und brauchte nicht lange, um sich anzuziehen und in die Küche zurückzukehren. Er griff nach einem rostigen alten Schlüssel am Türhaken, packte seinen Stock und machte sich auf in die Nacht.

Die Tür des Riddle-Hauses war offenbar nicht aufgebrochen worden und auch die Fensterscheiben waren noch ganz. Frank humpelte um das Haus herum zu einem Eingang, der fast völlig von Efeu verborgen war, zog den alten Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn ins Schloß und öffnete lautlos die Tür.

Sie führte ihn in eine große, gewölbeartige Küche. Frank hatte sie seit Jahren nicht mehr betreten; zwar war es stockdunkel, doch er wußte noch, wo die Tür zum Flur lag. Er tastete sich an der Wand lang, modriger Geruch stieg ihm in die Nase, und er spitzte die Ohren, um ja keine Schritte oder Stimmen von oben zu überhören. Er gelangte in den Flur, wo es dank der großen Sprossenfenster zu beiden Seiten der Haustür ein wenig heller war, und betrat die Treppe. Er konnte von Glück reden, denn die dicke Staubschicht auf den Steinstufen erstickte die Geräusche seiner Schritte und seines Stocks.

Oben auf dem Treppenabsatz wandte sich Frank nach rechts und sah sofort, wo die Eindringlinge steckten: ganz am Ende des Ganges stand eine Tür offen, ein flackerndes Licht fiel durch den Spalt und warf einen langen goldenen Streifen auf den schwarzen Fußboden. Frank umklammerte mit aller Kraft seinen Stock und schlich näher heran. Kurz vor der Tür konnte er ein schmales Stück von dem Zimmer dahinter einsehen.

Jetzt erkannte er, daß das Feuer im Kamin entfacht worden war. Das überraschte ihn. Er blieb stehen und lauschte angestrengt, denn drinnen begann ein Mann zu sprechen; seine Stimme klang schüchtern und ängstlich.

»Es ist noch ein Rest in der Flasche, Herr, wenn Ihr noch hungrig seid.«

»Später«, sagte eine zweite Stimme. Auch sie war die eines Mannes – doch klang sie merkwürdig hoch und kalt wie ein jäher eisiger Windstoß. Etwas an dieser Stimme ließ die spärlichen Haare auf Franks Nacken zu Berge stehen.»Rück mich näher ans Feuer, Wurmschwanz.«

Frank wandte sein rechtes Ohr zur Tür hin, um mehr zu verstehen. Er hörte das Klirren einer Flasche, die auf etwas Hartem abgestellt wurde, und dann das dumpfe Kratzen eines schweren Stuhls, der über den Boden gezogen wurde. Frank erhaschte einen kurzen Blick auf einen kleinen Mann, der mit dem Rücken zu ihm den Stuhl zum Kamin schob. Er trug einen langen schwarzen Umhang und hatte einen kahlen Fleck am Hinterkopf. Dann war er nicht mehr zu sehen.»Wo ist Nagini?«, sagte die kalte Stimme.»Ich – ich weiß nicht, Herr«, sagte die erste Stimme nervös.»Ich glaube, sie erkundet das Haus…«

»Du wirst sie melken, bevor wir uns zurückziehen, Wurmschwanz«, sagte die zweite Stimme.»Ich brauche heute Abend Nahrung. Die Reise hat mich sehr erschöpft.«Mit gerunzelter Stirn neigte Frank sein gutes Ohr noch ein wenig näher Richtung Tür und lauschte gebannt. Ein kurzes Schweigen trat ein und dann sprach erneut der Mann namens Wurmschwanz.

»Herr, darf ich fragen, wie lange wir hier bleiben werden?«

»Eine Woche«, sagte die kalte Stimme.»Vielleicht länger. Hier läßt es sich einigermaßen aushaken und mit dem Plan können wir noch nicht fortfahren. Es wäre eine Dummheit, wenn wir loslegten, bevor die Quidditch-Weltmeisterschaft zu Ende ist.«

Frank steckte sich einen knochigen Finger ins Ohr und fing an zu quirlen. Er hatte das Wort»Quidditch«gehört, zweifellos, weil sich so viel Ohrenschmalz angesammelt hatte, denn»Quidditch«war überhaupt kein Wort.

»Die… die Quidditch-Weltmeisterschaft, Herr?«, fragte Wurmschwanz. (Frank bohrte den Finger noch energischer ins Ohr.)»Verzeiht mir, aber – ich verstehe nicht – warum sollten wir warten, bis die Quidditch-Weltmeisterschaft vorbei ist?«

»Weil zu ebendieser Stunde Zauberer aus aller Herren Länder ins Land strömen, du Dummkopf, und alle Kleinkrämer aus dem Zaubereiministerium ausgeschwärmt sind, um nach ungewöhnlichen Vorkommnissen Ausschau zu halten und jeden doppelt und dreifach zu überprüfen. Die haben nur noch eins im Kopf, nämlich sicherzugehen, daß die Muggel von allem nichts mitkriegen. Deshalb warten wir ab.«

Frank gab es auf, sein Ohr zu putzen. Er hatte klar und deutlich die Wörter»Zaubereiministerium«,»Zauberer«und»Muggel«gehört. Natürlich bedeuteten all diese Ausdrücke etwas Geheimes, und Frank fielen nur zwei Sorten von Leuten ein, die eine Geheimsprache gebrauchten – Spione und Verbrecher. Frank umklammerte seinen Stock noch fester und spitzte die Ohren.

»Eure Lordschaft ist also immer noch entschlossen?«, sagte Wurmschwanz leise.

»Natürlich bin ich entschlossen, Wurmschwanz.«In der kalten Stimme war jetzt eine leise Drohung zu spüren.

Eine kurze Stille trat ein – und dann sprach Wurmschwanz. Die Worte stolperten ihm hastig aus dem Mund, als ob er sich zwingen müßte, sie auszusprechen, bevor ihn der Mut verließ.

»Es könnte auch ohne Harry Potter gehen, Herr.«Wieder trat Schweigen ein, es hielt ein wenig länger an, und dann -

»Ohne Harry Potter?«, hauchte die zweite Stimme kaum vernehmlich.»Ich verstehe…«

»Herr, ich sage dies nicht aus Sorge um den Jungen!«, sagte Wurmschwanz mit hoher, quiekender Stimme.»Der Junge bedeutet mir nichts, überhaupt nichts! Nur, wenn wir einen anderen Zauberer oder eine Hexe nehmen – irgendjemanden -, könnten wir die Sache sehr viel schneller erledigen! Wenn Ihr mir erlauben würdet, Euch für kurze Zeit zu verlassen – Ihr wißt, daß ich mich ganz wirksam tarnen kann -, dann könnte ich in zwei Tagen mit einer geeigneten Person zurück sein -«

»Ich könnte einen anderen Zauberer nehmen«, sagte die zweite Stimme leise,»das ist wahr…«

»Es wäre das Beste, Herr«, sagte Wurmschwanz und klang dabei ausgesprochen erleichtert.»Harry Potter in die Hände zu bekommen wäre so schwierig, er ist sehr gut geschützt«

»Und deshalb meldest du dich freiwillig und willst mir einen Ersatz besorgen? Merkwürdig… vielleicht ist dir die Aufgabe, mich zu pflegen, lästig geworden, Wurmschwanz? Kann dieser Vorschlag, den Plan aufzugeben, denn etwas anderes sein als der Versuch, mich im Stich zu lassen?«

»Herr! Ich… ich habe nicht den Wunsch, Euch zu verlassen, keineswegs -«

»Belüg mich nicht!«, zischte die zweite Stimme.»Mir entgeht nichts, Wurmschwanz! Du bereust, daß du überhaupt zu mir zurückgekommen bist. Bei mir wird dir übel. Ich sehe dich zusammenzucken, wenn du mich ansiehst, ich spüre, wie es dich schaudert, wenn du mich berührst…«»Nein! Meine Hingabe für Eure Lordschaft -«»Deine Hingabe ist nichts weiter als Feigheit. Du wärst nicht hier, wenn du eine andere Zuflucht hättest. Wie soll ich ohne dich überleben, wenn du mich alle paar Stunden füttern mußt? Wer soll Nagini melken?«

»Aber Ihr scheint mir deutlich kräftiger geworden, Herr -«»Lügner«, keuchte die zweite Stimme.»Ich bin nicht kräftiger geworden, und ein paar Tage auf mich allein gestellt würden reichen, um mich des wenigen an Kraft zu berauben, die ich unter deiner tölpelhaften Pflege gewonnen habe. Schweig!«

Wurmschwanz, der zusammenhanglose Worte hervorgesprudelt hatte, verstummte sofort. Ein paar Sekunden lang konnte Frank nichts weiter als das Knistern des Feuers hören. Dann sprach der zweite Mann erneut, mit einem Flüstern, das fast ein Zischen war.

»Ich habe meine Gründe, den Jungen zu verwenden, wie ich dir schon erklärt habe, und ich werde keinen anderen nehmen. Dreizehn Jahre habe ich gewartet. Ein paar Monate mehr schaden da auch nicht. Was den Schutz angeht, mit dem der Junge umgeben ist, so glaube ich, daß mein Plan funktionieren wird. Alles, was ich brauche, ist ein wenig Mut deinerseits, Wurmschwanz – und diesen Mut wirst du aufbringen, wenn du nicht das ganze Ausmaß von Lord Voldemorts Zorn spüren willst -«

»Herr, hört mich an!«, sagte Wurmschwanz, und Panik lag jetzt in seiner Stimme.»Während unserer Reise bin ich den Plan immer wieder durchgegangen – Bertha Jorkins' Verschwinden wird nicht lange unbemerkt bleiben, Herr, und wenn wir fortfahren, falls ich also tatsächlich den Fluch -«

»Falls?«, flüsterte die zweite Stimme.»Falls du den Plan befolgst, Wurmschwanz, braucht das Ministerium nie zu erfahren, daß noch jemand verschwunden ist. Du wirst es in aller Stille und ohne Aufsehen erledigen; ich wünschte nur, ich könnte es selbst tun, doch in meinem jetzigen Zustand… komm schon, Wurmschwanz, ein Hindernis mußt du noch beseitigen, und unser Weg zu Harry Potter ist frei. Ich verlange ja nicht, daß du es alleine machst. Bis dahin wird mein treuer Diener wieder zu uns gestoßen sein -«

»Ich bin Euer treuer Diener«, sagte Wurmschwanz, mit kaum vernehmlichem Trotz in der Stimme.

»Wurmschwanz, ich brauche jemanden mit Verstand, jemanden, der immer unerschütterlich zu mir gestanden hat, und du erfüllst diese Forderung leider nicht.«

»Ich habe Euch gefunden«, sagte Wurmschwanz, und nun war die Widerspenstigkeit in seiner Stimme deutlich zu hören.»Ich war es, der Euch gefunden hat. Ich habe Euch zu Bertha Jorkins gebracht.«

»Das stimmt.«Der zweite Mann klang belustigt.»Ein brillanter Zug, den ich von dir nie erwartet hätte, Wurmschwanz – allerdings, um der Wahrheit die Ehre zu geben, du wußtest doch nicht, wie nützlich sie sein würde, als du sie gefangen hast, nicht wahr?«

»Ich… ich dachte, sie könnte nützlich sein, Herr -«

»Lügner«, sagte die zweite Stimme nun mit unverhohlen grausamer Häme.»Allerdings bestreite ich nicht, daß ihr Wissen unschätzbar war. Ohne es hätte ich nie unseren Plan auf die Beine stellen können und dafür wirst du belohnt werden, Wurmschwanz. Ich werde dir erlauben, eine wichtige Aufgabe für mich zu erledigen, um die sich viele meiner Anhänger geradezu reißen würden…«

»W-wirklich, Herr? Was -?«Wieder schwang Angst in Wurmschwanz' Stimme mit.

»Aah, Wurmschwanz, du willst doch nicht, daß ich dir die Überraschung verderbe? Dein Auftritt kommt ganz am Schluß… aber ich verspreche dir, du wirst die Ehre haben, genauso nützlich zu sein wie Bertha Jorkins.«

»Ihr… Ihr…«Wurmschwanz klang plötzlich heiser, als wäre sein Mund völlig ausgetrocknet.»Ihr… werdet… auch mich töten?«

»Wurmschwanz, Wurmschwanz«, sagte die kalte Stimme schmeichlerisch,»warum sollte ich dich töten? Ich habe Bertha getötet, weil ich mußte. Nachdem ich sie ausgehorcht hatte, taugte sie zu nichts mehr, sie war überflüssig. Jedenfalls wären peinliche Fragen gestellt worden, wenn sie zurück ins Ministerium gegangen wäre und verkündet hätte, sie hätte im Urlaub dich getroffen. Zauberer, die angeblich tot sind, tun gut daran, unterwegs nicht in irgendwelchen Spelunken Hexen aus dem Zaubereiministerium zu treffen…«

Wurmschwanz murmelte etwas, so leise, daß Frank es nicht verstand, doch der zweite Mann fing an zu lachen – ein gänzlich freudloses Lachen, kalt wie seine Stimme.

»Wir hätten ihr Gedächtnis ummodeln können? Ein mächtiger Zauberer kann einen Gedächtniszauber brechen, wie ich ja selbst bei ihrem Verhör bewiesen habe. Wenn wir das Wissen nicht nutzten, das ich ihr abgepreßt habe, würden wir doch ihr Gedächtnis beleidigen, Wurmschwanz.«

Draußen im Korridor fiel Frank plötzlich auf, daß seine Hand, mit der er den Stock umklammerte, schweißnaß und glitschig war. Der Mann mit der kalten Stimme hatte eine Frau getötet. Er sprach darüber ohne jede Reue – es belustigte ihn. Er war gefährlich – ein Wahnsinniger. Und er plante noch mehr Morde – dieser Junge, Harry Potter, wer immer er war – er war in Gefahr -

Frank wußte, was er zu tun hatte. Jetzt oder nie, es war höchste Zeit die Polizei zu rufen. Er würde aus dem Haus schleichen und sich schnurstracks auf den Weg zur Telefonzelle im Dorf machen… doch die kalte Stimme sprach erneut, und Frank blieb, wo er war, starr wie ein Eiszapfen, und lauschte mit aller Kraft.

»Ein Fluch noch… mein treuer Diener in Hogwarts… Harry Potter ist so gut wie mein, Wurmschwanz. Es ist beschlossen. Kein Streit mehr. Doch still… ich glaube, ich höre Nagini…«

Und die Stimme des zweiten Mannes veränderte sich. Er gab nun Laute von sich, wie Frank sie noch nie gehört hatte; er zischte und fauchte ohne Luft zu holen. Er muß eine Art Krampf oder Anfall haben, dachte Frank.

Und dann hörte er, wie sich hinter ihm im dunklen Korridor etwas bewegte. Er drehte sich um und erstarrte vor Schreck.

Über den dunklen Boden des Korridors glitt etwas auf ihn zu, und als es sich dem Lichtstreifen des Feuers näherte, erkannte er mit einem Schauder des Entsetzens, daß es eine gigantische, gut vier Meter lange Schlange war. Versteinert vor Angst starrte Frank auf das Tier, das sich in weit ausladenden Wellenlinien durch den dicken Staub auf dem Boden bewegte und immer näher kam – was sollte er tun? Flüchten konnte er nur in das Zimmer, wo die beiden Männer saßen und einen Mord ausheckten, doch wenn er stehen blieb, würde ihn die Schlange gewiß töten -

Doch bevor er sich entschieden hatte, war die Schlange gleichauf, und dann, unglaubliches Wunder, glitt sie an ihm vorbei; sie folgte den fauchenden und zischenden Lauten jener kalten Stimme hinter der Tür, und in sekundenschnelle war die Spitze ihres diamantbesetzten Schwanzes durch den Türspalt verschwunden.

Auf Franks Stirn standen Schweißperlen und seine Hand am Stock zitterte. Drinnen im Zimmer zischte die kalte Stimme weiter, und Frank kam ein merkwürdiger Gedanke in den Sinn, ein unmöglicher Gedanke… Dieser Mann kann mit Schlangen sprechen.

Frank begriff nicht, was geschah. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit seiner heißen Wärmflasche behaglich im Bett zu liegen. Das Problem war nur, daß seine Beine keine Anstalten machten, sich zu bewegen. Am ganzen Körper zitternd stand er da und versuchte seine Glieder zu beherrschen, als die kalte Stimme plötzlich wieder Englisch sprach.»Nagini hat interessante Neuigkeiten, Wurmschwanz«, sagte sie.

»T-tatsächlich, Herr?«, sagte Wurmschwanz.

»In der Tat, ja«, sagte die Stimme.»Nagini zufolge steht draußen gleich vor der Tür ein alter Muggel und hört jedes Wort mit, das wir sprechen.«

Frank hatte keine Chance, sich zu verstecken. Er hörte Schritte, dann wurde die Tür zum Zimmer weit aufgestoßen.

Ein kleiner Mann mit schütterem grauem Haar, spitzer Nase und wäßrigen Augen stellte sich vor Frank auf, mit einer Mischung aus Angst und Mißtrauen in den Augen.

»Bitte ihn doch herein, Wurmschwanz. Wo bleiben deine Manieren?«

Die kalte Stimme kam von dem alten Lehnstuhl am Feuer her, doch Frank konnte nicht sehen, wer da sprach. Die Schlange hingegen hatte sich, wie die grausige Karikatur eines Schoßhündchens, auf dem verrotteten Kaminvorleger eingekringelt.

Wurmschwanz winkte Frank mit einer kleinen Verbeugung ins Zimmer. Frank steckte die Angst zwar immer noch in den Knochen, doch er umklammerte erneut seinen Stock und humpelte über die Schwelle.

Das Feuer war die einzige Lichtquelle im Zimmer; es warf lange, spinnengleiche Schatten an die Wände. Frank starrte auf den Rücken des Lehnstuhls; der Mann darauf schien noch kleiner zu sein als sein Diener, denn Frank konnte nicht einmal seinen Hinterkopf sehen.

»Du hast also alles mitgehört, Muggel?«, sagte die kalte Stimme.

»Warum nennen Sie mich so?«, sagte Frank widerspenstig, denn nun, da er in diesem Zimmer war, nun, da es an der Zeit war zu handeln, fühlte er sich mutiger; schon im Krieg war es so gewesen.

»Ich nenne dich einen Muggel«, sagte die Stimme kühl.»Das bedeutet, daß du kein Zauberer bist.«

»Ich weiß nicht, was Sie mit Zauberer meinen«, sagte Frank mit allmählich festerer Stimme.»Alles, was ich weiß, ist, daß ich heute Nacht was gehört hab, das sicher die Polizei interessieren wird. Sie haben einen Mord begangen und planen noch mehr Morde! Und ich sag Ihnen noch was«, fügte er in einer plötzlichen Eingebung hinzu,»meine Frau weiß, daß ich hier oben bin, und wenn ich nicht zurückkomme -«

»Du hast keine Frau«, sagte die kalte Stimme völlig ungerührt.»Keiner weiß, daß du hier bist. Du hast niemandem etwas gesagt. Belüge Lord Voldemort nicht, Muggel, denn er weiß… er weiß immer…«

»Stimmt das?«, sagte Frank barsch.»Lord, tatsächlich? Nun, ich halte nicht viel von Ihren Manieren, Sie Lord, Sie. Warum drehen Sie sich nicht um und schauen mir ins Gesicht wie ein Mann?«

»Ich bin kein Mann, Muggel«, sagte die kalte Stimme, die sich kaum über das Knistern des Feuers erhob.»Ich bin viel, viel mehr als ein Mann. Allerdings… warum nicht? Ich werde dir ins Gesicht sehen… Wurmschwanz, komm her und drehe meinen Stuhl um.«

Vom Diener her kam ein Wimmern.

»Du hast mich gehört, Wurmschwanz.«

Langsam, mit einer schrecklichen Grimasse, als wäre ihm nichts mehr zuwider als sich seinem Herrn und der vor dem Kamin zusammengerollten Schlange zu nähern, ging der kleine Mann auf den Stuhl zu und begann ihn zu drehen. Die Stuhlbeine streiften leicht den Kaminvorleger und die Schlange hob ihren häßlichen dreieckigen Kopf und zischte leise.

Und dann war der Stuhl auf Frank gerichtet, und er sah, was dort saß. Sein Stock fiel klappernd zu Boden. Er öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus. Er schrie so laut, daß er die Worte, die das Etwas auf dem Stuhl sprach, als es seinen Zauberstab erhob, nicht hören konnte. Ein grüner Lichtblitz, ein Brausen, und Frank Bryce brach zusammen. Noch bevor er aufschlug, war er tot.

Dreihundert Kilometer entfernt fuhr der Junge namens Harry Potter erschrocken aus dem Schlaf.

Die Narbe

Harry lag flach auf dem Rücken und atmete schwer, als ob er gerannt wäre. Mit aufs Gesicht gepreßten Händen war er aus einem fiebrigen Traum erwacht. Die alte Narbe auf seiner Stirn, die aussah wie ein Blitz, brannte unter seinen Fingern, als ob ihm jemand einen weiß glühenden Draht auf die Stirn drücken würde.

Er richtete sich auf, die eine Hand immer noch auf der Narbe, mit der anderen im Dunkeln nach seiner Brille auf dem Nachttisch tastend. Jetzt sah er sein Zimmer klarer. Es lag in dem schwachen, dunstig-orangeroten Licht, das die Straßenlaterne von draußen durch die Vorhänge warf.

Harry fuhr noch einmal mit den Fingern über die Narbe. Sie tat immer noch weh. Er knipste die Lampe auf dem Nachttisch an, stieg aus dem Bett, durchquerte das Zimmer, öffnete seinen Schrank und blinzelte in den Spiegel an der Innenseite der Tür. Ein hagerer Junge von vierzehn Jahren schaute zurück, dessen hellgrüne Augen unter dem zerzausten schwarzen Haar leicht verwirrt dreinblickten. Er besah sich die Blitznarbe im Spiegelbild etwas näher. Sie sah aus wie immer.

Harry versuchte sich zu erinnern, was er geträumt hatte. Es war ihm so wirklich vorgekommen… zwei Personen waren in dem Traum erschienen, die er kannte, und dann noch eine dritte, die er noch nie gesehen hatte… er sammelte mit aller Kraft seine Gedanken, runzelte die Stirn und dachte nach…

Das verschwommene Bild eines abgedunkelten Zimmers kam ihm in den Sinn… eine Schlange hatte auf einem Kaminvorleger gelegen… ein kleiner Mann namens Peter, Spitzname Wurmschwanz… und eine kalte, hohe Stimme… die Stimme Lord Voldemorts. Beim bloßen Gedanken an ihn fühlte sich Harry, als würde ihm ein Packen Eiswürfel in den Magen gleiten…

Er drückte die Augen zu und versuchte sich zu erinnern, wie Voldemort ausgesehen hatte, doch er schaffte es nicht… Harry wußte nur eines. In dem Augenblick, da Voldemorts Stuhl herumgedreht wurde und er, Harry, gesehen hatte, was auf ihm saß, hatte ihn das Entsetzen gepackt und aus dem Schlaf gerissen… oder war es der Schmerz seiner Narbe gewesen?

Und wer war der alte Mann? Denn ganz sicher war ein alter Mann dabei gewesen; Harry hatte beobachtet, wie er zusammengebrochen war. – Alles drehte sich; Harry legte das Gesicht in die Hände, um sein Zimmer nicht mehr zu sehen, und versuchte das Bild des matt erleuchteten Raumes festzuhalten, doch es war, als ob er Wasser in hohlen Händen halten wollte; die Einzelheiten versickerten um so schneller, je angestrengter er versuchte, sie festzuhalten… Voldemort und Wurmschwanz hatten über jemanden gesprochen, den sie getötet hatten, doch Harry konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern… und sie hatten sich verschworen, noch jemanden zu töten… ihn…

Harry hob den Kopf, öffnete die Augen und blickte in seinem Zimmer umher, als ob er erwartete, etwas Ungewöhnliches zu sehen. Tatsächlich waren außergewöhnlich viele ungewöhnliche Dinge in diesem Zimmer. Ein großer hölzerner Koffer stand mit geöffnetem Deckel am Fuß seines Bettes, und darin lagen ein Kessel, ein Besen, schwarze Umhänge und verschiedene Bücher mit Zaubersprüchen. Pergamentrollen waren über dem Schreibtisch verstreut, soweit der Platz nicht von dem großen leeren Käfig beansprucht wurde, in dem seine Schnee-Eule Hedwig für gewöhnlich hockte. Auf dem Boden neben seinem Bett lag ein aufgeschlagenes Buch; letzte Nacht hatte er vor dem Einschlafen darin gelesen. Alle Bilder in diesem Buch bewegten sich. Männer in leuchtend orangeroten Umhängen kamen auf Besen fliegend näher und verschwanden dann wieder, wobei sie sich einen roten Ball zuwarfen.

Harry ging hinüber zu dem Buch, hob es auf und sah zu, wie einer der Zauberer ein sagenhaftes Tor machte, indem er den Ball durch einen in zwanzig Meter Höhe angebrachten Ring beförderte. Dann schlug er das Buch zu. Selbst Quidditch – nach Harrys Ansicht der beste Sport der Welt – konnte ihn jetzt nicht ablenken. Er legte Fliegen mit den Cannons auf seinen Nachttisch, ging hinüber zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und beobachtete die Straße vor dem Haus.

Der Ligusterweg sah genauso aus, wie eine achtbare Vorstadtstraße in den frühen Morgenstunden eines Samstags aussehen mußte. Alle Vorhänge waren zugezogen. Soweit Harry sehen konnte, war kein Lebewesen in der Nähe, nicht einmal eine Katze.

Und doch… und doch… Rastlos ging Harry zurück zum Bett, setzte sich und fuhr erneut mit dem Finger über die Narbe. Es war nicht der Schmerz, der ihn beschäftigte; Harry hatte seine Erfahrungen mit Schmerzen und Verletzungen. Einmal hatte er alle Knochen seines rechten Armes verloren und man hatte sie über Nacht unter Qualen wieder wachsen lassen. Derselbe Arm war nicht viel später von einem ellenlangen Giftzahn durchstochen worden. Erst letztes Jahr war Harry von einem fliegenden Besen aus etwa fünfzehn Meter Höhe in die Tiefe gestürzt. Er war an haarsträubende Unfälle und Verletzungen gewöhnt; sie waren nicht zu vermeiden, wenn man nach Hogwarts ging, auf die Schule für Zauberei und Hexerei, und wenn man Ärger wie magisch anzog.

Nein, Harry beunruhigte etwas anderes. Als seine Narbe das letzte Mal geschmerzt hatte, war Voldemort in der Nähe gewesen… doch Voldemort konnte nicht hier sein, nicht jetzt… die Vorstellung, Voldemort würde im Ligusterweg auf ihn lauern, war unsinnig, völlig abwegig…

Harry lauschte angestrengt in die Stille hinein. Erwartete er nicht doch das Knarren einer Treppe, das Rascheln eines Umhangs? Und dann zuckte er leise zusammen, als er seinen Cousin Dudley im Zimmer nebenan markerschütternd aufschnarchen hörte.

Harry schüttelte sich in Gedanken; das war doch albern; niemand war im Haus außer ihm, Onkel Vernon, Tante Petunia und Dudley, sie schliefen natürlich alle noch, sie träumten ungestört und litten keine Schmerzen.

So mochte Harry die Dursleys am liebsten: wenn sie schliefen; denn tagsüber waren sie Harry nicht besonders zugetan, um es höflich auszudrücken. Onkel Vernon, Tante Petunia und Dudley waren Harrys einzige lebende Angehörige. Sie waren Muggel (nichtmagische Menschen), die Magie in jedweder Form haßten und verachteten, was bedeutete, daß Harry in ihrem Haus ungefähr so willkommen war wie der Hausschwamm. In den letzten drei Jahren war Harry viele Monate in Hogwarts gewesen, doch anderen Leuten hatten sie vorgemacht, er stecke im St. -rutus-Sicherheitszentrum für unheilbar kriminelle Jungen. Sie wußten ganz genau, daß Harry, als minderjähriger Zauberer, außerhalb von Hogwarts nicht zaubern durfte, waren aber schnell dabei, ihm für alles, was bei ihnen schief lief, die Schuld zu geben. Harry hatte ihnen nie sein Herz ausschütten oder ihnen sein Leben in der Zaubererwelt schildern können. Die bloße Vorstellung, zu ihnen zu gehen, wenn sie aufwachten, und von seiner schmerzenden Narbe und von seinen Befürchtungen wegen Voldemort zu erzählen, war geradezu lachhaft.

Und doch war Voldemort der eigentliche Grund, warum Harry überhaupt zu den Dursleys gekommen war. Ohne Voldemort hätte Harry nicht die Blitznarbe auf seiner Stirn. Ohne Voldemort hätte Harry noch seine Eltern…

Harry war ein Jahr alt gewesen in jener Nacht, als Voldemort – der mächtigste schwarze Magier seit einem Jahrhundert, ein Zauberer, der elf Jahre lang stets seine Macht gemehrt hatte – in ihr Haus gekommen war und seinen Vater und seine Mutter getötet hatte. Daraufhin hatte Voldemort seinen Zauberstab gegen Harry gerichtet; er hatte den Fluch ausgesprochen, mit dem er viele gestandene Hexen und Zauberer auf seinem unaufhaltsamen Weg nach oben beseitigt hatte – doch unfaßlicherweise hatte der Fluch bei ihm nicht gewirkt. Statt den kleinen Jungen zu töten, war der Fluch auf Voldemort zurückgefallen. Harry hatte überlebt und nur eine blitzförmige Narbe auf der Stirn zurückbehalten, und Voldemort war auf etwas zusammengeschrumpft, das kaum noch Leben in sich hatte. Seiner Zauberkräfte beraubt, das Leben in ihm fast erloschen, war Voldemort geflohen; die Schreckensherrschaft, unter der die geheime Gemeinschaft der Hexen und Zauberer so lange gelebt hatte, war zusammengebrochen. Voldemorts Anhänger hatten sich zerstreut und Harry Potter war berühmt geworden.

Mit einem gewaltigen Schreck hatte Harry an seinem elften Geburtstag herausgefunden, daß er ein Zauberer war; und die Entdeckung, daß sein Name in der verborgenen Zaubererwelt allbekannt war, beunruhigte ihn noch mehr. Bei seiner Ankunft in Hogwarts mußte er feststellen, daß sich überall, wo er auftauchte, die Köpfe wandten und Getuschel ihm auf Schritt und Tritt folgte. Doch inzwischen hatte er sich daran gewöhnt: Ende des Sommers würde er sein viertes Schuljahr in Hogwarts beginnen und er zählte bereits die Tage bis dahin.

Doch noch waren es zwei Wochen bis zu seiner Rückkehr nach Hogwarts. Er sah sich noch einmal ratlos in seinem Zimmer um, und sein Blick blieb an den Geburtstagskarten hängen, die seine beiden besten Freunde ihm Ende Juli geschickt hatten. Was würden sie sagen, wenn er ihnen schriebe und von seiner schmerzenden Narbe berichtete?

Schon hallte Hermine Grangers Stimme in seinem Kopf wider, schrill und voller Panik:

»Deine Narbe tut weh? Harry, damit ist nicht zu spaßen… Schreib an Professor Dumbledore! Und ich werd auf der Stelle in ›Magische Hauskrankheiten und Gebrechen‹ nachsehen… Vielleicht steht da was über Fluchnarben drin…«

Ja, das würde Hermine raten: Geh sofort zum Schulleiter von Hogwarts und schlag vorher am besten noch in einem Buch nach. Harry blickte durch das Fenster auf den mit königsblauen Schleiern überzogenen Morgenhimmel. Er hatte große Zweifel, ob ein Buch ihm jetzt helfen würde. Soweit er wußte, war er der einzige Mensch, der einen Fluch wie den Voldemorts überlebt hatte; deshalb war es höchst unwahrscheinlich, daß er seine Leiden in Magische Hauskrankheiten und Gebrechen wiederfinden würde. Und was den Schulleiter anging, so hatte Harry keine Ahnung, wo Dumbledore in den Sommerferien hinfuhr. Einen Moment lang belustigte ihn die Vorstellung, daß Dumbledore mit seinem langen Silberbart, dem langen Zaubererumhang und dem Spitzhut irgendwo an einem Strand lag und sich Sonnenöl auf die lange Adlernase rieb. Allerdings, wo immer Dumbledore auch war, Hedwig würde ihn sicher finden; Harrys Eule hatte es bisher noch immer geschafft, ihre Briefe zu überbringen, sogar ohne Adresse. Doch was sollte er schreiben?

Lieber Professor Dumbledore, Verzeihung, daß ich Sie belästige, doch heute Morgen hat meine Narbe wehgetan. Mit freundlichen Grüßen, Harry Potter

Selbst in seinem Kopf klangen diese Worte albern.

So versuchte er sich vorzustellen, was Ron, sein anderer bester Freund, sagen würde, und schon tauchte vor Harrys Augen Rons lange Nase und sein sommersprossiges Gesicht mit nachdenklicher Miene auf.

»Deine Narbe tut weh? Aber… aber Du-weißt-schon-wer kann doch gar nicht in deiner Nähe sein, oder? Im Ernst… das würdest du doch merken? Er würde wieder versuchen dich zu erledigen, meinst du nicht? Ich weiß nicht, Harry, vielleicht zwicken Fluchnarben immer ein wenig… ich frag mal Dad…«

Mr Weasley war ein voll ausgebildeter Zauberer, der in der Abteilung gegen den Mißbrauch von Muggelartefakten im Zaubereiministerium arbeitete, doch soviel Harry wußte, war er in Sachen Flüche nicht einschlägig bewandert. Jedenfalls behagte Harry die Vorstellung nicht, die ganze Familie Weasley würde erfahren, daß er, Harry, schon wegen ein paar Wehwehchen nervös wurde. Mrs Weasley würde einen noch größeren Aufstand machen als Hermine, und Fred und George, Rons sechzehnjährige Zwillingsbrüder, dachten womöglich noch, Harry würde die Nerven verlieren. Die Weasleys waren für Harry die tollste Familie der Welt; er hatte die Hoffnung, daß sie ihn schon bald zu sich einluden (Ron hatte etwas von der Quidditch-Weltmeister-schaft erwähnt), und irgendwie wollte er nicht, daß sein Aufenthalt mit besorgten Nachfragen zu seiner Narbe gestört wurde.

Harry massierte seine Stirn mit den Handknöcheln. Was er wirklich wollte (und er schämte sich beinahe, es sich selbst einzugestehen), war so etwas wie eine Mutter oder einen Vater: ein erwachsener Zauberer, dessen Rat er erfragen konnte, ohne sich blöd vorzukommen, jemand, der ihn gern hatte und der Erfahrung hatte mit schwarzer Magie… Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es war so einfach und so offensichtlich, daß er kaum fassen konnte, wie lange er gebraucht hatte – Sirius.

Harry sprang vom Bett, stürzte durchs Zimmer und setzte sich an seinen Schreibtisch; er zog ein Blatt Pergament zu sich her, füllte seine Adlerfeder mit Tinte und schrieb: Lieber Sirius, hielt inne und überlegte, wie er sein Problem am besten ausdrücken konnte. Warum, so wunderte er sich immer noch, hatte er nicht sofort an Sirius gedacht? Doch wenn er genauer überlegte, war es vielleicht gar nicht so merkwürdig – schließlich hatte er erst vor zwei Monaten herausgefunden, daß Sirius sein Pate war.

Es gab einen einfachen Grund, warum Sirius bis dahin in Harrys Leben überhaupt nicht aufgetaucht war – Sirius hatte in Askaban gesteckt, dem schrecklichen Zauberergefängnis, das von Dementoren genannten Wesen bewacht wurde, blinden, Seelen saugenden Finsterlingen, die dann nach Hogwarts gekommen waren, um den entflohenen Sirius zu suchen. Doch Sirius war unschuldig – die Morde, für die er verurteilt worden war, hatte Wurmschwanz begangen, Voldemorts Helfer, den jetzt fast alle für tot hielten. Harry, Ron und Hermine wußten es jedoch besser; letztes Jahr waren sie Wurmschwanz von Angesicht zu Angesicht begegnet, doch nur Professor Dumbledore hatte ihnen diese Geschichte abgenommen.

Eine wunderbare Stunde lang hatte Harry geglaubt, endlich die Dursleys verlassen zu können, denn Sirius hatte ihm ein Zuhause angeboten, sobald sein Name rein gewaschen war. Doch diese Chance war ihm wieder geraubt worden – Wurmschwanz war entkommen, bevor sie ihn zum Zaubereiministerium hatten bringen können, und Sirius mußte fliehen, um sein Leben zu retten. Harry hatte ihm geholfen, auf dem Rücken eines Hippogreifs namens Seidenschnabel zu entkommen, und seither war Sirius auf der Flucht. Der Gedanke an ein Zuhause, das Harry vielleicht gewonnen hätte, wenn Wurmschwanz nicht entkommen wäre, hatte ihn den ganzen Sommer über nicht losgelassen. Mit der Vorstellung im Kopf, den Dursleys um ein Haar für immer entkommen zu sein, war es Harry besonders schwer gefallen, zu ihnen zurückzukehren.

Und doch hatte Sirius Harry in manchem geholfen, auch wenn er nicht bei ihm sein konnte. Dank Sirius hatte Harry jetzt all seine Schulsachen bei sich im Zimmer. Die Dursleys hatten ihm das noch nie zuvor erlaubt; sie hatten immer gewollt, daß es Harry so elend wie möglich ginge, und zugleich Angst vor seinen Fähigkeiten gehabt, deshalb hatten sie seinen Schulkoffer bisher im Schrank unter der Treppe eingeschlossen. Doch ihre Haltung hatte sich geändert, als sie herausgefunden hatten, daß Harrys Pate ein gefährlicher Mörder war – Harry hatte bequemerweise vergessen ihnen zu sagen, daß Sirius unschuldig war.

Harry hatte zwei Briefe von Sirius erhalten, seit er wieder im Ligusterweg wohnte. Nicht Eulen hatten sie überbracht (wie es unter Zauberern üblich war), sondern große, hellbunte tropische Vögel. Hedwig hatte diese glamoureusen Eindringlinge gar nicht gemocht; nur äußerst widerwillig erlaubte sie ihnen, aus ihrem Wassernapf zu trinken, bevor sie wieder davonflogen. Harry jedoch mochte die Vögel; sie erinnerten ihn an Palmen und weißen Sand, und er hoffte, Sirius, wo immer er war (was er in seinen Briefen nie verriet, falls sie abgefangen wurden), würde es sich gut gehen lassen. Harry konnte es sich kaum vorstellen, daß die Dementoren unter der strahlenden Sonne lange überleben würden; vielleicht war Sirius deshalb nach Süden gegangen. Seine beiden Briefe, unter dem äußerst nützlichen losen Dielenbrett unter Harrys Bett versteckt, klangen recht fröhlich, und er hatte Harry jedes Mal aufgefordert, ihm zu schreiben, falls er ihn brauchen sollte. Nun, jetzt brauchte er ihn wirklich…

Das kalte graue Licht, das den Sonnenaufgang ankündigte, drang allmählich ins Zimmer und Harrys Lampe schien zu verblassen. Schließlich, als die Sonne aufgegangen war und die Wände seines Zimmers in Gold getaucht hatte, als Geräusche aus Onkel Vernons und Tante Petunias Zimmer zu hören waren, räumte Harry die zerknitterten Pergamente von seinem Schreibtisch und las den fertigen Brief noch einmal durch.

Lieber Sirius,

danke für deinen letzten Brief, dieser Vogel war so riesig, daß er es kaum durch mein Fenster geschafft hat.

Hier geht es zu wie immer. Mit Dudleys Diät läuft es nicht besonders gut. Meine Tante hat ihn gestern erwischt, wie er Doughnuts in sein Zimmer schmuggelte. Sie haben gedroht, ihm das Taschengeld zu kürzen, wenn er das noch mal macht, und daraufhin ist er furchtbar wütend geworden und hat seine PlayStation aus dem Fenster geworfen. Das ist eine Art Computer, auf dem man spielen kann. Ziemlich dumm von ihm, wenn du mich fragst, denn jetzt hat er nicht mal Giga-Gemetzel Teil III, um sich abzulenken. Mir geht's ganz gut, vor allem weil die Dursleys schreckliche Angst haben, du könntest hier auftauchen und, wenn ich dich darum bitte, sie alle in Fledermäuse verwandeln.

Aber heute Morgen ist etwas Merkwürdiges passiert. Meine Narbe hat wieder wehgetan. Das letzte Mal hat sie geschmerzt, weil Voldemort in Hogwarts war. Aber ich glaube nicht, daß er irgendwo in meiner Nähe sein kann, oder? Weißt du, ob Fluchnarben manchmal noch nach Jahren wehtun?

Ich schick dir diesen Brief mit Hedwig, sobald sie zurückkommt, im Augenblick ist sie jagen. Grüß Seidenschnabel von mir. Harry

Ja, dachte Harry, das kann ich so lassen. Von seinem Traum wollte er lieber nichts erwähnen, sonst dachte Sirius womöglich noch, er sei mit den Nerven völlig am Ende. Er faltete das Pergament zusammen und legte den Brief an den Tischrand, bereit für Hedwig, wenn sie zurückkam. Dann stand er auf, streckte sich und öffnete noch einmal den Schrank. Ohne einen Blick auf sein Spiegelbild zu werfen, zog er sich an und ging hinunter zum Frühstück.

Die Einladung

Die drei Dursleys saßen bereits am Tisch, aber keiner von ihnen blickte auf, als Harry in die Küche kam und sich dazusetzte. Onkel Vernons breites rotes Gesicht war hinter der morgendlichen Tagespost versteckt und Tante Petunia, die Lippen über ihren Pferdezähnen gespitzt, viertelte eine Grapefruit.

Dudley saß mit zornigem Schmollmund da und schien noch mehr Platz einzunehmen als sonst. Und das sollte schon etwas heißen, denn er beanspruchte immer eine ganze Seite des quadratischen Tisches für sich. Als Tante Petunia mit einem zittrigen»Bitte sehr, Diddyschatz«ein ungezuckertes Viertel der Grapefruit auf Dudleys Teller legte, warf er ihr einen finsteren Blick zu. Sein Leben hatte eine höchst unerfreuliche Wendung genommen, seit er mit dem Jahreszeugnis in die Sommerferien gekommen war.

Wie üblich hatten Onkel Vernon und Tante Petunia viele Ausreden für seine schlechten Noten gefunden; Tante Petunia pflegte felsenfest zu behaupten, Dudley sei ein hoch begabter Junge, nur leider würden die Lehrer ihn einfach nicht verstehen. Onkel Vernon hingegen versicherte, er wolle ohnehin keinen kleinen streberhaften Weichling haben. Auch den im Zeugnis erhobenen Vorwurf, Dudley würde andere Schüler schikanieren, taten sie ab -»Er ist nun mal ein kleiner Rabauke, doch er würde keiner Fliege was zuleide tun!«, sagte Tante Petunia mit Tränen in den Augen.

Allerdings fanden sich am Ende des Schreibens einige sorgsam gewählte Bemerkungen der Schulkrankenschwester, die nicht einmal Onkel Vernon und Tante Petunia wegerklären konnten. Wie sehr Tante Petunia auch jammerte, Dudley habe eben große Knochen und bestehe ansonsten doch aus Babyspeck, er sei ein Junge, der noch wachse und viel zu essen brauche – es blieb dabei, daß die Schulausstatter keine Knickerbocker mehr führten, die ihm noch paßten. Der Schulkrankenschwester war nicht entgangen, was Tante Petunia – die so scharfe Augen hatte, wenn es darum ging, Fingerabdrücke auf ihren schimmernden Möbeln zu entdecken und das Kommen und Gehen der Nachbarn zu beobachten – einfach nicht sehen wollte: daß Dudley keineswegs Extraportionen zu essen brauchte, sondern ungefähr Größe und Gewicht eines jungen Killerwals erreicht hatte.

Und so kam es, daß nach vielen Streitereien und Wutanfällen, die Harrys Zimmerboden erschütterten, und nach vielen Tränen Tante Petunias der neue Speiseplan eingeführt wurde. Sie heftete den Diätzettel, den die Schulkrankenschwester aus Smeltings geschickt hatte, an den Kühlschrank, räumte sämtliche Lieblingsleckereien Dudleys aus – klebrige Softdrinks und Kuchen, Schokoriegel und Hamburger – und füllte ihn stattdessen mit Obst und Gemüse und all jenen Dingen, die Onkel Vernon als»Kaninchenfutter«bezeichnete. Um Dudley die Sache ein wenig schmackhafter zu machen, bestand Tante Petunia darauf, daß auch der Rest der Familie Diät hielt. So reichte sie Harry jetzt ebenfalls ein Viertel Grapefruit. Harry entging nicht, daß es viel kleiner war als Dudleys Stück. Tante Petunia schien zu glauben, um Dudley bei Laune zu halten, müsse sie zumindest dafür sorgen, daß er wenigstens mehr zu essen bekam als Harry.

Doch Tante Petunia wußte nicht, was unter dem losen Dielenbrett oben in Harrys Zimmer versteckt war. Sie hatte keine Ahnung, daß Harry sich keineswegs an die Diät hielt. Kaum hatte er Wind davon bekommen, daß er den Sommer über von Karotten würde leben müssen, hatte Harry Hedwig mit einem Hilferuf zu seinen Freunden geschickt, und sie hatten diese Herausforderung glänzend bewältigt. Von Hermine hatte Hedwig eine große Schachtel zuckerfreier Knabbereien zurückgebracht (Hermines Eltern waren Zahnärzte). Hagrid, der Wildhüter von Hogwarts, war mit einem Beutel voll selbst gebackener Felsenkekse in die Bresche gesprungen (Harry hatte sie noch nicht angerührt; Hagrids Backkünste kannte er zur Genüge). Mrs Weasley jedoch hatte die Familieneule Errol mit einem riesigen Früchtekuchen und verschiedenen Pasteten zu Harry geschickt. Der arme, schon etwas altersschwache Errol hatte ganze fünf Tage gebraucht, um sich von dem Flug zu erholen. Und schließlich hatte Harry an seinem Geburtstag (den die Dursleys glatt übergangen hatten) vier köstliche Geburtstagskuchen erhalten, je einen von Ron, Hermine, Hagrid und Sirius. Harry hatte immer noch zwei davon übrig, und so begann er in der Vorfreude auf ein herzhaftes Frühstück oben im Zimmer klaglos seine Grapefruit zu essen.

Onkel Vernon legte die Zeitung zur Seite, schnaubte tief durch und besah sich sein eigenes Stück Grapefruit.

»Das ist alles?«, sagte er ungnädig zu Tante Petunia.

Tante Petunia warf ihm einen strengen Blick zu und nickte mit gespitztem Mund hinüber zu Dudley, der sein Grapefruit-Viertel bereits aufgegessen hatte und nun Harrys Stück mit einem sehr sauren Ausdruck in den kleinen Schweinsäuglein ins Visier nahm.

Onkel Vernon ließ einen tiefen Seufzer vernehmen, der seinen ausladenden, buschigen Schnurrbart erzittern ließ, und nahm den Löffel zur Hand.

Jemand läutete an der Tür. Onkel Vernon wuchtete sich hoch und ging hinaus in den Flur. Während sich Tante Petunia am Teekessel zu schaffen machte, stibitzte Dudley blitzschnell Onkel Vernons restliche Grapefruit.

Harry hörte Stimmen an der Haustür, ein Lachen und eine barsche Entgegnung Onkel Vernons. Dann fiel die Tür ins Schloß und vom Flur kam das Geräusch zerreißenden Papiers.

Tante Petunia stellte die Teekanne auf den Tisch und sah sich verdutzt nach Onkel Vernon um; sie mußte nicht lange warten, denn kurz darauf erschien er mit zornrotem Gesicht.

»Du«, blaffte er Harry an.»Ins Wohnzimmer. Sofort.«

Verdutzt und ohne die geringste Ahnung, was zum Teufel er diesmal wieder verbrochen haben sollte, erhob sich Harry und folgte Onkel Vernon ins Zimmer nebenan. Onkel Vernon schlug die Tür hinter ihnen zu.

»So«, sagte er, marschierte hinüber zum Kamin, wandte sich um und fixierte Harry, als wolle er ihn auf der Stelle verhaften.»So.«

Harry hätte am liebsten»Na was denn«gesagt, doch er wollte Onkel Vernons Gemütsverfassung so früh am Morgen lieber nicht auf die Probe stellen, da sie durch Mangel an Nahrung ohnehin stark belastet war. So versuchte er ein wenig verwirrt auszusehen.

»Das hier ist gerade angekommen«, sagte Onkel Vernon. Er fuchtelte mit einem Blatt purpurroten Schreibpapiers in Harrys Richtung.»Ein Brief. Betrifft dich.«

Harry war nun tatsächlich verdutzt. Wer sollte seinetwegen an Onkel Vernon schreiben? Wen kannte er, der Briefe mit der normalen Post schickte?

Onkel Vernon starrte Harry zornig an, dann hob er den Brief und begann laut vorzulesen.

Liebe Mr und Mrs Dursley,

wir wurden einander nie vorgestellt, doch ich bin sicher, Sie haben von Harry eine Menge über meinen Sohn Ron gehört. Wie Harry Ihnen vielleicht gesagt hat, findet nächsten Montagabend das Finale der Quidditch-Weltmeisterschaft statt, und mein Mann Arthur hat es soeben geschafft, über seine Beziehungen zur Abteilung für Magische Spiele und Sportarten noch ein paar Karten zu besorgen.

Ich hoffe doch, daß Sie uns gestatten, Harry mit zum Spiel zu nehmen, denn ein solches Ereignis darf man sich keinesfalls entgehen lassen; England ist zum ersten Mal seit dreißig Jahren wieder Gastgeberland und Karten sind kaum noch zu bekommen. Natürlich würden wir uns freuen, wenn Harry für die restlichen Sommerferien bei uns bleiben könnte. Wir werden ihn dann zum Zug begleiten, der ihn zurück in die Schule bringt.

Am besten schickt Harry uns Ihre Antwort auf dem üblichen Wege, denn der Muggelbriefträger hat bei uns noch nie etwas eingeworfen, und ich bin mir nicht mal sicher, ob er weiß, wo unser Haus ist.

In der Hoffnung, Harry bald zu sehen, und mit freundlichen Grüßen Molly Weasley

PS: Ich hoffe doch, wir haben genug Marken draufgeklebt.

Onkel Vernon verstummte, schob die Hand in die Brusttasche und zog noch etwas hervor.

»Sieh dir das an«, knurrte er.

Er hob den Umschlag hoch, in dem Mrs Weasleys Brief gekommen war. Harry mußte sich einen Lachanfall verkneifen. Der Umschlag war über und über mit Briefmarken beklebt, mit Ausnahme eines kleinen Quadrats auf der Vorderseite, in das Mrs Weasley in Winzschrift die Adresse der Dursleys hineingekritzelt hatte.

»Na also, hat doch gereicht mit den Briefmarken«, sagte Harry, ganz so, als ob Mrs Weasleys Fehler jedem unterlaufen könnte. Onkel Vernons Augen blitzten.

»Der Briefträger war sehr interessiert«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.»Wollte unbedingt wissen, wo dieser Brief herkommt. Deshalb hat er auch geläutet. Hielt es offenbar für komisch.«

Harry sagt nichts. Andere Menschen mochten nicht verstehen, warum Onkel Vernon einen solchen Aufstand wegen ein paar überzähliger Briefmarken machte, doch Harry lebte nun lange genug bei den Dursleys, um zu wissen, wie gereizt sie auf alles reagierten, was auch nur ein wenig neben der Spur lag. Ihre schlimmste Befürchtung war, jemand könnte herausfinden, daß sie (wie entfernt auch immer) mit Leuten wie Mrs Weasley in Verbindung standen.

Onkel Vernen starrte Harry immer noch zornfunkelnd an, während Harry versuchte eine arglose Miene aufzusetzen. Wenn er jetzt nichts Dummes tat oder sagte, dann stand ihm vielleicht die tollste Zeit seines Lebens bevor. Er wartete darauf, daß Onkel Vernon den Mund aufmachte, doch Onkel Vernon starrte ihn nur unverwandt an. Harry beschloß, die Stille zu durchbrechen.

»Und – darf ich gehen?«, sagte er.

Ein flüchtiges Zucken huschte über Onkel Vernons breites, purpurnes Gesicht. Der Schnurrbart sträubte sich. Harry glaubte zu wissen, was hinter dem Schnurrbart vor sich ging: ein erbitterter Kampf zwischen zwei der stärksten Antriebe Onkel Vernons. Wenn er Harry erlaubte zu gehen, würde er ihn glücklich machen, und dagegen hatte Onkel Vernon sich seit dreizehn Jahren gewehrt. Wenn Harry jedoch für den Rest der Ferien zu den Weasleys verschwand, war er ihn zwei Wochen früher los, als er gehofft hatte, und Onkel Vernon konnte es nicht ausstehen, wenn Harry im Haus war. Offenbar um sich ein wenig Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, betrachtete er noch einmal Mrs Weasleys Brief.

»Wer ist diese Frau?«, fragte er und starrte voller Abscheu auf die Unterschrift.

»Du hast sie schon mal gesehen«, sagte Harry.»Sie ist die Mutter meines Freundes Ron, sie hat ihn zu Ferienbeginn vom Hog-, vom Schulzug abgeholt.«

Fast hätte er»Hogwarts-Express«gesagt und damit Onkel Vernon sicher zur Weißglut gereizt. Im Haus der Dursleys wurde der Name von Harrys Schule niemals laut ausgesprochen.

Onkel Vernon verzog sein riesiges Gesicht zu einer Grimasse, als ob er versuchte sich an etwas sehr Unangenehmes zu erinnern.

»So ein plumper Typ von Frau?«, knurrte er schließlich.»Und 'ne Menge Kinder mit roten Haaren?«

Harry runzelte die Stirn. Es war schon ein starkes Stück von Onkel Vernon, jemanden»plump«zu nennen, wo doch sein eigener Sohn Dudley es endlich geschafft hatte, womit er seit dem Alter von drei Jahren gedroht hatte, nämlich breiter als lang zu werden.

Onkel Vernon überflog abermals den Brief.»Quidditch«, murmelte er in seinen Schnurrbart.»Quidditch – was ist das für ein Blödsinn?«Harry spürte zum zweiten Mal einen Anflug von Ärger.»Das ist eine Sportart«, sagte er knapp.»Wird auf Besen-«»Schon gut, schon gut!«, rief Onkel Vernon. Harry sah mit einiger Befriedigung einen Anflug von Panik auf Onkel Vernons Gesicht. Offenbar würden seine Nerven dem Klang des Wortes»Besenstiele«in seinem Wohnzimmer nicht standhalten. Er flüchtete sich wieder in den Brief. Harry sah, wie seine Lippen die Worte»Ihre Antwort auf dem üblichen Wege schicken«formten. Sein Blick verfinsterte sich.

»Was heißt, ›auf dem üblichen Wege‹?«, fauchte er.»Üblich für uns«, sagte Harry, und bevor sein Onkel ihn aufhalten konnte, fügte er hinzu:»Du weißt ja, Eulenpost. Das ist so üblich unter Zauberern.«

Onkel Vernon sah so empört aus, als hätte Harry gerade ein abscheuliches Schimpfwort ausgesprochen. Zitternd vor Zorn warf er einen nervösen Blick durchs Fenster, als fürchtete er, einer der Nachbarn hätte das Ohr an die Scheibe gedrückt.

»Wie oft muß ich dir noch sagen, daß du diese Abartigkeit unter meinem Dach nicht erwähnen sollst?«, zischte er, das Gesicht von der Farbe einer reifen Pflaume.»Da stehst du, in den Kleidern, die Tante Petunia und ich in deine undankbaren Hände gelegt haben -«

»Erst nachdem Dudley sie abgetragen hatte«, sagte Harry kühl, und tatsächlich trug er ein Sweatshirt, bei dem er die Ärmel fünfmal zurückschlagen mußte, um überhaupt seine Hände gebrauchen zu können, und das ihm bis über die Knie seiner sackbauchigen Jeans schlotterte.

»So sprichst du nicht mit mir!«, sagte Onkel Vernon bebend vor Wut.

Doch diesmal gab Harry nicht klein bei. Vorbei war die Zeit, da er gezwungen wurde, jede einzelne der bescheuerten Vorschriften der Dursleys zu befolgen. Er hielt sich nicht an Dudleys Diät, und er würde es nicht hinnehmen, daß Onkel Vernon ihm verbot, zur Quidditch-Weltmeisterschaft zu gehen, jedenfalls nicht, solange er sich wehren konnte.

Harry holte tief Luft, um sich zu beruhigen, dann sagte er:»Gut, ich darf nicht zur Weltmeisterschaft. Kann ich jetzt gehen? Ich muß noch meinen Brief an Sirius fertig schreiben. Du weißt ja – mein Pate.«

Er hatte es getan. Er hatte die magischen Worte ausgesprochen. Nun beobachtete er, wie das Purpurrot fleckweise aus Onkel Vernons Gesicht wich, so daß es aussah wie ein schlecht gemischtes Johannisbeereis.

»Du – du schreibst ihm, ja?«, sagte Onkel Vernon mit angestrengt ruhiger Stimme – doch Harry hatte bemerkt, wie sich die Pupillen seiner kleinen Augen in jäher Angst zusammenzogen.

»Jaah – sicher«, sagte Harry beiläufig.»Er hat schon lange nichts mehr von mir gehört, und, nun ja, wenn er ungeduldig wird, könnte er auf falsche Gedanken kommen.«

Er hielt inne, um die Wirkung seiner Worte zu genießen. Fast konnte er die Rädchen hinter Onkel Vernons dichtem, schwarzem, fein säuberlich gescheiteltem Haar arbeiten sehen. Wenn er Harry davon abhielt, Sirius zu schreiben, würde Sirius denken, Harry würde schlecht behandelt. Wenn er Harry verbot, zur Weltmeisterschaft zu gehen, würde Harry Sirius davon berichten, und dann wäre Sirius überzeugt, daß Harry schlecht behandelt wurde. Onkel Vernon konnte nur eines tun. Als wäre das große Schnurrbartgesicht durchsichtig, sah Harry, wie die Schlußfolgerung in Onkel Vernons Schädel einrastete. Harry unterdrückte ein Grinsen und mühte sich, eine Unschuldsmiene aufzusetzen. Und dann -

»Na schön, von mir aus. Du kannst zu diesem blödsinnigen – zu diesem idiotischen – dieser komischen Weltmeisterschaft gehen. Aber du schreibst diesen – diesen Weasleys, sie sollen dich abholen. Ich hab keine Zeit, dich in der Gegend rumzufahren und irgendwo abzuladen. Und du kannst die restlichen Sommerferien bei denen bleiben. Und du kannst deinem – deinem Patenonkel… sag ihm… sag ihm, daß du gehen darfst.«

»Einverstanden«, sagte Harry strahlend.

Er wandte sich um und ging zur Wohnzimmertür, während er gegen die Lust ankämpfte, jauchzend in die Luft zu springen. Er durfte fort… zu den Weasleys, zur Quidditch-Welt-meisterschaft!

Draußen im Flur prallte er fast mit Dudley zusammen, der hinter der Tür gelauert hatte, natürlich in der Hoffnung, belauschen zu können, wie Harry zur Schnecke gemacht wurde. Erschrocken sah er das breite Grinsen auf Harrys Gesicht.

»Das war ein tolles Frühstück, findest du nicht?«, sagte Harry.»Ich fühl mich so richtig satt, du auch?«

Harry lachte über die verdutzte Miene Dudleys, nahm drei Stufen auf einmal nach oben und stürzte in sein Zimmer.

Als Erstes fiel ihm auf, daß Hedwig zurück war. Sie saß in ihrem Käfig, starrte Harry mit ihren riesigen Bernsteinaugen an und klapperte mit dem Schnabel, wie sie es tat, wenn sie sich über etwas ärgerte. Worüber, wurde ihm im nächsten Moment klar.

»Autsch!«

Etwas wie ein kleiner, grauer, gefiederter Tennisball knallte gegen Harrys Schläfe. Harry rieb sich wütend den Kopf und sah sich nach dem Missetäter um. Eine winzige Eule, klein genug, um in eine hohle Hand zu passen, flatterte aufgeregt im Zimmer umher wie ein angezündeter Knallfrosch. Erst jetzt bemerkte Harry, daß sie ihm einen Brief vor die Füße geworfen hatte. Er bückte sich, erkannte Rons Handschrift und riß den Umschlag auf. Drin war ein hastig bekritzelter Zettel.

Harry – DAD HAT DIE KARTEN – Irland gegen Bulgarien, Montagabend. Mum schreibt an die Muggel und fragt, ob du zu uns kommen darfst. Vielleicht haben sie den Brief schon, ich weiß nicht, wie schnell die Muggelpost ist. Dachte, ich schick das hier lieber mit Pig.

Harry stutzte bei dem Wort»Pig«und sah zu der kleinen Eule hoch, die um den Lampenschirm herumschwirrte. Er hatte noch nie etwas gesehen, das weniger Ähnlichkeit mit einem Schwein hatte. Vielleicht hatte er Rons Gekritzel nicht richtig gelesen. Er las weiter.

Wir holen dich ab, ob die Muggel wollen oder nicht, damit du die Weltmeisterschaft nicht versäumst, nur denken Mum und Dad, es sei besser, wenn wir so tun, als ob wir sie erst um Erlaubnis fragten. Wenn sie ja sagen, schick Pig sofort mit deiner Antwort zurück und wir holen dich am Sonntagnachmittag um fünf Uhr ab. Wenn sie nein sagen, schick Pig sofort zurück und wir holen dich trotzdem am Sonntagnachmittag um fünf ab. Hermine kommt heute zu uns. Percy hat angefangen zu arbeiten – in der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit. Sag kein Wort über andere Länder, solange du hier bist, wenn du dich nicht zu Tode langweilen willst.

Bis bald – Ron

»Beruhige dich!«, sagte Harry zu der kleinen Eule, die jetzt seinen Kopf umkreiste und wie verrückt zwitscherte. Vor Stolz, vermutete Harry, weil sie den Brief dem Richtigen überbracht hatte.»Komm her, du mußt jetzt meine Antwort zurückbringen!«

Die Eule ließ sich flatternd auf Hedwigs Käfig nieder. Hedwig sah mit kühlem Blick zu ihr auf, als wollte sie sagen: Komm mir ja nicht näher.

Harry nahm seine Adlerfeder und ein frisches Blatt Pergament zur Hand und schrieb:

Ron, alles in Ordnung, die Muggel sagen, ich darf gehen. Bis morgen um fünf. Kann es kaum erwarten.

Harry

Er faltete das Blatt klitzeklein zusammen und band es mühsam an dem winzigen Bein der Eule fest, die voll Aufregung hin und her flatterte. Kaum war die Nachricht sicher befestigt, machte sich die Eule davon. Sie schwirrte aus dem Fenster und verschwand.

Harry wandte sich Hedwig zu.

»Fühlst du dich fit für eine lange Reise?«, fragte er.

Hedwig ließ ein vornehmes Tröten hören.

»Könntest du das hier zu Sirius bringen?«, sagte er und hob seinen Brief hoch.

»Wart mal… ich muß ihn nur kurz zu Ende schreiben.«

Er entfaltete das Pergament noch einmal und setzte hastig einen Nachsatz hinzu.

Falls du Verbindung mit mir aufnehmen willst, ich bin für den Rest der Ferien bei meinem Freund Ron Weasley. Sein Dad hat uns Karten für die Quidditch-Weltmeisterschaft besorgt!

Den fertigen Brief band er an Hedwigs Bein; sie hielt ungewöhnlich still, als wäre sie entschlossen ihm zu zeigen, wie eine echte Posteule sich benehmen sollte.

»Ich bin bei Ron, wenn du zurückkommst, ja?«, erklärte ihr Harry.

Sie kniff zutraulich in seinen Finger, spannte dann mit einem leisen Rascheln ihre mächtigen Flügel und schwebte durchs offene Fenster davon.

Harry sah ihr nach, bis sie verschwunden war, kroch dann unter sein Bett, riß das lose Dielenbrett hoch und holte ein großes Stück Geburtstagskuchen hervor. Auf dem Boden sitzend und essend genoß er in vollen Zügen das Glücksgefühl, das ihn durchströmte. Er hatte Kuchen und Dudley hatte nichts als Grapefruit; es war ein strahlender Sommertag, morgen würde er aus dem Ligusterweg verschwinden, seine Narbe fühlte sich wieder völlig normal an und er würde die Quidditch-Weltmeisterschaft sehen. In diesem Moment war es schwer, sich wegen irgend etwas Sorgen zu machen – und sei es Lord Voldemort.

Zurück zum Fuchsbau

Am nächsten Tag um zwölf hatte Harry seinen Koffer gepackt, mit den Schulsachen und allem anderen, was er wie seinen Augapfel hütete – dem Tarnurnhang, den er von seinem Vater geerbt, dem Besen, den ihm Sirius geschenkt hatte, und der magischen Karte von Hogwarts, die ihm Fred und George Weasley letztes Jahr überlassen hatten. Er hatte alles, was noch zu essen übrig war, aus dem Versteck unter dem losen Dielenbrett geholt, noch einmal alle Ecken und Winkel seines Zimmers nach vergessenen Zauberbüchern oder Schreibfedern abgesucht und den Kalender von der Wand genommen, auf dem er immer gerne die Tage bis zur Rückkehr nach Hogwarts am ersten September durchgestrichen hatte.

Im Ligusterweg Nummer vier herrschte Hochspannung. Die bevorstehende Ankunft gleich mehrerer Zauberer machte die Dursleys reizbar und nervös. Onkel Vernon hätte fast der Schlag getroffen, als er von Harry erfuhr, daß die Weasleys am nächsten Nachmittag um fünf kommen würden.

»Du hast diesen Leuten hoffentlich geschrieben, sie sollen sich anständig anziehen«, knurrte er.»Ich hab ja gesehen, was für Klamotten dieses Pack trägt, mit dem du dich abgibst. Die sollten wenigstens so höflich sein und sich richtig einkleiden, basta.«

Harry schwante Unheil. Er hatte Mr oder Mrs Weasley kaum einmal in Sachen gesehen, welche die Dursleys als»anständig«bezeichnen würden. Ihre Kinder mochten während der Ferien Muggelsachen tragen, doch Mr und Mrs Weasley trugen meist lange Umhänge in mehr oder weniger zerschlissenem Zustand. Harry scherte sich nicht darum, was die Nachbarn denken würden, doch er fürchtete, die Dursleys könnten grob zu den Weasleys sein, wenn sie bei ihnen aufkreuzten wie ihr Wirklichkeit gewordener Alptraum von einer Zaubererfamilie.

Onkel Vernon trug seinen besten Anzug. Manche hätten dies als eine schöne Geste verstanden, doch Harry wußte, daß Onkel Vernon nur Eindruck schinden und die Weasleys einschüchtern wollte. Dudley hingegen wirkte ein wenig gestutzt. Nicht etwa, weil die Diät endlich Wirkung gezeigt hätte, sondern weil ihn die Angst umtrieb. Dudley hatte bei seiner letzten Begegnung mit einem ausgewachsenen Zauberer einen geringelten Schweineschwanz verpaßt bekommen, der aus dem Hosenboden hervorlugte, und Tante Petunia und Onkel Vernon hatten ihn für teures Geld in einer Londoner Privatklinik entfernen lassen müssen. Daher war es nicht sonderlich überraschend, daß Dudley sich ständig mit der Hand über den Hintern fuhr und an den Wänden entlang von einem Zimmer ins andere rutschte, um dem Feind ja keine Zielscheibe zu bieten.

Das Mittagessen war eine recht stumme Angelegenheit. Dudley protestierte nicht einmal gegen das, was auf den Tisch kam (Hüttenkäse mit geraspeltem Sellerie). Tante Petunia aß überhaupt nichts. Sie hatte die Arme verschränkt und die Lippen geschürzt und schien auf ihrer Zunge herumzukauen, als ob sie die wilde Schimpfkanonade, die sie Harry gern entgegenschleudern wollte, mühsam hinunterwürgte.

»Sie kommen natürlich mit dem Auto?«, blaffte Onkel Vernon über den Tisch hinweg.

»Hmh«, sagte Harry.

Daran hatte er nicht gedacht. Wie eigentlich wollten die Weasleys ihn abholen? Ein Auto hatten sie nicht mehr; ihr alter Ford Anglia war gerade auf Jagd im Verbotenen Wald von Hogwarts. Doch Mr Weasley hatte sich letztes Jahr einen Wagen des Zaubereiministeriums geliehen; vielleicht tat er dies auch heute?

»Ich glaub schon«, sagte Harry.

Onkel Vernon schnaubte in seinen Schnurrbart. Normalerweise hätte er gefragt, was für ein Auto Mr Weasley fuhr; andere Männer pflegte er danach zu beurteilen, wie groß und teuer ihre Autos waren. Doch Harry bezweifelte, daß Onkel Vernon sich mit Mr Weasley anfreunden könnte, selbst wenn dieser mit einem Ferrari vorfahren würde.

Harry verbrachte fast den ganzen Nachmittag in seinem Zimmer; er konnte es nicht mit ansehen, wie Tante Petunia alle paar Sekunden durch die Stores spähte, als ob das Radio vor einem entlaufenen Rhinozeros gewarnt hätte. Um Viertel vor fünf schließlich ging Harry nach unten ins Wohnzimmer. Tante Petunia zupfte zwanghaft die Kissen zurecht. Onkel Vernon gab vor, die Zeitung zu lesen, doch seine Winzaugen bewegten sich nicht, und Harry wußte, daß er mit gespitzten Ohren auf das Geräusch eines ankommenden Autos wartete. Dudley hatte sich in einem Sessel vergraben, die schweinsfleischigen Hände fest um den Hintern geschlungen. Harry konnte die Spannung nicht ertragen; er ging hinaus und setzte sich auf den Treppenabsatz im Flur, den Blick auf die Uhr gerichtet und das Herz erwartungsvoll und hibbelig pochend.

Doch fünf Uhr kam und ging. Onkel Vernon, der in seinem Anzug leicht schwitzte, öffnete die Haustür, spähte die Straße hinauf und hinunter und zog rasch den Kopf wieder herein.

»Sie kommen zu spät!«, raunzte er Harry an.

»Das weiß ich«, sagte Harry.»Vielleicht – ähm – stecken sie im Stau oder so.«

Zehn nach fünf… dann Viertel nach fünf… Harry wurde allmählich selbst unruhig. Um halb sechs hörte er Onkel Vernon und Tante Petunia im Wohnzimmer angespannt tuscheln.

»Keinerlei Rücksichtnahme.«

»Wir hätten ja verabredet sein können.«

»Vielleicht glauben sie, wir laden sie zum Abendessen ein, wenn sie zu spät kommen.«

Harry hörte ihn aufstehen und im Wohnzimmer auf und ab schreiten.»Sie nehmen den Jungen und verschwinden, keine Zeit für Nettigkeiten. Wenn sie überhaupt kommen. Haben vermutlich den Tag verwechselt. Diese Sorte Leute hält natürlich nichts von Pünktlichkeit. Entweder das oder sie fahren irgendeine Schrottlaube und haben eine P-«

AAAAAARRRRHH!

Harry sprang auf. Durch die Tür drang der Lärm dreier in Panik durchs Zimmer rasender Dursleys. Und schon kam Dudley mit angsterfülltem Blick in den Flur gestürzt.

»Was ist passiert?«, sagte Harry.»Was ist denn los?«

Doch Dudley schien es die Sprache verschlagen zu haben. Die Hände immer noch auf den Hintern gepreßt watschelte er, so schnell er konnte, in die Küche. Harry rannte ins Wohnzimmer.

Lautes Klopfen und Kratzen drang aus dem mit Brettern vernagelten Kamin der Dursleys, an dessen Frontseite sie ein Feuerimitat angebracht hatten.

»Was ist das denn?«, keuchte Tante Petunia, die mit dem Rücken zur Wand stand und entsetzt auf den Kamin starrte.

»Autsch! Fred, nein – zurück, zurück, irgendwas stimmt hier nicht – sag George, er soll nicht – AUTSCH! George, nein, hier ist es zu eng, geh schnell zurück und sag Ron -«

»Vielleicht kann Harry uns hören, Dad – vielleicht kann er uns hier rauslassen -«

Jemand hämmerte laut auf die Bretterverschalung hinter dem elektrischen Feuer.

»Harry? Harry, kannst du uns hören?«

Die Dursleys schlichen auf Harry zu wie ein Paar hungriger Wölfe.

»Was soll das denn?«, knurrte Onkel Vernon.»Was geht hier vor?«

»Sie haben versucht mit Flohpulver herzukommen«, sagte Harry und würgte ein Lachen hinunter.»Sie können per Feuer reisen – aber ihr habt den Kamin blockiert – einen Moment -«

Er trat auf den Kamin zu und rief durch die Bretter:

»Mr Weasley? Können Sie mich hören?«

Das Klopfen hörte auf. Drinnen im Kamin sagte jemand:»Schhh!«

»Mr Weasley, ich bin's, Harry… der Kamin ist zugenagelt. Da können Sie nicht rauskommen.«

»Verflucht!«, ertönte Mr Weasleys Stimme.»Weshalb, um Himmels willen, haben die den Kamin vernagelt?«

»Sie haben sich ein elektrisches Kaminfeuer angeschafft«, erklärte Harry.

»Wirklich?«, sagte Mr Weasley begeistert.»Ecklektisch, sagst du? Mit einem Stecker? Meine Güte, das muß ich sehen… laß mich mal nachdenken… autsch, Ron!«

Rons Stimme mischte sich nun unter die anderen.

»Was treiben wir hier? Ist was schief gegangen?«

»Wie kommst du denn darauf, Ron«, sagte Fred mit sarkastischem Unterton.»Nein, genau hier wollten wir hin.«

»Jaah, wir amüsieren uns prächtig«, sagte George, dessen Stimme so dumpf klang, als wäre sein Gesicht gegen die Mauer gepreßt.

»Jungs, Jungs…«, nuschelte Mr Weasley.»Ich versuch rauszufinden, was wir tun könnten… ja… da bleibt mir nichts anderes übrig… Harry, geh bitte ein paar Schritte zurück.«

Harry wich zum Sofa zurück. Onkel Vernon jedoch trat ein paar Schritte vor.

»Warten Sie einen Augenblick!«, brüllte er in Richtung Kamin.»Was genau wollen Sie tun -?«

PENG.

Der Bretterverschlag explodierte, das elektrische Feuer flog durchs Zimmer, und Mr Weasley, Fred, George und Ron wurden in einer Wolke aus Schutt und Holzspänen aus dem Kamin geschleudert. Tante Petunia stieß einen spitzen Schrei aus und fiel rücklings über das Kaffeetischchen; Onkel Vernon fing sie auf, bevor sie auf dem Boden aufschlug, und starrte dann mit offenem Mund die Weasleys an, die allesamt rote Haare hatten, auch Fred und George, die bis auf die letzte Sommersprosse genau gleich aussahen.

»Schon besser«, keuchte Mr Weasley, klopfte sich den Staub von seinem langen grünen Umhang und rückte seine Brille zurecht.»Aaah – Sie müssen Harrys Tante und Onkel sein!«

Groß, schlank und mit schütterem Haar ging er auf Onkel Vernon zu, die Hand ausgestreckt, doch Onkel Vernon wich ein paar Schritte zurück und zog Tante Petunia mit sich. Er brachte kein Wort heraus. Sein bester Anzug war mit weißem Staub bedeckt, und er sah aus, als ob er soeben um dreißig Jahre gealtert wäre.

»Ähm – ja – verzeihen Sie das hier«, sagte Mr Weasley, ließ die Hand sinken und sah über die Schulter zum zerfetzten Kamin.»Alles meine Schuld, ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß wir am anderen Ende nicht rauskommen würden. Ich hab Ihren Kamin ans Flohnetzwerk angeschlossen, müssen Sie wissen – nur für einen Nachmittag allerdings, damit wir Harry abholen können. Muggelkamine sollten eigentlich nicht angeschlossen werden – aber ich hab einen nützlichen Bekannten im Flohregulierungsrat, der hat das für mich gedeichselt. Ich kann die Sache im Nu wieder in Ordnung bringen, keine Sorge. Ich mache ein Feuer und schick die Jungs zurück, anschließend repariere ich Ihren Kamin und disappariere selbst.«

Harry hätte wetten können, daß die Dursleys kein einziges Wort davon verstanden hatten. Wie vom Donner gerührt starrten sie immer noch Mr Weasley an. Tante Petunia rappelte sich wieder hoch und versteckte sich hinter Onkel Vernon.

»Hallo, Harry!«, sagte Mr Weasley strahlend.»Deinen Koffer hast du bereit?«

»Er ist oben«, grinste Harry zurück.

»Wir holen ihn«, warf Fred ein. Harry zuzwinkernd gingen er und George nach draußen. Sie wußten, wo Harrys Zimmer war, da sie ihn einst mitten in der Nacht daraus gerettet hatten. Harry hatte den Verdacht, Fred und George hätten gerne einen Blick auf Dudley erhascht; Harry hatte eine Menge über ihn erzählt.

»Nun«, sagte Mr Weasley, leicht mit den Armen schwingend und nach Worten suchend, um die peinliche Stille zu durchbrechen.»Sehr – ähem – hübsche Wohnung haben Sie hier.«

Weil das ansonsten makellose Wohnzimmer mit Staub und Schutt übersät war, nahmen die Dursleys dieses Kompliment nicht besonders gut auf. Onkel Vernons Gesicht lief erneut purpurrot an und Tante Petunia begann wieder auf ihrer Zunge zu kauen. Allerdings schienen sie zu verängstigt, um tatsächlich etwas zu sagen.

Mr Weasley sah sich um. Er hatte einen Narren an allem gefressen, was die Muggel so besaßen. Harry sah, wie es ihn juckte, den Fernseher und den Videorecorder in Augenschein zu nehmen.

»Die laufen mit Eckelzitrität, nicht wahr?«, sagte er mit Kennermiene.»Ah ja, ich sehe die Stecker. Ich sammle Stecker«, fügte er zu Onkel Vernon gewandt hinzu.»Und Batterien. Hab eine sehr große Sammlung Batterien. Meine Frau hält mich für verrückt, aber was soll man machen.«

Onkel Vernon hielt Mr Weasley offensichtlich ebenfalls für verrückt. Er glitt kaum wahrnehmbar nach rechts, wobei er Tante Petunia verdeckte, als glaubte er, Mr Weasley könnte sich plötzlich wie wild auf sie stürzen.

Dudley tauchte plötzlich wieder im Zimmer auf. Das Rumpeln von Harrys Koffer auf der Treppe hatte ihn offenbar aus der Küche vertrieben. Er rutschte an der Wand lang, starrte mit angsterfülltem Blick auf Mr Weasley und versuchte sich hinter seinen Eltern zu verstecken. Leider war Onkel Vernons Rücken zwar breit genug, um die knochendürre Tante Petunia zu verdecken, doch für Dudley reichte es bei weitem nicht.

»Ah, das ist dein Cousin, Harry?«, sagte Mr Weasley in einem erneuten tapferen Anlauf, Konversation zu machen.

»Jep«, sagte Harry,»das ist Dudley.«

Er und Ron wechselten Blicke und sahen dann rasch woanders hin; der Versuchung, laut loszuprusten, konnten sie nur mit allergrößter Mühe widerstehen. Dudley umklammerte immer noch seinen Hintern, als hätte er Angst, er könne ihm abfallen. Mr Weasley jedoch schien wegen Dudleys eigenartigem Benehmen aufrichtig besorgt. Tatsächlich hörte Harry aus Mr Weasleys Tonfall heraus, daß er glaubte, Dudley sei verrückt, genau wie die Dursleys dachten, Mr Weasley sei es, allerdings verspürte Mr Weasley keine Angst, sondern aufrichtiges Mitleid.

»Genießt du die Ferien, Dudley?«, sagte er freundlich.

Dudley wimmerte. Harry sah, wie sich seine Hände noch fester um das massige Hinterteil klammerten.

Fred und George kamen mit Harrys Schulkoffer im Schlepptau herein. Sie sahen sich um und erblickten Dudley. Auch an ihrem Grinsen, das sich nun auf ihren Gesichtern zeigte, waren sie nicht zu unterscheiden.

»Ah, schön«, sagte Mr Weasley.»Wir machen uns jetzt am besten aus dem Staub.«

Er schob die Ärmel seines Umhangs hoch und zückte den Zauberstab. Harry sah die Dursleys im Gleichschritt zur Wand zurückweichen.

»Incendio!«, sagte Mr Weasley und richtete den Zauberstab auf das Sprengloch in der Wand.

Sofort schössen Flammen aus der Feuerstelle und begannen so munter zu knistern, als ob sie schon seit Stunden geflackert hätten. Mr Weasley nahm einen kleinen Schnürbeutel aus der Tasche, knüpfte ihn auf, nahm eine Prise Pulver heraus und warf es in die Flammen, die sich sofort smaragdgrün färbten und prasselnd in die Höhe schössen.

»Und los geht's, Fred«, sagte Mr Weasley.

»Komme«, sagte Fred.»O nein – wart mal -«

Ein Beutel Süßigkeiten war aus Freds Tasche gefallen und der Inhalt kullerte über den ganzen Fußboden – große, fette Toffeebohnen in buntem Einwickelpapier.

Fred rutschte auf den Knien umher und stopfte sie zurück in die Tasche, dann winkte er den Dursleys fröhlich zum Abschied, ging zum Kamin und trat mit den Worten»zum Fuchsbau«mitten ins Feuer. Von Tante Petunia kam ein leises, schauderndes Keuchen. Ein Rauschen war zu hören und Fred verschwand.

»Du bist dran, George«, sagte Mr Weasley,»du und der Koffer.«

Harry half George den Koffer in die Flammen zu tragen und ihn aufrecht zu stellen, damit er ihn besser halten konnte. Dann, unter abermaligem Rauschen, rief George»zum Fuchsbau!«und verschwand ebenfalls.

»Ron, du bist dran«, sagte Mr Weasley.

»Bis dann«, sagte Ron strahlend zu den Dursleys. Mit einem breiten Grinsen für Harry trat er ins Feuer, rief»zum Fuchsbau!«und verschwand.

Jetzt waren nur noch Harry und Mr Weasley übrig.

»Na dann… auf Wiedersehen«, sagte Harry zu den Dursleys.

Sie sagten kein Wort. Harry ging aufs Feuer zu, doch gerade als er den Rand des Kamins erreicht hatte, streckte Mr Weasley die Hand aus und hielt ihn zurück. Erstaunt sah er die Dursleys an.

»Harry hat Ihnen auf Wiedersehen gesagt«, sagte er.»Haben Sie ihn nicht gehört?«

»Ist schon gut«, murmelte Harry Mr Weasley zu.»Ehrlich gesagt, mir ist es egal.«

Doch Mr Weasley zog die Hand nicht von Harrys Schulter.»Sie sehen Ihren Neffen erst nächsten Sommer wieder«, sagte er mild entrüstet zu Onkel Vernon.»Sicher wollen Sie ihm auf Wiedersehen sagen?«

In Onkel Vernons Gesicht arbeitete es unter Hochdruck. Die Vorstellung, ein Mann, der gerade seine halbe Wohnzimmerwand gesprengt hatte, bringe ihm Manieren bei, schien ihm heftige Qualen zu bereiten.

Doch Mr Weasley hatte den Zauberstab immer noch in der Hand und Onkel Vernons kleine Augen huschten zu ihm hinüber, bevor er ein gequältes»Wiedersehen«hervorbrachte.

»Bis dann«, sagte Harry und setzte einen Fuß in die grünen Flammen; sie fühlten sich angenehm an wie ein warmer Hauch. In diesem Augenblick jedoch ertönte ein fürchterliches Würgen hinter ihm und Tante Petunia begann zu schreien.

Harry wirbelte herum. Dudley stand nicht mehr hinter seinen Eltern. Er kniete neben dem Kaffeetischchen und würgte und kaute an einem ellenlangen rötlichen und schleimigen Ding, das ihm aus dem Mund quoll. Eine verdutzte Sekunde später sah Harry, daß das ellenlange Ding Dudleys Zunge war – und daß ein grellbuntes Toffee-Papier vor ihm auf dem Boden lag.

Tante Petunia warf sich neben Dudley zu Boden, packte die Spitze seiner geschwollenen Zunge und versuchte sie aus Dudleys Mund zu ziehen; natürlich schrie und würgte und spuckte Dudley jetzt noch heftiger und versuchte sie abzuwehren. Onkel Vernon bellte ein paar Worte und fuchtelte mit den Armen, so daß Mr Weasley laut rufen mußte, um sich Gehör zu verschaffen.

»Keine Sorge, ich kann ihm helfen!«, rief er und ging mit ausgestrecktem Zauberstab auf Dudley zu, doch Tante Petunia begann noch lauter zu kreischen und warf sich auf Dudley, um ihn vor Mr Weasley zu schützen.

»Nein, so was!«, sagte Mr Weasley verzweifelt.»Das läßt sich ganz einfach erklären – es war die Toffeebohne – mein Sohn Fred – ein richtiger Scherzbold – aber es ist nur ein Schwellwürgzauber – hoffe ich wenigstens – bitte, ich bring ihn wieder auf die Beine -«

Doch die Dursleys ließen sich davon keineswegs beruhigen. In wachsender Panik packte Tante Petunia unter hysterischem Schluchzen Dudleys Zunge, wie wild entschlossen, sie herauszureißen. Dudley schien durch das, was seine Mutter und seine Zunge ihm antaten, dem Ersticken nahe, und Onkel Vernon, der die Fassung völlig verloren hatte, packte eine Porzellanfigur vom Beistelltisch und schleuderte

sie mit aller Kraft gegen Mr Weasley. Der duckte sich, und das Schmuckstück zersplitterte in dem Sprengloch, das vom Kamin übrig war.

»Nun aber wirklich!«, sagte Mr Weasley zornig und fuchtelte mit seinem Zauberstab.»Ich will ja nur helfen!«

Wie ein verletztes Nilpferd trompetend packte Onkel Vernon eine weitere Nippesfigur.

»Harry, geh! Verschwinde!«, rief Mr Weasley, den Zauberstab auf Mr Dursley gerichtet.»Ich erledige das schon!«

Harry wollte sich den Spaß eigentlich nicht entgehen lassen, doch Onkel Vernons zweites Schmuckstück surrte nur knapp an seinem linken Ohr vorbei, und daraufhin schien es ihm das Beste, die Sache Mr Weasley zu überlassen. Er trat ins Feuer, warf einen Blick über die Schulter und sagte:»Zum Fuchsbau!«; nur noch verschwommen nahm er wahr, daß Mr Weasley mit Hilfe des Zauberstabs eine dritte Porzellanfigur aus Onkel Vernons Hand fliegen ließ, daß Tante Petunia immer noch schreiend auf Dudley lag und Dudleys Zunge aus dem Mund hing wie ein großer schleimiger Python. Doch schon begann Harry sich rasend schnell um sich selbst zu drehen und das Wohnzimmer der Dursleys verschwand in den jäh aufzüngelnden Flammen.

Weasleys Zauberhafte Zauberscherze

Harry, die Arme fest an sich gepreßt, rotierte so rasend schnell um sich selbst, daß er nur ab und zu verschwommen einen Kamin vorbeifliegen sah. Allmählich wurde ihm übel und er schloß die Augen. Endlich spürte er den Wirbel nachlassen, er streckte die Hände aus und konnte sich gerade noch festhalten, sonst wäre er vor dem Küchenkamin der Weasleys auf die Nase geklatscht.

»Hat er angebissen?«, fragte Fred gespannt und reichte Harry die Hand, um ihm auf die Beine zu helfen.

»Jaah«, sagte Harry und richtete sich auf.»Was war das denn?«

»Würgzungen-Toffee«, strahlte Fred.»Haben George und ich selber erfunden, und den ganzen Sommer schon suchen wir jemanden, an dem wir es ausprobieren könnten…«

In der kleinen Küche brach schallendes Gelächter aus; Harry schaute sich um und sah Ron und George an dem polierten Holztisch sitzen, zusammen mit zwei anderen Rothaarigen, die Harry noch nie gesehen hatte. Doch wußte er sofort, wer sie waren: Bill und Charlie, die beiden ältesten Weasley-Brüder.

»Wie geht's, Harry?«, sagte der eine, der ihm am nächsten saß, und streckte seine große Hand aus. Als Harry sie schüttelte, spürte er Schwielen und Blasen an den Fingern. Das mußte Charlie sein, der in Rumänien lebte und mit Drachen arbeitete. Charlie war ähnlich gebaut wie die Zwillinge, kleiner und stämmiger als Percy und Ron, die beide groß und schlaksig waren. Sein gutmütiges Gesicht war breit und wettergegerbt und die vielen Sommersprossen ließen es noch gebräunter wirken. Auf einem seiner muskulösen Arme war ein großes, schimmerndes Brandmal zu sehen.

Auch Bill erhob sich jetzt mit einem Lächeln und schüttelte Harry die Hand. Harry, der wußte, daß er für die Zaubererbank Gringotts arbeitete und Schulsprecher in Hogwarts gewesen war, hatte sich Bill immer als einen älteren Doppelgänger von Percy vorgestellt: peinlich genau darauf bedacht, die Vorschriften einzuhalten, und mit Genuß dabei, die anderen herumzukommandieren. Tatsächlich jedoch war Bill – und es gab kein besseres Wort dafür – einfach cool. Er war hoch gewachsen und hatte sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er trug einen Ohrring, an dem etwas baumelte, das aussah wie der Giftzahn einer Schlange. Seine Kleidung hätte gut in ein Rockkonzert gepaßt, nur daß seine Schuhe, wie Harry auffiel, nicht aus Leder, sondern aus Drachenhaut waren.

Bevor jemand ein weiteres Wort sagen konnte, ertönte ein Plopp und Mr Weasley erschien wie aus dem Nichts an Georges Seite. Harry hatte ihn noch nie so zornig erlebt.

»Das war überhaupt nicht komisch, Fred!«, brüllte er.»Was zum Teufel hast du dem Muggeljungen gegeben?«

»Ich hab ihm gar nichts gegeben«, sagte Fred mit gemeinem Grinsen.»Ich hab nur was fallen lassen… ist doch sein Problem, wenn er es aufhebt und ißt, ich hab ihm jedenfalls nichts angeboten.«

»Du hast es absichtlich fallen lassen!«, polterte Mr Weasley.»Du wußtest, daß er es aufessen würde, du wußtest, daß er auf Diät war -«

»Und? Wie lang ist seine Zunge denn geworden?«, fragte George begierig.

»Sie war über einen Meter lang, als die Eltern mir endlich erlaubt haben, sie schrumpfen zu lassen!«

Harry und die Weasleys brachen erneut in Gelächter aus.

»Das ist nicht lustig!«, rief Mr Weasley.»Solches Verhalten beschädigt die Zauberer-Muggel-Beziehungen aufs Schwerste! Mein halbes Leben hab ich gegen die Mißhandlung von Muggeln gekämpft und da kommen meine eigenen Söhne -«

»Wir haben es ihm nicht deshalb gegeben, weil er ein Muggel ist!«, sagte Fred entrüstet.

»Nein, wir haben es ihm verpaßt, weil er ein tyrannisches Riesenschwein ist«, sagte George.»Stimmt doch, Harry?«

»Ja, das stimmt, Mr Weasley«, sagte Harry ernst.

»Darum geht es hier nicht!«, tobte Mr Weasley.»Wartet nur, bis ich es eurer Mutter erzähle -«

»Bis du mir was erzählst?«, fragte eine Stimme hinter ihnen.

Mrs Weasley stand in der Küche. Sie war eine kleine, rundliche Frau mit einem sehr freundlichen Gesicht, doch jetzt lag ihre Stirn in mißtrauischen Falten.

»Ach, hallo, Harry, mein Lieber«, sagte sie lächelnd, als sie ihn entdeckt hatte, dann wandte sie sich sofort mit blitzenden Augen ihrem Mann zu.»Arthur, erklär mir, was hier los ist.«

Mr Weasley zögerte. Harry spürte, daß er zwar ziemlich wütend auf Fred und George war, doch Mrs Weasley hatte er eigentlich nichts von der ganzen Geschichte erzählen wollen. In der eintretenden Stille musterte Mr Weasley nervös seine Frau. Dann erschienen hinter Mrs Weasley zwei Mädchen in der Küchentür. Die eine, mit sehr buschigem braunem Haar und recht großen Vorderzähnen, war Harrys und Rons beste Freundin, Hermine Granger. Die andere, klein und rothaarig, war Rons jüngere Schwester Ginny.

Beide lächelten Harry zu, Harry grinste zurück und Ginny lief scharlachrot an – sie hatte einen Narren an ihm gefressen, seit er zum ersten Mal den Fuchsbau besucht hatte.

»Sag mir, was los ist, Arthur«, wiederholte Mrs Weasley mit bedrohlichem Unterton in der Stimme.

»Ach nichts, Molly«, murmelte Mr Weasley.»Fred und George haben nur – aber ich hab schon mit ihnen geschimpft -«

»Was haben sie diesmal wieder ausgefressen?«, fragte Mrs Weasley.»Wenn es irgendwas mit Weasleys Zauberhaften Zauberscherzen zu tun hat -«

»Warum zeigst du Harry nicht, wo er schlafen kann, Ron?«, sagte Hermine von der Tür her.

»Er weiß, wo er schläft«, sagte Ron.»In meinem Zimmer, da hat er auch letztes Mal -«

»Wir können zusammen hochgehen«, sagte Hermine überdeutlich.

»Oh«, sagte Ron, bei dem der Groschen endlich gefallen war,»gute Idee.«

»Ja, wir kommen auch mit«, sagte George -

»Ihr bleibt, wo ihr seid!«, fauchte Mrs Weasley.

Harry und Ron verdrückten sich aus der Küche und machten sich gemeinsam mit Hermine und Ginny auf den Weg durch den engen Flur und die klapprige Treppe empor, die im Zickzack durch das ganze Haus bis hoch zu den Dachkammern führte.

»Was bedeutet Weasleys Zauberhafte Zauberscherze?«, fragte Harry, während sie die Stufen erklommen.

Ron und Ginny lachten, Hermine jedoch blieb stumm.

»Mum hat beim Putzen in Freds und Georges Zimmer einen Stapel Bestellformulare gefunden«, sagte Ron gedämpft.»Ellenlange Preislisten für das Zeug, das sie erfunden haben. Scherzartikel, du kennst das ja. Falsche Zauberstäbe und Süßigkeiten mit eingebauter Überraschung, 'ne ganze Menge davon. Einfach genial, ich hätte nie gedacht, daß sie so erfinderisch sind…«

»Schon seit langem hören wir es aus ihrem Zimmer ständig knallen«, sagte Ginny,»aber wir wären nie darauf gekommen, daß sie dieses Zeug wie am Fließband herstellen. Wir dachten, sie stehen einfach auf Krach.«

»Nur, das meiste davon – na ja, eigentlich alles – war ein wenig gefährlich«, sagte Ron,»und dann, mußt du wissen, wollten sie es auch noch in Hogwarts verkaufen. Da ist Mum an die Decke gegangen. Sie hat ihnen verboten, an den Sachen weiter zu basteln, und hat alle Bestellformulare verbrannt… Sie ist ohnehin sauer auf die beiden. Sie haben nicht so viele ZAGs gekriegt, wie sie erwartet hat.«

ZAGs waren Zauberergrade, die die fünfzehnjährigen Schüler bei den Prüfungen erwarben.

»Und dann hat es diesen Riesenkrach gegeben«, sagte Ginny,»weil Mum will, daß die beiden sich im Zaubereiministerium bewerben, wo Dad arbeitet, aber sie meinten, sie wollten eigentlich nur einen Scherzartikelladen aufmachen.«

In diesem Moment öffnete sich eine Tür auf dem zweiten Treppenabsatz und ein sehr genervt aussehendes Gesicht mit Hornbrille lugte hervor.

»Hallo, Percy«, sagte Harry.

»Ach, hallo, Harry«, sagte Percy.»Ich wollte nur wissen, wer so viel Lärm macht. Ich versuche hier drin zu arbeiten, mußt du wissen – ich muß fürs Büro noch einen Bericht schreiben – und es ist ziemlich schwer sich zu konzentrieren, wenn ständig Leute die Treppe rauf- und runterpoltern.«

»Wir poltern nicht«, sagte Ron verärgert.»Wir gehen. Verzeihung, wenn wir die streng geheime Arbeit des Zaubereiministeriums gestört haben.«

»Woran arbeitest du denn?«, sagte Harry.

»An einem Bericht für die Abteilung Internationale Magische Zusammenarbeit«, sagte Percy und reckte das Kinn.»Wir versuchen die Kesseldicken endlich zu vereinheitlichen. Manche von diesen ausländischen Importkesseln sind doch eine Spur zu dünn – die Tropfrate steigt jährlich um drei Prozent -«

»Dieser Bericht wird die Welt verändern«, sagte Ron.»Kommt sicher auf die Titelseite des Tagespropheten, dieses Kesseltropfen.«

Percys Gesicht nahm einen Hauch Rosa an.

»Mach du nur deine Witze, Ron«, sagte er entrüstet,»aber wenn wir nicht eine internationale Regelung durchsetzen, wird der Markt eines Tages womöglich von dünn-bödigen Billigprodukten überschwemmt, die eine ernste Gefahr für -«

»Ja, ja, ist schon gut«, sagte Ron und betrat die nächste Treppe. Percy knallte seine Zimmertür hinter sich zu. Während Harry, Hermine und Ginny drei weitere Treppen hinter Ron herstiegen, hallten Rufe aus der Küche zu ihnen hoch. Sie klangen, als hätte Mr Weasley seiner Frau von den Toffeebohnen erzählt.

Das Zimmer unter dem Dach des Hauses, wo Ron schlief, sah nicht viel anders aus als bei Harrys letztem Besuch, dieselben Spieler auf den Postern von Rons Lieblingsteam, den Chudley Cannons, wirbelten und winkten von den Wänden der schrägen Decke, und das Aquarium auf der Fensterbank, in dem damals noch Froschlaich gewesen war, beherbergte nun einen riesigen Frosch. Rons alte Ratte, Krätze, war nicht mehr da, stattdessen die winzige graue Eule, die Rons Brief zu Harry in den Ligusterweg geflogen hatte. Sie hüpfte in einem kleinen Käfig auf und ab und zwitscherte wie verrückt.

»Schnauze, Pig«, sagte Ron und drängte sich zwischen zwei der vier Betten hindurch, die in das Zimmer gequetscht worden waren.»Fred und George schlafen auch hier, weil Bill und Charlie ihr Zimmer bekommen haben«, erklärte er Harry.»Percy behält sein Zimmer für sich alleine, weil er ja arbeiten muß.«

»Ähm – warum nennst du diese Eule Pig?«, fragte Harry.

»Weil Ron doof ist«, warf Ginny ein.»Sein richtiger Name ist nämlich Pigwidgeon.«

»Ja, und das ist überhaupt kein doofer Name«, sagte Ron trocken.»Ginny hat ihm den Namen gegeben«, erklärte er Harry.»Sie findet ihn süß. Und ich wollte ihn noch ändern, aber es war zu spät, er hörte auf überhaupt nichts anderes mehr. Also heißt er jetzt eben Pig. Ich muß ihn hier oben behalten, weil er Errol und Hermes ständig ärgert. Mich übrigens auch, kann ich dir sagen.«

Pigwidgeon flatterte glücklich in seinem Käfig umher und schrie schrill. Harry kannte Ron gut genug, um ihn nicht ernst zu nehmen. Über seine alte Ratte Krätze hatte er sich ständig beklagt, doch als Hermines Kater, Krummbein, ihn vermeintlich gefressen hatte, war er untröstlich gewesen.

»Wo ist Krummbein?«, fragte Harry nun Hermine.

»Draußen im Garten, glaub ich«, sagte sie.»Er hat noch nie einen Gnomen gesehen und jagt sie wie die Mäuse.«

»Percy gefällt die Arbeit, nicht wahr?«, sagte Harry, setzte sich auf eins der Betten und sah den Chudley Cannons zu, wie sie auf den Postern an der Decke erschienen und wieder davonsausten.

»Gefallen?«, sagte Ron mit verdüsterter Miene.»Ich glaube, er würde gar nicht mehr nach Hause kommen, wenn Dad es nicht verlangen würde. Er ist wie besessen. Frag ihn ja nicht nach seinem Chef. ›Mr Crouch sagt dieses, Mr Crouch sagt jenes… wie ich immer zu Mr Crouch sage… Mr Crouch ist der Meinung… Mr Crouch hat mich beauftragt… ‹ Bald geben sie noch ihre Verlobung bekannt.«

»Hast du einen schönen Sommer verbracht, Harry?«, fragte Hermine.»Und sind die Freßpakete auch angekommen?«

»Ja, vielen Dank«, sagte Harry.»Diese Kuchen haben mir das Leben gerettet.«

»Und hast du was von -?«, setzte Ron an, doch Hermines Blick ließ ihn verstummen. Harry wußte, daß er nach Sirius fragen wollte. Ron und Hermine hatten bei Sirius' Flucht tatkräftig mitgeholfen und waren jetzt beinahe ebenso um seinen Paten besorgt wie er. Allerdings war es nicht gut, wenn Ginny alles hörte. Keiner außer ihnen und Professor Dumbledore wußte, wie Sirius entkommen war, und keiner glaubte an seine Unschuld.

»Sie haben aufgehört zu streiten«, sagte Hermine, um den peinlichen Moment zu überbrücken, denn Ginnys Blick wanderte neugierig von Ron zu Harry.»Sollen wir runtergehen und deiner Mum mit dem Abendessen helfen?«

»Ja, von mir aus«, sagte Ron. Alle vier verließen Rons Zimmer und stiegen nach unten in die Küche, wo sie Mrs Weasley allein und äußerst schlecht gelaunt vorfanden.

»Wir essen draußen im Garten«, sagte sie, als die vier eintraten.»Hier drin haben wir einfach keinen Platz für elf Leute. Könntet ihr die Teller raustragen, Mädchen? Bill und Charlie decken die Tische. Ihr beide nehmt bitte Messer und Gabeln«, sagte sie zu Ron und Harry und richtete ihren Zauberstab unversehens ein wenig zu energisch auf einen Haufen Kartoffeln im Waschbecken, die daraufhin so schnell aus ihren Pellen flutschten, daß sie gegen Wände und Decke klatschten.

»Ach, um Himmels willen«, seufzte sie und richtete ihren Zauberstab jetzt auf eine Kehrschaufel, die von der Wand hüpfte, über den Boden tänzelte und die Kartoffeln aufschaufelte.»Diese beiden!«, stieß sie zornig hervor, während sie Töpfe und Pfannen aus dem Schrank holte, und Harry war klar, daß sie Fred und George meinte.»Ich weiß nicht, was aus denen mal werden soll, ehrlich gesagt. Keinen Ehrgeiz, wollen anderen nur möglichst viel Ärger bereiten…«

Sie ließ einen großen Kupfertopf auf den Küchentisch knallen und begann mit dem Zauberstab darin herumzurühren, bis sich eine cremige Sauce aus der Spitze in den Topf ergoß.

»Es ist ja nicht so, daß sie keinen Grips hätten«, fuhr sie gereizt fort, trug den Topf hinüber zum Herd und entzündete diesen mit einem Stupser ihres Zauberstabs.»Sie verschwenden ihn einfach, und wenn sie sich nicht bald zusammenreißen, kriegen sie wirklich Probleme. Hogwarts hat mir mehr Eulen ihretwegen geschickt als wegen aller anderen zusammen. Wenn sie so weitermachen, landen sie noch vor dem Ausschuß gegen den Mißbrauch der Magie.«

Mrs Weasley tippte mit dem Zauberstab gegen die Besteckschublade, die prompt aufsprang. Ein paar Messer flogen heraus, so daß Harry und Ron sich rasch ducken mußten, surrten quer durch die Küche und begannen die Kartoffeln in Scheiben zu schneiden, die die Kehrschaufel soeben wieder ins Waschbecken befördert hatte.

»Ich weiß nicht, was wir bei den beiden falsch gemacht haben«, sagte Mrs Weasley, legte ihren Zauberstab beiseite und begann noch mehr Töpfe hervorzukramen.»Das geht nun schon seit Jahren so, immer wieder was Neues, und sie wollen einfach nicht zuhören – o nein, nicht schon wieder!«

Sie hatte ihren Zauberstab vom Tisch genommen und er hatte sich unter lautem Quieken in eine riesige Gummimaus verwandelt.

»Schon wieder einer von ihren falschen Zauberstäben!«, rief sie.»Wie oft hab ich den beiden schon gesagt, sie sollen sie nicht herumliegen lassen!«

Sie griff nach ihrem richtigen Zauberstab, drehte sich um und mußte feststellen, daß die Sauce auf dem Herd zu köcheln begonnen hatte.

»Komm mit«, sagte Ron hastig zu Harry und kramte eine Hand voll Besteck aus der Schublade,»wir gehen nach draußen und helfen Bill und Charlie.«

Sie ließen Mrs Weasley allein und gingen durch die Hintertür hinaus auf den Hof.

Sie waren nur ein paar Schritte gegangen, als Hermines säbelbeiniger rötlicher Kater Krummbein aus dem Garten gesaust kam, den Schwanz wie eine Flaschenbürste schnurgerade in die Luft gestreckt, auf der Jagd nach etwas, das aussah wie eine erdige Kartoffel auf Beinen. Das kaum armlange Wesen ließ seine verhornten kleinen Füße eifrig tapsen, hoppelte quer über den Hof und stürzte sich kopfüber in einen der Gummistiefel, die an der Tür lagen. Harry konnte den Gnomen wie irre giggeln hören, während Krummbein eine Pfote in den Stiefel steckte und nach ihm aushieb. Unterdessen begann es von der anderen Seite des Hauses her laut zu lärmen. Was den Krach verursachte, erkannten sie erst, als sie in den Garten kamen und sahen, daß Bill und Charlie mit gezückten Zauberstäben zwei arg ramponierte alte Tische hoch über dem Rasen fliegen und gegeneinander knallen ließen, um den des Gegners zum Absturz zu bringen. Fred und George feuerten sie an; Ginny lachte und Hermine stand an der Ecke und trat von einem Bein aufs andere, offenbar hin- und hergerissen zwischen Vergnügen und schlechtem Gewissen.

Bills Tisch knallte laut gegen den Charlies und schlug ihm ein Bein weg.

Oben am Haus klapperte etwas und sie sahen, wie Percy aus einem Fenster im zweiten Stock lugte.

»Hört auf damit!«, bellte er.

»Verzeihung, Perce«, sagte Bill grinsend.»Wie steht's mit den Kesselböden?«

»Ganz übel«, sagte Percy verdrießlich und schlug das Fenster zu. Bill und Charlie ließen die Tische im sicheren Gleitflug auf dem Gras landen, dann fügte Bill mit einem Schnippen des Zauberstabs das fehlende Bein wieder an und deckte die Tische von Zauberhand.

Um sieben Uhr ächzten die Tische unter der Last von Töpfen und Tellern, die gefüllt waren mit Mrs Weasleys herrlichen Gerichten, und die neun Weasleys, Harry und Hermine setzten sich und begannen unter dem klaren, tiefblauen Himmel zu essen. Für jemanden, der sich den ganzen Sommer von zunehmend muffiger werdendem Kuchen ernährt hatte, war dies das Paradies, und Harry hörte anfangs lieber zu als zu reden, da er sich an Hühnchen-und-Schinken-Pastete, Salzkartoffeln und Salat gütlich tat.

Am anderen Ende des Tisches erzählte Percy seinem Vater alles über seinen Kesselboden-Bericht.

»Ich hab Mr Crouch gesagt, am Dienstag bin ich fertig«, erklärte Percy mit Nachdruck.»Das ist ein wenig früher, als er erwartet hat, aber ich bin eben immer eine Nasenlänge voraus. Ich glaube, er wird mir dankbar sein, daß ich es in so kurzer Zeit geschafft habe. Immerhin ist bei uns in der Abteilung gerade die Hölle los, bei den ganzen Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft. Wir bekommen einfach nicht die notwendige Unterstützung von der Abteilung für Magische Spiele und Sportarten. Ludo Bagman -«

»Ich mag Ludo«, sagte Mr Weasley sachte.»Er hat uns nämlich die guten Plätze für das Endspiel besorgt. Hab ihm einen kleinen Gefallen getan: sein Bruder, Otto, hatte sich ein kleines Problem eingehandelt – einen Rasenmäher mit übernatürlichen Kräften – und ich hab die Sache gerade gebogen.«

»Oh, Bagman, ganz nett, natürlich«, sagte Percy geringschätzig,»aber wie er jemals Abteilungsleiter werden konnte… wenn ich ihn mit Mr Crouch vergleiche! Ich kann mir bei Mr Crouch einfach nicht vorstellen, daß er einen Mitarbeiter seiner Abteilung verliert und nicht versucht herauszufinden, was mit ihm passiert ist. Ist dir klar, daß Bertha Jorkins jetzt schon seit über einem Monat vermißt wird? Die Frau, die nach Albanien in den Urlaub fuhr und nicht zurückkam?«

»Ja, ich hab Ludo nach ihr gefragt«, sagte Mr. Weasley stirnrunzelnd.»Er meint, Bertha sei schon öfter vermißt worden – obwohl ich zugeben muß, wenn es jemand aus meiner Abteilung wäre, würde ich mir Sorgen machen…«

»Bertha ist ein hoffnungsloser Fall, gewiß«, sagte Percy.»Wie ich höre, wurde sie seit Jahren von Abteilung zu Abteilung geschoben und richtete mehr Schaden als Nutzen an… und trotzdem, Bagman sollte versuchen sie zu finden. Mr Crouch interessiert sich persönlich dafür – sie hat früher bei uns gearbeitet, weißt du, und ich glaube, Mr Crouch war ganz angetan von ihr – aber Bagman lacht immer nur und sagt, sie hätte wahrscheinlich die Landkarte falsch gelesen und sei in Australien statt in Albanien gelandet. Allerdings«, Percy ließ einen gewichtigen Seufzer hören und nahm einen ausgiebigen Schluck vom Holunderblütenwein,»wir haben in der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit genug am Hals und können nicht auch noch Leute aus anderen Abteilungen suchen. Du weißt ja, nach der Weltmeisterschaft müssen wir ein weiteres Großereignis organisieren.«

Er räusperte sich viel sagend und blickte hinüber zum anderen Ende des Tisches, wo Harry, Ron und Hermine saßen.»Du weißt schon, wovon ich rede, Vater.«Er hob leicht die Stimme.»Diese Topsecret-Geschichte.«

Ron rollte mit den Augen und murmelte zu Harry und Hermine gewandt:»Seit er angefangen hat zu arbeiten, will er uns dazu bringen zu fragen, was das für ein Ereignis ist. Wahrscheinlich eine Ausstellung für dickwandige Kessel.«

In der Mitte der Tafel stritt Mrs Weasley mit Bill über seinen Ohrring, den er offenbar erst seit kurzem trug.

»… mit einem fürchterlichen Riesenzahn dran, wirklich, Bill, was sagen sie in der Bank?«

»Mum, keiner in der Bank schert sich einen Pfifferling darum, wie ich mich anziehe, solange ich genug Schätze reinbringe«, sagte Bill geduldig.

»Und dein Haar sieht allmählich aus, mein Lieber«, sagte Mrs Weasley und befingerte liebevoll ihren Zauberstab.»Ich wünschte, du würdest mich mal kurz da ranlassen…«

»Mir gefällt es so«, sagte Ginny, die neben Bill saß.»Du bist so altmodisch, Mum. Außerdem ist es nicht halb so lang wie das von Professor Dumbledore…«

Neben Mrs Weasley unterhielten sich Fred, George und Charlie angeregt über die Weltmeisterschaft.

»Ich tippe auf Irland«, mampfte Charlie mit einem Mund voll Kartoffeln.»Die haben Peru im Halbfinale platt gemacht.«

»Aber Bulgarien hat Viktor Krum«, sagte Fred.

»Krum ist gerade mal ein brauchbarer Spieler, Irland hat sieben«, sagte Charlie schroff.»Wär schön gewesen, wenn England es geschafft hätte. Aber das war peinlich, wirklich sehr peinlich.«

»Was war denn?«, fragte Harry wißbegierig und ärgerte sich mehr denn je, daß er nichts von der Zaubererwelt erfuhr, solange er im Ligusterweg steckte. Harry war ein leidenschaftlicher Quidditch-Spieler. Seit seinem ersten Jahr in Hogwarts machte er den Sucher für das Team seines Hauses, Gryffindor, und er besaß einen der besten Rennbesen der Welt, einen Feuerblitz.

»Sind gegen Transsilvanien untergegangen, dreihundert-neunzig zu zehn«, sagte Charlie trübselig.»War grausam mit anzusehen. Und Wales hat gegen Uganda verloren, und Luxemburg hat Schottland abgeschlachtet.«

Mr Weasley beschwor Kerzen herauf, denn im Garten wurde es allmählich dunkel. Es gab Nachtisch (selbst gemachtes Erdbeereis), und als sie aufgegessen hatten, flatterten Motten tief über den Tisch und der Duft von Gräsern und Geißblatt erfüllte die warme Luft. Harry sah ein paar Gnomen nach, die mit irrem Lachen durch die Rosenbüsche rasten, dicht gefolgt von Krummbein, und fühlte sich so richtig satt und zufrieden mit der Welt.

Ron ließ den Blick über den Tisch schweifen, um sicherzugehen, daß die anderen sich alle eifrig unterhielten, dann sagte er sehr leise zu Harry:»Wie steht's – hast du in letzter Zeit was von Sirius gehört?«

Hermine wandte den Kopf und hörte gespannt zu.

»Jaah«, sagte Harry gedämpft,»zweimal. Er hört sich gut an. Ich hab ihm vorgestern geschrieben. Vielleicht antwortet er noch, während ich hier bin.«

Plötzlich fiel ihm wieder ein, aus welchem Grund er an Sirius geschrieben hatte, und einen Moment lang wollte er Ron und Hermine erzählen, daß seine Narbe wieder schmerzte, und von dem Traum berichten, der ihn aufgeweckt hatte… doch im Grunde wollte er sie jetzt nicht beunruhigen, nicht wenn er selbst sich so glücklich und zufrieden fühlte.

»Schon so spät!«, sagte Mrs Weasley plötzlich mit einem Blick auf ihre Armbanduhr.»Ihr solltet schon längst im Bettsein, die ganze Bande, ihr müßt morgen in aller Frühe aufstehen, damit ihr zum Endspiel kommt. Harry, wenn du mir die Liste mit deinen Schulsachen rauslegst, besorge ich sie dir morgen in der Winkelgasse, ich muß sowieso hin. Nach der Weltmeisterschaft ist vielleicht keine Zeit mehr, das letzte Mal hat das Endspiel fünf Tage gedauert.«

»Uff – diesmal hoffentlich auch!«, sagte Harry ganz begeistert.

»Nun, ich persönlich kann darauf verzichten«, sagte Percy scheinheilig.»Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie mein Eingangskorb aussähe, wenn ich fünf Tage nicht ins Büro ginge.«

»Ja, vielleicht würde wieder jemand Drachenmist reinwerfen, Perce?«, sagte Fred.

»Das war eine Düngerprobe aus Norwegen!«, sagte Percy und lief puterrot an.»Nichts Persönliches!«

»War es doch«, flüsterte Fred Harry zu, als sie sich erhoben.»Wir haben sie geschickt.«

Der Portschlüssel

Harry schien es, als hätte er sich kaum schlafen gelegt, da kam auch schon Mrs Weasley in Rons Zimmer und rüttelte ihn wach.

»Zeit, aufzustehen, mein lieber Harry«, flüsterte sie und ging weiter, um Ron zu wecken.

Harry tastete nach seiner Brille, setzte sie auf und sah sich um. Draußen war es noch dunkel. Ron, den seine Mutter gerade geweckt hatte, murmelte unverständliche Worte. Am Fußende seines Bettes sah Harry zwei große, zerzauste Gestalten aus einem Gewirr von Laken auftauchen.

»Sch-schon Sseit?«, sagte Fred mit verschlafener Stimme.

Zu müde, um viele Worte zu wechseln, zogen sie sich rasch an und stiegen unter Gähnen und Ächzen hinunter in die Küche.

Mrs Weasley stand am Herd und rührte in einem großen Topf, Mr Weasley saß am Tisch und blätterte einen Stapel großer Pergamentkarten durch. Er sah auf, als die Jungen eintraten, und breitete die Arme aus, damit sie seine Kleidung begutachten konnten. Er trug so etwas wie einen Pullunder und eine steinalte Jeans, die, ein wenig zu groß für ihn, mit einem breiten Ledergürtel festgeschnürt war.

»Was haltet ihr davon?«, fragte er erwartungsvoll.»Wir sollen doch inkognito reisen – sehe ich aus wie ein Muggel, Harry?«

»Hmmh«, grinste Harry,»sehr gut.«

»Wo sind denn Bill und Charlie und Per-Per-Percy?«,sagte George und konnte ein abgrundtiefes Gähnen nicht unterdrücken.

»Ach ja, die wollen apparieren«, sagte Mrs Weasley, wuchtete den großen Topf auf den Tisch und schöpfte Haferbrei in die Schalen.»So können sie noch ein wenig ausschlafen.«

Harry wußte, daß Apparieren sehr schwierig war; es bedeutete, von einem Ort zu verschwinden und fast sofort an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

»Die pennen also noch?«, grummelte Fred und zog eine Haferbreischale zu sich her.»Warum können wir nicht auch apparieren?«

»Weil ihr noch nicht alt genug seid und die Prüfung noch nicht abgelegt habt«, fauchte Mrs Weasley.»Und wo sind eigentlich die Mädchen?«

Sie ging hinaus und die anderen hörten, wie sie die Treppe hochstieg.

»Fürs Apparieren ist eine Prüfung nötig?«, fragte Harry.

»O ja«, sagte Mr Weasley und steckte die Karten sorgfältig in die hintere Tasche seiner Jeans.»Die Abteilung für Magischen Personenverkehr mußte vor kurzem einem Pärchen Bußgeld aufbrummen, weil die beiden ohne Erlaubnis appariert sind. Apparieren ist nicht einfach, und wenn man es nicht richtig macht, kann es üble Folgen haben. Das besagte Pärchen hat es doch tatsächlich geschafft, sich zu zersplintern.«

Alle am Tisch außer Harry zuckten zusammen.

»Ähm – zersplintern?«, sagte Harry.

»Sie haben je die Hälfte von sich zurückgelassen«, sagte Mr Weasley, während er Unmengen Sirup über seinen Haferbrei kippte.»Da saßen sie natürlich ganz schön in der Klemme. Konnten weder vor noch zurück. Sie mußten auf das Magische Unfallumkehr-Kommando warten, das sie dann rausgeholt hat. Hieß 'ne Menge Papierkram für mich, kann ich euch sagen, wegen all der Muggel, die über ihre zurückgelassenen Körperteile gestolpert sind…«

Harry überkam die jähe Vorstellung von zwei Beinen und einem Augapfel, die auf dem Bürgersteig des Ligusterwegs herumlagen.

»Haben sie es überstanden?«, fragte er bestürzt.

»O ja«, sagte Mr Weasley gelassen.»Aber 'ne saftige Geldbuße hat es gesetzt, und ich glaube nicht, daß sie es so schnell wieder versuchen. Mit dem Apparieren ist nicht zu spaßen. Es gibt genug erwachsene Zauberer, die dankend darauf verzichten. Nehmen lieber einen Besen – langsamer, aber sicherer.«

»Aber Bill und Charlie und Percy beherrschen es?«

»Charlie mußte die Prüfung zweimal machen«, sagte Fred grinsend.»Das erste Mal ist er durchgefallen. Apparierte acht Kilometer weiter südlich, als er eigentlich wollte, direkt auf dem Kopf von so 'ner armen Oma, die gerade beim Einkaufen war, wißt ihr noch?«

»Tja nun, beim zweiten Mal hat er es jedenfalls geschafft«, sagte Mrs Weasley, die unter herzhaftem Gekicher zurück in die Küche kam.

»Percy hat seine Prüfung erst vor zwei Monaten bestanden«, sagte George.»Seither appariert er jeden Morgen nach hier unten, nur um zu beweisen, daß er es beherrscht.«

Vom Flur her waren Schritte zu hören und Hermine und Ginny kamen in die Küche. Sie sahen blaß und verschlafen aus.

»Warum müssen wir so früh aufstehen?«, sagte Ginny, rieb sich die Augen und setzte sich an den Tisch.

»Wir haben einen kleinen Fußmarsch vor uns«, sagte Mr Weasley.

»Fußmarsch?«, sagte Harry.»Wie bitte, gehen wir etwa zu Fuß zur Weltmeisterschaft?«

»Nein, nein, das ist zu weit weg«, sagte Mr Weasley lächelnd.»Wir müssen nur ein kurzes Stück zu Fuß gehen. Es ist nämlich sehr schwierig, eine große Zahl von Zauberern an einem Ort zu versammeln, ohne daß es den Muggeln auffällt. Wir müssen ohnehin immer vorsichtig sein, und bei einem Riesenereignis wie der Quidditch-Weltmeisterschaft -«

»George!«, sagte Mrs Weasley scharf, und alle schraken zusammen.

»Was ist?«, sagte George in einem Unschuldston, der keinen täuschte.

»Was hast du da in der Tasche?«

»Nichts!«

»Lüg nicht!«

Mrs Weasley richtete den Zauberstab auf Georges Tasche und sagte»Accio!«.

Mehrere kleine, bunte Gegenstände schössen daraus hervor; George versuchte sie einzufangen, sie entwischten ihm jedoch und flogen geradewegs in die ausgestreckte Hand seiner Mutter.

»Wir haben euch doch gesagt, ihr sollt sie unschädlich machen!«, rief Mrs Weasley zornig und hielt offenbar einige weitere Würgzungen-Toffees hoch.»Schafft das Zeug fort, haben wir gesagt! Leert eure Taschen, aber dalli, und zwar beide!«

Es war peinlich mit anzusehen; die Zwillinge hatten offenbar beabsichtigt, möglichst viele Toffeebohnen aus dem Haus zu schmuggeln, und erst mit Hilfe ihres Sammelzaubers schaffte es Mrs Weasley, aller habhaft zu werden.

»Accio! Accio! Accio!«, rief sie, und die Toffeebohnen flogen von überall her auf sie zu, etwa aus dem Futter von Freds Sakko und aus den Aufschlägen von Georges Jeans.

»Wir haben ein halbes Jahr gebraucht, um sie zu entwickeln!«, schrie Fred seine Mutter an, als sie die Toffees wegwarf.

»Ach, ist ja 'ne tolle Art, ein halbes Jahr zu verbringen!«, kreischte sie.»Kein Wunder, daß ihr nicht mehr ZAGs geschafft habt!«

Alles in allem herrschte bei ihrem Aufbruch keine besonders fröhliche Stimmung. Mrs Weasley schaute immer noch finster, als sie ihren Gatten auf die Wange küßte, wenn auch längst nicht so finster wie die Zwillinge, die ihre Rucksäcke schulterten und ohne ein Abschiedswort für sie hinausgingen.

»Dann viel Vergnügen«, sagte Mrs Weasley,»und benehmt euch«, rief sie den Zwillingen nach, die ihr jedoch stur den Rücken kehrten.»Ich schicke Bill, Charlie und Percy gegen Mittag nach«, sagte Mrs Weasley an ihren Mann gewandt, dann gingen er, Harry, Ron, Hermine und Ginny hinaus und folgten Fred und George über den Hof.

Es war recht kühl und der Mond stand noch am Himmel. Nur ein grünlicher Schleier am östlichen Horizont kündigte den kommenden Tag an. Harry dachte an die Tausende von Zauberern, die alle zur Quidditch-Weltmeisterschaft kommen wollten, und beschleunigte seine Schritte, bis er Mr Weasley eingeholt hatte.

»Wie schaffen sie es eigentlich alle, dorthin zu kommen, ohne daß die Muggel es merken?«, fragte er.

»Das war ein gewaltiger Organisationsaufwand«, seufzte Mr Weasley.»Das Problem ist, daß etwa hunderttausend Zauberer zur Quidditch-Weltmeisterschaft kommen und wir einfach kein magisches Gelände haben, das groß genug wäre, um sie alle aufzunehmen. Es gibt Orte, zu denen die Muggel nicht vordringen können, doch stell dir vor, du versuchst hunderttausend Zauberer in der Winkelgasse oder auf dem Bahnsteig neundreiviertel unterzubringen. Deshalb mußten wir ein hübsches, einsames Moor ausfindig machen und möglichst viel Muggelabwehr einrichten. Das ganze Ministerium war monatelang damit beschäftigt. Zunächst mal müssen wir natürlich die Ankunft staffeln. Leute mit billigeren Karten müssen zwei Wochen vor der Zeit kommen. Einige von ihnen kommen mit den Verkehrsmitteln der Muggel, doch allzu viele dürfen natürlich auch nicht ihre Busse und Züge verstopfen – vergiß nicht, daß Zauberer aus der ganzen Welt kommen. Manche apparieren natürlich, aber wir müssen sichere Plätze einrichten, wo sie fern von den Muggeln auftauchen können. Ich glaube, sie haben einen geeigneten Wald gefunden, den sie als Apparationsplatz nutzen. Für alle, die nicht apparieren wollen oder können, verwenden wir Portschlüssel. Das sind Gegenstände, mit denen man Zauberer zu einem vereinbarten Zeitpunkt von einem Punkt zum anderen bringen kann. Wenn nötig, auch große Gruppen. Hundert Portschlüssel wurden an günstig gelegenen Orten in ganz Großbritannien abgelegt, und der für uns nächste liegt oben auf einem Hügel, dem Wieselkopf, und dort gehen wir jetzt hin.«

Mr Weasley deutete in die Ferne, wo sich eine große schwarze Masse über dem Dorf Ottery St. Catchpole erhob.

»Was ist das, ein Portschlüssel?«, fragte Harry wißbegierig.

»Nun, das kann alles Mögliche sein«, sagte Mr Weasley.»Unscheinbare Dinge natürlich, so daß die Muggel sie nicht einfach aufheben und mit ihnen spielen… Sachen, die sie für bloßen Abfall halten…«

Sie stapften den dunklen, feuchten Weg zum Dorf entlang und nur ihre Schritte störten die Stille. Während sie durch das Dorf gingen, erhellte sich der schwarze Himmel allmählich und nahm ein dunkles Blau an. Harrys Hände und Füße waren eiskalt. Mr Weasley blickte immer wieder auf die Uhr.

Keuchend und ohne viele Worte stiegen sie den Wieselkopf hoch, stolperten hin und wieder in ein verstecktes Kaninchenloch oder rutschten auf dicken schwarzen Grashöckern aus. Jeder Atemzug brannte Harry in der Brust, und seine Beine wollten gerade einknicken, als er endlich ein ebenes Stück Erde betrat.

»Puuuhhh«, schnaufte Mr Weasley, nahm die Brille ab und wischte die Gläser an seinem Pullunder trocken.»Immerhin, wir liegen gut in der Zeit – wir haben noch zehn Minuten…«

Hermine kam als Letzte über den Hügelkamm, die Hände mit schmerzverzerrter Miene in die Seite gepreßt.

»Jetzt fehlt uns nur noch der Portschlüssel«, sagte Mr Weasley, setzte die Brille wieder auf und ließ den Blick suchend über die Erde schweifen.»Er wird nicht groß sein… ihr könnt mir helfen…«

Sie verteilten sich über der Hügelkuppe, hatten jedoch erst ein paar Minuten gesucht, als ein Ruf die Stille durchbrach.

»Hier, Arthur! Hierher, alter Junge, wir haben ihn!«

»Amos!«, sagte Mr Weasley, und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Rasch schritt er hinüber zu dem Mann, der gerufen hatte. Die anderen folgten ihm.

Mr Weasley schüttelte die Hand eines Zauberers mit wettergegerbtem Gesicht und braunem Stoppelhaar, der einen verschimmelten alten Stiefel in der anderen Hand hielt.

»Darf ich vorstellen, Amos Diggory«, sagte Mr Weasley.»Arbeitet in der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe. Und ich glaube, ihr kennt seinen Sohn Cedric?«

Cedric Diggory war ein außergewöhnlich hübscher Junge um die siebzehn Jahre. Er war Kapitän und Sucher des Quidditch-Teams der Hufflepuffs in Hogwarts.

»Hallo«, sagte Cedric und blickte in die Runde.

Alle antworteten»Hallo«, außer Fred und George, die nur nickten. Sie hatten Cedric nie ganz verziehen, daß er ihr Gryffindor-Team im ersten Quidditch-Spiel des letzten Jahres geschlagen hatte.

»War 'n langer Fußmarsch, Arthur?«, fragte Cedrics Vater.

»Nicht allzu schlimm«, sagte Mr Weasley.»Wir wohnen nicht weit von hier, auf der anderen Seite des Dorfes dort unten. Und ihr?«

»Wir mußten um zwei aufstehen, nicht wahr, Ced? Ich kann dir sagen, ich bin froh, wenn er seine Prüfung im Apparieren hinter sich hat. Na ja… ich will mich nicht beklagen… die Quidditch-Weltmeisterschaft, die würd ich nicht für einen Sack voll Galleonen verpassen wollen – und die Karten kosten ungefähr so viel. Dabei bin ich noch günstig weggekommen…«Amos Diggory wandte sich mit wohlwollendem Blick den drei Weasley-Jungen, Harry, Hermine und Ginny zu.»Alle von dir, Arthur?«

»O nein, nur die Rotschöpfe«, sagte Mr Weasley und deutete auf seine Kinder.»Das ist Hermine, eine Freundin von Ron – und Harry, auch ein Freund -«

»Beim Barte von Merlin«, sagte Amos Diggory, und seine Augen weiteten sich.»Harry? Harry Potter?«

»Aahm – ja«, sagte Harry.

Harry kannte es schon zur Genüge, daß Leute, die ihn zum ersten Mal trafen, ihn neugierig anstarrten, daß ihr Blick sofort zu der Blitznarbe auf seiner Stirn huschte, doch noch immer fühlte er sich unwohl dabei.

»Ced hat natürlich von dir gesprochen«, sagte Amos Diggory.»Hat mir alles von dem Spiel letztes Jahr gegen euch erzählt… Ich hab ihm gesagt – Ced, das kannst du mal deinen Kindern erzählen, hab ich gesagt… du hast Harry Potter geschlagen!«

Harry wußte nicht, was er darauf antworten sollte, und schwieg. Fred und George sahen schon wieder mißvergnügt drein. Cedric schien ein wenig verlegen.

»Harry ist von seinem Besen gefallen, Dad«, nuschelte er.»Ich hab dir doch gesagt… es war ein Unfall…«

»Ja, aber du bist nicht runtergefallen, nicht wahr?«, dröhnte Amos quietschvergnügt.»Immer so bescheiden, unser Ced, immer ein Ehrenmann… aber der Beste auf dem Platz hat gewonnen, sicher würde Harry das auch sagen, nicht wahr, Harry? Der eine fällt von seinem Besen, der andere bleibt oben, du mußt kein Genie sein, um rauszufinden, wer der bessere Flieger ist!«

»Wir müssen bald los«, warf Mr Weasley rasch ein und zog seine Uhr aus der Tasche.»Weißt du, ob wir noch auf jemanden warten müssen, Amos?«

»Nein, die Lovegoods sind schon seit 'ner Woche da und die Fawcetts haben keine Karten bekommen«, sagte Mr Diggory.»Hier in der Gegend wohnt sonst niemand mehr von uns, oder?«

»Nicht daß ich wüßte«, sagte Mr Weasley.»Ja, wir haben noch eine Minute… machen wir uns bereit…«

Er wandte sich Harry und Hermine zu.»Ihr müßt den Portschlüssel nur berühren, das ist alles, ein Finger reicht -«

Von ihren klobigen Rucksäcken ein wenig behindert traten sie auf den alten Stiefel zu, den Amos Diggory in die Höhe hielt.

Alle neun standen in einem engen Kreis zusammen, als eine kalte Brise über die Hügelkuppe blies. Keiner sprach. Harry fiel plötzlich ein, wie gespenstisch sie für einen Muggel aussehen würden, der zufällig hier auftauchte… neun Menschen, darunter zwei erwachsene Männer, die im Halbdunkel diesen vergammelten alten Gummistiefel berührten und warteten…

»Drei…«, murmelte Mr Weasley mit einem Auge auf der Uhr,»zwei… eins…«

Es passierte sofort: Harry hatte das Gefühl, als ob er an einem Haken direkt hinter seinem Nabel plötzlich mit unwiderstehlicher Gewalt nach vorne gerissen würde. Er hatte den Boden unter den Füßen verloren; er spürte, daß Ron und Hermine Seite an Seite mit ihm flogen und ihre Schultern gegen die seinen schlugen; durch wütende Böen und wirbelnde Farbspiralen rasten sie dahin; sein Zeigefinger klebte an dem Stiefel, als zöge er ihn magnetisch an, und dann -

Harry prallte mit den Füßen auf festen Grund; Ron stolperte und stürzte über Harry; der Portschlüssel schlug mit einem lauten dumpfen Geräusch neben seinem Kopf ein.

Harry blickte auf. Mr Weasley, Mr Diggory und Cedric standen auf den Beinen, sahen jedoch arg zerzaust aus; alle anderen lagen auf der Erde.

»Sieben nach fünf vom Wieselkopf«, sagte eine Stimme.

Bagman und Crouch

Harry befreite sich aus Rons Umklammerung und richtete sich auf. Sie waren auf einem nebelverhangenen Moor gelandet. Vor ihnen standen zwei müde und mißmutig dreinblickende Zauberer, der eine mit einer großen goldenen Uhr in der Hand, der andere mit einer dicken Pergamentrolle und einer Feder. Beide waren wie Muggel gekleidet, allerdings recht ungewöhnlich; der Mann mit der Uhr trug einen Tweed-Anzug mit kniehohen Galoschen, sein Kollege einen Kilt und einen Poncho.

»Morgen, Basil«, sagte Mr Weasley, hob den Stiefel auf und reichte ihn dem Zauberer im Kilt, der ihn in eine große Kiste mit gebrauchten Portschlüsseln warf; Harry konnte eine alte Zeitung erkennen, leere Getränkedosen und einen durchlöcherten Fußball.

»Ach, hallo, Arthur«, sagte Basil matt.»Nicht im Dienst, was? Manche sind fein raus… wir sind schon die ganze Nacht hier… ihr geht jetzt am besten aus dem Weg, wir erwarten um fünf Uhr fünfzehn eine große Gruppe aus dem Schwarzwald. Augenblick mal, ich suche euch Plätze raus… Weasley… Weasley…«Er zog seine Pergamentliste zu Rate.»Gut vierhundert Meter zu Fuß von hier, das erste Feld, auf das ihr stoßt. Der Platzaufseher heißt Mr Roberts. Diggory… zweites Feld… fragen Sie nach Mr Payne.«

»Danke, Basil«, sagte Mr Weasley und winkte den anderen, ihm zu folgen.

Sie machten sich auf den Weg durch das einsame Moor, ohne daß sie durch den dichten Nebel allzu viel sehen konnten. Nach etwa zwanzig Minuten tauchte ein kleines steinernes Haus aus dem Nebel auf. Neben dem Haus sahen sie ein Tor, und dahinter konnten sie die geisterhaften Umrisse Hunderter und Aberhunderter von Zelten erkennen, deren Reihen sich über ein sanft ansteigendes Feld bis zu einem dunklen Wald am Horizont emporzogen. Sie verabschiedeten sich von den Diggorys und gingen auf das Tor neben dem Haus zu.

Ein Mann stand am Torweg und spähte hinüber zu den Zelten. Harry war auf den ersten Blick klar, daß dies der einzige echte Muggel weit und breit war. Er hörte ihre Schritte, wandte sich um und musterte sie.

»Morgen!«, sagte Mr Weasley munter.

»Morgen!«, sagte der Muggel.

»Sie müssen Mr Roberts sein.«

»Genau der bin ich«, sagte Mr Roberts.»Und wer sind Sie?«

»Weasley – zwei Zelte, vor ein paar Tagen gebucht.«

»Alles klar«, sagte Mr Roberts und zog eine an die Tür geheftete Liste zu Rate.»Sie haben einen Platz dort oben am Wald. Nur eine Nacht?«

»Nur eine«, sagte Mr Weasley.

»Dann zahlen Sie sofort?«, fragte Mr Roberts.

»Aah – sofort – natürlich -«, sagte Mr Weasley. Er entfernte sich ein paar Schritte von dem Haus und winkte Harry zu sich her.»Du mußt mir helfen, Harry«, murmelte er, zog eine Rolle Muggelgeld aus der Tasche und fächerte die Scheine auf.»Das hier ist ein – ein – Zehner? Ah ja, jetzt seh ich die kleine Zahl da drauf… dann ist das ein Fünfer?«

»Nein, ein Zwanziger«, berichtigte ihn Harry mit gedämpfter Stimme. Ihm war peinlich bewußt, daß Mr Roberts mit gespitzten Ohren jedes ihrer Worte aufzuschnappen versuchte.

»Ah ja, dann macht das also… ich kenn mich mit diesen kleinen Papierfetzen einfach nicht aus…«

»Sind Sie Ausländer?«, fragte Mr Roberts, als Mr Weasley mit dem richtigen Betrag zurückkam.

»Ausländer?«, wiederholte Mr Weasley verdutzt.

»Sie sind nicht der Erste hier, der Probleme mit dem Geld hat«, sagte Mr Roberts und musterte Mr Weasley scharf.»Erst vor zehn Minuten haben zwei versucht, mich mit Goldmünzen zu bezahlen, die so groß waren wie Radkappen.«

»Was Sie nicht sagen!«, antwortete Mr Weasley zerstreut.

Mr Roberts stöberte in einer Blechdose nach Wechselgeld.

»Noch nie so voll gewesen hier«, sagte er plötzlich und ließ den Blick erneut über das neblige Feld schweifen.»Hunderte Vorausbuchungen. Normalerweise tauchen die Leute hier einfach auf…«

»Stimmt das so?«, fragte Mr Weasley und streckte die Hand nach seinem Wechselgeld aus, doch Mr Roberts gab es ihm nicht.

»Tjaah«, sagte er nachdenklich.»Leute von überall her. 'ne Menge Ausländer. Und nicht nur Ausländer. Spinner, sag ich Ihnen. Da ist so ein Kerl, der in 'nem Kilt und 'nem Poncho rumspaziert.«

»Darf er das nicht?«, fragte Mr Weasley beunruhigt.

»Kommt mir vor wie… weiß nicht… wie 'ne Art Versammlung«, sagte Mr Roberts.»Die scheinen sich alle zu kennen. Vielleicht 'ne Riesenparty.«

In diesem Moment erschien ein Zauberer in Knickerbockern aus dem Nichts neben Mr Roberts' Haustür.

»Obliviate!«, rief er schrill und richtete den Zauberstab gegen Mr Roberts.

Mr Roberts fing auf der Stelle an zu schielen, seine Stirn glättete sich und ein Ausdruck träumerischen Gleichmuts trat auf sein Gesicht. Wie Harry wußte, sah so ein Mensch aus, dessen Gedächtnis gerade verändert wurde.

»Eine Karte des Campingplatzes für Sie«, sagte Mr Roberts in aller Gelassenheit zu Mr Weasley.»Und Ihr Wechselgeld.«

»Vielen Dank«, sagte Mr Weasley.

Der Zauberer in den Knickerbockern begleitete sie zum Tor des Zeltplatzes. Er sah erschöpft aus; sein stoppeliges Kinn schimmerte bläulich, und dunkelrote Schatten lagen unter seinen Augen. Sobald Mr Roberts sie nicht mehr hören konnte, murmelte er Mr Weasley zu:»Hatte eine Menge Ärger mit ihm. Braucht zehnmal am Tag einen Gedächtniszauber, damit er bei Laune bleibt. Und Ludo Bagman rührt keinen Finger. Schlendert herum, hält den Leuten Vorträge über Klatscher und Quaffel und schert sich nicht im Geringsten um die Muggelabwehr. Meine Nerven, bin ich froh, wenn das hier vorbei ist. Bis später, Arthur.«

Er disapparierte.

»Ich dachte, Mr Bagman sei Chef der Abteilung für Magische Spiele und Sportarten?«, sagte Ginny mit überraschter Miene.»Er sollte doch wissen, daß man in der Nähe von Muggeln nicht über Klatscher reden darf, oder?«

»Das sollte er«, antwortete Mr Weasley lächelnd und führte sie durch das Tor auf den Zeltplatz,»aber Ludo war schon immer ein wenig… nun ja… lax in Sicherheitsfragen. Aber einen Chef für die Sportabteilung, der mit mehr Begeisterung dabei ist, gibt es einfach nicht. Er selbst hat Quidditch für England gespielt, mußt du wissen. Und er war der beste Treiber, den die Wimbourner Wespen je hatten.«

Sie wanderten die langen Zeltreihen entlang über das nebelverhangene Feld. Die meisten Zelte sahen ganz gewöhnlich aus; ihre Besitzer hatten sie offenbar ganz nach Muggelart gestalten wollen, hin und wieder jedoch ein wenig danebengegriffen und sie mit Kaminen, Klingelzügen oder Wetterfahnen ausstaffiert. Allerdings gab es hie und da ein Zelt, das so offensichtlich magisch war, daß Harry sich nicht über Mr Roberts' Mißtrauen wunderte. Auf halbem Weg die Anhöhe hinauf stand ein extravagantes Zelt aus gestreifter Seide, das mit seinen am Eingang angepflockten Pfauen wie ein kleiner Palast wirkte. Ein wenig weiter kamen sie an einem Zelt vorbei, das drei Stockwerke und mehrere Türmchen hatte; und kurz dahinter stand ein Zelt mit angehängtem Vorgarten, komplett mit Vogelbad, Sonnenuhr und Brunnen.

»Immer dasselbe«, sagte Mr Weasley lächelnd,»wir können es einfach nicht lassen, ein wenig zu prahlen, wenn wir zusammenkommen. Aha, wir sind da, seht, das ist unser Platz.«

Sie waren oben am Waldrand angelangt und hier fanden sie ihren Platz; auf einem kleinen, in die Erde gesteckten Schild stand»Weezly«geschrieben.

»Was Besseres hätten wir nicht kriegen können!«, sagte Mr Weasley glücklich.»Das Spielfeld liegt auf der anderen Seite dieses Waldes, näher geht's nicht.«Er ließ den Rucksack zur Erde gleiten.»Hört mal«, sagte er aufgeregt,»eigentlich ist keine Zauberei erlaubt, wenn wir in so großer Zahl auf Muggelland sind. Wir bauen diese Zelte von Hand auf! Sollte nicht allzu schwer sein. Die Muggel tun es ständig… Harry, schau dir das mal an, was meinst du, wo wir anfangen sollen?«

Harry hatte noch nie gezeltet; die Dursleys hatten ihn in all den Jahren nicht in den Urlaub mitgenommen und ihn lieber bei Mrs Figg, einer alten Nachbarin, abgeladen. Doch gemeinsam mit Hermine fand er heraus, wo die meisten der Stangen und Heringe hingehörten, und obwohl Mr Weasley eher hinderlich denn hilfreich war, weil er richtig aus dem Häuschen geriet, als er den Holzhammer benutzen durfte, hatten sie schließlich ein Paar abgenutzte Zweimannzelte vor sich stehen.

Sie traten einige Schritte zurück, um ihrer Hände Werk zu bewundern. Keiner, der diese Zelte ansah, würde auf den Gedanken kommen, sie gehörten Zauberern, überlegte Harry, doch das Problem war, daß sie mit Bill, Charlie und Percy zu zehnt sein würden. Auch Hermine schien sich zu wundern; sie warf Harry einen fragenden Blick zu, während Mr Weasley auf allen vieren ins erste Zelt kroch.

»Wird ein bißchen eng hier«, rief er nach draußen,»aber ich glaube, wir passen alle rein. Kommt und schaut.«

Harry bückte sich, kroch durch die Zeltluke und riß den Mund auf. Er befand sich in einer altmodisch möblierten Wohnung mit drei Zimmern, samt Bad und Küche. Seltsamerweise war die Wohnung genauso eingerichtet wie die von Mrs Figg; die bunt zusammengewürfelten Sessel waren mit Häkeldeckchen drapiert und es roch stark nach Katze.

»Macht nichts, es ist ja nicht für lange«, sagte Mr Weasley, rieb seine kahle Stelle mit dem Taschentuch und musterte die vier Bettkojen im Schlafzimmer.»Ich hab mir das Zelt von Mrs Perkins aus dem Büro geliehen. Sie zeltet nur noch selten, die Arme, seit sie Hexenschuß hat.«

Er griff nach dem staubigen Kessel und spähte hinein.»Wir brauchen Wasser…«

»Auf der Karte, die uns der Muggel gegeben hat, ist ein Wasserhahn eingezeichnet«, sagte Ron, der Harry ins Innere des Zeltes gefolgt war und von dessen erstaunlicher Geräumigkeit überhaupt nicht beeindruckt schien.»Auf der anderen Seite des Zeltplatzes.«

»Schön, wie war's also, wenn du, Harry und Hermine uns ein wenig Wasser holt -«, Mr Weasley reichte ihnen den Kessel und ein paar Töpfe,»- und wir anderen besorgen im Wald ein bißchen Feuerholz.«

»Aber wir haben doch einen Ofen«, sagte Ron,»warum können wir nicht einfach -«

»Muggelabwehr, Ron!«, sagte Mr Weasley, und sein Gesicht glänzte voller Vorfreude.»Wenn echte Muggel campen, kochen sie an Feuern unter freiem Himmel, das hab ich selbst gesehen!«

Nach einem kurzen Besuch im Mädchenzelt, das ein wenig kleiner als das der Jungen war, allerdings nicht nach Katze roch, machten sich Harry, Ron und Hermine mit Kessel und Töpfen auf den Weg über den Zeltplatz.

Die Sonne war aufgegangen und der Nebel lichtete sich, und nun konnten sie die Zeltstadt sehen, die sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Gemächlich schlenderten sie durch die Zeltreihen und sahen sich neugierig um. Allmählich dämmerte es Harry, wie viele Hexen und Zauberer es auf der ganzen Welt geben mußte; an die in den anderen Ländern hatte er bisher kaum gedacht.

Nach und nach erwachten ihre Mitcamper. Als Erste regten sich die Familien mit kleinen Kindern; Harry hatte noch nie so junge Hexen und Zauberer gesehen. Ein kleiner Junge, nicht älter als zwei, kauerte vor einem pyramidenförmigen Zelt, hielt einen Zauberstab in der Hand und stocherte munter nach einer Schnecke im Gras, die langsam auf die Größe einer Salami anschwoll. Als sie neben dem Kleinen standen, kam seine Mutter aus dem Zelt gestürmt.

»Wie oft soll ich es dir noch sagen, Kevin? Rühr – Dad-dys – Zauberstab – nicht – an – uuhhtsch!«

Die Riesenschnecke war geplatzt, nachdem die Mutter auf sie getreten war. In der ruhigen Morgenluft hörten sie noch lange ihr Geschimpfe, vermischt mit den Rufen des Kleinen -»Du Schnecke puttmacht, Schnecke puttmacht!«

Ein Stück weiter sahen sie zwei kleine Hexen, kaum älter als Kevin, auf Spielzeugbesen reiten, die sie gerade hoch genug trugen, um ihre Füße über den taunassen Rasen gleiten zu lassen. Schon hatte ein Ministeriumszauberer die Kinder ins Visier genommen; als er an Harry, Ron und Hermine vorbeihastete, hörten sie ihn gereizt murmeln:»Am hellichten Tag! Die Eltern schlafen wohl bis in die Puppen -«

Hie und da erschienen erwachsene Zauberer und Hexen vor ihren Zelten und begannen ihr Frühstück zu bereiten. Manche sahen sich verstohlen um und beschworen dann Feuer mit ihren Zauberstäben herauf, andere versuchten es zweifelnden Blickes mit Streichhölzern. Drei afrikanische Zauberer saßen auf der Erde und waren in ein ernstes Gespräch vertieft, alle trugen lange weiße Umhänge und rösteten offenbar einen Hasen über einem purpurroten Feuer. Eine Gruppe amerikanischer Hexen mittleren Alters saß glücklich schwatzend unter einem Sternenbanner mit der Aufschrift Hexeninstitut von Salem. Im Vorbeigehen fing Harry Gesprächsfetzen in fremden Sprachen auf, die aus den Zelten drangen, und obwohl er kein einziges Wort verstand, war die Vorfreude am Tonfall zu spüren.

»Ahm – stimmt was nicht mit meinen Augen, oder ist hier alles grün geworden?«, sagte Ron.

Es lag nicht an Rons Augen. Sie waren zwischen ein paar Zelte geraten, die alle dicht mit Feldklee bedeckt waren, so als wären kleine, merkwürdig geformte Hügel aus der Erde gewachsen. Wo die Zeltluken geöffnet waren, konnten sie das eine oder andere grinsende Gesicht im Innern erkennen. Dann rief jemand hinter ihnen ihre Namen.

»Harry! Ron! Hermine!«

Es war Seamus Finnigan aus dem Gryffindor-Haus von Hogwarts, der jetzt mit ihnen in die vierte Klasse kam. Er saß vor einem kleebedeckten Zelt neben einer rotblonden Frau, offenbar seiner Mutter, und seinem besten Freund Dean Thomas, ebenfalls aus Gryffindor.

»Gefällt euch die Dekoration?«, fragte Seamus grinsend, als Harry, Ron und Hermine näher getreten waren und sie begrüßt hatten.»Das Ministerium ist nicht sonderlich begeistert.«

»Aach, warum sollten wir unsere Farben nicht zeigen?«, sagte Mrs Finnigan.»Ihr solltet sehen, was die Bulgaren alles an ihren Zelten hängen haben. Ihr seid natürlich für Irland?«, setzte sie hinzu und musterte Harry, Ron und Hermine mit ihren Perlaugen.

Sie versicherten ihr hoch und heilig, sie seien Irland-Fans, dann brachen sie wieder auf.»Als ob wir was anderes sagen würden, wenn wir von einem Haufen Iren umgeben sind«, meinte Ron nebenbei.

»Was die Bulgaren wohl an ihren Zelten hängen haben?«, fragte Hermine.

»Gehen wir hin und schauen nach«, sagte Harry und deutete auf eine große Gruppe Zelte ein Stück weiter oben, wo die bulgarische Flagge weiß, grün und rot in der Brise flatterte.

Die Zelte hier waren nicht mit Pflanzen geschmückt, doch an jedem einzelnen hing das gleiche Poster, ein Poster von einem sehr bärbeißigen Gesicht mit dichten schwarzen Augenbrauen. Natürlich bewegte sich das Gesicht, doch es schaute finster drein und die Augen blinzelten nur.

»Kram«, sagte Ron leise.

»Was?«, sagte Hermine.

»Krum!«, sagte Ron.»Viktor Kram, der bulgarische Sucher!«

»Sieht ziemlich mürrisch aus«, sagte Hermine und ließ ihren Blick über die vielen Krams schweifen, die böse blinzelnd auf sie herabsahen.

»Ziemlich mürrisch?«Ron schaute gen Himmel.»Wen kümmert es, wie er aussieht? Er ist phantastisch. Und noch ganz jung. Erst achtzehn, glaub ich. Er ist ein Genie, wartet nur, heute Abend seht ihr's selbst.«

Beim Wasserhahn an einer Ecke des Zeltplatzes hatte sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Harry, Ron und Hermine reihten sich hinter zwei Männern ein, die erhitzt miteinander stritten. Der eine war ein steinalter Zauberer in einem langen Nachthemd mit Blümchenmuster. Der andere war offensichtlich ein Ministeriumszauberer; er hielt eine Nadelstreifenhose in Händen und war so entnervt, daß er fast weinte.

»Zieh sie doch an, Archie, ich bitte dich, so kannst du doch nicht rumlaufen, der Muggel am Tor wird schon ziemlich mißtrauisch -«

»Das hab ich in einem Muggelladen gekauft«, sagte der alte Zauberer stur.»Muggel tragen so was auch.«

»Muggelfrauen, Archie, nicht die -manner, die tragen so was«, sagte der Ministeriumszauberer und fuchtelte mit der Nadelstreifenhose vor Archies Nase herum.

»Die zieh ich nicht an«, sagte der alte Archie entrüstet.»Ich mag 'n frisches Lüftchen untenrum, danke.«

Ein Kicheranfall packte Hermine und schüttelte sie so heftig, daß sie sich aus der Schlange wegducken mußte und erst wieder zurückkehrte, als Archie sein Wasser geholt hatte und verschwunden war.

Etwas gemächlicher, da sie Wasser schleppten, machten sie sich auf den Rückweg durch das Zeltlager. Hie und da sahen sie weitere bekannte Gesichter: andere Hogwarts-Schüler mit ihren Familien. Oliver Wood, der frühere Kapitän von Harrys Quidditch-Team, der sein letztes Jahr in Hogwarts hinter sich hatte, zog Harry hinüber zum Zelt seiner Eltern, um ihn vorzustellen, und erzählte ihm aufgeregt, daß er gerade von Eintracht Pfützensee als Reservespieler verpflichtet worden war. Als Nächstes wurden sie lauthals von Ernie Macmillan begrüßt, einem Viertkläßler aus Hufflepuff, und ein paar Schritte weiter sahen sie Cho Chang, ein sehr hübsches Mädchen, das im Ravenclaw-Team Sucherin spielte. Sie winkte und lächelte Harry zu, der beim Zurückwinken eine Menge Wasser über seine Hose schüttete. Vor allem, um Ron das Grinsen zu verleiden, deutete er auf eine Gruppe Teenager, die er noch nie gesehen hatte.

»Was sind das wohl für Leute?«, sagte er.»Sie gehen nicht nach Hogwarts, oder?«

»Ich glaub, die gehen auf irgendeine ausländische Schule«, sagte Ron.»Ich weiß jedenfalls, daß es noch andere Schulen gibt, hab aber noch nie jemanden davon kennen gelernt. Bill hatte eine Brieffreundin auf einer Schule in Brasilien… das ist schon ewig lange her… und er wollte mal als Austauschschüler dorthin, aber Mum und Dad konnten es sich nicht leisten. Seine Brieffreundin war schwer sauer, als er absagte, und hat ihm einen verhexten Hut geschickt, der seine Ohren schrumpeln ließ.«

Harry lachte, verschwieg jedoch, wie spannend er es fand, daß es noch andere Zaubererschulen gab. Nun, da er so viele Länder auf dem Zeltplatz vertreten sah, kam er sich etwas dumm vor, nie daran gedacht zu haben, daß Hogwarts nicht die einzige Schule sein konnte. Er warf Hermine einen Seitenblick zu, doch sie schien von der Neuigkeit keineswegs überrascht zu sein. Sicher hatte sie in irgendeinem Buch etwas über andere Zaubererschulen gelesen.

»Ihr habt ja ewig gebraucht«, sagte George, als sie endlich wieder bei den Weasley-Zelten anlangten.

»Haben ein paar Bekannte getroffen«, sagte Ron und stellte seinen Wassertopf ab.»Und ihr habt immer noch kein Feuer gemacht?«

»Dad treibt so seine Spaße mit den Streichhölzern«, sagte Fred.

Mr Weasley gelang es nicht, ein Feuer zu entfachen, doch an Versuchen ließ er es nicht mangeln. Der Boden zu seinen Füßen war übersät mit zersplitterten Streichhölzern, doch Mr Weasley schien mit kindlichem Vergnügen bei der Sache zu sein.

»Uuuhps!«, stieß er aus, als er es schaffte, ein Streichholz zu entzünden, und vor Überraschung ließ er es prompt fallen.

»Lassen Sie mich mal, Mr Weasley«, sagte Hermine freundlich, nahm ihm die Zündholzschachtel aus der Hand und zeigte ihm, wie man es richtig machte.

Schließlich brannte das Feuer, auch wenn es noch mindestens eine Stunde dauerte, bis es groß genug war, um darauf etwas zu kochen. Beim Warten gab es jedoch eine Menge zu sehen. Ihr Zelt schien gleich an einem Fußweg zum Spielfeld zu liegen, und Leute aus dem Ministerium schritten hastig hin und her und grüßten Mr Weasley im Vorbeigehen höflich. Mr Weasley spielte unterdessen den Laufkommentator, vor allem für Harry und Hermine; seine eigenen Kinder wußten genug über das Ministerium und waren nicht übermäßig interessiert.

»Das war Knutbert Mockridge, Chef des Kobold-Verbindungsbüros… hier kommt Wilbert Gimpel von der Arbeitsgruppe für Experimentelles Zaubern, diese Hörner hat er jetzt schon seit einiger Zeit… Hallo, Arnie… Arnold Friedlich… ein Vergissmich – so nennen wir die Leute vom Magischen Unfallumkehr-Kommando – und das sind Bode und Croaker… sie sind Unsägliche…«

»Bitte was?«

»Von der Mysteriumsabteilung, alles streng geheim, keine Ahnung, was die so treiben…«

Endlich brannte das Feuer richtig und sie hatten gerade begonnen, Eier und Würste zu braten, als Bill, Charlie und Percy zwischen den Bäumen hervorkamen und ans Zelt traten.

»Eben mal kurz appariert, Dad«, sagte Percy unüberhörbar.»Aah, Mittagessen, trifft sich gut!«

Sie hatten ihre Teller mit Eiern und Würsten schon halb geleert, als Mr Weasley plötzlich aufsprang und lächelnd einem Mann winkte, der auf sie zugeschritten kam.»Aha!«, sagte Mr Weasley.»Der Mann der Stunde! Ludo!«

Ludo Bagman war mit Abstand der auffälligste von allen Zauberern, die Harry bisher gesehen hatte, er ließ selbst den alten Archie mit seinem geblümten Nachthemd blaß aussehen. Er trug einen langen Quidditch-Umhang mit breiten hellgelben und schwarzen Querstreifen. Das riesige Bild einer Wespe prangte auf seiner Brust. Er machte den Eindruck eines kräftig gebauten Mannes, der ein wenig in die Jahre gekommen war; der Umhang bauschte sich über seinem dicken Bauch, den er in seiner Zeit als Quidditch-Spieler für England gewiß noch nicht gehabt hatte. Ludos Nase war gebrochen (vermutlich von einem verirrten Klatscher, dachte Harry), doch seine runden blauen Augen, sein kurzes blondes Haar und sein rosiges Gesicht ließen ihn aussehen wie einen zu groß gewachsenen Schuljungen.

»Ahoi!«, rief Bagman munter. Er schritt einher, als hätte er Federn unter den Sohlen, und war offensichtlich in einem höchst euphorischen Zustand.»Arthur, altes Haus«, keuchte er, als er vor dem Lagerfeuer stand,»was für ein Tag! Was für ein Tag! Schöneres Wetter hätten wir uns nicht wünschen können! Heute Nacht bleibt's klar… und bei den Vorbereitungen läuft fast alles wie am Schnürchen… weiß gar nicht, was ich groß tun soll!«

Hinter ihm eilten ein paar ausgezehrt wirkende Ministeriumszauberer vorbei und deuteten in die Ferne, wo violette Funken zehn Meter in die Höhe stoben und auf eine Art magisches Feuer schließen ließen.

Percy sprang sofort auf die Beine und streckte die Hand aus. Offensichtlich hinderte ihn seine Mißbilligung der Art und Weise, wie Ludo Bagman seine Abteilung leitete, nicht daran, bei ihm Eindruck schinden zu wollen.

»Ah – ja«, sagte Mr Weasley grinsend,»das ist mein Sohn Percy, er hat gerade im Ministerium angefangen – und das ist Fred – nein, George, tut mir Leid – das ist Fred – Bill, Charlie, Ron – meine Tochter Ginny – und Rons Freunde Hermine Granger und Harry Potter.«

Bagman stutzte bei Harrys Namen fast unmerklich und seine Augen huschten, wie Harry es schon kannte, über die Narbe auf seiner Stirn.

»Darf ich vorstellen«, fuhr Mr Weasley fort,»Ludo Bagman, ihr wißt ja, wer er ist, ihm haben wir die guten Plätze zu verdanken -«

Bagman strahlte und winkte ab, als handele es sich um eine Selbstverständlichkeit.

»Kleine Wette ums Spiel gefällig, Arthur?«, sagte er beflissen und klimperte mit einer offenbar großen Menge Goldmünzen in den Taschen seines gelbschwarzen Umhangs.»Roddy Pontner ist schon dabei, hat auf Bulgarien gesetzt -hab ihm hübsche Quoten angeboten, wenn ich bedenke, daß die drei irischen Spitzen die stärksten sind, die ich seit Jahren gesehen habe – und die kleine Agatha Timms hat die Hälfte ihrer Eulenfarm auf ein wochenlanges Spiel gesetzt.«

»Aach… laß mal gut sein«, sagte Mr Weasley.»Wie war's mit… sagen wir, einer Galleone auf den Sieg von Irland?«

»Eine Galleone?«Ludo Bagman wirkte ein wenig enttäuscht, faßte sich jedoch rasch wieder.»Sehr schön, sehr schön… will noch jemand setzen?«

»Sie sind noch ein wenig jung fürs Wetten«, sagte Mr Weasley.»Molly würde das gar nicht gern -«

»Wir wetten siebenunddreißig Galleonen, fünfzehn Sickel, drei Knuts«, sagte Fred, der auf die Schnelle all sein Geld mit dem von George zusammengeworfen hatte,»daß Irland gewinnt – aber Viktor Kram den Schnatz fängt. Oh, und wir legen noch einen Juxzauberstab drauf.«

»Ihr wollt doch Mr Bagman nicht mit solchem Krempel belästigen -«, zischte Percy, doch Bagman schien offenbar nicht zu denken, der Zauberstab sei Krempel; im Gegenteil, sein jungenhaftes Gesicht strahlte vor Begeisterung, als er ihn aus Freds Hand nahm, und als der Zauberstab ein lautes Gackern hören ließ und sich in ein Gummihuhn verwandelte, brüllte Bagman vor Lachen.

»Hervorragend! So 'nen tollen Juxstab hab ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen! Für den würd ich fünf Galleonen hinlegen!«

Percy erstarrte, bestürzt und entrüstet.

»Jungs«, nuschelte Mr Weasley,»ich will nicht, daß ihr wettet… das sind eure ganzen Ersparnisse… eure Mutter -«

»Sei kein Spielverderber, Arthur!«, dröhnte Ludo Bagman und klimperte erregt mit seinem Tascheninhalt.»Sie sind alt genug, um zu wissen, was sie wollen! Ihr glaubt, Irland gewinnt, aber Krum fängt den Schnatz? Nie und nimmer, Jungs, nie und nimmer… Ich biete euch 'ne sagenhafte Quote dafür… und noch fünf Galleonen für den Juxzauberstab dazu, nicht wahr…«

Mr Weasley sah hilflos zu, wie Ludo Bagman ein Notizbuch und eine Feder zückte und die Namen der Zwillinge notierte.

»Alles klar«, sagte George, nahm den Pergamentzettel von Bagman entgegen und steckte ihn in die vordere Jackentasche.

Glänzend gelaunt wandte sich Bagman nun wieder Mr Weasley zu.»Hast du vielleicht etwas zu trinken für mich? Ich bin auf der Suche nach Barty Crouch. Mein bulgarischer Partner macht Schwierigkeiten, und ich versteh kein Wort von dem, was er sagt. Barty kann das sicher regeln. Er spricht ungefähr hundertfünfzig Sprachen.«

»Mr Crouch?«, sagte Percy, und mit einem Schlag belebte sich seine mißbilligende Miene und er hechelte geradezu vor Aufregung.»Er spricht über zweihundert Sprachen! Nixisch und Beamtenchinesisch und Troll…«

»Jeder kann Troll«, sagte Fred geringschätzig,»man muß nur fuchteln und grunzen.«

Percy warf Fred einen äußerst gehässigen Blick zu und stocherte energisch im Feuer, um das Wasser im Kessel wieder zum Kochen zu bringen.

»Was Neues von Bertha Jorkins, Ludo?«, fragte Mr Weasley, als Bagman sich auf dem Gras neben ihnen niederließ.

»Keine Spur«, sagte Bagman unbeschwert.»Aber die wird schon wieder auftauchen. Arme alte Bertha… Gedächtnis wie ein undichter Kessel und null Orientierungssinn. Hat sich verflogen, da wette ich mit dir. Irgendwann im Oktober spaziert sie wieder ins Büro und denkt, es sei immer noch Juli.«

»Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, jemanden nach ihr suchen zu lassen?«, mahnte Mr Weasley vorsichtig, während Percy Bagman den Tee reichte.

»Barty Crouch redet auch immer davon«, sagte Bagman, und seine runden Augen weiteten sich in Unschuldsmanier,»aber im Augenblick können wir wirklich keinen entbehren. Oh – wenn man vom Teufel spricht! Barty!«

Ein Zauberer war gerade an ihrem Lagerfeuer appariert, und er hätte keinen größeren Gegensatz zu Ludo Bagman bilden können, der sich in seinem alten Wespenumhang im Gras fläzte. Barty Crouch war ein steif aufgerichteter älterer Herr in einem tadellos sitzenden Anzug mit Krawatte. Der Scheitel seines kurzen grauen Haares war fast unnatürlich gerade und sein schmaler Oberlippenbart sah aus, als würde er ihn mit dem Lineal stutzen. Seine Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Harry war sofort klar, warum Percy ihn vergötterte. Percy glaubte fest an die strenge Einhaltung von Vorschriften, und Mr Crouch hatte die Vorschrift, Muggelkleidung anzuziehen, so gründlich befolgt, daß er als Filialleiter einer Bank hätte durchgehen können. Harry war sich nicht sicher, ob selbst Onkel Vernon ihn durchschaut hätte.

»Setz dich ein wenig zu mir, Barty«, sagte Ludo strahlend und strich über das Gras.

»Nein danke, Ludo«, sagte Crouch, und eine Spur Ungeduld lag in seiner Stimme.»Ich hab dich überall gesucht. Die Bulgaren bestehen darauf, daß wir noch zwölf Sitze in der oberen Loge anbringen.«

»Darauf sind die also aus?«, sagte Bagman.»Ich dachte, der Typ wollte sich 'ne Pinzette ausleihen. Ziemlich starker Akzent.«

»Mr Crouch!«, sagte Percy atemlos und versank in eine Art halbe Verbeugung, bei der er wirkte wie ein Buckliger.»Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee?«

»Oh«, sagte Mr Crouch und warf Percy einen milde überraschten Blick zu.»Ja – sehr aufmerksam, Weatherby.«

Fred und George prusteten in ihre Tassen. Percy, ganz rosa um die Ohren, machte sich eifrig am Kessel zu schaffen.

»Ach, und Sie würde ich auch gern kurz sprechen, Arthur«, sagte Mr Crouch und ließ seine scharfen Augen auf Mr Weasley ruhen.»Ali Bashir ist auf dem Kriegspfad. Er will ein Wörtchen mit Ihnen reden wegen Ihres Einfuhrverbots für fliegende Teppiche.«

Mr Weasley tat einen tiefen Seufzer.»Deswegen habe ich ihm doch schon vor einer Woche eine Eule geschickt. Ich hab's ihm einmal gesagt, ich hab's ihm hundertmal gesagt: Teppiche gelten gemäß der Liste Verbotener verhexbarer Gegenstände als Muggelartefakte, aber er will einfach nicht hören.«

»Da könnten Sie Recht haben«, sagte Mr Crouch und nahm eine Tasse Tee von Percy entgegen.»Er will diese Teppiche hier unbedingt einführen.«

»Nun ja, in Großbritannien werden sie die Besen nie verdrängen, oder?«, sagte Bagman.

»Ali glaubt, es gibt eine Marktnische für ein Familienfahrzeug«, sagte Mr Crouch.»Ich weiß noch, mein Vater hatte einen alten Perser, auf dem zwölf Personen Platz hatten – aber das war natürlich vor dem Verbot von Teppichen.«

Er sprach, als ob er niemanden darüber im Zweifel lassen wollte, daß all seine Vorfahren das Gesetz strikt befolgt hatten.

»Wie geht's sonst, Barty, viel zu tun?«, sagte Bagman gelassen.

»Ziemlich«, sagte Mr Crouch trocken.»Portschlüssel auf fünf Kontinente zu verteilen ist keine Kleinigkeit, Ludo.«

»Ich denke, dann sind Sie beide froh, wenn das hier vorbei ist?«, sagte Mr Weasley.

Ludo Bagman wirkte schockiert.»Froh! Ich weiß nicht, wann ich mehr Spaß hatte… immerhin, es ist ja nicht so, daß wir uns auf nichts anderes freuen könnten, oder, Barty? He? Bleibt noch viel zu organisieren, nicht wahr?«

Mr Crouch sah Bagman mit hochgezogenen Brauen an.»Wir haben uns doch geeinigt, nichts zu sagen, bevor nicht alle Einzelheiten -«

»Aah, Einzelheiten!«, sagte Bagman und verscheuchte das Wort mit einer Handbewegung wie einen Mückenschwarm.»Sie haben unterschrieben, oder? Sie haben zugestimmt? Ich wette mit dir, diese Kinder hier werden es ohnehin bald erfahren. Immerhin findet es in Hogwarts statt -«

»Ludo, wir müssen zu den Bulgaren, das weißt du doch«, sagte Mr Crouch, um Bagman abzuwürgen.»Danke für den Tee, Weatherby.«

Er schob seine unberührte Tasse Percy zu und wartete darauf, daß Ludo sich erhob: Bagman rappelte sich hoch, schluckte den Rest Tee und ließ das Gold in seinen Taschen fröhlich klimpern.

»Wir sehen uns später!«, sagte er in die Runde.»Ihr seid bei mir oben in der Ehrenloge – ich kommentiere das Spiel!«Er winkte, Barty Crouch nickte knapp und die beiden disapparierten.

»Was soll denn in Hogwarts stattfinden, Dad?«, fragte Fred auf der Stelle.»Worüber haben die gesprochen?«

»Das wirst du noch früh genug erfahren«, sagte Mr Weasley lächelnd.

»Es handelt sich so lange um eine geheime Information, bis das Ministerium beschließt, sie freizugeben«, sagte Percy steif.»Mr Crouch hatte vollkommen Recht, sie nicht preiszugeben.«

»Aaach, hält's Maul, Weatherby«, sagte Fred.

Der Nachmittag verging, und allmählich stieg die Spannung und breitete sich wie eine Wolke über dem Zeltplatz aus. Als es dämmerte, schien selbst die stille Sommerluft vor Vorfreude zu vibrieren, und als sich die Dunkelheit wie ein Vorhang über Tausende von wartenden Zauberern legte, fiel aller falsche Anschein in sich zusammen: das Ministerium beugte sich dem Unvermeidlichen und wehrte sich nicht mehr gegen die sich offensichtlich in Windeseile ausbreitende Magie.

An allen Ecken und Enden des Zeltplatzes apparierten Verkäufer mit Körben und Karren voll außergewöhnlicher Waren. Es gab leuchtende Rosetten – grün für Irland, rot für Bulgarien -, welche in kreischendem Ton die Namen der Spieler ausriefen, grüne Spitzhüte, die mit tanzenden Kleeblättern geschmückt waren, bulgarische Schals, mit wirklichen brüllenden Löwen verziert, Flaggen aus beiden Ländern, die ihre Nationalhymnen spielten, wenn man mit ihnen wedelte; kleine Modelle von Feuerblitzen, die tatsächlich flogen, und Sammelfiguren von berühmten Spielern, die einem mit stolzgeschwellter Brust über die Hand spazierten.

»Dafür hab ich den ganzen Sommer über mein Taschengeld gespart«, sagte Ron zu Harry gewandt, während sie mit Hermine durch die Reihen der Verkäufer schlenderten und Andenken kauften. Zwar kaufte sich Ron einen Hut mit tanzenden Kleeblättern und eine große grüne Rosette, doch auch eine kleine Nachbildung von Viktor Krum, dem bulgarischen Sucher. Der Mini-Krum ging auf Rons Hand hin und her und warf finstere Blicke auf die grüne Rosette über ihm.

»Irre, schau dir die an!«, sagte Harry und rannte hinüber zu einem Marktkarren, auf dem stapelweise Messingferngläser lagen, die allerdings mit vielerlei merkwürdigen Knöpfen und Zifferblättern versehen waren.

»Omnigläser«, sagte der Verkaufsmagier beflissen.»Man kann das Gesehene wiederholen… alles verlangsamen… und sie zeigen dir einen Kurzkommentar zu allen Spielzügen, wenn du ihn brauchst. Schnäppchenpreis – zehn Galleonen das Stück.«

»Hätt ich nur nicht den Kram hier gekauft«, maulte Ron, deutete auf seinen Hut mit dem tanzenden Klee und betrachtete dabei sehnsüchtig die Omnigläser.

»Drei Stück«, sagte Harry entschlossen zu dem Zauberer.

»Nein – das ist doch nicht nötig«, sagte Ron und lief rot an. Er war immer ein wenig empfindlich, wenn es darum ging, daß Harry, der ein kleines Vermögen von seinen Eltern geerbt hatte, viel mehr Geld hatte als er.

»Dafür kriegst du nichts zu Weihnachten«, antwortete Harry und drückte Ron und Hermine je ein Omniglas in die Hände.»Und das zehn Jahre lang.«

»Ist mir recht«, sagte Ron grinsend.

»Oooh, danke, Harry«, sagte Hermine.»Und ich besorg uns ein paar Programme, seht mal -«

Mit beträchtlich leichteren Geldbeuteln gingen sie zurück zu den Zelten. Auch Bill, Charlie und Ginny hatten grüne Rosetten vorzuzeigen und Mr Weasley trug eine irische Flagge. Fred und George hatten keine Souvenirs, da sie ihr ganzes Geld Bagman gegeben hatten.

Dann drang von irgendwo jenseits des Waldes ein tiefer, dröhnender Gong zu ihnen herüber, und plötzlich flammten auf den Bäumen grüne und rote Laternen auf und tauchten den Weg zum Spielfeld in ihr Licht.

»Es ist so weit!«, sagte Mr Weasley, genauso begeistert wie alle anderen.»Kommt, wir gehen!«

Die Quidditch-Weltmeisterschaft

Ihre neu erworbenen Schätze an sich geklammert folgten sie Mr Weasley den laternenbeschienenen Weg entlang in den Wald. Dem Lärm nach zu schließen waren Tausende auf den Beinen, sie hörten ihr Lachen und Rufen und gelegentlich wehte Gesang an ihre Ohren. Die fiebrige Erregung war höchst ansteckend; Harry konnte nicht aufhören zu grinsen. Zwanzig Minuten lang gingen sie durch den Wald, laut redend und scherzend, bis sie endlich auf der anderen Seite zwischen den Bäumen hervortraten und sich im Schatten eines gigantischen Stadions fanden. Obwohl Harry nur einen kleinen Teil der riesigen goldenen Mauer sah, die das Spielfeld einfaßte, war ihm klar, daß ins Innere des Stadions bequem zehn Kathedralen gepaßt hätten.

»Hunderttausend Plätze«, sagte Mr Weasley, als er Harrys schwer beeindruckte Miene sah.»Eine Spezialistengruppe von fünfhundert Ministeriumsleuten hat das ganze Jahr über daran gearbeitet. Auf jedem Quadratzentimeter ein Muggelabwehrzauber. Jedes Mal, wenn Muggel im letzten Jahr auch nur hier in die Nähe kamen, fielen ihnen plötzlich dringende Verabredungen ein und sie mußten schleunigst fort… besser für sie«, setzte er munter hinzu und führte sie zum nächstgelegenen Eingang, an dem sich schon ein Schwärm lärmender Zauberer und Hexen versammelt hatte.

»Erstklassige Plätze!«, sagte die Ministeriumshexe am Eingang, als sie ihre Karten kontrollierte.»Ehrenloge! Gleich die Treppe rauf, Arthur, bis es nicht mehr höher geht.«

Die Treppen ins Stadion waren mit Läufern in sattem Purpurrot ausgelegt. Sie stiegen mit den anderen aus dem Schwärm der Wartenden nach oben, die sich jedoch allmählich mal rechts, mal links in den Türen zu den Tribünen verloren. Mr Weasley und die Seinen gingen weiter, bis sie schließlich das Ende der Treppe erreichten und in eine kleine Loge traten. Sie bildete den höchsten Punkt des Stadions und lag genau in der Mitte zwischen den goldenen Torstangen. Etwa zwanzig rotgoldene Stühle waren hier in zwei Reihen aufgestellt, und Harry, der den Weasleys in die erste Reihe folgte, sah hinunter auf ein Schauspiel, wie er es noch nie erlebt hatte.

Hunderttausend Hexen und Zauberer nahmen ihre Plätze auf den Sitzen ein, die sich Reihe um Reihe entlang des ovalen Spielfelds emporrankten. Die Szene war in ein geheimnisvolles goldenes Licht getaucht, das aus dem Stadion selbst zu kommen schien. Von hoch oben, wo sie saßen, schien das Feld glatt und weich wie Samt. An den Enden des Feldes standen je drei Pfosten, auf denen in zwanzig Meter Höhe die Torringe angebracht waren; ihnen direkt gegenüber, fast auf Harrys Augenhöhe, befand sich eine gigantische schwarze Tafel. Goldene Schriftzeichen huschten über sie hinweg, als würde die Hand eines unsichtbaren Riesen darüber krakeln und die Schrift dann wieder abwischen; Harry sah eine Weile zu und stellte fest, daß die Tafel Werbesprüche über das Stadion blitzen ließ.

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Harry wandte sich mit Mühe von der Tafel ab, um nachzusehen, wer mit ihnen zusammen in der Loge saß. Noch war niemand da, nur ein winziges Geschöpf hockte auf dem zweitletzten Platz am Ende der hinteren Reihe. Das Wesen, mit so kurzen Beinen, daß sie steif aus dem Sitzpolster ragten, trug ein Geschirrtuch wie eine Toga um den Körper geschlungen und hatte das Gesicht in den Händen verborgen. Doch diese langen, fledermausähnlichen Ohren kamen ihm merkwürdig bekannt vor…

»Dobby?«, sagte Harry ungläubig.

Das kleine Wesen sah auf und spreizte die Finger, durch die hindurch Harry riesige braune Augen und eine Nase von genau der Form und der Größe einer Tomate erkennen konnte. Es war nicht Dobby – es war allerdings unverkennbar ein Hauself, wie Harrys Freund Dobby es gewesen war. Harry hatte Dobby aus den Händen seiner Besitzer, der Familie Malfoy, befreit.

»Haben Sie mich gerade Dobby genannt, Sir?«, piepste der Elf neugierig zwischen den Fingern hindurch. Seine Stimme war noch höher als die Dobbys, ein leises, zittriges Piepsen, und Harry vermutete – auch wenn es bei Hauselfen schwer zu sagen war -, daß er diesmal wohl eine Elfe vor sich hatte. Auch Ron und Hermine drehten sich jetzt neugierig um. Zwar hatten sie von Harry viel über Dobby gehört, doch gesehen hatten sie ihn noch nie. Selbst Mr Weasley wandte sich interessiert um.

»Verzeihung«, sagte Harry,»ich habe dich eben mit jemand verwechselt, den ich kenne.«

»Aber kennen tu ich Dobby auch, Sir!«, piepste die Elfe. Sie hielt die Hände vors Gesicht, als würde das Licht sie blenden, obwohl die Ehrenloge nur schwach erleuchtet war.»Mein Name ist Winky, Sir – und Sie, Sir -«ihre dunkelbraunen Augen verweilten auf Harrys Narbe und weiteten sich zur Größe von Platztellern -»Sie müssen Harry Potter sein!«

»Ja, der bin ich«, sagte Harry.

»Aber Dobby spricht immer und immer von Ihnen, Sir!«, sagte sie und ließ von Ehrfurcht ergriffen die Hände sinken.

»Wie geht es ihm?«, fragte Harry.»Wie bekommt ihm die Freiheit?«

»Aaah, Sir«, sagte Winky kopfschüttelnd,»aah, Sir, bei aller Wertschätzung, Sir, aber 's ist nicht sicher, ob Sie Dobby einen Gefallen getan haben, Sir, als Sie ihn befreit haben.«

»Warum?«, sagte Harry bestürzt.»Was fehlt ihm denn?«

»Die Freiheit steigt Dobby zu Kopf, Sir«, sagte Winky traurig.»Hat zu hohe Ansprüche, Sir. Findet keine Stelle, Sir.«

»Warum nicht?«, fragte Harry.

Winky senkte die Stimme um eine halbe Oktave und flüsterte:»Er will für seine Arbeit bezahlt werden, Sir.«

»Bezahlt?«, sagte Harry verdutzt.»Warum – warum sollte er nicht bezahlt werden?«

Winky schien diese Vorstellung geradezu Entsetzen einzujagen, und ihre Finger schlössen sich wieder, so daß ihr Gesicht nun halb verborgen war.

»Hauselfen werden nicht bezahlt, Sir!«, sagte sie mit ersticktem Piepsen.»Nein, nein, nein. Ich sag zu Dobby, sag ich, such dir 'ne nette Familie und bleib dort, Dobby. Will jetzt auf einmal das süße Leben genießen, Sir, und das bekommt einem Hauselfen nicht gut. Du treibst dich überall rum, Dobby, sag ich, und am Ende wirst du noch ins Amt zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe zitiert, wie ein dahergelaufener Kobold.«

»Nun, es wird allmählich Zeit, daß er ein wenig Spaß hat«, sagte Harry.

»Hauselfen sollten keinen Spaß haben, Harry Potter«,stieß Winky energisch hinter der Hand hervor.»Hauselfen tun, was man ihnen befiehlt. So weit oben mag ich gar nicht sitzen, Harry Potter -«, sie warf einen Blick zur Brüstung der Loge und würgte,»- aber mein Meister schickt mich zur Ehrenloge, und ich gehe, Sir.«

»Warum hat er dich hier hochgeschickt, wenn er weiß, daß dir die Höhe nicht bekommt?«, sagte Harry stirnrunzelnd.

»Meister – Meister will, daß ich ihm einen Platz besetze, Harry Potter, er hat so viel zu tun«, sagte Winky und nickte zu dem freien Platz neben sich.»Winky würde am liebsten wieder im Zelt vom Meister sein, Harry Potter, aber Winky tut, was man ihr befiehlt, Winky ist eine gute Hauselfe.«

Sie warf einen weiteren furchtsamen Blick zur Brüstung und verbarg dann erneut ihre Augen. Harry wandte sich den anderen zu.

»Das ist also eine Hauselfe?«, murmelte Ron.»Komische Kreaturen, oder?«

»Dobby war noch komischer«, sagte Harry trocken.

Ron zog sein Omniglas hervor und spähte hinunter in die Menge auf der anderen Seite des Stadions.

»Abgefahren!«, rief er und drehte am Wiederholungsknopf.»Ich kann diesen Opa da unten noch einmal in der Nase bohren lassen… und noch einmal… und noch einmal…«

Hermine blätterte unterdessen eifrig durch ihr samtgebundenes, mit Troddeln geschmücktes Programmheft.

»›Vor dem Spiel zeigen die Mannschaftsmaskottchen ihr Können‹«, las sie laut.

»Das lohnt sich immer«, sagte Mr Weasley.»Die Nationalmannschaften bringen nämlich Geschöpfe aus ihren Ländern mit, die vor dem Spiel eine kleine Show einlegen.«

Im Lauf der nächsten halben Stunde füllte sich die Logeallmählich. Mr Weasley war ständig damit beschäftigt, offenbar sehr wichtigen Zauberern die Hand zu schütteln. Auch Percy sprang jedes Mal auf, so daß es schien, als versuchte er, sich auf einen Igel zu setzen. Als Cornelius Fudge, der Zaubereiminister persönlich, hereintrat, verbeugte sich Percy so tief, daß seine Brille zu Boden fiel und zerbrach. Höchst verlegen reparierte er sie mit dem Zauberstab; danach blieb er sitzen und warf Harry, den Cornelius Fudge wie einen alten Freund begrüßte, neidische Blicke zu. Die beiden kannten sich, und Fudge schüttelte Harry väterlich die Hand, fragte, wie es ihm gehe, und stellte ihm die Zauberer in seiner Begleitung vor.

»Harry Potter, wissen Sie«, verkündete er lauthals dem bulgarischen Minister, der einen prächtigen goldbestickten Umhang aus schwarzem Samt trug und kein Wort Englisch zu verstehen schien.»Harry Potter… Oh, nun aber, Sie wissen doch, wer er ist… der Junge, der Du-weißt-schon-wen überlebte… gewiß kennen Sie ihn -«

Plötzlich bemerkte der bulgarische Zauberer Harrys Narbe und deutete unter lautem Geschnatter mit dem Finger auf sie.

»Wußte doch, wir schaffen es«, sagte Fudge entnervt zu Harry gewandt.»Ich bin kein großes Sprachgenie, für so etwas brauch ich Barty Crouch. Aah, seine Hauselfe besetzt ihm einen Platz… war auch nötig, diese bulgarischen Mistkerle haben versucht, sich die besten Plätze allesamt unter den Nagel zu reißen… ah, und hier kommt Lucius!«

Harry, Ron und Hermine wirbelten herum. Zu den drei noch freien Plätzen in der zweiten Reihe direkt hinter Mr Weasley drängten sich die alten Besitzer von Dobby, dem Hauselfen – Lucius Malfoy, sein Sohn Draco und eine Frau, die, wie Harry vermutete, Dracos Mutter sein mußte.

Harry und Draco Malfoy waren seit ihrer ersten Reise nach Hogwarts verfeindet. Draco, ein blasser Junge mit spitzem Gesicht und weißblondem Haar, hatte große Ähnlichkeit mit seinem Vater. Auch seine Mutter war blond; groß und schlank wie sie war, wäre sie hübsch gewesen, wenn sie nicht ein Gesicht gemacht hätte, als hätte sie einen üblen Geruch in der Nase.

»Ah, Fudge«, sagte Mr Malfoy und streckte dem Zaubereiminister die Hand entgegen.»Wie geht's? Ich glaube, meine Frau Narzissa kennen Sie noch nicht? Und unseren Sohn, Draco?«

»Angenehm, angenehm«, sagte Fudge lächelnd und verbeugte sich vor Mrs Malfoy.»Darf ich Ihnen Mr Oblansk vorstellen – Obalonsk – Mr – nun ja, er ist der bulgarische Zaubereiminister, und er versteht ohnehin kein Wort von dem, was ich sage, also egal. Und mal sehen, wer noch – Sie kennen Arthur Weasley, nehme ich an?«

Einen Moment lang herrschte äußerste Spannung. Mr Weasley und Malfoy musterten sich gegenseitig, und Harry stand noch lebhaft vor Augen, was passiert war, als sie sich das letzte Mal begegnet waren; es war in der Buchhandlung Flourish & Blotts gewesen, und die beiden hatten sich am Ende geprügelt. Mr Malfoys kalte graue Augen schweiften über Mr Weasley und dann die Sitzreihe entlang.

»Meine Güte, Arthur«, sagte er leise.»Was mußten Sie denn verkaufen, um Plätze in der Ehrenloge zu bekommen? Ihr Haus hätte sicher nicht genug gebracht?«

Fudge, der nicht zugehört hatte, sagte:»Lucius hat soeben eine sehr großzügige Spende für das St. -ungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen gegeben, Arthur. Er ist mein Gast heute.«

»Wie – wie schön«, sagte Mr Weasley mit angespanntem Lächeln.

Mr Malfoys Augen waren zu Hermine zurückgekehrt, die leicht rosa anlief, doch seinem Blick entschlossen standhielt. Harry wußte genau, warum Mr Malfoy die Lippen schürzte. Die Malfoys brüsteten sich damit, Reinblüter zu sein; das hieß, sie hielten jeden, der von Muggeln abstammte, wie zum Beispiel Hermine, für zweitklassig. Unter den Augen des Zaubereiministers jedoch wagte Mr Malfoy es nicht, etwas zu sagen. Er nickte Mr Weasley herablassend zu und ging weiter die Reihe entlang zu seinem Platz. Draco warf Harry, Ron und Hermine einen verächtlichen Blick zu und ließ sich zwischen Mutter und Vater nieder.

»Schleimiges Pack«, murmelte Ron, und die drei Freunde wandten sich wieder dem Spielfeld zu. In diesem Augenblick platzte Ludo Bagman in die Loge.

»Alle bereit?«, rief er, und sein rundes Gesicht strahlte wie ein großer, erhitzter Edamer.»Minister – sind Sie bereit?«

»Von mir aus können Sie loslegen«, sagte Fudge gut gelaunt.

Ludo zückte seinen Zauberstab, richtete ihn gegen die eigene Kehle und sagte:»Sonorus!«Dann erhob er die Stimme über die Wolke aus Lärm, die das ausverkaufte Stadion erfüllte; seine Stimme hallte über dem Publikum wider und dröhnte in jede Ritze der Tribünen:»Meine Damen und Herren… willkommen! Willkommen zum Endspiel der vierhundertundzweiundzwanzigsten Quidditch-Weltmeis-terschaft!«

Die Zuschauer kreischten und klatschten. Tausende von Flaggen wehten, und die vielstimmig und falsch gesungenen Nationalhymnen steigerten den Trubel noch. Auf der riesigen Tafel gegenüber wurde der letzte Werbespruch gelöscht (Bertie Botts' Bohnen aller Geschmacksrichtungen – Russisch Roulette für Ihre Zunge!), und nun erschien in flammender Schrift: BULGARIEN: NULL, IRLAND: NULL.

»Und jetzt möchte ich Ihnen ohne weiteres Brimboriumunsere Gäste vorstellen… die bulgarischen Mannschaftsmaskottchen!«

Die rechte Kurve des Stadions, ein einziger scharlachroter Block, gab dröhnend und juchzend seine Freude kund.

»Was die wohl mitgebracht haben?«, sagte Mr Weasley und beugte sich über die Brüstung.»Aaah!«Auf einmal riß er sich die Brille von der Nase und putzte sie eilends an seinem Pullunder.»Veela!«

»Was sind Veel-?«

Hundert Veela glitten nun hinaus über das Spielfeld und beantworteten Harrys Frage. Veela waren Frauen… die schönsten Frauen, die Harry je gesehen hatte… nur daß sie nicht – das war unmöglich… wirkliche Menschen sein konnten. Harry versuchte einen Moment lang mit wirrem Kopf zu enträtseln, was sie denn sonst sein konnten; was konnte ihre Haut so mondhell schimmern lassen, was konnte ihr weißgoldenes Haar so wehen lassen, wo es doch windstill war… doch dann setzte die Musik ein und Harry war es gleich, ob sie menschlich waren oder nicht – in Wahrheit war ihm nun alles egal.

Die Veela hatten zu tanzen begonnen, und in Harrys Kopf, von allem Störenden leer gefegt, herrschte die reine Seligkeit. Das einzig Wichtige auf der Welt war, daß er unverwandt die Veela betrachtete, denn wenn sie aufhörten zu tanzen, würden schreckliche Dinge geschehen…

Und während die Veela immer schneller tanzten, begannen wilde, unausgegorene Gedanken durch Harrys benommenen Kopf zu jagen. Er wollte etwas sehr Beeindruckendes tun, und zwar auf der Stelle. Von der Loge aus ins Stadion springen schien ihm eine gute Idee… doch würde es genügen?

»Harry, was zum Teufel tust du da?«, hörte er Hermines Stimme von ganz, ganz fern.

Die Musik verstummte. Harry blinzelte. Er stand aufrecht, mit einem Bein auf der Brüstung der Loge. Neben ihm war Ron in einer Haltung erstarrt, als ob er gleich von einem Sprungbrett hüpfen wollte.

Wütende Rufe erfüllten das Stadion. Und Harry fand das richtig; natürlich war er für Bulgarien, und er fragte sich verschwommen, warum eine große grüne Rosette an seine Brust gepinnt war. Ron unterdessen zerpfriemelte geistesabwesend die Kleeblätter auf seinem Hut. Mr Weasley beugte sich mit einem milden Lächeln zu Ron hinüber und zog ihm den Hut aus den Händen.

»Den brauchst du sicher noch«, sagte er,»sobald Irland seinen Auftritt hat.«

»Huh?«, sagte Ron und starrte mit offenem Mund die Veela an, die sich nun an einer Seite des Spielfelds aufgestellt hatten.

Hermine ließ ein lautes»Tss, tss«hören. Sie hob den Arm und zog Harry zurück auf seinen Platz.»Also wirklich!«, sagte sie.

»Und nun«, dröhnte Ludo Bagmans Stimme erneut,»heben Sie bitte alle Ihre Zauberstäbe in die Luft… für die Maskottchen der irischen Nationalmannschaft!«

In diesem Augenblick schien ein großer grüngoldener Komet ins Stadion zu rauschen. Er drehte eine Runde und teilte sich dann in zwei kleinere Kometen, die jeweils auf eine Torseite des Spielfelds zusausten. Ein Regenbogen spannte sich plötzlich über das Spielfeld und verband die beiden Lichtkugeln. Die Menge rief»Oooh«und»Aaah«, wie bei einem Feuerwerk. Nun verblaßte der Regenbogen, die Lichtkugeln flogen aufeinander zu, verschmolzen und bildeten ein großes schimmerndes Kleeblatt, das in den Himmel stieg und über die Tribünen hinwegschwirrte. Eine Art goldener Regen schien sich daraus zu ergießen -

»Klasse!«, rief Ron, als das Kleeblatt über ihre Köpfe rauschte und schwere Goldmünzen auf sie herunterregnen ließ, die über Köpfe und Sitze kullerten. Harry spähte in die Höhe und erkannte, daß das Kleeblatt in Wahrheit aus Tausenden kleiner Männchen mit roten Schürzen bestand, von denen jedes eine winzige grün und rot leuchtende Laterne hielt.

»Leprechans – irische Kobolde!«, rief Mr Weasley durch den tosenden Beifall der Menge, in der viele noch immer hektisch unter ihren Sitzen und in den Gängen nach den Goldmünzen stöberten.

»Bitte sehr«, rief Ron glücklich und drückte Harry eine Faust voll Goldmünzen in die Hand.»Für das Omniglas! Jetzt mußt du mir doch ein Weihnachtsgeschenk kaufen, Harry!«

Das große Kleeblatt löste sich auf, die Leprechans schwebten hinunter auf das Feld und ließen sich mit gekreuzten Beinen gegenüber den Veela nieder, um sich das Spiel anzusehen.

»Und jetzt, meine Damen und Herren, ein herzliches Willkommen für – die bulgarische Quidditch-Nationalmannschaft! Ich sage nur – Dimitrow!«

Eine in Scharlachrot gekleidete Gestalt auf einem Besen, die so schnell flog, daß sie nur verschwommen zu sehen war, schoß aus einer Luke weit unten hinaus aufs Spielfeld, und wilder Applaus der bulgarischen Anhänger brandete auf.

»Iwanowa!«

Eine scharlachrot gewandete Spielerin sauste ins Stadion.

»Zograf! Lewski! Vulkanow! Volkow! Uuuuuund – Krum!«

»Das ist er, das ist er!«, rief Ron und folgte Krum mit seinem Omniglas; rasch stellte Harry sein eigenes Glas scharf.

Viktor Krum war schlank, dunkelhaarig und fahlgesichtig, hatte eine lange krumme Nase und dichte schwarze Augenbrauen. Er sah aus wie ein übergroßer Raubvogel. Es war kaum zu glauben, daß er erst achtzehn war.

»Und jetzt, begrüßen Sie bitte herzlich – die irische Quidditch-Nationalmannschaft!«, rief Bagman.»Ich stelle vor – Connolly! Ryan! Troy! Mullet! Moran! Quigley! Uuuuund – Lynch!«

Sieben nur verschwommen wahrzunehmende grüne Gestalten rasten auf das Spielfeld; Harry drehte einen kleinen Knopf an dem Omniglas und verlangsamte, was sich vor ihm abspielte, so daß er das Wort»Feuerblitz«auf dem Besen jedes Spielers erkennen konnte, die ihre Namenszüge in Silber auf den Rücken gestickt trugen.

»Und hier, aus dem fernen Ägypten, unser Schiedsrichter, der hoch angesehene Vorstandszauberer des Internationalen Quidditchverbandes, Hassan Mostafa!«

Ein kleiner, hagerer Zauberer, vollkommen kahlköpfig, doch mit einem Schnurrbart, der dem Onkel Vernons Konkurrenz gemacht hätte, in einem nichts als goldenen, zum Stadion passenden Umhang, schritt aufs Spielfeld hinaus. Eine silberne Pfeife ragte unter seinem Schnurrbart hervor und er trug eine große Holzkiste unter dem einen, seinen Besen unter dem anderen Arm. Harry drehte den Geschwindigkeitsknopf an seinem Glas zurück auf»normal«und sah gespannt zu, wie Mostafa seinen Besen bestieg und die Kiste mit dem Fuß aufklappte – vier Bälle schössen in die Luft: der scharlachrote Quaffel, die beiden schwarzen Klatscher und (Harry sah ihn nur einen kurzen Moment lang, denn er verschwand rasend schnell) den winzigen, geflügelten Goldenen Schnatz. Mit einem gellenden Pfiff rauschte Mostafa den Bällen nach in die Höhe.

»Looooooos geht's!«, schrie Bagman.»Mullet am Ball! Troy! Moran! Dimitrow! Wieder Mullet! Troy! Lewski! Moran!«

Es war ein Quidditch-Spiel, wie Harry es noch nie gesehen hatte. Er drückte das Omniglas so fest an die Augen, daß die Fassung in seine Nasenwurzel schnitt. Die Spieler waren unglaublich schnell – die Jäger warfen sich den Quaffel so rasch zu, daß Bagman nur Zeit blieb, ihre Namen zu nennen. Harry stellte den Knopf an der rechten Seite des Omniglases auf»langsam«und sah sofort alles in Zeitlupe. Purpurn glitzernde Buchstaben glitten nun über die Linsen, während das Toben der Menge gegen seine Trommelfelle pochte.

»Falkenkopf-Angriff«, las er, während die drei irischen Jäger dicht nebeneinander dahinschwebten. Troy in der Mitte, ein wenig vor Mullet und Moran, im Angriff auf die Bulgaren.»Porskoff-Täuschung«flammte als Nächstes auf, als Troy so tat, als wolle er mit dem Quaffel in die Höhe schießen und damit die bulgarische Jägerin Iwanowa ablenken, dann jedoch den Quaffel auf Moran fallen ließ. Einer der bulgarischen Treiber, Volkow, hieb knallhart mit seinem kleinen Stock gegen einen vorbeifliegenden Klatscher und trieb ihn auf Morans Flugbahn. Moran duckte sich, um dem Klatscher auszuweichen, und ließ den Quaffel fallen; Lewski, der unter ihr herflog, fing ihn auf -

»Troy trifft!«, donnerte Bagman, und das Stadion erzitterte unter dem rasenden Applaus und den Jubelschreien.»Zehn zu null für Irland!«

»Was?«, rief Harry und sah mit seinem Omniglas verwirrt umher.»Aber Lewski hat doch den Quaffel!«

»Harry, wenn du nicht in normaler Geschwindigkeit zuschaust, kriegst du nichts mit!«, rief Hermine, die mit schlackernden Armen umhertanzte, während Troy eine Ehrenrunde um das Stadion drehte. Rasch blickte Harry über den Rand seines Omniglases und sah, daß die Leprechans, die am Spielfeldrand gesessen hatten, alle aufgesprungen waren und jetzt erneut das große, glitzernde Kleeblatt bildeten. Von der anderen Seite des Feldes her sahen ihnen die Veela schmollend zu.

Schon wurde weitergespielt, und Harry, der sich über sich selbst ärgerte, drehte den Geschwindigkeitsknopf auf»normal«zurück.

Harry wußte genug über Quidditch, um zu erkennen, daß die irischen Jäger erste Sahne waren. Das Team fügte sich nahtlos zusammen und angesichts ihres Stellungsspiels konnte man meinen, sie könnten gegenseitig ihre Gedanken lesen; die Rosette auf Harrys Brust piepste ständig ihre Namen:»Troy – Mullet – Moran! Innerhalb von zehn Minuten traf Irland noch zweimal und baute seine Führung auf dreißig zu null aus, was bei den grün gekleideten Fans eine wahre Springflut aus Jubelschreien und Händeklatschen auslöste.

Das Spiel wurde noch schneller, doch auch härter. Volkow und Vulkanow, die bulgarischen Treiber, schmetterten die Klatscher mit aller Kraft gegen die irischen Jäger und waren schon im Begriff, deren beste Züge zu vereiteln; zweimal waren sie gezwungen, sich zu zerstreuen, und dann gelang es Iwanowa schließlich, die irischen Reihen zu durchbrechen, dem Hüter Ryan auszuweichen und das erste Tor für Bulgarien zu schießen.

»Finger in die Ohren!«, bellte Mr Weasley, als die Veela ihren Freudentanz begannen. Harry drückte auch noch die Augen zu; er wollte einen klaren Kopf für das Spiel behalten. Nach ein paar Sekunden wagte er einen Blick auf das Spielfeld. Die Veela hatten aufgehört zu tanzen und Bulgarien war wieder im Besitz des Quaffels.

»Dimitrow! Lewski! Dimitrow! Iwanowa – oho, kann ich da nur sagen!«, donnerte Bagman.

Hunderttausend Zauberer und Hexen stöhnten auf, als die beiden Sucher Krum und Lynch von oben mitten durch die Reihe der Jäger stürzten, so schnell, daß es aussah, als wären sie ohne Fallschirme aus dem Flugzeug gesprungen. Harry folgte ihrem Sturzflug mit seinem Omniglas und versuchte den Schnatz zu erspähen -

»Die knallen noch auf die Erde!«, kreischte Hermine neben Harry.

Sie hatte beinahe Recht – in der allerletzten Sekunde zog sich Viktor Krum aus dem Sturzflug und schwirrte spiralförmig in die Höhe. Lynch jedoch krachte mit einem dumpfen Aufschlag, der im ganzen Stadion zu hören war, auf das Feld. Ein markerschütterndes Stöhnen stieg aus den irischen Reihen auf.

»Idiot!«, ächzte Mr Weasley.»Krum hat geblufft!«

»Auszeit!«, rief Bagman.»Die Medimagier laufen aufs Spielfeld, um Aidan Lynch zu verarzten!«

»Er ist schon okay, ist nur reingerasselt!«, sagte Charlie beruhigend zu Ginny, die mit schreckensstarrem Blick über der Brüstung hing.»Genau das, was Krum wollte, natürlich…«

Hastig drückte Harry die»Wiederholungs«- und die»Kommentar«-Taste an seinem Omniglas, drehte am Geschwindigkeitsknopf und hielt sich das Glas wieder vor die Augen.

Er sah noch einmal in Zeitlupe Krum und Lynch im Sturzflug.»Wronski-Bluff – gefährliche Falle für den Sucher«, sagte die leuchtende Purpurschrift auf der Linse. Er sah Krums in höchster Konzentration verzerrtes Gesicht, als er sich im letzten Moment aus dem Sturzflug herauszog, während Lynch die Platte machte, und er begriff – Krum hatte den Schnatz überhaupt nicht gesehen, er wollte nur, daß Lynch ihm auf den Leim ging. So hatte Harry noch nie jemanden fliegen sehen; fast schien es, als benutzte Krumgar keinen Besen; er bewegte sich so behände durch die Luft, als ob er nichts zum Fliegen brauchte und schwerelos wäre. Harry stellte sein Omniglas wieder auf»normal«und die Schärfe auf Krum ein. Hoch über Lynch, den die Medimagier gerade mit einem Becher Zaubertrank aufpäppelten, drehte er seine Kreise. Harry beobachtete Krums Gesicht noch genauer und konnte sehen, wie seine dunklen Augen über den Boden in dreißig Meter Tiefe huschten. Er nutzte die Zeit, bis Lynch wieder auf dem Besen war, um in aller Ruhe nach dem Schnatz zu suchen.

Endlich kam Lynch unter lauten Jubelschreien der grün gekleideten Anhänger wieder auf die Beine, bestieg seinen Feuerblitz und stieß sich vom Boden ab. Seine Auferstehung schien Irland frischen Mut zu geben. Als Mostafa seine Pfeife trillern ließ, legten die Jäger los, mit einer Gewandtheit, die alles in den Schatten stellte, was Harry je gesehen hatte.

Nach fünfzehn Minuten schnellen und furiosen Spiels war Irland mit zehn weiteren Toren davongezogen. Die Iren führten jetzt mit hundertdreißig zu zehn Punkten und das Spiel wurde allmählich härter.

Als Mullet wieder einmal in Richtung Tor schoß, den Quaffel fest unter den Arm geklemmt, flog der bulgarische Hüter Zograf hinaus, um sie abzublocken. Was immer auch geschah, es war so rasch vorbei, daß Harry nichts mitbekam, doch ein Wutschrei von den irischen Zuschauern und Mostafas langer, schriller Pfiff machten ihm klar, daß ein Foul passiert war.

»Und Mostafa knüpft sich den bulgarischen Hüter vor wegen Schrammens – übermäßiger Einsatz der Ellbogen!«, teilte Bagman dem aufgeheizten Publikum mit.»Und ja – es gibt einen Freiwurf für Irland!«

Die Leprechans, die wie ein Schwärm glitzernder Hornissen wütend in die Luft gestiegen waren, als Mullet gefoult wurde, flitzten zusammen und bildeten die Wörter:»HA HA HA!«Die Veela auf der anderen Seite des Feldes sprangen hoch, warfen zornig das Haar in den Nacken und begannen wieder zu tanzen.

Wie auf Zuruf steckten sich die Weasley-Jungen und Harry sofort die Finger in die Ohren, doch Hermine, der die Veela schnuppe waren, zupfte einen Augenblick später an Harrys Ärmel. Er wandte sich um und sie zog ihm ungeduldig die Finger aus den Ohren.

»Sieh dir mal den Schiedsrichter an!«, sagte sie kichernd.

Harry sah hinunter aufs Feld. Hassan Mostafa war direkt vor den tanzenden Veela gelandet und gebärdete sich tatsächlich sehr merkwürdig. Erregt ließ er seine Muskeln spielen und strich sich über den Schnurrbart.

»Nun aber, so geht das nicht!«, sagte Ludo Bagman, klang dabei jedoch höchst belustigt.»Jemand muß den Schiedsrichter ohrfeigen, bitte!«

Ein Medimagier, der selbst die Finger in den Ohren hatte, kam über das Feld gerannt und kickte Mostafa scharf gegen das Schienbein. Mostafa schien wieder zu sich zu kommen; Harry, das Omniglas auf der Nase, erkannte, daß er äußerst verlegen dreinsah und die Veela anschrie, die aufgehört hatten zu tanzen und rebellisch gestikulierten.

»Und wenn ich mich nicht sehr irre, versucht Mostafa tatsächlich, die bulgarischen Mannschaftsmaskottchen vom Platz zu schicken!«, ertönte Bagmans Stimme.»Nun, so etwas haben wir noch nie gesehen… oh, das könnte ganz böse enden…«

In der Tat: die bulgarischen Treiber Volkow und Vulkanow landeten zu beiden Seiten Mostafas und begannen erzürnt mit ihm zu streiten; sie gestikulierten in Richtung der Leprechans, die inzwischen die Wörter»HEE HEE HEE«bildeten. Mostafa jedoch ließ sich von den Argumenten der Bulgaren nicht beeindrucken; er stieß mit dem Finger in die Luft, eine deutliche Anweisung für die Bulgaren, sich wieder davonzumachen, und als sie sich weigerten, ließ er zwei kurze gellende Pfiffe ertönen.

»Zwei Freiwürfe für Irland!«, rief Bagman, und die bulgarischen Zuschauer heulten vor Wut.»Und Volkow und Vulkanow sollten jetzt lieber wieder ihre Besen besteigen… ja… da fliegen sie wieder… und Troy holt den Quaffel…«

Im Stadion brodelte es jetzt und die Spieler kämpften so erbittert, wie sie es noch nie erlebt hatten. Die Treiber auf beiden Seiten ließen keine Gnade walten: vor allem Volkow und Vulkanow schwangen so heftig ihre Stöcke, als wäre es ihnen gleich, ob Mensch oder Klatscher getroffen wurde. Dimitrow schoß direkt auf Moran zu, die den Quaffel hatte, und schlug sie fast von ihrem Besen.

»Foul!«, röhrten die irischen Fans mit einer Stimme und erhoben sich zu einer riesigen grünen Welle.

»Foul!«, echote Ludo Bagmans magisch kraftvoll verstärkte Stimme.»Dimitrow häutet Moran – stößt absichtlich mit ihr zusammen – und das gibt einen weiteren Freiwurf – ja, da kommt der Pfiff!«

Die Leprechans waren erneut in die Höhe geschossen und diesmal bildeten sie eine riesige Hand, die eine sehr wüste Geste zu den Veela hin machte. Bei diesem Anblick verloren die Veela die Beherrschung. Sie stürzten über das Feld und bewarfen die Leprechans mit, wie es schien, Händen voll Feuer. Harry, der das ganze Geschehen durch sein Omniglas beobachtete, stellte fest, daß die Veela nun überhaupt nicht mehr schön aussahen. Im Gegenteil, ihre Gesichter waren in die Länge gezogen zu scharfen Vogelköpfen mit grausamen Schnäbeln, und nun brachen auch noch lange, schuppige Flügel aus ihren Schultern hervor.

»Und deshalb, Jungs«, rief Mr Weasley durch den aufbrausenden Lärm der Menge,»solltet ihr nie allein nach Schönheit gehen!«

Ministeriumszauberer strömten nun auf das Feld, um die Veela und die Leprechans zu trennen, doch mit wenig Erfolg; unterdessen war die offene Schlacht auf dem Feld nichts gegen das, was in der Luft vor sich ging. Harry, das Omniglas an die Augen gepreßt, konnte dem Geschehen kaum folgen, denn der Quaffel wechselte den Besitzer mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel -

»Lewski – Dimitrow – Moran – Troy – Mullet – Iwa-nowa – wieder Moran – Moran – Moran macht ihn rein!«

Doch der Jubel der irischen Fans ging fast unter in den Schreien der Veela, den Explosionen aus den Zauberstäben der Ministeriumsmagier und den wütenden Rufen der Bulgaren. Das Spiel ging sofort weiter; Lewski hatte jetzt den Quaffel, dann Dimitrow -

Der irische Treiber Quigley hieb mit aller Kraft gegen einen vorbeifliegenden Klatscher, und Kram, der sich nicht rechtzeitig geduckt hatte, wurde mit voller Wucht ins Gesicht getroffen.

Ein ohrenbetäubendes Stöhnen stieg von der Menge unten herauf; Krums Nase schien platt, überall war Blut, doch Hassan Mostafa pfiff nicht. Er war gerade abgelenkt, und Harry konnte ihm deshalb keinen Vorwurf machen; eine Veela hatte ihm einen Feuerball entgegengeschleudert und seinen Besenschweif in Flammen gesetzt.

Jemand muß doch sehen, daß Krum verletzt ist, dachte Harry; eigentlich war er für Irland, doch Krum war der aufregendste Spieler auf dem Feld. Ron ging es offenbar genauso.

»Auszeit! Nun macht schon, er kann doch nicht spielen, so wie er aussieht -«

»Schau dir Lynch an!«, rief Harry.

Der irische Sucher war plötzlich in den Sturzflug gegangen, und Harry war sich ziemlich sicher, daß dies kein Wronski-Bluff war, hier ging es um den Sieg…

»Er hat den Schnatz gesehen!«, rief Harry.»Er hat ihn gesehen! Sieh mal, wie er loslegt!«

Die Hälfte des Publikums schien erkannt zu haben, was geschah; die irischen Anhänger erhoben sich in einer einzigen großen grünen Woge und feuerten ihren Sucher an… doch Krum war ihm auf den Fersen. Wie er sehen konnte, wo er hinflog, war Harry schleierhaft; hinter ihm spritzte Blut durch die Luft, doch jetzt holte er Lynch ein, und wieder stürzten sich die beiden in die Tiefe -

»Die krachen noch aufs Feld!«, kreischte Hermine.

»Tun sie nicht!«, polterte Ron.

»Lynch schon!«, rief Harry.

Und er hatte Recht – zum zweiten Mal schlug Lynch mit enormer Wucht auf die Erde und sofort trampelte eine Meute wütender Veela über ihn hinweg.

»Der Schnatz, wo ist der Schnatz?«, brüllte ein paar Plätze weiter Charlie.

»Er hat ihn – Krum hat ihn – das Spiel ist aus!«, rief Harry.

Krum, dessen roter Umhang vor Blut glänzte, stieg elegant in die Höhe, mit ausgestreckter Faust, in der es golden schimmerte.

Die Anzeigetafel ließ BULGARIEN: EINHUNDERT-SECHZIG; IRLAND: EINHUNDERTSIEBZIG in die Menge leuchten, die offenbar noch nicht begriffen hatte, was geschehen war. Dann, ganz allmählich, als würde ein Jumbojet zum Start anlaufen, begannen die irischen Fans immer lauter zu poltern und die Spannung löste sich in Freudenschreien auf.

»Irland gewinnt!«, rief Bagman, der offenbar wie die Irenvom plötzlichen Ende des Spiels überrascht worden war.»Krum holt den Schnatz – aber Irland gewinnt – mein Gott, ich glaube, keiner von uns hätte das erwartet!«

»Warum zum Teufel hat er den Schnatz gefangen?«, brüllte Ron, der vor Freude in die Luft sprang und mit den Händen über dem Kopf Beifall klatschte.»Dieser Idiot hat das Spiel beendet, als Irland hundertsechzig Punkte Vorsprung hatte!«

»Er wußte, daß sie nie aufholen würden«, rief ihm Harry, ebenfalls laut klatschend, durch den Lärm hindurch zu.»Die irischen Jäger waren einfach zu gut… er wollte das Spiel beenden, wie es ihm paßte, das ist alles…«

»Er war sehr tapfer, nicht wahr?«, sagte Hermine und beugte sich über die Brüstung, um Krum landen zu sehen. Ein Schwärm von Medimagiern blies die immer noch ineinander verbissenen Leprechans und Veela beiseite und bahnte sich einen Weg zu Krum.»Er sieht fürchterlich zermatscht aus…«

Harry hob erneut das Omniglas an die Augen. Es war schwer auszumachen, was dort unten geschah, weil die Leprechans ganz verrückt über das ganze Spielfeld sausten, doch eben noch konnte er Krum zwischen den Medimagiern erkennen. Verdrießlicher denn je wollte er es partout nicht zulassen, daß sie ihn flickten. Seine Mannschaftskameraden standen kopfschüttelnd und niedergeschlagen um ihn herum; nicht weit davon entfernt tanzten die irischen Spieler schadenfroh unter einem Regen aus Gold, den ihre Maskottchen niedergehen ließen. Flaggen wehten im ganzen Stadion, aus allen Himmelsrichtungen dudelte die irische Nationalhymne; die Veela schrumpften jetzt wieder zu ihrer üblichen, schönen Gestalt, doch sahen sie nun bedrückt und elend aus.

»Jaha, wir habe mutige gekämpft«, sagte eine traurige Stimme hinter Harry. Er drehte sich um; es war der bulgarische Zaubereiminister.

»Sie sprechen ja Englisch!«, sagte Fudge empört.»Und ich hab den ganzen Tag lang den Kasper für Sie gemacht!«

»Jaha, es wäre jedefalls serr lustik«, sagte der bulgarische Minister achselzuckend.

»Und während die irischen Spieler, begleitet von ihren Maskottchen, eine Ehrenrunde drehen, wird der Quidditch-Weltmeisterschaftspokal in die Ehrenloge gebracht«, donnerte Bagman.

Harry wurde jäh von einem gleißend weißen Licht geblendet; die Ehrenloge lag in magischer Helle da, so daß unten auf den Tribünen alle sehen konnten, was geschah. Er blinzelte zum Eingang hin und sah zwei keuchende Zauberer einen riesigen goldenen Pokal in die Loge tragen und ihn Cornelius Fudge aushändigen. Fudge schien immer noch sauer, weil er den ganzen Tag sinnloserweise die Zeichensprache verwendet hatte.

»Bitte einen ganz herzlichen Beifall für die edlen Verlierer – Bulgarien!«, rief Bagman.

Und die Treppe hoch in die Loge kamen die sieben geschlagenen bulgarischen Spieler. Die Menge klatschte anerkennend Beifall; Harry sah Tausende von Omnigläsern zur Loge herüberblitzen und -blinken.

Einer nach dem anderen gingen die Bulgaren durch die Sitzreihen, und Bagman rief laut den Namen eines jeden Spielers, während sie ihrem Minister und dann Fudge die Hand schüttelten. Krum, der Letzte in der Schlange, sah völlig geplättet aus. Zwei Veilchen blühten prächtig auf seinem blutunterlaufenen Gesicht. Immer noch hielt er den Schnatz in der Hand. Harry fiel auf, daß er sich auf festem Grund weit unsicherer bewegte als in der Luft. Er watschelte ein wenig und ließ unverkennbar die Schultern hängen. Doch als Krums Name ausgerufen wurde, schenkte ihm das ganze Stadion ein tosendes, ohrenzerfetzendes Brüllen.

Und dann kam das irische Team. Moran und Connolly stützten Aidan Lynch; seit dem zweiten Sturz schien er ein wenig weggetreten und die Augen sahen merkwürdigerweise in verschiedene Richtungen. Doch grinste er glücklich, als Troy und Quigley den Pokal in die Höhe hoben und die Menge unten donnernd ihre Anerkennung kundtat. Harrys Hände waren vom vielen Klatschen schon taub.

Endlich, als das irische Team die Loge verlassen hatte und eine weitere Besenrunde durch das Stadion drehte (Aidan Lynch machte den Sozius bei Connolly, die Arme fest um dessen Bauch geschlungen und immer noch leicht verwirrt grinsend) – nun endlich richtete Bagman den Zauberstab auf seine Kehle und murmelte:»Quietus.«

»Darüber wird man noch in vielen Jahren reden«, sagte er heiser,»eine wirklich unerwartete Wendung war das… schade, daß es nicht länger gedauert hat… ah ja… ja, ich schulde euch… wie viel?«

Fred und George waren soeben über die Rückenlehnen ihrer Sitze gestolpert und standen nun breit grinsend und mit ausgestreckten Händen vor Ludo Bagman.

Das Dunkle Mal

»Sagt bloß kein Wort zu eurer Mutter, daß ihr euer ganzes Geld verwettet habt«, schärfte Mr Weasley Fred und George ein, während sie langsam die mit purpurrot bespannte Treppe hinabstiegen.

»Mach dir keine Sorgen, Dad«, sagte Fred mit hinterlistigem Grinsen,»wir haben mit dem Geld was Großes vor und wollen nicht, daß es beschlagnahmt wird.«

Mr Weasley schien einen Augenblick lang nach diesen großen Plänen fragen zu wollen, nach kurzer Überlegung jedoch zu beschließen, es lieber nicht so genau wissen zu wollen.

Bald schwammen sie mit in den Scharen von Hexen und Zauberern, die aus dem Stadion hinausquollen, zurück zu den Zeltplätzen. Sie gingen den laternenbeschienenen Weg entlang, den sie gekommen waren; mit der nächtlichen Brise waberten heisere Gesänge an ihre Ohren, und immer wieder schwirrten irische Kobolde giggelnd und Laternen schwingend über ihre Köpfe hinweg. Als sie endlich zu ihren Zelten gelangten, hatte niemand Lust schlafen zu gehen, und da um sie herum ohnehin noch lautes Treiben herrschte, erlaubte ihnen Mr Weasley vor dem Schlafengehen noch eine letzte Tasse Kakao. Es dauerte nicht lange, und sie stritten sich ausgelassen über das Spiel; Mr Weasley und Charlie gerieten sich wegen der Rempelei in die Haare, und erst als Ginny an dem kleinen Tisch plötzlich wegnickte und die heiße Schokolade über den Boden verschüttete, gebot Mr Weasley den wortgewaltigen Spieldiskussionen Einhalt und schickte alle zu Bett. Hermine und Ginny gingen ins Zelt nebenan und Harry und die übrigen Weasleys schlüpften in ihre Pyjamas und kletterten in die Schlafkojen. Von der anderen Seite des Zeltplatzes wehte immer noch Gesang herüber und gelegentlich war ein laut in der Nacht widerhallender Knall zu hören.

»Meine Güte, bin ich froh, daß ich nicht im Dienst bin«, murmelte Mr Weasley schläfrig.»Ich kann mir was Schöneres vorstellen als dort rüberzugehen und den Iren zu sagen, sie sollen aufhören zu feiern.«

Harry, der in der Koje über Ron lag, starrte die Zeltdecke an, durch die hin und wieder die Laterne eines vorbeifliegenden Kobolds schimmerte. Noch einmal führte er sich Krums tollste Spielzüge vor Augen. Es juckte ihn, auf seinen eigenen Feuerblitz zu steigen und den Wronski-Bluff selbst auszuprobieren… irgendwie hatte es Oliver Wood mit all seinen kurvenreichen Schaubildern nie richtig geschafft zu zeigen, wie dieser Zug aussehen mußte… Harry sah sich selbst in einen Umhang gehüllt, der seinen Namen auf dem Rücken trug, und stellte sich das Gefühl vor, eine hunderttausendköpfige Menge brüllen zu hören, während Ludo Bagmans Stimme durch das Stadion hallte:»Und hier kommt… Potter!«

Harry konnte später nicht sagen, ob er eingenickt war oder nicht – seine lebhaften Vorstellungen, wie Krum fliegen zu können, mochten durchaus zu ausgewachsenen Träumen geworden sein -, er wußte nur, daß er plötzlich Mr Weasley rufen hörte.

»Steht auf! Ron – Harry – schnell, steht auf, das ist kein Scherz!«

Harry setzte sich rasch auf und stieß mit dem Kopf gegen die Zeltdecke.

»Was'n los?«, sagte er.

Er ahnte dunkel, daß etwas nicht stimmte. Die Geräusche im Zeltlager hatten sich verändert. Die Gesänge waren verstummt. Er konnte Schreie hören und hastiges Fußgetrappel.

Er rutschte aus seiner Koje, griff nach seinen Kleidern, doch Mr Weasley, der eine Jeans über den Pyjama gezogen hatte, hielt ihn auf:»Keine Zeit, Harry – wirf nur rasch eine Jacke über und geh raus – schnell!«

Harry tat wie ihm geheißen und krabbelte dicht gefolgt von Ron aus dem Zelt.

Im Licht der noch brennenden Feuer sah er Leute in den Wald rennen, offenbar auf der Flucht vor etwas, das über das Feld auf sie zukam, etwas, das merkwürdige Lichtblitze schleuderte und lärmte wie Gewehrfeuer. Lautes Gejohle, dröhnendes Lachen und die Schreie von Betrunkenen wehten zu ihnen her; dann flammte jäh ein starkes grünes Licht auf und erhellte das Geschehen.

Eine Gruppe von Zauberern, dicht aneinander gedrängt und mit zum Himmel gereckten Zauberstäben, marschierte im Gleichschritt langsam über das Feld. Harry spähte zu ihnen hinüber… sie schienen keine Gesichter zu haben… dann erkannte er, daß sie Kapuzen über die Köpfe gezogen und ihre Gesichter maskiert hatten. Hoch über ihnen, mitten in der Luft schwebend, sah er vier verzweifelt strampelnde, grotesk verzerrte Gestalten. Es kam ihm vor, als wären die maskierten Zauberer auf dem Feld Puppenspieler und die Menschen über ihnen Marionetten an unsichtbaren Fäden, die von den Zauberstäben aus in die Höhe stiegen. Zwei der Gestalten waren sehr klein.

Andere Zauberer schlössen sich der marschierenden Gruppe an, johlend und mit den Zauberstäben nach oben zu den schwebenden Körpern deutend. Die Menge schwoll an, Zelte auf dem Weg wurden umgerissen und niedergetrampelt. Hin und wieder beobachtete Harry, wie einer der Marschierer mit dem Zauberstab ein Zelt aus dem Weg blies. Einige fingen Feuer. Das Schreien wurde lauter.

Flammen, die aus einem Zelt schlugen, beleuchteten plötzlich die in der Höhe schwebenden Menschen, und Harry erkannte einen von ihnen – es war Mr Roberts, der Aufseher des Zeltlagers. Die anderen drei sahen aus, als könnten sie seine Frau und seine Kinder sein. Einer der Vermummten ließ Mrs Roberts kopfüber kippen; ihr Nachthemd rutschte herunter und enthüllte ihre bauschigen Schlüpfer; unter dem höhnischen Kreischen und Johlen der Menge am Boden versuchte sie verzweifelt, ihre Blöße zu bedecken.

»Das ist widerlich«, murmelte Ron und beobachtete, wie das kleinste Muggelkind zwanzig Meter über der Erde wie ein Kreisel zu wirbeln begann, das Köpfchen wehrlos von der einen auf die andere Schulter schlagend.»Das ist wirklich widerlich…«

Hermine und Ginny, die sich hastig Mäntel über ihre Nachthemden zogen, kamen auf sie zugerannt, dicht gefolgt von Mr Weasley. In diesem Moment kamen Bill, Charlie und Percy aus dem Jungenzelt, angezogen, mit hochgerollten Ärmeln und gezückten Zauberstäben.

»Wir helfen den Ministeriumsleuten«, rief Mr Weasley durch den Lärm und rollte nun ebenfalls die Ärmel hoch.»Und ihr – verschwindet in den Wald und bleibt zusammen.«

Schon liefen Bill, Charlie und Percy den näher kommenden Marschierern entgegen; Mr Weasley eilte ihnen nach. Aus allen Himmelsrichtungen rannten die Zauberer des Ministeriums auf die Quelle des Aufruhrs zu. Immer näher kam der Haufen, über dem die Familie Roberts in der Luft schwebte.

»Schnell«, sagte Fred, packte Ginny am Arm und zog sie zum Wald. Harry, Ron, Hermine und George folgten ihnen. Als sie unter den Bäumen angelangt waren, blickten sie zurück. Die Schar unter der Familie Roberts war weiter angeschwollen; sie konnten erkennen, wie die Ministeriumszauberer zu den Vermummten vorzudringen versuchten, doch offenbar hatten sie größte Schwierigkeiten. Es schien, als fürchteten sie, ein Zauberspruch aus der Menge würde die Roberts-Familie zu Boden stürzen lassen.

Die bunten Laternen am Weg zum Stadion waren erloschen. Dunkle Gestalten trieben sich zwischen den Bäumen herum; Kinder weinten; angsterfüllte Rufe und panische Schreie waberten durch die kalte Nachtluft. Harry spürte, wie er von Leuten, deren Gesichter er nicht sehen konnte, herumgeschubst wurde. Dann schrie Ron vor Schmerz auf.

»Was ist passiert?«, sagte Hermine erschrocken und blieb so plötzlich stehen, daß Harry gegen sie prallte.»Ron, wo bist du? Oh, ist das bescheuert – Lumos!«

Sie ließ ihren Zauberstab aufleuchten und richtete den dünnen Lichtstrahl auf den Weg. Ron lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem Boden.

»Bin über eine Baumwurzel gestolpert«, sagte er wütend und rappelte sich auf.

»Mit solchen Riesenfüßen ist das auch kein Wunder«, sagte eine schnarrende Stimme hinter ihnen.

Harry, Ron und Hermine wirbelten herum. Draco Malfoy stand ein wenig entfernt von ihnen an einen Baum gelehnt, allein und in vollkommen entspannter Haltung. Offenbar hatte er das Geschehen auf dem Zeltplatz mit verschränkten Armen durch eine Lücke in den Bäumen hindurch beobachtet.

Ron schleuderte Malfoy etwas entgegen, das er, wie Harry wußte, vor Mrs Weasley nie zu sagen gewagt hätte.

»Zügle dein Mundwerk, Weasley«, sagte Malfoy mit einem Glitzern in den fahlen Augen.»Solltet ihr jetzt nicht besser verschwinden? Ihr wollt doch nicht, daß man die hier sieht, oder?«

Er nickte zu Hermine hinüber, und in diesem Moment hörten sie vom Zeltplatz her einen Knall wie von einer Bombe, und für einen Augenblick erhellte ein grüner Lichtblitz die Bäume um sie her.

»Was soll das denn heißen«, sagte Hermine herausfordernd.

»Die sind hinter Muggeln her, Granger«, sagte Malfoy.»Willst du vielleicht mitten in der Luft dein Höschen vorzeigen… sie kommen in diese Richtung, und das wär doch für uns alle ein Riesenspaß.«

»Hermine ist eine Hexe«, knurrte Harry.

»Wie du meinst, Potter«, sagte Malfoy heimtückisch grinsend.»Wenn du glaubst, die könnten eine Schlammblüterin nicht erkennen, dann bleibt, wo ihr seid.«

»Paß auf, was du sagst!«, rief Ron. Alle Beteiligten wußten, daß»Schlammblüter«ein sehr verletzender Ausdruck für eine Hexe oder einen Zauberer mit Muggeleltern war.

»Laß ihn reden, Ron«, warf Hermine ein und packte Ron, der einen Schritt auf Malfoy zutrat, beschwichtigend am Arm.

Von jenseits der Bäume hörten sie einen Knall, der lauter war als alles Bisherige. Einige im Umkreis schrien auf.

Malfoy kicherte leise.»Ihr kriegt es leicht mit der Angst zu tun, oder? Bestimmt hat Daddy gesagt, ihr sollt euch alle verstecken? Was hat er vor – will er die Muggel retten?«

»Wo sind deine Eltern?«, sagte Harry nun schon zorniger.»Dort drüben, nicht wahr, und zwar maskiert?«

Immer noch lächelnd wandte Malfoy das Gesicht Harry zu.»Nun, selbst wenn es so wäre, Potter, würde ich es doch nicht ausgerechnet dir erzählen?«

»Ach, laßt ihn«, sagte Hermine mit einem ekelerfüllten Blick auf Malfoy,»gehen wir lieber die anderen suchen.«

»Und versteck besser deinen großen buschigen Kopf, Granger«, höhnte Malfoy.

»Laßt ihn doch«, wiederholte Hermine und zerrte Harry und Ron auf den Weg zurück.

»Ich wette mit euch, daß sein Dad einer von diesen maskierten Banditen ist«, sagte Ron empört.

»Mit ein wenig Glück wird das Ministerium ihn kriegen!«, sagte Hermine erhitzt.»Nein, ich faß es nicht, wo stecken denn die anderen?«

Auf dem Weg herrschte ein großes Gedränge. Menschen warfen nervöse Blicke zum Treiben auf dem Zeltplatz, doch von Fred, George und Ginny war weit und breit keine Spur.

Ein Stück weiter trafen sie auf einen Schwärm Teenager, die sich lautstark und aufgeregt über etwas stritten. Als sie Harry, Ron und Hermine sahen, wandte sich ein Mädchen mit dichtem Lockenhaar um und sagte schnell:»Oû est Madame Maxime? Nous l'avons perdue -«

»Ähm – was?«, sagte Ron.

»Oh…«, das Mädchen, das gesprochen hatte, kehrte ihm den Rücken zu, und als sie weitergingen, hörten sie deutlich, wie sie»Ogwarts«sagte.

»Beauxbatons«, murmelte Hermine.

»Wie bitte?«, sagte Harry.

»Das müssen Beauxbatons sein«, sagte Hermine.»Ihr wißt doch… Beauxbatons, Akademie für Zauberei… Ich hab davon im Handbuch der europäischen Magierausbildung gelesen.«

»Oh… ja… natürlich«, sagte Harry.

»Fred und George können nicht so weit gekommen sein«, sagte Ron, zückte den Zauberstab und ließ den Lichtstrahl neben dem Hermines den Pfad entlangwandern. Harry grub in der Jackentasche nach seinem Zauberstab – doch er fand nur das Omniglas.

»Aah, nein, so ein Mist… ich hab meinen Zauberstab verloren!«

»Machst du Witze?«

Ron und Hermine hoben ihre Zauberstäbe, um das spärliche Licht besser auf dem Boden zu verteilen; Harry suchte überall, wo er gestanden hatte, doch sein Zauberstab war nirgends zu sehen.

»Vielleicht hast du ihn im Zelt gelassen«, sagte Ron.

»Vielleicht ist er dir aus der Tasche gefallen, als wir gerannt sind?«, überlegte Hermine beklommen.

»Jaah«, sagte Harry,»vielleicht…«

Normalerweise trug er seinen Zauberstab immer bei sich, wenn er in der Zaubererwelt war, und nun, da er inmitten dieses brenzligen Geschehens ohne ihn dastand, fühlte er sich ziemlich schutzlos.

Ein Geraschel ließ sie alle zusammenzucken. Winky, die Hauselfe, strampelte mühsam aus einem dichten Buschgeflecht am Wegrand hervor. Sie bewegte sich äußerst merkwürdig, offenbar fiel es ihr sehr schwer zu gehen; es war, als ob etwas Unsichtbares sie festhalten würde.

»Böse Zauberer sind überall!«, piepste sie verwirrt, während sie sich nach vorn beugte und mit aller Kraft zu laufen versuchte.»Leute oben – hoch oben in der Luft! Winky macht sich besser aus dem Staub!«

Und sie verschwand zwischen den Bäumen auf der anderen Seite des Weges, keuchend und piepsend gegen die Kraft ankämpfend, die sie zurückhielt.

»Was ist denn mit der los?«, sagte Ron und sah Winky neugierig nach.»Warum kann sie nicht richtig laufen?«

»Wahrscheinlich hat sie nicht gefragt, ob sie sich verstecken darf«, sagte Harry. Er dachte an Dobby: Jedes Mal, wenn er versucht hatte etwas zu tun, was die Malfoys nicht mochten, spürte er den unwiderstehlichen Drang, sich selbst zu verprügeln.

»Ihr wißt ja, mit den Hauselfen springen sie ganz übel um!«, sagte Hermine entrüstet.»Das ist Sklaverei, nichts anderes! Dieser Mr Crouch hat sie gezwungen, auf die höchste Tribüne zu steigen, wo sie doch furchtbare Angst hatte, und er hat sie verhext, so daß sie nicht einmal wegrennen kann, wenn sie anfangen die Zelte niederzutrampeln! Warum unternimmt eigentlich niemand was dagegen?«

»Was willst du, die Elfen sind doch glücklich, oder etwa nicht?«, sagte Ron.»Du hast doch vorhin beim Spiel die gute alte Winky gehört… ›Hauselfen sollen keinen Spaß haben‹… herumkommandiert werden ist doch genau das, was sie mag…«

»Es sind solche Leute wie du, Ron«, platzte Hermine aufgebracht los,»die morsche und ungerechte Ordnungen auch noch stützen, nur weil ihr zu lasch seid, um…«

Wieder knallte es laut vom Waldrand her.

»Laßt uns lieber weitergehen!«, sagte Ron, und Harry bemerkte, wie er Hermine einen nervösen Blick zuwarf. Vielleicht war etwas dran an dem, was Malfoy gesagt hatte; vielleicht war Hermine tatsächlich in größerer Gefahr als er und Ron. Während Harry immer noch seine Taschen durchwühlte, obwohl er wußte, daß sein Zauberstab nicht da war, machten sie sich wieder auf die Beine.

Immer tiefer in den Wald hinein folgten sie dem dunklen Weg, ständig auf der Ausschau nach Fred, George und Ginny. Sie kamen an einer Gruppe Leprechans vorbei, die kichernd einen Sack Gold begutachteten, den sie zweifellos bei einer Wette gewonnen hatten, und die von dem Aufruhr auf dem Zeltplatz völlig unberührt schienen. Noch ein Stück weiter sahen sie einen Fleck silbrigen Lichts, und als sie durch die Bäume spähten, sahen sie drei große, schöne Veela auf einer Lichtung stehen, umringt von einer laut schnatternden Schar Zauberer.

»Ich mach ungefähr hundert Sack Galleonen im Jahr«, rief einer von ihnen.»Ich bin ein Drachentöter beim Kommando für die Beseitigung Gefährlicher Geschöpfe.«

»Nein, red keinen Stuß«, rief sein Freund,»du bist Tellerwäscher im Tropfenden Kessel… aber ich bin ein Vampirjäger, ich hab schon an die neunzig Stück erlegt -«

Ein dritter junger Zauberer, dessen Pickel selbst in dem schwachen, silbrigen Licht der Veela zu erkennen waren, meldete sich nun zu Wort:»Ich werde demnächst zum jüngsten Zaubereiminister aller Zeiten ernannt, wißt ihr.«

Harry schnaubte vor Lachen. Er erkannte den pickligen Zauberer; sein Name war Stan Shunpike, und er war in Wirklichkeit Schaffner im Fahrenden Ritter, einem dreistöckigen Bus.

Er wandte sich um und wollte Ron davon erzählen, doch Rons Gesichtszüge waren merkwürdig schlaff geworden, und schon fing er an zu rufen:»Wißt ihr schon, daß ich einen Besen erfunden habe, mit dem man zum Jupiter fliegen kann?«

»Also wirklich!«, sagte Hermine von neuem, und sie und Harry packten Ron fest an den Armen, zerrten ihn herum und zogen mit ihm davon. Allmählich erstarb das Geschnatter der Veela-Verehrer und nun waren sie im Herzen des Waldes. Um sie her war es fast still, sie waren nun offenbar ganz allein.

Harry blickte sich um.»Ich schätze, wir können einfach hier warten, hier hören wir jeden, auch wenn er noch meilenweit entfernt ist.«

Kaum hatte er den Mund zugemacht, als hinter einem Baum direkt vor ihrer Nase Ludo Bagman auftauchte.

Selbst in dem schwachen Licht der beiden Zauberstäbe konnte Harry erkennen, daß Ludos Erscheinung sich deutlich gewandelt hatte. Er wirkte nun nicht mehr schwungvoll und rosig und auch sein Schritt federte nicht mehr. Er sah käseweiß und angespannt aus.

»Wer da?«, sagte er und versuchte blinzelnd ihre Gesichter zu erkennen.»Was treibt ihr hier ganz alleine mitten im Wald?«

Sie sahen sich überrascht an.

»Nun – es gibt eine Art Aufruhr«, sagte Ron.

Bagman starrte ihn an.»Was?«

»Auf dem Zeltplatz… einige Leute haben sich eine Muggelfamilie geschnappt…«

Bagman fluchte laut.»Verdammtes Pack!«, sagte er, offenbar recht beunruhigt. Und ohne ein weiteres Wort zu sagen disapparierte er mit einem leisen Plopp.

»Nicht gerade auf dem Laufenden, Mr Bagman, oder?«, sagte Hermine stirnrunzelnd.

»Immerhin war er mal ein großer Treiber«, sagte Ron und führte sie den Pfad entlang zu einer kleinen Lichtung, wo er sich auf einem Fleck trockenen Grases unter einen Baum setzte.»Die Wimbourner Wespen haben dreimal in Folge die Meisterschaft gewonnen, als er bei ihnen gespielt hat.«

Er holte die kleine Nachbildung von Krum aus der Tasche, setzte sie auf die Erde und sah ihr eine Weile beim Herumgehen zu. Wie der echte Krum watschelte das Modell ein wenig und ließ die Schultern hängen, und auf seinen gespreizten Füßen war es bei weitem nicht so beeindruckend wie auf dem Besen. Harry lauschte auf Geräusche, die vom Zeltplatz herüberwehten. Es schien alles ruhig, vielleicht war der Aufruhr vorüber.

»Ich hoffe, den anderen geht es gut«, sagte Hermine nach einer Weile.

»Wird schon«, sagte Ron.

»Stell dir vor, dein Dad nimmt Lucius Malfoy fest«, sagte Harry, ließ sich neben Ron nieder und beobachtete, wie die kleine Krum-Figur über die heruntergefallenen Blätter schlurfte.»Er hat ja immer gesagt, er würde ihm gerne etwas nachweisen können.«

»Dann würde dem ollen Draco das blöde Grinsen vergehen«, sagte Ron.

»Mir tun diese armen Muggel Leid«, sagte Hermine nervös.»Was ist, wenn sie es nicht schaffen, sie sicher herunterzuholen?«

»Das werden sie schon«, sagte Ron beruhigend,»irgendwie schaffen sie es.«

»Verrückt ist es schon, so etwas zu tun, wenn das ganze Zaubereiministerium hier draußen auf den Beinen ist!«, sagte Hermine.»Meinen die vielleicht, sie kommen einfach so davon? Glaubt ihr, sie haben sich betrunken, oder sind sie nur -«

Doch jäh brach sie ab und blickte über die Schulter. Auch Harry und Ron wandten sich um. Es klang, als ob jemand auf ihre Lichtung zustolperte. Gebannt lauschten sie auf die unregelmäßigen Schritte hinter den Bäumen. Doch die Schritte hielten plötzlich inne.

»Hallo?«, rief Harry.

Stille. Harry stand auf und spähte durch die Bäume. Es war zu dunkel, um weit sehen zu können, doch er spürte deutlich, daß dort in der Dunkelheit jemand stand.

»Wer ist da?«, rief er.

Und dann, ohne Vorwarnung, zerriß eine Stimme die Stille, wie er sie hier im Wald noch nicht gehört hatte; doch es war kein panischer Schrei, sondern etwas, das wie ein Zauberspruch klang.

»Morsmordre!«

Und etwas Riesiges, grün und glitzernd, brach aus den Schatten hervor, die Harrys Augen hatten durchdringen wollen; es stieg über die Baumspitzen hinaus und hoch an den Himmel.

»Was zum -?«, keuchte Ron, sprang auf die Beine und starrte auf das Etwas, das dort oben erschienen war.

Einen Augenblick lang dachte Harry, die irischen Kobolde hätten sich zu einer neuen Gestalt zusammengefügt. Dann erkannte er, daß es ein riesiger Totenkopf war, der, wie es schien, aus smaragdgrünen Sternen bestand. Und aus der Mundhöhle des Schädels quoll, wie eine Zunge, eine Schlange hervor. Sie sahen zu, wie der Schädel immer höher stieg, in grünlichen Dunst getaucht, doch strahlend hell, auf den schwarzen Himmel geprägt wie ein neues Gestirn.

Plötzlich war der Wald um sie her ein Meer von Schreien. Harry wußte nur, daß der einzige Grund dafür das plötzliche Erscheinen des Totenschädels sein konnte, der nun so hoch gestiegen war, daß er den ganzen Wald erleuchtete wie ein grauenhaftes Neonschild. Er suchte in der Dunkelheit nach dem Beschwörer des Schädels, doch er sah niemanden.

»Wer ist da?«, rief er noch einmal.

»Harry, komm, wir hauen ab!«Hermine hatte ihn hinten an der Jacke gepackt und zerrte ihn rücklings fort.

»Was ist los?«, fragte Harry und sah bestürzt in ihr weißes, verängstigtes Gesicht.

»Es ist das Dunkle Mal, Harry!«, keuchte Hermine und zerrte ihn mit aller Kraft fort.»Das Zeichen von Du-weißt-schon-wem!«

»Voldemorts -?«

»Harry, komm schon!«

Harry wandte sich jetzt um – Ron packte hastig seinen kleinen Krum ein – und die drei machten sich auf den Weg über die Lichtung – doch nach nur wenigen hastigen Schritten verriet ihnen ein leises Plopp nach dem anderen, daß zwanzig Zauberer aus dem Nichts aufgetaucht waren und sie umzingelten.

Harry wirbelte herum, und im Bruchteil einer Sekunde erkannte er eines: Jeder dieser Zauberer hatte seinen Zauberstab gezückt, und die Zauberstäbe waren auf ihn, Ron und Hermine gerichtet. Ohne weiter nachzudenken schrie er:»Deckung!«, packte die anderen beiden und riß sie zu Boden.

»Stupor!«, donnerten zwanzig Stimmen – es gab ein blendendes Blitzgeprassel und Harry spürte, wie sich das Haar auf seinem Kopf kräuselte, als ob ein kräftiger Wind über die Lichtung fegte. Er hob den Kopf nur wenige Zentimeter und sah rote Feuerstöße aus den Stäben der Zauberer über sie hinwegflammen, sich kreuzen, von Baumstämmen abprallen und sich in der Dunkelheit verlieren -

»Aufhören!«, schrie eine Stimme, die er kannte.»Stopp! Das ist mein Sohn!«

Der Wind, der Harrys Haar zerzaust hatte, legte sich. Er hob den Kopf ein wenig höher. Der Zauberer vor ihm hatte seinen Stab gesenkt. Harry setzte sich auf und sah Mr Weasley mit entsetztem Gesicht auf sie zugehen.

»Ron – Harry -«, seine Stimme zitterte,»- Hermine – seid ihr verletzt?«

»Aus dem Weg, Arthur«, herrschte ihn eine kalte Stimme an.

Es war Mr Crouch. Er und die anderen Ministeriumszauberer zogen den Kreis um sie enger. Harry stand auf, um sich ihnen entgegenzustellen. Mr Crouchs Gesicht war wutverzerrt.

»Wer von Ihnen hat es getan?«, bellte er, und seine scharfen Augen blitzten zwischen ihnen hin und her.»Wer von Ihnen hat das Dunkle Mal heraufbeschworen?«

»Das waren wir nicht!«, sagte Harry und deutete mit der Hand hoch zum Schädel.

»Wir haben überhaupt nichts getan!«, sagte Ron, rieb sich den Ellbogen und sah entrüstet seinen Vater an.»Warum habt ihr uns angegriffen?«

»Lügen Sie nicht, Sir!«, rief Mr Crouch. Sein Zauberstab war immer noch direkt auf Ron gerichtet und seine Augen quollen hervor – so wirkte er leicht übergeschnappt.»Sie sind am Tatort entdeckt worden!«

»Barty«, flüsterte eine Hexe in einem langen wollenen Morgenrock,»das sind doch noch Kinder, Barty, die wären doch nie in der Lage -«

»Wo kam denn das Mal her, ihr drei?«, warf Mr Weasley rasch ein.

»Von da drüben«, sagte Hermine zitternd und deutete auf die dunkle Stelle, wo die Stimme hergekommen war,»da war jemand hinter den Bäumen… er hat laut gesprochen – eine Beschwörung -«

»Oh, stand also da drüben, nicht wahr?«, sagte Mr Crouch und wandte seine hervorquellenden Augen Hermine zu; daß er ihr nicht glaubte, stand ihm im Gesicht geschrieben.»Hat eine Beschwörung gesprochen, soso? Sie scheinen sehr gut zu wissen, wie das Mal aufgerufen wird, Fräulein -«

Doch keiner der Ministeriumszauberer außer Mr Crouch schien es überhaupt für denkbar zu halten, daß Harry, Ron oder Hermine den Schädel heraufbeschworen hatte; im Gegenteil, bei Hermines Worten hoben sie alle wieder ihre Zauberstäbe, spähten durch die Nacht und richteten sie auf die besagte Stelle.

»Zu spät«, sagte die Hexe in dem wollenen Morgenrock kopfschüttelnd.»Die sind bestimmt schon disappariert.«

»Da bin ich anderer Meinung«, sagte ein Zauberer mit stoppligem braunem Bart. Es war Amos Diggory, Cedrics Vater.»Unsere Schocker sind doch direkt durch diese Bäume geflogen… vielleicht haben wir sie sogar erwischt…«

»Sei vorsichtig, Amos!«, warnten einige Umstehende, als Mr Diggory die Schultern straffte, den Zauberstab ausstreckte und die Lichtung überquerte. Die Hände an den Mund gepreßt sah Hermine ihn in den Schatten verschwinden.

Sekunden später hörten sie Mr Diggory rufen.

»Ja! Wir haben sie! Hier ist jemand! Bewußtlos! Es ist – aber – du meine Güte…«

»Sie haben jemanden?«, rief Mr Crouch mit zweifelndem Unterton.»Wen? Wer ist es?«

Sie hörten Zweige knacken und Blätter rascheln und dann die knirschenden Schritte Mr Diggorys, der wieder zwischen den Bäumen auftauchte. Er trug eine kleine, schlaffe Gestalt in den Armen. Harry erkannte sofort das Geschirrtuch. Es war Winky.

Mr Crouch schien zu Eis gefroren, als ihm Mr Diggory die Elfe vor die Füße legte. Die anderen Ministeriumszauberer starrten allesamt Mr Crouch an. Ein paar Sekunden lang blieb er wie gebannt stehen, die lodernden Augen auf die am Boden liegende Winky gerichtet.

»Das – kann – nicht – sein«, stieß er abgehackt hervor.»Nein -«

Plötzlich ging er schnell um Mr Diggory herum und marschierte auf die Stelle zu, wo dieser Winky gefunden hatte.

»Hat keinen Zweck, Mr Crouch«, rief ihm Mr Diggory nach.»Mehr sind nicht da.«

Doch Mr Crouch schien ihm nicht glauben zu wollen. Sie konnten ihn blätterraschelnd zwischen den Büschen umhersuchen hören.

»Ziemlich peinlich«, sagte Mr Diggory verbissen und sah hinunter auf die reglose Gestalt Winkys.»Barty Crouchs Hauselfe… schon ein starkes Stück…«

»Reg dich ab, Amos«, sagte Mr Weasley leise,»du glaubst doch nicht allen Ernstes, daß es die Elfe war? Das Dunkle Mal ist das Zeichen eines Zauberers. Dazu ist ein Zauberstab nötig.«

»Tja«, sagte Mr Diggory,»sie hatte einen Zauberstab.«

»Wie bitte?«, sagte Mr Weasley.

»Hier, schau.«Mr Diggory hob den Zauberstab und zeigte ihn Mr Weasley.»Hatte ihn in der Hand. Da hätten wir also schon mal einen Verstoß gegen Artikel drei des Gesetzes zum Gebrauch des Zauberstabs: Kein nichtmenschliches Wesen darf einen Zauberstab tragen oder gebrauchen.«

In diesem Augenblick gab es ein erneutes Plopp und Ludo Bagman apparierte direkt neben Mr Weasley. Erschöpft und verwirrt drehte er sich im Kreis und spähte kichernd zu dem smaragdgrünen Schädel hoch.

»Das Dunkle Mal!«, keuchte er und hätte um ein Haar Winky zertrampelt. Mit fragender Miene wandte er sich an seine Kollegen.»Wer war das? Habt ihr sie? Barty! Was geht hier vor?«

Mr Crouch war mit leeren Händen zurückgekehrt. Sein Gesicht war immer noch gespenstisch weiß und seine Hände und sein Oberlippenbärtchen zuckten.

»Wo warst du, Barty?«, sagte Bagman.»Warum warst du nicht beim Spiel? Deine Elfe hat dir doch einen Platz besetzt – würgende Wasserspeier!«Bagmans Blick war auf Winky zu Crouchs Füßen gefallen.»Was ist denn mit der passiert?«

»Ich hatte vorhin zu tun, Ludo«, antwortete ihm Mr Crouch, der immer noch am ganzen Leib zuckte und die Lippen kaum bewegte.»Und meine Elfe wurde betäubt.«

»Betäubt? Von euch hier, soll das heißen? Aber warum -?«

Plötzlich dämmerte es auf Bagmans rundem, glänzendem Gesicht; er blickte hoch zu dem Schädel, hinab auf Winky und fixierte dann Mr Crouch.

»Nein!«, sagte er.»Winky? Hat das Dunkle Mal heraufbeschworen? Die weiß doch nie und nimmer, wie das geht! Und erst einmal brauchte sie einen Zauberstab!«

»Sie hatte einen«, sagte Mr Diggory.»Als ich sie fand, hatte sie einen in der Hand, Ludo. Wenn Sie einverstanden sind, Mr Crouch, sollten wir hören, was sie selbst dazu zu sagen hat.«

Crouch ließ nicht erkennen, ob er Mr Diggory überhaupt verstanden hatte, doch Mr Diggory schien sein Schweigen für Zustimmung zu halten. Er hob seinen eigenen Zauberstab, richtete ihn auf Winky und sagte:»Enervate!«

Winky regte sich ein wenig. Ihre großen braunen Augen öffneten sich und sie blinzelte ein paar Mal recht verwirrt. Unter den stummen Blicken der Zauberer setzte sie sich zitternd auf den Hintern. Dann bemerkte sie Mr Diggorys Füße und sah langsam und bebend zu ihm auf; noch langsamer schließlich hob sie ihren Kopf zum Himmel. Harry sah den Schädel zweifach in ihren Augen gespiegelt. Sie keuchte, ließ den Blick verstört über die Lichtung voller Zauberer huschen und brach dann in angsterfülltes Schluchzen aus.

»Elfe!«, sagte Mr Diggory barsch.»Weißt du, wer ich bin? Ich bin ein Mitglied der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe!«

Winky, in kurzen Stößen atmend, begann nun mit dem Oberkörper hin und her zu wippen. Sie erinnerte Harry deutlich an Dobby in seinen Momenten ängstlichen Ungehorsams.

»Wie du siehst, Elfe, wurde hier vor kurzem das Dunkle Mal heraufbeschworen«, sagte Mr Diggory.»Und du wurdest wenig später entdeckt, direkt darunter! Eine Erklärung, wenn ich bitten darf!«

»Ich – ich – ich hab nichts getan, Sir!«, keuchte Winky.»Ich weiß doch nicht, wie, Sir!«

»Du wurdest mit einem Zauberstab in der Hand gefunden!«, blaffte sie Mr Diggory an und fuchtelte mit dem Stab vor ihrem Gesicht herum. Und als das grüne Licht, das die Lichtung vom Schädel am Himmel her erfüllte, auf den Zauberstab fiel, traf Harry fast der Schlag.

»Hee – das ist meiner!«, sagte er.

Alle auf der Lichtung starrten ihn an.

»Wie bitte?«, sagte Mr Diggory ungläubig.

»Das ist mein Zauberstab!«, sagte Harry.»Ich hab ihn verloren!«

»Du hast ihn verloren?«, wiederholte Mr Diggory zweifelnd.»Ist das ein Geständnis? Du hast ihn fortgeworfen, nachdem du das Dunkle Mal heraufbeschworen hattest?«

»Amos, bedenk doch, mit wem du sprichst«, sagte Mr Weasley erzürnt.»Glaubst du vielleicht, Harry Potter würde das Dunkle Mal heraufbeschwören?«

»Hmmh – natürlich nicht«, murmelte Mr Diggory.»Verzeihung… hab mich gehen lassen…«

»Ich hab ihn ohnehin nicht dort drüben fallen lassen«, sagte Harry und wies mit dem Daumen hinüber zu den Bäumen unter dem Schädel.»Ich hab ihn schon vermißt, gleich nachdem wir im Wald waren.«

»Nun gut«, sagte Mr Diggory und wandte sich mit kalten Augen erneut an Winky, die zu seinen Füßen kauerte.»Du hast also diesen Zauberstab gefunden, Elfe? Und du hast ihn aufgehoben und dachtest, du könntest ein paar Spaße damit treiben, nicht wahr?«

»Ich hab keinen Zauber damit gemacht, Sir!«, piepste Winky, und Tränen kullerten jetzt an ihrer eingedellten Kugelnase herunter.»Ich hab… ich hab… ich hab ihn nur aufgehoben, Sir! Ich hab nicht das Dunkle Mal gemacht, Sir, ich weiß nicht, wie!«

»Sie war es nicht!«, sagte Hermine. Vor all diesen Ministeriumszauberern zu sprechen schien sie nervös zu machen, doch sie ließ sich nicht beirren.»Winky hat eine leise Piepsstimme und die Stimme, die wir bei der Beschwörung gehört haben, war viel tiefer!«Sie wandte sich Hilfe suchend an Harry und Ron.»Sie klang nicht wie Winky, oder?«

»Nein«, sagte Harry und schüttelte den Kopf.»Die Stimme klang bestimmt nicht nach der Elfe.«

»Ja, es war eine menschliche Stimme«, sagte Ron.»Nun, wir werden ja gleich sehen«, knurrte Mr Diggory mit unbeeindruckter Miene.»Es gibt eine einfache Möglichkeit, den letzten Zauber eines Zauberstabs festzustellen, wußtest du das, Elfe?«

Winky zitterte und schüttelte verzweifelt und ohrenschlackernd den Kopf. Mr Diggory hob erneut seinen Zauberstab und berührte mit ihm die Spitze von Harrys Zauberstab.

»Prior Incantado!«, rief er mit donnernder Stimme. Harry hörte Hermine vor Entsetzen aufkeuchen, als ein gewaltiger Schädel mit Schlangenzunge genau dort hervorbrach, wo sich die Spitzen der beiden Stäbe berührten, doch diesmal war es nur ein Schatten des grünen Schädels hoch über ihnen, der aussah, als bestünde er aus dichtem grünem Rauch: der Geist eines Zaubers.

»Deletrius!«, rief Mr Diggory, und der Schädel aus Rauch verpuffte zu einem Wölkchen.

»So«, sagte Mr Diggory, als hätte er einen grausamen Sieg errungen, und sah hinab auf Winky, die immer noch am ganzen Leib bebte.

»Ich hab's nicht getan!«, piepste sie und rollte entsetzt mit den Augen.»Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, wie! Ich bin doch eine gute Elfe, ich mache nichts mit dem Zauberstab, ich weiß nicht, wie!«

»Du bist auf frischer Tat ertappt worden, Elfe!«, polterte Mr Diggory.»Ertappt mit dem Tatwerkzeug, dem Zauberstab, in der Hand!«

»Amos«, sagte Mr Weasley laut,»überleg doch mal… herzlich wenig Zauberer wissen, wie man diesen Zauber ausübt… wo sollte sie das gelernt haben?«

»Womöglich will Amos behaupten«, sagte Mr Crouch mit kalter Wut in jeder Silbe,»daß ich meinen Dienstboten regelmäßig beibringe, das Dunkle Mal zu beschwören?«

Ein zutiefst peinliches Schweigen trat ein.

Amos Diggory schien entsetzt.»Mr Crouch… nein… nein, keineswegs…«

»Und Sie hätten um ein Haar ausgerechnet die zwei Personen auf dieser Lichtung beschuldigt, die gewiß am wenigsten mit dem Dunklen Mal zu tun haben wollen!«, bellte Mr Crouch.»Harry Potter – und mich! Ich nehme an, Sie kennen die Geschichte des Jungen, Amos?«

»Natürlich – jeder kennt sie -«, murmelte Mr Diggory und schien sich in seiner Haut höchst unwohl zu fühlen.

»Und ich denke, Sie wissen bestimmt auch noch, wie oft ich in meiner langen Laufbahn bewiesen habe, daß ich die dunklen Künste und jene, die sie ausüben, hasse und verachte?«, rief Mr Crouch, und erneut quollen ihm die Augen aus den Höhlen.

»Mr Crouch – ich – ich habe nie auch nur eine Andeutung gemacht, daß Sie irgend etwas damit zu tun hätten!«, murmelte Amos Diggory unter seinem braunen Stoppelbart errötend.

»Wenn Sie meine Elfe beschuldigen, dann beschuldigen Sie mich, Diggory!«, rief Mr Crouch.»Wo sonst soll sie gelernt haben, das Mal zu beschwören?«

»Sie – sie könnte es überall mitgekriegt haben -«

»Genau, Amos«, sagte Mr Weasley.»Sie hätte es überall mitkriegen können… Winky?«, sagte er freundlich und wandte sich der Elfe zu, doch sie zuckte zusammen, als ob auch er sie angeschrien hätte.»Wo genau hast du Harrys Zauberstab gefunden?«

Winky zwirbelte so hartnäckig an der Spitze ihres Geschirrtuchs, daß es zwischen ihren Fingern ausfranste.

»Ich – ich hab ihn gefunden – gefunden dort, Sir…«, flüsterte sie,»dort… unter den Bäumen, Sir…«

»Siehst du, Amos«, sagte Mr Weasley.»Wer immer das Mal heraufbeschworen hat, könnte sofort danach verschwunden sein und Harrys Zauberstab zurückgelassen haben. Ein gerissener Schachzug, nicht den eigenen Zauberstab zu nehmen, der ihn hätte verraten können. Und Winky hier hatte das Pech, nur Augenblicke später auf den Zauberstab zu stoßen und ihn aufzuheben.«

»Aber dann wäre sie nur ein paar Meter vom wirklichen Schurken entfernt gewesen!«, sagte Mr Diggory ungeduldig.»Elfe? Hast du jemanden gesehen?«

Winky schüttelte es am ganzen Leib. Ihre Riesenaugen flackerten von Mr Diggory zu Ludo Bagman und weiter zu Mr Crouch.

Dann würgte sie hervor:»Ich hab niemanden gesehen, Sir… niemanden nicht…«

»Amos«, sagte Mr Crouch schroff.»Natürlich würden Sie Winky normalerweise zum Verhör ins Büro mitnehmen. Ich bitte Sie jedoch, mir zu gestatten, selbst mit ihr abzurechnen.«

Mr Diggory schien von diesem Vorschlag nicht besonders angetan, doch Harry war klar, daß Mr Crouch ein so hohes Tier im Ministerium war, daß er nicht wagte, den Vorschlag abzulehnen.

»Sie können sicher sein, daß sie bestraft wird«, fügte Mr Crouch kühl hinzu.

»M-M-Meister…«, stammelte Winky und sah mit tränenverquollenen Augen zu Mr Crouch auf.»M-M-Meister, b-b-bitte…«

Mr Crouch starrte sie an, seine Züge schienen noch schärfer, jede Falte auf seinem Gesicht tiefer geworden zu sein. In seinem Blick lag kein Erbarmen.

»Winky hat sich heute Nacht auf eine Weise benommen, die ich nicht für möglich gehalten hätte«, sagte er langsam.»Ich habe sie angewiesen, im Zelt zu bleiben. Ich habe sie angewiesen, dort zu bleiben, während ich unterwegs war, um dem Aufruhr Einhalt zu gebieten. Und ich stelle fest, daß sie mir nicht gehorcht hat. Das bedeutet Kleidung.«

»Nein!«, kreischte Winky und warf sich zu Mr Crouchs Füßen auf die Erde.»Nein, Meister! Nicht Kleidung, nicht Kleidung!«

Harry wußte, daß die einzige Möglichkeit, einen Hauselfen in die Freiheit zu entlassen, darin bestand, ihm richtige Kleider zu schenken. Es war ein Jammer mit anzusehen, wie Winky, das Geschirrtuch fest umklammernd, Tränen über Mr Crouchs Schuhe vergoß.

»Sie hatte doch Angst!«, stieß Hermine zornig hervor und starrte Mr Crouch verächtlich an.»Ihre Elfe hat Höhenangst und diese maskierten Zauberer ließen Leute in der Luft schweben! Sie können ihr nicht vorwerfen, daß sie das Weite suchen wollte!«

Mr Crouch schüttelte die Elfe ab, trat einen Schritt zurück und musterte sie, als ob sie etwas Schmutziges und Ekliges wäre, das seine polierten Schuhe besudle.

»Ich kann keine Hauselfe gebrauchen, die mir nicht gehorcht«, sagte er kalt und sah zu Hermine auf.»Ich kann keine Dienerin gebrauchen, die vergißt, was sie ihrem Meister und seinem Ruf schuldig ist.«

Winky weinte so heftig, daß ihr Schluchzen auf der ganzen Lichtung widerhallte.

Ein sehr unangenehmes Schweigen trat ein, das von Mr Weasley mit leisen Worten beendet wurde:»Nun, ich denke, ich nehme die Meinen zurück zum Zelt, wenn keiner etwas dagegen hat. Amos, dieser Zauberstab hat uns alles gesagt, was er kann – könnte Harry ihn bitte wieder zurückhaben -«

Mr Diggory reichte Harry den Zauberstab und Harry ließ ihn in die Tasche gleiten.

»Na, dann kommt, ihr drei«, sagte Mr Weasley leise. Doch Hermine schien keinen Schritt gehen zu wollen; ihr Blick ruhte immer noch auf der schluchzenden Elfe.»Hermine!«, sagte Mr Weasley etwas eindringlicher. Sie wandte sich um und folgte Harry und Ron über die Lichtung und hinein in den Wald.

»Was geschieht mit Winky?«, fragte Hermine, sobald sie die Lichtung hinter sich gelassen hatten.

»Ich weiß es nicht«, sagte Mr Weasley.

»Unglaublich, wie sie behandelt wird!«, sagte Hermine zornig.»Mr Diggory nennt sie die ganze Zeit ›Elfe‹… und erst Mr Crouch! Er weiß, daß sie es nicht getan hat, und trotzdem wirft er sie raus! Es war ihm doch gleich, daß sie furchtbare Angst hatte und ganz aus der Fassung war – als ob sie nicht mal ein Mensch wäre!«

»Nun ja, ist sie auch nicht«, sagte Ron.

Hermine sah ihn wutentbrannt an.»Das heißt noch lange nicht, daß sie keine Gefühle hat, Ron, es ist abscheulich, wie -«

»Hermine, du hast ja Recht«, warf Mr Weasley rasch ein und winkte sie weiter,»aber jetzt ist nicht die Zeit, über Elfenrechte zu diskutieren. Ich möchte so rasch wie möglich zum Zelt zurück. Was ist mit den anderen passiert?«

»Wir haben sie in der Dunkelheit verloren«, sagte Ron.»Dad, warum regen sich denn alle so furchtbar über diesen Schädel da oben auf?«

»Das erkläre ich dir, wenn wir wieder im Zelt sind«, sagte Mr Weasley angespannt.

Doch am Waldrand wurden sie aufgehalten.

Eine große Schar verängstigt aussehender Hexen und Zauberer hatte sich dort versammelt, und als sie Mr Weasley näher kommen sahen, hasteten ihm viele entgegen.»Was geht dort drin vor?«-»Wer hat das Mal heraufbeschworen?«-»Arthur – doch nicht etwa – er selbst?«

»Natürlich nicht«, sagte Mr Weasley ungehalten.»Wer es war, wissen wir nicht, und er ist verschwunden. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich will schlafen gehen.«

Er bahnte Harry, Ron und Hermine einen Weg durch die Menge und schließlich gelangten sie zum Zeltplatz. Ruhe war eingekehrt; von den maskierten Zauberern war nichts mehr zu sehen, doch noch immer kokelten ein paar abgebrannte Zelte.

Charlie steckte den Kopf aus dem Jungenzelt.

»Dad, was ist los?«, rief er durch die Dunkelheit.»Fred, George und Ginny sind hier, ihnen ist nichts passiert, aber die anderen -«

»Die hab ich mitgebracht«, sagte Mr Weasley, bückte sich und schlüpfte ins Zelt. Harry, Ron und Hermine folgten ihm.

Bill saß an dem kleinen Küchentisch und drückte sich ein Leintuch auf den Arm, der stark blutete. Charlie hatte einen langen Riß im Hemd und Percy konnte eine blutige Nase vorzeigen. Fred, George und Ginny schienen nicht verletzt, jedoch arg mitgenommen.

»Hast du ihn gekriegt, Dad?«, sagte Bill scharf.»Den, der das Mal heraufbeschworen hat?«

»Nein«, sagte Mr Weasley.»Wir haben Barty Crouchs Elfe mit Harrys Zauberstab in der Hand gefunden, aber das sagt uns noch lange nicht, wer wirklich das Mal heraufbeschworen hat.«

»Was?«, sagten Bill, Charlie und Percy wie aus einem Mund.

»Harrys Zauberstab?«, sagte Fred.

»Mr Crouchs Elfe?«, sagte Percy wie vom Donner gerührt.

Mit ein paar ergänzenden Worten von Harry, Ron und Hermine schilderte Mr Weasley, was im Wald geschehen war. Als er geendet hatte, warf sich Percy entrüstet in die Brust.

»Natürlich hat Mr Crouch vollkommen Recht, eine solche Elfe davonzujagen!«, sagte er.»Läuft einfach davon, wo er ihr doch ausdrücklich gesagt hat… wie peinlich für ihn und das Ministerium… wie hätte das denn ausgesehen, wenn man sie vor der Abteilung zur Führung und Aufsicht…«

»Sie hat nichts getan – sie war nur zur falschen Zeit am falschen Ort«, fauchte Hermine den völlig perplexen Percy an. Hermine war immer recht gut mit Percy ausgekommen -im Grunde besser als die anderen.

»Hermine, ein Zauberer in Mr Crouchs Position kann sich keine Hauselfe leisten, die mit einem Zauberstab Amok läuft!«, sagte Percy mit gewichtiger Miene, nachdem er sich gefaßt hatte.

»Sie ist nicht Amok gelaufen!«, rief Hermine.»Sie hat ihn nur von der Erde aufgelesen!«

»Hört mal, kann mir jemand erklären, was es mit diesem Schädel auf sich hat?«, sagte Ron ungeduldig.»Er hat doch keinem was getan… warum dann dieser ganze Aufstand?«

»Ich hab dir doch erklärt, es ist das Symbol von Du-weißt-schon-wem, Ron«, sagte Hermine, bevor irgend jemand sonst antworten konnte.»Hab ich in Aufstieg und Fall der dunklen Künste gelesen.«

»Und der Schädel wurde dreizehn Jahre lang nicht gesehen«, sagte Mr Weasley leise.»Natürlich hat er die Leute in Angst und Schrecken versetzt… es war ja fast, als würden sie Du-weißt-schon-wen wieder sehen.«

»Ich versteh's trotzdem nicht«, sagte Ron stirnrunzelnd.»Ich meine… es ist nur ein Zeichen am Himmel…«

»Ron, Du-weißt-schon-wer und seine Anhänger haben das Dunkle Mal immer dann aufsteigen lassen, wenn sie gemordet haben«, sagte Mr Weasley.»Du hast ja keine Ahnung… welches Grauen es auslöste. Stell dir vor, du kommst nach Hause und findest das Dunkle Mal über deinem Haus schweben und du weißt genau, was du drin vorfinden wirst… das Schlimmste…«

Eine kurze Stille trat ein.

Schließlich nahm Bill seinen Verband ab, um sich seine Wunde am Arm anzusehen, und sagte:»Jedenfalls hat uns der Schädel heute Nacht nicht geholfen, wer immer ihn heraufbeschworen hat. Die Todesser hat er sofort in panische Angst versetzt. Sie sind alle disappariert, bevor wir nahe genug dran waren, um auch nur einem von ihnen die Maske abzureißen. Wenigstens konnten wir die Familie Roberts noch auffangen, bevor sie auf der Erde aufschlugen. Im Moment werden ihre Gedächtnisse verändert.«

»Todesser?«, sagte Harry.»Was sind Todesser?«

»So nannten sich die Anhänger von Du-weißt-schon-wem«, sagte Bill.»Ich glaube, heute Nacht haben sich die versprengten Überreste dieser Leute wieder zusammengefunden – die zumindest, die es geschafft haben, sich vor Askaban zu retten.«

»Wir können nicht beweisen, daß sie es waren, Bill«, sagte Mr Weasley.»Obwohl du wahrscheinlich Recht hast«, fügte er erbittert hinzu.

»Ja, darauf wette ich«, sagte Ron plötzlich.»Dad, wir haben Draco Malfoy im Wald getroffen, und er hat durchblicken lassen, daß sein Vater einer dieser Hirnis mit den Masken war! Und wir wissen alle, daß die Malfoys mit Du-weißt-schon-wem unter einer Decke steckten!«

»Aber das waren doch Anhänger Voldemorts -«, warf Harry ein. Die anderen zuckten zusammen – wie die meisten in der Zaubererwelt vermieden es die Weasleys, Voldemort beim Namen zu nennen.»Verzeihung«, sagte Harry rasch.»Warum eigentlich sollten diese Anhänger von Du-weißt-schon-wem Muggel in der Luft schweben lassen? Was war denn der Sinn des Ganzen?«

»Der Sinn?«, sagte Mr Weasley mit einem hohlen Lachen.»Harry, das verstehen diese Leute unter Spaß. Die Hälfte der Morde an Muggeln in der Zeit, als Du-weißt-schon-wer an der Macht war, wurden aus reinem Vergnügen begangen. Ich nehme an, sie hatten am Abend einiges getrunken und konnten dann einfach der Lust nicht widerstehen, uns daran zu erinnern, daß viele von ihnen immer noch auf freiem Fuß sind. Für die war es ein nettes kleines Wiedersehensfest«, schloß er angewidert.

»Aber wenn sie wirklich Todesser waren, warum sind sie dann disappariert, als sie das Dunkle Mal sahen?«, sagte Ron.»Eigentlich hätten sie sich doch freuen müssen, oder?«

»Ron, benutz doch mal deinen Grips«, sagte Bill.»Wenn sie wirklich Todesser waren, dann haben sie alles darangesetzt, nicht nach Askaban zu kommen, als Du-weißt-schon-wer die Macht verlor, und alle möglichen Lügengeschichten aufgetischt, von wegen er hätte sie gezwungen, Menschen zu töten und zu foltern. Ich wette, sie haben noch mehr Angst als wir anderen, daß er zurückkommt. Als er die Macht verloren hatte, bestritten sie doch, daß sie jemals wirklich etwas mit ihm zu tun hatten, und lebten weiter, als ob nichts gewesen wäre… Ich schätze, er wäre nicht besonders angetan von ihnen, oder?«

»Also… wer immer das Dunkle Mal heraufbeschworen hat…«, sagte Hermine langsam,»hatte er das Ziel, die Todesser anzufeuern oder ihnen Angst einzujagen und sie zu verscheuchen?«

»Wir können das auch nicht besser beurteilen als du, Hermine«, sagte Mr Weasley.»Ich kann dir nur eines sagen… einzig und allein die Todesser wußten, wie man es heraufbeschwor. Ich wäre sehr überrascht, wenn dahinter nicht ein früherer Todesser stecken würde, auch wenn er es jetzt nicht mehr ist… Übrigens, es ist sehr spät, und wenn eure Mutter erfährt, was passiert ist, wird sie keine ruhige Minute mehr haben. Wir brauchen jetzt noch ein paar Stunden Schlaf und dann versuchen wir einen der ersten Portschlüssel von hier weg zu kriegen.«

Harry legte sich mit schwirrendem Kopf in die Koje. Er wußte, daß er eigentlich erschöpft war – es war fast drei Uhr morgens -, doch er fühlte sich hellwach – und voll dunkler Ahnungen.

Vor drei Tagen – es schien viel länger her zu sein, doch es waren nur drei Tage – war er mit brennenden Schmerzen auf der Stirn aufgewacht. Und heute Nacht war zum ersten Mal seit dreizehn Jahren Lord Voldemorts Zeichen am Himmel erschienen. Was sollten diese Dinge bedeuten?

Er dachte an den Brief, den er noch vom Ligusterweg aus an Sirius geschrieben hatte. Hatte Sirius ihn schon erhalten? Würde er bald antworten? Harry lag da und starrte auf die Zeltplane, doch keine Träumereien vom Fliegen wiegten ihn nun in den Schlaf, und erst lange nachdem Bills Schnarchen das Zelt erzittern ließ, döste Harry endlich ein.

Wirbel im Ministerium

Sie hatten nur wenige Stunden geschlafen, als Mr Weasley sie weckte. Die Zelte verpackten sich an diesem Morgen von allein und hastig verließen sie den Campingplatz. Mr Roberts stand am Tor bei seinem Haus. Er sah sie mit einem seltsamen, leicht abwesenden Blick an und nuschelte zum Abschied»Fröhliche Weihnachten«.

»Er wird schon wieder«, sagte Mr Weasley gedämpft, während sie über das Moor gingen.»Bei solchen Gedächtnisveränderungen kommt es manchmal vor, daß die Leute für kurze Zeit etwas verwirrt sind… und diesmal war es sicher ein schweres Stück Arbeit, bei dem, was er erlebt hat…«

Schon von weitem hörten sie hektisches Stimmengewirr, und als sie zu der Stelle kamen, wo die Portschlüssel lagen, sahen sie eine große Schar Hexen und Zauberer, die Basil, den Hüter der Portschlüssel, bedrängten und lautstark den nächstmöglichen Transport verlangten. Mr Weasley sprach ein paar eindringliche Worte mit Basil, dann reihten sie sich in die Schlange ein und erwischten tatsächlich noch vor Sonnenaufgang einen alten Gummireifen zurück zum Wieselkopf. In der Morgendämmerung wanderten sie über Ottery St. Catchpole zum Fuchsbau zurück, recht schweigsam, denn sie waren erschöpft und dachten sehnsüchtig an das Frühstück. Als sie um eine Biegung gingen und der Fuchsbau in Sicht kam, hallte ihnen auf dem feuchten Weg ein Schrei entgegen.

»Oh, Gott sei Dank, Gott sei Dank!«

Mrs Weasley, die offensichtlich vor dem Haus auf sie gewartet hatte, kam, die Pantoffeln noch an den Füßen, auf sie zugerannt, mit bleichem, angespanntem Gesicht und einem zusammengeknüllten Tagespropheten in der Hand.»Arthur – ich hab mir ja solche Sorgen gemacht – fürchterliche Sorgen -«

Sie warf Mr Weasley die Arme um den Hals und der Tagesprophet fiel aus ihrer erschlafften Hand. Harry sah zu Boden und las die Schlagzeile: Szenen des Grauens bei der Quidditch-Weltmeisterschaft, dazu ein funkelndes Schwarzweißbild des Dunklen Mals über den Baumspitzen.

»Ihr seid alle wohlauf«, murmelte Mrs Weasley ein wenig abwesend, ließ Mr Weasley los und sah sie mit geröteten Augen an,»ihr lebt noch… o meine Jungs…«

Und zur Überraschung aller zog sie Fred und George an sich und herzte sie so heftig, daß ihre Köpfe gegeneinander schlugen.

»Autsch! Mum – du erwürgst uns noch -«

»Ich hab mit euch geschimpft, bevor ihr fort seid!«, sagte Mrs Weasley und begann zu schluchzen.»Daran mußte ich die ganze Zeit denken! Was wäre gewesen, wenn Du-weißt-schon-wer euch gekriegt hätte, und das Letzte, was ich euch gesagt hätte, wäre gewesen, daß ihr nicht genug ZAGs geschafft habt? O Fred… o George…«

»Nun ist aber gut, Molly, wir sind alle kerngesund«, sagte Mr Weasley beschwichtigend, zog sie sachte von den Zwillingen weg und führte sie zum Haus.»Bill«, fügte er in gedämpftem Ton hinzu,»heb doch bitte die Zeitung auf, mal sehen, was sie schreiben…«

Schließlich saßen sie alle eng aneinander gedrängt in der kleinen Küche. Hermine kochte Mrs Weasley eine Tasse sehr starken Tee, in die Mr Weasley unbedingt noch einen Schuß Ogdens Alten Feuerwhisky kippen wollte, und Bill reichte seinem Vater die Zeitung. Mr Weasley überflog die Titelseite, Percy las über seine Schulter gebeugt mit.

»Ich habs doch gewußt«, sagte Mr Weasley mit schwerer Stimme.

»Ministerium versagt…

Täter nicht gefaßt…

laxe Sicherheitsvorkehrungen…

unkontrolliertes Treiben schwarzer Magier…

Schande für das Land…

Wer hat das geschrieben? Ach… natürlich… Rita Kimmkorn…«

»Diese Frau hat es aufs Zaubereiministerium abgesehen!«, erzürnte sich Percy.»Letzte Woche schrieb sie, wir würden mit unseren Haarspaltereien über Kesselbodendicke nur Zeit verschwenden, wo wir doch Vampire erlegen sollten! Als ob in Paragraph zwölf der Richtlinien für die Behandlung nichtmagischer Teilmenschen nicht ausdrücklich festgelegt wäre, daß -«

»Tu uns 'nen Gefallen, Perce«, sagte Bill gähnend,»und halt die Klappe.«

»Mich erwähnt sie auch«, sagte Mr Weasley, und die Augen hinter seiner Brille weiteten sich, als er den Schluß des Berichts im Tagespropheten las.

»Wo?«, prustete Mrs Weasley und verschluckte sich an ihrem Tee mit Whisky.»Wenn ich das gesehen hätte, hätte ich gewußt, daß du am Leben bist!«

»Nicht namentlich«, sagte Mr Weasley.»Hört mal zu:

Sollten sich die zu Tode geängstigten Zauberer und Hexen, die am Waldrand atemlos auf Nachrichten warteten, beruhigende Worte vom Zaubereiministerium erhofft haben, dann wurden sie zutiefst enttäuscht. Ein Vertreter des Ministeriums erschien einige Zeit nach dem Aufstieg des Dunklen Mals und ließ verlauten, niemand sei verletzt worden, weigerte sich jedoch, weitere Informationen zu geben. Ob diese Stellungnahme ausreichen wird, um die Gerüchte zu zerstreuen, wonach eine Stunde später mehrere Leichen aus dem Wald getragen wurden, bleibt abzuwarten.

Nicht zu fassen«, sagte Mr Weasley empört und reichte die Zeitung an Percy weiter.»Niemand wurde verletzt, was sollte ich sonst sagen? ›Gerüchte, wonach mehrere Leichen aus dem Wald getragen wurden… ‹, tja, jetzt, wo sie das geschrieben hat, wird es natürlich Gerüchte geben.«

Er seufzte tief.»Molly, ich muß wohl gleich ins Büro, da muß doch einiges klargestellt werden, damit sich die Gemüter wieder beruhigen.«

»Ich komme mit, Vater«, sagte Percy mit schwellender Brust.»Mr Crouch wird sicher alle verfügbaren Kräfte benötigen. Und ich kann ihm meinen Kesselbericht persönlich übergeben.«Er wuselte aus der Küche.

Mrs Weasley schien völlig aus dem Häuschen.»Arthur, du bist im Urlaub! Das hat doch nichts mit deiner Abteilung zu tun, die können das sicher ohne dich regeln?«

»Ich muß gehen, Molly«, sagte Mr Weasley,»ich hab alles nur noch schlimmer gemacht. Ich zieh nur kurz meinen Umhang an und dann bin ich weg…«

Harry saß wie auf glühenden Kohlen.»Mrs Weasley«, warf er ein,»Hedwig ist nicht zufällig mit einem Brief für mich gekommen?«

»Hedwig, mein Lieber?«, sagte Mrs Weasley zerstreut.»Nein… nein, es ist überhaupt keine Post gekommen.«

Ron und Hermine sahen Harry neugierig an.

Er warf beiden einen viel sagenden Blick zu und fragte:»Was dagegen, wenn ich nach oben gehe und mein Zeug bei dir abstelle, Ron?«

»Ahm… ich glaub, ich geh mit«, sagte Ron sofort.»Hermine?«

»Ja«, sagte sie rasch, und die drei marschierten aus der Küche und die Treppe hoch.

»Was ist los, Harry?«, sagte Ron, kaum hatten sie die Tür zur Dachkammer hinter sich geschlossen.

»Da ist noch etwas, das ich euch nicht erzählt habe«, sagte Harry.»Als ich am Samstagmorgen aufgewacht bin, tat meine Narbe wieder weh.«

Ron und Hermine reagierten darauf fast genauso, wie Harry es sich in seinem Zimmer im Ligusterweg vorgestellt hatte. Hermine stockte der Atem und sie begann Harry sofort Ratschläge zu erteilen, nannte das eine oder andere Grundlagenwerk und die verschiedensten Namen, von Albus Dumbledore bis zu Madam Pomfrey, der Krankenschwester von Hogwarts. Ron hingegen schien einfach der Schlag getroffen zu haben.»Aber – er war doch nicht da, oder? Du-weißt-schon-wer? Ich meine – letztes Mal, als deine Narbe wehtat, war er doch in Hogwarts, oder?«

»Ich bin sicher, daß er nicht im Ligusterweg war«, sagte Harry.»Aber ich hab von ihm geträumt… und von Peter… ihr wißt schon, Wurmschwanz. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, aber sie haben sich verschworen… jemanden zu töten.«

Einen Moment lang hatte ihm das Wörtchen»mich«auf der Zunge gelegen, doch er brachte es nicht über sich, Hermine mit noch entsetzterer Miene zu sehen.

»Es war doch bloß ein Traum«, sagte Ron aufmunternd.»Nur ein Alptraum.«

»Jaah, ich weiß nicht recht…«, sagte Harry und wandte den Blick nach draußen, wo sich der Himmel langsam erhellte.»Es ist doch komisch, oder?… meine Narbe tut weh und drei Tage später sind die Todesser auf dem Marsch und Voldemorts Zeichen steht am Himmel.«

»Sag – seinen – Namen – nicht!«, zischte Ron mit zusammengebissenen Zähnen.

»Und wißt ihr noch, was Professor Trelawney gesagt hat?«, fuhr Harry fort, ohne auf Ron einzugehen.»Ende letzten Jahres?«

Professor Trelawney war ihre Lehrerin für Wahrsagen in Hogwarts.

Hermines Entsetzen wich einem hämischen Schnauben.»O Harry, du wirst doch nicht auf irgend etwas hören, was diese alte Schwindlerin sagt?«

»Du warst damals nicht dabei«, sagte Harry.»Du hast sie nicht gehört. Beim letzten Mal war es anders. Ich hab dir doch gesagt, sie ist in eine Trance gefallen – eine echte. Und sie sagte, der dunkle Lord würde wieder an die Macht gelangen ›… und schrecklicher herrschen denn je… ‹, er würde es mit Hilfe seines Dieners schaffen… und in derselben Nacht noch ist Wurmschwanz geflohen.«

Sie schwiegen; Ron fummelte zerstreut an einem Loch in seiner Chudley-Cannons-Tagesdecke.

»Warum hast du gefragt, ob Hedwig gekommen sei, Harry?«, fragte Hermine.»Erwartest du einen Brief?«

»Ich habe Sirius von meiner Narbe erzählt«, sagte Harry achselzuckend.»Ich warte auf seine Antwort.«

»Gute Idee!«, sagte Ron, und seine Miene hellte sich auf.»Ich wette, Sirius weiß, was du tun kannst.«

»Ich hatte ja gehofft, er würde rasch antworten«, sagte Harry.

»Aber wer weiß, wo er steckt… er kann in Afrika sein oder sonst wo«, sagte Hermine nachdenklich.»Für eine solche Reise braucht Hedwig schon mehr als ein paar Tage.«

»Ja, ich weiß«, sagte Harry, doch als er nach draußen auf den hedwiglosen Himmel sah, da spürte er eine bleierne Schwere im Magen.

»Los, komm, wir spielen 'ne Partie Quidditch im Obstgarten, Harry«, sagte Ron.»Komm schon – drei gegen drei, Bill und Charlie und Fred und George spielen alle – du kannst den Wronski-Bluff ausprobieren…«

»Ron«, sagte Hermine in ihrem Sei-doch-mal-vernünftig-Tonfall,»Harry will im Augenblick nicht Quidditch spielen… er macht sich Sorgen und er ist müde… und wir alle brauchen jetzt Schlaf…«

»Doch, ich will jetzt Quidditch spielen«, sagte Harry plötzlich.»Wartet, ich hol nur eben schnell mal meinen Feuerblitz.«

Hermine ging hinaus, etwas murmelnd, das deutlich nach»Jungs«klang.

Mr Weasley und Percy waren in der folgenden Woche kaum zu Hause. Beide gingen frühmorgens, bevor die anderen aufstanden, und kamen erst lange nach dem Abendessen wieder zurück.

»Im Büro herrscht praktisch Krieg«, verkündete Percy mit gewichtiger Miene am Sonntagabend vor ihrer Rückkehr nach Hogwarts.»Ich spiele schon die ganze Woche Feuerwehr. Die Leute schicken uns einen Heuler nach dem anderen, und wenn man einen Heuler nicht auf der Stelle öffnet, explodiert er. Mein Schreibtisch ist voller Brandflecken und von meinem besten Federkiel ist nur noch ein Häufchen Asche übrig.«

»Warum schicken sie denn Heuler?«, fragte Ginny, die auf dem Flickenteppich vor dem Wohnzimmerkamin saß und ihr aus dem Leim gegangenes Exemplar von Tausend magische Kräuter und Pilze mit Zauberband klebte.

»Sie beschweren sich über Sicherheitsmängel bei der Weltmeisterschaft«, sagte Percy.»Wollen Schadenersatz für ihr zerstörtes Eigentum. Mundungus Fletcher beantragt Entschädigung für ein Zwölf-Zimmer-Zelt mit eingebautem Whirlpool. Aber solche Späßchen treibt er nicht mit mir. Zufällig weiß ich genau, daß er unter einem an Holzpflöcke genagelten Umhang geschlafen hat.«

Mrs Weasley warf einen Blick auf die Standuhr in der Ecke. Harry mochte diese Uhr. Sie war vollkommen nutzlos, wenn man wissen wollte, wie spät es war, doch ansonsten sehr auskunftsfreudig. Sie hatte neun goldene Zeiger, und auf jedem war der Name eines Mitglieds der Weasley-Familie eingraviert. Auf dem Zifferblatt waren keine Ziffern, vielmehr stand hier, wo das jeweilige Familienmitglied gerade steckte.»Zu Hause«,»Schule«und»Arbeit«hieß es da, doch auch»Verirrt«,»Krankenhaus«,»Gefängnis«, und dort, wo sich auf einer gewöhnlichen Uhr die Ziffer Zwölf befindet, stand»Tödliche Gefahr«. Acht Zeiger deuteten gerade auf»Zu Hause«, doch der längste Zeiger, der von Mr Weasley, wies immer noch auf»Arbeit«. Mrs Weasley seufzte.»Euer Vater mußte seit den Tagen von Du-weißt-schon-wem nicht mehr an den Wochenenden ins Büro«, sagte sie.»Sie nehmen ihn zu hart ran. Sein Abendessen wird ungenießbar, wenn er nicht bald nach Hause kommt.«

»Vater hat das Gefühl, daß er seinen Fehler bei der Meisterschaft wieder gutmachen muß«, sagte Percy.»Um ehrlich zu sein, es war ein klein wenig dumm von ihm, eine öffentliche Stellungnahme abzugeben, ohne sie zuvor mit seinem Vorgesetzten abzusprechen -«

Mrs Weasley ging sofort an die Decke.»Jetzt gibst du auch noch deinem Vater die Schuld für das, was diese Kimmkorn-Ziege geschrieben hat!«, rief sie.

»Wenn Dad gar nichts gesagt hätte, dann hätte die olle Rita geschrieben, es sei eine Schande, daß sich niemand aus dem Ministerium zu einer Äußerung bereit gefunden hätte«, sagte Bill, der mit Ron Schach spielte.»Rita Kimmkorn läßt ohnehin an niemandem ein gutes Haar. Wißt ihr noch, einmal hat sie alle Fluchbrecher von Gringotts interviewt und mich einen langhaarigen Bruder Leichtfuß‹ genannt?«

»Ehrlich gesagt, dein Haar ist tatsächlich ein bißchen lang, Schatz«, sagte Mrs Weasley sanft.»Wenn du mich nur mal kurz -«

»Nein, Mum.«

Regen peitschte gegen das Wohnzimmerfenster. Hermine war ins Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 4, vertieft, das Mrs Weasley für sie, Harry und Ron in der Winkelgasse besorgt hatte. Charlie stopfte einen feuersicheren Kopfschützer. Harry hatte das Besenpflege-Set, das ihm Hermine zum dreizehnten Geburtstag geschenkt hatte, zu seinen Füßen liegen und polierte seinen Feuerblitz. Fred und George saßen hinten in der Ecke, unterhielten sich flüsternd und beugten sich mit gezückten Federkielen über ein Blatt Pergament.

»Was heckt ihr beiden da wieder aus?«, sagte Mrs Weasley streng und sah ihre Zwillinge scharf an.

»Hausaufgaben«, murmelte Fred.

»Mach keine Witze, ihr habt doch noch Ferien«, sagte Mrs Weasley.

»Ja, wir sind ein wenig spät dran«, sagte George.

»Ihr setzt nicht zufällig ein neues Bestellformular auf, oder?«, sagte Mrs Weasley mißtrauisch.»Ihr denkt nicht etwa daran, Weasleys Zauberhafte Zauberscherze wieder auf die Beine zu stellen?«

»Ich bitte dich, Mum«, sagte Fred und blickte mit einem gequälten Gesichtsausdruck zu ihr auf.»Wenn der Hogwarts-Express morgen entgleisen würde und George und ich sterben würden, wie würdest du dich bei dem Gedanken fühlen, daß das Letzte, was wir von dir gehört haben, unbegründete Anschuldigungen waren?«

Alle lachten, selbst Mrs Weasley.

»Da kommt euer Vater!«, sagte sie plötzlich mit einem Blick zur Uhr.

Mr Weasleys Zeiger war auf einmal von»Arbeit«auf»unterwegs«gesprungen; eine Sekunde später dann rastete er klappernd auf»Zu Hause«ein, wo die anderen Zeiger schon standen, und schon hörten sie Mr Weasley aus der Küche rufen.

»Ich komme, Arthur!«, antwortete Mrs Weasley und eilte davon.

Augenblicke später kam Mr Weasley mit dem Abendessen auf einem Tablett ins warme Wohnzimmer. Er sah vollkommen erschöpft aus.

»Tja, jetzt haben wir die Bescherung«, sagte er zu Mrs Weasley und ließ sich in einen Sessel am Feuer fallen. Nicht gerade begeistert stocherte er in seinem verschrumpelten Blumenkohl.»Rita Kimmkorn hat die ganze Woche bei uns im Ministerium rumgeschnüffelt und nach weiteren Skandalgeschichten gesucht. Jetzt ist sie auf die Sache mit der guten Bertha gestoßen, die vermißt wird, und morgen ist das sicher der Aufmacher im Tagespropheten. Ich hab Bagman doch gesagt, er hätte schon längst jemanden auf ihre Spur setzen sollen.«

»Mr Crouch sagt das schon seit Wochen«, warf Percy rasch ein.

»Crouch hat nun wirklich Dusel, daß Rita noch nicht von der Geschichte mit Winky erfahren hat«, sagte Mr Weasley verärgert.»Seine Hauselfe wird mit dem Zauberstab, der das Dunkle Mal heraufbeschworen hat, ertappt – das gäbe Schlagzeilen für eine Woche.«

»Ich dachte, wir wären uns einig, daß diese Elfe zwar verantwortungslos gehandelt, aber das Dunkle Mal tatsächlich nicht heraufbeschworen hat?«, bemerkte Percy steif.

»Wenn du mich fragst, dann kann Mr Crouch froh sein, daß keiner beim Tagespropheten weiß, wie übel er mit Hauselfen umspringt!«, sagte Hermine zornig.

»Hör mal zu, Hermine!«, sagte Percy.»Ein hochrangiger Ministerialbeamter wie Mr Crouch verdient unerschütterlichen Gehorsam von seiner Bediensteten -«

»Seiner Sklavin, meinst du wohl!«, sagte Hermine mit schriller Stimme.»Denn er bezahlt Winky doch nicht, oder?«

»Ich denke, ihr geht jetzt alle nach oben und schaut nach, ob ihr beim Packen nichts vergessen habt!«, unterbrach Mrs Weasley den Streit.»Nun los, und zwar alle…«

Harry räumte sein Besenpflege-Set zusammen, schulterte den Feuerblitz und ging mit Ron nach oben. Unter dem Dach war der Regen noch lauter zu hören, begleitet vom lauten Pfeifen und Stöhnen des Windes und nicht zu vergessen dem gelegentlichen Aufheulen des Ghuls, der unter dem Dachfirst hauste. Pigwidgeon begann zwitschernd in seinem Käfig herumzuflattern, als sie eintraten. Der Anblick der halb gepackten Koffer schien ihn vor Aufregung rasend zu machen.

»Wirf ihm ein paar Eulenkekse rein«, sagte Ron und warf Harry eine Tüte zu,»vielleicht stopft ihm das den Schnabel.«

Harry steckte ein paar Eulenkekse durch die Käfigstangen und wandte sich dann wieder seinem Koffer zu, neben dem der immer noch leere Käfig von Hedwig stand.

»Sie ist schon über eine Woche weg«, sagte Harry und betrachtete Hedwigs verlassene Vogelstange.»Ron, du glaubst doch nicht, daß sie Sirius erwischt haben, oder?«

»Nein, das hätte doch im Tagespropheten gestanden«, entgegnete Ron.»Das Ministerium hätte sicher zeigen wollen, daß ihnen zumindest ein Fang gelungen ist.«

»Jaah, schon möglich…«

»Sieh mal, hier sind die Sachen, die dir Mum aus der Winkelgasse mitgebracht hat. Und außerdem hat sie noch etwas Geld aus deinem Verlies geholt… und all deine Socken gewaschen.«

Er lüpfte einen Stapel Pakete auf Harrys Feldbett und legte den Geldbeutel und einen Haufen Socken daneben. Harry machte sich ans Auspacken. Außer dem Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 4, von Miranda Habicht waren da noch eine Hand voll neuer Federkiele, ein Dutzend Pergamentrollen und Nachfüllpackungen für seinen Zaubertrankkasten – Löwenfischgräten und Belladonna-Essenz waren in letzter Zeit knapp geworden. Gerade stopfte er Unterwäsche in seinen Kessel, als Ron hinter ihm ein lautes»Uääh«vernehmen ließ.

»Was soll das denn sein?«

Er hielt etwas in die Höhe, das aussah wie ein langes, kastanienbraunes Samtkleid. Es hatte einen verschlissenen Rüschenkragen und dazu passende Spitzensäume an den Ärmeln.

Es klopfte und Mrs Weasley trat mit einem Arm voll frisch gewaschener Hogwarts-Umhänge ein.

»Bitte sehr«, sagte sie und verteilte sie zwischen den beiden.»Und jetzt paßt auf, daß ihr sie richtig einpackt, damit sie nicht knittern.«

»Mum, du hast mir Ginnys neues Kleid gegeben«, sagte Ron und hielt seiner Mutter das Samtkleid hin.

»Wie kommst du darauf«, sagte Mrs Weasley.»Das ist für dich. Dein Festumhang.«

»Mein was?«, sagte Ron wie vom Donner gerührt.

»Dein Festumhang!«, wiederholte Mrs Weasley.»Auf der Schulliste heißt es, ihr braucht dieses Jahr einen Umhang… für festliche Anlässe.«

»Du machst Witze«, sagte Ron ungläubig.»Das Teil zieh ich nie und nimmer an.«

»Alle tragen so was, Ron!«, sagte Mrs Weasley verdrossen.»Die sehen nun mal so aus! Dein Vater hat welche für schicke Partys!«

»Bevor ich so was anziehe, geh ich lieber splitternackt«, sagte Ron verbissen.

»Stell dich nicht so an«, sagte Mrs Weasley,»du brauchst unbedingt einen Festumhang, das steht auf der Liste! Für Harry hab ich auch einen… zeig ihn mal, Harry…«

Mit leise bebender Hand öffnete Harry das letzte Paket auf seinem Feldbett. Es war jedoch nicht so übel, wie er befürchtet hatte; sein Festumhang hatte keine Rüschen; tatsächlich sah er ungefähr so aus wie seine Schulumhänge, nur war er nicht schwarz, sondern grün.

»Ich dachte, der bringt deine Augenfarbe gut zur Geltung, mein Lieber«, sagte Mrs Weasley vergnügt.

»Na also, der ist in Ordnung!«, sagte Ron und musterte zornig Harrys Umhang.»Warum hab ich nicht auch so einen gekriegt?«

»Weil… na ja, ich mußte deinen im Secondhandladen besorgen, und da hatten sie nicht so viel Auswahl«, sagte Mrs Weasley errötend.

Harry starrte auf seine Füße. Liebend gern hätte er all sein Geld im Gringotts-Verlies mit den Weasleys geteilt, doch er wußte, sie würden es niemals annehmen.

»Den zieh ich nicht an«, sagte Ron hartnäckig.»Nie und nimmer.«

»Schön«, fauchte Mrs Weasley.»Dann geh nackt. Und Harry, paß auf, daß du ein Foto von ihm machst. Damit ich mal was zu lachen hab, meine Güte aber auch.«

Sie ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Vom Fenster her kam ein merkwürdiges Spotzen und Keuchen. Pigwidgeon würgte an einem Eulenkeks, der zu groß für seinen Hals war.

»Warum hab ich eigentlich immer nur Schrott?«, sagte Ron zornig und ging hinüber, um Pigwidgeons Schnabel zu entrümpeln.

Im Hogwarts-Express

Düstere Stimmung lag in der Luft, als Harry am nächsten Morgen erwachte, denn die Sommerferien waren nun endgültig vorbei. Der Regen klatschte noch immer schwer gegen die Scheiben, während er in Jeans und Sweatshirt schlüpfte – die Umhänge wollten sie erst im Hogwarts-Express anziehen. Er machte sich mit Ron, Fred und George auf den Weg nach unten zum Frühstück und hatte gerade den Treppenabsatz im ersten Stock erreicht, als Mrs Weasley mit gequälter Miene am Fuß der Treppe erschien.

»Arthur!«, rief sie durchs Treppenhaus.»Arthur! Dringende Nachricht vom Ministerium!«

Mr Weasley erschien, den Umhang verkehrt herum an, trippelte an Harry vorbei, der sich an die Wand drücken mußte, und verschwand unten in der Küche. Als sie kurz danach hinzukamen, fanden sie Mrs Weasley aufgeregt in den Schubladen des Geschirrschranks wühlen -»Hier hatte ich doch irgendwo 'ne Feder liegen!«-, während sich Mr Weasley über das Feuer gebeugt mit jemandem unterhielt -

Harry schloß die Augen und öffnete sie wieder, denn er war sich nicht sicher, ob er richtig sah.

Inmitten der Flammen saß ein großes bärtiges Ei, und dieses Ei war Amos Diggory. Das Ei redete hastig auf Mr Weasley ein, ohne sich von den umherstiebenden Funken und den um seine Ohren züngelnden Flammen auch nur im Geringsten stören zu lassen.

»… Muggelnachbarn haben Lärm und Schreie gehört und deshalb diese, wie heißen sie noch mal – Blitzisten gerufen. Arthur, du mußt da unbedingt hin!«

»Hier, bitte!«, keuchte Mrs Weasley und drückte ihrem Mann ein Blatt Pergament, ein Fläschchen Tinte und eine zerzauste Feder in die Hand.

»- wir können wirklich von Glück reden, daß ich davon gehört hab«, sagte Mr Diggorys Kopf.»Ich mußte heute recht früh ins Büro, um ein paar Eulen wegzuschicken, und da hab ich all diese Leute von Mißbrauch der Magie losfliegen sehen – wenn Rita Kimmkorn Wind davon kriegt, Arthur -«

»Was hat Mad-Eye denn nun genau gesehen?«, fragte Mr Weasley, schraubte das Tintenfläschchen auf und füllte seine Feder, um sich Notizen zu machen.

Mr Diggory rollte mit den Augen.»Jemand habe sich in seinem Hof rumgetrieben, sagte er. Er sei auf sein Haus zugeschlichen, doch seine Mülleimer hätten sich auf ihn gestürzt.«

»Was haben die Mülleimer gemacht?«, fragte Mr Weasley eifrig kritzelnd.

»Einen Höllenlärm und den ganzen Müll durch die Gegend gepfeffert, soviel ich weiß«, sagte Mr Diggory.»Als dann die Blitzisten auftauchten, ist offenbar immer noch einer umhergetorkelt -«

Mr Weasley stöhnte auf.»Und was ist mit dem Eindringling?«

»Arthur, du kennst doch Mad-Eye«, sagte Mr Diggorys Kopf unter erneutem Augenrollen.»Jemand, der sich mitten in der Nacht in seinen Hof schleicht? Wahrscheinlich läuft irgendwo eine zu Tode erschreckte Katze herum, dekoriert mit Kartoffelschalen. Aber sobald Mad-Eye den Leuten von der Mißbrauchsbekämpfung in die Hände fällt, ist er erledigt – denk mal an seine Vorstrafen – wir müssen ihm irgendeine Kleinigkeit anhängen, etwas aus deiner Abteilung – was kriegt man für explodierende Mülleimer?«

»Eine Verwarnung wär drin«, sagte Mr Weasley stirnrunzelnd und schrieb immer noch hastig.»Mad-Eye hat seinen Zauberstab nicht benutzt? Er selbst hat niemanden angegriffen?«

»Ich wette, er ist aus dem Bett gesprungen und hat angefangen, alles zu verhexen, was er vom Fenster aus erreichen konnte«, sagte Mr Diggory,»aber die werden Schwierigkeiten haben, das zu beweisen; Verletzte gibt es nämlich nicht.«

»Gut, ich muß los«, sagte Mr Weasley, stopfte das Pergament mit den Notizen in die Tasche und huschte aus der Küche.

Mr Diggorys Kopf wandte sich Mrs Weasley zu.

»Tut mir Leid, Molly«, sagte er etwas ruhiger,»daß ich euch heute so früh stören mußte… aber Arthur ist nun mal der Einzige, der Mad-Eye da raushauen kann, und Mad-Eye sollte heute eigentlich seine neue Stelle antreten. Warum er ausgerechnet letzte Nacht…«

»Schon gut, Amos«, sagte Mrs Weasley.»Magst du nicht ein wenig Toast mit Butter, bevor du gehst?«

»O danke, da sag ich nicht nein.«

Mrs Weasley nahm ein Stück gebutterten Toast von einem Stapel auf dem Küchentisch, steckte es in die Feuerzange und schob es Mr Diggory in den Mund.

»Manke«, schmatzte Mr Diggory und verschwand mit einem leisen Plopp.

Harry hörte, wie sich Mr Weasley hastig von Bill, Charlie, Percy und den Mädchen verabschiedete. Fünf Minuten später tauchte er wieder in der Küche auf, sich hastig kämmend, den Umhang jedoch richtig herum an.

»Ich muß mich beeilen – ein gutes Schuljahr wünsch ich euch, Jungs«, rief er Harry, Ron und den Zwillingen zu, warf sich einen weiteren Umhang über die Schulter und machte Anstalten zu disapparieren.»Molly, macht es dir was aus, die Kinder nach King's Cross zu bringen?«

»Ist schon gut«, sagte Mrs Weasley.»Kümmere du dich um Mad-Eye, wir kommen schon klar.«

Kaum war Mr Weasley verschwunden, traten Bill und Charlie in die Küche.»Hat hier jemand was von Mad-Eye gesagt?«, fragte Bill.»Was hat er jetzt schon wieder ausgefressen?«

»Er behauptet, jemand habe versucht, letzte Nacht in sein Haus einzubrechen«, sagte Mrs Weasley.

»Mad-Eye Moody?«, sagte George nachdenklich, während er seinen Toast mit Marmelade bestrich»Ist das nicht dieser durchgeknallte -«

»Dein Vater hält sehr viel von Mad-Eye Moody«, unterbrach ihn Mrs Weasley steif.

»Jaah, nun, Dad sammelt auch Stecker, oder?«, sagte Fred leise, als Mrs Weasley hinausging.»Seelenverwandtschaft…«

»Moody war zu seiner Zeit ein großer Zauberer«, sagte Bill.

»Er ist doch ein alter Freund von Dumbledore?«, meinte Charlie.

»Auch Dumbledore ist ja nicht gerade das, was man normal nennen würde«, sagte Fred.»Sicher, er ist ein Genie und alles…«

»Wer ist denn nun Mad-Eye?«, fragte Harry.

»Früher hat er fürs Ministerium gearbeitet, heute ist er im Ruhestand«, sagte Charlie.»Ich hab ihn mal getroffen, als Dad mich zur Arbeit mitnahm. Er war ein Auror – einer der besten… ein Jäger schwarzer Magier«, fügte er mit einem Blick auf den fragend dreinblickenden Harry hinzu.»Zu seiner Zeit hat er praktisch die Hälfte der Zellen in Askaban gefüllt. Hat sich dabei allerdings eine Menge Feinde gemacht… vor allem die Familien von Leuten, die er gefangen hat… und wie ich höre, hat ihn auf seine alten Tage noch der Verfolgungswahn gepackt. Traut keinem mehr über den Weg. Sieht an jeder Ecke schwarze Magier.«

Bill und Charlie kamen überein, die anderen nach King's Cross zu begleiten und sich dort zu verabschieden. Percy jedoch entschuldigte sich wortreich, weil er unbedingt zur Arbeit müsse.

»Ich kann es einfach nicht verantworten, noch länger freizunehmen«, verkündete er.»Mr Crouch verläßt sich inzwischen ganz und gar auf mich.«

»Ja, und weißt du was, Percy?«, sagte George mit ernster Miene.»Ich denke, bald wird er sogar deinen Namen kennen.«

Mrs Weasley hatte sich ans Telefon im Dorfpostamt gewagt und drei gewöhnliche Muggeltaxis bestellt, die sie nach London fahren sollten.

»Arthur hat versucht Wagen aus dem Ministerium zu besorgen«, flüsterte Mrs Weasley Harry zu, als sie auf dem regennassen Hof standen und zusahen, wie die Taxifahrer sechs schwere Hogwarts-Schrankkoffer in ihre Autos luden.»Aber sie konnten keinen erübrigen… meine Güte, die sehen nicht gerade fröhlich aus, oder?«

Harry mochte Mrs Weasley ungern sagen, daß Muggeltaxifahrer selten überdrehte Eulen transportierten, und Pigwidgeon machte einen trommelfellzerfetzenden Lärm. Auch war es nicht besonders hilfreich, daß Freds Koffer aufsprang und überraschend eine Anzahl Dr. Filibusters hitzefreier, naß zündender Feuerwerksknaller losging. Woraufhin der Fahrer, dem Krummbein in Panik auch noch die Krallen in die Waden schlug, vor Schreck und Schmerz laut aufschrie.

Mitsamt ihren Koffern auf die Rückbänke der Taxis gequetscht, hatten sie eine unbequeme Fahrt. Krummbein brauchte eine ganze Weile, um sich von den Knallern zu erholen, und als sie endlich London erreichten, waren Harry, Ron und Hermine furchtbar zerkratzt. Erleichtert aufatmend stiegen sie vor King's Cross aus, auch wenn es jetzt aus Kübeln goß und sie pitschnaß wurden, als sie ihre Koffer über die belebte Straße in den Bahnhof trugen.

Harry fand es inzwischen recht einfach, auf Gleis neundreiviertel zu gelangen. Man mußte nur ganz lässig durch die scheinbar solide Absperrung zwischen den Gleisen neun und zehn gehen. Das einzig Schwierige war, möglichst nicht aufzufallen, damit die Muggel nicht mißtrauisch wurden.

Heute gingen sie in Gruppen; Harry, Ron und Hermine (die Auffälligsten, da sie Pigwidgeon und Krummbein bei sich hatten) waren als Erste dran; kaum hatten sie sich ganz entspannt und munter schwatzend gegen die Absperrung gelehnt, als sie auch schon seitlich hindurchglitten… und Gleis neundreiviertel vor ihren Augen auftauchte.

Der Hogwarts-Express mit seiner scharlachrot leuchtenden Dampflok stand schon bereit, und im Nebel der Dampfschwaden, die aus dem Schornstein zischten, wirkten die vielen Hogwarts-Schüler und ihre Eltern auf dem Bahnsteig wie dahingleitende Schatten. Pigwidgeon erwiderte die vielstimmigen Eulenschreie, die durch den Nebel drangen, mit besonders lautem und schrillem Gelärme. Harry, Ron und Hermine machten sich auf die Suche nach Sitzplätzen und konnten ihr Gepäck auch bald in einem Abteil ungefähr in der Mitte des Zuges verstauen. Dann sprangen sie noch einmal auf den Bahnsteig, um Mrs Weasley, Bill und Charlie auf Wiedersehen zu sagen.

»Vielleicht seht ihr mich schneller wieder, als ihr denkt«, grinste Charlie, während er Ginny zum Abschied umarmte.

»Warum?«, fragte Fred neugierig.

»Ihr werdet ja sehen«, sagte Charlie.»Aber sagt bloß Percy nicht, daß ich was erwähnt hab… es ist ja ›eine geheime Information, bis das Ministerium beschließt, sie freizugeben‹.«

»Ja, ich wünschte, ich könnte dieses Jahr noch mal in Hogwarts sein«, sagte Bill, der mit den Händen in den Taschen dastand und beinahe neidisch den Zug betrachtete.

»Warum?«, fragte George ungeduldig.

»Ihr werdet jedenfalls ein spannendes Jahr erleben«, sagte Bill augenzwinkernd.»Vielleicht nehm ich mir sogar mal frei, um es mir selbst kurz anzuschauen…«

»Was denn?«, fragte Ron.

Doch in diesem Moment hörten sie einen gellenden Pfiff und Mrs Weasley schubste sie zur Waggontür.

Sie stiegen ein, schlössen die Tür und lehnten sich aus dem Fenster.»Danke, daß wir bei Ihnen wohnen durften«, sagte Hermine.

»Es war mir ein Vergnügen, meine Lieben«, entgegnete Mrs Weasley.»Ich würde euch ja gerne zu Weihnachten einladen, aber… nun, ich denke, ihr wollt sicher alle in Hogwarts bleiben, wo doch so viel los sein wird…«

»Mum!«, sagte Ron gereizt.»Nun sagt uns schon, worum es geht!«

»Das werdet ihr wohl heute Abend erfahren«, sagte Mrs Weasley lächelnd.»Es wird sicher ganz spannend – ihr wißt ja nicht, wie froh ich bin, daß sie die Regeln geändert haben -«

»Welche Regeln?«, kam es von Harry, Ron, Fred und George wie aus einem Munde.

Doch jetzt begannen die Kolben laut zu zischen und der Zug setzte sich in Bewegung.

»Sag uns, was in Hogwarts passieren soll!«, schrie Fred aus dem Fenster, doch Mrs Weasley, Bill und Charlie entfernten sich rasch.»Welche Regeln haben sie denn geändert?«

Aber Mrs Weasley lächelte nur und winkte. Noch bevor der Zug um die Kurve gebogen war, war sie mit Bill und Charlie disappariert.

Harry, Ron und Hermine gingen zurück in ihr Abteil. Dichter Regen klatschte gegen das Fenster und draußen war kaum etwas zu sehen. Ron öffnete seinen Koffer, zog seinen kastanienbraunen Festumhang hervor und warf ihn über Pigwidgeons Käfig, um sein Geschrei zu dämpfen.

»Bagman wollte uns verraten, was in Hogwarts passiert«, grummelte er und setzte sich neben Harry.»Bei der Weltmeisterschaft, weißt du noch? Aber meine Mutter, meine eigene Mutter will es mir nicht sagen. Ich frag mich, was -«

»Schhh!«, flüsterte Hermine plötzlich, drückte einen Finger auf die Lippen und deutete auf das Nachbarabteil. Harry und Ron lauschten und hörten durch die offene Tür eine vertraute schnarrende Stimme.

»… Vater hat tatsächlich überlegt, ob er mich nach Durmstrang schicken soll und nicht nach Hogwarts. Er kennt nämlich den Schulleiter dort. Tja, ihr wißt ja, was er über Dumbledore denkt – der Kerl ist ein unglaublicher Liebhaber von Schlammblütern – und Durmstrang nimmt solches Gesindel gar nicht erst auf. Aber Mutter wollte nicht, daß ich so weit weg in die Schule gehe. Vater sagt, in Durmstrang haben sie eine viel vernünftigere Einstellung zu den dunklen Künsten als in Hogwarts. Durmstrang-Schüler lernen sie sogar und uns bringen sie nur diesen Verteidigungskram bei…«

Hermine stand auf, ging auf Zehenspitzen zur Abteiltür und schob sie zu; Malfoy war jetzt nicht mehr zu hören.

»Also denkt er, Durmstrang hätte besser zu ihm gepaßt«, sagte sie wütend.»Ich wünschte, er wäre tatsächlich dorthin gegangen, dann müßten wir uns nicht mit ihm rumschlagen.«

»Durmstrang ist auch eine Zaubererschule?«, fragte Harry.

»Ja«, sagte Hermine naserümpfend,»und sie hat einen fürchterlichen Ruf. Dem Handbuch der europäischen Magierausbildung zufolge legen sie dort großen Wert auf die dunklen Künste.«

»Ich glaub, ich hab schon davon gehört«, sagte Ron verschwommen.»Wo ist sie? In welchem Land?«

»Tja, das weiß keiner, ist doch klar«, sagte Hermine und hob die Augenbrauen.

»Hmm – wieso?«, fragte Harry.

»Es gibt seit jeher viel Rivalität zwischen den Zaubererschulen. Durmstrang und Beauxbatons ziehen es vor, sich zu verbergen, damit niemand ihre Geheimnisse stehlen kann«, sagte Hermine, als sei dies das Natürlichste von der Welt.

»Hör auf«, sagte Ron und fing an zu lachen.»Durmstrang muß ungefähr so groß sein wie Hogwarts, und wie willst du denn so ein irre großes Schloß verstecken?«

»Aber Hogwarts ist auch versteckt«, entgegnete Hermine überrascht,»jeder weiß es… nun ja, jeder, der die Geschichte von Hogwarts gelesen hat.«

»Also nur du«, sagte Ron.»Dann erklär mir mal – wie versteckt man ein Schloß wie Hogwarts?«

»Es ist verhext«, sagte Hermine.»Wenn die Muggel es anschauen, dann sehen sie nur eine vermoderte alte Ruine mit einem Schild über dem Eingang, auf dem steht: ACHTUNG, REIN ZUTRITT, EINSTURZGEFAHR.«

»Und Durmstrang sieht dann für Außenstehende auch aus wie eine Ruine?«

»Vielleicht«, sagte Hermine achselzuckend,»oder es hat Muggelabwehr-Zauber an den Mauern, wie das Weltmeisterschaftsstadion. Und damit fremde Zauberer es nicht finden, haben sie es sicher unortbar gemacht -«

»Wie bitte?«

»Nun, man kann ein Gebäude so verzaubern, daß es auf einer Karte nicht zu orten ist, oder?«

»Ähm – wenn du meinst«, sagte Harry.

»Aber ich glaube, Durmstrang muß irgendwo im hohen Norden sein«, sagte Hermine nachdenklich.»Wo es ganz kalt ist – bei denen gehören nämlich Pelzmützen zur Schuluniform.«

»Aah, denkt doch mal an die Möglichkeiten«, sagte Ron träumerisch.»Es wäre so einfach gewesen, Malfoy von einem Gletscher zu stoßen und die Sache wie einen Unfall aussehen zu lassen… jammerschade, daß seine Mutter ihn mag…«

Weiter nach Norden fuhr der Zug und der Regen wurde immer stärker. Der Himmel war dunkel und die Fenster waren beschlagen und deshalb gingen bereits gegen Mittag die Lampen an. Der Karren mit Speisen und Getränken kam den Gang entlanggerattert und Harry kaufte einen großen Stapel Kesselkuchen für alle.

Einige ihrer Freunde schauten im Laufe des Nachmittags bei ihnen vorbei, darunter Seamus Finnigan, Dean Thomas und Neville Longbottom, ein rundgesichtiger Junge, der von seiner Großmutter, einer stattlichen Hexe, erzogen worden und für seine Vergeßlichkeit berüchtigt war. Seamus trug immer noch seine Irland-Rosette. Ihr Zauber schien nun ein wenig nachzulassen; zwar piepste sie noch»Troy! Mullet! Moran!«, doch es klang recht schwachbrüstig und erschöpft. Nach einer guten halben Stunde hatte Hermine das endlose Quidditch-Gerede satt, sie vergrub sich in das Lehrbuch der Zaubersprüche, Band 4, und versuchte sich einen Sammelzauber beizubringen.

Neville lauschte neiderfüllt, wie die anderen das Endspiel noch einmal Zug um Zug durchsprachen.

»Oma wollte nicht hingehen«, sagte er niedergeschlagen.»Und hat mir keine Karte gekauft. Klingt aber toll, was ihr erzählt.«

»War es auch«, sagte Ron.»Schau dir das an, Neville…«

Er stöberte in seinem Koffer auf der Gepäckablage und zog die kleine Nachbildung von Viktor Krum hervor.

»Wahnsinn«, sagte Neville neidisch, als Ron Krum einen kleinen Klaps auf den dicken Kopf gab.

»Wir haben ihn ganz aus der Nähe gesehen«, sagte Ron.»Wir waren in der Ehrenloge.«

»Zum ersten und letzten Mal in deinem Leben, Weasley.«

Draco Malfoy war in der Tür erschienen. Hinter ihm standen Crabbe und Goyle, seine fiesen bulligen Kumpels, die beide im Sommer offenbar um mehr als einen Kopf gewachsen waren. Wie es schien, hatten sie das Gespräch durch die Abteiltür, die Dean und Seamus offen gelassen hatten, belauscht.

»Ich erinnere mich nicht, dich eingeladen zu haben, Malfoy«, sagte Harry kühl.

»Hör mal, Weasley… was ist das denn?«, sagte Malfoy und deutete auf Pigwidgeons Käfig. Ein Ärmel von Rons Festumhang, der darüber hing, schwang im Fahrtrhythmus des Zuges hin und her, so daß der vergammelte Spitzenbesatz gut zur Geltung kam.

Ron wollte den Umhang rasch verschwinden lassen, doch Malfoy war schneller; er packte den Ärmel und zog ihn an sich.

»Seht euch das an!«, rief er ganz entzückt und hob Rons Festumhang hoch, damit Crabbe und Goyle ihn begutachten konnten.»Weasley, du hast doch nicht etwa die Absicht, den wirklich zu tragen? Immerhin – um 1890 herum war es sicher der letzte Schrei…«

»Friß Mist, Malfoy!«, sagte Ron, und sein Gesicht hatte, als er ihn Malfoy entriß, längst die Farbe des Umhangs angenommen. Malfoy wieherte hämisch und Crabbe und Goyle glotzten blöde.

»Aha… du willst dich also bewerben, Weasley? Willst den Namen deiner Familie mit ein wenig Ruhm bekleckern? Geld ist auch im Spiel, du weißt ja… könntest dir ein paar anständige Umhänge leisten, wenn du gewinnen würdest…«»Wovon redest du eigentlich?«, fuhr ihn Ron an.

»Machst du mit?«, wiederholte Malfoy.»Du, Potter, auf jeden Fall, schätze ich. Du läßt doch keine Gelegenheit aus, um den Angeber zu markieren, oder?«

»Entweder du erklärst, wovon du redest, oder du verschwindest, Malfoy«, sagte Hermine gereizt über den Rand ihres Lehrbuchs der Zaubersprüche hinweg.

Ein hämisches Grinsen breitete sich auf Malfoys Gesicht aus.

»Erzähl mir bloß nicht, daß du keine Ahnung hast, Weasley?«, höhnte er genüßlich.»Du hast einen Vater und einen Bruder im Ministerium und du weißt es nicht mal? Hör mal, mein Vater hat es mir schon vor einer Ewigkeit erzählt… hat es von Cornelius Fudge erfahren. So ist es eben, Vater hat immer mit den Topleuten im Ministerium zu tun… vielleicht ist deiner ein zu kleines Licht und darf es überhaupt nicht wissen, Weasley… tja… wenn er in der Nähe ist, reden sie wahrscheinlich nicht über wichtige Dinge…«

Malfoy lachte laut auf, nickte Crabbe und Goyle zu, und die drei verschwanden.

Ron erhob sich und knallte die Schiebetür des Abteils so wütend zu, daß die Scheibe zu Bruch ging.

»Ron!«, sagte Hermine vorwurfsvoll, zückte ihren Zauberstab und murmelte»Reparo!«; die Scherben flogen zu einer Scheibe zusammen, die sich wieder in die Tür einfügte.

»Das Aas… tut so, als ob er alles wüßte und wir nicht…«, knurrte Ron. ›Vater hat immer mit den Topleuten im Ministerium zu tun.‹… Mein Dad hätte sich jederzeit befördern lassen können… ihm gefällt eben die Arbeit, die er jetzt macht…«

»Natürlich, das wissen wir«, sagte Hermine beschwichtigend.»Laß dich doch nicht von Malfoy ärgern, Ron -«

»Er! Und mich ärgern! Schwachsinn!«, sagte Ron, packte einen der noch übrig gebliebenen Kesselkuchen und zerdrückte ihn zu Matsch.

Rons schlechte Laune hielt die restliche Fahrt über an. Er sprach nicht viel, als sie ihre Umhänge anzogen, und blickte immer noch finster, als der Hogwarts-Express endlich bremste und schließlich in pechschwarzer Dunkelheit am Bahnhof von Hogsmeade Halt machte.

Kaum waren die Waggontüren aufgegangen, hörten sie über sich ein Donnergrollen. Hermine wickelte Krummbein in ihren Umhang und Ron ließ seinen Festumhang über Pigwidgeons Käfig hängen. Mit gesenkten Köpfen, nur hin und wieder nach vorne blinzelnd, kämpften sie sich durch den Wolkenbruch. Es regnete so heftig, als würden Eimer um Eimer eiskalten Wassers über ihren Köpfen ausgeschüttet.

»Hallo, Hagrid!«, rief Harry; am Ende des Bahnsteigs hatte er eine hünenhafte Gestalt erspäht.

»Alles klar, Harry?«, brüllte Hagrid und winkte ihnen zu.»Sehn uns beim Festessen, falls wir vorher nicht absaufen!«

Wie es der Brauch war, fuhren die neuen Schüler mit Booten über den See hinüber nach Hogwarts.

»Uuuuuh, bei diesem Wetter hätt ich keine Lust, über den See zu fahren«, sagte Hermine und schüttelte sich ausgiebig. Inmitten der Schülerschar gelangten sie nur mühsam über den Bahnsteig und nach draußen vor den Bahnhof, wo bereits hundert pferdelose Kutschen auf sie warteten. Harry, Ron, Hermine und Neville stiegen erleichtert in einen der Wagen, die Tür schlug zu und wenige Augenblicke später setzte sich die lange Kutschenprozession mit einem kräftigen Ruck in Bewegung. Ratternd und Wasser zu allen Seiten verspritzend fuhren sie den Weg zum Schloß Hogwarts empor.

Das Trimagische Turnier

Die Kutschen rollten durch das von geflügelten Steinebern bewachte Schloßtor und kamen jetzt gefährlich ins Schlingern, denn aus dem Wind war ein Sturm geworden. Harry hatte den Kopf ans Fenster gelehnt und sah Hogwarts mit seinen vielen erleuchteten Fenstern, die verschwommen durch den dichten Regenschleier schimmerten, allmählich näher kommen. Blitze jagten sich am Himmel, als ihr Wagen an der steinernen Treppe anhielt, die zu dem großen Eichenportal hinaufführte. Ihre Mitschüler, die vor ihnen angekommen waren, stürmten bereits die Stufen zum Schloß empor; auch Harry, Ron, Hermine und Neville sprangen aus ihrer Kutsche und hasteten die Treppe hoch, und erst als sie endlich in der gewölbten, fackelbeleuchteten Eingangshalle mit ihrer beeindruckenden Marmortreppe standen, sahen sie auf.

»Oje«, sagte Ron, schüttelte den Kopf und spritzte Wasser auf die Umstehenden,»wenn das so weitergeht, läuft der See noch über. Ich bin pitsch… – AAARRH!«

Ein großer, roter, mit Wasser gefüllter Ballon war von der Decke herab auf Rons Kopf gefallen und geplatzt. Durchnäßt und prustend stolperte Ron zur Seite und rempelte Harry an, und genau in diesem Moment fiel die zweite Bombe – sie verfehlte nur knapp Hermine, platzte vor Harrys Füßen, und eine Welle eiskalten Wassers ergoß sich über seine Turnschuhe und durchweichte seine Socken. Die Umstehenden flohen kreischend und sich gegenseitig schubsend aus der Schußlinie – Harry hob den Kopf und erkannte, sieben Meter über ihnen schwebend, Peeves, den Poltergeist, einen kleinen Mann mit glockenförmigem Hut und orangeroter Fliege, der sie jetzt, das breite, heimtückische Gesicht vor Anspannung verzogen, erneut aufs Korn nahm.

»Peeves!«, rief eine zornige Stimme.»Peeves, kommen Sie runter, und zwar sofort!«

Professor McGonagall, die stellvertretende Direktorin und Leiterin des Hauses Gryffindor, kam aus der Großen Halle gestürmt, rutschte jedoch auf dem nassen Steinboden aus und konnte sich nur vor einem Sturz bewahren, indem sie sich an Hermines Hals festklammerte.

»Autsch – Verzeihung, Miss Granger -«

»Macht nichts, Professor!«, würgte Hermine und rieb sich die Kehle.

»Peeves, runter jetzt, sofort!«, bellte Professor McGonagall, rückte ihren Spitzhut zurecht und starrte durch ihre quadratischen Brillengläser zornig zur Decke.

»Tu doch gar nichts«, gackerte Peeves und warf mit großem Schwung eine Wasserbombe gegen eine Gruppe von Fünftkläßlerinnen, die schreiend in die Große Halle wegtauchten.»Sind doch eh schon naß, oder? Die kleinen Racker! Uuuiiiiiii!«Und mit einer weiteren Bombe nahm er ein paar Zweitkläßler aufs Korn, die gerade angekommen waren.

»Ich rufe den Schulleiter!«, rief Professor McGonagall.»Ich warne Sie, Peeves -«

Peeves streckte ihr die Zunge heraus, warf seine letzte Wasserbombe hoch in die Luft und rauschte unter irrem Kichern über die Marmortreppe hinweg davon.

»Also weiter jetzt«, sagte Professor McGonagall mit einer gewissen Schärfe in der Stimme zu der durchnäßten Menge.»In die Große Halle, Beeilung!«

Ron wischte sich das tropfnasse Haar unter wütendem Gemurmel aus dem Gesicht, und die drei schlitterten und rutschten durch die Eingangshalle und wandten sich dann nach rechts zur Flügeltür.

Wie immer zum Fest der Neuen war die Große Halle herrlich geschmückt. Im Licht unzähliger Kerzen, die über den Tischen schwebten, schimmerten goldene Teller und Kelche. An den vier langen Haustischen saßen dicht an dicht eifrig schwatzende Schüler; etwas erhöht an der Stirnseite der Halle saßen die Lehrer, den Schülern zugewandt, entlang einer fünften Tafel. Hier in der Großen Halle war es warm. Harry, Ron und Hermine gingen an den Slytherins, den Ravenclaws und den Hufflepuffs vorbei und setzten sich zu den Gryffindors auf der anderen Seite der Halle, neben den Fast Kopflosen Nick, das Gespenst von Gryffindor. Perlweiß und halb durchsichtig, trug Nick heute Abend sein übliches Wams, diesmal mit einer ungewöhnlich breiten Halskrause, die zum einen besonders festlich aussehen sollte und zum anderen dafür sorgte, daß sein Kopf auf dem fast durchtrennten Hals nicht über Gebühr eierte.

»Guten Abend«, sagte er und strahlte sie an.

»Schön war's«, sagte Harry. Er zog seine Turnschuhe aus und schüttete das Wasser aus.»Hoffentlich beeilen sie sich bei der Auswahl. Ich verhungere gleich.«

Zu Beginn jedes Schuljahres wurden die Neuen auf die vier Häuser von Hogwarts verteilt, doch durch eine unglückliche Fügung der Umstände war Harry seit seinem eigenen ersten Tag nie mehr bei einer Auswahl dabei gewesen. Im Grunde freute er sich darauf.

In diesem Moment rief jemand weiter oben am Tisch ganz aufgeregt und atemlos:»Holla, Harry!«

Es war Colin Creevey, ein Drittkläßler, für den Harry eine Art Held war.

»Hallo, Colin«, sagte Harry verhalten.

»Harry, rat mal, was heute los ist? Rat mal, Harry! Heute fängt mein Bruder an! Mein Bruder Dennis!«

»Hmmh – ist ja toll«, sagte Harry.

»Er ist furchtbar aufgeregt!«, rief Colin und hopste auf seinem Stuhl hin und her.»Ich hoffe, er kommt nach Gryffindor! Drück ihm die Daumen, ja, Harry?«

»Ähm – ja, mach ich!«, sagte Harry und wandte sich wieder Hermine, Ron und dem Fast Kopflosen Nick zu.»Geschwister kommen normalerweise zusammen in ein Haus, stimmt doch?«, fragte er. Er dachte an die Weasleys, die alle sieben nach Gryffindor gekommen waren.

»O nein, nicht unbedingt«, sagte Hermine.»Parvati Patils Zwillingsschwester ist in Ravenclaw und die beiden sind nicht zu unterscheiden. Da würdest du doch denken, sie gehörten auch hier zusammen, oder?«

Harry sah hoch zum Lehrertisch. Mehr Stühle als sonst schienen leer zu sein. Hagrid kämpfte sich natürlich immer noch mit den Erstkläßlern über den See; Professor McGonagall überwachte vermutlich das Aufwischen in der Eingangshalle, doch da war noch ein leerer Stuhl, und er kam nicht darauf, wer noch fehlen könnte.

»Wo ist der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste?«, fragte Hermine, die ebenfalls zum Lehrertisch hochsah.

Sie hatten noch nie einen Lehrer in diesem Fach gehabt, der länger als ein Schuljahr geblieben war. Harrys mit Abstand liebster Lehrer war Professor Lupin gewesen, der letztes Jahr aufgegeben hatte. Er ließ den Blick am Lehrertisch entlangwandern. Eindeutig kein neues Gesicht.

»Vielleicht haben sie keinen gekriegt!«, sagte Hermine mit besorgter Miene.

Noch einmal musterte Harry alle, die dort oben saßen.

Der winzig kleine Professor Flitwick, Lehrer für Zauberkunst, saß auf einem großen Stapel Kissen neben Professor Sprout, der Lehrerin für Kräuterkunde, deren Hut schräg auf ihrem grauen Flatterhaar saß. Sie sprach gerade mit Professor Sinistra vom Fach Astrologie. Zur anderen Seite von Professor Sinistra saß der fahlgesichtige, fetthaarige Lehrer für Zaubertränke, Snape – den Harry am wenigsten von allen in Hogwarts ausstehen konnte. Harrys Haß auf Snape wurde nur von Snapes Haß auf Harry übertroffen, ein Haß, der sich letztes Jahr wohl noch gesteigert hatte, als Harry Sirius geholfen hatte, direkt unter Snapes übergroßer Nase zu entkommen – Snape und Sirius waren seit ihrer eigenen Schulzeit miteinander verfeindet.

Auf Snapes anderer Seite war ein leerer Stuhl, der sicher Professor McGonagall gehörte. Daneben, in der Mitte des Tisches, saß Professor Dumbledore, der Schulleiter. Sein wehendes Silberhaar und sein üppiger Bart schimmerten im Kerzenlicht und sein herrlicher dunkelgrüner Umhang war über und über mit Sternen und Monden bestickt. Professor Dumbledores Kinn ruhte auf den zusammengelegten Spitzen seiner langen dünnen Finger und er blickte offenbar gedankenversunken durch die Halbmondgläser seiner Brille hoch zur Decke. Auch Harry warf einen Blick zur Decke. Sie war verzaubert und sah aus wie der Himmel draußen, den er noch nie so sturmzerzaust gesehen hatte. Schwarze und purpurne Wolken wirbelten über den Himmel, und als es draußen einen erneuten Donnerschlag gab, erhellte ihn für einige Sekunden ein weit verästelter Blitz.

»Mensch, beeilt euch«, stöhnte Ron.»Ich könnte einen Hippogreif verspeisen.«Er hatte kaum den Mund zugemacht, da öffneten sich die Flügeltüren der Großen Halle. Alle verstummten. Professor McGonagall erschien an der Spitze einer langen Reihe von Erstkläßlern und führte sie an die Stirnseite der Halle. Harry, Ron und Hermine waren zwar ziemlich naß, doch das war nichts gegen die Neuen. Sie schienen nicht über den See gefahren, sondern geschwommen zu sein. Alle zitterten vor Kälte und Aufregung, als sie am Lehrertisch entlanggingen und sich in einer Reihe vor den älteren Schülern aufstellten – alle, nur der Kleinste von ihnen nicht, ein Junge mit mausgrauem Haar, der, wie Harry erkannte, in Hagrids Maulwurfmantel gewickelt war. Der viel zu große Mantel wirkte, als wäre der Junge in eine schwarze Pelzmarkise gehüllt. Sein kleines Gesicht lugte aus dem Kragen hervor und zeigte, daß er vor Aufregung fast Qualen litt. Als er sich bei seinen verängstigt umherblickenden Mitschülern eingereiht hatte, fing er Colin Creeveys Blick auf, reckte beide Daumen in die Höhe und formte mit den Lippen die Worte:»Ich bin in den See gefallen!«Darüber war er offensichtlich entzückt.

Professor McGonagall kam mit einem dreibeinigen Stuhl in der Hand und stellte ihn vor den Neuen ab. Auf dem Stuhl lag ein steinalter, schmutziger, geflickter Zaubererhut. Die Neuen starrten ihn an. Und alle anderen auch. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann öffnete sich ein Riß gleich über der Krempe, ein Mund bildete sich, und der Hut begann zu singen:

Eintausend Jahr und mehr ist's her,

seit mich genäht ein Schneiderer.

Da lebten vier Zaubrer wohl angesehn;

ihre Namen werden nie vergehn.

Von wilder Heide der kühne Gryffindor,

der schöne Ravenclaw den höchsten Fels erkor.

Der gute Hufflepuff aus sanftem Tal,

der schlaue Slytherin aus Sümpfen fahl.

Sie teilten einen Wunsch und Traum,

einen kühnen Plan, ihr glaubt es kaum

junge Zauberer gut zu erziehn,

das war von Hogwarts der Beginn.

Es waren unserer Gründer vier,

die schufen diese Häuser hier

und jeder schätzte eine andere Tugend

bei der von ihm belehrten Jugend.

Die Mutigsten zog Gryffindor

bei weitem allen ändern vor;

für Ravenclaw die Klügsten waren

alleine wert der Lehrerqualen.

Und jedem, der da eifrig lernte,

bescherte Hufflepuff reiche Ernte.

Bei Slytherin der Ehrgeiz nur

stillte den Machttrieb seiner Natur.

Es ist vor langer Zeit gewesen,

da konnten sie noch selbst verlesen,

doch was sollte später dann geschehen,

denn sie würden ja nicht ewig leben.

's war Gryffindor, des Rates gewiß,

der mich sogleich vom Kopfe riß.

Die Gründer sollten mir verleihn

von ihrem Grips 'nen Teil ganz klein.

So kann ich jetzt an ihrer statt,

sagen, wer wohin zu gehen hat.

Nun setzt mich rasch auf eure Schöpfe,

damit ich euch dann vor mir knöpfe.

Falsch gewählt hab ich noch nie,

weil ich in eure Herzen seh.

Nun wollen wir nicht weiter rechten,

ich sag, wohin ihr paßt am besten.

Der Sprechende Hut verstummte und in der Großen Halle brandete Beifall auf.

»Das ist doch nicht das Lied, das er damals für uns gesungen hat«, sagte Harry und klatschte ebenfalls.

»Er singt jedes Jahr ein neues«, sagte Ron.»Muß ein ziemlich langweiliges Leben sein für diesen Hut, meint ihr nicht? Sicher verbringt er das ganze Jahr damit, ein neues Lied zu dichten.«

Professor McGonagall entrollte ein langes Pergament.

»Wenn ich euren Namen rufe, zieht ihr den Hut über den Kopf und setzt euch auf den Stuhl«, erklärte sie den Neuen.»Wenn der Hut euer Haus ausruft, geht ihr zum richtigen Tisch und setzt euch dorthin.

Ackerly, Stewart!«

Ein Junge, sichtlich am ganzen Leib zitternd, trat vor, nahm den Sprechenden Hut in die Hand, setzte ihn auf und ließ sich auf dem Stuhl nieder.

»Ravenclaw!«, rief der Hut.

Stewart Ackerly nahm den Hut ab und hastete zu einem Platz am Tisch der Ravenclaws, die ihn begeistert klatschend empfingen. Harry erhaschte einen kurzen Blick auf Cho, die Sucherin der Ravenclaws, die Stewart Ackerly herzlich begrüßte. Einen flüchtigen Moment lang hatte er das merkwürdige Gefühl, sich ebenfalls zu den Ravenclaws setzen zu wollen.

»Baddock, Malcolm!«

»Slytherin!«

Am Tisch auf der anderen Seite der Halle brach Jubel aus; Harry konnte Malfoy klatschen sehen, als Baddock sich den Slytherins anschloß. Harry fragte sich, ob Baddock wußte, daß das Haus Slytherin mehr schwarze Hexen und Magier hervorgebracht hatte als alle anderen Häuser. Fred und George pfiffen Malcolm Baddock aus, als er sich setzte.

»Branstone, Eleanor!«

»Hufflepuff!«

»Cauldwell, Owen!«

»Hufflepuff!«

»Creevey, Dennis!«

Der winzige Dennis Creevey trat über Hagrids Maulwurfmantel stolpernd vor, und in genau diesem Moment glitt Hagrid selbst durch eine Tür hinter dem Lehrertisch in die Halle. Hagrid, etwa doppelt so groß wie ein normal gewachsener Mann und mindestens dreimal so breit, sah mit seinem langen, wilden und zerzausten schwarzen Haar und seinem Bart ein wenig beängstigend aus – ein falscher Eindruck, wie Harry, Ron und Hermine wußten, denn Hagrid war von ausgesprochen freundlichem Gemüt. Er zwinkerte ihnen zu, setzte sich ans Ende des Lehrertisches und sah Dennis Creevey zu, der jetzt den Sprechenden Hut aufsetzte. Der Riß über der Krempe öffnete sich weit -

»Gryffindor!«, rief der Hut.

Hagrid stimmte in den Applaus der Gryffindors ein, und Dennis, übers ganze Gesicht strahlend, nahm den Hut ab, legte ihn auf den Stuhl und rannte zum Gryffindor-Tisch, wo sein Bruder ihn empfing.

»Colin, ich bin in den See gefallen!«, kreischte er und hopste auf einen freien Platz.»Es war toll! Und da war etwas im Wasser, das hat mich gepackt und ins Boot zurückgeworfen!«

»Cool!«, sagte Colin, nicht minder begeistert.»Das war sicher der Riesenkrake, Dennis!«

»Irre!«, sagte Dennis, als wäre es die Erfüllung der sehnlichsten Träume, in einen sturmgepeitschten, unergründlichen See zu fallen und von einem gewaltigen Seemonster wieder herausgefischt zu werden.

»Dennis! Dennis! Siehst du den Jungen dort drüben? Den mit dem schwarzen Haar und der Brille? Siehst du ihn? Weißt du, wer das ist, Dennis?«

Harry wandte den Kopf zur Seite und starrte angestrengt hinüber zum Sprechenden Hut, der gerade Emma Dobbs' Haus ausrief.

So ging es weiter mit der Aufteilung der Schüler; Jungen und Mädchen, alle mit mehr oder weniger ängstlichen Gesichtern, traten der Reihe nach vor den dreibeinigen Stuhl, und die Schlange der Wartenden war schon um einiges kürzer, als Professor McGonagall zum Buchstaben L kam.

»Aah, beeilt euch«, sagte Ron und massierte sich den Bauch.

»Ich bitte dich, Ron, die Auswahl ist viel wichtiger als das Essen«, sagte der Fast Kopflose Nick, als»Madley, Laura«, gerade zu einer Hufflepuff ernannt wurde.

»Natürlich, wenn man schon tot ist«, knurrte Ron.

»Ich hoffe inständig, daß die neuen Gryffindors erste Sahne sind«, sagte der Fast Kopflose Nick, während er»McDonald, Natalie«beklatschte, die jetzt zum Gryffindor-Tisch kam.»Wir wollen doch unsere Siegesserie fortsetzen, nicht wahr?«

Gryffindor hatte die Hausmeisterschaft die letzten drei Jahre in Folge gewonnen.

»Pritchard, Graham!«

»Slytherin!«

»Quirke, Orla!«

»Ravenclaw!«

Und endlich, nach»Whitby, Kevin!«(»Hufflepuff!«) verstummte der Sprechende Hut. Professor McGonagall nahm Hut und Stuhl hoch und trug sie davon.

»Wird allmählich Zeit«, sagte Ron, packte Messer und Gabel und blickte erwartungsvoll auf seinen goldenen Teller.

Professor Dumbledore hatte sich erhoben. Lächelnd sah er in die Runde und breitete die Arme zu einer Geste des Willkommens aus.

»Ich habe euch nur zwei Worte zu sagen«, verkündete er, und seine tiefe Stimme hallte von den Wänden wider.»Haut rein.«

»Hört, hört!«, sagten Harry und Ron laut, und schon füllten sich die leeren Schüsseln unter ihren Augen von Zauberhand mit Speisen.

Der Fast Kopflose Nick sah traurig zu, wie Harry, Ron und Hermine ihre Teller beluden.

»Mmmh, schom bescher«, sagte Ron, den Mund voll Kartoffelbrei.

»Ihr habt Glück, daß es heute Abend überhaupt ein Festessen gibt«, sagte der Fast Kopflose Nick.»Vorhin gab's nämlich Ärger in der Küche.«

»Warum? Wa'n paschiert?«, schmatzte Harry mit einem mächtigen Stück Steak im Mund.

»Peeves, natürlich«, sagte der Fast Kopflose Nick und schüttelte den Kopf, der dabei gefährlich ins Trudeln geriet. Er zog seine Halskrause ein wenig höher.»Der übliche Streit, ihr wißt schon. Wollte beim Essen dabei sein – und das kommt überhaupt nicht in Frage, ihr kennt ihn ja, ungehobelter Kerl, er kann keinen Teller mit Essen sehen, ohne ihn durch die Gegend zu werfen. Wir haben Geisterrat gehalten – der Fette Mönch wollte ihm unbedingt eine Chance geben – aber der Blutige Baron war strikt dagegen, völlig zu Recht, wenn ihr mich fragt.«

Der Blutige Baron war der Geist von Slytherin, ein ausgemergeltes und stummes Gespenst, das mit silbrigen Blutflecken bespritzt war. Als Einziger in Hogwarts hatte er Peeves wirklich im Griff.

»Ja, wir haben mitgekriegt, daß Peeves aus irgendeinem Grund völlig von der Rolle war«, sagte Ron stirnrunzelnd.»Also, was hat er in der Küche angestellt?«

»Ooch, das Übliche«, sagte der Fast Kopflose Nick achselzuckend.»Verwüstung und Chaos. Überall lagen Töpfe und Pfannen herum. Die ganze Küche schwamm in Suppe. Hat die Hauselfen fast zu Tode erschreckt -«

Klang. Hermine hatte ihren goldenen Trinkbecher umgestoßen. Der Kürbissaft breitete sich unaufhaltsam über das Tischtuch aus und ließ ein paar Meter weißen Linnens orangerot anlaufen, doch Hermine war das schnuppe.

»Hier gibt es Hauselfen?«, sagte sie und sah den Fast Kopflosen Nick starr vor Entsetzen an.»Hier in Hogwarts?«

»Natürlich«, sagte der Fast Kopflose Nick, völlig überrascht von der Wirkung seiner Worte.»Mehr als in jedem anderen Hause Britanniens, glaube ich. Über hundert.«

»Ich hab noch nie welche gesehen!«, sagte Hermine.

»Natürlich nicht, sie verlassen tagsüber kaum die Küche«, sagte der Fast Kopflose Nick.»Nachts kommen sie raus, um ein wenig sauber zu machen… nach den Feuern zu schauen und so weiter… außerdem soll man sie ja auch gar nicht sehen. Zeichnet es nicht gerade einen guten Hauselfen aus, daß man ihn überhaupt nicht bemerkt?«

Hermine starrte ihn an.

»Aber sie werden doch bezahlt?«, fragte sie.»Sie kriegen Urlaub, oder nicht? Und – sie sind krankenversichert und bekommen eine Rente?«

Der Fast Kopflose Nick gluckste so heftig, daß ihm die Halskrause herunterrutschte. Sein Kopf fiel zur Seite und blieb baumelnd an dem Fingerbreit Gespensterhaut und Muskelfaser hängen, der ihn noch mit dem Hals verband.

»Krankenversicherung und Rente?«, sagte er, setzte seinen Kopf zurück auf den Hals und befestigte ihn wieder mit der Krause.»Hauselfen wollen sich nicht krankschreiben lassen und auch nicht in Rente gehen!«

Hermine warf einen Blick auf ihr kaum berührtes Essen, legte Messer und Gabel auf den Teller und schob ihn von sich weg.

»Ey, 'ör mal, 'Ermine«, sagte Ron und besprühte Harry versehentlich mit Stückchen seines Yorkshire-Puddings.»Uuhps – Verzeihung, 'Arry -«Er schluckte den Bissen hinunter.»Selbst wenn du dich zu Tode hungerst, kriegen sie keinen Urlaub!«

»Sklavenarbeit«, sagte Hermine und atmete schwer durch die Nase.»Das steckt hinter diesem Abendessen. Sklavenarbeit.«

Und sie weigerte sich, einen weiteren Bissen zu sich zu nehmen.

Noch immer trommelte der Regen hart gegen die hohen, dunklen Fenster. Wieder ließ ein Donnergrollen die Scheiben klirren, am sturmgepeitschten Himmel blitzte es, und die goldenen Teller erstrahlten kurz, während die Reste des ersten Ganges verschwanden und sofort der Nachtisch erschien.

»Siruptorte, Hermine!«, sagte Ron und fächelte mit der Hand den Duft der Torte zu ihr hinüber.»Rosinenpudding, sieh mal! Und Schokoladenkuchen!«

Doch Hermine versetzte ihm einen Blick, der dem Professor McGonagalls um nichts nachstand, und Ron gab klein bei.

Als auch der Nachtisch verschlungen war, die letzten Krümel von den Tellern gefegt und diese wieder blitzblank waren, erhob sich noch einmal Albus Dumbledore. Das Gesumme und Geschnatter, das die Große Halle erfüllte, verstummte jäh, und nur noch das Heulen des Windes und das Trommeln des Regens waren zu hören.

»So!«, sagte Dumbledore und lächelte in die Runde.

»Nun, da wir alle gefüttert und gewässert sind (»Hmfff!«, machte Hermine), muß ich noch mal um eure Aufmerksamkeit bitten und euch einige Dinge mitteilen.

Mr Filch, der Hausmeister, hat mich gebeten, euch zu sagen, daß die Liste der verbotenen Gegenstände in den Mauern des Schlosses für dieses Jahr erweitert wurde und nun auch Jaulende Jo-Jos, Fangzähnige Frisbees und Bissige Bumerangs enthält. Die vollständige Liste zählt, soviel ich weiß, etwa vierhundertundsiebenunddreißig Gegenstände auf und kann in Mr Filchs Büro eingesehen werden, falls jemand sie zu Rate ziehen will.«

Dumbledores Mundwinkel zuckten.

»Wie immer«, fuhr er fort,»möchte ich euch daran erinnern, daß der Wald auf dem Schloßgelände für Schüler verboten ist, wie auch das Dorf Hogsmeade für alle Schüler der ersten und zweiten Klasse.

Ich habe zudem die schmerzliche Pflicht, euch mitzuteilen, daß der Quidditch-Wettbewerb zwischen den Häusern dieses Jahr nicht stattfinden wird.«

»Was?«, keuchte Harry. Er sah sich nach Fred und George um, seinen Mitspielern im Quidditch-Team. Sie waren offenbar zu entsetzt, um einen Ton hervorzubringen, und von ihren Lippen war nur ein stummes Flehen in Richtung Dumbledore abzulesen.

»Der Grund ist eine Veranstaltung, die im Oktober beginnt«, fuhr Dumbledore fort,»und den Lehrern das ganze restliche Schuljahr viel Zeit und Kraft abverlangen wird – doch ich bin sicher, ihr werdet alle viel Spaß dabei haben. Mit größtem Vergnügen möchte ich ankündigen, daß dieses Jahr in Hogwarts -«

Doch in diesem Moment gab es ein ohrenbetäubendes Donnergrollen und die Flügeltüren der Großen Halle schlugen krachend auf.

Ein Mann, auf einen langen Stock gestützt und in einen schwarzen Reiseumhang gehüllt, stand am Eingang. Jeder Kopf in der Großen Halle wirbelte zu dem Fremden herum, den ein spinnbeiniger Blitz am Himmel jäh ins Licht tauchte. Er nahm seine Kappe ab, befreite mit einem Kopfschütteln seine lange, grauweiße Haarmähne und wandte seine Schritte dem Lehrertisch zu.

Ein dumpfes Klonk wummerte bei jedem zweiten Schritt durch die Große Halle. Er bestieg das Podium, wandte sich nach rechts und humpelte auf Dumbledore zu. Erneut schoß ein Blitz über den Himmel. Hermine hielt den Atem an.

Der Blitz hatte ihnen das Gesicht des Mannes als scharfes Relief gezeigt, und es war ein Gesicht, wie Harry noch nie eines gesehn hatte. Es wirke, als wäre es aus einem Stück verwitterten Holzes geschnitzt, von jemandem, der nur eine ganz dunkle Ahnung von einem menschlichen Gesicht hatte und nicht allzu kunstfertig mit dem Breitel umgehen konnte. Jeder Zentimeter seiner Haut schien vernarbt zu sein, Der Mund war eine klaffende Wunde, die sich schräg über das Gesicht zog, und ein großes Stück der Nase fehlte. Doch es waren die Augen des Mannes, die einem wirklich Angst einjagten.

Das eine war eine kleine, dunkle Perle. Das andere war groß, rund wie eine Münze und von einem leuchtend stählernen Blau. Das blaue Auge bewegte sich unablässig, ohne Lidschlag, rollte nach oben, nach unten, zur Seite, ganz unabhängig vom normalen Auge – und dann drehte es sich ganz nach hinten und blickte in den Kopf des Mannes hinein, so daß sie nur noch das Weiße des Augapfels sehen konnten.

Der Fremde trat nun vor Dumbledore. Er streckte die Hand aus, die genauso schwer vernarbt war wie sein Gesicht, Dumbledore schüttelte sie und murmelte ein paar Worte, die Harry nicht verstand. Er schien den Fremden nach etwas zu fragen, der jetzt ohne ein Lächeln den Kopf schüttelte und mit gedämpfter Stimme antwortete. Dumbledore nickte und bot dem Mann den leeren Platz neben sich an.

Der Fremde setzte sich, warf die grauweißen Haare aus dem Gesicht, zog einen Teller Würste zu sich her, hob sie zum Rest seiner Nase hoch und beschnüffelte sie. Dann zog er ein kleines Messer aus der Tasche, spießte damit eine Wurst auf und begann zu essen. Sein normales Auge ruhte auf den Würsten, doch das blaue Auge huschte immer noch ruhelos in seiner Höhle umher und musterte die Halle und die Schüler.

»Ich möchte euch euren neuen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste vorstellen«, sagte Dumbledore strahlend in das Schweigen hinein.»Professor Moody.«

Normalerweise wurden neue Lehrer mit Beifall begrüßt, doch kein Lehrer und auch kein Schüler rührte die Hand, mit Ausnahme von Dumbledore und Hagrid. Beide klatschten, doch in der Stille klang es kläglich, und sie hörten schnell wieder auf. Alle anderen schienen so gebannt von Moodys außergewöhnlicher Erscheinung, daß sie ihn nur anstarren konnten.

»Moody?«, wisperte Harry Ron zu.»Mad-Eye Moody? Dem dein Dad heute Morgen zu Hilfe gekommen ist?«

»Das muß er sein«, sagte Ron mit leiser, beeindruckter Stimme.

»Was ist denn mit dem los?«, flüsterte Hermine.»Was ist mit seinem Gesicht passiert?«

»Keine Ahnung«, flüsterte Ron, der Moody immer noch fasziniert anstarrte.

Moody schien sein wenig überschwänglicher Empfang nicht im Mindesten zu stören. Ohne den Krug mit Kürbissaft vor sich zu beachten, steckte er die Hand abermals in seinen Reiseumhang, zog einen Flachmann heraus und nahm einen kräftigen Schluck. Als er den Arm hob, um zu trinken, verrutschte sein Umhang ein wenig, und Harry sah unter dem Tisch einige Zentimeter seines geschnitzten Holzbeines, das in einem Klauenfuß endete. Dumbledore räusperte sich erneut.

»Wie ich eben erwähnte«, sagte er und lächelte dem Meer von Schülern zu, die immer noch gebannt Mad-Eye Moody anstarrten,»werden wir in den kommenden Monaten die Ehre haben, Gastgeber einer sehr spannenden Veranstaltung zu sein, eines Ereignisses, das seit über einem Jahrhundert nicht mehr stattgefunden hat. Mit allergrößtem Vergnügen teile ich euch mit, daß dieses Jahr in Hogwarts das Trimagische Turnier stattfinden wird.«

»Sie machen Witze!«, sagte Fred Weasley laut.

Die Spannung, welche die Halle seit Moodys Ankunft erfüllt hatte, entlud sich mit einem Schlag. Fast alle lachten und Dumbledore gluckste zufrieden.

»Ich mache keine Witze, Mr Weasley«, sagte er,»obwohl, da fällt mir ein, im Sommer habe ich einen köstlichen Witz gehört; ein Troll, eine Vettel und ein irischer Kobold gehen zusammen in die Kneipe -«

Professor McGonagall räusperte sich vernehmlich.

»Ähm – aber vielleicht ein andermal… nein…«, sagte Dumbledore.»Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, das Trimagische Turnier… nun, einige von euch werden nicht wissen, worum es bei diesem Turnier geht, und ich hoffe, daß die anderen mir verzeihen, wenn ich es kurz erkläre, sie können ja inzwischen weghören.

Das Trimagische Turnier fand erstmals vor etwa siebenhundert Jahren statt, als freundschaftlicher Wettstreit zwischen den drei größten europäischen Zaubererschulen -Hogwarts, Beauxbatons und Durmstrang. Jede Schule wählte einen Champion aus, der sie vertrat, und diese drei mußten im Wettbewerb drei magische Aufgaben lösen. Die Schulen wechselten sich alle fünf Jahre als Gastgeber des Turniers ab, und alle fanden, dies sei der beste Weg, persönliche Bande zwischen jungen Hexen und Magiern verschiedener Länder zu knüpfen – bis allerdings die Todesrate so stark zunahm, daß das Turnier eingestellt wurde.«

»Todesrate?«, flüsterte Hermine mit alarmierter Miene. Doch ihre Beklemmung schien von der Mehrheit der Schüler in der Halle nicht geteilt zu werden; viele von ihnen tuschelten aufgeregt miteinander, und auch Harry wartete gespannt darauf, mehr über das Turnier zu hören, und hatte keine Lust, sich über Hunderte von Jahren zurückliegende Todesfälle Gedanken zu machen.

»Es gab im Laufe der Jahrhunderte mehrere Versuche, das Turnier wieder einzuführen«, fuhr Dumbledore fort,»doch keiner davon war sehr erfolgreich. Nun allerdings hat unsere Abteilung für Magische Spiele und Sportarten beschlossen, daß die Zeit reif ist für einen neuen Versuch. Den ganzen Sommer über haben wir uns alle Mühe gegeben, dafür zu sorgen, daß diesmal kein Champion in tödliche Gefahr geraten kann.

Die Schulleiter von Beauxbatons und Durmstrang werden mit ihren Kandidaten engerer Wahl im Oktober hier eintreffen und der Ausscheidungskampf für die drei Champions wird an Halloween stattfinden. Ein unparteiischer Richter wird entscheiden, welche Schüler geeignet sind, im Trimagischen Turnier für den Ruhm ihrer Schule anzutreten und das ausgesetzte Preisgeld von tausend Galleonen zu gewinnen.«

»Ich mach mit!«, zischte Fred Weasley, so daß es alle am Tisch hörten, und er strahlte schon begeistert bei der Vorstellung so viel Ruhm und Reichtum ernten zu können. Er war offenbar nicht der Einzige, der sich bereits als Hogwarts-Champion sah. An jedem Haustisch sah Harry Schüler, die entweder traumverloren Dumbledore anstarrten oder fieberhaft mit ihren Nachbarn flüsterten. Doch dann erhob Dumbledore erneut die Stimme, und die Halle verstummte.

»Zwar weiß ich, wie begierig ihr alle darauf seid, den Trimagischen Pokal für Hogwarts zu holen«, sagte er,»doch die Leiter der teilnehmenden Schulen haben gemeinsam mit dem Zaubereiministerium beschlossen, in diesem Jahr eine Altersbegrenzung für die Bewerber festzusetzen. Nur Schüler, die volljährig sind – das heißt siebzehn Jahre oder älter -, erhalten die Erlaubnis, sich am Wettbewerb zu beteiligen. Dies ist ein Schritt«- und Dumbledore sprach ein wenig lauter, denn bei diesen Worten hatten einige Schüler empört aufgeschrien und die Weasley-Zwillinge schienen plötzlich mächtig zornig zu sein -»dies ist ein Schritt, den wir für notwendig halten, denn die Turnieraufgaben sind schwierig und trotz aller Vorkehrungen nur unter Gefahr zu lösen, und es ist höchst unwahrscheinlich, daß Schüler unterhalb der sechsten Klassenstufe damit zurechtkommen. Ich persönlich werde dafür sorgen, daß kein minderjähriger Schüler unseren unparteiischen Schiedsrichter hinters Licht führt, um Hogwarts-Champion zu werden.«Seine hellblauen Augen huschten zwinkernd über Freds und Georges rebellische Mienen.»Ich bitte euch daher, eure Zeit nicht mit einer Bewerbung zu verschwenden, wenn ihr noch nicht siebzehn seid.

Die Abordnungen aus Beauxbatons und Durmstrang werden im Oktober eintreffen und den größten Teil des Jahres bei uns bleiben. Ich weiß, daß ihr unsere ausländischen Gäste mit größter Herzlichkeit empfangen und den HogwartsChampion mit Leib und Seele unterstützen werdet, sobald er oder sie ausgewählt ist. Und nun ist es spät und ich weiß, wie wichtig es ist, daß ihr alle wach und ausgeruht seid, wenn ihr morgen in die Klassen geht. Schlafenszeit! Husch, husch!«

Dumbledore setzte sich und begann mit Mad-Eye Moody zu sprechen. Unter lautem Stuhlbeinscharren und Tischerücken erhoben sich die Schüler und schwärmten auf die Flügeltüren der Eingangshalle zu.

»Das können sie nicht machen!«, sagte George Weasley, der sich dem Strom zur Tür nicht angeschlossen hatte, sondern nur da stand und Zornfunkelnd zu Dumbledore hochstarrte.»Im April werden wir siebzehn, warum dürfen wir es nicht probieren?«

»Ich trete jedenfalls an, daran werden die mich nicht hindern«, sagte Fred verbissen und starrte ebenfalls mit finsterer Miene in Richtung Dumbledore.»Der Champion darf sicher alles Mögliche anstellen, was wir sonst nie tun dürfen. Und tausend Galleonen Preisgeld!«

»Jaah!«, sagte Ron mit abwesendem Blick.»Jaah, tausend Galleonen…«

»Kommt jetzt«, sagte Hermine,»sonst sind wir noch die Letzten hier.«

Harry, Ron, Hermine, Fred und George machten sich auf den Weg hinaus in die Eingangshalle, und Fred und George überlegten laut, wie Dumbledore es schaffen könnte, die unter Siebzehnjährigen vom Turnier fern zu halten.

»Wer ist dieser unparteiische Richter, der über die Champions entscheidet?«, fragte Harry.

»Keine Ahnung«, sagte Fred,»aber den müssen wir auf jeden Fall austricksen. Ich denke mal, ein paar Tropfen Alterungstrank werden genügen, George…«

»Aber Dumbledore weiß doch, daß ihr nicht alt genug seid«, sagte Ron.

»Schon, aber er entscheidet ja nicht, wer Champion wird, oder?«, sagte Fred mit hinterlistigem Lächeln.»Ich glaube, sobald dieser Richter weiß, wer mitkämpfen will, wählt er von jeder Schule den Besten aus, ohne daß er groß aufs Alter achtet. Dumbledore will doch nur verhindern, daß wir uns bewerben.«

»Aber es sind schon Leute dabei umgekommen!«, sagte Hermine mit besorgter Stimme, während sie durch eine hinter einem Wandvorhang verborgene Tür gingen und dann eine schmale Treppe erklommen.

»Tjaah«, sagte Fred lässig,»aber das ist doch schon ewig her. Und außerdem, wo bleibt der Spaß, wenn nicht ein bißchen Prickeln dabei ist? Hey, Ron, wie war's, wenn wir Dumbledore reinlegen? Hast du Lust mitzumachen?«

»Was meinst du?«, fragte Ron Harry.»Mitmachen wäre cool, oder? Aber ich glaube, die brauchen jemand Älteren… weiß nicht, ob wir schon genug gelernt haben…«

»Ich jedenfalls nicht«, ertönte Nevilles verzagte Stimme hinter Fred und George.»Aber Oma würde sicher wollen, daß ich mitmache, immer redet sie davon, daß ich die Familienehre verteidigen soll. Ich muß nur – uuuhps…«

Nevilles Fuß war geradewegs durch eine Stufe in der Mitte der Treppe gesunken. Von diesen Trickstufen gab es viele in Hogwarts; die meisten der älteren Schüler übersprangen sie bereits im Schlaf, doch Neville war berüchtigt für sein schwaches Gedächtnis. Harry und Ron packten ihn unter den Achseln und zogen ihn hoch, unter dem Kreischen und Klappern und pfeifenden Lachen einer Rüstung oben am Treppenabsatz.

»Klappe«, sagte Ron und knallte der Rüstung im Vorbeigehen das Visier zu. Schließlich gelangten sie zum Eingang des Gryffindor-Turms, der hinter dem großen Porträt einer fetten Dame in einem rosa Seidenkleid verborgen war.

»Paßwort?«, sagte sie, als sie näher kamen.

»Quatsch«, sagte George,»hat mir ein Vertrauensschüler unten verraten.«

Das Gemälde klappte zur Seite und gab ein Loch in der Wand frei, durch das sie kletterten. Ein knisterndes Feuer wärmte den runden Gemeinschaftsraum, der voller Tische und weicher Sessel war. Hermine warf den ausgelassen tanzenden Flammen einen düsteren Blick zu und Harry hörte sie deutlich»Sklavenarbeit«murmeln, bevor sie ihnen gute Nacht wünschte und durch die Tür zum Mädchenschlafraum verschwand.

Harry, Ron und Neville kletterten die letzte Treppe hoch, die sich spiralförmig nach oben wand, und gelangten schließlich in ihren eigenen Schlafsaal in der Turmspitze. Fünf Himmelbetten mit scharlachroten Vorhängen standen an den Wänden und davor lagen bereits ihre Schulkoffer. Dean und Seamus machten sich schon zum Schlafen fertig; Seamus hatte seine Irland-Rosette an das Kopfbrett des Bettes gepinnt und Dean hatte mit Reißzwecken ein Poster von Viktor Krum über seinem Nachttisch befestigt. Sein altes Poster der Mannschaft von West Ham hing gleich daneben.

»Verrückt«, seufzte Ron und schüttelte den Kopf angesichts der völlig unbeweglichen Fußballspieler.

Harry, Ron und Neville schlüpften in ihre Pyjamas und legten sich hin. Irgend jemand – zweifellos ein Hauself – hatte Wärmflaschen unter ihre Decken gesteckt, und so konnten sie höchst behaglich dem Wüten des Sturmes um das Schloß lauschen.

»Könnte schon sein, daß ich mitmache, weißt du«, sagte Ron schlaftrunken in die Dunkelheit,»wenn Fred und George herausfinden, wie… das Turnier… man weiß nie, oder?«

»Hast wohl Recht…«, murmelte Harry und rollte sich auf die Seite. Vor seinem geistigen Auge spielte sich Wunderbares ab… er hatte den unparteiischen Richter glauben gemacht, er sei siebzehn… er war Champion von Hogwarts geworden… er stand draußen auf dem Gelände, die Arme in Siegerpose erhoben, und alle, alle aus seiner Schule klatschten und kreischten… er hatte gerade das Trimagische Turnier gewonnen… und aus der verschwommenen Menge hob sich deutlich Chos Gesicht hervor, das ihn bewundernd anstrahlte…

Harry grinste in sein Kissen hinein, für diesmal äußerst froh, daß Ron nicht sehen konnte, was er sah.

Mad-Eye Moody

Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm gelegt, doch die Decke der Großen Halle war immer noch dunkel verhangen und schwere, zinngraue Wolken wirbelten über den Himmel. Harry, Ron und Hermine saßen beim Frühstück und begutachteten ihre neuen Stundenpläne. Ein paar Plätze weiter fachsimpelten Fred, George und Lee Jordan eifrig über magische Alterungsmittel und diskutierten ihre Chancen, sich trotz allem ins Trimagische Turnier zu schmuggeln.

»Gar nicht übel, heute… wir sind den ganzen Vormittag draußen«, sagte Ron und fuhr mit dem Finger über die Spalte seines Stundenplans,»Kräuterkunde mit den Hufflepuffs und Pflege magischer Geschöpfe… verflucht, immer noch mit diesen Slytherins…«

»Heute Nachmittag dann 'ne ganze Doppelstunde Wahrsagen«, ächzte Harry und ließ den Kopf hängen. Einmal abgesehen vom Zaubertrankunterricht mochte er Wahrsagen am wenigsten. Professor Trelawney sagte andauernd seinen Tod voraus, was Harry äußerst lästig fand.

»Du hättest den Krempel hinschmeißen sollen, genau wie ich«, sagte Hermine frisch und munter und butterte sich ein Stück Toast.»Dann könntest du was Vernünftiges lernen wie zum Beispiel Arithmantik.«

»Du ißt ja wieder«, sagte Ron und sah zu, wie Hermine ihren Buttertoast großzügig mit Marmelade belud.

»Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es bessere Wege gibt, für die Elfenrechte einzutreten«, sagte Hermine und reckte das Kinn.

»Sicher… und außerdem hattest du Hunger«, erwiderte Ron grinsend.

Über ihren Köpfen hörten sie plötzlich lautes Geraschel; an die hundert Eulen kamen mit der morgendlichen Post in den Krallen durch die offenen Fenster geflogen. Harry sah instinktiv auf, doch in dem dichten braunen und grauen Eulengeflatter konnte er keine weiße Feder erkennen. Die Eulen zogen Kreise über den Tischen, auf der Suche nach den Schülern, für die ihre Briefe und Päckchen bestimmt waren. Ein großer Waldkauz stürzte hinunter zu Neville Longbottom und warf ihm ein Paket in den Schoß – Neville vergaß beim Packen fast immer irgendwas. Drüben auf der anderen Seite der Halle ließ sich Draco Malfoys Uhu auf seiner Schulter nieder, offenbar mit dem üblichen Nachschub an Süßigkeiten und Kuchen von zu Hause. Harry versuchte nicht auf das flaue Gefühl in seinem Magen zu achten und wandte sich wieder seinem Haferbrei zu. War Hedwig womöglich etwas passiert und hatte Sirius seinen Brief gar nicht erhalten?

Während sie auf dem sumpfigen Weg zwischen den Gemüsebeeten hinüber zum Gewächshaus drei gingen, ließen Harry die Sorgen nicht los. Doch dann lenkte ihn Professor Sprout ab, die der Klasse die häßlichsten Pflanzen zeigte, die Harry je gesehen hatte. Tatsächlich ähnelten sie weniger Pflanzen als dicken schwarzen Riesenschnecken, die, sich leicht krümmend und windend, senkrecht aus dem Boden ragten. An den Stengeln hatten sie einige große, glänzende Geschwülste, die offenbar mit Flüssigkeit gefüllt waren.

»Bubotubler«, erklärte ihnen Professor Sprout putzmunter.»Die müssen ausgequetscht werden. Dann sammelt ihr den Eiter -«

»Den was?«, sagte Seamus Finnigan angewidert.»Den Eiter, Finnigan, den Eiter«, sagte Professor Sprout,»und er ist äußerst wertvoll, also verschüttet ihn nicht. Ihr sammelt also den Eiter, und zwar in diesen Flaschen. Zieht eure Drachenhauthandschuhe über, dieser Bubotubler-Eiter kann, wenn er unverdünnt ist, die lustigsten Dinge mit der Haut anstellen.«

Die Bubotubler auszupressen war eine eklige und doch eigenartig befriedigende Arbeit. Aus jeder Geschwulst, die sie ausdrückten, quoll eine große Menge gelblich grüner Flüssigkeit, die stark nach Benzin roch. Sie fingen sie in Flaschen auf, wie Professor Sprout gesagt hatte, und am Ende der Stunde hatten sie einige Liter beisammen.

»Madam Pomfrey wird ganz entzückt sein«, sagte Professor Sprout und stöpselte die letzte Flasche mit einem Korken zu.»Ein hervorragendes Mittel gegen die hartnäckigeren Formen der Akne, dieser Bubotubler-Eiter. Sollte einige von euch, die ihre Pickel loswerden wollen, von Verzweiflungstaten abhalten.«

»Wie die arme Eloise Midgen«, sagte Hannah Abbott, eine Hufflepuff, mit schüchterner Stimme.»Sie hat versucht ihre Pickel wegzufluchen.«

»Dummes Mädchen«, sagte Professor Sprout kopfschüttelnd.»Aber Madam Pomfrey hat ihr die Nase dann wieder ordentlich anwachsen lassen.«

Vom Schloß jenseits der regennassen Wiesen wehte eindringliches Glockengeläut herüber und verkündete das Ende der Stunde. Die Schüler trennten sich; die Hufflepuffs stiegen die Steintreppe zum Verwandlungsunterricht hoch, die Gryffindors gingen in die andere Richtung, den sanft abfallenden Rasen hinunter zu Hagrids kleiner Holzhütte am Rand des Verbotenen Waldes.

Hagrid erwartete sie bereits an der Tür, die eine Hand am Halsband seines riesigen schwarzen Saurüden Fang. Um ihn herum lagen mehrere offene Holzkisten, und der winselnde Fang, offenbar ganz scharf darauf, ihren Inhalt genauer in Augenschein zu nehmen, zog und zerrte an seinem Halsband. Als sie näher kamen, drang ein merkwürdiges Rasseln an ihre Ohren, offenbar durchsetzt mit kleineren Explosionen.

»Moin!«, sagte Hagrid und grinste Harry, Ron und Hermine an.»Wir warten besser auf die Slytherins, die wollen das sicher nicht verpassen, die Knallrümpfigen Kröter!«

»Wie bitte?«, sagte Ron.

Hagrid deutete auf die Kisten.

»Uuärrh!«würgte Lavender Brown hervor und sprang einen Schritt zurück.

»Uuärrh«war aus Harrys Sicht eine ziemlich treffende Beschreibung der Knallrümpfigen Kröter. Sie sahen aus wie mißgestaltete, schalenlose Hummer, scheußlich fahl und schleimig, mit Beinen, die an allen möglichen und unmöglichen Stellen aus dem Körper ragten, während Köpfe nicht zu erkennen waren. In jeder Kiste lagen etwa hundert dieser Geschöpfe, jedes um die fünfzehn Zentimeter lang, sie krabbelten blind durcheinander und stießen gegen die Kistenwände. Ein sehr starker Gestank nach verfaultem Fisch ging von ihnen aus. Hin und wieder stoben Funken aus dem Rumpf eines der Kröter und schleuderten ihn mit einem leisen ffhhht ein paar Zentimeter weiter.

»Frisch ausgebrütet«, sagte Hagrid stolz,»jetzt könnt ihr sie selbst großziehn! Dachte, wir machen so was wie 'n Projekt draus!«

»Und warum eigentlich sollen wir die großziehen?«, sagte eine kalte Stimme. Die Slytherins waren angekommen. Wer sprach, war Draco Malfoy. Crabbe und Goyle taten glucksend ihren Beifall für seine Worte kund.

Die Frage schien Hagrid in Verlegenheit zu stürzen.»Ich meine, wozu sind die denn nütze?«, fragte Malfoy.»Was ist der Witz dabei?«

Hagrid öffnete den Mund, offenbar angestrengt nachdenkend; ein paar Sekunden herrschte Schweigen, dann sagte er barsch:»In'ner nächsten Stunde, Malfoy. Heut füttert ihr sie nur. Probiert doch mal 'n paar verschiedene Sachen aus – ich hab sie noch nie gehabt, weiß nich, was sie lecker finden -hab Ameiseneier und Froschlebern und 'n Stück Ringelnatter – nehmt einfach von allem etwas.«

»Erst Eiter und jetzt das hier«, murrte Seamus. Einzig und allein ihre tiefe Zuneigung zu Hagrid brachte Harry, Ron und Hermine dazu, glitschige Froschlebern in die Hände zu nehmen und sie in die Kisten gleiten zu lassen, um die Knallrümpfigen Kröter zum Essen zu verführen. Harry konnte den Verdacht nicht unterdrücken, daß das Ganze vollkommen sinnlos war, denn die Knallrümpfigen Kröter schienen keine Mäuler zu haben.

»Autsch!«, schrie Dean Thomas nach etwa zehn Minuten.»Mich hat's erwischt!«

Hagrid eilte mit besorgtem Blick zu ihm hinüber.»Sein Rumpf ist explodiert!«, sagte Dean säuerlich und zeigte Hagrid eine Brandblase an seiner Hand.

»Hmh, ja, kann passieren, wenn sie losknallen«, nickte Hagrid.

»Uuärrh!«, kam es erneut von Lavender Brown.»Uuärrh, Hagrid, was ist das für ein spitzes Ding auf dem da?«

»Hmh, ja, 'n paar von denen ha'm Stacheln«, sagte Hagrid begeistert (Lavender zog rasch die Hand aus der Kiste).»Ich glaub, das sind die Männchen… die Weibchen haben so was wie 'n Saugnapf am Bauch… ich glaub, das könnte zum Blutsaugen sein.«

»Schön, jetzt weiß ich, warum wir sie unbedingt hätscheln sollten«, sagte Malfoy trocken.»Wer will nicht ein Haustier, das brennen, stechen und Blut saugen zugleich kann?«

»Nur weil sie nicht hübsch sind, heißt das noch lange nicht, daß sie nicht nützlich sind«, stieß Hermine hervor.

»Drachenblut hat sagenhafte magische Wirkungen, aber einen Drachen als Haustier willst du trotzdem nicht, oder?«

Harry und Ron grinsten Hagrid zu, der hinter seinem buschigen Bart flüchtig zurücklächelte. Hagrid hätte nur zu gerne einen Drachen als Haustier gehalten, wie Harry, Ron und Hermine sehr genau wußten – er hatte in ihrem ersten Jahr für kurze Zeit einen Drachen gehabt, einen angriffslustigen Norwegischen Stachelbuckel namens Norbert. Hagrid liebte einfach Monster – je tödlicher, desto besser.

»Na, wenigstens sind diese Kröter klein«, sagte Ron eine Stunde später auf dem Weg zum Mittagessen ins Schloß.

»Das sind sie jetzt noch«, sagte Hermine verärgert,»aber sobald Hagrid rausgefunden hat, was sie fressen, werden sie sicher zwei Meter lang.«

»Na und, das macht doch nichts, wenn sie am Ende die Seekrankheit oder so was heilen können!«, sagte Ron und grinste sie schlaumeierisch an.

»Du weißt ganz genau, daß ich das nur gesagt habe, um Malfoy abzuwürgen«, sagte Hermine.»In Wahrheit denke ich, daß er Recht hat. Das Beste wäre, die alle totzutreten, bevor sie anfangen, über uns herzufallen.«

Sie setzten sich an den Gryffindor-Tisch und taten sich Lammkoteletts mit Kartoffeln auf. Hermine begann so schnell zu essen, daß Harry und Ron sie mit offenem Mund anstarrten.

»Ähem – ist das dein neuer Feldzug für die Elfenrechte?«, sagte Ron.»Daß du futterst bis zum Erbrechen?«

»Nein«, sagte Hermine so würdevoll, wie es mit einem Mund voll Rosenkohl gerade noch ging,»ich will nur schnell in die Bibliothek kommen.«

»Wie bitte?«, sagte Ron ungläubig.»Hermine – wir sind gerade mal den ersten Tag hier! Wir haben noch nicht mal Hausaufgaben!«

Hermine zuckte die Achseln und spachtelte munter weiter, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen. Dann sprang sie auf, sagte:»Bis zum Abendessen!«, und entschwand in höchster Eile.

Als die Glocke zum Nachmittagsunterricht läutete, machten sich Harry und Ron auf den Weg zum Nordturm. Am oberen Ende einer engen und schmalen Wendeltreppe führte eine silberne Trittleiter an die Decke und zu einer runden Falltür, hinter der Professor Trelawney lebte.

Nachdem sie die Trittleiter erklommen hatten, drang ihnen ein vertrauter süßlicher Parfümduft vom Feuer her in die Nasen. Wie immer waren alle Vorhänge zugezogen; die vielen mit Seidentüchern und Schals drapierten Lampen tauchten das Zimmer in ein mattes rötliches Licht. Harry und Ron schlängelten sich durch das dichte Gewirr bereits besetzter Chintz-Stühle und Sitzpolster und ließen sich an einem kleinen runden Tisch nieder.

»Guten Tag.«Die rauchige Stimme Professor Trelawneys ertönte direkt hinter Harry und ließ ihn zusammenzucken.

Professor Trelawney, eine sehr dünne Frau mit riesiger Brille, die ihre Augen über die Maßen groß erscheinen ließ, musterte Harry von oben herab, mit jener tragischen Miene, die sie bei seinem Anblick immer aufsetzte. Im Licht des Feuers glitzerte die übliche Menge an Perlen, Kettchen und Ringen an Hals, Armen und Fingern.

»Du bist in Sorge, mein Lieber«, sagte sie mit trauerschwerer Stimme zu Harry.»Mein inneres Auge sieht durch dein mutiges Antlitz hindurch auf die geplagte Seele in dir. Und ich muß dir leider sagen, daß deine Sorgen nicht völlig grundlos sind. Ich sehe leider, leider schwere Zeiten auf dich zukommen… die schwersten… ich fürchte, wovor dir graut, wird tatsächlich eintreten… und schneller vielleicht, als du denkst…«

Sie senkte ihre Stimme und flüsterte jetzt beinahe. Ron sah Harry an und rollte mit den Augen, doch Harry blickte mit steinerner Miene zurück.

Professor Trelawney schwebte an ihnen vorbei und setzte sich, der Klasse zugewandt, in einen großen geflügelten Lehnstuhl am Feuer. Lavender Brown und Parvati Patil, die Professor Trelawney zutiefst bewunderten, saßen auf Polstern zu ihren Füßen.

»Meine Lieben, es ist an der Zeit, daß wir uns den Sternen zuwenden«, sagte sie.»Den Bewegungen der Planeten und den geheimnisvollen Botschaften, die sie nur jenen entbergen, welche die Schritte des Sternentanzes zu deuten wissen. Das Schicksal der Menschen kann mit Hilfe der Planetenstrahlen entziffert werden, die sich kreuzen…«

Doch Harrys Gedanken waren abgeschweift. Das parfümierte Feuer machte ihn immer schläfrig und ein wenig bedröppelt, und Professor Trelawneys weitschweifige Reden über die Wahrsagerei schlugen ihn nie so richtig in Bann – obwohl er unweigerlich daran denken mußte, was sie ihm eben gesagt hatte.»Ich fürchte, wovor dir graut, wird tatsächlich eintreten…«

Doch Hermine hatte Recht, dachte Harry ärgerlich, Professor Trelawney war tatsächlich eine alte Schwindlerin. Im Moment hatte er vor nichts Angst… nun ja, wenn er von den Befürchtungen absah, daß Sirius gefangen war… doch was wußte Professor Trelawney? Er war schon lange zu dem Schluß gekommen, daß sie als Wahrsagerin im Grunde nur so lange herumrätselte, bis sie einen Treffer landete, und dies dann noch mit Geheimnistuerei garnierte.

Eine Ausnahme war natürlich jenes letzte Treffen am Ende des vorigen Schuljahrs gewesen, als sie vorausgesagt hatte, daß Voldemort wieder an die Macht gelangen würde… Dumbledore selbst, dem Harry ihre Trance beschrieben hatte, hatte gemeint, sie sei wohl nicht gespielt gewesen…

»Harry!«, murmelte Ron.

»Was denn?«

Harry sah sich um; die ganze Klasse starrte ihn an und er setzte sich kerzengerade hin. Fast wäre er eingedöst, versunken in der Wärme und verloren in seinen Gedanken.

»Ich sagte soeben, mein Lieber, daß du offenbar unter dem unheilvollen Einfluss des Saturns geboren bist«, sagte Professor Trelawney mit einem Hauch von Widerwillen in der Stimme, weil Harry offensichtlich nicht an ihren Lippen gehangen hatte.

»Geboren unter – Verzeihung, wem bitte?«, fragte Harry.

»Saturn, mein Lieber, Saturn!«, sagte Professor Trelawney und klang nun, da ihn diese Neuigkeit nicht vom Stuhl riß, offenkundig verärgert.»Ich sagte, Saturn war sicher in einer machtvollen Position am Himmel zur Stunde deiner Geburt… dein dunkles Haar… deine mickrige Statur… tragische Verluste schon so früh im Leben… ich denke, ich liege richtig, wenn ich sage, mein Lieber, daß du mitten im Winter geboren bist?«

»Nein«, sagte Harry,»ich bin im Juli geboren.«

Ron konnte gerade noch ein Lachen abwürgen, das zu einem trockenen Hüsteln gerann.

Eine halbe Stunde später saßen sie vor komplizierten kreisrunden Karten, auf denen sie die Position der Planeten im Augenblick ihrer Geburt einzeichnen sollten. Es war ein stinklangweiliges Geschäft, denn ständig mußten sie irgendwelche Tabellen zu Rate ziehen und Winkel berechnen.

»Ich habe hier zwei Neptune«, sagte Harry nach einer Weile und besah sich stirnrunzelnd sein Pergamentblatt,»das kann nicht stimmen, oder?«

»Aaaah«, sagte Ron, Professor Trelawneys geheimnisvoll waberndes Flüstern nachahmend,»wenn zwei Neptune am Himmel erscheinen, ist dies ein sicheres Zeichen, daß ein Zwerg mit Brille geboren wird, Harry…«

Seamus und Dean, die am Nebentisch arbeiteten, wieherten laut, wenn auch nicht laut genug, um das aufgeregte Kreischen Lavender Browns zu übertönen -»O Professor, sehen Sie! Ich glaube, ich habe einen aspektlosen Planeten! Uuuuh, welcher ist das, Professor?«

»Der Uranus, meine Liebe«, sagte Professor Trelawney mit einem Blick auf die Karte.

»Kann ich Uranus auch mal sehen, Lavender?«, fragte Ron.

Unglücklicherweise hörte ihn Professor Trelawney, und vielleicht war dies der Grund, daß sie ihnen am Ende der Stunde so viele Hausaufgaben gab.

»Eine genaue Untersuchung der Frage, auf welche Weise die Planetenbewegungen des kommenden Monats euch betreffen werden, mit Verweis auf eure persönliche Karte«, fauchte sie und klang dabei eher nach Professor McGonagall als nach ihrem üblichen windig-duftigen Selbst.

»Abgabe ist nächsten Montag, und keine Ausreden!«

»Biestige alte Fledermaus«, sagte Ron erbittert, als sie sich in die Scharen einreihten, die die Treppen hinunter in die Große Halle zum Abendessen strömten.»Das wird uns das ganze Wochenende kosten, sag ich dir…«

»'ne Menge Hausaufgaben?«, strahlte Hermine, die sie gerade eingeholt hatte.»Professor Vektor hat uns jedenfalls überhaupt keine gegeben!«

»Ist ja ganz toll von Professor Vektor«, sagte Ron mißgelaunt.

Sie gelangten in die Eingangshalle, wo sich schon eine lange Schlange für das Abendessen gebildet hatte. Sie hatten sich gerade angestellt, als hinter ihnen eine laute Stimme ertönte.

»Weasley! Hey, Weasley!«

Harry, Ron und Hermine wandten sich um. Hinter ihnen standen Malfoy, Crabbe und Goyle und schienen sich prächtig über etwas zu amüsieren.

»Was gibt's?«, sagte Ron schroff.

»Dein Dad steht in der Zeitung, Weasley!«, sagte Malfoy und wedelte mit einem Tagespropheten.»Hör dir das an!«, verkündete er so laut, daß es alle in der brechend vollen Eingangshalle hören konnten.

Weitere Pannen im Zaubereiministerium

Es scheint, als sei die Pannenserie im Zaubereiministerium noch längst nicht zu Ende. Das Ministerium, erst jüngst heftiger Kritik ausgesetzt wegen der mangelhaften Kontrolle der Besucher während der Quidditch-Weltmeisterschaft und immer noch nicht in der Lage, das Verschwinden einer seiner Hexen zu erklären, wurde gestern in neue Verlegenheit gestürzt durch das merkwürdige Gebaren von Arnold Weasley vom Amt gegen den Mißbrauch von Muggelartefakten.

Malfoy blickte auf.

»Stell dir vor, die haben nicht mal seinen Namen richtig geschrieben, Weasley, als ob er eine komplette Null wäre«, krähte er.

Die ganze Eingangshalle hörte jetzt zu. Malfoy glättete genüßlich das Blatt und las weiter:

Arnold Weasley, der vor zwei Jahren wegen des Besitzes eines fliegenden Autos angezeigt wurde, war gestern in eine Rangelei mit mehreren Gesetzeshütern der Muggel (»Polizisten«) verwickelt. Der Grund waren einige höchst angriffslustige Mülleimer. Mr Weasley war offenbar einem gewissen»Mad-Eye«Moody zu Hilfe geeilt, einem in die Jahre gekommenen Ex-Auroren, den das Ministerium in den Ruhestand versetzt hatte, als er den Unterschied zwischen einem Händedruck und einem Mordversuch nicht mehr zu erkennen vermochte. Es wird niemanden überraschen, daß Mr Weasley bei seiner Ankunft in Mr Moodys schwer bewachtem Haus feststellte, daß Mr Moody wieder einmal falschen Alarm geschlagen hatte. Mr Weasley war gezwungen, mehrere Gedächtnisse zu verändern, weigerte sich jedoch, auf die Frage des Tagespropheten zu antworten, warum er das Ministerium in ein so würdeloses und möglicherweise peinliches Geschehen verwickelt hatte.

»Und hier ist ein Bild, Weasley!«, sagte Malfoy, schlug das Blatt um und hob die Zeitung in die Höhe.»Ein Bild deiner Eltern vor ihrem Haus – wenn man das überhaupt Haus nennen kann! Deine Mutter könnte auch ein paar Pfunde weniger vertragen!«

Ron schüttelte es vor Zorn. Alle starrten ihn an.

»Verpiß dich, Malfoy«, sagte Harry.»Wir gehen, Ron…«

»Ach ja, du warst doch im Sommer zu Besuch bei denen, oder, Potter?«, höhnte Malfoy.»Also sag mal, ist seine Mutter wirklich so fett oder sieht es auf dem Bild nur so aus?«

»Und was ist mit deiner Mutter, Malfoy?«, zischte Harry -er und Hermine hatten Ron hinten am Umhang gepackt, damit er sich nicht auf Malfoy stürzte -»Warum macht sie ständig ein Gesicht, als ob sie Mist unter der Nase hätte? Hat sie immer schon so ausgesehen, oder ist es erst, seit es dich gibt?«

Malfoys bleiches Gesicht lief leicht rosa an.»Wag es bloß nicht, meine Mutter zu beleidigen, Potter.«

»Dann halt dein dreckiges Maul«, sagte Harry und wandte sich ab.

PENG!

Einige schrien auf – Harry fühlte etwas glühend Heißes an seinem Gesicht vorbeisirren – blitzschnell langte er in die Tasche nach seinem Zauberstab, doch bevor er ihn auch nur berührt hatte, hörte er ein zweites lautes PENG und ein Krachen, das die Eingangshalle erschütterte.

»O nein, das machst du nicht, Freundchen!«

Harry wirbelte herum. Professor Moody hinkte die Marmortreppe hinunter. Er hatte den Zauberstab gezückt und deutete unverwandt auf ein strahlend weißes Frettchen, das zitternd auf dem steingepflasterten Boden lag, genau dort, wo Malfoy gestanden hatte.

In der Eingangshalle herrschte schreckerfüllte Stille. Keiner außer Moody rührte auch nur einen Finger. Moody wandte sich um und sah Harry an – zumindest sein normales Auge sah Harry an; das andere war in seinen Kopf hineingedreht.

»Hat er dich erwischt?«, sagte Moody leise knirschend.

»Nein«, sagte Harry,»ging daneben.«

»Laß es liegen!«, bellte Moody.

»Was denn?«, fragte Harry verdutzt.

»Nicht du – er!«, knurrte Moody und warf die Hand kurz über die Schulter in Richtung Crabbe, der sich zu dem weißen Frettchen hinuntergebeugt hatte und jetzt erstarrte. Offenbar war Moodys rollendes Auge magisch und konnte auch aus seinem Hinterkopf hinaussehen.

Moody hinkte jetzt auf Crabbe, Goyle und das Frettchen zu, das ein verängstigtes Kreischen hören ließ und in Richtung Kerker davonflitzte.

»Hier geblieben!«, donnerte Moody und richtete den Zauberstab erneut auf das Frettchen – es flog drei Meter hoch in die Luft, klatschte wieder auf den Boden und schnellte dann erneut in die Höhe.

»Ich mag Leute, die angreifen, wenn ihnen der Gegner den Rücken zukehrt, überhaupt nicht«, knurrte Moody, während er das vor Schmerz kreischende Frettchen immer höher in die Luft schleuderte.»Widerlich, feige, gemein ist das…«

Das Frettchen flog wehrlos strampelnd und mit dem Schwanz schlackernd durch die Luft.

»Tu – das – nie – wieder -«, sagte Moody, und bei jedem Wort schlug das Frettchen auf den Steinboden und schleuderte wieder empor.

»Professor Moody!«, ertönte eine entsetzte Stimme.

Professor McGonagall kam mit den Armen voller Bücher die Marmortreppe herunter.

»Hallo, Professor McGonagall«, sagte Moody gelassen und ließ das Frettchen noch höher schleudern.

»Was… was tun Sie da?«, fragte Professor McGonagall und verfolgte mit den Augen das Auf und Ab des Frettchens.

»Unterrichten«, sagte Moody.

»Unter…, Moody, ist das ein Schüler?«, kreischte Professor McGonagall und die Bücher fielen ihr aus den Armen.

»Jep«, sagte Moody.

»Nein!«, schrie Professor McGonagall; sie rannte die letzten Stufen hinunter und zog ihren Zauberstab; mit einem lauten Knall erschien Draco Malfoy, in sich zusammengesunken auf dem Boden liegend, das glattseidene Blondhaarüber sein leuchtend rosarotes Gesicht gebreitet. Wimmernd rappelte er sich wieder hoch.

»Moody, wir setzen Verwandlungen niemals zur Bestrafung ein!«, sagte Professor McGonagall ermattet.»Das hat Ihnen Professor Dumbledore doch sicher gesagt?«

»Hat er vielleicht mal erwähnt, ja«, sagte Moody und kratzte sich ungerührt am Kinn,»aber ich dachte, ein kurzer Schock, der richtig wehtut -«

»Wir geben Strafarbeiten, Moody! Oder sprechen mit dem Leiter des Hauses, dem der Missetäter angehört!«

»Das werd ich schon noch tun«, sagte Moody und starrte Malfoy mit größter Abneigung an.

Malfoy, dessen blasse Augen immer noch vor Schmerz und Scham tränten, sah voller Haß zu Moody auf und murmelte etwas, aus dem die Wörter»mein Vater«herauszuhören waren.

»Ach ja?«, sagte Moody leise und humpelte ein paar Schritte vor, wobei das dumpfe Klonk seines Holzbeins von den Wänden widerhallte.»Gut, ich kenn deinen Vater schon sehr lange, Junge… sag ihm, daß Moody seinen Sohn jetzt scharf im Auge behält… sag ihm das von mir… und euer Hauslehrer ist sicher Snape?«

»Ja«, grollte Malfoy.

»Noch ein alter Freund«, knurrte Moody.»Ich freu mich schon die ganze Zeit auf ein Pläuschchen mit Snape… komm mit, du…«Er packte Malfoy am Oberarm und schleifte ihn in Richtung Kerker fort.

Professor McGonagall starrte ihnen einen Augenblick lang mit bangem Blick nach, dann ließ sie mit einem Schwung ihres Zauberstabs die auf dem Boden liegenden Bücher zurück in ihre Arme flattern.

»Im Augenblick will ich kein Wort von euch hören«, flüsterte Ron Harry und Hermine zu, als sie sich ein paar Minuten später an den Gryffindor-Tisch setzten, inmitten von aufgeregtem Getuschel über das eben Geschehene.

»Warum nicht?«, fragte Hermine überrascht.

»Weil ich das für immer in mein Gedächtnis einbrennen will«, sagte Ron mit geschlossenen Augen und einem Ausdruck von ungetrübter Glückseligkeit auf dem Gesicht.»Draco Malfoy, das sagenhafte hopsende Frettchen…«

Hermine und Harry lachten und Hermine tat allen dreien Rinderschmorbratenscheiben auf die Teller.

»Dabei hätte er Malfoy ernsthaft verletzen können«, sagte sie.»Eigentlich war es gut, daß Professor McGonagall eingeschritten ist -«

»Hermine«, sagte Ron zornig und öffnete die Augen wieder.»Du zerstörst gerade den schönsten Moment meines Lebens!«

Hermine murmelte etwas Unwirsches und begann schon wieder mit unglaublicher Geschwindigkeit zu essen.

»Erklär mir ja nicht, du willst heute Abend wieder in die Bibliothek?«, sagte Harry mit prüfendem Blick.

»Allerdings«, mampfte Hermine,»'ne Menge zu tun.«

»Aber du hast uns doch gesagt, Professor Vektor -«

»Es geht nicht um Hausaufgaben«, sagte sie. Fünf Minuten später hatte sie ihren Teller leer geputzt und war verschwunden.

Kaum war sie weg, als Fred Weasley auch schon ihren Platz einnahm.

»Moody!«, sagte er.»Wie cool ist er?«

»Ultracool«, sagte George und setzte sich Fred gegenüber.

»Supercool«, sagte der beste Freund der Zwillinge, Lee Jordan, und rutschte auf den Stuhl neben George.»Wir hatten ihn heute Nachmittag«, erklärte er Harry und Ron.

»Und wie war's?«, sagte Harry neugierig.

Fred, George und Lee tauschten bedeutungsschwere Blicke.

»So 'ne Stunde hab ich noch nie erlebt«, sagte Fred.

»Er weiß es, Mann«, sagte Lee.

»Weiß was?«, fragte Ron und beugte sich vor.

»Weiß, wie es ist, dort draußen zu sein und es zu tun«, sagte George eindringlich.

»Was zu tun?«, fragte Harry.

»Gegen die schwarzen Magier zu kämpfen«, sagte Fred.

»Er hat alles erlebt«, sagte George.

»Irre«, sagte Lee.

Ron stöberte in seiner Tasche nach dem Stundenplan.

»Wir haben ihn erst am Donnerstag!«, sagte er enttäuscht.

Die Unverzeihlichen Flüche

Die nächsten beiden Tage vergingen ohne größere Zwischenfälle, abgesehen davon, daß Neville in Zaubertränke bereits seinen sechsten Kessel zum Schmelzen brachte. Professor Snape, der im Sommer offenbar neue Höhen der Gemeinheit erklommen hatte, ließ ihn nachsitzen, und von dieser Stunde, in der er einen Bottich gehörnter Kröten hatte ausnehmen müssen, kehrte Neville als komplettes Nervenbündel zurück.

»Dir ist doch klar, warum Snape derart übellaunig ist, oder?«, sagte Ron zu Harry, während sie Hermine zusahen, die Neville gerade einen Putzzauber beibrachte, damit er die Froschinnereien unter seinen Fingernägeln los wurde.

»Jaah«, sagte Harry.»Moody.«

Es war kein Geheimnis, daß Snape in Wahrheit selbst Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste sein wollte, und jetzt hatte er es auch im vierten Jahr nicht geschafft. Snape hatte keinen ihrer bisherigen Lehrer in diesem Fach ausstehen können und daraus auch keinen Hehl gemacht – doch merkwürdigerweise schien er gegen Mad-Eye Moody lieber keine offene Abneigung zeigen zu wollen. Im Gegenteil, immer wenn Harry die beiden zusammen sah – beim Essen oder wenn sie sich auf dem Gang begegneten -, hatte er den deutlichen Eindruck, daß Snape Moodys Blick auswich, ob nun dem magischen oder dem normalen Auge.

»Ich glaube, Snape hat ein wenig Schiß vor ihm«, sagte Harry nachdenklich.

»Stell dir vor, Moody würde Snape in eine gehörnte Kröte verwandeln«, sagte Ron mit verschleiertem Blick,»und würde ihn zwischen den Mauern seines Kerkers hin und her klatschen lassen…«

Die Viertkläßler von Gryffindor waren so gespannt auf Moodys erste Stunde, daß sie am Donnerstag nach dem Mittagessen viel zu früh vor dem Klassenzimmer erschienen und davor Schlange standen.

Wer fehlte, war Hermine, die schließlich erst in letzter Sekunde auftauchte.

»War in der -«

»- Bibliothek«, ergänzte Harry.»Komm schnell, die besten Plätze sind gleich weg.«

Sie stürzten sich auf drei Stühle direkt vor dem Lehrertisch, nahmen Die dunklen Kräfte – Eine Anleitung zur Selbstverteidigung heraus und warteten ungewöhnlich leise auf das Kommende. Es dauerte gar nicht lange, dann hörten sie dumpfe, pochende Schritte den Gang entlanghallen, und schon kam Moody, unheimlich und Furcht erregend wie er war, zur Tür herein. Den hölzernen Klauenfuß konnten sie eben noch unter seinem Umhang hervorlugen sehen.

»Die könnt ihr wieder wegstecken«, knurrte er, humpelte zu seinem Tisch und setzte sich,»diese Bücher. Die braucht ihr nicht.«

Sie räumten die Bücher wieder in ihre Taschen und vor allem Ron schien davon schwer beeindruckt.

Moody zog eine Liste hervor, schüttelte seine lange grauweiße Haarmähne aus dem zerfurchten und vernarbten Gesicht und begann ihre Namen aufzurufen, wobei sein normales Auge langsam die Liste entlangwanderte, während das magische Auge umherhuschte und jeden Schüler, der sich meldete, scharf ansah.

»Gut denn«, sagte er, nachdem er den Letzten aufgerufen hatte.»Ich habe hier einen Bericht von Professor Lupin über den Wissensstand der Klasse. Sieht aus, als hättet ihr eine recht gründliche Ausbildung im Umgang mit schwarzen Kreaturen – ihr habt Irrwichte, Rotkappen, Hinkepanks, Grindelohs, Kappas und Werwölfe durchgenommen, stimmt das?«

Allseits zustimmendes Murmeln.

»Aber ihr liegt zurück – weit zurück – im Umgang mit Flüchen«, sagte Moody.»Daher will ich euch mal ausführlich beibringen, was Zauberer sich gegenseitig antun können. Ich habe ein Jahr, um euch zu lehren, wie man mit den dunklen -«

»Was, Sie bleiben nicht länger?«, platzte Ron heraus.

Moodys magisches Auge flutschte herum und starrte Ron an; Ron schien aufs Äußerste gespannt, doch einen Moment später breitete sich ein Lächeln auf Moodys Gesicht aus – wie Harry es noch nie bei ihm gesehen hatte. Sein vernarbtes Gesicht erschien dadurch nur noch zerfurchter und verzerrter, und dennoch war es eine Erleichterung zu sehen, daß er auch zu so etwas Freundlichem wie einem Lächeln fähig war. Ron wirkte, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen.

»Du bist doch Arthur Weasleys Sohn, he?«, sagte Moody.»Dein Vater hat mich vor ein paar Tagen aus einer ganz üblen Klemme rausgeholt… ja, ich bleibe nur dieses eine Jahr hier. Und das auch nur, um Dumbledore einen Gefallen zu tun… ein Jahr, und dann kehre ich wieder in den Frieden meines Ruhestands zurück.«

Er lachte rauh und schlug die knochigen Hände zusammen.

»Also, legen wir gleich los. Flüche. Es gibt sie in vielen Stärken und Gestalten. Dem Zaubereiministerium zufolge soll ich euch Gegenflüche lehren und es dabei belassen. Eigentlich darf ich euch die verbotenen schwarzen Flüche erst zeigen, wenn ihr in der sechsten Klasse seid. Vorher seid ihr angeblich noch zu jung, um damit fertig zu werden. Aber Professor Dumbledore hält mehr von eurem Nervenkostüm, er denkt, ihr schafft es, und ich sage, je früher ihr wißt, wogegen ihr antretet, desto besser. Wie sollt ihr euch denn gegen etwas verteidigen, was ihr nie gesehen habt? Ein Zauberer, der euch mit einem verbotenen Fluch verhext, wird euch nicht sagen, was er vorhat. Er wird euch dabei ins Gesicht lächeln. Ihr müßt darauf vorbereitet sein. Ihr müßt wachsam sein und ständig auf der Hut. Das sollten Sie lassen, während ich rede, Miss Brown.«

Lavender zuckte zusammen und wurde knallrot. Sie hatte Parvati unter dem Tisch ihr fertiges Horoskop gezeigt. Offenbar konnte Moodys magisches Auge auch durch eine Holzplatte sehen, nicht nur durch seinen Hinterkopf.

»Also… weiß jemand von euch, welche Flüche vom Zaubereigesetz mit den schwersten Strafen belegt werden?«

Ein paar hoben vorsichtig die Hände, darunter auch Ron und Hermine. Moody deutete auf Ron, doch sein magisches Auge fixierte immer noch Lavender.

»Ähm«, sagte Ron zögernd,»mein Dad hat mir von einem erzählt… heißt er Imperius-Fluch oder so?«

»Ah ja«, sagte Moody anerkennend.»Den kennt dein Vater natürlich. Hat dem Ministerium schon mal heftiges Kopfzerbrechen bereitet, dieser Imperius-Fluch.«

Moody stellte sich schwer atmend auf seine ungleichen Füße, öffnete die Schublade seines Tisches und nahm ein Einmachglas heraus. Drei große schwarze Spinnen krabbelten darin herum. Harry spürte, wie Ron neben ihm leicht zurückwich – Ron verabscheute Spinnen.

Moody langte in das Glas, fing eine Spinne ein und legte sie auf seinen Handballen, so daß alle sie sehen konnten.

Dann richtete er seinen Zauberstab auf sie und murmelte:»Imperio!«

Die Spinne schwang sich an einem dünnen Faden von Moodys Hand und begann hin- und herzuschwingen wie an einem Trapez. Sie streckte die Beine aus, legte einen Salto rückwärts ein, riß den Faden durch, landete auf dem Tisch und begann im Kreis Rad zu schlagen. Moody schwang seinen Zauberstab, und die Spinne stellte sich auf zwei Hinterbeine und legte, wie es aussah, einen Stepptanz hin.

Alle lachten – alle außer Moody.

»Lustig, nicht wahr?«, knurrte er.»Würdet ihr es auch lustig finden, wenn ich das mit euch machen würde?«

Das Lachen erstarb mit einem Schlag.

»Vollkommene Unterwerfung«, sagte Moody leise, während die Spinne sich zusammenrollte und über den Tisch kugelte.»Ich könnte sie dazu bringen, aus dem Fenster zu hüpfen, sich zu ersäufen, sich in einen von euren offenen Mündern zu stürzen…«

Ron erschauderte unwillkürlich.

»Vor einigen Jahren gab es eine Menge Hexen und Zauberer, die vom Imperius-Fluch beherrscht waren«, sagte Moody, und Harry wußte, daß er über die Tage sprach, in denen Voldemort auf dem Höhepunkt seiner Macht war.

»War keine leichte Aufgabe fürs Ministerium herauszufinden, wer unterworfen war und wer aus seinem freien Willen heraus handelte.

Der Imperius-Fluch kann bekämpft werden, und ich werde euch beibringen, wie. Doch das verlangt wirkliche Charakterstärke und nicht alle besitzen die. Paßt lieber auf, daß ihr nicht zum Opfer dieses Fluchs werdet. IMMER WACHSAM!«, bellte er, und alle zuckten zusammen.

Moody hob die Purzelbäume schlagende Spinne hoch und warf sie wieder in das Glas.»Weiß noch jemand einen? Einen verbotenen Fluch?«

Hermines Hand schoß erneut in die Höhe und auch, zu Harrys gelinder Überraschung, die Nevilles. Der einzige Unterricht, in dem Neville freiwillig etwas zum Besten gab, war Kräuterkunde, mit Abstand sein stärkstes Fach. Neville schien von seinem eigenen Wagemut überrascht.

»Ja?«, sagte Moody, und sein magisches Auge machte eine halbe Drehung und fixierte Neville.

»Es gibt noch den… den Cruciatus-Fluch«, sagte Neville leise, aber deutlich.

Moody sah Neville sehr aufmerksam an, diesmal mit beiden Augen.

»Dein Name ist Longbottom?«, sagte er, und sein magisches Auge stieß nach unten, um noch einmal die Liste zu prüfen.

Neville nickte nervös, doch Moody fragte nicht weiter nach. Er wandte sich wieder der Klasse zu, steckte die Hand in das Glas, zog die nächste Spinne heraus und legte sie auf den Tisch, wo sie reglos stehen blieb, offenbar starr vor Angst.

»Der Cruciatus-Fluch«, sagte Moody.»Die muß ein wenig größer werden, damit ihr euch eine Vorstellung davon machen könnt.«Er richtete den Zauberstab auf die Spinne.»Engorgio!«

Die Spinne schwoll an. Sie war jetzt größer als eine Tarantel. Alle falsche Gelassenheit fiel von Ron ab und er schob seinen Stuhl, so weit er konnte, von Moodys Tisch weg.

Moody hob erneut seinen Zauberstab und richtete ihn gegen die Spinne, dann murmelte er:»Crucio!«

Sofort falteten sich die Beine der Spinne über ihrem Körper zusammen; sie rollte auf den Rücken und begann unter fürchterlichen Krämpfen hin und her zu wippen. Sie gab keinen Laut von sich, doch Harry wußte, wenn sie eine Stimme gehabt hätte, dann hätte sie geschrien. Moody zog seinen Zauberstab nicht zurück und die Spinne begann jetzt noch heftiger zu zittern und zu zucken -

»Aufhören!«, kreischte Hermine.

Harry wandte sich zu ihr um. Hermines Blick galt nicht der Spinne, sondern Neville, und Harry sah jetzt, daß Neville die Hände an die Tischplatte geklammert hatte, die Knöchel weiß, die weit aufgerissenen Augen von Grauen erfüllt.

Moody hob den Zauberstab. Die Beine der Spinne erschlafften, doch sie hörte nicht auf zu zucken.

»Reducio«, murmelte Moody und die Spinne schrumpfte wieder auf ihre normale Größe zusammen. Er steckte sie zurück in das Glas.

»Schmerz«, sagte Moody leise.»Man braucht keine Daumenschrauben oder Messer, um jemanden zu foltern, wenn man den Cruciatus-Fluch beherrscht… auch dieser war einst sehr beliebt. Schön… kennt jemand noch einen?«

Harry sah sich um. Den Gesichtern seiner Mitschüler nach zu schließen fragten sie sich alle, was mit der letzten Spinne geschehen würde. Hermines Hand zitterte leicht, als sie sich zum dritten Mal meldete.

»Ja?«, sagte Moody und sah sie an.

»Avada Kedavra«, flüsterte Hermine.

Einige Schüler, darunter auch Ron, wandten sich voll Unbehagen zu ihr um.

»Aah«, sagte Moody, und ein weiteres leises Lächeln ließ seinen schräg sitzenden Mund zucken.»Ja, der letzte und schlimmste. Avada Kedavra… der tödliche Fluch.«

Er steckte die Hand in das Glas, und als wüßte sie, was ihr bevorstand, krabbelte die dritte Spinne panisch auf dem Boden herum und versuchte Moodys Fingern zu entkommen, doch er schnappte sie und legte sie auf den Tisch, wo sie verzweifelt hin und her lief.

Moody hob den Zauberstab und Harry spürte das jähe Kribbeln einer bösen Vorahnung.

»Avada Kedavra«, donnerte Moody.

Ein gleißend heller grüner Lichtstrahl, ein scharfes Sirren, als ob ein mächtiges, unsichtbares Etwas durch die Luft raste – und im selben Augenblick kullerte die Spinne auf den Rücken, unverletzt, doch offensichtlich tot. Einige Mädchen stießen erstickte Schreie aus; Ron hatte sich nach hinten geworfen und wäre fast vom Stuhl gefallen, als die Spinne auf ihn zu rollte.

Moody wischte die tote Spinne vom Tisch.

»Nicht nett«, sagte er gelassen.»Nicht angenehm. Und es gibt keinen Gegenfluch. Man kann ihn nicht abwehren. Wir kennen bislang nur einen Menschen, der ihn überlebt hat, und der sitzt hier vor mir.«

Harry spürte, wie er rot anlief, als Moodys Augen (diesmal beide) in die seinen blickten. Auch die Blicke aller anderen spürte er im Nacken. Harry starrte die leere Tafel an, als ob sie besonders spannend wäre, doch im Grunde sah er sie gar nicht…

So also waren seine Eltern gestorben… genau wie diese Spinne. Waren auch sie ohne die Spur einer Verletzung geblieben? Hatten sie einfach nur den grünen Lichtstrahl gesehen und das Sirren des rasenden Todes gehört, bevor ihr Leben ausgelöscht wurde?

Seit drei Jahren schon stellte sich Harry den Tod seiner Eltern immer wieder vor, seit er herausgefunden hatte, daß sie ermordet worden waren, und wußte, was in jener Nacht geschehen war: daß Wurmschwanz das Versteck seiner Eltern an Voldemort verraten hatte, der sie daraufhin in dem Haus aufgespürt hatte. Daß Voldemort zuerst Harrys Vater getötet hatte. Daß James Potter versucht hatte, ihn aufzuhalten, und seiner Frau zugerufen hatte, Harry an sich zu reißen und zu fliehen… doch Voldemort war auf Lily Potter zugegangen und hatte ihr befohlen, beiseite zu treten, damit er Harry töten konnte… sie hatte ihn angefleht, sie an Harrys statt zu töten, hatte sich geweigert, Harry preiszugeben… und so hatte Voldemort auch sie ermordet und dann den Zauberstab gegen Harry gerichtet…

Harry kannte diese Einzelheiten, weil er die Stimmen seiner Eltern gehört hatte, als er letztes Jahr gegen die Dementoren kämpfte – denn dies war die schreckliche Gabe der Dementoren: sie zwangen ihre Opfer, die schlimmsten Erinnerungen ihres Lebens noch einmal zu durchleiden und wehrlos in ihrer Verzweiflung zu ertrinken…

Moody begann erneut zu sprechen, doch für Harry klang es wie aus weiter Ferne. Mit äußerster Kraft riß er sich in die Gegenwart zurück, um Moodys Worten zu lauschen.

»Avada Kedavra ist ein Fluch, hinter dem ein mächtiges Stück Magie stehen muß – ihr könntet hier und jetzt eure Zauberstäbe hervorholen, sie auf mich richten und die Worte sagen, und ich würde mir vermutlich nicht mal eine blutige Nase holen. Aber das spielt keine Rolle. Ich bin nicht hier, um euch beizubringen, wie der Fluch funktioniert.

Wenn es keinen Gegenzauber gibt, warum zeige ich euch dann den Fluch? Weil ihr ihn kennen müßt! Ihr müßt das Schlimmste mit eigenen Augen gesehen haben. Ihr wollt euch doch nicht in eine Lage bringen, in der ihr es mit ihm zu tun bekommt. IMMER WACHSAM!«, polterte er und wieder zuckte die ganze Klasse zusammen.

»Nun… diese drei Flüche – Avada Kedavra, Imperius und Cruciatus – nennen wir die Unverzeihlichen Flüche. Wer auch nur einen von ihnen gegen einen Mitmenschen richtet, handelt sich einen lebenslangen Aufenthalt in Askaban ein. Dagegen steht ihr. Den Kampf gegen diese Flüche muß ich euch beibringen. Ihr müßt euch vorbereiten. Ihr müßt euch wappnen. Doch vor allem müßt ihr lernen, in eurer Wachsamkeit niemals nachzulassen. Holt eure Federn raus… und schreibt mit…«

Den Rest der Stunde verbrachten sie damit, sich zu jedem der Unverzeihlichen Flüche Notizen zu machen. Keiner sprach, bis es läutete – doch als Moody sie entlassen hatte und sie draußen vor dem Klassenzimmer standen, brach ein Schwall von Worten aus ihnen heraus. Die meisten redeten mit ängstlicher Stimme über die Flüche -»Hast du gesehen, wie sie gezuckt hat?«-»… und dann hat er sie getötet – einfach so!«

Sie sprachen über die Stunde, fand Harry, als ob sie eine atemberaubende Show gewesen wäre, doch er hatte sie nicht besonders unterhaltsam gefunden – und wie es schien, auch Hermine nicht.

»Beeilt euch«, sagte sie in angespanntem Ton zu Harry und Ron.

»Nicht schon wieder die blöde Bibliothek?«, sagte Ron.

»Nein«, sagte Hermine schroff und deutete in einen Seitengang.»Neville.«

Neville stand allein in der Mitte des Ganges und starrte auf die steinerne Wand gegenüber – mit denselben weit aufgerissenen, grauenerfüllten Augen wie vorhin, als Moody den Cruciatus-Fluch gezeigt hatte.

»Neville?«, sagte Hermine mit sanfter Stimme.

Neville wandte sich um.

»Oh, hallo«, sagte er mit ungewöhnlich hoher Stimme.»Interessante Stunde, nicht wahr? Bin gespannt, was es zu essen gibt, ich… ich verhungere gleich, du auch?«

»Neville, geht's dir gut?«, fragte Hermine.

»O ja, mir geht's blendend«, plapperte Neville immer noch mit unnatürlich hoher Stimme.»Sehr interessant, das Abendessen – der Unterricht, meine ich – was gibt's zu essen?«

Ron warf Harry einen verdutzten Blick zu.

»Neville… was -?«

Doch ein merkwürdig dumpfes Pochen ertönte hinter ihnen, sie wandten sich um und sahen Professor Moody auf sie zu hinken. Alle vier verstummten und sahen ihn beklommen an, doch so leise und sanft wie jetzt hatten sie ihn noch nicht sprechen gehört.

»Ist schon gut, Kleiner«, sagte er zu Neville.»Willst du nicht kurz mit mir hoch ins Büro kommen? Keine Sorge… wir trinken zusammen ein Täßchen Tee…«

Die Aussicht auf eine Tasse Tee mit Moody schien Neville noch mehr Angst einzujagen. Er blieb stumm und rührte sich nicht vom Fleck.

Moody ließ sein magisches Auge auf Harry ruhen.»Dir geht's gut, nicht wahr, Potter?«

»Ja«, sagte Harry, fast herausfordernd.

Moodys blaues Auge zitterte leicht in seiner Höhle, während er Harry mit prüfendem Blick ansah.

»Du mußt es erfahren«, sagte er schließlich.»Es kommt dir vielleicht hart vor, aber du mußt es erfahren. Hat keinen Sinn sich was vorzumachen… nun denn… komm mit, Longbottom, ich hab da ein paar Bücher, die dich interessieren werden.«

Neville warf den drei Freunden einen flehenden Blick zu, doch sie sagten kein Wort, und so hatte er keine Wahl, als sich, eine von Moodys knöchernen Händen auf der Schulter, mit sanfter Gewalt fortführen zu lassen.

»Was sollte das jetzt wieder?«, sagte Ron, als Neville und Moody um die Ecke verschwunden waren.

»Keine Ahnung«, sagte Hermine mit nachdenklicher Miene.

»Bestimmt 'ne Lektion für uns, oder?«, sagte Ron zu Harry auf dem Weg zur Großen Halle.»Fred und George hatten Recht, siehst du? Er kennt sich wirklich aus, dieser Moody. Wie er Avada Kedavra gebracht hat und diese Spinne dann tot umgefallen ist, so einfach den Löffel abgegeben hat -«

Doch Ron verstummte, als er den Ausdruck auf Harrys Gesicht sah, und sprach erst wieder, als sie in die Große Halle gelangten, wo er vorschlug, am Abend schon mal mit den Voraussagen für Professor Trelawney anzufangen, da sie sicher Stunden dafür brauchen würden.

Hermine hielt sich aus dem Gespräch zwischen Harry und Ron heraus, putzte in aller Hast ihren Teller leer und stürzte dann wieder in Richtung Bibliothek davon. Harry und Ron schlenderten zurück in den Gryffindor-Turm, und Harry, der beim Essen an nichts anderes gedacht hatte, sprach jetzt selbst die Sache mit den Unverzeihlichen Flüchen an.

»Würden Moody und Dumbledore nicht Schwierigkeiten mit dem Ministerium kriegen, wenn die erfahren, daß wir die Flüche gesehen haben?«, fragte Harry, als sie auf die fette Dame zugingen.

»Jaah, ziemlich sicher«, sagte Ron.»Aber Dumbledore hat immer seinen eigenen Kopf durchgesetzt, und Moody hat, glaube ich, schon seit Jahren Schwierigkeiten mit denen. Greift erst an und stellt dann Fragen – denk nur an seine Mülleimer. Quatsch.«

Die fette Dame klappte zur Seite und gab das Eingangsloch frei, und sie kletterten in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, der heute Abend überfüllt und lärmig war.

»Also, wie war's mit dem Wahrsagekram?«, sagte Harry.

»Muß wohl sein«, stöhnte Ron.

Sie gingen hoch in den Schlafsaal, um ihre Bücher und Karten zu holen, und fanden dort Neville allein auf dem Bett sitzend und lesend. Er sah um einiges ruhiger aus als nach Moodys Unterricht, wenn auch noch nicht ganz beisammen. Seine Augen waren noch ziemlich rot.

»Geht's dir gut, Neville?«, fragte Harry.

»Ja, ja«, sagte Neville,»mir geht's gut, danke. Ich lese gerade dieses Buch, das mir Professor Moody geliehen hat…«

Er hielt das Buch hoch: Magische Wasserpflanzen des Mittelmeeres und ihre Wirkungen.

»Professor Sprout hat nämlich Professor Moody erzählt, daß ich in Kräuterkunde wirklich gut bin«, sagte Neville. In seiner Stimme lag ein Hauch von Stolz, den Harry bei ihm kaum einmal wahrgenommen hatte.»Er dachte, dieses Buch würde mir gefallen.«

Neville zu sagen, was Professor Sprout berichtet hatte, war eine sehr taktvolle Art, ihn aufzumuntern, fand Harry, denn Neville bekam sehr selten zu hören, daß er in irgend etwas gut sei. Auf diese Weise hätte es auch Professor Lupin versucht.

Harry und Ron nahmen ihre Exemplare von Entnebelung der Zukunft mit nach unten, suchten sich einen freien Tisch und machten sich an ihre Vorhersagen für den kommenden Monat. Eine Stunde später war ihr Tisch zwar übersät mit Pergamentblättern voll Zahlen und Symbolen, und Harrys Kopf war vernebelt, als wäre er gefüllt mit den Ausdünstungen von Professor Trelawneys Feuer, doch eigentlich waren sie kaum vorangekommen.

»Ich hab keinen Schimmer, was dieses Zeug hier bedeuten soll«, sagte er und starrte auf eine lange Liste mit Zahlen und Formeln.

»Weißt du was«, sagte Ron, dem die Haare zu Berge standen, weil er vor Ärger ständig mit den Fingern durch seinen Schöpf fuhr,»ich glaube, wir probieren es mal wieder mit unserer alten Wahrsagekrücke.«

»Wie bitte – das Ganze erfinden?«

»Ja«, sagte Ron, wischte das Gewirr bekritzelter Pergamente vom Tisch, stippte seine Feder ins Tintenfaß und begann zu schreiben.

»Am nächsten Montag«, sagte er eifrig kritzelnd,»werd ich wahrscheinlich einen Schnupfen kriegen, und zwar weil Mars und Jupiter ganz ungünstig zueinander stehen.«Er sah zu Harry auf.»Du kennst sie doch – misch 'ne hübsche Portion Elend rein, und sie leckt es dir aus der Hand.«

»Stimmt«, sagte Harry, knüllte seinen ersten Versuch zusammen und warf den Pergamentball über die Köpfe einiger schnatternder Erstkläßler hinweg ins Feuer.»Gut… am Montag gerate ich in Gefahr – ähm – mich zu verbrennen.«

»Da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte Ron mit finsterem Blick,»am Montag sehen wir die Kröter wieder. Schön, am Dienstag werd ich dann… ähm…«

»Etwas verlieren, das dir lieb und teuer ist«, sagte Harry, der auf der Suche nach Anregungen durch Entnebelung der Zukunft blätterte.

»Gute Idee«, sagte Ron und schrieb sie auf.»Wegen… ähm… Merkur. Wie war's, wenn dir jemand, den du für einen Freund gehalten hast, ein Messer in den Rücken stößt?«

»Jaah… cool…«, sagte Harry und ließ die Feder kratzen,»weil… Venus im zwölften Haus steht.«

»Und am Mittwoch, glaub ich, krieg ich bei einer Prügelei was auf die Nase.«

»Aaah, eigentlich wollte ich mich prügeln. Gut, dann verlier ich eine Wette.«

»Ja, du wettest, daß ich die Prügelei gewinne…«

So strickten sie noch eine Stunde weiter an ihren Vorhersagen (die immer tragischer wurden), während die anderen allmählich schlafen gingen.

Krummbein kam zu ihnen herübergeschlenzt, sprang leichtfüßig auf einen leeren Stuhl und starrte Harry mit unergründlichen Augen an, ganz so, wie Hermine schauen würde, wenn sie gewußt hätte, daß sie ihre Hausaufgaben nicht ordentlich erledigten.

Harry ließ den Blick durch das Zimmer schweifen und versuchte sich ein Unglück einfallen zu lassen, das er noch nicht aufgebraucht hatte, da sah er Fred und George an der Wand gegenüber sitzen, die Köpfe zusammengesteckt und mit gezückten Federn über einem Pergament brütend. Man sah die beiden nur ganz selten in einer Ecke versteckt und stumm bei der Arbeit; meist liebten sie den Trubel und waren dann auch der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Wie sie da gemeinsam an ihrem Pergament arbeiteten, hatten sie etwas Geheimnistuerisches an sich, und Harry fiel ein, daß sie schon im Fuchsbau zusammengesessen und etwas geschrieben hatten. Damals hatte er gedacht, es ginge um ein neues Bestellformular für Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, doch diesmal sah es nicht danach aus, denn sonst hätten sie gewiß Lee Jordan an dem Spaß beteiligt. Er fragte sich, ob es etwas mit dem Versuch zu tun hatte, am Trimagischen Turnier teilzunehmen.

Harry sah jetzt, wie George den Kopf schüttelte, mit seiner Feder etwas durchstrich und mit ganz leiser Stimme, die dennoch durch den fast leeren Raum herüberwehte, zu Fred sagte:»Nein – das klingt, als würden wir ihn beschuldigen. Wir müssen vorsichtig sein…«

Dann sah George auf und bemerkte, daß Harry sie beobachtete. Harry grinste und wandte sich rasch wieder seinen Vorhersagen zu – er wollte nicht, daß George dachte, er würde lauschen. Kurz danach rollten die Zwillinge ihr Pergament zusammen, sagten gute Nacht und gingen zu Bett.

Die beiden waren gerade zehn Minuten fort, als das Porträtloch aufging und Hermine in den Gemeinschaftsraum kletterte, in der einen Hand ein Blatt Pergament und in der anderen ein Kästchen mit schepperndem Inhalt.

Krummbein machte einen Buckel und schnurrte.

»Hallo«, sagte sie,»ich bin gerade fertig geworden!«

»Ich auch!«, sagte Ron ausgelassen und warf seine Feder hin.

Hermine setzte sich, legte ihre Sachen auf einen leeren Sessel und zog das Blatt mit Rons Voraussagen zu sich her.

»Wird kein besonders guter Monat für dich, oder?«, sagte sie mit schrägem Lächeln, während Krummbein es sich auf ihrem Schoß gemütlich machte.

»Tjaah, wenigstens bin ich vorgewarnt«, gähnte Ron.

»Sieht aus, als ob du zweimal ertrinkst«, sagte Hermine.

»Ach nein, wirklich?«, sagte Ron und warf einen Blick auf seine Vorhersagen.»Dann ändere ich das eine lieber in Zertrampeltwerden von einem wild gewordenen Hippogreif.«

»Meinst du nicht, jeder merkt, daß ihr alles erfunden habt?«, fragte Hermine.

»Wie kannst du nur so etwas sagen!«, rief Ron mit gespielter Entrüstung.»Wir haben hier geschuftet wie die Hauselfen!«

Hermine hob die Brauen.

»Ist doch nur so 'ne Redewendung«, sagte Ron hastig.

Auch Harry legte jetzt seine Feder weg, nachdem er zum guten Schluß seinen Tod durch Enthauptung vorausgesagt hatte.

»Was ist dadrin?«, fragte er und deutete auf das Kästchen.

»So 'n Zufall, daß du fragst«, sagte Hermine und warf Ron einen garstigen Blick zu. Sie hob den Deckel des Kästchens ab.

Darin lagen etwa fünfzig Anstecker in verschiedenen Farben, doch alle mit derselben Aufschrift: B.ELFE.R.

»Belfer?«, sagte Harry, nahm einen Anstecker und betrachtete ihn.»Was ist das?«

»Nicht Belfer«, sagte Hermine höchst ungehalten.»Es heißt B-ELFE-R, Bund für ELFEnRechte.«

»Nie davon gehört«, sagte Ron.

»Natürlich nicht«, fauchte Hermine,»ich hab ihn eben erst gegründet.«

»Achja?«, sagte Ron milde überrascht.»Wie viele Mitglieder hat er?«

»Na ja – wenn ihr mitmacht – drei«, sagte Hermine.

»Und du glaubst im Ernst, wir wollen mit Ansteckern rumlaufen, auf denen ›Belfer‹ steht?«

»B-ELFE-R!«, zürnte Hermine.»Zuerst hatte ich ›Stoppt die schändliche Mißhandlung unserer magischen Mitgeschöpfe – Bewegung zur Stärkung der Elfenrechte‹, aber das hat nicht draufgepaßt. Dafür ist es jetzt der Titel unseres Manifests.«

Sie wedelte mit dem Pergament unter ihren Nasen.»Ich hab in der Bibliothek gründlich nachgeforscht. Die Elfenversklavung reicht schon Jahrhunderte zurück. Ich kann einfach nicht fassen, daß bisher niemand was dagegen unternommen hat.«

»Hermine – nun hör mal gut zu«, sagte Ron laut.»Sie. Mögen. Es. Sie mögen es, versklavt zu sein!«

»Unser kurzfristiges Ziel«, sagte Hermine, noch lauter sogar als Ron und scheinbar ohne ein Wort gehört zu haben,»ist die Durchsetzung fairer Löhne und Arbeitsbedingungen. Zu unseren langfristigen Zielen gehört die Änderung des Gesetzes über den Nichtgebrauch von Zauberstäben und der Versuch, eine Elfe in die Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe zu bringen, denn dort sind sie skandalös schlecht vertreten.«

»Und wie stellen wir das an?«, fragte Harry.

»Zuerst mal werben wir Mitglieder an«, sagte Hermine munter.»Ich dachte an zwei Sickel für die Mitgliedschaft -dafür gibt es einen Anstecker – und mit dem Erlös können wir unsere Flugblattkampagne bezahlen. Du bist der Schatzmeister, Ron – oben hab ich für dich eine Sammelbüchse -, und Harry, du bist der Sekretär, also wär's am besten, wenn du alles mitschreibst, was ich jetzt sage, um unser erstes Treffen festzuhalten.«

Eine Pause trat ein, in der Hermine die beiden anstrahlte und Harry nur dasaß, hin- und hergerissen zwischen Ärger über Hermine und Belustigung über Rons Miene. Nicht Ron brach das Schweigen, der ohnehin aussah, als hätte es ihm zeitweilig die Sprache verschlagen, sondern ein leises tok, tok am Fenster. Harry spähte durch den inzwischen leeren Gemeinschaftsraum und sah eine ins Mondlicht getauchte Schnee-Eule auf dem Fenstersims hocken.

»Hedwig!«, rief er, sprang aus dem Sessel, stürmte hinüber und riß das Fenster auf.

Hedwig flog herein, schwebte durch den Raum und ließ sich auf dem Tisch mit Harrys Vorhersagen nieder.

»Wird langsam Zeit!«, sagte Harry und rannte ihr nach.

»Sie hat eine Antwort!«, sagte Ron aufgeregt und deutete auf das schmuddelige Stück Pergament, das an Hedwigs Bein gebunden war. Hastig knüpfte Harry das Pergament los und setzte sich, um es zu lesen, woraufhin Hedwig ihm aufs Knie flatterte und leise schuhuhte.

»Was schreibt er?«, fragte Hermine atemlos.

Der Brief war sehr kurz und sah aus, als wäre er in großer Hast hingekritzelt worden. Harry las ihn laut vor:

Harry,

ich fliege sofort nach Norden. Diese Neuigkeit über deine Narbe ist nur das letzte Glied in einer Kette merkwürdiger Gerüchte, die mir hier zu Ohren gekommen sind. Wenn sie wieder anfängt zu schmerzen, geh unverzüglich zu Dumbledore – es heißt, er habe Mad-Eye aus dem Ruhestand zurückgeholt, was bedeutet, daß wenigstens er, wenn auch sonst keiner, die Zeichen liest.

Ich melde mich bald. Meine besten Wünsche an Ron und Hermine. Halt die Augen offen, Harry.

Sirius

Harry sah zu Ron und Hermine auf, die ihn mit großen Augen anstarrten.

»Er fliegt nach Norden?«, flüsterte Hermine.»Er kommt zurück?«

»Was sind das für Zeichen, die Dumbledore liest?«, fragte Ron vollkommen perplex.»Harry, was ist los mit dir?«

Harry hatte sich gerade mit der Faust gegen die Stirn geschlagen und Hedwig aus seinem Schoß geworfen.

»Ich hätt's ihm nicht sagen sollen!«, rief er wütend.

»Wovon redest du eigentlich?«, sagte Ron verdutzt.

»Jetzt denkt er, er muß zurückkommen!«, sagte Harry und donnerte seine Faust so heftig auf den Tisch, daß Hedwig auf Rons Stuhllehne flatterte und entrüstet grummelte.»Zurückkommen, weil er glaubt, ich sei in Schwierigkeiten! Aber mir geht's doch gut! Und für dich hab ich nichts«, fauchte er Hedwig an, die erwartungsvoll mit dem Schnabel klackerte,»da mußt du schon hoch in die Eulerei, wenn du was zu fressen willst.«

Hedwig warf ihm einen zutiefst beleidigten Blick zu, erwischte ihn mit ausgebreitetem Flügel unsanft am Kopf und flog zum offenen Fenster hinaus.

»Harry -«, setzte Hermine beschwichtigend an.

»Ich geh schlafen«, sagte Harry barsch.»Bis morgen früh dann.«

Oben im Schlafsaal zog er seinen Pyjama an und legte sich ins Himmelbett, doch er spürte nicht die geringste Müdigkeit.

Wenn Sirius zurückkäme und gefaßt würde, wäre es seine, Harrys, Schuld. Warum hatte er nicht den Mund gehalten? Ein paar Sekunden Schmerz und er mußte gleich losjammern… hätte er nur kühlen Kopf bewahrt und alles für sich behalten…

Kurze Zeit später hörte er Ron in den Schlafsaal kommen, doch er sprach ihn nicht an. Lange lag Harry wach und starrte auf den dunklen Baldachin über seinem Bett. Im Schlafsaal herrschte vollkommene Stille, und wäre Harry nicht so tief in Gedanken versunken gewesen, wäre ihm aufgefallen, daß Neville nicht wie üblich schnarchte und er daher nicht der Einzige war, der keinen Schlaf fand.

Beauxbatons und Durmstrang

Als hätte Harrys Kopf im Schlaf unermüdlich gearbeitet, erwachte er früh am nächsten Morgen mit einem glasklaren Plan im Sinn. Er stand auf, zog sich im blassen Dämmerlicht an und ging dann ohne Ron zu wecken hinunter in den verlassenen Gemeinschaftsraum. Er nahm ein Blatt Pergament vom Tisch, auf dem noch seine Hausaufgaben für Wahrsagen lagen, und schrieb den folgenden Brief:

Lieber Sirius,

ich glaube, ich habe mir nur eingebildet, daß meine Narbe wehtat, ich war noch ziemlich verpennt, als ich dir diesen Brief schrieb. Es hat keinen Zweck, daß du zurückkommst, hier ist alles in Ordnung. Mach dir keine Sorgen um mich, mein Kopf fühlt sich ganz normal an.

Harry

Dann kletterte er aus dem Porträtloch, stieg die Treppen des noch im Schlaf liegenden Schlosses hoch (nur ganz kurz von Peeves aufgehalten, der ihm in einem Korridor im vierten Stock eine große Vase über den Kopf stülpen wollte), bis er schließlich in die Eulerei in der Spitze des Westturms gelangte. Die Eulerei war ein kreisrunder Raum mit steinernen Wänden, und da die Fenster keine Scheiben hatten, war er recht kalt und zugig. Der strohbedeckte Boden war übersät mit Eulenmist und ausgewürgten Knochen von Mäusen und Maulwürfen. Hunderte von Eulen jeder erdenklichen Art hockten hier auf den Stangen, die sich bis hoch zum Turmgebälk zogen, und fast alle schliefen, auch wenn hie und da ein rundes Bernsteinauge Harry mit scharfem Blick folgte. Jetzt sah er auch Hedwig behaglich zwischen einer Schleiereule und einem Waldkauz schlafen, und er ging hastig zu ihr hinüber, wobei er fast auf dem mit Vogelkot übersäten Boden ausgerutscht wäre. Es dauerte eine Weile, bis er sie dazu bringen konnte, aufzuwachen und ihn überhaupt anzusehen, denn zunächst trippelte sie auf ihrer Stange umher und zeigte ihm nur den Schwanz. Offensichtlich war sie immer noch gekränkt wegen seiner undankbaren Art am Abend zuvor. Am Ende schaffte es Harry dann doch, sie zu überzeugen, indem er laut überlegte, daß sie wohl zu müde sei und er Ron bitten würde, ihm Pigwidgeon zu leihen; daraufhin streckte sie ein Bein aus und ließ ihn den Brief daran festbinden.

»Du findest ihn, nicht wahr?«, sagte Harry und streichelte ihr übers Gefieder, während er sie auf dem Arm zu einer der Mauerluken trug.»Bevor die Dementoren ihn finden.«

Sie kniff ihm in den Finger, vielleicht ein wenig kräftiger als sonst, schuhuhte jedoch leise, als wollte sie ihn trotz allem beruhigen. Dann breitete sie ihre Flügel aus und flatterte in den Sonnenaufgang hinein. Harry sah ihr mit dem schon vertrauten flauen Gefühl im Magen nach, bis sie verschwunden war. Er war sich so sicher gewesen, daß Sirius' Antwort seine Sorgen lindern und nicht noch steigern würde.

»Das war eine Lüge, Harry«, sagte Hermine in scharfem Ton beim Frühstück, als er ihr und Ron von seinem Brief erzählt hatte.»Du hast dir nicht bloß eingebildet, daß deine Narbe wehtat, das weißt du genau.«

»Na und?«, sagte Harry.»Meinetwegen soll er jedenfalls nicht wieder in Askaban landen.«

»Laß stecken«, fuhr Ron Hermine an, als sie den Mund öffnete, um noch ein wenig weiterzustreiten; und ausnahmsweise folgte ihm Hermine und verstummte.

Während der nächsten Wochen mühte sich Harry nach Kräften, sich keine Sorgen über Sirius zu machen. Gewiß, er konnte es einfach nicht lassen, mit bangem Gefühl aufzusehen, wenn am Morgen die Posteulen ankamen, noch konnte er verhindern, daß spät am Abend, bevor er einschlief, grauenhafte Bilder an seinem inneren Auge vorbeizogen, Bilder von Sirius, wie er in irgendeiner dunklen Londoner Straße von Dementoren in die Enge getrieben wurde. Doch ansonsten gab er sich Mühe, nicht an seinen Paten zu denken. Könnte er doch nur Quidditch spielen, um sich abzulenken; nichts hätte seinem aufgewühlten Gemüt so gut getan wie eine harte, fetzige Trainingsstunde. Andererseits war der Unterricht jetzt so anspruchsvoll und schwierig wie nie zuvor, besonders in Verteidigung gegen die dunklen Künste.

Zu ihrer Überraschung hatte Professor Moody angekündigt, daß er jeden Einzelnen von ihnen mit dem Imperius-Fluch belegen würde, um dessen Macht zu zeigen und zu prüfen, ob sie sich gegen seine Wirkungen zur Wehr setzen konnten.

»Aber, Sie sagten doch, er sei verboten, Professor«, sagte Hermine verunsichert, als Moody mit einem Schwung seines Zauberstabs die Tische fortrücken ließ und sich einen großen freien Platz in der Mitte des Raumes verschaffte.»Sie sagten – ihn gegen einen anderen Menschen einzusetzen, sei -«

»Dumbledore will, daß ich euch beibringe, wie es sich anfühlt«, sagte Moody, und sein magisches Auge schwamm zu Hermine hin und fixierte sie mit schaurigem Blick, ohne ein einziges Mal zu blinzeln.»Wenn du es lieber auf die harte Tour lernen willst – wenn dich jemand damit überrascht und dich vollkommen unterwirft – mir soll es recht sein. Du bist entschuldigt. Da geht's raus.«

Er wies mit seinem knochigen Finger zur Tür. Hermine lief rosa an und murmelte etwas von wegen, das hätte sie so nicht gemeint. Harry und Ron grinsten sich zu. Sie wußten, daß Hermine lieber Bubotubler-Eiter schlürfen würde als eine so wichtige Unterrichtsstunde zu verpassen.

Moody ließ sie der Reihe nach vortreten und belegte sie mit dem Imperius-Fluch. Harry beobachtete, wie seine Mitschüler unter Moodys Einfluss die erstaunlichsten Dinge vollführten. Dean Thomas hüpfte dreimal im Kreis durchs Zimmer und sang dabei die Nationalhymne. Lavender Brown ahmte ein Eichhörnchen nach. Neville zeigte eine Reihe ganz verblüffender Gymnastikübungen, bei denen er ansonsten sicher zusammengeklappt wäre. Nicht einer von ihnen schien fähig zu sein, den Fluch abzuwehren, und alle erholten sich erst, als Moody ihn wieder aufhob.

»Potter«, knurrte Moody,»du bist dran.«

Harry trat vor in die Mitte des Klassenzimmers, wo Moody Platz geschaffen hatte. Moody hob den Zauberstab, richtete ihn auf Harry und sagte:»Imperio.«Es war ein höchst wundersames Gefühl. Harry glaubte zu schweben, jeder Gedanke, alle Sorgen, die ihn Umtrieben, waren wie von sanfter Hand weggewischt, und zurück blieb nur ein vages, unergründliches Glücksgefühl. Da stand er, unendlich entspannt, nur leise ahnend, daß alle ihn ansahen. Und dann hörte er Mad-Eye Moodys Stimme in einer fernen Kammer seines leeren Kopfes widerhallen:»Spring auf den Tisch… spring auf den Tisch…«Harry ging folgsam in die Knie und setzte zum Sprung an.

»Spring auf den Tisch…«

Warum eigentlich?

Eine andere Stimme, weit hinten in seinem Kopf, war erwacht.»Wär doch ziemlich bescheuert, das zu tun«, sagte die Stimme.

»Spring auf den Tisch…«

»Nein, das werd ich lieber nicht tun, danke«, sagte die andere Stimme, ein wenig fester…»Nein, ich will nicht wirklich…«

»Spring! Sofort.«

Was Harry als Nächstes spürte, war ein heftiger Schmerz. Er war gesprungen und hatte zugleich versucht sich davon abzuhalten – woraufhin er mit dem Kopf auf den Tisch geschlagen war, ihn umgeworfen hatte und sich, nach dem Gefühl in seinen Beinen zu schließen, auch noch beide Kniescheiben zertrümmert hatte.

»Nun, das war doch schon mal was!«, hörte er Moodys knurrende Stimme, und plötzlich spürte Harry, wie das leere, hallende Gefühl in seinem Kopf verschwand. Er erinnerte sich genau daran, was passiert war, und der Schmerz in seinen Knien schien sich noch zu verdoppeln.

»Schaut euch das an, ihr Rasselbande… Potter hat gekämpft! Er hat gegen den Fluch angekämpft und ihn verdammt noch mal fast gebrochen! Wir versuchend noch mal, Potter, und die anderen passen gut auf – schaut ihm in die Augen, da seht ihr's – sehr gut, Potter, wirklich sehr gut! Die werden Schwierigkeiten haben, dich zu unterwerfen!«

»So, wie er redet«, murmelte Harry, als er eine Stunde später aus dem Klassenzimmer humpelte (Moody hatte darauf bestanden, Harry viermal in Folge an seine Grenzen gehen zu lassen, bis er schließlich den Fluch vollkommen abschütteln konnte),»so, wie er redet, sollte man meinen, wir könnten jeden Augenblick angegriffen werden.«

»Ja, ich weiß«, sagte Ron, der immer noch bei jedem zweiten Schritt hüpfte. Er hatte viel mehr Probleme mit dem Fluch gehabt als Harry, doch Moody versicherte ihm, die Wirkung würde bis zum Mittagessen abklingen.»Wenn wir schon beim Verfolgungswahn sind…«, Ron sah nervös über die Schulter, ob Moody auch ja außer Hörweite war, und fuhr fort:»Kein Wunder, daß sie im Ministerium froh waren, ihn loszuwerden. Hast du gehört, wie er Seamus erzählt hat, was er mit dieser Hexe angestellt hat, die am ersten April hinter seinem Rücken ›Buuh‹ gerufen hat? Und wann sollen wir denn alles über den Widerstand gegen den Imperius-Fluch nachlesen, wenn wir ohnehin so viel zu tun haben?«

Allen Viertkläßlern war aufgefallen, daß sie dieses Jahr eine ganze Menge mehr arbeiten mußten. Professor McGonagall erklärte ihnen auch, warum, als die Klasse in Verwandlung mit besonders lautem Stöhnen und Ächzen auf eine neue Ladung Hausaufgaben reagiert hatte.

»Für Sie beginnt jetzt eine besonders wichtige Zeit in Ihrer Ausbildung als Zauberer!«, verkündete sie und die Augen hinter ihren quadratischen Brillengläsern glitzerten gefährlich.»Ihre Prüfungen für die ZAGs stehen bevor -«

»Wir kriegen die ZAGs doch erst im fünften Jahr!«, sagte Dean Thomas entrüstet.

»Das mag sein, Thomas, aber glauben Sie mir, Sie brauchen alle Vorbereitung, die Sie bekommen können! Miss Granger ist bis heute die Einzige in der Klasse, die es schafft, einen Igel in ein gewöhnliches Nadelkissen zu verwandeln. Ich darf Sie daran erinnern, Thomas, daß Ihr Kissen immer noch vor Angst zusammenschrumpft, wenn sich jemand mit einer Nadel nähert!«

Hermine war wieder einmal rosa angelaufen und schien sich zu bemühen, nicht allzu geschmeichelt auszusehen.

Harry und Ron amüsierten sich köstlich, als Professor Trelawney in der nächsten Wahrsagestunde verkündete, sie hätten für ihre Vorhersagen Spitzennoten bekommen. Sielas ausgiebig aus ihren Arbeiten vor und lobte sie für ihren unerschrockenen Blick auf die Schrecken, die ihnen ins Haus standen – weniger erfreut waren sie jedoch, als Professor Trelawney ihnen aufgab, das Gleiche noch einmal für den übernächsten Monat zu machen; allmählich gingen den beiden die Ideen aus.

Unterdessen ließ sie Professor Binns, der Geist, der Geschichte der Zauberei lehrte, jede Woche einen Aufsatz über die Kobold-Aufstände im achtzehnten Jahrhundert schreiben. Professor Snape zwang sie, Gegengifte zu erforschen. Das nahmen sie sehr ernst, denn er deutete an, er könnte ja einen von ihnen noch vor Weihnachten vergiften, um festzustellen, ob das Gegengift wirke. Professor Flitwick verlangte von ihnen, zur Vorbereitung auf den Unterricht über Aufrufe- und Sammelzauber noch drei weitere Bücher nebenher zu lesen.

Selbst Hagrid bürdete ihnen zusätzliche Lasten auf. Die Knallrümpfigen Kröter wuchsen erstaunlich schnell, wenn man bedachte, daß noch keiner herausgefunden hatte, was sie fraßen. Hagrid war es eine Wonne und er schlug»im Rahmen ihres Projekts«vor, sie sollten doch jeden zweiten Abend zu seiner Hütte herunterkommen, um die Kröter zu beobachten und sich Notizen über ihr eigenartiges Verhalten zu machen.

»Ich jedenfalls nicht«, sagte Draco Malfoy lustlos, nachdem Hagrid ihnen diesen Vorschlag mit der Miene eines Weihnachtsmannes gemacht hatte, der ein besonders großes Päckchen aus dem Sack zieht.»Ich seh im Unterricht genug von diesen widerlichen Dingern, danke.«

Hagrids Lächeln erstarb.

»Du tust, was man dir sagt«, knurrte er,»oder ich red mal ein Wörtchen mit Professor Moody… hab gehört, du gibst 'n niedliches Frettchen ab, Malfoy.«

Die Gryffindors lachten schallend. Malfoy errötete vor Zorn, doch offenbar war die Erinnerung an die Bestrafung durch Moody immer noch schmerzhaft genug, um ihm den Mund zu versiegeln. Harry, Ron und Hermine kehrten nach dem Unterricht bestens gelaunt in das Schloß zurück; zu erleben, wie Hagrid Malfoy in die Schranken wies, war eine Genugtuung gewesen, vor allem, da Malfoy sich im letzten Jahr nach Kräften bemüht hatte, Hagrid aus der Schule werfen zu lassen.

In der Eingangshalle gerieten sie in ein dichtes Gewühle von Mitschülern, die sich alle um ein großes Schild drängelten, das am Fuß der Marmortreppe aufgestellt worden war. Ron, der Längste der drei, lugte auf Zehenspitzen stehend über die Köpfe hinweg und las den anderen beiden vor, was auf dem Schild stand.

Trimagisches Turnier

Die Abordnungen aus Beauxbatons und Durmstrang kommen am Freitag, den 30. Oktober, um sechs Uhr nachmittags an. Der Unterricht endet eine halbe Stunde früher.

»Toll!«, sagte Harry.»In der letzten Stunde am Freitag haben wir Zaubertränke! Dann hat Snape wenigstens keine Zeit mehr, uns alle zu vergiften!«

Die Schüler werden gebeten, Taschen und Bücher in die Schlafräume zu bringen und sich vor dem Schloß zu versammeln, um unsere Gäste vor dem Willkommensfest zu begrüßen.

»Nur noch eine Woche!«, sagte Ernie McMillan von den Hufflepuffs, der mit glänzenden Augen aus der Menge auftauchte.»Ob Cedric das schon weiß? Ich glaub, ich geh und sag's ihm…«

»Cedric?«, sagte Ron mit ahnungslosem Gesicht, als Ernie davonrannte.

»Diggory«, sagte Harry.»Er wird sicher am Turnier teilnehmen.«

»Dieser Idiot soll Hogwarts-Champion werden?«, sagte Ron, während sie sich durch die plappernde Menge zur Treppe schoben.

»Er ist kein Idiot, du kannst ihn nur nicht ausstehen, weil er Gryffindor im Quidditch geschlagen hat«, sagte Hermine.»Ich hab gehört, er sei richtig gut im Unterricht – und er ist Vertrauensschüler.«

Sie sprach, als ob die Angelegenheit damit erledigt wäre.

»Du magst ihn doch nur, weil er hübsch ist«, sagte Ron spöttisch.

»Entschuldige mal, ich mag niemanden, nur weil er hübsch ist!«, sagte Hermine entrüstet.

Ron ließ ein falsches Hüsteln hören, das merkwürdigerweise wie»Lockhart!«klang.

Das Schild in der Eingangshalle hatte erstaunliche Wirkung auf die Bewohner des Schlosses. In der folgenden Woche schien es, gleich, wo Harry hinkam, nur ein Thema zu geben: das Trimagische Turnier. Gerüchte flogen von Schüler zu Schüler wie ansteckende Bazillen: Wer würde für Hogwarts ins Rennen gehen, welche Turnieraufgaben warteten auf ihn oder sie, waren die Schüler von Beauxbatons und Durmstrang anders als die von Hogwarts? Harry bemerkte auch, daß im Schloß besonders gründlich geputzt wurde. Mehrere rußüberzogene Gemälde wurden geschrubbt, zum großen Mißvergnügen der Abgebildeten, die in ihren Rahmen kauerten und zusammenzuckten, wenn sie ihre frisch gewaschenen rosa Gesichter berührten. Die Rüstungen glänzten auf einmal und kreischten nicht bei jeder Bewegung, und Argus Filch, der Hausmeister, bekam jedes Mal, wenn jemand vergaß, sich die Schuhe abzuputzen, einen derartigen Wutanfall, daß zwei Mädchen aus der ersten Klasse vor Angst Schreikrämpfe bekamen. Auch die Mitglieder des Lehrkörpers schienen merkwürdig angespannt.

»Longbottom, seien Sie so nett und zeigen Sie den Leuten von Durmstrang ja nicht, daß Sie nicht einmal einen einfachen Verwandlungszauber beherrschen!«, blaffte Professor McGonagall Neville am Ende einer besonders schwierigen Stunde an, während deren er versehentlich seine eigenen Ohren auf einen Kaktus verpflanzt hatte.

Als sie am Morgen des dreißigsten Oktober zum Frühstück hinuntergingen, stellten sie fest, daß die Große Halle über Nacht geschmückt worden war. Riesige seidene Banner hingen an den Wänden, eines für jedes Hogwarts-Haus – ein goldener Löwe auf rotem Grund für Gryffindor, ein bronzener Adler auf Rot für Ravenclaw, ein schwarzer Dachs auf Gelb für Hufflepuff und eine silberne Schlange auf grünem Grund für Slytherin. Hinter dem Lehrertisch prangte auf dem größten Banner das Wappen von Hogwarts: Löwe, Adler, Dachs und Schlange um den großen Buchstaben»H«.

Harry, Ron und Hermine sahen schon vom Eingang aus Fred und George am Gryffindor-Tisch sitzen. Wieder einmal und ganz ungewohnt saßen sie abseits von den anderen und unterhielten sich flüsternd. Ron ging den anderen voraus auf sie zu.

»Es ist ein Reinfall, zugegeben«, sagte George mit trübseliger Miene zu Fred.»Aber wenn er nicht persönlich mit uns sprechen will, müssen wir ihm doch den Brief schicken. Oder wir drücken ihn ihm in die Hand, er kann uns ja nicht ewig aus dem Weg gehen.«

»Wer geht euch aus dem Weg?«, fragte Ron und setzte sich zu ihnen.

»Ich wünschte, du«, sagte Fred, verärgert über die Unterbrechung.

»Was ist ein Reinfall?«, fragte Ron George.

»'nen naseweisen Kerl wie dich als Bruder zu haben«, sagte George.

»Habt ihr beide schon irgendwelche Ideen, was ihr beim Trimagischen Turnier anfangen wollt?«, fragte Harry.»Habt ihr darüber nachgedacht, ob ihr doch noch teilnehmt?«

»Ich hab McGonagall gefragt, wie die Champions ausgewählt werden, aber sie hat nichts verraten«, sagte George erbittert.»Sie meinte nur, ich solle den Mund halten und endlich meinen Waschbären verwandeln.«

»Was das wohl für Aufgaben sein werden?«, sagte Ron nachdenklich.»Harry, ich wette, wir könnten es schaffen, mit gefährlichen Dingen kennen wir uns doch aus…«

»Wer sind die Schiedsrichter?«, fragte Harry.

»Jedenfalls sind die Leiter der teilnehmenden Schulen immer mit in der Jury«, sagte Hermine, und alle drehten sich erstaunt zu ihr um.»Das weiß ich, weil alle drei beim Turnier von 1792 verletzt wurden, als ein Basilisk, den die Champions eigentlich fangen sollten, auf Nahrungssuche ging.«

Es entging ihr nicht, daß alle sie ansahen, und da niemand außer ihr all die Bücher gelesen hatte, sagte sie wie üblich etwas hochnäsig:»Steht alles in der Geschichte von Hogwarts. Natürlich ist dieses Werk nicht ganz zuverlässig. Eine umgeschriebene Geschichte von Hogwarts wäre zutreffender. Oder Eine höchst einseitige und zensierte Geschichte von Hogwarts, welche die häßlicheren Seiten der Schule übertüncht.«

»Worauf willst du raus?«, sagte Ron, während Harry zu wissen glaubte, was jetzt kam.

»Hauselfen!«, sagte Hermine laut und bestätigte Harrys Ahnung.»Nicht ein einziges Mal auf über tausend Seiten erwähnt die Geschichte von Hogwarts, daß wir alle bei der Unterdrückung von hundert Sklaven mitwirken!«

Kopfschüttelnd machte sich Harry über sein Rührei her. Die mangelnde Begeisterung, die er und Ron zeigten, hatte Hermines Eifer, mit dem sie Gerechtigkeit für die Hauselfen erkämpfen wollte, nicht im Mindesten gedämpft. Gewiß, sie beide hatten zwei Sickel für den B.ELFE.R-Anstecker bezahlt, doch nur, um sie zu beschwichtigen. Ihr Geld hatte jedoch nichts genutzt, Hermine war eher noch eifriger geworden und hatte Harry und Ron seither ständig in den Ohren gelegen. Zunächst einmal sollten sie ihre Anstecker auch tragen, dann sollten sie auch andere dazu überreden, und zudem hatte Hermine es sich zur Gewohnheit gemacht, jeden Abend im Gemeinschaftsraum der Gryffindors umherzutingeln, ihre Mitschüler in die Enge zu treiben und mit der Sammelbüchse unter ihren Nasen zu klappern.

»Ihr wißt doch genau, daß eure Bettwäsche gewechselt, eure Feuer angezündet, eure Klassenzimmer geputzt und eure Mahlzeiten gekocht werden von einer Gruppe magischer Geschöpfe, die unbezahlt und versklavt sind?«, pflegte sie mit wütendem Blick zu sagen.

Manche, wie Neville, hatten bezahlt, nur damit Hermine sie nicht mehr finster ansah. Einige schienen oberflächlich interessiert an dem, was sie zu sagen hatte, zögerten jedoch, tatkräftiger für die Bewegung zu arbeiten. Viele hielten das Ganze für einen Scherz.

Ron ließ den Blick zur Decke schweifen, die sie alle in herbstliches Sonnenlicht tauchte, und Fred wandte sich mit enormem Interesse seinem Schinken zu (die Zwillinge hatten sich geweigert, einen B.ELFE.R-Anstecker zu kaufen). George jedoch beugte sich zu Hermine hinüber.

»Hör mal zu, Hermine, bist du jemals unten in den Küchen gewesen?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Hermine schroff,»ich glaube kaum, daß Schüler dort unten was -«

»Aber wir beide schon«, sagte George und deutete auf Fred,»und zwar öfters, um Essen zu klauen. Wir haben sie getroffen, und ich sag dir, sie sind glücklich. Sie glauben, sie haben die besten Jobs der Welt -«

»Weil sie ungebildet sind und eine Gehirnwäsche verpaßt bekamen!«, unterbrach ihn Hermine erhitzt, doch ihre nächsten Worte gingen in dem plötzlichen Rauschen über ihren Köpfen unter, das die Ankunft der Posteulen verkündete. Harry blickte sofort auf und sah Hedwig auf sich zuschweben. Hermine verstummte jäh; sie und Ron verfolgten mit bangem Blick, wie Hedwig sich auf Harrys Schulter niederließ, ihre Flügel einzog und ermattet das Bein ausstreckte.

Harry zog Sirius' Antwort von Hedwigs Bein und bot ihr die Speckschwarten seines Schinkens an, die sie dankbar auffraß. Dann, nachdem er sich mit einem Blick zu Fred und George vergewissert hatte, daß sie erneut im Gespräch über das Trimagische Turnier vertieft waren, las Harry Ron und Hermine im Flüsterton Sirius' Brief vor.

Netter Versuch, Harry,

ich bin wieder im Land und gut versteckt. Ich möchte, daß du mich über alles, was in Hogwarts vor sich geht, per Brief auf dem Laufenden hältst. Nimm nicht mehr Hedwig, wechsle ständig die Eulen und mach dir keine Sorgen um mich, paß nur auf dich selbst auf. Vergiß nicht, was ich über deine Narbe gesagt habe.

Sirius

»Warum sollst du ständig die Eulen wechseln?«, fragte Ron mit gedämpfter Stimme.

»Hedwig zieht zu viel Aufmerksamkeit auf sich«, erwiderte Hermine sofort.»Sie fällt auf. Eine Schnee-Eule, die ständig zu seinem Versteck fliegt… sie ist jedenfalls kein einheimischer Vogel, verstehst du?«

Harry rollte den Brief zusammen und steckte ihn in den Umhang. Ihm war nicht ganz klar, ob er sich jetzt mehr oder weniger Sorgen machen sollte. Daß Sirius es geschafft hatte, zurückzukommen ohne gefaßt zu werden, war immerhin etwas. Außerdem konnte er nicht leugnen, daß es ihn beruhigte, Sirius in seiner Nähe zu wissen; wenigstens würde er jetzt nicht mehr so lange auf eine Antwort warten müssen, wenn er ihm schrieb.

»Danke, Hedwig«, sagte er und streichelte sie. Sie schu-huhte schläfrig, tauchte den Schnabel kürz in seinen Becher mit Orangensaft und flatterte davon, offensichtlich mit dem dringenden Bedürfnis, sich in der Eulerei so richtig auszuschlafen.

An diesem Tag lag eine angenehm erwartungsvolle Stimmung in der Luft. Im Unterricht paßte niemand so recht auf, vielmehr waren alle gespannt auf die abendliche Ankunft der Delegationen aus Beauxbatons und Durmstrang; selbst Zaubertränke war erträglicher als sonst, denn der Unterricht war eine halbe Stunde kürzer. Als es dann früh läutete, rannten Harry, Ron und Hermine nach oben in den Gryffindor-Turm, legten ihre Taschen und Bücher ab, wie man sie geheißen hatte, zogen ihre warmen Umhänge an und eilten dann wieder hinunter in die Eingangshalle.

Die Hauslehrer wiesen ihre Schüler an, sich in Reihen aufzustellen.

»Weasley, richten Sie Ihren Hut gerade«, herrschte Professor McGonagall Ron an.»Miss Patil, nehmen Sie dieses lächerliche Ding da aus den Haaren.«

Parvati sah sie finster an und zog eine große Schmetterlingsspange von ihrer Zopfspitze.

»Folgen Sie mir, bitte«, sagte Professor McGonagall,»die Erstkläßler vorne an… und kein Gedrängel…«

Sie gingen im Gänsemarsch die Vortreppe hinunter und reihten sich vor dem Schloß auf. Es war ein kalter, klarer Abend; die Dämmerung brach an und der Mond, blaß und durchsichtig wirkend, war bereits über dem Verbotenen Wald aufgegangen. Harry, der zwischen Ron und Hermine in der vierten Reihe stand, sah, wie es Dennis Creevey vorn bei den Erstkläßlern vor gespannter Erwartung geradezu schüttelte.

»Fast sechs«, sagte Ron mit einem Blick auf seine Uhr und spähte dann ungeduldig die Auffahrt hinunter, die nach vorn zum Schloßtor führte.»Wie, glaubst du, werden sie kommen? Mit dem Zug?«

»Wohl kaum«, sagte Hermine.

»Wie dann? Auf Besen?«, überlegte Harry und blickte hoch zum sternbedeckten Himmel.

»Glaub ich auch nicht… wenn sie von so weit her kommen…«

»Mit einem Portschlüssel?«, rätselte Ron.»Oder sie könnten apparieren -«

»Du kannst nicht aufs Gelände von Hogwarts apparieren, wie oft soll ich dir das noch sagen?«, flüsterte Hermine unwirsch.

Aufgeregt suchten sie die Ländereien des Schlosses ab, über die jetzt die Nacht hereinbrach, doch nichts rührte sich; alles war friedlich, still und eigentlich wie immer. Harry wurde allmählich kalt. Wenn sie sich nur beeilen würden… vielleicht bereiteten die ausländischen Schüler einen dramatischen Auftritt vor… ihm fiel ein, was Mr Weasley im Zeltlager vor der Quidditch-Weltmeisterschaft gesagt hatte -»Immer dasselbe, wir können es einfach nicht lassen, ein wenig zu prahlen, wenn wir zusammenkommen…«

Und dann rief Dumbledore aus der hinteren Reihe, wo er mit den anderen Lehrern stand -»Aha! Wenn ich mich nicht sehr täusche, nähert sich die Delegation aus Beauxbatons!«

»Dort!«, schrie ein Sechstkläßler und deutete hinüber zum Wald.

Etwas Großes, viel größer als ein Besen – oder auch hundert Besen -, kam in sanften Wellen über den tiefblauen Himmel auf das Schloß zugeflogen.

»Ein Drache!«, kreischte eine Fünftkläßlerin und geriet völlig aus dem Häuschen.

»Blödsinn… es ist ein fliegendes Haus!«, sagte Dennis Creevey.

Dennis war mit seiner Vermutung schon näher dran… Als die gigantische schwarze Gestalt über die Baumspitzen des Verbotenen Waldes strich und ins Licht der Schloßfenster glitt, sahen sie, daß es eine riesige graublaue Kutsche war, groß wie ein stattliches Haus, die auf sie zurauschte, durch die Lüfte gezogen von einem Dutzend geflügelter Pferde, allesamt Palominos, jedoch so groß wie Elefanten.

Die ersten drei Schülerreihen wichen zurück, als die Kutsche sich neigte und mit ungeheurer Geschwindigkeit zum Landen ansetzte – dann, mit einem alles erschütternden Krachen, das Neville rückwärts auf den Fuß eines Slytherin-Fünftkläßlers springen ließ, schlugen die Pferdehufe auf festem Grund auf. Eine Sekunde später landete auch die Kutsche und federte auf ihren riesigen Rädern auf und ab, während die goldenen Pferde ihre riesigen Köpfe zurückwarfen und mit ihren großen feuerroten Augen rollten.

Harry konnte gerade noch erkennen, daß auf der Kutschentür ein Wappen prangte (zwei gekreuzte goldene Zauberstäbe, aus denen jeweils drei Funken stoben), als auch schon die Tür aufging.

Ein Junge in blaßblauem Umhang sprang aus der Kutsche, bückte sich, machte sich einen Moment lang auf dem Kutschboden zu schaffen, zog dann eine ausklappbare goldene Treppe heraus und sprang respektvoll einen Schritt zurück. Harry sah einen hochhackigen, schimmernd schwarzen Schuh aus der Kutsche auftauchen – ein Schuh von der Größe eines Kinderschlittens -, dem sogleich die größte Frau folgte, die er je gesehen hatte. Das erklärte natürlich die Größe der Kutsche und der Pferde. Einigen Umstehenden stockte der Atem.

Harry hatte bisher nur einen Menschen gesehen, der so groß war wie diese Frau, und das war Hagrid; er war sich nicht sicher, ob Hagrid auch nur um einen Zentimeter größer war. Doch irgendwie – vielleicht nur, weil er an Hagrid gewöhnt war – schien diese Frau (die sich jetzt am Fuß der Treppe zu der mit aufgerissenen Augen wartenden Menge umsah) von noch unnatürlicherer Größe zu sein. Als sie in das Licht trat, das aus der Eingangshalle flutete, zeigte sich, daß sie ein hübsches, olivfarbenes Gesicht hatte, große, schwarze, feucht schimmernde Augen und eine schnabelähnliche Nase. Ihr Haar war im Nacken zu einem glänzenden Knoten zusammengebunden. Sie war von Kopf bis Fuß in schwarzen Satin gekleidet und an Hals und Händen glitzerten viel prächtige Opale.

Dumbledore fing an zu klatschen; ihm folgend brachen auch die Schüler in Applaus aus, und viele stellten sich auf die Zehenspitzen, um diese Frau besser sehen zu können.

Die Anspannung in ihrem Gesicht wich einem dankbaren Lächeln und sie schritt auf Dumbledore zu und streckte ihm ihre funkelnde Hand entgegen. Dumbledore, der selbst nicht gerade klein war, mußte sich ein wenig recken, um sie zu küssen.

»Meine liebe Madame Maxime«, sagte er.»Willkommen in Hogwarts.«

»Dumblydorr«, sagte Madame Maxime mit tiefer Stimme.»Isch 'offe, Sie befinden sisch wohl?«

»In exzellenter Verfassung, danke, Madame«, sagte Dumbledore.

»Meine Schüler«, sagte Madame Maxime und wies mit ihrer riesigen Hand lässig nach hinten.

Harry, der wie gebannt auf Madame Maxime gestarrt hatte, sah jetzt, daß etwa ein Dutzend Jungen und Mädchen – offenbar alle ältere Teenager – aus der Kutsche geklettert waren und sich nun hinter Madame Maxime aufstellten. Sie bibberten, was angesichts ihrer feinseidenen Umhänge nicht überraschte. Einen Reiseumhang trug keiner von ihnen, ein paar jedoch hatten Tücher und Schals um die Köpfe geschlungen. Nach dem, was Harry von ihren Gesichtern erkennen konnte (sie standen im mächtigen Schatten Madame Maximes), sahen sie mit bangem Blick hinauf nach Hogwarts.

»Ist Karkaroff schon angekommen?«, fragte Madame Maxime.

»Er sollte jeden Moment eintreffen«, sagte Dumbledore.»Möchten Sie vielleicht hier warten und ihn begrüßen oder würden Sie lieber hineingehen und sich ein wenig aufwärmen?«

»Aufwärmen, würde isch sagen«, sagte Madame Maxime.»Aber die 'ferde -«

»Unser Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe wird sich mit Vergnügen um sie kümmern«, sagte Dumbledore,»sobald er sich von einem kleinen Notfall lösen kann, der sich bei einem seiner – ähm – anderen Schützlinge eingestellt hat.«

»Kröter«, murmelte Ron Harry ins Ohr und fing an zu grinsen.

»Meine Rosse verlangen – ahm – eine 'arte 'and«, sagte Madame Maxime mit einer Miene, als bezweifelte sie, daß der zuständige Lehrer in Hogwarts der richtige Mann dafür sei.»Sie sind serr stark…«

»Ich versichere Ihnen, daß Hagrid dieser Aufgabe vollkommen gewachsen ist«, sagte Dumbledore lächelnd.

»Serr gutt«, sagte Madame Maxime mit einer leichten Verbeugung,»würden Sie bitte diesem 'Agrid mitteilen, daß die 'ferde nur Single Malt Whisky saufen?«

»Dafür wird selbstverständlich gesorgt, Madame«, sagte Dumbledore ebenfalls mit einer Verbeugung.

»Kommt«, sagte Madame Maxime gebieterisch zu ihren Schülern, und das versammelte Hogwarts teilte sich, um ihr und ihrem Gefolge einen Weg die steinerne Treppe hinauf zu öffnen.

»Wie groß, glaubt ihr, werden die Pferde von Durmstrang sein?«, sagte Seamus Finnigan, der sich um Lavender und Parvati herumbeugte und Harry und Ron ansah.

»Tja, wenn sie noch größer sind als die hier, kann selbst Hagrid sie nicht mehr im Zaum halten«, sagte Harry.»Womöglich haben ihn die Kröter inzwischen schon verspeist. Was dahinten wohl los ist?«

»Vielleicht sind sie abgehauen«, sagte Ron hoffnungsvoll.

»Sag bloß nicht so was«, sagte Hermine schaudernd.»Stell dir vor, dieses Gekröse krabbelt auf den Ländereien rum…«

Sie standen jetzt bibbernd da und warteten auf die Ankunft der Schüler aus Durmstrang. Die meisten ließen die Blicke hoffnungsvoll über den Himmel schweifen. Ein paar Minuten lang wurde die Stille nur durch das Schnauben und Stampfen von Madame Maximes Pferden unterbrochen. Doch dann -»Kannst du was hören?«, sagte Ron plötzlich.

Harry lauschte; ein lautes, ganz und gar unvertrautes, schauriges Geräusch kam aus der Dunkelheit; ein gedämpftes Pochen und ein Saugen, als ob ein riesiger Staubsauger ein Flußbett entlangrauschte…

»Der See!«, rief Lee Jordan und deutete hinüber aufs Wasser.»Seht euch den See an!«

Dort, wo sie standen, oben auf der begrünten Anhöhe mit Blick über die Ländereien, konnten sie die glatte schwarze Wasseroberfläche gut sehen – nur daß diese Oberfläche plötzlich nicht mehr glatt war. Tief unten in der Mitte des Sees mußte sich etwas regen; große Blaseri drangen nach oben, Wellen spülten über die sumpfigen Uferbänke – und dann bildete sich mitten im See ein gewaltiger Strudel, als wäre soeben ein riesiger Stöpsel aus dem Seegrund gezogen worden…

Etwas wie ein langer schwarzer Pfahl begann nun langsam aus dem Herzen des Strudels emporzusteigen… und dann sah Harry die Takelage…

»Es ist ein Mast!«, sagte er zu Ron und Hermine.

Langsam und majestätisch erhob sich das Schiff aus dem Wasser und schimmerte im Mondlicht. Es hatte etwas merkwürdig Gerippehaftes an sich, als wäre es ein geborgenes Wrack, und die trüben, verschwommenen Lichter, die aus seinen Bullaugen schimmerten, sahen aus wie Geisteraugen.

Endlich, mit einem gewaltigen Schmatzen und Schwappen, tauchte das Schiff zur Gänze auf, tänzelte über das aufgewühlte Wasser und glitt auf das Ufer zu.

Nun gingen Leute von Bord; ihre Umrisse waren vor den Lichtern der Bullaugen zu sehen. Sie alle, fiel Harry auf, schienen ungefähr die Statur von Crabbe und Goyle zu haben… doch dann, als sie den Hang herauf näher kamen und das Licht der Eingangshalle auf sie fiel, sah er, daß ihre Gestalten deshalb so massig wirkten, weil sie Mäntel aus einer Art zottigem, verfilztem Pelz trugen. Doch der Mann, der sie hoch zum Schloß führte, trug einen ganz anderen Pelz: seidig und glänzend wie sein Haar.

»Dumbledore!«, rief er mit Inbrunst, als er die Anhöhe erreicht hatte,»wie geht's Ihnen, altes Haus, wie geht's?«

»Glänzend, danke, Professor Karkaroff«, erwiderte Dumbledore.

Karkaroff hatte eine sonore, ölige Stimme; als er in das Licht trat, das aus dem Schloßportal fiel, sahen sie, daß er groß und schlank war wie Dumbledore, doch sein weißes Haar war kurz und sein Spitzbart (der in einem kleinen Gekräusel endete) konnte sein fliehendes Kinn nicht ganz verbergen. Er ging auf Dumbledore zu und streckte ihm beide Hände entgegen.

»Das gute alte Hogwarts«, sagte er und sah lächelnd hoch zum Schloß; seine Zähne waren ziemlich gelb und Harry fiel auf, daß sein Lächeln sich nicht auf seine Augen erstreckte, deren Blick kalt und scharf blieb.»Wie schön, wieder hier zu sein, wie schön… Viktor, komm rein in die Wärme… Sie haben nichts dagegen, Dumbledore? Viktor hat einen leichten Schnupfen…«

Karkaroff winkte einem seiner Schüler. Als der Junge vorbeiging, erhaschte Harry einen Blick auf eine markante Adlernase und dichte schwarze Brauen. Er brauchte nicht erst Ron, der ihm einen Schlag auf den Arm versetzte, oder das Zischen in seinem Ohr, um dieses Profil zu erkennen.

»Harry – das ist Krum!«

Der Feuerkelch

»Nicht zu fassen!«, sagte Ron völlig entgeistert. Sie reihten sich jetzt mit den anderen Hogwarts-Schülern hinter den Durmstrangs ein und folgten ihnen die Treppe hoch zum Schloß.»Krum, Harry! Viktor Krum!«

»Um Himmels willen, Ron, er ist doch nur ein Quidditch-Spieler«, sagte Hermine.

»Nur ein Quidditch-Spieler?«Ron sah sie an, als hätte er sich verhört.»Hermine – er ist einer der besten Sucher der Welt! Ich hatte keine Ahnung, daß er noch zur Schule geht!«

Auf dem Weg durch die Eingangshalle hinüber zur Großen Halle sah Harry, wie Lee Jordan immer wieder in die Luft sprang, um wenigstens einen Blick auf Viktor Krum zu erhaschen. Einige Mädchen aus der sechsten Klasse stöberten unterdessen hektisch in ihren Taschen -»O nein, bin ich bescheuert, ich hab nicht mal 'ne Feder mit…«-»Glaubst du, er schreibt mir mit Lippenstift ein Autogramm auf den Hut?«

»Also wirklich«, sagte Hermine naserümpfend, als sie an den Mädchen vorbeigingen, die sich jetzt wegen des Lippenstifts kabbelten.

»Ich jedenfalls hol mir auch ein Autogramm, wenn's geht«, sagte Ron,»du hast nicht zufällig 'ne Feder dabei, Harry?«

»Nö, die sind oben in meiner Tasche«, erwiderte Harry.

Sie gingen hinüber zum Gryffindor-Tisch. Ron setzte sich mit Bedacht so hin, daß er den Eingang im Auge behalten konnte, da Krum und seine Mitschüler aus Durmstrang immer noch an der Tür standen, offenbar nicht sicher, wo sie Platz nehmen sollten. Die Schüler aus Beauxbatons hatten sich an den Ravenclaw-Tisch gesetzt und sahen sich verdrießlich in der Großen Halle um. Drei von ihnen hatten auch jetzt noch Schals und Tücher um die Köpfe geschlungen.

»So kalt ist es doch auch wieder nicht«, sagte Hermine und warf ihnen einen gereizten Blick zu.»Warum haben sie keine dicken Umhänge mitgebracht?«

»Hierher! Kommt und setzt euch hierher!«, zischte Ron.»Hierher! Hermine, rück auf und mach Platz -«

»Was?«

»Zu spät«, sagte Ron enttäuscht.

Viktor Krum und seine Mitschüler aus Durmstrang hatten sich am Slytherin-Tisch niedergelassen. Harry sah Malfoy, Crabbe und Goyle in die Runde feixen. Jetzt beugte sich Malfoy vor und sprach Krum an.

»Jaah, recht so, schleim dich nur bei ihm ein, Malfoy«, höhnte Ron.»Aber ich wette, Krum durchschaut ihn sofort… der hat doch ständig Leute, die um ihn rumscharwenzeln… wo, glaubst du, schlafen die eigentlich? Wir könnten ihm einen Platz in unserem Schlafsaal anbieten, Harry… mir würd's nichts ausmachen, ihm mein Bett zu geben, ich könnte auf einem Feldbett pennen.«

Hermine schnaubte.

»Sie sehen um einiges glücklicher aus als die anderen aus Beauxbatons«, sagte Harry.

Die Durmstrangs zogen ihre schweren Pelze aus und sahen mit interessierten Mienen zum Sternengewölbe hoch; einige nahmen die goldenen Teller und Schalen in die Hände und musterten sie offenbar recht beeindruckt.

Oben am Lehrertisch trug Filch, der Hausmeister, zusätzliche Stühle herbei. Zu dieser festlichen Gelegenheit trug er seinen muffigen alten Frack. Überrascht stellte Harry fest, daß er vier Stühle dazustellte, je zwei zur Linken und zur Rechten Dumbledores.

»Aber es sind doch nur zwei Leute dazugekommen«, sagte Harry.»Warum bringt Filch dann vier Stühle? Wer kommt denn noch?«

»Hmh?«, mummelte Ron. Noch immer starrte er voll Begeisterung auf Krum.

Als alle Schüler hereingekommen waren und ihre Plätze gefunden hatten, traten die Lehrer ein, gingen in einer Reihe hoch zu ihrem Tisch und setzten sich. Den Schluß bildeten Professor Dumbledore, Professor Karkaroff und Madame Maxime. Die Gäste aus Beauxbatons sprangen auf, sobald sie ihre Schulleiterin sahen. Einige Hogwarts-Schüler lachten. Den Beauxbatons schien es jedoch keineswegs peinlich, und sie nahmen ihre Plätze erst wieder ein, als sich Madame Maxime links von Dumbledore niedergelassen hatte. Dumbledore jedoch blieb stehen und die Große Halle verstummte.

»Guten Abend, meine Damen und Herren, Geister und – vor allem – Gäste«, sagte Dumbledore, sah in die Runde und strahlte die ausländischen Schüler an.»Ich habe das große Vergnügen, Sie alle in Hogwarts willkommen zu heißen. Ich bin sicher, daß Sie eine angenehme und vergnügliche Zeit an unserer Schule verbringen werden.«

Eines der Mädchen aus Beauxbatons, das immer noch einen Schal um den Kopf geschlungen hatte, lachte unverhohlen spöttisch.

»Keiner zwingt dich, hier zu sein!«, zischelte Hermine und warf ihr einen zornfunkelnden Blick zu.

»Das Turnier wird nach dem Festessen offiziell eröffnet«,sagte Dumbledore.»Nun lade ich alle ein, zu essen, zu trinken und sich wie zu Hause zu fühlen!«Er setzte sich, und Harry sah, wie Karkaroff sich sofort zu ihm neigte und ihn in ein Gespräch verwickelte.

Die Schüsseln und Teller vor ihnen füllten sich wie immer mit Speisen. Die Hauselfen in der Küche schienen alle Register ihres Könnens gezogen zu haben; noch nie hatte Harry so viele verschiedene Gerichte vor sich gesehen, darunter auch einige, die ganz eindeutig aus fremden Ländern stammten.

»Was ist das denn?«, sagte Ron und deutete auf eine große Schüssel mit einer Art Muscheleintopf, die neben einer mächtigen Beefsteak-und-Nieren-Pastete stand.

»Bouillabaisse«, sagte Hermine.

»Wenn wir dich nicht hätten«, sagte Ron.

»Es ist ein französisches Gericht«, sagte Hermine.»Ich hab es vorletzten Sommer in den Ferien gegessen, schmeckt ganz gut.«

»Das glaub ich dir aufs Wort«, sagte Ron und tat sich eine Portion Blutwurst auf.

In der Großen Halle schien viel mehr los zu sein als sonst, obwohl kaum zwanzig Gastschüler hier waren; vielleicht entstand der Eindruck, weil ihre farbigen Schuluniformen sich so auffällig von den schwarzen Umhängen der Hogwarts-Schüler unterschieden. Nun, da die Durmstrangs ihre Pelze abgelegt hatten, zeigte sich, daß sie Umhänge in sattem Blutrot trugen.

Hagrid kam zwanzig Minuten nach Beginn des Festessens durch eine Tür hinter dem Lehrertisch gehuscht. Er glitt auf einen Platz am Ende der Tafel und winkte Harry, Ron und Hermine mit einer dick bandagierten Hand zu.

»Die Kröter gedeihen, Hagrid?«, rief Harry.

»Prächtig«, erwiderte Hagrid glücklich.

»Tja, da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte Ron leise.»Sieht ganz so aus, als hätten sie endlich rausgefunden, was sie fressen mögen. Hagrids Finger.«

In diesem Augenblick sagte eine Stimme:»Versei'ung, möchten Sie noch von dieser Bouillabaisse essen?«

Es war das Mädchen von Beauxbatons, das während Dumbledores Rede gelacht hatte. Sie hatte nun doch ihren Schal abgelegt. Ihr langer, silbrig blonder Haarschopf fiel ihr fast bis zur Taille. Sie hatte große, dunkelblaue Augen und ebenmäßige, makellos weiße Zähne.

Ron lief purpurrot an. Er starrte zu ihr hoch, öffnete den Mund, um zu antworten, doch er brachte nur ein schwächliches Gegurgel heraus.

»Nein, bitte sehr«, sagte Harry und schob dem Mädchen die Schüssel hin.

»Sie sind damit fertig?«

»Jaah«, hauchte Ron.»Jaah, wirklich ganz hervorragend.«

Sie nahm die Schüssel und trug sie umsichtig hinüber zum Ravenclaw-Tisch. Ron glotzte dem Mädchen nach, als hätte er noch nie eines gesehen. Harry fing an zu lachen, was Ron offenbar zur Besinnung brachte.

»Sie ist eine Veela!«, stieß er mit heiserer Stimme hervor.

»Natürlich nicht!«, sagte Hermine bissig.»Ich seh sonst keinen, der sie wie ein Idiot anglubscht!«

Doch damit hatte sie nicht ganz Recht. Als das Mädchen die Halle durchquerte, wandten sich viele Jungenköpfe nach ihr um, und einigen schien es ganz wie Ron die Sprache zu verschlagen.

»Ich sag euch, das ist kein normales Mädchen!«, sagte Run und lehnte sich zur Seite, damit er sie im Blick behalten konnte.»So was findest du in Hogwarts nicht!«

»Findest du wohl«, sagte Harry unwillkürlich. Zufällig saß Cho Chang nur ein paar Plätze von dem Mädchen mit dem Silberhaar entfernt.

»Wenn ihr beide eure Augen wieder eingesetzt habt«, sagte Hermine schroff,»dann schaut mal, wer gerade gekommen ist.«

Sie deutete hoch zum Lehrertisch. Die beiden vorhin noch leeren Plätze waren nun besetzt. Zur anderen Seite von Professor Karkaroff saß Ludo Bagman und neben Madame Maxime saß Percys Chef, Mr Crouch.

»Was tun die denn hier?«, fragte Harry überrascht.

»Sie haben doch das Trimagische Turnier organisiert«, sagte Hermine.»Ich vermute mal, sie wollten bei der Eröffnung dabei sein.«

Der Nachtisch kam, und auch hier waren, wie ihnen auffiel, eine Reihe unbekannter Speisen dabei. Ron nahm eine Art blaßweißen Käse näher in Augenschein, dann schob er ihn ein wenig zur Seite, damit er vom Ravenclaw-Tisch aus gut zu sehen war. Das Mädchen, das wie eine Veela aussah, schien jedoch genug gegessen zu haben und kam nicht herüber, um den Nachtisch zu holen.

Sobald die goldenen Teller leer geputzt waren, erhob sich Dumbledore von neuem. Die Halle war nun von angenehmer Spannung erfüllt. Harry fragte sich, was wohl kommen würde, und spürte ein leises, erwartungsvolles Kribbeln. Weiter unten am Tisch beugten sich Fred und George vor und spähten mit größter Konzentration zu Dumbledore hinüber.

»Der Augenblick ist gekommen«, sagte Dumbledore und lächelte in das Meer der ihm zugewandten Gesichter.»Das Trimagische Turnier kann nun beginnen. Ich möchte einige erläuternde Worte sagen, bevor wir die Truhe hereinbringen -«

»Die was?«, murmelte Harry.

Ron zuckte die Achseln.

»- nur um unser diesjähriges Verfahren zu erklären. Doch jenen, die sie noch nicht kennen, möchte ich zunächst Mr Bartemius Crouch vorstellen, Leiter der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit«- hier und da hob sich ein Händepaar zu höflichem Applaus -»und Mr Ludo Bagman, den Leiter der Abteilung für Magische Spiele und Sportarten.«

Für Bagman gab es deutlich mehr Beifall als für Crouch, vielleicht weil er als Quidditch-Treiber berühmt war oder einfach deshalb, weil er so viel sympathischer wirkte. Er bedankte sich mit freundlichem Winken.

Bartemius Crouch jedoch lächelte nicht, noch hob er die Hand, als er vorgestellt wurde. Harry, der ihn in seinem tadellosen Anzug von der Quidditch-Weltmeisterschaft her in Erinnerung hatte, fand, daß ihm ein Zaubererumhang nicht so richtig stand. Sein Oberlippenbärtchen und der strenge Scheitel wirkten neben Dumbledores langem weißem Haar und Bart ganz unpassend.

»Mr Bagman und Mr Crouch haben in den vergangenen Monaten unermüdlich für die Vorbereitung des Trimagischen Turniers gearbeitet«, fuhr Dumbledore fort,»und sie werden neben mir, Professor Karkaroff und Madame Maxime die Jury bilden, die über die Leistungen der Champions befindet.«

Bei der Erwähnung der Champions schien das Publikum plötzlich aufzumerken.

Dumbledore war offenbar nicht entgangen, daß mit einem Schlag Stille eingetreten war, denn mit einem Lächeln sagte er:»Wenn ich bitten darf, Mr Filch, die Truhe.«

Filch, der bisher in einer dunklen Ecke der Halle herumgestanden hatte, trat auf Dumbledore zu, in den Händen eine große, mit Juwelen besetzte Holztruhe. Sie wirkte ungeheuer alt. Die Schüler begannen aufgeregt und neugierig zu murmeln und zu tuscheln; Dennis Creevey stellte sich tatsächlich auf seinen Stuhl, um alles sehen zu können, doch da er so klein war, ragte sein Kopf kaum über die der anderen hinaus.

»Mr Crouch und Mr Bagman haben die Aufgaben, die die Champions dieses Jahr lösen müssen, bereits geprüft«, sagte Dumbledore, während Filch die Truhe vorsichtig auf den Tisch stellte,»und sie haben die notwendigen Vorbereitungen für diese Herausforderungen getroffen. Wir haben drei Aufgaben über das ganze Schuljahr verteilt, die das Können der Champions auf unterschiedliche Weise auf die Probe stellen… ihr magisches Können – ihre Kühnheit – ihre Fähigkeit zum logischen Denken – und natürlich ihre Gewandtheit im Umgang mit Gefahren.«

Bei den letzten Worten legte sich wieder Stille über die Halle, so vollkommen, als würden alle auf einmal den Atem anhalten.

»Wie ihr wißt, kämpfen im Turnier drei Champions gegeneinander«, fuhr Dumbledore gelassen fort,»von jeder teilnehmenden Schule einer. Wir werden benoten, wie gut sie die einzelnen Aufgaben lösen, und der Champion mit der höchsten Punktzahl nach drei Aufgaben gewinnt den Trimagischen Pokal. Ein unparteiischer Richter wird die Champions auswählen… der Feuerkelch.«

Dumbledore zog seinen Zauberstab und schlug dreimal sachte auf den Deckel der Truhe. Langsam und knarrend öffnete er sich. Dumbledore steckte die Hand hinein und zog einen großen, grob geschnitzten Holzkelch heraus. Er selbst war nicht weiter bemerkenswert, doch er war bis an den Rand gefüllt mit tänzelnden blauweißen Flammen.

Dumbledore schloß die Truhe und stellte den Kelch vorsichtig auf den Deckel, wo ihn alle sehen konnten.

»Jeder, der sich als Champion bewerben will, muß seinen Namen und seine Schule in klarer Schrift auf einen Pergamentzettel schreiben und ihn in den Kelch werfen«, sagte Dumbledore.»Wer mitmachen will, hat vierundzwanzig Stunden Zeit, um seinen Namen einzuwerfen. Morgen Nacht, an Halloween, wird der Kelch die Namen jener drei preisgeben, die nach seinem Urteil die würdigsten Vertreter ihrer Schulen sind. Der Kelch wird noch heute Abend in der Eingangshalle aufgestellt, wo er für alle, die teilnehmen wollen, frei zugänglich ist.

Um sicherzustellen, daß keine minderjährigen Schüler der Versuchung erliegen«, ergänzte Dumbledore,»werde ich eine Alterslinie um den Feuerkelch ziehen, sobald er in der Eingangshalle aufgestellt ist. Niemand unter siebzehn wird diese Linie überschreiten können.

Schließlich möchte ich allen, die teilnehmen wollen, eindringlich nahe legen, mit ihrer Entscheidung nicht leichtfertig umzugehen. Sobald der Feuerkelch einen Champion bestimmt hat, wird er oder sie das Turnier bis zum Ende durchstehen müssen. Wenn ihr euren Namen in den Kelch werft, schließt ihr einen bindenden magischen Vertrag. Wenn ihr einmal Champion seid, könnt ihr euch nicht plötzlich anders besinnen. Überlegt daher genau, ob ihr von ganzem Herzen zum Spiel bereit seid, bevor ihr euren Zettel in den Kelch werft. Nun, denke ich, ist es Zeit schlafen zu gehen. Gute Nacht euch allen.«

»Eine Alterslinie!«, sagte Fred Weasley mit glänzenden Augen, während sie die Halle in Richtung Tür durchquerten.»Die kann man doch sicher mit einem Alterungstrank austricksen? Und wenn dein Name einmal in diesem Kelch ist, hast du gut lachen – er kann doch nicht wissen, ob wir siebzehn sind oder nicht!«

»Aber ich glaube nicht, daß jemand unter siebzehn eine Chance hat«, sagte Hermine,»wir haben einfach noch nicht genug gelernt…«

»Du kannst nur von dir reden«, sagte George unwirsch.»Aber du, Harry, du probierst es doch sicher?«

Harry dachte kurz an Dumbledores Mahnung, niemand unter siebzehn dürfe seinen Namen einwerfen, doch dann überkam ihn erneut die herrliche Vorstellung, er selbst würde das Trimagische Turnier gewinnen… er fragte sich, wie sauer Dumbledore sein würde, wenn jemand unter siebzehn tatsächlich eine Möglichkeit fand, über die Alterslinie zu kommen…

»Wo ist er?«, sagte Ron, der bisher kein Wort mitbekommen hatte, weil er andauernd nach Krum Ausschau gehalten hatte.»Dumbledore hat nicht gesagt, wo die Durmstrangs schlafen, oder?«

Die Antwort auf diese Frage ließ nicht lange auf sich warten. Als sie am Tisch der Slytherins vorbeigingen, kam Karkaroff gerade zu seinen Schülern herübergehastet.

»Zurück zum Schiff, Leute«, sagte er.»Viktor, wie fühlst du dich? Hast du genug gegessen? Soll ich dir ein Glas Glühwein aus der Küche bringen lassen?«

Harry sah, wie Krum den Kopf schüttelte, während er sich den Pelz überzog.

»Professor, ich hätte gern etwas Wein«, sagte ein anderer Durmstrang-Junge hoffnungsvoll.

»Dich habe ich nicht gefragt, Poliakoff«, herrschte ihn Karkaroff an, und von seiner warmen väterlichen Art war plötzlich nichts mehr zu spüren.»Ich sehe, du hast wieder deinen ganzen Umhang mit Essen bekleckert, das ist ja widerlich -«

Karkaroff wandte sich um, ging seinen Schülern voran zur Tür und erreichte sie genau im selben Moment wie Harry, Ron und Hermine. Harry blieb stehen, um ihm den Vortritt zu lassen.

»Danke«, sagte Karkaroff gleichgültig und warf ihm im Vorbeirauschen einen Blick zu.

Und dann erstarrte Karkaroff. Er wandte sich zu Harry um und sah ihn an, als würde er seinen Augen nicht trauen. Hinter ihrem Direktor stauten sich die Schüler aus Durmstrang. Karkaroffs Blick wanderte langsam hoch zu Harrys Stirn und blieb an seiner Narbe hängen. Auch die Durmstrangs musterten Harry neugierig. Aus den Augenwinkeln nahm Harry wahr, wie es einigen von ihnen allmählich dämmerte. Der Junge mit der bekleckerten Robe kniff dem Mädchen neben ihm in den Arm und deutete unverhohlen auf Harrys Stirn.

»Ja, das ist Harry Potter«, knurrte eine Stimme hinter ihnen.

Professor Karkaroff wirbelte herum. Hinter ihm stand Mad-Eye Moody, schwer auf seinen Stock gestützt; sein magisches Auge starrte den Durmstrang-Direktor finster und unverwandt an.

Harry sah, wie die Farbe aus Karkaroffs Gesicht wich und es zu einer zorn- und angsterfüllten Grimasse wurde.

»Sie!«, sagte er und starrte Moody an, als wäre er nicht sicher, ihn wirklich zu sehen.

»Ich«, sagte Moody grimmig.»Und wenn Sie Potter nichts zu sagen haben, Karkaroff, dann gehen Sie bitte schön weiter. Sie blockieren die Tür.«

Das stimmte; die halbe Halle wartete schon hinter ihnen und die Schüler lugten auf Zehenspitzen stehend zur Tür, um den Grund für den Stau auszumachen.

Ohne ein weiteres Wort winkte Professor Karkaroff seinen Schülern und führte sie davon. Moody sah ihm nach, das magische Auge unbewegt auf seinen Rücken gerichtet und mit einem Ausdruck lodernden Abscheus auf dem entstellten Gesicht.

Da der nächste Tag ein Samstag war, gingen die meisten Schüler spät zum Frühstück. Harry, Ron und Hermine jedoch waren nicht die Einzigen, die früher als sonst am Wochenende aufstanden. Als sie in die Eingangshalle hinunterkamen, sahen sie etwa zwanzig ihrer Mitschüler, einige noch an ihrem Toast kauend, im Kreis um den Feuerkelch herumstehen. Er war in der Mitte der Halle aufgestellt, auf dem Stuhl, der sonst immer den Sprechenden Hut trug. Auf dem Boden zog sich eine schmale goldene Linie in gut drei Meter Abstand um den Kelch herum.

»Hat schon jemand seinen Namenszettel eingeworfen?«, fragte Ron neugierig ein Mädchen aus der dritten Klasse.

»Der ganze Haufen aus Durmstrang«, erwiderte sie.»Aber aus Hogwarts hab ich noch keinen gesehen.«

»Ich wette, ein paar von uns haben ihre Zettel letzte Nacht eingeworfen, als wir alle schon im Bett waren«, sagte Harry.»Jedenfalls hätte ich es so gemacht… hätte keine Lust darauf gehabt, daß alle zusehen. Was wäre zum Beispiel, wenn der Kelch dich gleich wieder ausspucken würde?«

Hinter ihm hörte er Gelächter. Er wandte sich um und sah Fred, George und Lee Jordan die Treppe herunterstürmen, alle drei offenbar in größter Aufregung.

»Das war's«, flüsterte Fred mit Siegermiene Harry, Ron und Hermine zu.»Wir haben ihn geschluckt.«

»Wen denn?«, fragte Ron.

»Den Alterungstrank, ihr Dumpfbeutel«, sagte Fred.

»Jeder einen Tropfen«, sagte George und rieb sich feixend die Hände.»Wir müssen ja nur ein paar Monate älter werden.«

»Wenn einer von uns gewinnt, teilen wir die tausend Galleonen zwischen uns auf«, sagte Lee mit breitem Grinsen.

»Ich an eurer Stelle wär mir nicht so sicher, daß es klappt«, warnte Hermine.»Dumbledore hat das sicher schon bedacht.«

Fred, George und Lee würdigten sie keines Blickes.

»Fertig?«, sagte Fred zitternd vor Aufregung zu den anderen beiden.»Also dann – ich geh voraus -«

Harry sah gespannt zu, wie Fred einen Pergamentfetzen aus der Tasche zog, auf dem»Fred Weasley – Hogwarts«stand. Er trat genau bis an die Linie und stand da wie ein Taucher, der zu einem Sprung aus zwanzig Meter Höhe ansetzt. Dann, aller Augen in der Halle auf sich gerichtet, holte er tief Luft und trat über die Linie.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Harry, Fred hätte es geschafft – George jedenfalls war sich dessen sicher, denn mit einem Triumphschrei sprang er Fred nach -, doch schon war ein lautes Zischen zu hören, und die Zwillinge flogen aus dem goldenen Kreis, als wären sie von einem unsichtbaren Kugelstoßer hinausgeschleudert worden. Sie schlugen schwer auf dem kalten Steinboden auf, vier Meter vom Kreis entfernt, und um alles noch schlimmer zu machen, ertönte ein lauter Knall und aus den Gesichtern der beiden sprossen lange, weiße und vollkommen gleich aussehende Barte.

Ihre Mitschüler brüllten vor Lachen, und selbst Fred und George stimmten mit ein, sobald sie sich aufgerappelt und ihre Barte ausgiebig begutachtet hatten.

»Ich habe euch gewarnt«, sagte eine tiefe, vergnügte Stimme, und alle wandten sich zu Professor Dumbledore um, der aus der Großen Halle kam. Er musterte Fred und George augenzwinkernd.»Ich schlage vor, ihr beide geht hoch zu Madam Pomfrey. Sie kümmert sich bereits um Miss Fawcett von Ravenclaw und Mr Summers von Hufflepuff, die ebenfalls auf die Idee kamen, sich ein wenig älter zu machen. Allerdings muß ich sagen, daß ihre Barte bei weitem nicht so schön geworden sind wie eure.«

Fred und George machten sich auf den Weg in den Krankenflügel, begleitet von Lee, der sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten konnte, während Harry, Ron und Hermine kichernd zum Frühstück gingen.

Die Große Halle war am Morgen umgestaltet worden. Da Halloween war, flatterte eine Wolke echter Fledermäuse an der verzauberten Decke umher, und aus den Ecken heraus schielten und grinsten Hunderte ausgeschnitzter Kürbisse. Harry führte sie hinüber zu Dean und Seamus, die sich darüber unterhielten, welche volljährigen Hogwarts-Schüler sich wohl bewerben würden.

»Hier geht das Gerücht um, Warrington sei früh aufgestanden und habe seinen Namen eingeworfen«, berichtete Dean.»Dieser große Kerl von Slytherin, der aussieht wie ein Faultier.«

Harry, der Quidditch gegen Warrington gespielt hatte, schüttelte angewidert den Kopf.»Bloß keinen Slytherin-Champion!«

»Und alle Hufflepuffs reden von Diggory«, sagte Seamus verächtlich.»Aber ich hätte nicht gedacht, daß er sein gutes Aussehen riskieren würde.«

»Hört mal!«, sagte Hermine plötzlich.

Aus der Eingangshalle drang Jubelgeschrei herein. Sie wirbelten auf ihren Stühlen herum und sahen Angelina Johnson, ein wenig verlegen grinsend, durch die Tür kommen. Angelina war ein großes schwarzes Mädchen, das Jägerin für das Gryffindor-Team spielte; sie kam zu ihnen herüber, setzte sich und sagte:»Tja, ich hab's getan. Ich hab gerade meinen Namen eingeworfen!«

»Du machst Witze!«, sagte Ron, sah jedoch beeindruckt aus.

»Du bist also schon siebzehn?«, fragte Harry.

»Was fragst du noch? Siehst du 'nen Bart bei ihr oder was?«, sagte Ron.

»Ich hatte letzte Woche Geburtstag«, sagte Angelina.

»Mensch, bin ich froh, daß jemand aus Gryffindor teilnimmt«, sagte Hermine.»Ich drück dir die Daumen, daß du gewinnst, Angelina!«

»Danke, Hermine«, sagte Angelina und lächelte ihr zu.

»Ja, besser du als dieser Schönling Diggory«, sagte Seamus, woraufhin einige vorbeigehende Hufflepuffs ihn finster ansahen.

»Und was fangen wir mit dem Rest des Tages an?«, fragte Ron, als sie nach dem Frühstück die Große Halle verließen.

»Wir haben Hagrid noch gar nicht besucht«, sagte Harry.

»Gut«, sagte Ron,»solange er uns nicht bittet, den Krötern ein paar Finger zu opfern.«

Auf Hermines Gesicht breitete sich plötzlich helle Begeisterung aus.»Da fällt mir ein – ich hab Hagrid noch nicht gefragt, ob er bei B-ELFE-R mitmachen will!«, strahlte sie.»Wartet auf mich, bitte, ich renn nur mal kurz hoch und hol die Anstecker!«

»Was ist bloß in sie gefahren?«, sagte Ron halb verzweifelt, während Hermine die Marmortreppe hochstürmte.

»Hey, Ron«, sagte Harry plötzlich.»Da ist deine Freundin…«

Die Schüler aus Beauxbatons, unter ihnen das Veela-Mädchen, kamen gerade von draußen herein. Die Schar, die sich um den Feuerkelch versammelt hatte, wich zurück und machte ihnen unter neugierigen Blicken Platz.

Madame Maxime, die zuletzt hereingekommen war, wies ihre Schützlinge an, sich in einer Reihe aufzustellen. Dann traten die Beauxbatons nacheinander über die Linie und warfen ihre Pergamentzettel in die blauweißen Flammen. Kurz bevor sie im Feuer verschwanden, flammte der Namenszug rot auf und stob Funken aus.

»Was, glaubst du, geschieht mit denen, die nicht ausgewählt werden?«, murmelte Ron Harry zu, als das Veela-Mädchen sein Pergament in den Feuerkelch warf.»Meinst du, sie gehen zurück in ihre Schule, oder bleiben sie hier und sehen sich das Turnier an?«

»Weiß nicht«, sagte Harry.»Sie bleiben hier, nehm ich mal an… Madame Maxime jedenfalls ist doch Schiedsrichterin, oder?«

Als alle Beauxbatons ihre Namen eingeworfen hatten, führte Madame Maxime sie wieder hinaus ins Freie.

»Wo schlafen die wohl?«, fragte Ron, bewegte sich auf den Ausgang zu und starrte ihnen nach.

Ein lautes Scheppern hinter ihnen kündigte Hermine an, die mit ihrem Kästchen voll B.ELFE.R-Ansteckern zurückkehrte.

»Na schön, beeilen wir uns«, sagte Ron und rannte die steinerne Vortreppe hinunter, den Blick unverwandt auf dem Rücken des Veela-Mädchens, das in Madame Maximes Gefolge den Rasen schon halb überquert hatte.

Als sie sich Hagrids Hütte am Rande des Verbotenen Waldes näherten, löste sich auch das Rätsel, wo die Beauxbatons schliefen. Die gigantische graublaue Kutsche, in der sie angekommen waren, war keine zweihundert Meter von Hagrids Hütte entfernt abgestellt, und die Schüler stiegen gerade wieder hinein. Die elefantösen fliegenden Pferde, die die Kutsche gezogen hatten, grasten nebenan auf einer eilends umzäunten Koppel. Harry klopfte an Hagrids Tür, und sofort antwortete Fang mit freudigem Kläffen.

»Wird allmählich Zeit!«, sagte Hagrid, als er die Tür aufriß und sah, wer gekommen war.»Dachte, ihr Rasselbande hättet vergessen, wo ich wohne!«

»Wir hatten irre viel zu tun, Hag-«, begann Hermine, doch als sie Hagrid sah, verschlug es ihr die Sprache.

Hagrid trug seinen allerbesten (und ganz fürchterlichen)Braunhaar-Anzug und eine gelb-orange karierte Krawatte. Doch das war noch nicht das Schlimmste; er hatte offenbar versucht, seine Haarpracht zu zähmen, und zwar, wie es schien, mit einer gewaltigen Menge Schmierfett. Es fiel nun in zwei glitschigen Bündeln herunter – vielleicht hatte er es mit einem Pferdeschwanz versucht wie Bill einen hatte, doch festgestellt, daß er zu viel Haare besaß. Dieser neue Aufzug stand Hagrid gar nicht gut. Einen Moment lang betrachtete ihn Hermine mit großen Augen, dann kam sie offenbar zu dem Schluß, lieber nichts sagen zu wollen, und fragte nur:»Ähm – wo sind die Kröter?«

»Draußen beim Kürbisbeet«, sagte Hagrid vergnügt.»Die nehm'n allmählich richtig zu, müssen inzwischen mindestens 'n Meter lang sein. Das Problem ist nur, sie haben angefangen sich gegenseitig umzubringen.«

»Ach was, wirklich?«, sagte Hermine und warf Ron einen strengen Blick zu, der die ganze Zeit auf Hagrids neue Frisur geglotzt hatte und gerade den Mund aufmachte, um eine Bemerkung loszuwerden.

»Jaah«, sagte Hagrid traurig.»Ist schon wieder gut jetzt, ich hab sie in verschiedene Kisten gesperrt. Hab noch ungefähr zwanzig.«

»Na, was für ein Glück«, sagte Ron. Hagrid entging der spöttische Unterton.

Seine Hütte bestand aus einem einzigen Raum, in dessen einer Ecke ein gigantisches Bett mit einer Flickendecke stand. Ein ähnlich gewaltiger Tisch und Stühle standen vor dem Feuer, unter der Wolke aus geräucherten Schinken und toten Vögeln, die von der Decke hingen. Sie setzten sich an den Tisch, während Hagrid Tee kochte, und bald waren sie von neuem in ein Gespräch über das Trimagische Turnier vertieft. Hagrid schien nicht weniger begeistert zu sein als sie.

»Wartet's ab«, sagte er grinsend.»Wartet nur ab. Ich zeig euch gleich was, das habt ihr noch nie gesehn. Erste Aufgabe… aah, aber ich darf's ja nicht sagen.«

»Nur weiter, Hagrid!«, drängten ihn Harry, Ron und Hermine, doch er schüttelte nur den Kopf und grinste.

»Will euch ja nich die Spannung vermiesen«, sagte er.»Aber 's wird 'n Höllenspaß, sag ich euch. Diese Schämpions werden's ganz schön schwer haben. Hätt nie gedacht, daß ich je ein Trimagisches Turnier sehen würd!«

Sie blieben schließlich zum Essen, auch wenn sie nicht gerade herzhaft zulangten – Hagrid tischte seinen eigenen Worten zufolge Rinderbraten auf, doch nachdem Hermine eine große Kralle aus ihrem Stück gezogen hatte, verging den dreien ein wenig der Appetit. Sie machten sich stattdessen einen Spaß daraus, Hagrid die Aufgaben des Trimagischen Turniers zu entlocken, und überlegten wild hin und her, welche Bewerber es wohl zum Champion schaffen würden und ob Fred und George inzwischen schon bartlos waren.

Gegen Nachmittag setzte leichter Regen ein; behaglich saßen sie am Feuer, lauschten dem sanften Getrommel am Fenster und sahen Hagrid zu, wie er seine Socken stopfte und mit Hermine über die Hauselfen stritt – sie hatte ihm nämlich die Anstecker gezeigt, doch er weigerte sich strikt, bei B.ELFE.R mitzumachen.

»Da tät man ihnen keinen Gefallen mit, Hermine«, sagte er mit ernster Miene und fädelte einen dicken gelben Garnfaden in eine massige Knochennadel ein.»'s liegt in ihrer Natur, sich um Menschen zu kümmern, das mögen sie, verstehst du? Du würdest sie unglücklich machen, wenn du ihnen die Arbeit nimmst, und wenn du sie bezahlst, sind sie beleidigt.«

»Aber Harry hat Dobby befreit und der war überglücklich!«, sagte Hermine,»außerdem haben wir gehört, daß er jetzt für seine Arbeit Lohn verlangt!«

»Ja nu, Spinner gibt's überall. Ich sag ja nich, daß es nich den einen oder ändern Elf gibt, der sich befreien läßt, aber die meisten kriegst du nicht dazu – nö, da ist nichts zu machen, Hermine.«

Hermine war ziemlich sauer und steckte ihr Kästchen zurück in die Umhangtasche.

Gegen halb fünf wurde es dunkel, und Harry, Ron und Hermine fanden es an der Zeit, zum Halloween-Fest hoch ins Schloß zu gehen – zumal da heute Abend verkündet wurde, wer die Schul-Champions sein sollten.

»Ich komm mit«, sagte Hagrid und legte sein Nähzeug weg.»'ne Sekunde noch.«

Hagrid stand auf, ging hinüber zur Kommode neben seinem Bett und begann nach etwas zu suchen. Sie achteten nicht sonderlich auf ihn, bis ein wahrhaft fürchterlicher Geruch in ihre Nasen drang.

»Hagrid, was ist das denn?«, hüstelte Ron.

»Hmh?«, sagte Hagrid und wandte sich mit einer großen Flasche in der Hand um.»Mögt ihr's nicht?«

»Ist das Rasierwasser?«, sagte Hermine mit halb erstickter Stimme.

»Ähm – Kölnischwasser«, murmelte Hagrid. Er lief rot an.»Vielleicht 'n bißchen viel«, sagte er unsicher.»Ich mach's wieder ab, wartet kurz…«

Er stapfte aus der Hütte und sie sahen, wie er sich am Wassertrog vor dem Fenster ungestüm wusch.

»Kölnischwasser?«, sagte Hermine verdutzt.»Hagrid?«

»Und was ist mit dem Haar und dem Anzug?«, setzte Harry viel sagend hinzu.

»Seht mal!«, sagte Ron plötzlich und deutete aus dem Fenster.

Hagrid hatte sich aufgerichtet und wandte sich um. Wenn er vorher rot geworden war, dann war dies nichts im Vergleich zu dem, was ihm jetzt passierte. Harry, Ron und Hermine waren so leise wie möglich aufgestanden, damit Hagrid sie nicht bemerkte, und sahen jetzt, durchs Fenster spähend, Madame Maxime und ihre Schüler aus der Kutsche steigen, offenbar ebenfalls auf dem Weg zum Fest. Sie konnten nicht hören, was Hagrid zu Madame Maxime sagte, doch sein Blick hatte sich verschleiert und sein Gesicht hatte einen Ausdruck der Verzückung angenommen, wie Harry ihn bei Hagrid nur einmal beobachtet hatte – als er den Babydrachen Norbert betrachtet hatte.

»Er geht mit ihr zusammen hoch zum Schloß!«, sagte Hermine entrüstet.»Ich dachte, wir sollten auf ihn warten!«

Hagrid warf nicht einmal einen kurzen Blick zurück zur Hütte, sondern stapfte an Madame Maximes Seite die Anhöhe zum Schloß hoch, in ihrem Gefolge die Schüler von Beauxbatons, die im Laufschritt gingen, um mithalten zu können.

»Er steht auf sie!«, sagte Ron ungläubig.»Na ja, wenn sie dann noch Kinder kriegen, stellen sie einen Weltrekord auf – ich wette, ein Baby von denen würde über 'ne Tonne wiegen.«

Sie verließen die Hütte und schlössen die Tür. Draußen war es schon überraschend dunkel. Sie wickelten sich fest in ihre Umhänge und machten sich auf den Weg hoch zum Schloß.

»Uuh, schaut mal, da sind die anderen!«, flüsterte Hermine.

Die Durmstrangs kamen vom See her zum Schloß hoch. Viktor Krum ging an der Seite Karkaroffs, die anderen trotteten hinter ihnen her. Ron verfolgte Krum mit aufgeregten Blicken, doch Krum erreichte das Portal ein wenig vor Harry, Ron und Hermine und betrat, ohne sich noch einmal umzuschauen, das Schloß.

In der kerzenerleuchteten Großen Halle gab es schon fast keine freien Stühle mehr. Der Feuerkelch hatte einen anderen Platz bekommen; er stand jetzt vor Dumbledores leerem Stuhl am Lehrertisch. Fred und George – von ihren Barten befreit – schienen ihre Enttäuschung ziemlich gut verkraftet zu haben.

»Ich hoffe, es wird Angelina«, sagte Fred, als Harry, Ron und Hermine sich setzten.

»Ich auch!«, sagte Hermine.»Na, wir werden es ja gleich erfahren!«

Das Halloween-Festessen schien viel länger zu dauern als üblich. Vielleicht weil es sein zweites Festmahl in zwei Tagen war, konnte Harry sich nicht mehr so heftig für die raffiniert zubereiteten Speisen begeistern. Wie alle anderen in der Halle – jedenfalls angesichts der ungeduldigen Mienen, des allgemeinen Gezappels, der sich ständig reckenden Hälse und neugierigen Blicke, ob Dumbledore endlich aufgegessen hatte -, wie alle anderen wollte Harry nur, daß sich die Teller leerten, und dann endlich hören, wer Champion geworden war.

Endlich kehrten die goldenen Teller in ihren ursprünglichen makellosen Zustand zurück; der Lärm in der Halle schwoll rasch an und erstarb dann wieder, kaum daß Dumbledore aufgestanden war. Professor Karkaroff und Madame Maxime zu seinen Seiten wirkten nicht weniger gespannt und erwartungsvoll als alle anderen. Ludo Bagman strahlte und zwinkerte dieser und jener Schülerin zu. Mr Crouch jedoch schien recht wenig interessiert, ja fast gelangweilt.

»Nun, der Kelch ist gleich bereit, seine Entscheidung zu fällen«, sagte Dumbledore.»Ich schätze, er braucht noch eine Minute. Wenn die Namen der Champions ausgerufen werden, bitte ich sie, hier aufs Podium zu kommen und am Lehrertisch vorbei in diese Kammer dort zu gehen -«, er deutete auf die Tür hinter dem Lehrertisch,»- wo sie dann ihre ersten Anweisungen erhalten.«

Er zückte den Zauberstab und schwang ihn ausladend durch die Luft; sofort erloschen alle Kerzen, nur in den geschnitzten Kürbissen flackerten sie noch, so daß nun alles im Halbdunkel lag. Der Feuerkelch leuchtete jetzt heller als alles andere in der Halle, das gleißende, blauweiß funkelnde Licht der Flammen stach sogar ein wenig in die Augen. Alle starrten auf den Kelch und warteten… hie und da blickte jemand auf die Uhr…

»Gleich geht's los«, flüsterte Lee Jordan zwei Plätze neben Harry.

Die Flammen im Kelch färbten sich plötzlich wieder rot. Funken sprühten aus der Glut. Im nächsten Augenblick schoß eine Flammenzunge in die Luft, ein verkohltes Stück Pergament flatterte heraus – und die ganze Halle hielt den Atem an.

Dumbledore fing das Pergament auf und hielt es mit gestrecktem Arm von sich, damit er es im Licht des Feuers lesen konnte, das nun wieder blauweiß war.

»Der Champion für Durmstrang«, las er mit klarer und kräftiger Stimme,»ist Viktor Krum.«

»Keine Überraschung!«, rief Ron, während Beifall und Jubel durch die Halle wogten. Harry sah Viktor Krum vom Slytherin-Tisch aufstehen und zu Dumbledore hochschlurfen; er wandte sich nach rechts, ging am Lehrertisch vorbei und verschwand durch die Tür in der Kammer dahinter.

»Bravo, Viktor!«, polterte Karkaroff so laut, daß er den Beifall übertönte.»Wußte doch, du hast es in den Knochen!«

Das Plappern und Schnattern erstarb. Nun richteten sich alle Augen wieder auf den Kelch, dessen Flammen sich sogleich wieder rot färbten. Ein zweites Pergament flog, hochgeschleudert von der Hitze, aus der Glut.

»Champion für Beauxbatons«, sagte Dumbledore,»ist Fleur Delacour!«

»Das ist sie, Ron!«, rief Harry, als das Mädchen, das einer Veela so ähnlich sah, sich anmutig erhob, seinen silbrig blonden Haarschopf zurückwarf und zwischen den Tischen der Ravenclaws und Hufflepuffs hindurchglitt.

»Oh, schau mal, die sind alle enttäuscht«, rief Hermine durch den Lärm und nickte zu den anderen Beauxbatons hinüber.»Enttäuscht«war ein wenig untertrieben, fand Harry. Zwei der Mädchen, die es nicht geschafft hatten, zerflossen in Tränen und vergruben schluchzend die Köpfe in den Händen.

Als auch Fleur Delacour in der Kammer verschwunden war, legte sich erneut Stille über die Halle, doch diesmal war es eine Stille, die so starr vor Anspannung war, daß man sie fast schmecken konnte. Jetzt kam der Name des Hogwarts-Champions…

Und das Feuer des Kelches färbte sich wiederum rot; Funken sprühten aus der Glut; eine Flamme züngelte hoch und aus ihrer Spitze zog Dumbledore das dritte Stück Pergament.

»Der Hogwarts-Champion«, rief er,»ist Cedric Diggory!«

»Nein!«, sagte Ron laut, doch keiner außer Harry hörte ihn; der Tumult am Nachbartisch war zu gewaltig. Ausnahmslos alle Hufflepuffs waren aufgesprungen, schrien und stampften mit den Füßen, während Cedric mit breitem Grinsen an ihnen vorbei auf die Kammer hinter dem Lehrertisch zuging. Tatsächlich hielt der Beifall für Cedric so lange an, daß Dumbledore einige Zeit brauchte, um sich wieder Gehör zu verschaffen.

»Bestens!«, rief Dumbledore glücklich, als der Aufruhr sich endlich legte.

»Schön, wir haben nun drei Champions. Ich bin sicher, ich kann mich darauf verlassen, daß ihr alle, auch die nicht ausgewählten Schüler aus Beauxbatons und Durmstrang, euren Champion mit äußerster Kraft unterstützt. Indem ihr euren Champion anfeuert, könnt ihr durchaus dazu beitragen -«

Doch Dumbledore verstummte plötzlich und es entging keinem, was ihn ablenkte.

Das Feuer des Kelches hatte sich abermals rot verfärbt. Eine lange Flamme schoß jäh in die Höhe und mit sich trug sie wiederum ein Pergament. Wie in Trance, so schien es, streckte Dumbledore seinen langen Arm aus und griff nach dem Blatt. Er hielt es von sich und las stumm den Namen, der daraufgeschrieben stand. Eine lange Pause trat ein, während deren Dumbledore auf das Blatt in seiner Hand starrte und alle anderen Dumbledore anstarrten. Und dann räusperte sich Dumbledore und las laut -

»Harry Potter.«

Die vier Champions

Harry saß da und wußte genau, daß jedes Augenpaar in der Großen Halle auf ihn gerichtet war. Er war geschockt. Er war gelähmt. Er mußte träumen. Er hatte nicht richtig gehört.

Niemand klatschte. Plötzlich kam ein Summen wie von einem Schwärm wütender Bienen in der Halle auf und wurde immer lauter; einige standen auf, um Harry besser sehen zu können, wie er da vollkommen starr auf seinem Platz hockte.

Oben am Lehrertisch war Professor McGonagall aufgestanden und an Ludo Bagman und Professor Karkaroff vorbei zu Professor Dumbledore gerauscht, der ihr mit leichtem Stirnrunzeln das Ohr zuneigte.

Harry wandte sich zu Ron und Hermine um; hinter ihnen saßen die anderen Gryffindors in langer Reihe an der Tafel und starrten ihn mit offenen Mündern an.

»Ich hab meinen Namen nicht eingeworfen«, sagte Harry fassungslos.»Das wißt ihr doch.«

Die beiden sahen ihn nicht minder fassungslos an.

Am Lehrertisch nickte Professor Dumbledore seiner Kollegin zu und stand dann auf.

»Harry Potter!«, rief er.»Harry! Nach oben, wenn ich bitten darf!«

»Geh schon«, flüsterte Hermine und versetzte Harry einen kleinen Schubs.

Harry stand auf, verhedderte sich im Saum seines Umhangs und geriet kurz ins Stolpern. Der Weg zwischen den Tischen der Gryffindors und Hufflepuffs hindurch kam ihm vor wie ein ungeheuer langer Marsch; der Lehrertisch wollte und wollte nicht näher kommen und ihm war, als würden ihm die vielen hundert Augen wie Suchscheinwerfer Schritt für Schritt folgen. Das Summen schwoll weiter an. Dann endlich, es mußte eine Stunde vergangen sein, stand er vor Dumbledore und jetzt spürte er die Blicke sämtlicher Lehrer auf sich gerichtet.

»Nun… durch die Tür, Harry«, sagte Dumbledore. Er lächelte nicht.

Harry ging am Lehrertisch entlang. Ganz am Ende saß Hagrid. Er zwinkerte Harry nicht zu, winkte auch nicht und hob auch nicht wie sonst immer die Hand zum Gruß. Er sah vollkommen verdattert aus und starrte, wie all die anderen auch, den vorbeigehenden Harry an. Harry ging durch die Tür und befand sich nun in einem kleineren Raum, an dessen Wänden Gemälde von Hexen und Zauberern hingen. Ein stattliches Feuer prasselte hinten im Kamin.

Kaum war er eingetreten, wandten sich ihm die Gesichter auf den Gemälden zu. Eine verhutzelte Hexe huschte aus ihrem Bilderrahmen, tauchte im nächsten, bei einem Zauberer mit Walroßschnurrbart, wieder auf und begann ihm ins Ohr zu flüstern.

Viktor Kram, Cedric Diggory und Fleur Delacour saßen am Kamin. Vor dem flackernden Feuer wirkten ihre Profile ungewöhnlich beeindruckend. Kram, ein wenig abseits von den anderen, lehnte in sich versunken an der Kamineinfassung. Cedric hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und stierte ins Feuer. Fleur Delacour wandte sich um, als Harry eintrat, und warf mit einer raschen Kopfbewegung ihr langes üppiges Silberhaar in den Nacken.

»Was ist los?«, sagte sie.»Sollen wir zurück in die 'alle?«

Sie dachte, Harry sei mit einer Nachricht gekommen. Harry wußte nicht, wie er erklären sollte, was soeben geschehen war. Er stand einfach da und sah die drei Champions an. Jetzt auf einmal fiel ihm auf, wie groß sie alle waren. Hinter sich hörte er hastige Schritte, dann trat Ludo Bagman ein. Er packte Harry am Arm und zog ihn beiseite.

»Unglaublich!«, murmelte er und drückte Harrys Arm.»Absolut unglaublich! Meine Herren… meine Dame«, ergänzte er und ging auf die anderen am Kamin zu.»Darf ich Ihnen – so unfaßlich es klingen mag – den vierten Champion unseres Turniers vorstellen?«

Viktor Krum richtete sich auf. Er sah Harry scharf an und sein mürrisches Gesicht verdüsterte sich noch mehr. Cedric schien vollkommen aus der Fassung geraten. Sein Blick wanderte von Bagman zu Harry und wieder zurück, als wäre er sich sicher, daß er Bagman soeben mißverstanden hatte. Fleur Delacour jedoch warf ihr Haar in den Nacken und sagte lächelnd:»Oh, sehr lustiger Wids, Miester Bagman.«

»Witz?«, echote Bagman verdutzt.»Nein, nein, keineswegs! Der Feuerkelch hat gerade Harrys Namen ausgegeben!«

Krams dichte schwarze Brauen zogen sich unmerklich zusammen. Cedric schien noch immer um Fassung zu ringen.

Fleur ranzelte die Stirn.»Aber offensischtlisch ist das ein Fehler«, sagte sie verächtlich in Richtung Bagman.»Är kann nischt teilnehmen. Är ist zu jung.«

»Nun ja… es ist höchst erstaunlich«, sagte Bagman. Er rieb sich das glatte Kinn und lächelte zu Harry hinunter.»Doch wie Sie wissen, wurde die Altersbegrenzung erst dieses Jahr eingeführt, als zusätzliche Sicherheitsvorkehrung. Und da der Kelch seinen Namen ausgegeben hat… es ist nun einmal so weit gekommen, und ich denke, dann darf man sich nicht drücken… es steht in den Regeln, er ist verpflichtet… Harry muß ganz einfach tun, was in seinen Kräften -«

Die Tür hinter ihm ging auf und eine größere Gruppe kam herein: Professor Dumbledore, dicht gefolgt von Mr Crouch, Professor Karkaroff, Madame Maxime, Professor McGonagall und Professor Snape. Harry hörte das Gesumme seiner Mitschüler hereindringen, bis Professor McGonagall die Tür schloß.

»Madame Maxime!«, rief Fleur und ging mit großen Schritten hinüber zu ihrer Lehrerin.»Man sagt, daß dieser kleine Junge 'ier ebenfalls teilnehmen soll!«

Irgendwo unter seiner Benommenheit und Ratlosigkeit spürte Harry einen zornigen Stich. Kleiner Junge?

Madame Maxime richtete sich zu ihrer stattlichen Größe auf. Mit ihrem schönen Kopf streifte sie den kerzenbesetzten Kronleuchter, und ihre mächtige, in schwarzen Satin gehüllte Brust hob sich.

»Was 'at das zu bedeuten, Dumbly-dorr?«, sagte sie in gebieterischem Ton.

»Das würde auch ich gerne wissen, Dumbledore«, sagte Professor Karkaroff. Er hatte ein stählernes Lächeln aufgesetzt und seine blauen Augen wirkten wie Eissplitter.»Zwei Champions für Hogwarts? Mir jedenfalls hat keiner gesagt, daß für die gastgebende Schule zwei Champions antreten dürfen – oder habe ich die Regeln nicht sorgfältig genug gelesen?«Er lachte kurz und gehässig auf.

»C'est impossible«, sagte Madame Maxime, deren gewaltige Hände mit ihren vielen herrlichen Opalen auf Fleurs Schulter ruhten.»'Ogwarts kann keine zwei Champions 'aben. Das ist 'öchst ungerescht.«

»Wir hatten darauf vertraut, daß ihre Alterslinie jüngere Bewerber fern halten würde, Dumbledore«, sagte Karkaroff noch immer stählern lächelnd, während seine Augen noch kälter wurden.»Denn sonst hätten wir natürlich eine größere Auswahl an Kandidaten aus unseren Schulen mitgebracht.«

»Dafür trägt einzig und allein Potter die Schuld, Karkaroff«, sagte Snape leise. Seine schwarzen Augen glühten heimtückisch.»Stellen Sie Dumbledore nicht an den Pranger, nur weil Potter so entschlossen ist, die Regeln zu brechen. Seit er an dieser Schule ist, übertritt er ständig Grenzen -«

»Danke, Severus«, sagte Dumbledore mit fester Stimme, und Snape verstummte, auch wenn seine Augen immer noch gehässig durch den Vorhang fettigen schwarzen Haares schimmerten.

Professor Dumbledore sah zu Harry hinunter, der ihm geradewegs in die Augen hinter den Halbmondgläsern schaute und versuchte, ihren Ausdruck zu entschlüsseln.

»Hast du den Zettel mit deinem Namen in den Feuerkelch geworfen, Harry?«, fragte Dumbledore ruhig.

»Nein«, sagte Harry. Er wußte, daß ihn alle scharf beobachteten. Snape ließ aus dem Hintergrund ein leises, unwilliges und ungläubiges Schnauben hören.

»Hast du einen älteren Schüler gebeten, deinen Namen für dich in den Feuerkelch zu werfen?«, fragte Professor Dumbledore ohne auf Snape zu achten.

»Nein«, sagte Harry nachdrücklich.

»Aah, aber natürlisch lügt er!«, rief Madame Maxime.

Snape schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf.

»Er wäre nicht über die Alterslinie gekommen«, sagte Professor McGonagall schneidend.»Ich bin sicher, wir stimmen alle darin überein -«

»Dumbly-dorr muß einen Fehler bei der Linie gemacht 'aben«, sagte Madame Maxime achselzuckend.

»Das ist natürlich möglich«, entgegnete Dumbledore höflich.

»Dumbledore, Sie wissen genau, daß Sie keinen Fehler gemacht haben!«, sagte Professor McGonagall aufgebracht.»Nun aber wirklich, was für ein Unsinn! Harry hätte die Linie nicht selbst übertreten können, und wenn Professor Dumbledore ihm glaubt, daß er keinen älteren Mitschüler dazu angestiftet hat, dann möchte ich doch hoffen, daß Sie alle damit zufrieden sind!«

Sie warf Professor Snape einen sehr zornigen Blick zu.

»Mr Crouch… Mr Bagman«, sagte Karkaroff nun mit salbungsvoller Stimme,»Sie sind unsere – ähm – unparteiischen Richter. Sie stimmen sicher mit mir überein, daß es sich hier um eine offene Regelverletzung handelt?«

Bagman wischte sich mit dem Taschentuch über das runde, jungenhafte Gesicht und sah Mr Crouch an, der außerhalb des Feuerscheins stand, das Gesicht halb im Schatten verborgen. Er sah ein wenig schaurig aus, das Halbdunkel machte ihn viel älter und verlieh ihm ein fast totenkopfartiges Aussehen. Er sprach jedoch in seinem üblichen barschen Ton.»Wir müssen die Regeln befolgen und in den Regeln heißt es klar, daß die Schüler, deren Namen der Feuerkelch ausgibt, verpflichtet sind, am Turnier teilzunehmen.«

»Tja, Barty kennt das Regelwerk praktisch auswendig«, strahlte Bagman und wandte sich wieder Karkaroff und Madame Maxime zu, als ob die Sache damit entschieden wäre.

»Ich bestehe darauf, noch einmal die Namen meiner übrigen Schüler einzuwerfen«, sagte Karkaroff. Der salbungsvolle Ton und das Lächeln waren von ihm abgefallen. Dafür hatte sein Gesicht einen ungemein häßlichen Ausdruck angenommen.»Sie werden den Feuerkelch noch einmal aufstellen, und wir werfen weitere Namen, ein, bis jede Schule zwei Champions hat. Das ist nur fair, Dumbledore.«

»Aber Karkaroff, das wird nicht möglich sein«, sagte Bag-man.»Der Feuerkelch ist soeben, erloschen – er wird sich erst wieder zu Beginn des nächsten Turniers entzünden -«

»- an dem Durmstrang ganz sicher nicht teilnehmen wird!«, warf Karkaroff zornig ein.»Nach all unseren Treffen und gemeinsamen Absprachen Hätte ich nicht erwartet, daß so etwas passieren könnte! Ich behalte mir vor, Hogwarts sofort zu verlassen!«

»Leere Drohung, Karkaroff«, knurrte eine Stimme an der Tür.»Sie können Ihren Champion jetzt nicht im Stich lassen. Er muß kämpfen. Sie alle müssen kämpfen. Es ist ein bindender magischer Vertrag, wie Dumbledore gesagt hat. Das paßt Ihnen doch, oder?«

Moody war gerade hereingekommen. Er hinkte auf das Feuer zu und jedes Mal, wenn er den rechten Fuß aufsetzte, gab es ein lautes Klonk.

»Das soll mir passen?«, sagte Karkaroff.»Ich fürchte, ich verstehe Sie nicht, Moody.«

Harry spürte, daß er eigentlich verächtlich klingen wollte, als wären Moodys Worte eine Entgegnung überhaupt nicht wert, doch seine Hände verrieten ihn; er hatte sie zu Fäusten geballt.

»Nicht?«, sagte Moody leise.»Es ist ganz einfach, Karkaroff. Jemand hat Potters Namen in den Kelch geworfen, und dieser Jemand wußte genau, daß Harry teilnehmen muß, wenn der Kelch ihn erwählt.«

»Offensischtlisch jemand, der wollte, daß 'Ogwarts zwei Chancen bekommt!«, sagte Madame Maxime.

»Sie haben vollkommen Recht, Madame Maxime«, sagte Karkaroff und verneigte sich vor ihr.»Ich werde Beschwerde beim Zaubereiministerium sowie bei der Internationalen Zauberervereinigung einreichen -«

»Wenn hier jemand Grund hat sich zu beschweren, dann ist es Potter«, knurrte Moody,»aber… komisch… von ihm höre ich kein Wort…«

»Warum sollte er sisch beschweren?«, platzte Fleur Dela-cour los und stampfte mit dem Fuß auf.»Er 'at die Chance teilzunehmen, nischt wahr? Wir anderen 'aben wochenlang darauf ge'offt! Die Ehre für unsere Schulen! EintausendGalleonen Preisgeld – für diese Chance würden viele sogar sterben!«

»Vielleicht hofft jemand, daß Potter tatsächlich dafür stirbt«, sagte Moody mit kaum noch merklichem Knurren.

Diesen Worten folgte ein äußerst gespanntes Schweigen.

Ludo Bagman trippelte nervös hin und her und entgegnete beklommen:»Moody, altes Haus… was sagen Sie denn da!«

»Wir alle wissen, daß Professor Moody den Morgen für verschwendet hält, wenn er nicht vor dem Mittagessen sechs Mordverschwörungen gegen sich aufdeckt«, sagte Karkaroff laut.»Offenbar bringt er jetzt auch seinen Schülern die Angst vor einem Attentat bei. Ein merkwürdiger Zug bei einem Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste, Dumbledore, aber Sie hatten bestimmt ihre Gründe, ihn kommen zu lassen.«

»Ich bilde mir Dinge ein, tatsächlich?«, knurrte Moody.»Ich sehe schon Gespenster, oder? Es war eine fähige Hexe oder ein Zauberer, der den Namen dieses Jungen in den Kelch geworfen hat…«

»Aah, wo sind die Beweise dafür?«, sagte Madame Maxime und ihre riesigen Hände ruderten durch die Luft.

»Hier wurde ein kraftvoller magischer Gegenstand ausgetrickst!«, sagte Moody.»Ein ungewöhnlich starker Verwechslungszauber war nötig, damit dieser Kelch vergißt, daß nur drei Schulen am Turnier teilnehmen… Ich vermute, daß Potters Name für eine vierte Schule eingeworfen wurde, denn dann galt er als deren einziger Kandidat…«

»Sie scheinen ja ausgiebig darüber nachgedacht zu haben, Moody«, entgegnete Karkaroff kühl,»und das ist natürlich eine ausgefuchste Theorie – allerdings ist mir zu Ohren gekommen, daß Sie jüngst die fixe Idee hatten, eines Ihrer Geburtstagsgeschenke sei ein raffiniert getarntes Basiliskenei. Sie schleuderten es deshalb gegen die Wand und mußten dann leider erkennen, daß es nur ein Resiewecker war. Sie müssen daher verstehen, daß wir Sie nicht ganz ernst nehmen können…«

»Ich denke an gewisse Leute, die harmlose Veranstaltungen für ihre Zwecke ins Gegenteil verkehren«, entgegnete Moody in drohendem Tonfall.»Wie Sie eigentlich wissen sollten, Karkaroff, ist es meine Aufgabe, mich in das Denken schwarzer Magier einzufühlen…«

»Alastor!«, sagte Dumbledore mahnen. Harry wunderte sich einen Moment lang, wen er damit meinte, doch dann wurde ihm klar, daß»Mad-Eye«wohl kaum Moodys richtiger Vorname sein konnte. Moody verstummte, beobachtete Karkaroff jedoch immer noch voll Genugtuung – und Karkaroffs Gesicht glühte.

»Wir wissen nicht, wie wir in diese Lage geraten sind«, sagte Dumbledore in die Runde.»Ich denke jedoch, wir haben wohl keine andere Wahl, als das Beste daraus zu machen. Sowohl Cedric als auch Harry wurden zu Teilnehmern des Turniers bestimmt. Daher werden sie auch…«

»Ah, aber Dumbly-dorr -«

»Meine liebe Madame Maxime, wenn Sie einen anderen Vorschlag haben, wäre ich erfreut ihn zu hören.«

Dumbledore wartete, doch Madame Maxime schwieg und sah ihn nur zornfunkelnd an. Und sie war nicht die Einzige. Auch Snape sah wütend aus; Karkaroff schien vor Zorn zu kochen. Bagman jedoch machte den Eindruck, als sei er vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen.

»Nun, wie steht's, legen wir los?«, sagte er, rieb sich die Hände und lächelte in die Runde.»Wir müssen unseren Champions doch sagen, um was es geht. Barty, ich erteile dir das Wort.«

Mr Crouch schien aus tiefer Nachdenklichkeit zu erwachen.

»Ja«, sagte er langsam,»die Anweisungen. Ja… die erste Aufgabe…«

Er trat ins Licht des Feuers. Von nahem, fand Harry, sah er krank aus. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen und seine runzlige Haut wirkte, ganz anders als bei der Weltmeisterschaft, dünn und papieren.

»Die erste Aufgabe dient dazu, Ihren Mut auf die Probe zu stellen«, verkündete er Harry, Cedric, Fleur und Krum,»und deshalb sagen wir Ihnen nicht, um was es geht. Kühnheit angesichts der überraschenden Gefahr ist ein sehr wichtiger Charakterzug von Zauberern… sehr wichtig…

Die erste Aufgabe werden wir Ihnen am vierundzwanzigsten November stellen, vor all Ihren Mitschülern und den Schiedsrichtern.

Den Champions ist es nicht gestattet, von ihren Lehrern Hilfe irgendwelcher Art zu erbitten oder anzunehmen, damit sie die Aufgaben lösen können. Sie werden sich der ersten Herausforderung nur mit ihrem Zauberstab bewaffnet stellen müssen. Wenn die erste bewältigt ist, erhalten sie Auskunft über die zweite Aufgabe. Da das Turnier äußerste Kraft und viel Zeit verlangt, sind die Champions von den Jahresabschlußprüfungen freigestellt.«

Mr Crouch wandte sich an Dumbledore.»Ich glaube, das ist alles, Albus?«

»Ich denke auch«, sagte Dumbledore und sah Mr Crouch ein wenig besorgt an.»Sind Sie sicher, daß Sie heute Nacht nicht in Hogwarts bleiben wollen, Barty?«

»Ja, Dumbledore, ich muß zurück ins Ministerium«, sagte Mr Crouch.»Wir haben im Moment eine schwierige und arbeitsreiche Zeit… ich habe dem jungen Weatherby die Verantwortung überlassen, solange ich weg bin… sehr eifrig… ein wenig übereifrig, um die Wahrheit zu sagen…«

»Bevor Sie gehen, schauen Sie doch auf ein Gläschen bei mir vorbei?«, sagte Dumbledore.

»Jetzt komm schon, Barty, ich bleibe auch hier!«, sagte Bagman ausgelassen.»Hier in Hogwarts spielt jetzt die Musik, das ist doch viel spannender als das Büroleben!«

»Das glaube ich nicht, Ludo«, sagte Crouch mit einem Anflug seiner früheren Ungeduld.

»Professor Karkaroff – Madame Maxime – noch einen Schlummertrunk?«, fragte Dumbledore.

Doch Madame Maxime hatte bereits ihren Arm um Fleurs Schultern gelegt und führte sie rasch hinaus. Harry hörte, wie sie sich draußen in der Halle sehr schnell auf Französisch unterhielten. Karkaroff winkte Krum zu und auch sie gingen hinaus, allerdings schweigend.

»Harry, Cedric, ich schlage vor, ihr geht jetzt nach oben«, sagte Dumbledore und lächelte beiden zu.»Ich bin sicher, die Gryffindors und Hufflepuffs warten nur darauf, mit euch zu feiern, und es wäre jammerschade, sie dieses trefflichen Vorwandes zu berauben, eine Menge Müll und Lärm zu machen.«

Harry warf Cedric einen Blick zu, Cedric nickte, und sie gingen zusammen hinaus.

Die Große Halle lag jetzt verlassen da; die Kerzen waren heruntergebrannt und das schartige und flackernde Grinsen der Kürbisse hatte etwas Unheimliches angenommen.

»So ist das also«, sagte Cedric mit einem halben Lächeln.»Wir spielen schon wieder gegeneinander!«

»Sieht so aus«, sagte Harry. Etwas Besseres fiel ihm einfach nicht ein. In seinem Kopf schien alles durcheinander gewirbelt zu sein, als hätte ihn jemand kräftig geschüttelt.

»Dann… verrat mir mal eines…«, sagte Cedric in der Eingangshalle, die jetzt, da der Feuerkelch verschwunden war, nur noch im Licht der Fackeln dalag.»Wie hast du deinen Namen da reingebracht?«

»Hab ich nicht«, sagte Harry und sah zu ihm hoch.»Ich hab ihn nicht eingeworfen. Ich sag die Wahrheit.«

»Ah… na gut«, sagte Cedric. Harry wußte, daß er ihm nicht glaubte.»Na ja… wir sehen uns.«

Cedric nahm nicht die Marmortreppe, sondern ging rechts an ihr vorbei auf eine Tür zu. Harry blieb stehen und lauschte, wie Cedric eine steinerne Treppe hinunterstieg, dann ging er langsam die Marmortreppe hoch.

Würde irgend jemand außer Ron und Hermine ihm glauben, oder würden sie alle denken, er selbst hätte seinen Namenszettel in den Kelch geworfen? Doch wie konnte jemand so etwas glauben, wo doch seine Konkurrenten drei Jahre länger Zaubern gelernt hatten – und zudem mußte er nicht nur diese Aufgaben bewältigen, die so richtig nach Gefahr rochen, sondern es würden auch noch Hunderte von Menschen dabei sein und ihm zusehen. Ja, er hatte daran gedacht… er hatte mit dem Gedanken gespielt… er hatte davon geträumt… doch im Grunde war es ein Witz gewesen, der keine Folgen haben sollte… er hatte nie und nimmer ernsthaft vorgehabt teilzunehmen…

Doch jemand anderes hatte es getan… jemand wollte, daß er am Turnier teilnahm, und hatte dafür gesorgt, daß sein Name ins Spiel gebracht wurde. Warum? Um ihm einen Gefallen zu tun? Das konnte er kaum glauben…

Um zu sehen, wie er sich zum Narren machte? In diesem Fall würde der Wunsch wohl in Erfüllung gehen…

Doch um ihn sterben zu sehen? Litt Moody nur wieder an seinem üblichen Verfolgungswahn? War es nicht möglich, daß jemand seinen Namen in den Kelch geworfen hatte, um sich einen Scherz zu erlauben, um ihn zu triezen? Wollte wirklich jemand, daß er starb?

Diese Frage konnte Harry sofort beantworten. Ja, jemand wollte ihn tot sehen, jemand wünschte ihm den Tod, seit er ein Jahr alt gewesen war… Lord Voldemort. Doch wie hätte es Voldemort bewerkstelligen sollen, seinen Namen in den Feuerkelch zu werfen? Voldemort war angeblich weit weg, in einem fernen Land, und versteckte sich, einsam und allein… entkräftet und machtlos…

Doch in jenem Traum, aus dem er mit schmerzender Narbe hochgeschreckt war, war Voldemort nicht allein gewesen… er hatte mit Wurmschwanz gesprochen… und mit ihm den Mord an Harry ausgeheckt…

Harry erschrak, denn er stand plötzlich vor der fetten Dame. Er hatte kaum wahrgenommen, wohin ihn seine Füße trugen. Eine Überraschung war auch, daß sie nicht allein in ihrem Rahmen war. Die verhutzelte Hexe, die in das Gemälde ihres Nachbarn huschte, als er vorhin in den kleinen Raum gekommen war, saß nun mit blasierter Miene neben der fetten Dame. Sie mußte durch jedes Bild entlang der sieben Treppen gehastet sein, nur um vor ihm hier anzukommen. Die Hexe und die fette Dame sahen ihn höchst interessiert von oben herab an.

»Schön, schön, schön«, sagte die fette Dame.»Violet hat mir soeben alles erzählt. Wer ist nun also gerade zum Schulchampion bestimmt worden?«

»Quatsch«, sagte Harry dumpf.

»Das ist es ganz sicher nicht«, sagte die Hutzelhexe entrüstet.

»Nein, nein, Vi, es ist das Paßwort«, beschwichtigte sie die fette Dame, und sie schwang an ihren Angeln hängend zur Seite, um Harry einzulassen.

Der Lärmschwall, der durch das Porträtloch an Harrys Ohren drang, riß ihn beinahe von den Füßen. Dann wußte er nur noch, daß ein Dutzend Händepaare ihn in den Gemeinschaftsraum zerrte, wo ganz Gryffindor schreiend, klatschend und pfeifend auf ihn wartete.

»Du hättest uns was sagen sollen!«, brüllte Fred halb verärgert, doch auch schwer beeindruckt.

»Wie hast du es geschafft, ohne daß dir ein Bart gewachsen ist? Genial!«, polterte Fred.

»Hab ich nicht«, sagte Harry.»Ich weiß nicht, wie -«

Doch Angelina hatte sich nun seiner angenommen.»Tja, wenn nicht ich, dann wenigstens ein anderer Gryffindor -«

»Jetzt kannst du es Diggory für das letzte Quidditch-Spiel heimzahlen!«, kreischte Katie Bell, ebenfalls eine Gryffindor-Jägerin.

»Wir haben was zu essen, Harry, komm, hau rein -«

»Ich hab keinen Hunger, wirklich, ich hab beim Fest genug gegessen -«

Doch niemand wollte hören, daß er keinen Hunger hatte; niemand wollte hören, daß nicht er selbst seinen Namen in den Feuerkelch geworfen hatte; nicht ein Einziger von ihnen schien zu merken, daß er überhaupt nicht in Feierstimmung war… Lee Jordan hatte irgendwo ein Gryffindor-Banner ausgegraben und er ließ sich nicht davon abbringen, es wie eine Toga um Harry zu wickeln. Kein Entkommen für Harry; wann immer er versuchte sich zur Schlafsaaltreppe zu verdrücken, schloß sich die Schar um ihn und drängte ihm noch ein Butterbier auf, drückte ihm Kartoffelchips und Erdnüsse in die Hände… alle wollten sie wissen, wie er es geschafft hatte, Dumbledores Alterslinie auszutricksen und seinen Namenszettel in den Kelch zu werfen…

»Ich war's nicht«, sagte er immer und immer wieder.»Ich weiß nicht, was passiert ist.«

Doch er hätte genauso gut den Mund halten können, so wenig hörten sie ihm zu.

»Ich bin müde!«, brüllte er schließlich, nach fast einer halben Stunde.»Nein, im Ernst, George, ich geh zu Bett -«

Er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Ron und Hermine zu sprechen und wieder ein wenig zu sich zu kommen, aber keiner von beiden schien hier zu sein. Noch einmal rief er, daß er Schlaf brauche, und trat fast die kleinen Creevey-Brüder platt, die ihm am Fuß der Treppe auflauerten. Doch dann gelang es ihm, alle abzuschütteln, und er hastete, so schnell er konnte, die Treppe hoch zum Schlafsaal.

Zu seiner großen Erleichterung fand er Ron noch angezogen auf dem Bett im sonst leeren Schlafsaal liegen. Dieser hob den Kopf, als Harry die Tür hinter sich schloß.

»Wo warst du?«, fragte Harry.

»Ach, hallooh«, sagte Ron.

Er grinste, doch es war ein sehr merkwürdiges, gezwungenes Grinsen. Harry wurde plötzlich klar, daß er immer noch das scharlachrote Gryffindor-Banner trug, das Lee ihm umgebunden hatte. Rasch wollte er es losschnüren, doch es war sehr fest verknotet. Ron lag reglos auf dem Bett und sah Harry zu, wie er verzweifelt versuchte das Tuch loszuwerden.

»Na denn«, sagte er, als sich Harry endlich von dem Banner befreit und es in eine Ecke gepfeffert hatte.»Gratuliere.«

»Was soll das denn heißen, gratuliere?«, sagte Harry und sah Ron finster an. Etwas stimmte offensichtlich nicht mit Rons Lächeln; es war eher eine Grimasse.

»Na ja… keiner sonst ist über die Alterslinie gekommen«, sagte Ron.»Nicht mal Fred und George. Wie hast du's gemacht – mit dem Tarnurnhang?«

»Mit dem Tarnurnhang wäre ich nicht über diese Linie gekommen«, sagte Harry langsam.

»Na gut«, sagte Ron.»Ich dachte nur, du hättest es mir sagen können, wenn es der Umhang gewesen wäre… da hätten wir immerhin beide druntergepaßt, oder? Aber du hast was anderes gefunden?«

»Hör zu«, sagte Harry,»ich hab meinen Namen nicht in diesen Kelch geworfen. Jemand anderes muß es getan haben.«

Ron hob die Brauen.»Warum sollte jemand das tun?«

»Weiß ich nicht«, sagte Harry. Er hatte das Gefühl, es würde auf peinliche Art schaurig klingen, wenn er sagen würde,»um mich zu töten«.

Ron zog die Augenbrauen so weit hoch, daß sie unter seinen Haaren zu verschwinden schienen.

»Es ist schon in Ordnung, mir jedenfalls kannst du die Wahrheit erzählen«, sagte er.»Wenn du nicht willst, daß es alle erfahren, schön, aber ich weiß nicht, warum du auch noch anfängst zu lügen, du hast ja nicht einmal Ärger gekriegt, oder? Diese Freundin der fetten Dame, Violet, hat uns schon alles erzählt. Dumbledore läßt dich teilnehmen. Tausend Galleonen Preisgeld, aber hallo. Und von den Prüfungen bist du auch befreit…«

»Ich hab meinen Namen nicht in diesen Kelch geworfen!«, sagte Harry mit einem Anflug von Ärger.

»Jaah, schon gut«, erwiderte Ron und klang dabei genauso ungläubig wie Cedric.»Aber du hast doch heute Morgen gesagt, du hättest es in der Nacht getan, damit dich keiner sieht… ich bin nicht blöd, weißt du.«

»Aber den Blödmann spielst du ziemlich gut«, blaffte ihn Harry an.

»Jaah?«, sagte Ron, und jetzt war keine Spur eines Grinsens, ob echt oder falsch, auf seinem Gesicht.»Du willst jetzt sicher schlafen, Harry, ich denke, du mußt morgen früh raus, für einen Fototermin oder so was.«

Ron zog die Vorhänge seines Himmelbetts zu, und Harry stand an der Tür und starrte auf den dunkelroten Stoff, der nun einen der wenigen Menschen verbarg, von denen er überzeugt gewesen war, daß sie ihm glauben würden.

Die Eichung der Zauberstäbe

Als Harry am Sonntagmorgen erwachte, wußte er zunächst nicht, warum er sich so besorgt und niedergeschlagen fühlte. Dann überkam ihn die Erinnerung an den Abend zuvor. Er setzte sich auf und riß die Bettvorhänge zur Seite, um auf der Stelle mit Ron zu sprechen, denn Ron mußte ihm jetzt einfach glauben – doch dann sah er, daß Rons Bett leer war; offenbar war er schon unten beim Frühstück.

Harry zog sich an und stieg die Wendeltreppe in den Gemeinschaftsraum hinunter. Kaum war er eingetreten, fingen seine Mitschüler, die schon gefrühstückt hatten, erneut an zu klatschen. Die Aussicht, in die Große Halle zu gehen und dort den anderen Gryffindors zu begegnen, die ihn ebenfalls wie einen Helden feiern würden, war nicht besonders verlockend; doch sollte er hier bleiben und sich von den Cree-vey-Brüdern in die Zange nehmen lassen, die ihn begeistert zu sich herüberwinkten? Entschlossen ging er zum Porträtloch, kletterte hinaus und sah sich plötzlich Hermine gegenüber.

»Hallo«, sagte sie. In der Hand hatte sie ein paar in Servietten gewickelte Toastbrote.»Das hier ist für dich… hast du vielleicht Lust auf einen Spaziergang?«

»Gute Idee«, sagte Harry dankbar.

Sie gingen hinunter, durchquerten rasch die Eingangshalle, gingen hinaus und schlenderten über den Rasen zum See hinüber, wo das am Ufer vertäute Schiff der Durmstrangs sich schwarz im Wasser spiegelte. Es war ein kalter Morgen, und während sie im Gehen ihre Brote aßen, schilderte Harry ganz genau, was am Abend zuvor, nachdem er den Gryffindor-Tisch verlassen hatte, geschehen war. Als er merkte, daß Hermine ihm seine Geschichte ohne weitere Nachfragen glaubte, fiel ihm ein schwerer Stein vom Herzen.

»Hör mal, natürlich war mir klar, daß du dich nicht selbst ins Spiel gebracht hast«, sagte sie, nachdem er ihr geschildert hatte, was in dem Raum hinter dem Lehrertisch geschehen war.»Du hättest dein Gesicht sehen sollen, als Dumbledore deinen Namen ausgerufen hat! Die Frage ist nur, wer hat den Zettel wirklich eingeworfen? Denn Moody hat Recht, Harry… ich glaube nicht, daß es ein Schüler getan hat… keiner von uns hätte es geschafft, den Kelch zu täuschen oder über Dumbledores Linie -«

»Hast du Ron gesehen?«, warf Harry ein.

Hermine zögerte.

»Ähm… ja… er war beim Frühstück«, sagte sie.

»Glaubt er immer noch, daß ich meinen Namenszettel selbst eingeworfen habe?«

»Hmh… nein, ich denke nicht… nicht wirklich«, sagte Hermine verlegen.

»Was soll das heißen, nicht wirklich?«

»Oh, Harry, ist das nicht klar?«, sagte Hermine verzweifelt.»Er ist neidisch!«

»Neidisch?«, sagte Harry ungläubig.»Neidisch auf was? Will er sich vielleicht vor der ganzen Schule zum Deppen machen?«

»Sieh mal«, sagte Hermine geduldig,»immer bist du es, der alle Aufmerksamkeit bekommt, das weißt du doch. Natürlich, du kannst nichts dafür«, fügte sie rasch hinzu, denn Harry riß empört den Mund auf.»Mir ist klar, du legst es nicht darauf an… aber – na ja – Ron hat so viele Brüder, mit denen er sich zu Hause messen muß, und du bist sein bester Freund und bist richtig berühmt – wenn Leute auf dich zukommen, wird er immer beiseite gedrängt, und er steckt es weg und sagt nie ein Wort, aber ich glaube, das war ihm nun doch zu viel…«

»Großartig«, sagte Harry erbittert.»Wirklich großartig. Richte ihm von mir aus, daß ich jederzeit mit ihm tausche. Du kannst ihm ja sagen, er darf es gerne mal selbst ausprobieren… wo ich auch hinkomme, ständig glotzen mir die Leute auf die Stirn…«

»Ich richte ihm gar nichts aus«, sagte Hermine kurz angebunden.»Sag es ihm selbst, nur so könnt ihr die Sache zwischen euch klären.«

»Ich lauf ihm doch nicht nach und helf ihm, erwachsen zu werden!«, sagte Harry so laut, daß einige Eulen in einem nahen Baum erschrocken aufflatterten.»Vielleicht glaubt er mir erst dann, daß ich es nicht zum Spaß mache, wenn ich mir den Hals breche oder -«

»Das ist nicht komisch«, sagte Hermine leise.»Das ist überhaupt nicht komisch.«Sie schien zutiefst beunruhigt.»Harry, ich habe nachgedacht – du weißt, was wir tun müssen, sobald wir wieder im Schloß sind?«

»Allerdings, Ron einen saftigen Tritt in den -«

»An Sirius schreiben. Du mußt ihm sagen, was passiert ist. Er hat dich gebeten, ihn über alles, was in Hogwarts geschieht, auf dem Laufenden zu halten… mir kommt es vor, als hätte er beinahe erwartet, daß so etwas passiert. Hier, ich hab ein Blatt Pergament und eine Feder mitgebracht -«

»Nun beruhige dich doch«, sagte Harry und sah sich um, ob jemand lauschte, doch außer ihnen war niemand hier draußen.

»Er ist wieder ins Land gekommen, nur weil meine Narbe geziept hat. Wahrscheinlich kommt er gleich mit Riesenkaracho ins Schloß gerauscht, wenn ich ihm sage, daß mich jemand ins Trimagische Turnier geschmuggelt hat -«

»Das würde er sicher von dir erfahren wollen«, sagte Hermine beharrlich.»Und er wird es ohnehin rausfinden -«

»Wie?«

»Harry, das wird doch kein Geheimnis bleiben«, sagte Hermine mit großem Ernst.»Dieses Turnier ist berühmt, und du bist berühmt, ich wäre wirklich überrascht, wenn der Tagesprophet nichts darüber bringen würde, daß du teilnimmst… du stehst doch schon in jedem zweiten Buch über Du-weißt-schon-wen… und Sirius würde es lieber von dir selbst erfahren, da bin ich mir sicher.«

»Schon gut, ich schreib ihm«, sagte Harry und warf sein letztes Stück Toast in den See. Sie warteten eine Weile und beobachteten, wie es zunächst auf dem Wasser trieb, bis ein mächtiger Greifarm aus der Tiefe heraufstieß und es mit sich hinunterriß. Dann kehrten sie zum Schloß zurück.

»Wessen Eule soll ich denn losschicken?«, sagte Harry, als sie die Treppen hochstiegen.»Er hat doch geschrieben, ich solle Hedwig nicht mehr nehmen.«

»Frag doch Ron, ob er dir nicht -«

»Ich frag Ron gar nichts«, sagte Harry lustlos.

»Dann leih dir eine von den Schuleulen, die sind für alle da«, sagte Hermine.

Sie stiegen hoch in die Eulerei. Hermine reichte Harry ein Stück Pergament, eine Feder und ein Tintenfaß, und Harry setzte sich an die Wand und schrieb seinen Brief.

Lieber Sirius,

du hast mir geschrieben, ich solle dich über das, was in Hogwarts passiert, auf dem Laufenden halten, also los geht's: Ich weiß nicht, ob du es schon gehört hast, jedenfalls findet dieses Jahr das Trimagische Turnier statt und am Samstagabend wurde ich zum vierten Champion gewählt. Ich weiß nicht, wer meinen Namen in den Feuerkelch geworfen hat, ich jedenfalls war es nicht. Der andere Hogwarts-Champion ist Cedric Diggory von den Hufflepuffs.

An dieser Stelle hielt er inne und überlegte. Es drängte ihn, über seine Angst zu schreiben, die seit letzter Nacht wie ein riesiger Knoten in seiner Brust saß, doch ihm fiel nicht ein, wie er dies in Worte fassen sollte, und so tauchte er die Feder wieder ins Tintenfaß und schrieb nur:

Ich hoffe, dir geht es gut und Seidenschnabel auch.

Harry

»Fertig«, sagte er zu Hermine, stand auf und klopfte sich das Stroh vom Umhang. Sofort kam Hedwig auf seine Schulter geflattert und streckte ein Bein aus.

»Ich kann dich nicht nehmen«, erklärte ihr Harry und sah sich nach den Schuleulen um.»Ich muß eine von deinen Kolleginnen schicken…«

Hedwig stieß einen lauten Schrei aus und flatterte so abrupt los, daß ihre Krallen in seine Schulter schnitten. Während Harry seinen Brief an das Bein einer großen Schleiereule band, kehrte sie ihm beharrlich den Rücken zu. Als die Schleiereule dann losgeflogen war, streckte Harry die Hand aus, um Hedwig zu streicheln, doch sie klackerte nur zornig mit dem Schnabel und flatterte ins Dachgerüst davon.

»Erst Ron und dann auch noch du«, sagte Harry wütend.»Ich kann doch nichts dafür.«

* * *

Harry hatte die leise Hoffnung gehegt, es würde ihm besser gehen, sobald alle sich an den Gedanken gewöhnt hatten, daß er Champion war, doch der Tag darauf zeigte ihm, wie falsch er damit lag. Er konnte den anderen Mitschülern nicht länger aus dem Weg gehen, da er jetzt wieder Unterricht hatte – und es war klar, daß die Schüler der anderen Häuser, genau wie die Gryffindors, dachten, er hätte sich selbst für das Turnier beworben. Im Gegensatz zu den Gryffindors jedoch schienen sie nicht beeindruckt.

Die Hufflepuffs, die normalerweise glänzend mit ihnen auskamen, zeigten sich erstaunlich abweisend gegen alle Gryffindors. Eine Stunde Kräuterkunde reichte, um ihnen das klarzumachen. Es war offensichtlich, daß die Hufflepuffs dachten, Harry hätte ihrem Champion die Schau gestohlen; vielleicht setzte sich dieser Gedanke bei ihnen um so stärker fest, als die Hufflepuffs bislang nur wenig Ruhm geerntet hatten und Cedric, der einst Gryffindor im Quidditch geschlagen hatte, einer der wenigen war, die je Lorbeeren für das Haus geholt hatten. Ernie Macmillan und Justin Finch-Fletchley, mit denen Harry sich sonst gut verstand, redeten nicht mehr mit ihm, obwohl sie am selben Setzkasten standen und Springende Knollen umtopften. Dafür lachten sie spöttisch, als sich eine der Springenden Knollen Harrys Griff entwand und ihm knallhart ins Gesicht schlug. Auch Ron sprach nicht mehr mit Harry. Hermine saß zwischen ihnen und machte sehr gezwungene Konversation. Doch während beide ihr ganz wie immer antworteten, vermieden sie es, sich gegenseitig in die Augen zu sehen. Harry hatte das Gefühl, sogar Professor Sprout sei nicht gut auf ihn zu sprechen – schließlich war sie die Leiterin des Hauses Hufflepuff.

Unter gewöhnlichen Umständen hätte er sich darauf gefreut, Hagrid zu treffen, doch Pflege magischer Geschöpfe hieß auch, daß sie auf die Slytherins trafen – das erste Mal seit seiner Wahl zum Champion hatte er wieder mit ihnen zu tun.

Wie abzusehen kam Malfoy mit jenem hämischen Grinsen, das bereits mit ihm verwachsen war, auf Hagrids Hütte zu.

»Aaah, seht her, Jungs, der Champion persönlich«, sagte er zu Crabbe und Goyle, sobald sie nah genug waren, daß Harry ihn hören konnte.»Habt ihr eure Autogrammbücher dabei? Dann holt euch besser gleich eine Unterschrift, ich bin mir nicht sicher, ob er noch lange unter uns weilt… die Hälfte der Turnier-Champions ist umgekommen… wie lange, glaubst du, hältst du es aus, Potter? Zehn Minuten in der ersten Runde, schätze ich.«

Crabbe und Goyle johlten kriecherisch, doch Malfoy verstummte plötzlich, denn Hagrid kam hinter seiner Hütte hervor, in den Armen einen wackligen Stapel Holzkisten, die jeweils einen prächtig gediehenen Knallrümpfigen Kröter enthielten. Zum Entsetzen der Klasse verkündete Hagrid, der Grund, warum die Kröter sich gegenseitig umbrächten, sei ganz einfach zu viel angestaute Energie, und die Therapie bestehe darin, daß sich jeder von ihnen einen Kröter nehme, eine Leine an ihm befestige und einen kleinen Spaziergang mit ihm mache. Das einzig Gute an Hagrids Ausführungen war, daß sie Malfoy auf andere Gedanken brachten.

»Diese Viecher spazieren führen?«, sagte er angewidert und starrte in eine der Kisten.»Und wo genau sollen wir die Leine befestigen? Um den Stachel, den Knallrumpf oder den Saugnapf?«

»Um die Mitte«, sagte Hagrid und machte es sogleich vor.»Ähm – vielleicht zieht ihr eure Drachenhauthandschuhe über, nur so zur Vorsicht, nich. Harry – komm doch mal her und hilf mir mit diesem Großen da…«

In Wahrheit wollte Hagrid ein wenig abseits von der Klasse ein Wort mit Harry wechseln.

Er wartete, bis die anderen mit ihren Krötern losmarschiert waren, dann wandte er sich Harry zu und sagte mit ernster Miene:»Also – du kämpfst mit, Harry. Im Turnier. Schul-Schämpion.«

»Einer der Champions«, berichtigte ihn Harry.

Hagrids käferschwarze Augen sahen sehr beunruhigt unter seinen wilden Brauen hervor.»Keine Ahnung, wer dich da reingebracht hat, Harry?«

»Du glaubst mir also, daß ich es nicht war?«, sagte Harry und konnte kaum verbergen, wie unendlich dankbar er für Hagrids Worte war.

»Natürlich«, grummelte Hagrid.»Du sagst, du warst es nich, und ich glaub dir – und Dumbledore glaubt dir nämlich auch.«

»Wenn ich nur wüßte, wer es wirklich war«, sagte Harry erbittert.

Sie sahen hinüber auf den Rasen; Harrys Mitschüler hatten sich weit über das Gelände verteilt und alle hatten enorme Schwierigkeiten mit den Krötern. Sie waren inzwischen über einen Meter lang und hatten gewaltige Kräfte entwickelt. Auch waren sie nicht mehr schalen- und farblos, sondern hatten eine Art dicken, gräulich glänzenden Panzer ausgebildet. Sie sahen aus wie eine Kreuzung zwischen einem Riesenskorpion und einer langen Krabbe – doch Köpfe oder Augen waren immer noch nicht zu erkennen. Wegen ihrer ungeheuren Kräfte waren sie kaum noch zu bändigen.

»Sieht ganz danach aus, als hätten sie Spaß dabei, oder?«, sagte Hagrid munter. Harry nahm an, daß er die Kröter meinte, denn seine Mitschüler hatten mit Sicherheit keinen Spaß; hin und wieder explodierte einer der Kröterrümpfe mit einem erschreckend lauten Knall, und das Geschöpf schleuderte ein paar Meter nach vorn. Nicht wenige Schüler rutschten, die Leine in der Hand, bäuchlings über den Rasen

und versuchten verzweifelt, wieder auf die Beine zu kommen.

»Ach, ich weiß nicht, Harry«, seufzte Hagrid plötzlich und sah ihn mit besorgter Miene an.»Schul-Schämpion… dir scheint auch alles in den Schoß zu fallen, oder?«

Harry antwortete nicht. Ja, alles schien ihm in den Schoß zu fallen… das war ungefähr das, was Hermine bei ihrem Spaziergang um den See gesagt hatte, und das war ihr zufolge der Grund, warum Ron nicht mehr mit ihm sprach.

* * *

Die nächsten Tage gehörten zu den schlimmsten, die Harry in Hogwarts je erlebt hatte. Ganz ähnlich war es ihm schon einmal während jener Monate ergangen, als fast alle in Hogwarts ihn verdächtigt hatten, seine Mitschüler anzugreifen. Doch damals hatte Ron auf seiner Seite gestanden. Harry hatte das Gefühl, wenn Ron nur wieder sein Freund wäre, könnte er das Verhalten der anderen leichter ertragen, doch auf keinen Fall wollte er versuchen, wieder mit Ron zu sprechen, wenn Ron selbst es nicht wollte. So blieb er einsam und bekam die Abneigung der anderen täglich zu spüren.

Die Hufflepuffs konnte er verstehen, auch wenn er es nicht gut fand, wie sie sich aufführten; immerhin hatten sie ihren eigenen Champion, den sie unterstützen mußten. Von den Slytherins erwartete er ohnehin nichts anderes als fiese Beleidigungen – dort war er seit langem verhaßt, da er bei den Gryffindors oft tatkräftig mitgeholfen hatte, die Slytherins zu besiegen, sowohl im Quidditch als auch im Schulwettkampf der Häuser. Doch er hatte daraufgesetzt, daß wenigstens die Ravenclaws sich dazu durchringen würden, ihn ebenso eifrig zu unterstützen wie Cedric. Und darin hatte er sich geirrt. Die meisten Ravenclaws schienen zu glauben, er sei nur darauf aus, noch mehr Ruhm zu ernten, und habe deshalb dem Kelch seinen Namen untergeschoben.

Hinzu kam, daß Cedric einen viel besser aussehenden Champion hergab als Harry. Cedric war mit seiner geraden Nase, seinem dunklen Haar und seinen grauen Augen ungewöhnlich hübsch, und es war schwer zu sagen, wer dieser Tage mehr Aufmerksamkeit bekam, Cedric oder Viktor Krum. Tatsächlich beobachtete Harry eines Tages beim Mittagessen dieselben Mädchen aus der sechsten Klasse, die so scharf auf Krums Autogramm gewesen waren, wie sie Cedric anflehten, seinen Namenszug auf ihre Schultaschen zu schreiben.

Unterdessen wartete er immer noch auf eine Antwort von Sirius. Hedwig weigerte sich, auch nur in seine Nähe zu kommen, Professor Trelawney sagte seinen Tod mit noch größerer Bestimmtheit als sonst voraus, und bei Professor Flitwick war er so schlecht im Aufrufezaubern, daß er noch eine Extraportion Hausaufgaben bekam – als Einziger, abgesehen von Neville.

»Im Grunde ist es gar nicht so schwer«, versuchte ihn Hermine aufzumuntern, als sie nach Flitwicks Unterricht hinausgingen – während der ganzen Stunde hatte sie irgendwelche Gegenstände durchs Zimmer und in ihre Hände fliegen lassen, als wäre sie ein merkwürdiger Magnet für Tafelschwämme, Papierkörbe und Lunaskope.»Du hast dich einfach nicht richtig konzentriert -«

»Und warum wohl?«, sagte Harry niedergeschlagen. Und in diesem Augenblick ging Cedric Diggory vorbei, umringt von einer Schar geziert lächelnder Mädchen, die Harry ansahen, als ob er ein besonders großer Knallrümpfiger Kröter wäre.»Na ja – ist doch egal, oder? Ich kann mich ja auf heute Nachmittag freuen, Doppelstunde Zaubertränke…«

Die Doppelstunde Zaubertränke war immer ein schreckliches Erlebnis, doch jetzt war es die reine Folter. Anderthalb Stunden lang mit Snape und den Slytherins in einen Kerker

gesperrt zu sein, die alle entschlossen schienen, Harry so schwer wie möglich zu bestrafen, weil er es gewagt hatte, Schul-Champion zu werden, das war so ziemlich das Unangenehmste, was Harry sich vorstellen konnte. Einen Freitag hatte er schon durchgestanden, mit Hermine an seiner Seite, die ihm ständig»Scher dich nicht drum, laß sie reden«zumurmelte, und er wußte nicht, warum es ihm heute besser ergehen sollte.

Als er nach dem Mittagessen mit Hermine vor Snapes Kerker ankam, warteten die Slytherins bereits an der Tür, und ausnahmslos alle trugen große Anstecker an den Umhängen. Einen überdrehten Moment lang dachte Harry, es seien B.ELFE.R-Anstecker – dann sah er, daß alle dieselbe Aufschrift in roten Leuchtbuchstaben trugen, die durch das Dämmerlicht des Kellergangs strahlten:

Ich bin für CEDRIC DIGGORY -

den WAHREN Hogwarts-Champion!

»Gefällt's dir, Potter?«, sagte Malfoy laut, als Harry näher trat.»Und das ist nicht alles – sieh mal!«

Er drückte mit dem Finger auf den Anstecker, die Schrift verschwand und dann erschienen leuchtend grüne Lettern:

POTTER STINKT

Die Slytherins brüllten vor Lachen. Nun drückten auch die anderen auf ihre Anstecker und schließlich leuchtete im ganzen Umkreis die Botschaft POTTER STINKT. Harry spürte, wie Hitze in ihm aufwallte und in Hals und Gesicht stieg.

»Unglaublich witzig«, sagte Hermine trocken zu Pansy Parkinson und ihrer Bande Slytherin-Mädchen, die sich besonders amüsierten,»wirklich sehr einfallsreich.«

Ron stand mit Dean und Seamus an der Wand. Er lachte nicht, doch er sprang Harry auch nicht bei.

»Willst du einen, Granger?«, sagte Malfoy und hielt ihr einen Anstecker hin.»Ich hab sie kistenweise. Aber berühr bloß nicht meine Hand. Ich hab sie gerade gewaschen und ich will nicht, daß eine Schlammblüterin sie einschleimt.«

Es war, als ob der Zorn, den Harry nun seit Tagen mit sich herumtrug, einen Damm in seiner Brust durchbrach. Er hatte seinen Zauberstab in der Hand, bevor er recht wußte, was er tat. Einige Umstehende stürzten sofort in den Kellergang davon.

»Harry!«, warnte ihn Hermine.

»Jetzt mach schon, Potter«, sagte Malfoy leise und zog ebenfalls seinen Zauberstab.»Moody ist nicht hier, um dich auf den Schoß zu nehmen – tu's doch, wenn du den Mumm dazu hast -«

Den Bruchteil einer Sekunde lang sahen sie sich in die Augen, und dann, in genau demselben Moment, griffen sie an.

»Furnunculus!«, rief Harry.

»Densaugeo!«, schrie Malfoy.

Lichtblitze schössen aus beiden Zauberstäben, trafen sich in der Luft und schleuderten sich aus der Bahn – Harrys Blitzstrahl traf Goyle im Gesicht, der Malfoys traf Hermine. Goyle jaulte auf und schlug die Hände auf seine Nase, wo große, häßliche Blasen aufquollen – Hermine, panisch wimmernd, preßte die Hände auf den Mund.

»Hermine!«Ron stürmte herbei, um zu sehen, was ihr passiert war.

Harry wandte sich um und sah, wie Ron Hermines Hände von ihrem Gesicht zog. Es war kein schöner Anblick. Hermines Vorderzähne – ohnehin schon überdurchschnittlich lang – wuchsen mit alarmierender Geschwindigkeit; mehr und mehr nahm sie das Aussehen eines Bibers an und ihre Zähne wuchsen weiter, über ihre Unterlippe hinaus, auf ihr Kinn zu – in ihrer Panik tastete sie danach und schrie von Grauen gepackt auf.

»Was soll dieser Krach hier?«, sagte eine leise, eiskalte Stimme. Snape war gekommen.

Die Slytherins redeten laut durcheinander, um ihre Sicht der Dinge loszuwerden. Snape deutete mit einem langen gelben Finger auf Malfoy und sagte:»Erkläre.«

»Potter hat mich angegriffen, Sir -«

»Wir haben uns gleichzeitig angegriffen!«, rief Harry.

»- und er hat Goyle getroffen – sehen Sie -«

Snape musterte Goyles Gesicht, das nun nach etwas aussah, das in ein Buch über Giftpilze gehörte.

»Krankenflügel, Goyle«, sagte Snape ruhig.

»Malfoy hat Hermine getroffen!«, sagte Ron.»Sehen Sie!«

Er zwang Hermine, Snape ihre Zähne zu zeigen – sie tat ihr Bestes, um sie mit den Händen zu verbergen, was jedoch schwierig war, denn jetzt waren sie schon an ihrem Kragen vorbeigewachsen. Pansy Parkinson und die anderen Slytherin-Mädchen waren hinter Snapes Rücken in die Hocke gegangen, kicherten verdruckst und deuteten mit den Fingern auf Hermine.

Snape sah Hermine kalt an, dann sagte er:»Ich sehe keinen Unterschied.«

Hermine ließ ein Wimmern hören; ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie drehte sich auf den Fersen um und rannte, rannte in den Kellergang hinein und verschwand.

Vielleicht war es ein Glück, daß Harry und Ron gleichzeitig begannen Snape anzuschreien; ein Glück, daß ihr Geschrei an den steinernen Kellerwänden widerhallte, denn aus dem lauten Stimmengewirr konnte Snape nicht genau heraushören, als was sie ihn alles beschimpften. Das Wesentliche allerdings bekam er mit.

»Schauen wir mal«, sagte er, ölig wie noch nie.»Fünfzig Punkte Abzug für Gryffindor und Nachsitzen für Potter und Weasley. Jetzt aber rein oder ihr bleibt eine Woche im Keller.«

In Harrys Ohren rauschte es. So ungerecht war das alles, daß er Snape am liebsten in tausend schleimige Stücke zerflucht hätte. Er ging an Snape vorbei und an Rons Seite in den hinteren Teil des Kerkers, wo er seine Tasche auf einen Tisch knallte. Auch Ron bebte vor Zorn – einen Moment lang hatte Harry das Gefühl, alles sei wieder wie früher, doch dann wandte sich Ron ab, ließ ihn allein am Tisch zurück und setzte sich zu Dean und Seamus. Vorn in der ersten Reihe drehte Malfoy Snape den Rücken zu, grinste und drückte auf seinen Anstecker. POTTER STINKT flammte durch den Kerker.

Harry saß da und starrte Snape an, der zu reden begonnen hatte, und er stellte sich vor, daß Snape schreckliche Dinge zustießen… wenn er nur wüßte, wie dieser Cruciatus-Fluch funktionierte… er würde Snape flach auf den Rücken legen wie diese Spinne und zucken und zappeln lassen…

»Gegengifte!«, sagte Snape und sah sie mit bedrohlich funkelnden kalten schwarzen Augen an.»Ihr solltet inzwischen eure Rezepte vorbereitet haben. Ihr werdet jetzt mit aller Sorgfalt eure Tinkturen zubereiten, und dann werden wir jemanden aussuchen, an dem wir eine davon ausprobieren…«

Snape suchte Harrys Blick, und Harry wußte genau, was ihm bevorstand. Snape würde ihn vergiften. Harry sah sich schon seinen Kessel packen, nach vorn spurten und ihn über Snapes fettigen Kopf stülpen -

Und dann riß ihn ein Klopfen an der Tür aus den Gedanken.

Es war Colin Creevey; er streckte den Kopf durch den Türspalt, strahlte in Harrys Richtung und ging nach vorn zu Snapes Tisch.

»Ja?«, sagte Snape schroff.

»Bitte, Sir, ich soll Harry Potter nach oben bringen.«

Snape sah an seiner Hakennase entlang hinunter auf Colin, dem das Lächeln auf dem begeisterten Gesicht sofort gefror.

»Potter hat hier noch eine Stunde Zaubertränke abzusitzen«, sagte Snape kalt.»Er wird nach oben kommen, wenn der Unterricht zu Ende ist.«

Colin lief rosa an.

»Sir – Sir, Mr Bagman will ihn sprechen«, sagte er aufgeregt.»Alle Champions müssen kommen, ich glaube, sie wollen Fotos von ihnen machen…«

Harry hätte alles gegeben, was er besaß, wenn Colin nur nicht die letzten Worte ausgesprochen hätte. Aus den Augenwinkeln sah er zu Ron hinüber, doch Ron starrte verbissen an die Decke.

»Von mir aus«, fauchte Snape.»Potter, laß deine Sachen hier, du kommst so schnell wie möglich zurück, ich will dein Gegengift testen.«

»Bitte, Sir, er muß seine Sachen mitnehmen«, piepste Colin.»Alle Champions -«

»Schon gut!«, blaffte Snape.»Potter, nimm deine Tasche und verschwinde hier!«

Harry warf sich die Tasche über die Schulter, stand auf und ging eilig auf die Tür zu. Als er zwischen den Tischen der Slytherins hindurchging, blinkte ihn von allen Seiten POTTER STINKT an.

»Ist das nicht toll, Harry?«, sagte Colin, kaum hatte Harry die Kerkertür hinter sich geschlossen.»Oder, Harry? Daß du Champion bist!«

»Ja, echt toll«, sagte Harry matt, während sie die Stufen zur Eingangshalle hochgingen.»Wozu brauchen sie Fotos, Colin?«

»Für den Tagespropheten, glaub ich!«

»Großartig«, sagte Harry lahm.»Genau das, was mir fehlt. Noch mehr Rummel.«

»Viel Glück!«, sagte Colin, als sie vor dem Raum standen. Harry klopfte und trat ein.

Es war ein recht kleines Klassenzimmer; die meisten Tische waren nach hinten an die Wand gerückt worden, um in der Mitte viel Platz zu schaffen; drei Tische jedoch waren längs der Tafel aufgestellt und mit einem langen samtenen Tuch bedeckt. Fünf Stühle standen hinter diesen Tischen und auf einem davon saß Ludo Bagman und unterhielt sich mit einer Hexe in magentarotem Umhang. Harry hatte sie noch nie gesehen. Viktor Krum stand wie immer mißgelaunt in einer Ecke und sprach mit niemandem. Cedric und Fleur unterhielten sich. Fleur sah um einiges glücklicher aus, als Harry sie bisher gesehen hatte; immer wieder, wenn sie den Kopf zurückwarf, leuchtete ihr langes Silberhaar im Licht auf. Ein dickbauchiger Mann mit einer großen schwarzen Kamera in der Hand, aus der es ein wenig rauchte, beobachtete Fleur aus den Augenwinkeln.

Bagman, der plötzlich bemerkt hatte, daß Harry eingetreten war, sprang auf und kam beschwingt auf ihn zu.»Aah, da ist er ja! Unser Champion Nummer vier! Komm herein, Harry, immer rein mit dir… keine Sorge, es geht nur um die Eichung der Zauberstäbe, die anderen Schiedsrichter werden gleich da sein -«

»Eichung der Zauberstäbe?«, fragte Harry nervös.

»Wir müssen prüfen, ob eure Zauberstäbe in Ordnung sind und keine Probleme machen, da sie doch die wichtigsten Werkzeuge für die kommenden Aufgaben sind«, sagte Bagman.»Der Fachmann ist gerade oben bei Dumbledore. Und dann gibt es noch einen kleinen Fototermin. Darf ich vorstellen, Rita Kimmkorn«, fügte er hinzu und wies auf die Hexe mit dem magentaroten Umhang,»sie schreibt für den Tagespropheten einen kleinen Artikel über das Turnier…«

»Vielleicht nicht ganz so klein, Ludo«, sagte Rita Kimmkorn, die Augen auf Harry gerichtet.

Sie hatte eine kunstvolle und auffällig steife Lockenfrisur, die überhaupt nicht zu ihrem schwerkiefrigen Gesicht passen wollte, und trug eine juwelenbesetzte Brille. Ihre dicken Finger, die den Griff einer Krokodillederhandtasche umklammerten, endeten in fünf Zentimeter langen, karmesinrot lackierten Fingernägeln.

»Wäre es vielleicht möglich, daß ich rasch ein Wort mit Harry wechsle, bevor wir anfangen?«, fragte sie Bagman, ohne den Blick von Harry abzuwenden.»Der jüngste Champion, Sie wissen schon… damit das Ganze ein wenig Pep kriegt?«

»Natürlich!«, rief Bagman.»Das heißt – wenn Harry keine Einwände hat?«

»Ähm -«, sagte Harry.

»Wunderbar«, sagte Rita Kimmkorn, und schon hatten ihre knallroten Krallenfinger Harry überraschend fest am Oberarm gepackt. Sie bugsierte ihn hinaus auf den Gang und öffnete eine Tür nebenan.

»Dort drin ist es doch viel zu laut für uns«, sagte sie.»Sehen wir mal… ah ja, hier ist es nett und gemütlich.«

Es war ein Besenschrank. Harry starrte sie an.

»Komm mit, mein Lieber – so ist es recht – wunderbar«, sagte Rita Kimmkorn, ließ sich vorsichtig auf einem umgekippten Eimer nieder, drückte Harry hinunter auf einen Pappkarton und schloß die Tür. Es war stockdunkel.»Wollen mal sehen…«

Sie ließ ihre Krokodillederhandtasche aufschnappen und zog eine Hand voll Kerzen heraus, die sie mit einem Schlenker ihres Zauberstabs entzündete und in der Luft schweben ließ, so daß sie sehen konnten, was sie taten.

»Du hast doch nichts dagegen, Harry, wenn ich eine Flotte-Schreibe-Feder benutze? Dann kann ich in aller Ruhe mit dir reden…«

»Eine was?«

Rita Kimmkorns Lächeln wurde immer breiter. Harry zählte drei Goldzähne. Sie steckte die Hand erneut in die Krokodilledertasche und zog eine lange giftgrüne Feder und eine Rolle Pergament hervor, die sie auf einer Lattenkiste mit Mrs Skowers Magischem Allzweckreiniger zwischen ihr und Harry ausrollte. Sie nahm die Spitze der grünen Feder in den Mund, saugte kurz mit offensichtlichem Genuß daran, dann stellte sie die Feder senkrecht auf das Pergament, wo sie zitternd auf der Spitze stehen blieb.

»Probe… mein Name ist Rita Kimmkorn, Reporterin des Tagespropheten.«

Harry sah rasch hinunter auf die Feder. Kaum hatte Rita Kimmkorn den Mund zugemacht, begann die grüne Feder schwungvoll über das Pergament zu fliegen:

Die attraktive Rita Kimmkorn (43), deren feurige Feder manch einen aufgeblähten Ruf durchlöchert hat -

»Wunderbar«, sagte Rita Kimmkorn erneut, riß das beschriebene Stück Pergament ab, zerknüllte es und steckte es in ihre Handtasche. Dann beugte sie sich zu Harry hinüber und sagte:»Nun, Harry… warum hast du dich entschlossen, am Trimagischen Turnier teilzunehmen?«

»Ähm -«, sagte Harry, doch die Feder lenkte ihn ab. Obwohl er gar nichts sagte, flitzte sie über das Pergament und hinterließ als Spur einen frischen Satz:

Eine häßliche Narbe, Erinnerung an seine tragische Vergangenheit, entstellt den ansonsten durchaus reizenden Harry Potter, dessen Augen -

»Achte nicht auf die Feder, Harry«, sagte Rita Kimmkorn gebieterisch. Zögernd sah Harry zu ihr auf.»Nun – warum hast du beschlossen, am Turnier teilzunehmen, Harry?«

»Das hab ich nicht«, sagte Harry.»Ich weiß nicht, wie mein Name in den Feuerkelch geraten ist. Ich hab ihn jedenfalls nicht eingeworfen.«

Rita Kimmkorn hob eine mit kräftigem Stift nachgezogene Augenbraue.»Komm schon, Harry, du brauchst keine Angst zu haben, daß du Schwierigkeiten bekommst. Wir wissen alle, daß du dich eigentlich gar nicht hättest bewerben dürfen. Aber mach dir darüber keine Gedanken. Unsere Leser stehen auf Rebellen.«

»Aber ich habe mich wirklich nicht beworben«, wiederholte Harry.»Ich weiß nicht, wer -«

»Welches Gefühl hast du, wenn du an die kommenden Aufgaben denkst?«, fragte Rita Kimmkorn.»Bist du aufgeregt? Nervös?«

»Im Grunde hab ich noch nicht darüber nachgedacht… Jaah, nervös vielleicht schon«, sagte Harry. Sein Magen verkrampfte sich schmerzhaft, während er sprach.

»Es sind schon Champions gestorben!«, sagte Rita Kimmkorn munter.»Hast du überhaupt schon daran gedacht?«

»Na ja… sie sagen, es sei dieses Jahr viel sicherer«, sagte Harry.

Die Feder sauste über das Pergament zwischen ihnen, vor und zurück, als würde sie Schlittschuh laufen.

»Natürlich hast du dem Tod schon einmal ins Angesicht geblickt, nicht?«, sagte Rita Kimmkorn und musterte ihn scharf.»Wie, würdest du sagen, hat dich das persönlich betroffen gemacht?«

»Ähm«, sagte Harry noch einmal.

»Glaubst du, daß dich das Trauma deiner Kindheit dazu führt, dich immer von neuem beweisen zu wollen? Deinem Namen alle Ehre zu machen? Bist du vielleicht der Versuchung erlegen, am Trimagischen Turnier teilzunehmen, weil -«

»Ich hab mich nicht beworben!«, sagte Harry und spürte, wie Zorn in ihm hochkochte.

»Kannst du dich überhaupt an deine Eltern erinnern?«, fragte Rita Kimmkorn, ohne auf ihn einzugehen.

»Nein«, sagte Harry.

»Wie, glaubst du, würden deine Eltern sich fühlen, wenn sie wüßten, daß du am Trimagischen Turnier teilnimmst? Stolz? Besorgt? Wütend?«

Jetzt ging sie Harry entschieden auf die Nerven. Woher um Himmels willen sollte er wissen, wie sich seine Eltern fühlen würden, wenn sie noch lebten? Er spürte, daß ihn Rita Kimmkorn scharf beobachtete. Er runzelte die Stirn, mied ihren Blick und sah hinunter auf das, was die Feder gerade geschrieben hatte:

Tränen erfüllen diese verblüffend grünen Augen, sobald unser Gespräch sich den Eltern zuwendet, an die er sich kaum noch erinnern kann.

»Ich habe KEINE Tränen in den Augen!«, sagte Harry laut.

Bevor Rita Kimmkorn ein Wort sagen konnte, ging die Tür des Besenschranks auf. Harry drehte sich um und blinzelte gegen das helle Licht. Draußen stand Albus Dumbledore und sah hinunter auf sie beide, wie sie da im Besenschrank eingepfercht saßen.

»Dumbledore!«, rief Rita Kimmkorn, allem Anschein nach höchst erfreut – doch Harry bemerkte, daß Feder und Pergament auf einmal von der Kiste mit dem Magischen Allzweckreiniger verschwunden waren und Ritas Klauenfinger den Verschluß ihrer Krokodilledertasche hastig zuklicken ließen.»Wie geht es Ihnen?«, sagte sie, stand auf und streckte Dumbledore eine ihrer großen, männlichen Hände entgegen.»Ich hoffe, Sie haben im Sommer meinen Artikel über die Konferenz der Internationalen Zauberervereinigung gelesen?«

»Bezaubernd gehässig«, sagte Dumbledore mit funkelnden Augen.»Besonders gefallen hat mir Ihre Beschreibung meiner Person als eines in die Jahre gekommenen, altmodischen Narren.«

Rita Kimmkorn schien es nicht im Entferntesten peinlich zu sein.»Ich wollte eigentlich nur sagen, daß manche Ihrer Vorstellungen ein wenig veraltet sind, Dumbledore, und daß viele Zauberer, die man so auf der Straße trifft -«

»Mit Vergnügen würde ich mir die Gründe für diese Gemeinheit anhören, Rita«, sagte Dumbledore lächelnd und verbeugte sich höflich,»aber ich fürchte, wir müssen diese Dinge auf später verschieben. Die Eichung beginnt gleich, und wir können nicht anfangen, solange einer der Champions in einem Besenschrank versteckt ist.«

Erleichtert, endlich von Rita Kimmkorn loszukommen, ging Harry eilig zurück in das Klassenzimmer. Die anderen Champions hatten inzwischen auf Stühlen in der Nähe der Tür Platz genommen und er setzte sich rasch neben Cedric. Drüben an den samtbedeckten Tischen saßen jetzt vier der fünf Richter – Professor Karkaroff, Madame Maxime, Mr Crouch und Ludo Bagman. Rita Kimmkorn ließ sich in einer Ecke nieder; Harry sah, wie sie das Pergament hastig wieder aus der Tasche holte, es auf ihren Knien ausbreitete, an der Spitze der Flotte-Schreibe-Feder nuckelte und sie dann auf das Pergament stellte.

»Darf ich Ihnen Mr Ollivander vorstellen?«, wandte sich Dumbledore an die Champions, als er seinen Platz am Schiedsrichtertisch einnahm.»Er wird Ihre Zauberstäbe prüfen, um sicherzustellen, daß sie vor dem Turnier in gutem Zustand sind.«

Harry wandte den Blick und zuckte überrascht zusammen, als er einen alten Zauberer mit großen, blassen Augen schweigend am Fenster stehen sah. Er hatte Mr Ollivander schon einmal getroffen – er war der Zauberstabmacher aus der Winkelgasse, bei dem Harry vor über drei Jahren seinen Zauberstab gekauft hatte.

»Mademoiselle Delacour, dürfen wir Sie als Erste nach vorn bitten?«, sagte Mr Ollivander und schritt auf den freien Platz in der Mitte des Zimmers zu.

Fleur Delacour schwebte hinüber zu Mr Ollivander und reichte ihm ihren Zauberstab.

»Hmmm…«, sagte er.

Er wirbelte den Zauberstab durch die Finger wie einen Taktstock und ein paar rosa und goldene Funken sprühten aus seiner Spitze hervor. Dann hob er ihn dicht an die Augen und untersuchte ihn sorgfältig.

»Ja«, sagte er leise,»neuneinhalb Zoll… unbiegsam… Rosenholz… und er enthält… meine Güte…«

»Ein 'aar vom Kopf einer Veela«, sagte Fleur.»Eine meiner Großmütter.«

Also war Fleur doch eine Art Veela, dachte Harry und nahm sich fest vor, es gleich nachher Ron zu erzählen… dann fiel ihm ein, daß Ron ja nicht mehr mit ihm sprach.

»Ja«, sagte Mr Ollivander,»ja, ich persönlich habe natürlich nie Veela-Haare verwendet. Ich finde, das ergibt doch recht eigenwillige Zauberstäbe… nun, für jeden gibt's den richtigen, und wenn er zu Ihnen paßt…«

Mr Ollivander fuhr mit dem Finger über den Zauberstab, offenbar auf der Suche nach Kratzern oder Höckern; dann murmelte er»Orchideus!«und ein Strauß Blumen brach aus der Stabspitze hervor.

»Sehr schön, sehr schön, zum Arbeiten völlig geeignet«, sagte Mr Ollivander, bündelte die Blumen zu einem Strauß und überreichte ihn Fleur zusammen mit ihrem Zauberstab.»Mr Diggory, Sie sind dran.«

Fleur schwebte zu ihrem Platz zurück, nicht ohne Cedric im Vorbeigehen ein Lächeln zu schenken.

»Ah, das ist einer von mir, nicht wahr?«, sagte Mr Ollivander mit deutlich größerer Begeisterung, als ihm Cedric den Zauberstab reichte.»Ja, ich erinnere mich noch gut daran. Er enthält ein einziges Schwanzhaar eines besonders gut gewachsenen Einhorns… muß an die siebzehn Handbreit lang gewesen sein; hat mich mit seinem Horn fast noch aufgespießt, nachdem ich an seinem Schwanz gezupft hatte. Zwölfeinviertel Zoll… Esche… federt ganz hübsch. Ist ja in bestem Zustand… du pflegst ihn regelmäßig?«

»Hab ihn gestern Abend noch poliert«, sagte Cedric grinsend.

Harry sah auf seinen eigenen Zauberstab hinab. Überall waren Fingerabdrücke zu sehen. Er hob den Saum seines Umhangs vom Knie, ballte ihn zusammen und versuchte den Zauberstab möglichst unauffällig zu putzen. Einige Goldfunken schössen aus seiner Spitze hervor. Fleur Delacour versetzte ihm einen recht mitleidigen Blick und daraufhin ließ er es bleiben.

Mr Ollivander ließ einen Strom silberner Rauchringe aus der Spitze von Cedrics Zauberstab durchs Zimmer schweben, erklärte sich zufrieden und sagte dann:»Mr Krum, wenn ich bitten darf.«

Viktor Krum stand auf und schlurfte plattfüßig und mit hängenden Schultern zu Mr Ollivander hinüber. Er riß seinen Zauberstab hervor, steckte die Hände in die Taschen und wartete mit finsterem Blick.

»Hmm«, sagte Mr Ollivander,»das ist doch einer von Gregorowitsch, wenn ich mich nicht irre? Ein guter Zauberstabmacher, auch wenn mir die Gestaltung nicht immer ganz… allerdings…«

Er hob den Zauberstab an die Augen und drehte ihn einige Male mit prüfendem Blick.

»Ja… Weißbuche und Drachenherzfaser?«, sagte er dann plötzlich, und Krum nickte.»Doch um einiges dicker, als man ihn sonst zu sehen bekommt… recht steif… zehnein-viertel Zoll… Avis!«

Der Weißbuchenstab knallte wie ein Gewehr, und ein paar kleine Vögel flogen zwitschernd aus seiner Spitze hervor und durch das offene Fenster hinauf in den wolkenverhangenen Himmel.

»Gut«, sagte Mr Ollivander und gab Krum den Zauberstab zurück.»Jetzt bleibt nur noch… Mr Potter.«

Harry stand auf und ging an Krum vorbei zu Mr Ollivander. Er reichte ihm seinen Zauberstab.

»Aaaah, ja«, sagte Mr Ollivander, und seine blassen Augen begannen plötzlich zu leuchten.»Ja, ja, ja. Wie gut ich mich noch erinnere.«

Auch Harry erinnerte sich noch. Er sah es vor sich, als wäre es gestern gewesen…

Vor vier Sommern, an seinem elften Geburtstag, war er zusammen mit Hagrid in Mr Ollivanders Laden gekommen, um einen Zauberstab zu kaufen. Mr Ollivander hatte seine Maße genommen und ihm dann einige Zauberstäbe zum Ausprobieren gegeben. Harry hatte, wie es ihm vorkam, jeden einzelnen Zauberstab im Laden geschwungen, bis er endlich den gefunden hatte, der zu ihm paßte – dieser hier, der aus dem Holz einer Stechpalme gefertigt war und eine einzige Feder vom Schwanz eines Phönix enthielt. Mr Ollivander war sehr überrascht gewesen, daß Harry so gut zu diesem Zauberstab paßte.»Sehr seltsam«, hatte er gesagt,»… seltsam«, und erst als Harry fragte, was denn so seltsam sei, hatte Mr Ollivander erklärt, daß die Phönixfeder vom selben Vogel stammte, von dem auch die Feder des Zauberstabs von Lord Voldemort kam.

Harry hatte dieses Wissen nie mit jemandem geteilt. Ihm gefiel sein Zauberstab sehr gut, und was ihn anging, war seine Beziehung zu Lord Voldemorts Zauberstab etwas, für das er nichts konnte – genauso, wie er nichts für seine Verwandtschaft mit Tante Petunia konnte. Allerdings hoffte er inständig, daß Mr Ollivander nicht gleich allen verkünden würde, was es mit dem Zauberstab auf sich hatte. Er hatte das komische Gefühl, Rita Kimmkorns Flotte-SchreibeFeder würde sich dann vor Begeisterung geradezu selbst zerfleddern.

Mr Ollivander wendete für Harrys Zauberstab viel mehr Zeit auf als für die anderen. Schließlich jedoch ließ er eine Weinfontäne daraus hervorsprudeln und gab ihn Harry mit der Bemerkung zurück, er sei immer noch in tadellosem Zustand.

»Ich danke allen«, sagte Dumbledore am Richtertisch und erhob sich.»Sie können jetzt wieder in den Unterricht zurück – oder vielleicht wäre es besser, wenn Sie gleich runter zum Essen gehen, da es ohnehin bald Zeit ist -«

Harry, der das Gefühl hatte, daß heute wenigstens einmal etwas gut gelaufen war, erhob sich und wollte gerade hinausgehen, als der Mann mit der schwarzen Kamera aufsprang und sich räusperte.

»Fotos, Dumbledore, Fotos!«, rief Bagman aufgeregt.»Alle Richter und Champions. Was halten Sie davon, Rita?«

»Ähm – ja, erst das Gruppenfoto«, sagte Rita Kimmkorn, den Blick erneut auf Harry gerichtet.»Und dann vielleicht ein paar Einzelaufnahmen.«

Die Aufnahmen kosteten viel Zeit. Madame Maxime, wo immer sie auch stand, stellte alle anderen in den Schatten, und der Fotograf bekam sie nicht ganz aufs Bild, weil er beim Zurückgehen hinten an die Wand stieß; schließlich mußte sie sich setzen, während sich die anderen um sie herum aufstellten; Karkaroff wickelte ständig seinen Spitzbart um die Finger, um ihm einen zusätzlichen Kringel zu verpassen; Krum, von dem Harry gedacht hatte, er müsse an solche Auftritte gewöhnt sein, drückte sich halb verdeckt im Hintergrund herum. Der Fotograf schien vor allem erpicht darauf, Fleur im Vordergrund zu haben, doch Rita Kimmkorn rannte ständig herbei und zerrte Harry nach vorn, damit er besser ins Bild kam. Dann bestand sie auf Einzelfotos aller Champions. Und endlich konnten sie gehen.

Harry ging hinunter zum Mittagessen. Hermine war nicht da – er nahm an, daß sie immer noch im Krankenflügel war und sich die Zähne wieder in Ordnung bringen ließ. Er aß für sich allein am Tischende, dann kehrte er zum Gryffindor-Turm zurück, in Gedanken bei all den zusätzlichen Arbeiten, die er für die Aufrufezauber erledigen mußte. Oben im Schlafsaal stieß er auf Ron.

»Du hast eine Eule«, sagte Ron brüsk, sobald Harry hereinkam. Er deutete auf Harrys Kissen. Dort wartete die Schleiereule der Schule auf ihn.

»Oh – gut«, sagte Harry.

»Und wir müssen morgen Abend nachsitzen, in Snapes Kerker«, sagte Ron.

Dann ging er hinaus, ohne Harry auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Einen Moment lang wollte Harry ihm nachlaufen – er war sich nicht sicher, ob er mit ihm reden oder ihm eine reinhauen sollte, beides schien seine Reize zuhaben -, doch der Drang, Sirius' Antwort zu lesen, war zu stark. Harry ging hinüber zu der Schleiereule, nahm ihr den Brief vom Bein und rollte ihn auf.

Harry,

ich kann in einem Brief nicht alles sagen, was ich möchte, es ist zu riskant, falls die Eule abgefangen wird – wir müssen unter vier Augen miteinander reden. Kannst du dafür sorgen, daß du am 22. November um ein Uhr morgens allein am Kamin im Gryffindor-Turm bist?

Ich weiß besser als alle anderen, daß du auf dich selbst aufpassen kannst, und solange Dumbledore und Moody in deiner Nähe sind, glaube ich nicht, daß dir einer was antun kann. Doch genau daraufscheint sich jemand mit allen Mitteln vorzubereiten. Dich ins Turnier zu schmuggeln, und dazu noch unter Dumbledores Nase, muß sehr gefährlich gewesen sein.

Sei auf der Hut, Harry. Ich möchte weiterhin über alles Ungewöhnliche unterrichtet werden. Laß mir wegen des 22. November so rasch wie möglich eine Nachricht zukommen.

Sirius

Der Ungarische Hornschwanz

Die Aussicht, bald mit Sirius sprechen zu können, war alles, was Harry während der nächsten zwei Wochen bei Laune hielt, es war der einzige helle Fleck an einem Horizont, der so dunkel war wie noch nie. Den Schock, plötzlich Schul-Champion zu sein, hatte er inzwischen halbwegs verkraftet, doch allmählich kroch die Angst vor dem Kommenden in ihm hoch. Der Tag der ersten Aufgabe rückte immer näher; er hatte das Gefühl, ein widerliches Monster würde auf ihn zukrauchen und ihm den Weg versperren. Wie ihm jetzt die Nerven flatterten, war überhaupt nicht mit dem zu vergleichen, was er vor irgendeinem Quidditch-Spiel durchgemacht hatte, nicht einmal vor seinem letzten gegen die Slytherins, bei dem es um den Pokal gegangen war. Harry fiel es schwer, überhaupt an die Zukunft zu denken, er hatte das Gefühl, sein ganzes Leben wäre geradewegs auf diese erste Aufgabe zugelaufen und würde mit ihr auch enden…

Wie er sich eingestand, hatte er keine Ahnung, wie Sirius ihn eigentlich aufmuntern sollte, da er doch vor Hunderten von Zuschauern einen unbekannten, schwierigen und gefährlichen Zauber bewältigen mußte, doch der bloße Anblick eines freundlichen Gesichts war immerhin schon etwas. Harry antwortete Sirius, er würde zur vorgeschlagenen Zeit am Kamin des Gemeinschaftsraums sein, und er überlegte mit Hermine lange hin und her, wie sie es anstellen könnten, in dieser Nacht etwaige Trödler zu vertreiben. Wenn alles andere schief gehen sollte, würden sie es mit einem Sack voll Stinkbomben versuchen, doch sie hofften, das würde ihnen erspart bleiben – Filch würde sie bei lebendigem Leibe häuten.

Unterdessen wurde das Leben in den Mauern des Schlosses noch schwerer für Harry, denn Rita Kimmkorn hatte ihren Bericht über das Trimagische Turnier veröffentlicht, und wie sich herausstellte, war es weniger ein Bericht über das Turnier als eine in grellen Farben gemalte Lebensgeschichte Harrys. Ein Foto von Harry nahm einen großen Teil der Titelseite ein; der Artikel (fortgesetzt auf den Seiten zwei, sechs und sieben) drehte sich einzig und allein um Harry, die Namen der Champions von Beauxbatons und Durmstrang (alle falsch geschrieben) waren in die letzte Zeile gequetscht worden und Cedric wurde überhaupt nicht erwähnt.

Der Artikel war vor zehn Tagen erschienen, und noch immer brannte Harry vor Scham der Magen, wenn er daran dachte. Rita Kimmkorn zufolge hatte er dies und das und jenes gesagt, doch er konnte sich nicht erinnern, solche Worte jemals im Leben gebraucht zu haben, und schon gar nicht in diesem Besenschrank.

»Ich glaube, es sind meine Eltern, die mir Kraft geben, ich weiß, sie würden sehr stolz auf mich sein, wenn sie mich jetzt sehen könnten… ja, nachts weine ich manchmal noch, wenn ich an sie denke, ich schäme mich nicht, das zuzugeben… Ich weiß, daß mir im Turnier nichts zustoßen kann, denn sie wachen über mich…«

Doch Rita Kimmkorn hatte nicht nur seine»Ähms«in lange, Übelkeit erregende Sätze verwandelt: Sie hatte auch andere über ihn ausgefragt:

Harry hat in Hogwarts endlich die Liebe gefunden. Sein enger Freund, Colin Creevey, berichtet, daß Harry fast ständig in Begleitung Hermine Grangers zu sehen ist, eines umwerfend hübschen muggelstämmigen Mädchens, das wie Harry zu den besten Schülern des Internats gehört.

Kaum war der Artikel erschienen, mußte es Harry über sich ergehen lassen, daß seine Mitschüler – vor allem Slytherins – lauthals Sätze daraus vorlasen, wenn er an ihnen vorbeiging, und dazu noch ihre hämischen Kommentare abgaben.

»Willst vielleicht 'n Taschentuch, Harry, falls du in Verwandlung zu heulen anfängst?«

»Seit wann bist du einer der Spitzenschüler des Internats, Potter? Oder soll das eine Schule sein, die du zusammen mit Longbottom gegründet hast?«

»Hallo – Harry!«, rief jemand im Korridor.

»Ja, ist schon gut«, schrie Harry plötzlich zu seiner eigenen Überraschung und wirbelte herum. Er hatte es jetzt satt.»Ich hab mir gerade die Augen ausgeheult wegen meiner toten Mama und will jetzt gleich noch ein wenig weiterweinen…«

»Nein – ich meinte doch nur – du hast deine Feder verloren.«

Es war Cho. Harry spürte, wie er rot anlief.

»Oh – danke – tut mir Leid«, nuschelte er und hob die Feder auf.

»Hmmh… und viel Glück am Dienstag«, sagte sie.»Ich drück dir die Daumen, daß es gut geht.«

Und Harry stand ziemlich bedröppelt da.

Auch Hermine war nicht zu kurz gekommen und hatte einiges an Gemeinheiten schlucken müssen, doch noch war es nicht so weit, daß sie völlig unbeteiligte Zuschauer anschrie; Harry bewunderte sie in Wahrheit zutiefst für ihre Art, mit der schwierigen Situation umzugehen.

»Umwerfend hübsch? Die?«, hatte Pansy Parkinson gekreischt, als sie Hermine nach dem Erscheinen von Rita Kimmkorns Artikel zum ersten Mal begegnet war.»Im Vergleich zu was denn – einem Eichhörnchen?«

»Einfach nicht beachten«, sagte Hermine kühl, reckte das Kinn und stapfte an den giggelnden Slytherin-Mädchen vorbei, als wäre sie taub für deren Worte.»Ist doch schnuppe, Harry.«

Doch Harry war es nicht schnuppe. Ron hatte kein Wort mehr mit ihm geredet, seit er ihm gesagt hatte, wann sie bei Snape nachsitzen mußten. Harry hatte schon halb gehofft, daß sie in den zwei Stunden, in denen sie in Snapes Keller Rattenhirne einpökeln mußten, ihren Streit aus der Welt schaffen würden, doch an diesem Tag war Ritas Artikel erschienen und er schien Rons Glaube bestärkt zu haben, daß Harry all die Aufmerksamkeit so richtig genoß.

Hermine war wütend auf sie beide; sie ging vom einen zum anderen und versuchte sie zu zwingen, wieder miteinander zu reden, doch Harry wollte nicht nachgeben: Er würde erst dann wieder mit Ron reden, wenn Ron zugab, daß Harry seinen Namenszettel nicht in den Feuerkelch geworfen hatte, und sich dafür entschuldigte, daß er ihn einen Lügner genannt hatte.

»Ich hab ja nicht damit angefangen«, sagte Harry eisern.»Das ist sein Problem.«

»Du vermißt ihn doch!«, sagte Hermine ungeduldig.»Und ich weiß, daß er dich vermißt -«

»Ich und ihn vermissen?«, sagte Harry.»Ich vermisse ihn überhaupt nicht…«

Doch das war schlicht gelogen. Harry mochte Hermine sehr, doch mit Ron war es einfach anders. Mit Hermine statt Ron als bestem Freund gab es viel weniger zu lachen und sie saßen viel länger in der Bibliothek herum. Harry beherrschte die Aufrufezauber immer noch nicht, etwas in ihm schien sich sogar dagegen zu sperren, und Hermine beteuerte unablässig, die Anleitungen in den Büchern würden ihm bestimmt helfen. So verbrachten sie fast die ganzen Mittagspausen damit, in der Bibliothek über Wälzern zu brüten.

Auch Viktor Krum war auffällig oft in der Bibliothek, und Harry fragte sich, was er im Sinn hatte. Lernte er oder suchte er nach einem Buch, das ihm bei der ersten Aufgabe helfen würde? Hermine beklagte sich häufig, wenn Krum da war – nicht etwa, weil er sie je gestört hätte, sondern weil immer wieder Scharen kichernder Mädchen auftauchten und ihn hinter Bücherregalen versteckt beobachteten, und Hermine fand den ganzen Rummel einfach lästig.

»Er sieht nicht mal gut aus!«, zischelte sie und warf Krums Profil einen finsteren Blick zu.»Sie stehen doch nur auf ihn, weil er berühmt ist! Sie würden ihn doch keines Blickes würdigen, wenn er nicht diesen Wanzki-Stuß beherrschen würde -«

»Wronski-Bluff«, sagte Harry zähneknirschend. Ganz abgesehen davon, daß er Wert darauf legte, sorgfältig mit Quidditch-Begriffen umzugehen, gab ihm auch der Gedanke einen Stich, was für ein Gesicht Ron wohl machen würde, wenn er Hermine vom Wanzki-Stuss reden hörte.

* * *

Es ist merkwürdig, doch wenn man schreckliche Angst vor etwas hat und alles dafür geben würde, den Lauf der Zeit zu verlangsamen, hat dieses Etwas die lästige Gewohnheit, noch schneller zu kommen. Die Tage bis zur ersten Aufgabe glitten dahin, als ob sich jemand an den Uhren zu schaffen gemacht hätte und diese jetzt doppelt so schnell liefen. Wohin er auch ging, Harry ließ das Gefühl kaum beherrschter Panik nicht los, es begleitete ihn genauso hartnäckig wie der Spott über den Artikel im Tagespropheten.

An dem Samstag vor der ersten Aufgabe durften alle Schüler ab der dritten Klasse das Dorf Hogsmeade besuchen. Hermine erklärte Harry, es würde ihm gut tun, für eine Weile aus dem Schloß zu kommen, und Harry ließ sich nicht lange bitten.

»Aber was ist mit Ron?«, sagte er.»Willst du nicht mit ihm gehen?«

»Oh… na ja…«Hermine lief rosa an.»Ich dachte, wir könnten uns mit ihm in den Drei Besen treffen…«

»Nein«, sagte Harry nur.

»Ach, Harry, das ist doch bescheuert -«

»Ich komm mit, aber mit Ron treffe ich mich nicht, und ich trage meinen Tarnurnhang.«

»Na gut, von mir aus…«, fauchte Hermine,»aber ich kann es nicht ausstehen, mit dir zu reden, wenn du in diesem Umhang steckst, wo ich doch nie weiß, ob ich dich jetzt ansehe oder nicht.«

Also zog Harry im Schlafsaal seinen Tarnurnhang an, ging wieder nach unten und machte sich zusammen mit Hermine auf den Weg nach Hogsmeade.

Unter diesem Umhang fühlte sich Harry wunderbar frei; er beobachtete, wie die anderen Schüler an ihnen vorbei ins Dorf gingen, die meisten mit CEDRIC DIGGORY-Ansteckern auf der Brust, doch zur Abwechslung mußte er sich keine hämischen Bemerkungen anhören und niemand las aus diesem fürchterlichen Artikel vor.

»Mich starren die Leute jetzt ständig an«, sagte Hermine mißgelaunt, als sie aus dem Honigtopf kamen und sich über die großen sahnegefüllten Schokoriegel hermachten.»Sie glauben, ich führe Selbstgespräche.«

»Dann beweg eben deine Lippen nicht.«

»Hör mal zu, ich bitte dich, nimm doch für eine Weile diesen Umhang ab. Hier belästigt dich doch keiner.«

»Ach ja?«, sagte Harry.»Dann dreh dich mal um.«

Rita Kimmkorn und ihr Freund, der Fotograf, hatten gerade den Pub Drei Besen verlassen. In ein gedämpftes Gespräch vertieft, gingen sie direkt an Hermine vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen. Harry drückte sich an die Hausmauer des Honigtopfes, denn er sah es schon kommen, daß ihm Rita Kimmkorn mit ihrer Krokodilledertasche eins überzog.

Als sie vorbei waren, sagte Harry:»Sie hat sich hier im Dorf ein Zimmer genommen. Ich wette, sie sieht sich das Turnier an.«

Noch während er sprach, durchflutete die Angst seinen Magen wie ein Strom heißer Lava. Er sagte Hermine kein Wort davon; sie hatten kaum darüber gesprochen, was in der ersten Aufgabe wohl auf ihn zukommen würde; er hatte den Eindruck, daß sie nicht darüber nachdenken wollte.

»Sie ist weg«, sagte Hermine und spähte durch Harry hindurch zum Ende der Hauptstraße.»Wie war's, wenn wir in den Drei Besen ein Butterbier trinken? Es ist doch ziemlich frisch hier draußen, oder? Und du mußt ja nicht mit Ron reden!«, fügte sie, sein Schweigen richtig deutend, verärgert hinzu.

Die Drei Besen waren brechend voll, vor allem mit Hog-wartsSchülern, die ihren freien Nachmittag feierten, doch auch mit einem Typ von magischen Menschen, wie sie Harry anderswo kaum zu Gesicht bekam. Da Hogsmeade das einzige nur von Zauberern und Hexen bewohnte Dorf in Großbritannien war, vermutete Harry, daß es eine Art Zuflucht war für Geschöpfe wie die Sabberhexen, die sich nicht so geschickt tarnen konnten wie Zauberer.

Es war gar nicht einfach, sich mit dem Tarnurnhang durch die Menge zu bewegen, denn wenn man zufällig jemandem auf die Füße trat, führte dies meist zu peinlichen Fragen. Harry schlängelte sich vorsichtig zu einem freien Tisch in der Ecke durch, während Hermine an der Theke etwas zu trinken holte. Auf dem Weg nach hinten sah Harry Ron an einem Tisch mit Fred, George und Lee Jordan sitzen. Er hatte große Lust, Ron einen deftigen Klaps auf den Hinterkopf zu versetzen, ließ es dann aber doch lieber sein. Endlich schaffte er es zu seinem Tisch und setzte sich.

Hermine kam einen Augenblick später und schob ihm unauffällig ein Butterbier unter den Tarnurnhang.

»Die halten mich sicher für bescheuert, hier ganz allein rumzusitzen«, murmelte sie.»Ein Glück, daß ich was zum Arbeiten mitgebracht habe.«

Sie zog ein Notizbuch heraus, in dem sie eine Liste der B.ELFE.R-Mitglieder führte. Harry sah seinen und Rons Namen ganz oben auf der sehr kurzen Liste stehen. Es schien so furchtbar lange her zu sein, daß er mit Ron zusammen an den Prophezeiungen gebastelt hatte, bis dann Hermine aufgetaucht war und sie zu Sekretär und Schatzmeister ernannt hatte.

»Weißt du, vielleicht sollte ich einfach mal versuchen, ein paar von den Dorfleuten für B-ELFE-R zu gewinnen«, sagte Hermine nachdenklich und sah sich im Pub um.

»Ja, schon gut«, sagte Harry. Er trank einen Schluck Butterbier unter seinem Tarnurnhang.»Hermine, wann gibst du diesen Belfer-Kram endlich auf?«

»Wenn die Hauselfen anständige Löhne und Arbeitsbedingungen haben!«, zischelte sie zurück.»Allmählich glaube ich, es ist an der Zeit, etwas Handfestes zu unternehmen. Weißt du zufällig, wie man in die Schulküche kommt?«

»Keine Ahnung, frag doch Fred und George«, sagte Harry.

Hermine verfiel in nachdenkliches Schweigen; Harry trank sein Butterbier und beobachtete die Leute im Pub. Alle wirkten gut gelaunt und entspannt. Ernie Macmillan und Hannah Abbott, beide mit CEDRIC DIGGORY-An-steckern auf den Umhängen, tauschten an einem Nachbartisch Schokofrosch-Karten. Drüben an der Tür sah er Cho und eine größere Schar ihrer Freunde aus Ravenclaw. Einen CEDRIC DIGGORY-Anstecker trug sie allerdings nicht… und das munterte Harry ein wenig auf…

Was hätte er nicht alles gegeben, um zu ihnen zu gehören, die da saßen und lachten und sich unterhielten und keine größeren Sorgen kannten als die Erledigung ihrer Hausaufgaben! Er stellte sich vor, wie er sich hier fühlen würde, wenn der Feuerkelch nicht seinen Namen ausgespuckt hätte. Zunächst einmal würde er keinen Tarnurnhang tragen. Ron würde bei ihm sitzen. Alle drei würden sie wahrscheinlich ganz ausgelassen darüber nachdenken, welche Aufgabe die Schul-Champions am Dienstag unter Todesgefahr zu lösen haben würden. Wie er sich darauf freuen würde, ihnen zuzusehen… ungefährdet irgendwo hinten auf den Rängen zu sitzen und Cedric anzufeuern…

Er fragte sich, wie sich die anderen Champions fühlten. Jedes Mal, wenn er Cedric in letzter Zeit gesehen hatte, war er von Bewunderern umringt gewesen und hatte zwar nervös, aber auch freudig erregt ausgesehen. Fleur Delacour hatte Harry hin und wieder kurz im Vorbeigehen gesehen; sie wirkte so wie immer, hochmütig und nicht die Spur nervös. Und Krum saß die ganze Zeit in der Bibliothek und brütete über irgendwelchen Büchern.

Harry dachte an Sirius und der festgezurrte Knoten in seiner Brust schien sich ein wenig zu lockern. In gut zwölf Stunden würde er mit ihm sprechen können, denn heute Nacht wollten sie sich am Kamin des Gemeinschaftsraums treffen – vorausgesetzt, daß nichts schief ging, wo doch in letzter Zeit alles schief gegangen war…

»Sieh mal, da ist Hagrid!«, sagte Hermine.

Hagrids gewaltiger zottiger Hinterkopf – die beiden Zöpfe hatte er dankenswerterweise wieder aufgelöst – tauchte über der Menge auf. Harry fragte sich, warum er ihn nicht gleich gesehen hatte, da Hagrid so groß war; doch als er vorsichtig aufstand, sah er, daß Hagrid sich hinuntergebeugt und mit Professor Moody gesprochen hatte. Hagrid hatte seinen üblichen mächtigen Humpen vor sich, doch Moody trank aus seinem Flachmann. Madam Rosmerta, die hübsche Wirtin, schien davon nicht viel zu halten; als sie die Gläser von den umstehenden Tischen einsammelte, warf sie Moody einen scheelen Blick zu. Vielleicht dachte sie, Moody würde ihren heißen Met verschmähen, doch Harry wußte es besser. Moody hatte ihnen in der letzten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste erzählt, daß er es vorzog, sich sein Essen und seine Getränke immer selbst zu bereiten, da es für einen schwarzen Magier so einfach war, einen unbewachten Becher zu vergiften. Harry sah jetzt, wie Hagrid und Moody Anstalten machten zu gehen. Er winkte ihnen, dann fiel ihm ein, daß Hagrid ihn ja gar nicht sehen konnte. Moody jedoch hielt inne, das magische Auge auf die Ecke gerichtet, in der Harry stand. Er stupste Hagrid ins Kreuz (seine Schulter konnte er ja nicht erreichen), murmelte etwas und die beiden kamen durch den Pub auf Harrys und Hermines Tisch zu.

»Alles klar, Hermine?«, sagte Hagrid laut.

»Hallo«, sagte Hermine und lächelte ihn an.

Moody hinkte um den Tisch herum und beugte sich vor; Harry dachte, er würde das B.ELFE.R-Notizbuch lesen, bis Moody murmelte:»Hübscher Umhang, Potter.«

Harry starrte ihn verdutzt an. Moodys Nase mit dem großen fehlenden Stück war im Abstand von einigen Zentimetern besonders eindrucksvoll. Moody grinste.

»Kann Ihr Auge – ich meine, können Sie -?«

»Ja, ich kann durch Tarnumhänge sehen«, sagte Moody gedämpft.»Und das war schon einige Male recht nützlich, kann ich dir sagen.«

Auch Hagrid strahlte zu Harry hinunter. Harry wußte, daß Hagrid ihn nicht sehen konnte, doch Moody hatte ihm offenbar erzählt, daß er hier saß. Hagrid beugte sich jetzt über den Tisch, tat so, als würde auch er das B.ELFE.R-No-tizbuch lesen, und flüsterte dann so leise, daß nur Harry ihn hören konnte:»Harry, komm heut um Mitternacht runter zu meiner Hütte. Trag diesen Umhang.«

Dann richtete er sich auf und sagte laut:»War nett, dich zu sehen, Hermine«, zwinkerte und ging davon. Moody folgte ihm.

»Warum will er, daß ich ihn um Mitternacht treffe?«, fragte Harry vollkommen überrascht.

»Keine Ahnung, was er vorhat«, sagte Hermine ebenfalls verdutzt.»Und ich weiß auch nicht, ob du gehen solltest, Harry…«Sie sah sich nervös um und zischte:»Denn dann verpaßt du vielleicht Sirius.«

Sie hatte Recht. Hagrid um Mitternacht zu treffen, hieß, daß es für die Zusammenkunft mit Sirius ganz schön knapp wurde; Hermine schlug vor, sie sollten Hedwig schicken, um Hagrid abzusagen – immer vorausgesetzt, sie würde sich dazu herablassen -, doch Harry hielt es für besser, Hagrid kurz anzuhören und dann rasch wieder zu verschwinden. Er war sehr neugierig, was es sein könnte; noch nie hatte Hagrid ihn gebeten, so spät noch zu kommen.

* * *

Um halb zwölf nachts zog Harry, der verkündet hatte, er wolle heute früh schlafen gehen, den Tarnurnhang erneut an, ging hinunter und schlich sich durch den Gemeinschaftsraum. Es waren durchaus noch einige Mitschüler da. Die Creevey-Brüder hatten es geschafft, einen Stapel»Ich bin für CEDRIC DIGGORY«-Anstecker in die Finger zu bekommen, und versuchten sie jetzt zu verhexen, damit es stattdessen»Ich bin für HARRY POTTER«hieß. Bislang jedoch war es ihnen nur gelungen, die erste Aufschrift zu löschen, so daß jetzt nur noch POTTER STINKT angezeigt wurde. Harry drückte sich an ihnen vorbei zum Porträtloch und wartete, die Augen auf die Uhr gerichtet, gut eine Minute. Dann öffnete Hermine von der anderen Seite die fette Dame, wie sie es abgemacht hatten. Er glitt mit einem geflüsterten»Danke!«an ihr vorbei und machte sich auf den Weg durch das Schloß.

Draußen auf den Ländereien war es stockfinster. Harry lief über das Gras auf die Lichter von Hagrids Hütte zu. Auch die riesige Beauxbatons-Kutsche war hell erleuchtet; Harry konnte Madame Maxime drinnen reden hören, als er an Hagrids Tür klopfte.

»Bist du das, Harry?«, flüsterte Hagrid, öffnete die Tür und spähte umher.

»Ja«, sagte Harry, huschte hinein und zog sich den Umhang vom Kopf.»Was gibt's?«

»Will dir nur was zeigen«, sagte Hagrid.

Hagrid machte einen ungeheuer aufgeregten Eindruck. Er trug eine Blume im Knopfloch, die einer übergroßen Artischocke ähnelte. Es schien, als würde er inzwischen auf Schmierfett verzichten, doch er hatte offensichtlich versucht sich zu kämmen – ein paar abgebrochene Kammzähne waren in die Haare verknotet.

»Um was geht es denn?«, sagte Harry lustlos und fragte sich, ob die Kröter vielleicht Eier gelegt hatten oder ob Hagrid es wieder einmal geschafft hatte, einem Wildfremden in der Kneipe einen dreiköpfigen Riesenhund abzukaufen.

»Sei leise, versteck dich unter deinem Umhang und komm mit«, sagte Hagrid.»Fang lassen wir hier, dem wird es nicht gefallen…«

»Hör mal, Hagrid, ich kann nicht lange bleiben… ich muß um ein Uhr wieder im Schloß oben sein -«

Doch Hagrid hörte nicht zu; er öffnete die Hüttentür und marschierte hinaus in die Dunkelheit. Harry beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten, und stellte überrascht fest, daß Hagrid ihn zur Kutsche der Beauxbatons führte.

»Hagrid, was -?«

»Schhh!«, machte Hagrid und klopfte dreimal gegen die Tür mit den gekreuzten goldenen Zauberstäben.

Madame Maxime öffnete. Sie hatte einen Seidenschal um ihre massigen Schultern geschlungen und lächelte, als sie Hagrid sah.»Aa, 'Agrid… ist es schon Sseit?«

»Bong-soar«, sagte Hagrid und strahlte sie an, dann reichte er ihr die Hand und half ihr die goldenen Stufen hinunter.

Madame Maxime schloß die Tür hinter sich, Hagrid bot ihr den Arm an und sie machten sich auf den Weg um die Koppel mit Madame Maximes geflügelten Riesenpferden. Harry, vollkommen perplex, mußte rennen, um Schritt zu halten. Hatte Hagrid ihm nur Madame Maxime zeigen wollen? Er konnte sie doch jederzeit sehen… sie war ja nicht gerade schwer zu verfehlen…

Doch offenbar hatte Hagrid Madame Maxime ebenfalls zu diesem Ausflug eingeladen, denn nach einer Weile sagte sie neckisch:»Wo führen Sie misch denn 'in, 'Agrid?«

»Verrat ich nicht«, sagte Hagrid ruppig.»Wird Ihnen gefallen, das kann ich versprechen. Aber – sagen Sie keinem was davon, ja? Denn eigentlich dürfen Sie es gar nicht sehen.«

»Natürlisch nischt«, sagte Madame Maxime und klimperte mit ihren langen schwarzen Wimpern.

Und sie gingen weiter. Harry ärgerte sich immer mehr, daß er überhaupt hinter den beiden hertrabte, und sah ständig auf die Uhr. Hagrid mußte irgend etwas Hirnrissiges vorhaben und deshalb würde er vielleicht auch noch Sirius verpassen. Wenn sie nicht bald da waren, würde er einfach kehrtmachen und ins Schloß zurücklaufen. Hagrid konnte dann seinen Mondscheinspaziergang mit Madame Maxime alleine genießen…

Doch dann – sie waren schon so weit am Wald entlanggelaufen, daß Schloß und See nicht mehr zu sehen waren – hörte Harry etwas. In einiger Entfernung von ihnen riefen und schrien Männer durcheinander… dann hörte er ein markerschütterndes, trommelfellzerfetzendes Brüllen…

Hagrid führte Madame Maxime um eine dichte Baumgruppe herum und blieb stehen. Harry hastete ihnen nach und stellte sich neben sie. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er einige große Erntefeuer zu erkennen und Männer, die um sie herumrannten – doch dann klappte ihm der Mund auf.

Drachen.

In einem mit schweren Holzplanken umgrenzten Gehege standen vier ausgewachsene, gewaltige, bösartig aussehende Drachen brüllend und schnaubend auf den Hinterbeinen – aus ihren weit aufgerissenen, mit Fangzähnen gespickten Mäulern, fünfzehn Meter hoch auf den gereckten Hälsen, schössen lange Stichflammen in die Nacht. Da war ein blaugrauer Drache mit langen, spitzen Hörnern, der fauchend nach den Zauberern am Boden schnappte; ein glattschuppiger grüner Drache schlängelte und wand sich mit aller Kraft und schlug mit dem Schwanz wild um sich; ein roter Drache mit einem merkwürdigen Kranz aus scharfen Goldzacken um das Gesicht spie pilzförmige Feuerwolken in die Luft, und ganz in der Nähe stand ein gigantischer schwarzer Drache, der viel mehr als die anderen einer Riesenechse ähnelte.

Mindestens dreißig Zauberer, sieben oder acht für jeden Drachen, versuchten sie zu bändigen, sie zogen und rissen an Ketten, die an schweren Lederriemen um Hälse und Leiber der Drachen befestigt waren. Wie in Trance hob Harry den Kopf und sah hoch über sich die Augen des schwarzen Drachen mit senkrecht stehenden Katzenpupillen aus ihren Höhlen quellen, rasend vor Angst oder Wut, Harry wußte es nicht… das Heulen und Kreischen und Brüllen des Drachen war grauenhaft anzuhören…

»Bleib ja dahinten stehen, Hagrid!«, rief ein Zauberer am Gehege und zerrte an der Kette in seiner Hand.»Sie können im Umkreis von sieben Metern Feuer speien! Und ich hab gesehen, wie dieser Hornschwanz es doppelt so weit geschafft hat!«

»Sind sie nicht schön?«, sagte Hagrid leise.

»So kommen wir nicht weiter!«, rief ein anderer Zauberer.»Schockzauber, ich zähle bis drei!«

Harry sah, wie die Drachenwärter ihre Zauberstäbe zogen.

»Stupor!«, riefen alle wie aus einem Mund, und die Schockzauber rasten durch die Dunkelheit wie die Feuerschweife von Raketen und schlugen Funken stiebend gegen die Schuppenpanzer der Drachen -

Harry sah, wie der Drache in ihrer Nähe auf seinen Hinterbeinen ins Wanken geriet; jäh riß er seinen Rachen zu einem stummen Heulen auf; seine Nüstern waren plötzlich erloschen, auch wenn sie noch rauchten. Dann, ganz langsam, kippte er hintenüber, und mehrere Tonnen zähes, schuppiges schwarzes Drachenfleisch krachten mit einem Rums zu Boden, der, wie Harry geschworen hätte, die Bäume hinter ihm erzittern ließ.

Die Drachenwärter senkten ihre Zauberstäbe und gingen auf ihre niedergestreckten Schützlinge zu, jeder so groß wie ein kleiner Hügel. Hastig zogen sie die Ketten enger und banden sie an eisernen Stangen fest, die sie mit ihren Zauberstäben tief in die Erde trieben.

»Woll'n wir näher rangehn?«, fragte Hagrid Madame Maxime mit begeisterter Miene. Die beiden gingen vor bis zur Einfriedung und Harry folgte ihnen. Der Zauberer, der Hagrid ermahnt hatte, nicht näher zu kommen, wandte sich um und erst jetzt erkannte ihn Harry – es war Charlie Weasley.

»Wie geht's, Hagrid?«, keuchte er und kam auf ein paar Worte herüber.»Jetzt müßten sie sich langsam beruhigt haben – wir hatten ihnen für den Weg hierher ein Schlafelixier verpaßt und dachten, es wäre besser für sie, wenn sie nachts und in aller Ruhe aufwachen – aber wie du gesehen hast, waren sie nicht glücklich, überhaupt nicht glücklich -«

»Welche Arten hast du denn hier, Charlie?«, fragte Hagrid und starrte den in der Nähe liegenden Drachen – es war der schwarze – mit beinahe ehrfürchtiger Miene an. Die Augen des Drachen waren nur noch einen Schlitz breit offen. Unter seinem runzligen schwarzen Augenlid konnte Harry einen gelb glühenden Streifen sehen.

»Das ist ein Ungarischer Hornschwanz«, sagte Charlie.»Dort drüben ist ein Gemeiner Walisischer Grünling, der kleine da – dieser blaugraue – ist ein Schwedischer Kurzschnäuzler und der rote dort ist ein Chinesischer Feuerball.«

Charlie wandte sich um; Madame Maxime hatte sich entfernt und schlenderte, die betäubt daliegenden Drachen musternd, an der Einfriedung des Geheges entlang.

»Ich wußte nicht, daß du sie mitbringen würdest, Hagrid«, sagte Charlie stirnrunzelnd.»Die Champions sollen nicht wissen, was sie erwartet – sie erzählt es sicher ihrer Schülerin, oder?«

»Dachte mir nur, sie würd sie gern sehen«, sagte Hagrid achselzuckend, ohne jedoch seinen träumerischen Blick von den Drachen abzuwenden.

»Wirklich 'ne romantische Verabredung, Hagrid«, sagte Charlie kopfschüttelnd.

»Vier…«, sagte Hagrid,»also einen für jeden Champion? Was müssen sie tun – gegen sie kämpfen?«

»Nur an ihnen vorbeikommen, glaub ich«, sagte Charlie.»Wir sind dabei, falls es ernst werden sollte, und halten die Feuerlöschzauber ständig bereit. Sie wollten brütende Weibchen haben, ich weiß nicht, warum… aber ich sag dir, wer es mit dem Hornschwanz zu tun kriegt, der ist nicht zu beneiden. Bösartiges Vieh. Sein Hinterteil ist genauso gefährlich wie die Schnauze, sieh nur.«

Charlie deutete auf das Hinterteil des Hornschwanzes, und Harry konnte erkennen, daß der Schwanz des Drachen über und über mit bronzenen Stacheln gespickt war.

In diesem Moment wankten fünf von Charlies Wärterkollegen auf den Hornschwanz zu, die zwischen sich ein Tuch aufgespannt hielten, auf dem ein Gelege aus mächtigen granitgrauen Eiern lag. Sie legten die Eier vorsichtig an den Bauch des Hornschwanzes. Hagrid stöhnte sehnsuchtsvoll auf.

»Ich hab sie zählen lassen, Hagrid«, sagte Charlie streng.»Wie geht's eigentlich Harry?«

»Gut«, sagte Hagrid. Seine Augen ruhten immer noch auf den Eiern.

»Ich hoffe nur, es geht ihm auch noch gut, nachdem er sich mit dieser Meute hier herumgeschlagen hat«, sagte Charlie grimmig und ließ den Blick über die Drachenkoppel schweifen.»Ich hab mich nicht mal getraut, Mum zu sagen, was er bei der ersten Aufgabe tun muß, sie kriegt ohnehin Zustände, wenn sie an ihn denkt…«Charlie ahmte jetzt die besorgte Stimme seiner Mutter nach.»›Wie konnten sie es nur zulassen, daß er an diesem Turnier teilnimmt, er ist noch viel zu jung! Ich dachte, sie wären davor sicher, es gab doch eine Altersbegrenzung!‹ Nachdem sie diesen Artikel über ihn im Tagespropheten gelesen hatte, war sie vollkommen aufgelöst. ›Er weint immer noch wegen seiner Eltern! Oh, der Arme, wenn ich das gewußt hätte!‹«

Harry hatte es jetzt satt. Hagrid hatte immerhin vier leibhaftige Drachen und Madame Maxime, denen er seine Aufmerksamkeit schenken konnte, und so würde er Harry sicher nicht vermissen. Er drehte sich geräuschlos um und machte sich auf den Rückweg zum Schloß.

Er wußte nicht, ob er froh sein sollte, gesehen zu haben, was auf ihn zukam. Vielleicht war es besser so. Den ersten Schreck hatte er schon überstanden. Wenn er die Drachen am Dienstag zum ersten Mal gesehen hätte, dann wäre er womöglich vor aller Augen ohnmächtig geworden… vielleicht jedoch würde ihm das ohnehin passieren… er würde mit seinem Zauberstab bewaffnet – der jetzt, wenn er daran dachte, nur ein dünnes Stück Holz war – gegen einen fünfzehn Meter hohen, schuppigen, stachelbewehrten, Feuer speienden Drachen antreten. Und er mußte an ihm vorbeikommen. Unter den Augen aller. Wie?

Harry ging am Waldrand entlang und beschleunigte jetzt seine Schritte; er hatte nur noch fünfzehn Minuten, um zum Kamin zu gelangen und mit Sirius zu sprechen. Und er konnte sich nicht erinnern, sich jemals so danach gesehnt zu haben, mit jemandem zu reden – und dann stieß er urplötzlich gegen etwas Festes und fiel rücklings auf die Erde.

Seine Brille baumelte nur noch an einem Ohr und er zog den Tarnurnhang fest um sich. Dann hörte er, ganz nahe, eine Stimme:»Autsch! Wer da!«

Harry prüfte hastig, ob ihn der Tarnumhang ganz verhüllte, blieb reglos liegen und sah hinauf zu dem schwarzen Umriß des Zauberers, mit dem er soeben zusammengestoßen war. Er erkannte den Spitzbart… es war Karkaroff.

»Wer ist da?«, sagte Karkaroff erneut argwöhnisch und spähte in der Dunkelheit umher. Harry rührte sich nicht und gab keine Antwort. Nach ungefähr einer Minute schien Karkaroff zu dem Schluß gekommen zu sein, daß irgendein Tier ihn angefallen habe; er sah auf Hüfthöhe um sich her, als ob er erwartete, einen Hund zu sehen. Dann schlich er zurück in den Schutz der Bäume und stahl sich weiter zum Drachengehege vor.

Langsam und umsichtig stand Harry auf und ging dann, so schnell er konnte, ohne allzu viel Geräusche zu machen, weiter in Richtung Schloß.

Harry wußte genau, was Karkaroff im Schilde führte. Er hatte sich von seinem Schiff geschlichen und wollte auskundschaften, worin die erste Aufgabe bestand. Vielleicht hatte er sogar Hagrid und Madame Maxime zusammen am Wald entlanggehen sehen… und nun mußte Karkaroff nur ihren Stimmen folgen, dann würde auch er, wie schon Madame Maxime, genau wissen, was die Champions erwartete. So, wie es jetzt aussah, würde Cedric am Dienstag der Einzige sein, der nicht wußte, was auf ihn zukam.

Harry erreichte das Schloß, glitt durchs Portal und stieg die Marmortreppe hoch; er atmete schwer, doch er wagte es nicht, ein wenig langsamer zu gehen… er hatte nur noch fünf Minuten, um nach oben zum Kamin zu kommen…

»Quatsch!«, keuchte er vor der fetten Dame, die in ihrem Bild vor dem Porträtloch döste.

»Wenn du meinst«, murmelte sie schläfrig, und ohne die Augen zu öffnen, ließ sie das Bild zur Seite schwingen und gab den Weg frei. Harry kletterte hinein. Der Gemeinschaftsraum war menschenleer, und da es hier wie immer roch, hatte Hermine offenbar keine Stinkbomben werfen müssen, um ihm und Sirius ein Gespräch unter vier Augen zu ermöglichen.

Harry zog sich den Tarnurnhang vom Kopf und warf sich in einen Sessel vor dem Feuer. Der Raum lag im Halbdunkel; nur die Flammen gaben ein wenig Licht. Auf einem Tisch in der Nähe glommen die Lettern der Anstecker. Doch jetzt war etwas anderes zu lesen. POTTER STINKT WIRKLICH. Harry sah wieder ins Feuer und zuckte zusammen.

Sirius' Kopf saß mitten in den Flammen. Wenn Harry nicht vor einiger Zeit bei den Weasleys Mr Diggory in genau derselben Haltung gesehen hätte, dann wäre er zu Tode erschrocken. Stattdessen breitete sich auf seinem Gesicht das erste Lächeln seit Tagen aus, er rappelte sich aus dem Sessel und kauerte sich am Kamin nieder.»Sirius – wie geht's dir?«

Sirius sah anders aus, als Harry ihn in Erinnerung hatte. Als sie sich verabschiedet hatten, war sein Gesicht noch ausgemergelt und hohlwangig gewesen, umwachsen von einer langen mattschwarzen Haarmähne – doch nun war sein Haar kurz und sauber, sein Gesicht voller und er sah jünger aus, viel eher wie auf dem einzigen Foto, das Harry von ihm besaß und das bei der Hochzeit der Potters aufgenommen worden war.

»Wie's mir geht, ist nicht so wichtig, wie geht's dir?«, sagte Sirius ernst.

»Mir geht's -«Einen Moment lang versuchte Harry»gut«zu sagen. Doch er schaffte es nicht. Bevor er recht wußte, wie ihm geschah, hatte er mehr geredet als während der ganzen letzten Tage zusammen – er erzählte, wie er gegen seinen Willen ins Turnier gelangt war, daß Rita Kimmkorn im Tagespropheten Lügen über ihn verbreitet hatte, daß er keinen Flur entlanggehen konnte, ohne sich hämische Bemerkungen anhören zu müssen – und er redete über Ron, über Ron, der ihm nicht glaubte, der eifersüchtig war…»Und gerade vorhin hat Hagrid mir gezeigt, was sie in der ersten Runde bringen, nämlich Drachen, Sirius, und jetzt bin ich erledigt«, schloß er verzweifelt.

Sirius sah ihn voller Sorge an, mit Augen, die noch nicht ganz den Ausdruck verloren hatten, den ihnen Askaban eingebrannt hatte – diesen abgestumpften und gehetzten Blick. Er hatte Harry ohne Unterbrechung reden lassen, bis dieser erschöpft war, doch jetzt sagte er:»Mit Drachen werden wir schon fertig, Harry, aber dazu gleich – ich kann nicht lange bleiben… ich bin in ein Zaubererhaus eingebrochen, um den Kamin zu benutzen, aber die können jeden Augenblick zurückkommen. Ich muß dich vor jemandem warnen.«

»Vor wem denn?«, fragte Harry, und auch der letzte Rest seiner Zuversicht begann zu schwinden… was konnte denn noch Schlimmeres kommen als die Drachen?

»Karkaroff«, sagte Sirius.»Harry, er war ein Todesser. Du weißt, was Todesser sind?«

»Ja – was – war mit ihm?«

»Er wurde gefaßt, er war mit mir in Askaban, doch sie haben ihn freigelassen. Ich wette, das ist der Grund, warum Dumbledore dieses Jahr einen Auroren in Hogwarts haben wollte – damit er ein Auge auf ihn wirft. Es war Moody, der Karkaroff damals gefaßt hat. Er hat ihn überhaupt erst nach Askaban gebracht.«

»Karkaroff wurde freigelassen?«, sagte Harry langsam -sein Gehirn schien Mühe zu haben, auch noch diese erschreckende Neuigkeit aufzunehmen.»Warum haben sie ihn freigelassen?«

»Er hat mit dem Zaubereiministerium ein Geschäft gemacht«, sagte Sirius erbittert.»Er sagte, er hätte seine Irrtümer eingesehen, und dann nannte er Namen… hat statt seiner eine Menge anderer Leute nach Askaban gebracht… dort drin ist er nicht gerade beliebt, kann ich dir sagen. Und seit er draußen ist, hat er, soweit ich weiß, jedem Schüler, den er in seiner Schule ausbildet, die dunklen Künste beigebracht. Also nimm dich auch vor dem Durmstrang-Champion in Acht.«

»Gut«, sagte Harry nachdenklich.»Aber… willst du damit sagen, daß Karkaroff meinen Namen in den Kelch geworfen hat? Denn dann wäre er ein wirklich guter Schauspieler. Er schien doch so wütend darüber zu sein. Er wollte mich überhaupt nicht im Turnier haben.«

»Wir wissen, daß er ein guter Schauspieler ist«, sagte Sirius,»denn er hat immerhin das Zaubereiministerium davon überzeugt, er könne freigelassen werden, oder? Harry, ich habe in letzter Zeit den Tagespropheten verfolgt -«

»Du und der Rest der Welt«, sagte Harry erbittert.

»- und wenn ich den Bericht von dieser Kimmkorn letzten Monat zwischen den Zeilen lese, dann wird mir klar, daß Moody in der Nacht, bevor er in Hogwarts antrat, angegriffen wurde. Ja, ich weiß, sie behauptet, es sei wieder mal falscher Alarm gewesen«, setzte Sirius hastig hinzu, da Harry schon den Mund aufmachte,»aber ich kann das nicht so recht glauben. Ich denke, daß jemand versucht hat, ihn daran zu hindern, nach Hogwarts zu kommen. Jemand muß gewußt haben, daß es viel schwieriger sein würde, etwas zu erledigen, wenn Moody in der Nähe ist. Und keiner wird sich ernsthaft um den Vorfall kümmern, weil Mad-Eye im Lauf der Zeit schlicht ein wenig zu viele Eindringlinge gehört haben will. Doch das heißt nicht, daß er eine wirkliche Gefahr nicht mehr wittern kann. Moody war immerhin der beste Auror, den das Ministerium je hatte.«

»Also… was willst du damit sagen«, erwiderte Harry langsam.»Daß Karkaroff mich umbringen will? Aber – warum?«

Sirius zögerte.

»Mir sind einige sehr merkwürdige Dinge zu Ohren gekommen«, sagte er nachdenklich.»Die Todesser scheinen in letzter Zeit ein wenig umtriebiger geworden zu sein. Bei der Quidditch-Weltmeisterschaft sind sie offen aufgetreten. Jemand hat das Dunkle Mal an den Himmel beschworen… und außerdem – hast du von dieser Ministeriumshexe gehört, die vermißt wird?«

»Bertha Jorkins?«, fragte Harry.

»Genau… sie ist in Albanien verschwunden, und ausgerechnet dort soll sich, wenn man den Gerüchten glaubt, Voldemort in letzter Zeit aufgehalten haben… und Bertha muß gewußt haben, daß das Trimagische Turnier geplant war.«

»Ja, aber… es ist doch unwahrscheinlich, daß sie Voldemort einfach so über den Weg gelaufen ist, oder?«

»Hör zu, ich kannte Bertha Jorkins«, sagte Sirius grimmig.»Sie war damals mit uns zusammen in Hogwarts, ein paar Klassen über mir und deinem Dad. Und sie war schlichtweg doof. Furchtbar neugierig, aber von Grips keine Spur. Keine gute Mischung, Harry. Ich würde sagen, es wäre ein Leichtes, sie in die Falle zu locken.«

»Also… hätte Voldemort von dem Turnier erfahren können?«, sagte Harry.»Ist es das, was du mir sagen willst? Du denkst, Karkaroff könnte auf seinen Befehl hin hier sein?«

»Ich bin mir nicht sicher«, entgegnete Sirius zögernd.»Ich weiß es einfach nicht… Karkaroff kommt mir nicht vor wie der Typ, der zu Voldemort zurückkehrt, wenn er sich nicht sicher ist, daß Voldemort mächtig genug ist, um ihn zu schützen. Aber wer auch immer deinen Namen in diesen Kelch geworfen hat, er hatte einen guten Grund. Und ich werde den Gedanken nicht los, daß das Turnier eine glänzende Möglichkeit bietet, dich anzugreifen und es wie einen Unfall aussehen zu lassen.«

»Sieht wie ein wirklich guter Plan aus, bei dem, was mir jetzt bevorsteht«, sagte Harry trübselig.»Sie müssen nur die Hände in den Schoß legen und die Drachen erledigen den Rest.«

»Genau – die Drachen«, sagte Sirius, plötzlich sehr in Eile.»Es gibt eine Möglichkeit, Harry. Versuch es bloß nicht mit einem Schockzauber – Drachen sind zu stark und als magische Wesen viel zu mächtig, um von einem einzigen Schocker ausgeschaltet zu werden. Um einen Drachen zu erledigen, braucht es mindestens ein halbes Dutzend Zauberer -«

»Tja, das weiß ich, ich hab's gerade gesehen«, meinte Harry.

»Aber du kannst es ganz alleine schaffen«, sagte Sirius.»Es gibt eine Möglichkeit mit nur einem einfachen Zauber. Und zwar -«

Doch Harry hob die Hand, damit er verstummte, und sein Herz pochte plötzlich, als wolle es platzen. Er hörte Schritte die Wendeltreppe hinter sich herunterkommen.

»Geh!«, zischte er Sirius zu.»Geh! Da kommt jemand!«

Harry rappelte sich hoch und stellte sich aufrecht vor das Feuer – wenn jemand Sirius' Gesicht in den Mauern von Hogwarts sah, dann gäbe es einen unglaublichen Aufruhr – das Ministerium würde alarmiert – sie würden ihn ins Gebet nehmen und fragen, wo Sirius stecke -

Harry hörte ein leises Plopp im Feuer hinter seinem Rücken und wußte, daß Sirius verschwunden war. Er faßte die letzten Stufen der Wendeltreppe ins Auge – wer hatte beschlossen, um ein Uhr nachts noch einen kleinen Spaziergang zu machen, und hinderte Sirius daran, ihm zu sagen, wie er an einem Drachen vorbeikam?

Es war Ron. In seinem kastanienbraunen Pyjama mit Paisleymuster. Er erstarrte, als er Harry drüben am Kamin sah, und blickte sich um.

»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte er.

»Was geht dich das an?«, raunzte Harry.»Was hast du eigentlich mitten in der Nacht hier unten zu suchen?«

»Ich hab mich nur gefragt, wo du -«Ron brach schulterzuckend ab.»Nichts. Ich geh wieder ins Bett.«

»Wolltest einfach mal rumschnüffeln, oder?«, rief Harry. Er wußte, daß Ron keine Ahnung hatte, wen er da verscheucht hatte, wußte auch, daß er es nicht absichtlich getan hatte, doch es war ihm egal – in diesem Augenblick haßte er alles an Ron, bis hinunter zu dem Stück nackten Schienbeins, das sich unter dem Saum seiner Schlafanzughose zeigte.

»O Verzeihung«, sagte Ron, und sein Gesicht wurde zornrot.»Hätte wissen müssen, daß du nicht gestört werden willst. Ich laß dich jetzt in aller Ruhe für dein nächstes Interview üben.«

Harry packte einen der POTTER STINKT WIRKLICH-Anstecker, die auf dem Tisch lagen, und schleuderte ihn mit aller Kraft durchs Zimmer. Das Blech traf Rons Stirn und fiel scheppernd zu Boden.

»Na bitte«, sagte Harry.»Das kannst du am Dienstag tragen. Wenn du Glück hast, gibt es sogar eine Narbe… das ist es doch, was du willst, oder?«Er marschierte durchs Zimmer auf die Treppe zu; halb rechnete er damit, daß Ron ihn aufhalten würde, er wäre sogar froh gewesen, wenn Ron sich mit ihm geprügelt hätte. Doch Ron stand einfach da in seinem Hochwasserpyjama und rührte sich nicht. Harry stürmte nach oben und lag noch lange kochend vor Zorn im Bett. Er hörte nicht einmal, daß Ron hereinkam.

Die erste Aufgabe

Harry war am Sonntagmorgen beim Anziehen so zerstreut, daß es eine Weile dauerte, bis ihm auffiel, daß er seinen Zauberhut statt einer Socke über den Fuß ziehen wollte. Endlich waren alle Kleidungsstücke am richtigen Platz, und er eilte los, um Hermine zu suchen. Er fand sie in der Großen Halle am Gryffindor-Tisch, wo sie mit Ginny frühstückte. Harry, dem gar nicht nach Essen zumute war, wartete, bis Hermine ihren letzten Löffel Haferschleim geschluckt hatte, dann schleppte er sie sofort hinaus auf die Ländereien. Bei einem langen Spaziergang um den See erzählte er ihr alles über die Drachen und sein Gespräch mit Sirius.

Hermine beunruhigten zwar Sirius' Warnungen vor Karkaroff, doch fand sie, die Drachen seien das drängendere Problem.

»Wir müssen unbedingt alles daransetzen, daß du den Dienstag überlebst«, sagte sie verzweifelt,»und dann können wir uns über Karkaroff Gedanken machen.«

Dreimal umrundeten sie den See und überlegten angestrengt, wie es möglich sein sollte, mit Hilfe eines einfachen Zaubers einen Drachen zu bändigen. Doch es fiel ihnen nichts ein, und schließlich suchten sie die Lösung in der Bibliothek. Harry zog jedes Buch über Drachen aus den Regalen, das er finden konnte, dann nahmen sie sich gemeinsam den großen Bücherstapel vor.

»Krallenschneiden mit Zauberkraft… Behandlung von Schuppenflechte… bringt nichts, das ist eher was für Spinner wie Hagrid, die diese Viecher auch noch aufpäppeln wollen…«

»›Drachen sind äußerst schwer zu erlegen aufgrund der uralten magischen Kräfte, mit denen ihre dicken Häute durchdrungen sind, und nur die mächtigsten Zauberer können sie brechen… ‹ Aber Sirius hat gesagt, ein ganz simpler Zauber würde genügen…«

»Versuchen wir es eben mit einfachen Zauberbüchern«, sagte Harry und pfefferte Männer, die Drachen zu sehr lieben beiseite.

Er kam mit einem Stapel Zauberbücher zum Tisch zurück, legte sie ab und begann eins nach dem anderen durchzublättern. Hermine saß an seinen Ellbogen gedrängt und flüsterte ihm unablässig zu.»Gut, es gibt Verwandlungszauber… aber wozu sind die nütze? Außer du verwandelst seine Fangzähne in Weingummis oder so was, das würde ihn ein wenig kuscheliger machen… das Problem ist nur, wie es in dem anderen Buch stand, es gibt nicht viel, was durch diese Drachenhaut dringt… ich würde sagen, verwandle ihn, aber bei etwas so Großem hast du eigentlich keine Chance, ich glaube, nicht mal Professor McGonagall… oder wie war's, wenn du einen Zauber auf dich selbst anwendest? Um dir zusätzliche Kräfte zu verschaffen? Aber das sind jedenfalls keine einfachen Zauber, und außerdem haben wir sie noch nicht im Unterricht gehabt, ich weiß das zufällig, weil ich schon mal ein paar ZAG-Übungsblätter durchgearbeitet hab…«

»Hermine«, sagte Harry zähneknirschend,»-würdest du bitte für einen Moment den Mund halten? Ich versuch mich zu konzentrieren.«

Doch alles, was passierte, als Hermine verstummte, war, daß in Harrys Kopf ein monotones Summen anhob, das ihm einfach keine Chance ließ, genau nachzudenken. Hoffnungslos starrte er auf das Stichwortverzeichnis von Zaubern für Dummies: da war zum Beispiel Sofortskalpieren… aber Drachen hatten keine Haare… Pfefferatem… das würde die Feuerkraft eines Drachen wahrscheinlich noch steigern… Hornzunge… genau, was er brauchte – dem Biest noch eine Waffe geben…

»O nein, da ist er schon wieder! Warum kann er nicht auf seinem blöden Schiff lesen?«, sagte Hermine gereizt, denn Viktor Krum schlurfte herein, warf ihnen einen verdrießlichen Blick zu und ließ sich mit einem Stapel Bücher hinten in einer Ecke nieder.»Komm, Harry, wir gehen nach oben in den Gemeinschaftsraum… sein Fanclub wird gleich hier sein und sich begeiern…«

Und tatsächlich, als sie die Bibliothek verließen, kam ihnen eine Horde Mädchen auf Zehenspitzen entgegen, von denen eines einen Bulgarien-Schal um die Hüfte geschlungen hatte.

* * *

Harry tat in dieser Nacht kaum ein Auge zu. Als er am Montagmorgen erwachte, dachte er zum ersten Mal und ernsthaft daran, einfach abzuhauen. Doch als er beim Frühstück den Blick durch die Große Halle wandern ließ und sich ausmalte, was dies bedeuten würde, wurde ihm klar, daß er das Schloß nicht verlassen konnte. Hogwarts war der einzige Ort, an dem er jemals glücklich gewesen war… natürlich, er mußte wohl auch bei seinen Eltern glücklich gewesen sein, doch daran konnte er sich nicht mehr erinnern.

Trotz allem war es gut, das sichere Gefühl zu haben, viel lieber hier zu sein und sich einem Drachen entgegenzustellen als sich im Ligusterweg mit Dudley herumzuschlagen; dieser Gedanke beruhigte ihn ein wenig. Er aß mit Mühe seinen Schinken auf (mit dem Schlucken hatte er Schwierigkeiten), und als er dann mit Hermine aufstand, sah er Cedric Diggory den Hufflepuff-Tisch verlassen.

Cedric wußte noch nichts von den Drachen… er war der einzige Champion, der keine Ahnung hatte, denn sicher hatten Madame Maxime und Karkaroff es ihren Schützlingen Fleur und Krum gesagt…

»Hermine, wir sehen uns dann im Gewächshaus«, sagte Harry, der Cedric mit den Augen gefolgt war und dann seinen Entschluß gefaßt hatte.»Geh schon mal vor, ich komm dann nach.«

»Harry, du kommst zu spät, es läutet gleich -«

»Ich komm dann nach, okay?«

Harry hatte eben den Fuß der Marmortreppe erreicht, als Cedric schon oben angekommen war. Er war mit seinen Freunden aus der sechsten Klasse unterwegs, vor denen Harry nicht mit ihm reden wollte. Sie gehörten zu den Leuten, die ihm jedes Mal, wenn er in ihre Nähe gekommen war, Rita Kimmkorns Artikel um die Ohren gehauen hatten. Er folgte ihnen in einigem Abstand, bis er feststellte, daß sie zu dem Klassenzimmer gingen, in dem sie Zauberkunst hatten. Das brachte ihn auf eine Idee. Er blieb in einiger Entfernung von ihnen stehen, zog den Zauberstab und zielte sorgfältig.

»Diffindo!«

Cedrics Tasche riß auf, Pergamentblätter, Federn und Bücher fielen zu Boden und ein paar Tintenfässer zerbrachen.

»Ich mach das schon, danke«, sagte Cedric genervt, als seine Freunde sich bückten, um ihm zu helfen.»Geht schon mal vor und sagt Flitwick, daß ich nachkomme…«

Genau darauf hatte Harry gewartet. Er steckte den Zauberstab wieder ein, wartete, bis Cedrics Freunde in ihr Klassenzimmer gegangen waren, und rannte dann den Gang entlang, in dem jetzt außer ihm und Cedric keiner mehr war.

»Hallo«, sagte Cedric und hob sein mit Tinte bespritztes Lehrbuch der Verwandlung für Fortgeschrittene auf.»Meine Tasche ist gerade kaputtgegangen… brandneu, stell dir vor…«

»Cedric«, sagte Harry,»in der ersten Aufgabe kommen Drachen.«

»Wie bitte?«, sagte Cedric und sah auf.

»Drachen«, sagte Harry hastig, denn er befürchtete, Professor Flitwick könnte herauskommen, um nachzusehen, wo Cedric abgeblieben war.»Sie haben vier, für jeden von uns einen, und wir müssen an ihnen vorbeikommen.«

Cedric starrte ihn an. Harry sah ein wenig von jener Furcht, die er selbst seit Samstagnacht spürte, in Cedrics grauen Augen aufflackern.

»Bist du dir ganz sicher?«, fragte Cedric mit gedämpfter Stimme.

»Todsicher«, sagte Harry.»Ich hab sie gesehen.«

»Aber wie hast du das rausgekriegt? Wir dürfen es doch nicht wissen…«

»Ist doch egal«, sagte Harry rasch – Hagrid würde Schwierigkeiten bekommen, wenn er die Wahrheit erzählte.»Aber ich bin nicht der Einzige, der davon weiß. Fleur und Krum werden es inzwischen auch wissen – Maxime und Karkaroff haben die Drachen auch gesehen.«

Cedric richtete sich auf, die Arme voll tintenverschmierter Federn, Pergamentrollen und Bücher, die aufgerissene Tasche baumelte von seiner Schulter. Er starrte Harry an und ein verwirrter, beinahe mißtrauischer Ausdruck trat in seine Augen.

»Warum sagst du mir das?«, fragte er.

Harry sah ihn ungläubig an. Er war sich sicher, daß Cedric nicht gefragt hätte, wenn er die Drachen selbst gesehen hätte. Harry hätte es selbst seinem schlimmsten Feind nicht gegönnt, unvorbereitet diesen Drachen zu begegnen – na ja, vielleicht Malfoy oder Snape…

»Es ist einfach… fair, oder?«, sagte er.»Jetzt wissen wir es alle… wir haben die gleichen Chancen.«

Cedric stand immer noch da und sah ihn mit einer Spur Mißtrauen an, als Harry hinter sich ein vertrautes Pochen hörte. Er wandte sich um und sah Mad-Eye Moody aus einem der umliegenden Klassenzimmer kommen.

»Komm mit, Potter«, knurrte er.»Diggory, du kannst gehen.«

Harry starrte Mad-Eye Moody gespannt an. Hatte er sie zufällig belauscht?

»Ähm – Professor, ich sollte eigentlich in Kräuterkunde -«

»Vergiß das mal, Potter. In mein Büro, bitte…«

Harry folgte ihm voll dunkler Vorahnungen. Was, wenn Moody wissen wollte, wie er von den Drachen erfahren hatte? Würde Moody zu Dumbledore gehen und Hagrid auffliegen lassen, oder würde er Harry nur in ein Frettchen verwandeln? Es wäre vielleicht einfacher, an einem Drachen vorbeizukommen, wenn er ein Frettchen war, überlegte Harry dumpf, er war dann kleiner und aus einer Höhe von fünfzehn Metern viel schwerer zu erkennen…

Er folgte Moody ins Büro. Moody schloß die Tür hinter ihnen und wandte sich dann Harry zu, das magische Auge und auch das normale scharf auf ihn gerichtet.

»Was du da gerade getan hast, war sehr anständig von dir, Potter«, sagte Moody leise.

Harry wußte nicht, was er sagen sollte; er hatte alles erwartet, nur das nicht.

»Setz dich«, sagte Moody, Harry setzte sich und sah sich um.

In diesem Büro hatte er schon die zwei Vorgänger Moodys erlebt. In Professor Lockharts Tagen waren die Wände mit strahlenden, zwinkernden Bildern von Professor Lockhart persönlich gepflastert gewesen. Zu Zeiten Lupins war man hier eher auf ein neues Exemplar eines faszinierendenschwarzen Geschöpfes gestoßen, das er für sie beschafft hatte, damit sie es im Unterricht untersuchen konnten. Nun jedoch war das Büro voll gestopft mit einer Reihe äußerst merkwürdiger Gegenstände, die Moody, wie Harry vermutete, in seiner Zeit als Auror benutzt haben mußte.

Auf dem Schreibtisch stand etwas, das wie ein kaputter großer gläserner Kreisel aussah; Harry erkannte sofort, daß es ein Spickoskop war, weil er selbst eins besaß, wenn auch ein viel kleineres. Auf einem Tisch in der Ecke stand etwas, das aussah wie eine extra verschnörkelte goldene Zimmerantenne. Das Ding summte leise. An der Wand gegenüber von Harry hing eine Art Spiegel, doch er spiegelte nichts. Schattenhafte Gestalten bewegten sich darin, keine davon war klar zu sehen.

»Gefallen dir meine Antiobskuranten?«, sagte Moody und beobachtete Harry scharf.

»Was ist das denn?«, fragte Harry und deutete auf die verschnörkelte Fernsehantenne.

»Geheimnis-Detektor. Vibriert, wenn er Heimlichkeiten und Lügen entdeckt… hier ist er natürlich nutzlos, zu starke Überlagerungen, überall im Schloß erzählen sie ständig Lügenmärchen, warum sie ihre Hausaufgaben nicht geschafft haben. Das Ding summt ununterbrochen, seit ich hier bin. Und mein Spickoskop mußte ich abstellen, weil es einfach nicht aufhören wollte zu pfeifen. Es ist hyperempfindlich und kriegt alles mit, was in einer Meile Umkreis passiert. Natürlich könnte es auch mehr als Kinderkram aufspüren«, fügte er knurrig hinzu.

»Und wozu ist der Spiegel?«

»Das ist mein Feindglas. Siehst du sie da draußen miesepetrig rumhängen? Ich bin erst wirklich in Schwierigkeiten, wenn ich das Weiße in ihren Augen sehe. Dann öffne ich meinen Koffer.«

Er lachte kurz und knirschend, dann deutete er auf einen großen Koffer unter dem Fenster. Er hatte sieben Schlüssellöcher in einer Reihe. Harry überlegte, was wohl drin sein könnte, bis ihn Moodys nächste Frage plötzlich aus seinen Gedanken riß.»Soso… hast also die Sache mit den Drachen rausgefunden?«

Harry zögerte. Genau davor hatte er sich gefürchtet – doch er hatte Cedric nicht gesagt und würde es bestimmt auch Moody nicht verraten, daß Hagrid die Regeln gebrochen hatte.

»Ist schon gut«, sagte Moody, setzte sich und streckte grunzend sein Holzbein aus.»Schummeln ist beim Trimagischen Turnier alte Tradition.«

»Ich hab nicht geschummelt«, sagte Harry scharf.»Es war – so was wie ein Zufall, daß ich es erfahren habe.«

Moody grinste.»Ich hab dir keinen Vorwurf gemacht, Junge. Ich hab Dumbledore von Anfang an gesagt, er könne von mir aus noch so edel gesinnt sein, aber der alte Karkaroff und Maxime würden sicher mit gezinkten Karten spielen. Die werden ihren Champions inzwischen alles gesagt haben, was sie wissen. Die wollen gewinnen. Sie wollen Dumbledore schlagen. Sie möchten beweisen, daß er auch nur ein Mensch ist.«

Moody lachte knirschend und sein magisches Auge schwamm so schnell umher, daß Harry vom Zusehen fast schwindelig wurde.

»Also… hast du schon irgendeine Idee, wie du um deinen Drachen herumkommen kannst?«, fragte Moody.

»Nein«, sagte Harry.

»Nun denn, ich werd's dir sagen«, brummte Moody.»Ich will ja niemanden begünstigen. Ich geb dir nur ein paar gute, allgemeine Ratschläge. Und der erste ist: Setz auf deine Stärken.«

»Ich hab keine«, platzte es aus Harry heraus, bevor er richtig überlegt hatte.

»Entschuldige mal«, knurrte Moody,»wenn ich sage, du hast Stärken, dann hast du auch welche. Denk nach. Worin bist du am besten?«

Harry versuchte seine Gedanken zu sammeln. Ja, worin war er am besten? Nun, das war im Grunde einfach -

»Quidditch«, flüsterte er dumpf,»aber das hilft mir ja auch n…«

»Stimmt«, sagte Moody und sah ihn mit seinem magischen Auge, das er kaum bewegte, durchdringend an.»Du bist ein verdammt guter Flieger, wie ich höre.«

»Jaah, aber…«, Harry starrte ihn an.»Ich darf keinen Besen benutzen, ich hab nur meinen Zauberstab -«

»Mein zweiter allgemeiner Ratschlag«, unterbrach ihn Moody mit erhobener Stimme,»verwende einen schlichten kleinen Zauber, mit dem du bekommst, was du brauchst.«

Harry sah ihn mit großen Augen an. Was meinte er damit?

»Komm schon, Junge…«, flüsterte Moody.»Zähl zwei und zwei zusammen… so schwierig ist es nicht…«

Und der Groschen fiel. Am besten war er im Fliegen. Er mußte in der Luft an dem Drachen vorbeikommen. Dafür brauchte er seinen Feuerblitz. Und für seinen Feuerblitz brauchte er -

»Hermine«, flüsterte Harry, nachdem er drei Minuten später ins Gewächshaus gestürmt war und Professor Sprout im Vorbeigehen rasch eine Entschuldigung zugemurmelt hatte.»Hermine, ich brauche deine Hilfe.«

»Was glaubst du eigentlich, worüber ich die ganze Zeit nachdenke?«, flüsterte sie mit großen, sorgenvollen Augen über den zitternden Ginsterbusch hinweg, den sie gerade beschnitt.

»Hermine, ich muß den Aufrufezauber richtig beherrschen, und zwar bis morgen Nachmittag.«

* * *

Also übten sie. Sie gingen nicht zum Mittagessen, sondern in ein freies Klassenzimmer, wo Harry mühsam versuchte, verschiedene Gegenstände durch den Raum auf sich zufliegen zu lassen. Noch immer hatte er damit Schwierigkeiten. Jedes Mal verloren die Bücher und Federkiele auf halbem Weg die Lust und fielen wie Steine zu Boden.

»Konzentrier dich, Harry, konzentrier dich…«

»Was glaubst du eigentlich, was ich hier mache?«, sagte Harry zornig.»Mir schwirrt ständig ein ätzender Riesendrache im Kopf rum, ich weiß auch nicht, wieso… gut, noch mal…«

Er wollte Wahrsagen schwänzen, um weiterzuüben, doch Hermine weigerte sich strikt, Arithmantik sausen zu lassen, und ohne Hermine hatte es keinen Sinn. So mußte er über eine Stunde lang Professor Trelawney über sich ergehen lassen, die die meiste Zeit damit verbrachte, ihnen zu erklären, daß die gegenwärtige Position des Mars in Konstellation zu der des Saturn zur Folge habe, daß im Juli geborene Menschen in großer Gefahr seien, eines plötzlichen und gewaltsamen Todes zu sterben.

»Schön, warum nicht«, rief Harry, dem der Geduldsfaden riß,»wenigstens zieht es sich dann nicht so ewig hin, ich will nicht lange leiden.«

Ron sah einen Moment lang aus, als wolle er lachen; es war sicher das erste Mal seit Tagen, daß er Harry in die Augen sah, doch Harry war immer noch so sauer auf ihn, daß es ihn nicht rührte. Während der restlichen Stunde versuchte er mit dem Zauberstab unter dem Tisch kleine Gegenstände zu sich heranzuziehen. Er schaffte es auch tatsächlich, eine Fliege direkt in seine Hand summen zu lassen, doch er war sich nicht ganz sicher, ob das seiner Stärke im Aufrufezaubern zu verdanken war – oder ob die Fliege einfach nur dumm war.

Nach Wahrsagen würgte er ein wenig vom Mittagessen hinunter, dann warf er sich und Hermine den Tarnurnhang über, damit sie vor den Blicken der Lehrer sicher waren, und sie kehrten in das leere Klassenzimmer zurück. Bis nach Mitternacht übten sie weiter und wären sogar noch länger geblieben, wenn Peeves nicht aufgetaucht wäre. Peeves verstand Harry absichtlich falsch, nämlich so, als wolle Harry nichts lieber als mit Gegenständen beworfen zu werden, und so machte er sich einen Spaß daraus, Stühle durchs Zimmer zu schleudern. Harry und Hermine ergriffen die Flucht, bevor der Lärm Filch auf den Plan rief, und liefen zurück in den Gemeinschaftsraum, der nun glücklicherweise leer war.

Um zwei Uhr morgens stand Harry am Kamin, inmitten eines Haufens von Büchern, Federn, umgestürzten Stühlen, einem alten Koboldsteinspiel und Nevilles Kröte Trevor. Erst in der letzten Stunde hatte er den Dreh rausgekriegt.

»Schon besser, Harry, das wird schon«, sagte Hermine erschöpft, aber zufrieden.

»Tja, jetzt wissen wir, was du das nächste Mal tun mußt, wenn ich einen Zauber nicht beherrsche«, sagte Harry und warf Hermine ein Runenwörterbuch zu, um den Aufrufezauber ein letztes Mal zu proben.»Du setzt mir einen Drachen vor die Nase. Fertig…«Noch einmal hob er den Zauberstab:»Accio Wörterbuch!«

Der schwere Wälzer flog aus Hermines Hand, flatterte durchs Zimmer und landete in Harrys Armen.

»Harry, ich glaube, du hast es raus!«, sagte Hermine erleichtert.

»Morgen jedenfalls muß es klappen«, sagte Harry.»Der Feuerblitz ist dann viel weiter weg als die Sachen hier, nämlich im Schloß, und ich bin draußen auf dem Gelände.«

»Das spielt keine Rolle«, sagte Hermine zuversichtlich.»Wenn du dich wirklich ganz fest darauf konzentrierst, dann kommt er. Wir gehen jetzt lieber noch ein wenig schlafen… du wirst es brauchen.«

* * *

Harry hatte an diesem Abend so angestrengt versucht, den Aufrufezauber zu lernen, daß seine blinde Panik ein wenig nachgelassen hatte. Am nächsten Morgen überkam sie ihn jedoch wieder mit ganzer Wucht. In der Schule herrschte eine sehr gespannte und aufgeregte Atmosphäre. Der Unterricht sollte um die Mittagszeit enden, damit alle Schüler die Möglichkeit hatten, hinunter zum Drachengehege zu gehen – doch wußten sie natürlich noch nicht, was sie dort erwartete.

Harry fühlte sich merkwürdig fern von allen Menschen um ihn herum, ob sie ihm nun viel Glück wünschten oder ihm im Vorbeigehen nur zuzischten:»Wir bringen dir dann 'ne Packung Taschentücher, Potter.«Seine Nervosität hatte sich so breit gemacht, daß er fürchtete, schlicht und einfach den Kopf zu verlieren, wenn sie ihn zum Drachen hinausführen wollten und er dann auch noch versuchen würde, alles in seiner Umgebung zu verhexen.

Die Zeit verging auf ganz eigenartige Weise. Große Klumpen auf einmal brachen von ihr ab; im einen Moment ließ er sich zur ersten Stunde, Geschichte der Magie, nieder, und im nächsten schon zum Mittagessen… und dann (wo war der Morgen geblieben? Die letzten drachenfreien Stunden?) kam Professor McGonagall in der Großen Halle zu ihm herübergeeilt.

»Potter, die Champions müssen jetzt hinaus aufs Gelände. Sie müssen sich für die erste Aufgabe bereitmachen.«

»Gut«, sagte Harry und stand auf. Seine Gabel fiel klirrend auf den Teller.

»Viel Glück, Harry«, flüsterte Hermine.»Du schaffst es schon!«

»Ja«, sagte Harry mit einer Stimme, die er von sich gar nicht kannte.

Er ging mit Professor McGonagall hinaus. Auch sie schien nicht mehr sie selbst zu sein; tatsächlich sah sie fast so besorgt aus wie Hermine. Sie ging mit ihm die Steintreppe hinunter, hinaus in den kalten Novembernachmittag, und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Nur jetzt nicht die Nerven verlieren«, sagte sie,»einfach kühlen Kopf bewahren… wir haben Zauberer, die bereitstehen und eingreifen, wenn die Sache außer Kontrolle gerät… Hauptsache, Sie geben Ihr Bestes, dann wird keiner schlecht von Ihnen denken… alles in Ordnung?«

»Ja«, hörte sich Harry sagen.»Mir geht's gut.«

Sie führte ihn am Waldrand entlang auf das Drachengehege zu, doch als sie die dichte Baumgruppe erreichten, von der aus er die Drachen gesehen hatte, stellte Harry fest, daß nun ein Zelt, das zu ihrer Seite hin geöffnet war, die Sicht versperrte.

»Dort müssen Sie mit den anderen Champions rein«, sagte Professor McGonagall mit recht zittriger Stimme,»und warten, bis Sie dran sind, Potter. Mr Bagman erwartet Sie… er wird das… das Verfahren erklären… viel Glück.«

»Danke«, sagte Harry mit tonloser, weit entfernter Stimme. Sie verließ ihn am Zelteingang und Harry trat ein.

Auf einem Holzschemel in der Ecke saß Fleur Delacour. Sie wirkte nicht annähernd so gefaßt wie sonst, eher bleich und eingeschüchtert. Viktor Krum blickte noch miesepetriger drein als sonst, und Harry überlegte, ob dies seine Artwar, Nerven zu zeigen. Cedric schritt im Zelt auf und ab und lächelte ihm kurz zu, und als Harry zurücklächelte, spürte er, daß sich seine Gesichtsmuskeln arg anstrengen mußten, ganz als ob sie vergessen hätten, wie Lächeln ging.

»Harry! Ach schön!«, sagte Bagman vergnügt und wandte sich ihm zu.»Komm rein, komm rein und fühl dich wie zu Hause.«

Bagman sah unter all den blaßgesichtigen Champions fast aus wie eine etwas zu knallig geratene Comicfigur. Heute trug er wieder seinen alten Wespenumhang.

»Schön, jetzt, da wir alle hier sind, ist es Zeit, euch aufzuklären!«, strahlte Bagman.»Wenn sich alle Zuschauer eingefunden haben, werde ich euch der Reihe nach diesen Beutel reichen«, er hielt ein kleines, purpurnes Seidensäckchen hoch und schüttelte es,»aus dem ihr jeweils ein kleines Modell dessen, mit dem ihr es zu tun bekommt, herauszieht. Es gibt verschiedene – ähm – Arten, versteht ihr. Und ich muß euch auch noch etwas anderes sagen… hmh, ja… eure Aufgabe ist es, das goldene Ei zu holen!«

Harry sah sich um. Cedric hatte kurz genickt, um zu zeigen, daß er Bagmans Worte verstanden hatte, und ging jetzt wieder im Zelt auf und ab; er schien ein wenig grün angelaufen zu sein. Fleur Delacour und Krum hatten überhaupt nicht reagiert. Vielleicht fürchteten sie, sich übergeben zu müssen, wenn sie den Mund aufmachten; so jedenfalls fühlte sich Harry. Doch sie hatten sich wenigstens freiwillig für dieses Turnier gemeldet…

Nur wenige Minuten waren vergangen, als sie auch schon Hunderte und Aberhunderte von Füßen am Zelt vorbeitrampeln hörten, mit ihren aufgeregt redenden, lachenden, Witze reißenden Besitzern… Harry fühlte sich der Menge so fremd, als würde es sich dabei um eine andere Gattung von Lebewesen handeln. Und dann – Harry kam es vor, als ob nur eine Sekunde vergangen wäre – öffnete Bagman den Bund seines purpurnen Seidensäckchens.

»Ladies first«, sagte er und hielt das Säckchen Fleur Delacour hin.

Sie steckte ihre zitternde Hand hinein und zog ein winziges, aber tadelloses Modell eines Drachen heraus – des Walisischen Grünlings. Er trug die Nummer»2«um den Hals. Und da Fleur nicht die Spur überrascht schien, wußte Harry nun, daß er Recht gehabt hatte: Madame Maxime hatte ihr erzählt, was kommen würde.

Dasselbe galt für Krum. Er zog den scharlachroten Chinesischen Feuerball. Der kleine Drache trug die Nummer»3«um den Hals. Krum zuckte nicht einmal mit der Wimper und starrte weiter stur zu Boden.

Cedric steckte die Hand in das Säckchen und zog den blaugrauen Schwedischen Kurzschnäuzler heraus, der die»l«um den Hals trug. Harry wußte, welcher noch übrig war, steckte die Hand in den Seidenbeutel und zog den Ungarischen Hornschwanz, die Nummer»4«, heraus. Er spannte die Flügel, als Harry ihn betrachtete, und zeigte seine winzigen Fangzähne.

»Schön, das war's!«, sagte Bagman.»Mit den Drachen, die ihr gezogen habt, bekommt ihr es jetzt zu tun, und die Nummern geben an, in welcher Reihenfolge ihr antretet. Alles klar? Gut. Ich muß euch gleich allein lassen, weil ich das Turnier kommentieren werde. Mr Diggory, Sie sind als Erster dran, wenn Sie eine Pfeife hören, gehen Sie einfach hinaus ins Gehege, verstanden? Ach… Harry… könnte ich kurz mit dir sprechen? Draußen?«

»Ähm… ja«, sagte Harry tonlos, stand auf und ging mit Bagman aus dem Zelt, der ihn einige Schritte fort bis unter die Bäume führte und ihn dann mit väterlicher Miene ansah.

»Fühlst du dich wohl, Harry? Kann ich dir irgendwas besorgen?«

»Was?«, sagte Harry.»Ich – nein, nichts.«

»Hast du einen Plan?«, sagte Bagman und senkte verschwörerisch die Stimme.»Mir macht es nämlich nichts aus, dir ein paar Tips zu geben, nur wenn du willst, versteht sich.«Dann fuhr er mit noch leiserer Stimme fort:»Hör mal, du bist der Außenseiter hier, Harry… wenn ich dir irgendwie helfen kann…«

»Nein«, sagte Harry rasch, und er wußte genau, daß er unhöflich klang,»nein – ich – ich hab schon entschieden, was ich tun will, danke.«

»Niemand würde es erfahren, Harry«, sagte Bagman augenzwinkernd.

»Nein, mir geht's gut«, sagte Harry und fragte sich gleichzeitig, warum er den Leuten das ständig erzählte und ob er sich jemals schlechter gefühlt hatte.»Ich hab mir einen Plan gemacht, ich -«

Von irgendwoher kam ein Pfiff.

»Meine Güte, ich muß mich beeilen!«, sagte Bagman erschrocken und rannte davon.

Harry ging zum Zelt zurück und sah, wie Cedric, inzwischen noch grüner im Gesicht, herauskam. Harry wollte ihm im Vorbeigehen Glück wünschen, doch alles, was aus seinem Mund kam, war ein heiseres Gurgeln.

Harry ging hinein zu Fleur und Krum. Sekunden später hörten sie den Aufschrei der Menge. Cedric hatte also das Gehege betreten und stand nun dem lebendigen Vorbild seines Modells von Angesicht zu Angesicht gegenüber… Nur dazusitzen und zu lauschen war schlimmer, als Harry es sich je hätte vorstellen können. Die Menge kreischte… schrie… stöhnte wie ein einziges vielköpfiges Wesen, während Cedric was auch immer unternahm, um an dem Schwedischen Kurzschnäuzler vorbeizukommen. Krum stierte immer noch zu Boden. Fleur tat es nun Cedric gleich und schritt unablässig im Kreis durch das Zelt. Und Bagmans Kommentar machte alles noch viel, viel schlimmer… furchtbare Bilder nahmen in Harrys Kopf Gestalt an, während er lauschte:»Oooh, da hat er ihn knapp verfehlt, ganz knapp… Er geht ja volles Risiko, der Junge!… clevere Finte – schade, daß es nichts genutzt hat!«

Und dann, nach ungefähr fünfzehn Minuten, hörte Harry das ohrenbetäubende Brüllen, das nur eines bedeuten konnte: Cedric war an seinem Drachen vorbeigekommen und hatte das goldene Ei geholt.

»Wirklich sehr gut!«, rief Bagman.»Und nun die Noten der Jury!«

Doch er las die Noten nicht laut vor; Harry vermutete, daß die Richter sie für das Publikum hochhielten.

»Einer ist durch, drei haben wir noch!«, rief Bagman, und wieder gellte der Pfiff.»Miss Delacour, bitte!«

Fleur zitterte am ganzen Leib, und als sie mit erhobenem Kopf, den Zauberstab fest umklammert, aus dem Zelt ging, spürte Harry sogar ein wenig mehr Herzlichkeit für sie als bisher. Er und Krum saßen sich jetzt allein gegenüber und vermieden es sorgfältig, sich in die Augen zu schauen.

Die ganze Geschichte ging von vorn los…»Oh, ich bin mir nicht sicher, ob das klug war!«, konnten sie Bagman schadenfroh rufen hören.»Oh… beinahe! Jetzt aber Vorsicht… du meine Güte, ich dachte schon, sie wäre erledigt!«

Zehn Minuten später hörte Harry, wie die Menge erneut in Beifall ausbrach. Auch Fleur mußte es geschafft haben. Eine Pause, während deren Fleurs Noten gezeigt wurden… noch mehr Beifall… und dann, zum dritten Mal, der Pfiff.

»Und hier kommt Mr Krum!«, rief Bagman. Krum schlurfte hinaus und ließ Harry allein zurück.

Er spürte jetzt seinen Körper viel stärker als sonst; er war sich deutlich bewußt, daß sein Herz rasend pochte und seine Finger vor Angst zitterten… doch zugleich schien er außerhalb seiner selbst zu stehen, die Wände des Zeltes zu sehen und die Menge zu hören, wie aus ganz, ganz weiter Ferne…

»Sehr gewagt!«, rief Bagman, und Harry hörte, wie der Chinesische Feuerball einen grauenhaften, kreischenden Schrei ausstieß und die Menge auf einen Schlag den Atem anhielt.»Er hat ganz schön Nerven, muß man sagen – und – ja, er hat das Ei!«

Beifall durchzitterte die kalte Luft wie das Geräusch zerbrechenden Glases; Krum hatte es geschafft – jeden Augenblick war Harry selbst dran.

Er stand auf und nahm verschwommen wahr, daß seine Beine aus Gummi zu bestehen schienen. Er wartete. Und dann hörte er den Pfiff. Als er hinausging, überschwemmte ihn die Panik wie eine eiskalte Welle. Er ging an den Bäumen vorbei und durch eine Öffnung in der Umfriedung.

Er sah alles vor sich wie in einem grellbunten Traum. Viele hundert Gesichter sahen von den Tribünen, die sie inzwischen herbeigezaubert hatten, auf ihn herab. Und da war das Hornschwanz-Weibchen, am anderen Ende der Koppel, gedrungen über ihrem Gelege kauernd, die Flügel halb eingezogen, die bösartigen gelben Augen auf ihn gerichtet -eine monströse, schuppige schwarze Echse, die mit ihrem dornenbesetzten Schwanz auf den Boden peitschte und meterlange Furchen in die Erde schlug. Die Zuschauer machten einigen Lärm, doch ob sie ihn anfeuerten oder ausbuhten, es war Harry nun gleich. Jetzt war es an der Zeit zu tun, was er tun mußte… ausschließlich und mit aller Kraft an das zu denken, was seine einzige Chance war… Er hob den Zauberstab.

»Accio Feuerblitz!«, rief er.

Er wartete, und jede Faser seines Körpers hoffte, flehte… vielleicht war es mißlungen… vielleicht kam er nicht… er sah alles wie durch eine schimmernde, durchsichtige Mauer, durch einen Hitzeschleier, der das Gehege und die Hunderte von Gesichtern um ihn her merkwürdig verschwimmen ließ…

Und dann hörte er ihn. Hinter ihm rauschte er durch die Luft. Harry drehte sich um und sah den Feuerblitz am Waldrand entlang auf ihn zuschwirren, er schoß in das Gehege und kam in Hüfthöhe neben ihm zum Halt, bereit, von Harry bestiegen zu werden. Die Menge tobte jetzt… Bag-man rief irgend etwas… doch es erreichte Harrys Ohren nicht… Zuhören war unwichtig…

Er schwang ein Bein über den Besen und stieß sich vom Boden ab. Und eine Sekunde später geschah etwas Wundersames…

Als er in die Höhe schoß, als der Wind durch sein Haar blies und die Gesichter der Menge zu bloßen fleischfarbenen Stecknadelköpfen wurden und der Hornschwanz auf die Größe eines Hundes schrumpfte, da wurde ihm klar, daß er nicht nur den Erdboden hinter sich gelassen hatte, sondern auch seine Angst… er war wieder da, wo er hingehörte…

Dies hier war nur ein Quidditch-Spiel, ganz einfach… nur noch ein Quidditch-Spiel, und der Hornschwanz war nichts weiter als eine dieser gemeinen gegnerischen Mannschaften…

Er spähte hinunter auf das Gelege und sah das goldene Ei, das sich schimmernd von den zementfarbenen Eiern abhob, geborgen zwischen den Vorderbeinen des Drachen.»Gut«, sagte sich Harry,»Ablenkungstaktik… los geht's…«

Er schoß senkrecht Richtung Erde. Der Kopf des Hornschwanzes folgte ihm; er wußte, was der Drache tun würde, und riß sich im letzten Augenblick aus dem Sturzflug; ein Feuerstoß hatte die Luft verbrannt, genau dort, wo er gewesen wäre… doch Harry war es gleich… das war nichts anderes als einem Klatscher auszuweichen…

»Meine Güte, der kann fliegen!«, rief Bagman durch das Kreischen und Seufzen der Menge.»Sehen Sie das, Mr Krum?«

Harry zog sich wie auf einer weiten Spirale nach oben; der Hornschwanz folgte ihm mit den Augen, sein Kopf rotierte auf dem langen Hals – wenn er das durchhielt, würde es dem Drachen ganz schön schwindelig werden -, doch sollte er es besser nicht zu weit treiben, sonst würde das Biest wieder Feuer speien.

Harry stürzte sich genau in dem Moment in die Tiefe, als der Hornschwanz das Maul aufriß, doch diesmal hatte er weniger Glück – er entging zwar den Flammen, doch der Schwanz peitschte nach ihm, und als er seitlich ausbrach, streifte ein langer Dorn seine Schulter und zerfetzte seinen Umhang.

Er spürte einen stechenden Schmerz, er hörte die Schreie und das Stöhnen der Menge, doch der Riß schien nicht besonders tief zu sein… er schwirrte über dem Rücken des Hornschwanzes herum, und da fiel ihm etwas ein…

Der Hornschwanz schien offenbar nicht fliegen zu wollen, das Drachenweibchen sorgte sich zu sehr um seine Brut. Es zuckte zwar und wand sich, spannte die Flügel und rollte sie wieder ein und verfolgte Harry unablässig mit den Furcht erregenden gelben Augen, doch hatte es Angst, sich zu weit von seinen Eiern zu entfernen… aber genau dazu mußte er den Drachen unbedingt bringen, oder er würde nie an das Gelege herankommen… der Witz war, es ganz vorsichtig, ganz allmählich zu tun…

Er flog vor dem Kopf des Drachen hin und her, weit genug entfernt, damit er kein Feuer spie, um ihn zu verjagen, doch immer noch als dräuende Gefahr, die er nicht aus den Augen lassen durfte. Den Kopf hin- und herschwenkend verfolgte er ihn mit den Augen, beobachtete ihn aus seinen senkrechten Pupillen, die Fangzähne gebleckt…

Er stieg höher. Der Drache reckte den Hals, bis es nicht mehr ging, und noch immer schwenkte er den Kopf hin und her wie eine Schlange vor ihrem Beschwörer…

Harry stieg noch ein paar Meter höher, und der Drache brüllte wütend auf. Für ihn war er wie eine Fliege, eine Fliege, die er in rasendem Zorn totklatschen wollte; wieder schlug er mit dem Schwanz aus, doch jetzt konnte er ihn nicht mehr erreichen… er spie einen Feuerball nach Harry, doch Harry wich ihm aus… das Maul öffnete sich weit…

»Komm schon«, zischte Harry und drehte Kreise über dem Drachenkopf, um ihn noch weiter zu reizen,»komm nur, schnapp mich doch… steh auf, mach schon…«

Und dann bäumte sich der Drache auf, spannte endlich seine großen schwarzen ledrigen Flügel, lang wie die eines kleinen Flugzeugs – und Harry stürzte sich hinab. Bevor der Drache wußte, was Harry getan hatte oder wohin er verschwunden war, raste Harry, so schnell er konnte, auf die Erde und auf die Eier zu, die jetzt nicht mehr von den klauenbesetzten Pranken beschützt waren – er nahm die Hände vom Feuerblitz – und packte das goldene Ei -

Und mit einem gewaltigen Spurt floh er, raste über die Tribünen hinweg, das schwere Ei sicher unter den unverletzten Arm geklemmt. Und in diesem Augenblick schien jemand die Lautstärke hoch gedreht zu haben – zum ersten Mal wurde ihm klar bewußt, welchen Lärm die Zuschauer machten, die so laut wie die irischen Anhänger bei der Weltmeisterschaft schrien und klatschten -

»Schaut euch das an!«, rief Bagman.»Da schaut euch das mal an! Unser jüngster Champion hat sein Ei am schnellsten geholt! Damit stehen die Chancen für Mr Potter nun ganz anders!«

Harry sah die Drachenwärter herbeilaufen, um den Hornschwanz zu beruhigen, und drüben, am Eingang des Geheges, fanden sich eilends Professor McGonagall, Professor Moody und Hagrid ein, um ihn zu empfangen; alle winkten ihm zu, und schon von weitem sah er sie lächeln. Er flog über die Tribünen hinweg zurück, das Toben der Menge pochte in seinen Ohren, und er landete weich auf der Erde. Seit Wochen war ihm nicht mehr so leicht ums Herz gewesen… er hatte die erste Aufgabe geschafft, er hatte überlebt…

»Das war wirklich eine Glanzleistung, Potter!«, rief Professor McGonagall, als er von seinem Feuerblitz stieg – und aus ihrem Munde war dies ein wahrhaft unerhörtes Lob. Er sah, daß ihre Hand zitterte, als sie auf seine Schulter deutete.»Sie müssen erst einmal zu Madam Pomfrey, bevor die Richter Ihre Punktzahl bekannt geben… dort drüben, sie mußte auch schon Diggory zusammenflicken…«

»Du hast's gepackt, Harry!«, sagte Hagrid heiser.»Du hast es gepackt! Und sogar gegen das Hornschwanz-Weibchen. Charlie meinte, die sei die Schlimmste -«

»Danke, Hagrid«, sagte Harry laut, damit Hagrid nicht weiterplapperte und verriet, daß er ihm die Drachen zuvor gezeigt hatte.

Auch Professor Moody sah sehr zufrieden aus; das magische Auge tanzte in seiner Höhle.

»Schlicht und einfach, das war der Trick dabei, Potter«, knurrte er.

»Nun aber los, Potter, zum Erste-Hilfe-Zelt, wenn ich bitten darf…«, sagte Professor McGonagall.

Immer noch keuchend verließ Harry das Gehege und sah jetzt Madam Pomfrey, die mit besorgtem Blick am Eingang des zweiten Zeltes stand.

»Drachen!«, sagte sie angewidert und zog Harry ins Zelt. Es war in kleine Räume abgeteilt; er konnte Cedrics Schatten an der Stoffwand sehen, doch er schien nicht schwer verletzt; zumindest saß er aufrecht. Madam Pomfrey untersuchte Harrys Schulter und ließ ihrem Ärger freien Lauf.»Letztes Jahr Dementoren, dieses Jahr Drachen, was werden sie nächstes Jahr in diese Schule schleppen? Da hast du noch mal Glück gehabt… die Wunde ist nicht tief… aber bevor ich sie verheilen lasse, muß ich sie reinigen…«

Sie säuberte den Riß mit einem Tropfen purpurroter Flüssigkeit, die rauchte und auf der Haut brannte, doch dann gab sie ihm mit dem Zauberstab einen Klaps auf die Schulter, und er spürte, wie die Wunde in Sekundenschnelle heilte.

»Schön, und jetzt bleib eine Minute ruhig sitzen – bleib sitzen! Dann kannst du gehen und dir deine Punkte abholen.«

Sie wackelte hinaus und er hörte, wie sie nebenan sagte:»Wie geht's uns jetzt, Diggory?«

Harry wollte nicht ruhig sitzen bleiben; noch rauschte es zu sehr in seinen Adern. Er stand auf, um nachzusehen, was draußen los war, doch bevor er den Zelteingang erreicht hatte, waren zwei von draußen hereingestürzt – Hermine, dicht gefolgt von Ron.

»Harry, du warst einfach klasse!«, jubilierte Hermine. Dort, wo sie sich vor Angst die Finger ins Gesicht gekrallt hatte, waren die Spuren ihrer Fingernägel zu sehen.»Du warst einfach unglaublich! Wirklich unglaublich!«

Doch Harrys Blick galt Ron, der ganz weiß im Gesicht war und Harry anstarrte, als wäre er ein Gespenst.

»Harry«, sagte er ernst,»wer immer deinen Namen in diesen Kelch geworfen hat – ich – ich wette, die wollten dich erledigen!«

Es war, als ob die letzten Wochen nie gewesen wären – als ob Harry Ron zum ersten Mal sehen würde, nachdem er Champion geworden war.

»Hast es kapiert, oder?«, sagte Harry kühl.»Hast ja lange genug gebraucht.«

Hermine stand zwischen den beiden und blickte ganz hibbelig von einem zum anderen. Ron, unsicher geworden, öffnete den Mund. Harry wußte, daß er sich entschuldigen wollte, und plötzlich hatte er das Gefühl, er müsse es gar nicht hören.

»Ist schon gut«, sagte er, bevor Ron ein Wort herausbrachte.»Vergiß es.«

»Nein«, sagte Ron,»ich hätte nicht -«

»Vergiß es«, sagte Harry.

Ron grinste ihn nervös an und Harry grinste zurück.

Hermine brach in Tränen aus.

»Da gibt's doch nichts zu weinen«, sagte Harry verwirrt.

»Ihr beiden seid so doof!«, schrie sie und stampfte mit dem Fuß auf. Tränen fielen auf ihren Umhang. Dann, bevor einer von ihnen sie daran hindern konnte, umarmte sie beide und rauschte, nun erst richtig heulend, davon.

»Vollkommen übergeschnappt«, sagte Ron kopfschüttelnd.»Harry, komm mit, gleich gibt es deine Punkte…«

Harry, der es vor einer Stunde noch nicht für möglich gehalten hätte, daß er jetzt vor Glück schwebte, nahm das goldene Ei und den Feuerblitz und schlüpfte mit Ron, der wie ein Wasserfall redete, aus dem Zelt.

»Du warst übrigens der Beste, und zwar konkurrenzlos. Cedric hat ein merkwürdiges Ding gedreht und einen Felsbrocken auf dem Boden verwandelt… und zwar in einen Hund… damit der Drache auf den Hund statt auf ihn losging. Na ja, als Verwandlungsstück war das ziemlich cool, und es hat auch irgendwie geklappt, weil er das Ei gekriegt hat, aber verbrannt hat er sich auch – der Drache hat es sich nämlich zwischendurch anders überlegt und wollte lieber Cedric als den Labrador grillen, er ist gerade noch entkommen. Und diese Fleur hat es mit einem Zauber versucht, ich glaub, sie wollte ihn in Trance versetzen – schön, das hat auch geklappt, er ist ganz schläfrig geworden, aber dann hat er angefangen zu schnarchen und eine große Stichflamme ist ihm aus der Schnauze geschossen und ihr Rock hat Feuer gefangen – sie hat ihn mit Wasser aus ihrem Zauberstab gelöscht. Und Krum – du wirst es nicht glauben, aber er ist nicht mal auf die Idee gekommen zu fliegen! Trotzdem war er nach dir sicher der Zweitbeste. Er hat ihm einen Fluch mitten ins Auge geschossen. Pech war nur, daß der Drache vor Schmerz anfing herumzutrampeln und die Hälfte der echten Eier zerquetscht hat – dafür haben sie ihm Punkte abgezogen, denn sie durften ja nicht beschädigt werden.«

Sie erreichten den Rand des Geheges und Ron legte eine kleine Pause ein. Nun, da sie den Hornschwanz fortgebracht hatten, konnte Harry sehen, wo die fünf Richter saßen – gegenüber auf der anderen Seite, auf einem Podium mit goldbespannten Stühlen.

»Jeder kann höchstens zehn Punkte vergeben«, sagte Ron, und Harry spähte über das Feld und sah den ersten Richter – Madame Maxime – den Zauberstab heben. Ein langer Silberfaden flog aus der Spitze hervor und verschlängelte sich zu einer großen Acht.

»Nicht schlecht!«, rief Ron, und das Publikum klatschte.»Ich vermute, sie hat dir wegen deiner Schulter Punkte abgezogen.«

Mr Crouch war der Nächste. Er ließ die Ziffer Neun in die Luft schießen.

»Sieht gut aus!«, rief Ron und klatschte Harry auf den Rücken.

Jetzt kam Dumbledore. Auch er ließ eine Neun erstehen. Die Menge jubelte noch lauter.

Ludo Bagman – eine Zehn.

»Zehn?«, sagte Harry ungläubig.»Aber… ich wurde verletzt… worauf hat der es abgesehen?«

»Harry, jetzt beklag dich nicht!«, rief Ron begeistert.

Und nun erhob Karkaroff seinen Zauberstab. Er zögerte einen Moment, und dann schoß auch aus seinem Zauberstab eine Ziffer – Vier.

»Wie bitte?«, brüllte Ron zornig.»Vier? Du lausiger parteiischer Schleimbeutel, du hast Krum eine Zehn gegeben!«

Doch Harry war es egal, und es wäre ihm auch egal gewesen, wenn Karkaroff ihm zehn Punkte gegeben hätte; daß Ron sich für ihn so entrüstete, war ihm hundert Punkte wert. Davon sagte er Ron natürlich nichts, doch als er sich umwandte und aus dem Gehege ging, war ihm das Herz leichter als eine Feder. Und es war nicht nur Ron… die dort im Publikum jubelten, waren nicht nur Gryffindors. Als es darauf ankam, als sie gesehen hatten, was ihm bevorstand, waren die meisten seiner Mitschüler auf seiner Seite gewesen, wie zuvor auf Cedrics… die Slytherins kümmerten ihn nicht – was immer sie ihm noch vorwerfen würden, es würde an ihm abprallen.

»Du bist auf dem ersten Platz, Harry, zusammen mit Krum!«, sagte Charlie Weasley, der ihnen nachgerannt kam, als sie sich auf den Weg zur Schule machten.»Hör mal, ich muß mich beeilen, weil ich Mum unbedingt eine Eule schicken muß, ich hab ihr geschworen, alles haarklein zu beschreiben – aber das war unglaublich! Ach ja – und ich soll dir ausrichten, daß du noch ein paar Minuten hier bleiben sollst… Bagman will mit dir sprechen, im Champions-Zelt.«

Ron wollte warten, und Harry ging ins Zelt, das ihm jetzt ganz anders, freundlich und einladend, vorkam.

Er dachte daran, wie er sich gefühlt hatte, während er den Hornschwanz austrickste, und dann an die lange Wartezeit, bis es so weit gewesen war… kein Vergleich, das Warten war unendlich viel schlimmer gewesen. Fleur, Cedric und Krum kamen ebenfalls herein.

Eine Seite von Cedrics Gesicht war mit einer dicken orangeroten Paste bestrichen, die wohl seine Verbrennung heilen sollte. Er grinste Harry zu, als er ihn sah.»Gut gemacht, Harry.«

»Du auch«, sagte Harry und grinste ebenfalls.

»Ihr alle habt's gut gemacht!«, sagte Ludo Bagman, der ins Zelt gestürmt kam und so vergnügt aussah, als ob er selbst gerade an einem Drachen vorbeigekommen wäre.»Ich wollte nur kurz mit euch sprechen. Vor der nächsten Runde habt ihr eine schöne lange Pause. Sie wird am vier-undzwanzigsten Februar um halb zehn morgens stattfinden – aber für die Zwischenzeit geben wir euch was zum Knobeln! Wenn ihr euch diese goldenen Eier in euren Händen anschaut, dann seht ihr, daß sie sich öffnen lassen… seht ihr die kleinen Scharniere? Im Ei steckt ein Rätsel, das ihr lösen müßt – es wird euch verraten, worin die zweite Aufgabe besteht und wie ihr euch darauf vorbereiten könnt. Alles klar? Keine Fragen? Nun, dann marsch zurück in die Schule!«

Harry verließ das Zelt und ging mit Ron am Waldrand entlang zurück. Sie unterhielten sich während des ganzen Wegs; Harry wollte genauer wissen, wie es den anderen Champions ergangen war. Dann, als sie die dichte Baumgruppe umrundeten, hinter der Harry die Drachen erstmals hatte brüllen hören, sprang hinter ihnen eine Hexe zwischen den Bäumen hervor.

Es war Rita Kimmkorn. Heute trug sie einen giftgrünen Umhang; die Flotte-Schreibe-Feder in ihrer Hand paßte tadellos dazu.

»Gratuliere, Harry!«, sagte sie und strahlte die beiden an.»Dürfte ich euch auf ein Wort unterbrechen? Harry, wie war es für dich, gegen den Drachen zu kämpfen? Was hältst du vom Urteil der Schiedsrichter?«

»Ja, Sie dürfen uns auf ein Wort unterbrechen«, sagte Harry wütend.»Tschüs!«

Und zusammen mit Ron ging er davon.

Die Hauselfen-Befreiungsfront

Harry, Ron und Hermine gingen an diesem Abend hoch in die Eulerei, um nach Pigwidgeon zu suchen, den sie mit einem Brief zu Sirius schicken wollten. Harry hatte ihm geschrieben, daß er unverletzt an dem Drachen vorbeigekommen war. Auf dem Weg nach oben erzählte er Ron alles, was Sirius ihm über Karkaroff gesagt hatte. Ron erschrak zuerst, als er hörte, daß Karkaroff ein Todesser gewesen war, doch als sie die Eulerei betraten, sagte er, sie hätten ihn von Anfang an verdächtigen sollen.

»Das paßt doch alles zusammen«, sagte er.»Weißt du noch, was Malfoy im Zug gesagt hat? Daß sein Dad mit Karkaroff befreundet sei? Jetzt wissen wir, wo sie sich kennen gelernt haben. Wahrscheinlich sind sie bei der Weltmeisterschaft zusammen in diesen Masken rumgelaufen… aber ich sag dir eines, Harry, wenn es tatsächlich Karkaroff war, der deinen Namenszettel in den Kelch geworfen hat, wird er sich jetzt ziemlich dumm vorkommen. Es hat doch nicht geklappt, oder? Du hast nur einen Kratzer abgekriegt! Komm, gib her, ich mach schon -«

Pigwidgeon war so aus dem Häuschen, weil er einen Brief zustellen durfte, daß er ununterbrochen kreischend um Harrys Kopf herumflog. Ron schnappte ihn mitten im Flug und hielt ihn fest, während ihm Harry den Brief ans Bein band.

»Die anderen Aufgaben können doch unmöglich so gefährlich sein, oder?«, fuhr Ron fort, während er Pigwidgeon zum Fenster trug.»Weißt du was? Ich glaube sogar, du könntest dieses Turnier gewinnen, und das meine ich ernst.«

Das sagte Ron nur, um sein unmögliches Verhalten von letzter Woche wieder gutzumachen, fand Harry, und trotzdem hörte er es gerne. Hermine jedoch lehnte sich gegen eine Mauer, verschränkte die Arme und sah Ron finster an.

»Harry hat einen langen Weg vor sich, bis er dieses Turnier abschließen kann«, sagte sie ernst.»Wenn das die erste Aufgabe war, möchte ich lieber nicht daran denken, was das nächste Mal drankommt.«

»Immer ein aufmunterndes Wort auf den Lippen, nicht wahr, Hermine?«, sagte Ron.»Du und Professor Trelawney, ihr solltet euch mal zusammensetzen.«

Er schleuderte den kleinen Kauz aus dem Fenster. Pigwidgeon sackte erst einmal vier Meter in die Tiefe, bis er sich fangen und in die Höhe steigen konnte; der Brief an seinem Bein war viel länger und schwerer als sonst; Harry hatte es nicht lassen können, Sirius jedes einzelne Flugmanöver zu beschreiben, mit dem er den Hornschwanz umkreist, gereizt und ausgetrickst hatte.

Sie warteten, bis Pigwidgeon in der Dunkelheit verschwunden war, dann sagte Ron:»Hör zu, Harry, unten gibt's 'ne Überraschungsparty für dich – Fred und George haben inzwischen bestimmt genug zu futtern aus der Küche geklaut.«

Und tatsächlich, als sie den Gemeinschaftsraum der Gryffindors betraten, jubelten und klatschten ihre Mitschüler, daß die Wände wackelten. Sämtliche Tische und Fensterbänke trugen Berge von Kuchen und Krüge voll Kürbissaft und Butterbier; Lee Jordan hatte ein paar von Dr. Filibusters famosen hitzefreien und naß zündenden Knallern losgelassen, so daß sie vor Funken und Sternennebel kaum noch etwas sehen konnten; Dean Thomas, der im Zeichnen ganz gut war, hatte ein paar eindrucksvolle neue Banner entworfen. Meist war Harry darauf zu sehen, wie er den Kopf des Hornschwanzes umschwirrte, hin und wieder auch Cedric mit seinem brennenden Haarschopf.

Harry nahm sich etwas zu essen und setzte sich zu Ron und Hermine; er hatte beinahe vergessen, wie es war, richtig hungrig zu sein. Er konnte es immer noch nicht begreifen, daß er sich so glücklich fühlte; Ron war wieder an seiner Seite, er hatte die erste Aufgabe geschafft und die nächste kam ja erst in drei Monaten dran.

»Uff, ist das Ding schwer«, sagte Lee Jordan, der das goldene Ei, das Harry auf den Tisch gelegt hatte, hochhob und in den Händen wog.»Mach es auf, Harry, na los! Laß uns einfach mal nachschauen, was drin ist!«

»Er soll das Rätsel doch ganz allein lösen«, warf Hermine rasch ein.»Das steht in den Turnierregeln…«

»Ich sollte auch allein rausfinden, wie ich am Drachen vorbeikomme«, murmelte Harry so leise, daß nur sie ihn hören konnte, worauf sie recht schuldbewußt grinste.

»Ja, los, Harry, mach es auf!«, riefen einige der Umstehenden.

Lee reichte Harry das Ei, Harry steckte die Fingernägel in die Rille, die sich um den Bauch des Eis zog, und öffnete es.

Das Ei war hohl und ganz leer – doch kaum hatte Harry es aufgeklappt, drang ihnen ein gräßlich lautes und kreischendes Gejammer in die Ohren. Harry hatte nur einmal etwas Ähnliches gehört, nämlich das Geisterorchester auf der Todestagsfeier des Fast Kopflosen Nick, als alle Mann hoch die Musiksäge gespielt hatten.

»Mach's zu!«, brüllte Fred, die Hände an die Ohren gepreßt.

»Was war das?«, fragte Seamus Finnigan und starrte das Ei an, als Harry es wieder zugeklappt hatte.»Klang ja wie eine Banshee… vielleicht mußt du das nächste Mal an einer von diesen Todesfeen vorbeikommen, Harry!«

»Es klang wie jemand, der gefoltert wird«, sagte Neville, der käsebleich geworden war und sein Wurstbrötchen fallen gelassen hatte.»Du mußt gegen den Cruciatus-Fluch kämpfen!«

»Red keinen Stuß, Neville, der ist doch verboten«, sagte George.»Den Cruciatus-Fluch lassen sie bestimmt nicht auf die Champions los. Ich dachte, es klang eher ein wenig, als würde Percy singen… vielleicht mußt du ihn angreifen, während er unter der Dusche steht, Harry.«

»Willst du ein Stück Biskuittorte, Hermine?«, fragte Fred.

Hermine beäugte mißtrauisch den Teller, den er ihr anbot. Fred grinste.

»Ist schon gut«, sagte er.»Ich hab nichts daran gedreht. Bei den Eierkremschnitten mußt du aufpassen -«

Neville, der sich gerade einen Bissen Eierkremschnitte genehmigt hatte, würgte und spickte ihn aus.

Fred lachte.»War nur 'n Witz, Neville…«

Hermine nahm sich ein Stück Biskuittorte.

»Hast du die ganzen Sachen aus der Küche, Fred?«, fragte sie.

»Jep«, sagte Fred und grinste. Dann ahmte er mit hoher, piepsender Stimme einen Hauselfen nach.»›Alles, was Sie wünschen, Sir, alles, was Sie wünschen!‹ Die sind ja so unglaublich hilfsbereit… die würden dir einen gegrillten Ochsen bringen, wenn du sagst, du hast 'nen Mordshunger.«

»Und wie kommst du da rein?«, fragte Hermine in unschuldig beiläufigem Tonfall.

»Ganz einfach«, sagte Fred,»hinter einem Gemälde mit einer Obstschale ist eine Geheimtür. Du kitzelst einfach die Birne, sie kichert und -«Er brach ab und sah sie mißtrauisch an.»Warum?«

»Nur so«, sagte Hermine rasch.

»Willst du diese Hauselfen etwa in den Streik führen?«, sagte George.»Gibst du diesen Flugblattkram auf und versuchst jetzt, sie zur Rebellion anzustacheln?«

Einige der Umstehenden gackerten. Hermine antwortete nicht.

»Hetz sie bloß nicht auf und sag ihnen, sie hätten ein Recht auf Kleidung und Bezahlung!«, warnte Fred.»Das hält sie nur vom Kochen ab!«

In diesem Augenblick sorgte Neville für eine kleine Ablenkung, indem er sich in einen Kanarienvogel verwandelte.

»O Verzeihung, Neville!«, rief Fred durch das allgemeine Gelächter.»Hab ich doch glatt vergessen – es war doch die Eierkrem, die wir verhext haben -«

Es dauerte jedoch nur eine Minute, dann verlor Neville seine Federn, und als die letzte ausgefallen war, erschien er wieder gesund und munter und stimmte sogar selbst in das Gelächter ein.

»Kanarienkremschnitten!«, verkündete Fred laut der aufgeregten Schülerschar.»Haben George und ich erfunden -sieben Sickel das Stück, ein echtes Schnäppchen!«

Es war fast ein Uhr morgens, als Harry schließlich mit Ron, Neville, Seamus und Dean in den Schlafsaal hochstieg. Bevor er zu Bett ging, legte er das kleine Modell des Ungarischen Hornschwanzes auf seinen Nachttisch, wo es gähnte, sich einkringelte und die Augen schloß. Wirklich, dachte Harry, als er die Vorhänge um sein Bett zuzog, Hagrid hatte irgendwie Recht… eigentlich sind sie ganz in Ordnung, diese Drachen…

Der Dezemberanfang brachte Stürme und Graupelschauer nach Hogwarts. Zwar war das Schloß im Winter zugig wie immer, doch Harry dachte mit Erleichterung an die Feuer in den Kaminen und an die dicken Mauern, wenn er draußen am See wieder einmal am Schiff der Durmstrangs vorbeikam, das in den Windböen taumelte und dessen schwarze Segel sich gegen den dunklen Himmel bauschten. Auch im Beauxbatons-Wohnwagen mußte es ziemlich kalt sein. Wie ihm auffiel, versorgte Hagrid Madame Maximes Pferde großzügig mit ihrem Lieblingsgetränk, Single Malt Whisky, und die Dämpfe, die vom Trog in einer Ecke ihrer Koppel herüberwehten, reichten aus, um die ganze Pflege-magischer-Geschöpfe-Klasse beschwipst zu machen. Das war nicht besonders hilfreich, denn sie päppelten immer noch diese gräßlichen Kröter auf und dafür brauchten sie einen klaren Kopf.

»Ich weiß nicht, ob sie 'nen Winterschlaf halten«, verkündete Hagrid in der nächsten Stunde der bibbernden Klasse im windigen Kürbisbeet.»Dachte, wir probieren mal aus, ob sie 'n Nickerchen mögen… Legen wir sie doch einfach mal in diese Kisten hier…«

Inzwischen waren nur noch zehn Kröter übrig; offenbar war ihnen die Lust, sich gegenseitig umzubringen, durch die sportliche Betätigung nicht ausgetrieben worden. Die Viecher waren nun schon fast zwei Meter lang. Ihr dicker grauer Panzer, ihre kräftigen, flinken Beine, ihre Funken sprühenden Rümpfe, ihre Stacheln und Saugnäpfe – das alles machte die Kröter zu den widerlichsten Kreaturen, die Harry je gesehen hatte. Die Klasse besah sich mißmutig die riesigen Kisten, die Hagrid herausgebracht und allesamt mit Kissen und flaumigen Decken ausgepolstert hatte.

»Wir führen sie einfach da rein«, sagte Hagrid,»und machen die Deckel zu, dann sehen wir ja, was passiert.«

Doch die Kröter, so viel wurde ihnen klar, hielten keinen Winterschlaf und schätzten es nicht, in die kissengepolsterten Kisten gezwängt und dann eingenagelt zu werden. Kurze Zeit später marodierten die Kröter im Kürbisfeld, das mit den schwelenden Bruchstücken ihrer Kisten übersät war, und Hagrid rief:»Keine Panik jetzt, immer mit der Ruhe!«Der größte Teil der Klasse – Malfoy, Crabbe und Goyle als Erste – war durch die Hintertür in Hagrids Hütte geflohen und hatte sich verbarrikadiert; Harry, Ron und Hermine jedoch gehörten zu jenen, die draußen blieben und versuchten Hagrid zu helfen. Gemeinsam schafften sie es, neun Kröter zu überwältigen und festzubinden, wenn auch um den Preis zahlreicher Brandblasen und Schnitte; am Ende war nur noch ein Kröter übrig.

»Jetzt erschreckt ihn bloß nicht!«, schrie Hagrid, als Ron und Harry ihre Zauberstäbe nahmen und den Kröter, der, den zitternden Stachel über den Rücken gebogen, auf sie zukrabbelte, mit einer spotzenden Funkenwolke beschossen.»Versucht einfach, die Leine um seinen Stachel zu schlingen, damit er die anderen nicht verletzt!«

»Ja natürlich, das wäre ganz furchtbar!«, schrie Ron zornig, während er und Harry gegen die Wand von Hagrids Hütte zurückwichen und sich den Kröter mit ihren Funken sprühenden Zauberstäben vom Leib hielten.

»Schön, schön, schön… das scheint ja richtig Spaß zu machen.«

Rita Kimmkorn lehnte lässig an Hagrids Gartenzaun und begutachtete den Kampf. Heute trug sie einen schweren magentaroten Mantel mit einem purpurroten Pelzkragen; die Krokodillederhandtasche baumelte an ihrem Arm. Hagrid warf sich auf den Rücken des Kröters, der Harry und Hon zu Leibe rückte, und drückte ihn platt; eine Stichflamme schoß aus seinem Rumpf und versengte die Kürbispflanzen im Umkreis.

»Wer sind Sie?«, fragte Hagrid an Rita Kimmkorn gewandt, während er eine Seilschlinge um den Stachel des Kröters warf und sie festzurrte.

»Rita Kimmkorn, Reporterin für den Tagespropheten«, erwiderte Rita und strahlte ihn an. Ihre Goldzähne blitzten.

»Mir ist doch, als hätte Dumbledore gesagt, Sie hätten in der Schule nichts mehr verloren?«, sagte Hagrid und legte die Stirn in Falten. Er stand auf und zog den leicht lädierten Kröter hinüber zu seinen Artgenossen.

Rita tat, als hätte sie seine Worte nicht gehört.

»Wie heißen diese faszinierenden Geschöpfe eigentlich?«, fragte sie und strahlte ihn noch breiter an.

»Knallrümpfige Kröter«, brummte Hagrid.

»Wirklich?«, sagte Rita, scheinbar brennend interessiert.»Ich hab noch nie von ihnen gehört… woher kommen die denn?«

Harry sah, wie Hagrid unter seinem wilden schwarzen Bart dunkelrot anlief, und das Herz sank ihm in die Hose. Genau, wo zum Teufel hatte Hagrid die Kröter her?

Hermine, die sich Ähnliches zu fragen schien, warf rasch ein:»Sie sind sehr interessant, oder? Oder, Harry?«

»Was? O ja… autsch… interessant«, sagte Harry, nachdem sie ihm auf den Fuß getreten war.

Rita Kimmkorn wandte sich zu ihnen um.»Ah, du bist hier, Harry!«, sagte sie.»Also gefällt dir Pflege magischer Geschöpfe? Eins deiner Lieblingsfächer?«

»Ja«, sagte Harry wacker. Hagrid strahlte ihn an.

»Wunderbar«, sagte Rita.»Wirklich wunderbar. Unterrichten Sie schon lange?«, fügte sie zu Hagrid gewandt hinzu.

Harry bemerkte, wie sie den Blick schweifen ließ – über Dean (der eine unschöne Schnittwunde an der Wange hatte), Lavender (deren Umhang stark versengt war), Seamus (der mehrere verbrannte Finger leckte) und dann hinüber zum Hüttenfenster, wo der große Rest der Klasse sich die Nasen an der Scheibe platt drückte und wartete, bis die Luft rein war.

»Das ist erst mein zweites Jahr«, sagte Hagrid.

»Wunderbar… wären Sie vielleicht bereit, mir ein Interview zu geben? Ein wenig von Ihren Erfahrungen mit magischen Geschöpfen zu erzählen? Der Tagesprophet hat jeden Mittwoch eine Heimtierseite, wie Sie sicher wissen. Wir könnten was über diese – ähm – Knallsüchtigen Tröter bringen.«

»Knallrümpfige Kröter«, sagte Hagrid beflissen.»Ähm – ja, warum nicht?«

Harry schwante gar nichts Gutes, doch er konnte sich Hagrid nicht bemerkbar machen, ohne daß es Rita Kimmkorn mitbekam, und so mußte er schweigend zusehen, wie Hagrid und Rita sich für Ende der Woche zu einem richtig ausführlichen Interview in den Drei Besen verabredeten. Dann läutete oben im Schloß die Glocke und verkündete das Ende der Stunde.

»Gut denn, auf Wiedersehen, Harry!«, rief ihm Rita Kimmkorn vergnügt zu, als er sich mit Ron und Hermine auf den Weg machte.»Bis Freitagabend dann, Hagrid!«

»Sie wird ihm die Worte im Mund umdrehen«, sagte Harry mit gedämpfter Stimme.

»Hoffentlich hat er diese Kröter nicht unrechtmäßig eingeführt oder so etwas«, sagte Hermine mißvergnügt. Ihre Blicke trafen sich – genau das sah Hagrid nämlich ähnlich.

»Hagrid hat doch schon eine Menge Ärger gehabt und Dumbledore hat ihn nie rausgeworfen«, beschwichtigte Ron die beiden.»Das Schlimmste, was ihm passieren kann, ist, daß er die Kröter loswerden muß. Verzeihung… hab ich gesagt, das Schlimmste? Ich meine, das Beste.«

Harry und Hermine lachten und gingen ein wenig besser gelaunt zum Mittagessen.

An diesem Nachmittag machte Harry die Doppelstunde Wahrsagen ausgesprochen Spaß; noch immer ging es um Himmelskarten und Prophezeiungen, doch nun, da er und Ron wieder Freunde waren, fanden sie die ganze Sache erneut recht komisch. Professor Trelawney, die so zufrieden mit den beiden gewesen war, als sie ihre eigenen grauenhaften Tode vorausgesagt hatten, wurde zunehmend gereizter, als Harry und Ron während ihrer Ausführungen über die verschiedenen Möglichkeiten, wie Pluto das tägliche Leben stören konnte, ununterbrochen kicherten.

»Ich würde doch meinen«, flüsterte sie geheimnisvoll, ohne jedoch ihren Ärger verbergen zu können,»daß einige von uns«- und sie sah Harry viel sagend an -»vielleicht ein wenig nachdenklicher wären, wenn sie gesehen hätten, was ich gestern Nacht bei meiner Suche in der Kristallkugel entdeckt habe. Als ich gestern so dasaß, völlig versunken in meine Strickarbeit, überwältigte mich plötzlich der Drang, die Kugel zu Rate zu ziehen. Ich erhob mich, ich ließ mich vor ihr nieder und ich spähte in ihre kristallinen Tiefen… und wer, glaubt ihr, starrte mich da an?«

»Eine häßliche alte Fledermaus mit übergroßer Brille?«, flüsterte Ron.

Harry mühte sich, seine Unschuldsmiene zu bewahren.

»Der Tod, meine Lieben.«

Parvati und Lavender schlugen mit entsetzten Blicken die Hände vor den Mund.

»Ja«, sagte Professor Trelawney und nickte eindringlich,»er kommt immer näher, er zieht Kreise wie ein Geier, immer tiefer… immer tiefer über dem Schloß…«

Sie starrte Harry, der unverhohlen und herzhaft gähnte, durchdringend an.

»Es wäre ein wenig eindrucksvoller, wenn sie es nicht schon ungefähr achtzigmal gesagt hätte«, meinte er, als sie im Treppenhaus unter Professor Trelawneys Zimmer endlich wieder frische Luft schnappen konnten.»Aber wenn ich jedes Mal, wenn sie es sagte, tot umgefallen wäre, dann wäre ich ein medizinisches Wunder.«

»Du wärst sozusagen ein ganz hochprozentiger Geist«, gluckste Ron, als sie dem Blutigen Baron begegneten, der sie mit aufgerissenen, bösen Augen ansah.»Wenigstens haben wir keine Hausaufgaben. Ich hoffe, Professor Vektor hat Hermine eine Menge aufgehalst, ich genieße es, nichts zu tun, während sie arbeitet…«

Doch Hermine war weder beim Abendessen noch in der Bibliothek, wo sie später nach ihr suchten. Der Einzige hier war Viktor Krum. Ron und Harry trieben sich eine Weile hinter den Bücherregalen herum und beobachteten Krum, wobei sie sich flüsternd darüber unterhielten, ob Ron ihn vielleicht um ein Autogramm bitten sollte – doch dann entdeckte Ron, daß sechs oder sieben Mädchen hinter der nächsten Regalreihe lauerten und genau dasselbe beratschlagten, und seine Begeisterung für die Idee schwand.

Sie gingen zurück in den Gryffindor-Turm.»Wo sie wohl steckt?«, fragte Ron.

»Keine Ahnung… Quatsch.«

Doch die fette Dame war kaum zur Seite geklappt, als hektisches Fußgetrappel hinter ihnen Hermines Ankunft verkündete.

»Harry!«, keuchte sie und bremste schlitternd vor ihnen ab (die fette Dame sah sie mit Stirnrunzeln von oben herab an).»Harry, du mußt mitkommen – du mußt unbedingt mitkommen, da passiert etwas absolut Unglaubliches – bitte!«

Sie packte Harry am Arm und versuchte ihn mit sich zu zerren.

»Was ist denn los?«, fragte Harry.

»Ich zeig's dir, wenn wir da sind – komm schon, schnell -«

Harry wandte sich zu Ron um, doch Ron schien neugierig geworden zu sein.

»Na gut«, sagte Harry und ging mit Hermine den Gang entlang zurück, während Ron sich beeilte, mit ihnen Schritt zu halten.

»Oh, keine Ursache!«, rief ihnen die fette Dame entrüstet nach.»Ihr braucht euch doch nicht zu entschuldigen, nur weil ihr mich gestört habt! Ich hänge hier einfach weiter rum, sperrangelweit offen, bis ihr wiederkommt, einverstanden?«

»Ja, danke«, rief Ron über die Schulter zurück.

»Hermine, wo gehen wir hin?«, fragte Ron, als Hermine die beiden durch sechs Stockwerke geführt hatte und nun über die Marmortreppe hinunter in die Eingangshalle wollte.

»Das seht ihr gleich, nur Geduld!«, sagte Hermine aufgeregt.

Sie wandte sich am Fuß der Treppe nach links und hastete zu der Tür, durch die Cedric Diggory an jenem Abend gegangen war, als der Feuerkelch seinen und Harrys Namen ausgeworfen hatte. Durch diese Tür ging Harry zum ersten Mal. Sie folgten Hermine eine steinerne Treppenflucht in die Tiefe, doch anstatt in einen düsteren unterirdischen Gang zu gelangen, fanden sie sich in einem breiten steinernen Korridor wieder, der von Fackeln hell erleuchtet und mit heiteren Gemälden geschmückt war, die vorwiegend Eßbares zeigten.

»Oh, wart mal…«, sagte Harry zögernd auf halbem Weg den Korridor entlang.»Wart doch kurz, Hermine…«

»Was ist?«Sie wandte sich zu ihm um und er sah, daß die Spannung ihr ins Gesicht geschrieben stand.

»Ich weiß, was du vorhast«, sagte Harry.

Er knuffte Ron in die Seite und deutete auf das Gemälde direkt hinter Hermine. Es zeigte eine ausladende silberne Obstschale.

»Hermine!«, sagte Ron, bei dem der Groschen gefallen war.»Du willst uns wieder in diesen Belfer-Kram verwickeln!«

»Nein, nein, will ich nicht!«, entgegnete sie hastig.»Und es heißt nicht Belfer, Ron -«

»Dann hast du den Namen geändert?«, sagte Ron und sah sie stirnrunzelnd an.»Was sind wir denn jetzt, vielleicht die Hauselfen-Befreiungsfront? Ich platze doch nicht in diese Küche rein und versuche sie vom Arbeiten abzuhalten, nicht mit mir -«

»Das verlange ich auch gar nicht!«, sagte Hermine ungeduldig.»Ich bin erst vorhin hier runtergekommen, um mit ihnen zu reden, und wen hab ich da getroffen – oh, komm schon, Harry, das mußt du sehen!«

Sie packte ihn erneut am Arm, zog ihn vor das Bild mit der riesigen Obstschale, streckte ihren Zeigefinger aus und kitzelte die prächtige grüne Birne. Sie begann sich zu winden, fing an zu kichern und verwandelte sich plötzlich in einen großen grünen Türgriff. Hermine ergriff ihn, zog die Tür auf und stieß Harry mit einem unsanften Schlag in den Rücken hinein.

Harry erhaschte nur einen kurzen Eindruck des weitläufigen, hohen Gewölbes, das so groß war wie die Große Halle darüber, mit seinen Stapeln schimmernder Kupfertöpfe und Messingpfannen an den steinernen Wänden und seinem mächtigen, mit Ziegelsteinen eingefaßten Herd am anderen Ende – da wuselte etwas Kleines aus der Mitte des Raums auf ihn zu und piepste:»Harry Potter, Sir! Harry Potter!«

Und schon im nächsten Moment schnappte er nach Luft, denn der piepsende Elf hatte den Kopf in seiner Magengrube versenkt und herzte ihn so stürmisch, daß Harry fürchtete, sich die Rippen zu brechen.

»D-Dobby?«, japste Harry.

»Es ist Dobby, Sir, er ist es!«, piepste die Stimme in seiner Nabelgegend.»Dobby hat so fest gehofft, Harry Potter wieder zu sehen, Sir, und Harry Potter ist gekommen, um ihn zu besuchen, Sir!«

Dobby ließ ihn los, trat ein paar Schritte zurück und strahlte Harry von unten herauf an. Aus seinen riesigen grünen, tennisballförmigen Augen quollen Tränen des Glücks. Er sah fast genauso aus, wie Harry ihn in Erinnerung hatte; die bleistiftdünne Nase, die fledermausähnlichen Ohren, die langen Finger und Füße – nur war er diesmal ganz anders angezogen.

Als Dobby für die Malfoys gearbeitet hatte, hatte er immer denselben schmutzigen alten Kissenüberzug getragen. Nun jedoch trug er die merkwürdigste Auswahl an Kleidern, die Harry je gesehen hatte; es war ihm sogar gelungen, sich noch schlechter anzuziehen als die Zauberer bei der Weltmeisterschaft. Er trug einen Teewärmer als Hut, an den er ein paar leuchtende Sticker gepinnt hatte; auf der nackten Brust trug er eine Krawatte mit Hufeisenmuster, darunter so etwas wie eine kurze Kinderfußballhose und zwei verschiedenfarbige Socken. Eine davon, fiel Harry auf, war jene, die er sich einst selbst ausgezogen hatte, um Mr Malfoy zu überlisten, der sie Dobby weitergab und ihn damit befreite.

»Dobby, was tust du hier?«, sagte Harry verblüfft.

»Dobby ist gekommen, um in Hogwarts zu arbeiten, Harry Potter, Sir!«, quiekte Dobby aufgeregt.»Professor Dumbledore hat Dobby und Winky Arbeit gegeben, Sir!«

»Winky?«, sagte Harry.»Ist sie auch hier?«

»Ja, Sir, ja!«, sagte Dobby, packte Harrys Hand und zog ihn weiter in die Mitte der Küche, wo vier lange Holztische standen. Jeder dieser Tische, fiel Harry auf, stand genau unter den vier Haustischen in der Großen Halle. Im Augenblick waren keine Speisen zu sehen, das Abendessen war beendet, doch er vermutete, daß die Tische noch vor einer Stunde voller Teller gewesen waren, die dann durch die Decke zu ihren Gegenstücken hinaufgeschickt wurden.

Mindestens hundert kleine Elfen standen in der Küche herum, sie strahlten und verbeugten sich und machten Knickse, als Dobby Harry an ihnen vorbeiführte. Sie alle trugen dieselbe Uniform: ein Geschirrtuch, das mit dem Hogwarts-Wappen bedruckt und wie bei Winky als Toga gewickelt war. Dobby hielt vor dem backsteinernen Herd an und streckte die Hand aus.

»Winky, Sir!«, sagte er.

Winky saß auf einem Stuhl am Herd. Offensichtlich hatte sie im Gegensatz zu Dobby ihre Kleider nicht blindlings zusammengeworfen. Sie trug einen hübschen kleinen Rock und eine Bluse und passend dazu einen blauen Hut, der Löcher für ihre großen Ohren hatte. Während allerdings jedes Stück von Dobbys merkwürdiger Kleidersammlung so sauber und gut gepflegt war, daß es brandneu wirkte, achtete Winky offensichtlich überhaupt nicht auf ihre Sachen. Ihre Bluse war voller Suppenflecken und ihr Rock hatte ein Brandloch.

»Hallo, Winky«, sagte Harry.

Winkys Lippen zitterten. Dann brach sie in Tränen aus, die in rascher Folge aus ihren großen braunen Augen quollen und ihre Bluse benetzten, genau wie damals bei der Weltmeisterschaft.

»O du liebe Güte«, sagte Hermine. Sie und Ron waren Harry und Dobby in die Küche hinein gefolgt.»Winky, bitte nicht weinen, bitte nicht…«

Doch Winky schluchzte nun noch heftiger. Dobby jedoch strahlte zu Harry empor.

»Möchte Harry Potter eine Tasse Tee?«, quiekte er laut über Winkys Schluchzen hinweg.

»Ähm – ja, danke«, sagte Harry.

Im selben Augenblick trippelten sechs Hauselfen mit einem großen Silbertablett auf ihn zu, das beladen war mit einer Teekanne und Tassen für Harry, Ron und Hermine, einem Milchkrug und einem großen Teller mit Keksen.

»Guter Service!«, sagte Ron beeindruckt. Hermine sah ihn streng an, doch die Elfen schienen geschmeichelt; sie verbeugten sich tief und zogen sich dann zurück.

»Wie lange bist du schon hier, Dobby?«, fragte Harry, während Dobby den Tee ausschenkte.

»Seit einer Woche, Harry Potter, Sir!«, sagte Dobby glücklich.»Dobby ist zu Professor Dumbledore gegangen, Sir. Wissen Sie, Sir, es ist sehr schwierig für einen Hauselfen, der entlassen wurde, eine neue Stellung zu finden, Sir, wirklich sehr schwierig -«

Bei diesen Worten heulte Winky noch lauter, aus ihrer gequetschten Tomatennase tropfte es nur so auf ihre Bluse, doch sie mühte sich nicht, die Flut einzudämmen.

»Dobby ist zwei lange Jahre durch das Land gereist, Sir, und hat versucht Arbeit zu finden«, quiekte Dobby.»Aber Dobby hat keine Arbeit gefunden, Sir, weil Dobby jetzt bezahlt werden will!«

Die Hauselfen in der ganzen Küche, die interessiert zugesehen und gelauscht hatten, schauten bei diesen Worten betreten zu Boden, als ob Dobby etwas Unanständiges und Peinliches gesagt hätte.

Hermine jedoch sagte:»Gut für dich, Dobby!«

»Vielen Dank, Miss!«, sagte Dobby und grinste sie zähnebleckend an.»Aber die meisten Zauberer wollen keinen Hauselfen, der bezahlt werden möchte, Miss. ›Das gehört sich nicht für Hauselfen‹, sagen sie dann, und sie schlagen die Tür vor Dobbys Nase zu! Dobby mag arbeiten, aber er will auch was zum Anziehen und er will Lohn für seine Arbeit, Harry Potter… Dobby ist gerne frei!«

Die Hauselfen von Hogwarts hatten inzwischen begonnen, vor Dobby zurückzuweichen, als ob er eine ansteckende Krankheit hätte. Winky jedoch blieb, wo sie war, begann aber noch lauter zu weinen.

»Und dann, Harry Potter, geht Dobby Winky besuchen und findet heraus, daß Winky auch freigekommen ist, Sir!«, sagte Dobby vergnügt.

Bei diesen Worten warf sich Winky kopfüber vom Stuhl, knallte mit dem Gesicht auf den steingepflasterten Boden, trommelte mit ihren Fäustchen darauf ein und schrie sich das Elend aus dem Leib. Hermine kniete schnell neben ihr nieder und versuchte sie zu trösten, doch was sie auch sagte, es half nicht im Mindesten.

Dobby übertönte mit schriller Stimme Winkys Schreie und fuhr mit seiner Geschichte fort.»Und dann hatte Dobby die Idee, Harry Potter, Sir! ›Warum gehen Dobby und Winky nicht zusammen auf Arbeitssuche?‹, sagt Dobby. ›Wo gibt es denn genug Arbeit für zwei Hauselfen?‹, sagt Winky. Und Dobby überlegt, und da fällt es ihm ein, Sir! Hogwarts! Also gehen Dobby und Winky zu Professor Dumbledore, Sir, und Professor Dumbledore hat uns genommen!«

Dobby strahlte übers ganze Gesicht und wieder traten Glückstränen in seine Augen.

»Und Professor Dumbledore sagt, er will Dobby bezahlen, Sir, wenn Dobby Lohn will! Und so ist Dobby ein freier Elf, Sir, und Dobby bekommt eine Galleone die Woche und einen freien Tag im Monat!«

»Das ist nicht gerade viel!«, rief Hermine entrüstet vom Fußboden hoch, während Winky immer noch schrie und mit den Fäusten trommelte.

»Professor Dumbledore hat Dobby zehn Galleonen die Woche angeboten und freie Wochenenden«, sagte Dobby, den plötzlich ein leiser Schauder überkam, als ob die Aussicht auf so viel Muße und Reichtum erschreckend wäre,»aber Dobby hat es abgelehnt, Miss… Dobby mag die Freiheit, Miss, aber er will nicht zu viel, Miss, er mag lieber arbeiten.«

»Wie viel bezahlt Professor Dumbledore dir, Winky?«, fragte Hermine freundlich.

Wenn sie geglaubt hatte, dies würde Winky aufmuntern, hatte sie sich schwer geirrt. Winky hörte auf zu heulen, doch als sie sich aufsetzte, starrte sie Hermine mit wäßrigen braunen Augen finster an, das ganze Gesicht klitschnaß und plötzlich hell erzürnt.

»Winky ist eine Elfe in Schande, aber Winky wird nicht bezahlt!«, quiekte sie.»So tief ist Winky nicht gesunken! Winky schämt sich richtig, frei zu sein!«

»Du schämst dich?«, sagte Hermine verdutzt.»Aber – Winky, nun hör mal! Wer sich schämen sollte, ist Mr Crouch, nicht du! Du hast nichts Falsches getan, er hat sich dir gegenüber fürchterlich benommen -«

Doch bei diesen Worten klatschte Winky die Hände auf die Löcher in ihrem Hut und hielt sich die Ohren zu, um dann zu kreischen:»Sie dürfen nicht meinen Meister beleidigen, Miss! Sie beleidigen nicht Mr Crouch! Mr Crouch ist ein guter Zauberer, Miss! Mr Crouch hatte Recht, die böse Winky fortzujagen!«

»Winky hat noch ein wenig Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden, Harry Potter«, quiekte Dobby vertraulich.»Winky vergißt, daß sie nicht mehr an Mr Crouch gefesselt ist; sie darf jetzt alles sagen, was sie denkt, aber sie will es nicht.«

»Dürfen Hauselfen also nicht frei über ihre Meister reden?«, fragte Harry.

»O nein, Sir, nein«, sagte Dobby plötzlich mit ernster Miene.»Das steht uns als Sklaven nicht zu, Sir. Wir bewahren ihre Geheimnisse und brechen nie unser Schweigen, Sir, wir halten die Ehre der Familie aufrecht und wir sprechen nie schlecht von ihr – auch wenn Professor Dumbledore Dobby gesagt hat, das sei ihm nicht so wichtig. Professor Dumbledore hat gesagt, wir dürfen freimütig -«

Dobby schien plötzlich nervös und winkte Harry näher. Harry beugte sich zu ihm hinunter.

»Er hat gesagt«, flüsterte Dobby,»wenn wir wollen, dürfen wir ihn einen – einen bekloppten alten Kauz nennen, Sir!«

Dobby ließ ein ängstliches Kichern hören.

»Aber Dobby will nicht, Harry Potter«, sagte er jetzt wieder lauter und schüttelte den Kopf, daß ihm die Ohren schlackerten.»Dobby hat Professor Dumbledore sehr gern, Sir, und er ist stolz, seine Geheimnisse zu bewahren.«

»Aber über die Malfoys kannst du jetzt sagen, was du willst?«, fragte Harry grinsend.

Ein Anflug von Furcht trat in Dobbys riesige Augen.

»Dobby – Dobby könnte«, sagte er zweifelnd. Er reckte seine kleinen Schultern.»Dobby könnte Harry Potter sagen, seine alten Meister waren – waren – böse schwarze Magier!«

Dobby stand einen Moment lang am ganzen Leib zitternd da, zu Tode erschrocken über seine eigene Kühnheit – dann rannte er hinüber zum nächsten Tisch und begann seinen Kopf schnell und heftig gegen das Tischbein zu schlagen.»Böser Dobby! Böser Dobby!«

Harry packte Dobby an der Krawattenschlaufe und zerrte ihn vom Tisch weg.

»Danke, Harry Potter, danke«, japste Dobby und rieb sich den Kopf.

»Du brauchst nur noch ein wenig Übung«, sagte Harry.

»Übung!«, piepste Winky zornig.»Du, du solltest dich schämen vor dir selbst, Dobby, so über deine Meister zu reden!«

»Sie sind nicht mehr meine Meister!«, sagte Dobby trotzig.»Dobby schert sich nicht mehr darum, was sie denken!«

»Du bist ein böser Elf, Dobby!«, stöhnte Winky und wieder rannen ihr die Tränen übers Gesicht.»Mein armer Mr Crouch, was macht er nur ohne Winky? Er braucht mich, er braucht meine Hilfe! Ich hab mein ganzes Leben lang für die Familie Crouch gesorgt, und meine Mutter vor mir und meine Großmutter vor ihr… oh, was würden sie nur sagen, wenn sie wüßten, daß Winky frei ist? Oh, welche Schande, welche Schande!«Sie vergrub das Gesicht in ihren Rock und heulte erneut los.

»Winky«, sagte Hermine eindringlich.»Ich bin ziemlich sicher, daß Mr Crouch auch ohne dich sehr gut zurechtkommt. Wir haben ihn gesehen, weißt du -«

»Sie haben meinen Meister gesehen?«, hauchte Winky, hob das tränenverschmierte Gesicht aus ihrem Rock und glubschte Hermine an.»Sie haben ihn gesehen, hier in Hogwarts?«

»Ja«, sagte Hermine.»Er und Mr Bagman sind Richter im Trimagischen Turnier.«

»Mr Bagman ist auch da?«, piepste Winky, und zu Harrys großer Überraschung (und nach ihren Gesichtern zu schließen ging es Ron und Hermine genauso) sah sie plötzlich wieder zornig aus.»Mr Bagman ist ein böser Zauberer! Ein sehr böser Zauberer! Mein Meister mag ihn gar nicht, o nein, überhaupt nicht!«

»Bagman – soll böse sein?«, sagte Harry.

»O ja«, sagte Winky und nickte eifrig mit dem Kopf.»Mein Meister hat Winky ein paar Dinge erzählt! Aber Winky verrät es nicht… Winky bewahrt die Geheimnisse ihres Meisters…«

Wieder brach sie in Tränen aus und schluchzte erstickt in ihren Rock.»Armer Meister, armer Meister, keine Winky mehr da, um ihm zu helfen!«

Sie brachten aus Winky kein vernünftiges Wort mehr heraus. Sie überließen sie ihren Tränen, tranken ihren Tee und unterhielten sich mit Dobby, der glücklich über sein Leben als freier Elf plauderte und ihnen erzählte, was er alles mit seinem ersten Geld anfangen wollte.

»Dobby kauft als Erstes einen Pullover, Harry Potter!«, sagte er ausgelassen und deutete auf seine nackte Brust.

»Ich mach dir 'nen Vorschlag, Dobby«, sagte Ron, der den Elfen offenbar richtig ins Herz geschlossen hatte,»ich schenk dir den Pulli, den mir meine Mutter zu Weihnachten strickt, ich bekomme immer einen von ihr. Du hast doch nichts gegen Kastanienbraun?«

Dobby war entzückt.

»Für dich müssen wir ihn vielleicht ein wenig einlaufen lassen«, erklärte Ron,»aber zusammen mit deinem Teewärmer steht er dir sicher gut.«

Als sie Anstalten machten zu gehen, scharten sich plötzlich viele der Küchenelfen um sie und boten ihnen Leckereien zum Mitnehmen an. Hermine lehnte ab, mit peinlich berührtem Blick auf die sich verbeugenden und knicksenden Elfen, doch Harry und Ron stopften ihre Taschen mit Kremschnitten und Pasteten voll.

»Vielen Dank«, sagte Harry zu den Elfen, die sich allesamt an der Tür versammelt hatten, um gute Nacht zu sagen.»Bis bald, Dobby!«

»Harry Potter… darf Dobby Sie mal besuchen kommen, Sir?«, fragte Dobby schüchtern.

»Natürlich darfst du«, sagte Harry, und Dobby strahlte.

»Wißt ihr was?«, sagte Ron, als sie die Küche verlassen hatten und die Treppe hoch zurück in die Eingangshalle stiegen.»All die Jahre war ich ganz beeindruckt von Fred und George, wie sie ständig Essen aus der Küche geklaut haben – tja, es ist ja nicht besonders schwierig, oder? Die werfen es einem ja nach!«

»Ich glaube, das ist das Beste, was diesen Elfen passieren konnte«, sagte Hermine und betrat als Erste die Marmortreppe nach oben.»Daß Dobby hierher kam, um zu arbeiten, meine ich. Die anderen Elfen werden sehen, wie glücklich er in Freiheit ist, und allmählich wird ihnen dämmern, daß sie auch frei sein wollen!«

»Hoffentlich sehen sie sich Winky nicht allzu genau an«, sagte Harry.

»Ach, die wird sich schon wieder fangen«, entgegnete Hermine, klang jedoch ein wenig unsicher.»Sobald sie den Schock überwunden und sich an Hogwarts gewöhnt hat, wird sie sehen, wie viel besser es ihr geht ohne diesen Widerling von Crouch.«

»Sie scheint ihn ja zu lieben«, mampfte Ron (er hatte gerade in eine Kremschnitte gebissen).

»Hält aber nicht viel von Bagman, oder?«, sagte Harry.»Ich frag mich, was Crouch zu Hause so über ihn erzählt hat.«

»Wahrscheinlich, daß er kein besonders guter Abteilungsleiter ist«, sagte Hermine,»und ehrlich gesagt… da ist was dran, meint ihr nicht?«

»Ich würde trotzdem lieber für ihn als für den ollen Crouch arbeiten«, sagte Ron.»Ludo Bagman hat wenigstens Sinn für Humor.«

»Laß das bloß nicht Percy hören«, sagte Hermine milde lächelnd.

»Natürlich, Percy würde für keinen arbeiten wollen, der Sinn für Humor hat«, sagte Ron und machte sich über ein Schoko-Eclair her.»Percy würde einen Witz nicht mal erkennen, wenn er nackt und mit Dobbys Teewärmer auf dem Kopf vor ihm herumtanzen würde.«

Die unerwartete Aufgabe

»Potter! Weasley! Werden Sie wohl zuhören?«

Professor McGonagalls gereizte Stimme knallte wie ein Peitschenhieb durch den Verwandlungsunterricht. Harry und Ron zuckten zusammen und sahen auf.

Die Dienstagsstunde war fast zu Ende; sie hatten ihre Sachen zusammengeräumt, und die Perlhühner, die sie in Meerschweinchen verwandelt hatten, steckten nun in einem großen Käfig auf Professor McGonagalls Schreibtisch (Nevilles Meerschweinchen hatte allerdings noch Federn); auch ihre Hausaufgaben hatten sie von der Tafel abgeschrieben (»Erläutern Sie anhand von Beispielen, wie der Verwandlungszauber aussehen muß, wenn Sie zwischen verschiedenen Tiergattungen wechseln wollen«). Jeden Moment mußte es läuten, und Harry und Ron, die sich hinten in der letzten Reihe einen Schwertkampf mit Freds und Georges Juxzauberstäben geliefert hatten, blinzelten jetzt verdutzt; Ron hielt einen blechernen Papagei, Harry einen Gummikabeljau in der Hand.

»Nun, Potter und Weasley waren so nett uns zu zeigen, wie erwachsen sie schon sind«, sagte Professor McGonagall und warf den beiden einen zornigen Blick zu.

Der Kopf von Harrys Kabeljau – den Rons Papagei soeben mit dem Schnabel glatt abgetrennt hatte – kullerte geräuschlos zu Boden.

»Ich habe eine Ankündigung für Sie alle. Der Weihnachtsball rückt näher – er gehört traditionell zum Trimagischen Turnier und bietet uns die Gelegenheit, unsere ausländischen Gäste ein wenig näher kennen zu lernen. An diesem Ball dürfen alle ab der vierten Klasse teilnehmen – doch wenn Sie möchten, dürfen Sie auch einen jüngeren Mitschüler einladen -«

Lavender Brown brach in schrilles Giggeln aus. Parvati Patil stieß ihr unsanft in die Rippen, doch auch ihrem Gesicht war die unendliche Mühe anzusehen, mit der sie einen Kicheranfall bekämpfte. Beide wandten sich zu Harry um. Professor McGonagall achtete nicht auf sie, was Harry als ausgesprochen unfair empfand, wo sie doch soeben ihn und Ron gerüffelt hatte.

»Sie werden Ihre Festumhänge tragen«, fuhr Professor McGonagall fort,»und der Ball wird am ersten Weihnachtsfeiertag um acht Uhr abends in der Großen Halle beginnen und um Mitternacht enden. Nun denn -«

Professor McGonagall ging mit bedächtigen Schritten durch die Reihen.

»Der Weihnachtsball gibt uns allen natürlich die Gelegenheit, uns – ähm – ein wenig lockerer zu geben«, sagte sie mit mißbilligendem Unterton.

Lavender giggelte noch heftiger und preßte die Hand auf den Mund, um den Anfall zu ersticken. Diesmal begriff Harry, was denn so komisch sein sollte: Professor McGonagall, das Haar zu einem festen Knoten gebunden, sah aus, als hätte sie sich noch nie locker gegeben.

»Aber das heißt NICHT«, fuhr sie fort,»daß wir die Benimmregeln lockern, denen ein Hogwarts-Schüler zu folgen hat. Ich wäre höchst unangenehm berührt, sollte ein Gryffindor-Schüler ganz Hogwarts auf irgendeine Weise in Verruf bringen.«

Es läutete, und wie immer gab es ein kleines Durcheinander, denn alle packten ihre Taschen, warfen sie über die Schultern und stürmten los.

»Potter – ich möchte gerne ein Wort mit Ihnen reden«, rief Professor McGonagall durch den Trubel.

Harry, der annahm, daß es um den kopflosen Gummikabeljau ging, trottete in trister Stimmung nach vorn zum Lehrertisch.

Professor McGonagall wartete, bis die anderen verschwunden waren, dann sagte sie:»Potter, die Champions und ihre Partner -«

»Welche Partner?«, fragte Harry.

Professor McGonagall sah ihn argwöhnisch an, als ob er sich über sie lustig machen wollte.

»Ihre Partner für den Weihnachtsball, Potter«, sagte sie kühl.»Ihre Tanzpartner.«

Harrys Eingeweide schienen sich einzurollen und zusammenzuschrumpfen.»Tanzpartner?«Er spürte, wie er rot anlief.»Ich tanze nicht«, sagte er rasch.

»O doch, das tun Sie«, sagte Professor McGonagall verärgert.»Wenn ich es Ihnen sage. Der Tradition gemäß eröffnen die Champions und ihre Partner den Ball.«

Harry hatte plötzlich ein Bild von sich vor Augen, in Frack und Zylinder, begleitet von einem Mädchen in einem Rüschenkleid, wie es Tante Petunia immer zu Onkel Vernons Betriebsfeiern trug.

»Ich tanze nicht«, sagte er.

»Es ist so Tradition«, sagte Professor McGonagall entschieden.»Sie sind Hogwarts-Champion und Sie werden tun, was man von Ihnen als Vertreter Ihrer Schule erwartet. Also sorgen Sie dafür, daß Sie eine Partnerin haben, Potter.«

»Aber – ich kann nicht -«

»Sie haben gehört, was ich gesagt habe, Potter«, sagte Professor McGonagall, und es klang unmißverständlich nach dem Ende des Gesprächs.

Eine Woche zuvor noch hätte Harry gesagt, eine Partnerin für einen Tanzabend zu finden wäre ein Kinderspiel im Vergleich zum Kampf gegen einen Ungarischen Hornschwanz. Doch nun, da er diesen Kampf bestanden hatte und vor der Aufgabe stand, ein Mädchen zum Ball zu bitten, hatte er das Gefühl, er würde es lieber noch einmal mit dem Hornschwanz aufnehmen.

Harry hatte noch nie erlebt, daß sich so viele seiner Mitschüler auf der Liste derer eintrugen, die über Weihnachten in Hogwarts bleiben wollten; er selbst blieb natürlich immer in der Schule, denn die einzige andere Möglichkeit war ja, daß er in den Ligusterweg zurückkehrte. Doch während er in den letzten Jahren fast allein im Schloß geblieben war, schien es nun, als wollten alle Schüler ab der vierten Klasse dableiben und als hätten sie nur noch den Ball im Kopf- zumindest die Mädchen, und es war ganz erstaunlich, wie viele Mädchen auf einmal Hogwarts bevölkerten; bisher war ihm das noch nicht so richtig aufgefallen. Mädchen, die in den Gängen kicherten und tuschelten, Mädchen, die lachten und kreischten, wenn Jungen an ihnen vorbeigingen, Mädchen, die ganz aufgeregt Zettel verglichen, auf denen stand, was sie am Weihnachtsabend tragen wollten…

»Warum müssen die sich immer in Rudeln bewegen?«, fragte Harry Ron, als ein gutes Dutzend Mädchen, giggelnd und Harry anstarrend, an ihnen vorbeiging.»Wie soll man da mal eine allein treffen, um sie zu fragen?«

»Wie war's, wenn du eine mit dem Lasso fängst?«, schlug Ron vor.»Hast du schon 'ne Ahnung, wen du fragen willst?«

Harry gab keine Antwort. Er wußte ganz genau, wen er gern fragen würde, aber den Mumm dafür aufzubringen war gar nicht so einfach… Cho war ein Jahr älter als er; sie war sehr hübsch; sie war eine sehr gute Quidditch-Spielerin und sie war auch sehr beliebt.

Ron schien zu wissen, was in Harrys Kopf vor sich ging.

»Hör zu, du wirst sicher keine Schwierigkeiten haben. Du bist ein Champion. Du hast gerade den Ungarischen Hornschwanz geschlagen. Ich wette, sie stehen Schlange, um mit dir zu diesem Ball zu gehen.«

Aus Achtung vor ihrer gerade erst wieder eingerenkten Freundschaft hatte Ron die Bitterkeit aus seiner Stimme bis auf eine winzige Spur verbannt. Und außerdem zeigte sich, wie Harry verblüfft feststellte, daß er Recht hatte. Ein lockiges Hufflepuff-Mädchen, mit dem Harry noch nie ein Wort gesprochen hatte, fragte ihn schon am nächsten Tag, ob er nicht mit ihr zum Ball gehen wolle. Harry war so verdutzt, daß er nein sagte, bevor er ernsthaft nachgedacht hatte. Das Mädchen ging mit ziemlich verletzter Miene davon und Harry mußte während der ganzen Geschichtsstunde Deans, Seamus' und Rons Spötteleien über sich ergehen lassen. Am nächsten Tag fragten ihn noch zwei Mädchen, eine Zweitkläßlerin und (zu seinem Entsetzen) eine Fünftkläßlerin, die den Eindruck machte, als würde sie ihn zu Boden strecken, wenn er ablehnte.

»Sah aber ziemlich gut aus«, sagte Ron offenherzig, nachdem er sich von seinem Lachanfall erholt hatte.

»Sie war über einen Kopf größer als ich«, sagte Harry, immer noch genervt.»Stell dir vor, wie ich aussähe, wenn ich versuchen würde mit ihr zu tanzen.«

Hermines Worte über Krum gingen ihm immer wieder durch den Kopf.»Sie stehen ja nur auf ihn, weil er berühmt ist!«Harry bezweifelte stark, daß eines der Mädchen, die ihn gefragt hatten, auch dann mit ihm zum Ball gehen wollte, wenn er nicht der Schul-Champion wäre. Dann fragte er sich, ob ihn das stören würde, wenn Cho ihn bitten würde.

Alles in allem mußte sich Harry eingestehen, daß es ihm trotz der peinigenden Aussicht, den Ball eröffnen zu müssen, wieder besser ging, seit er die erste Aufgabe geschafft hatte. Wenn er durch das Schloß lief, mußte er sich kaum noch Spötteleien anhören, und er vermutete, daß vor allem Cedric dahinter steckte – Harry ahnte vage, daß Cedric, weil er ihm für seine Drachenwarnung dankbar war, den Hufflepuffs gesagt hatte, sie sollten ihn in Ruhe lassen. Auch kam es ihm vor, als würde er immer weniger»Ich bin für CEDRIC DIGGORY«-Anstecker zu sehen bekommen. Draco Malfoy zitierte natürlich immer noch bei jeder möglichen Gelegenheit lautstark Rita Kimmkorns Artikel, doch er erntete immer spärlichere Lacher – und wie um Harrys Laune noch zu verbessern, erschien auch kein Artikel über Hagrid im Tagespropheten.

»Die fand magische Geschöpfe wohl nicht so spannend, kann ich dir nur sagen«, erklärte Hagrid, als Harry, Ron und. Hermine ihn in der letzten Stunde Pflege magischer Geschöpfe vor Weihnachten fragten, wie sein Interview mit Rita Kimmkorn gelaufen war. Zu ihrer gewaltigen Erleichterung ersparte ihnen Hagrid jetzt den direkten Umgang mit den Krötern, und so hockten sie heute nur hinten im Schutz des Hüttendachs an einem Klapptisch und bereiteten ein frisches Menü zu, mit dem sie die Kröter in Versuchung führen wollten.

»Sie wollte, daß ich über dich rede, Harry«, fuhr Hagrid mit gedämpfter Stimme fort.»Na ja, ich hab ihr gesagt, wir sind Freunde, seit ich dich von den Dursleys weggeholt hab. ›Und in vier Jahren mußten Sie nie ein Donnerwetter veranstalten?‹ hat sie gesagt. ›Er hat Sie im Unterricht nie auf die Schippe genommen?‹ – ›Nee‹, hab ich gesagt, und da war sie überhaupt nich zufrieden. Hätte fast gedacht, sie wollte, daß ich sage, du bist 'n furchtbarer Kerl, Harry!«

»Natürlich wollte sie das«, sagte Harry, warf Drachenleberstücke in eine große Blechschüssel und nahm sein Messer zur Hand, um noch eine weitere Leber zu schneiden.»Sie kann nicht die ganze Zeit schreiben, was für ein tragischer kleiner Held ich bin, das wird doch langweilig.«

»Sie will eben hinter die Kulissen sehen, Hagrid«, sagte Ron weise und pellte ein weiteres Salamanderei.»Du hättest sagen sollen, Harry ist ein verrückter Unruhestifter!«

»Das ist er aber nicht!«, sagte Hagrid und schien aufrichtig schockiert.

»Sie hätte Snape interviewen sollen«, sagte Harry grimmig.»Er wird bestimmt eines Tages so richtig über mich auspacken. ›Seit er an dieser Schule ist, übertritt er ständig Grenzen… ‹«

»Das hat er gesagt, ne?«, sagte Hagrid unter dem Gelächter von Ron und Hermine.»Tja, du hast vielleicht 'n paar Regeln strapaziert, Harry, aber im Grunde bist du 'n anständiger Kerl, oder?«

»Schon gut, Hagrid«, sagte Harry grinsend.»Kommst du eigentlich zu diesem komischen Ball an Weihnachten, Hagrid?«, fragte Ron.

»Dachte, ich könnt mal vorbeischauen, ja«, sagte Hagrid brummig.»Könnt ganz lustig werden, denk ich mal. Du eröffnest den Ball, nicht wahr, Harry? Wen nimmst du mit?«

»Hab noch keine«, sagte Harry und merkte, wie er schon wieder rot anlief.

Hagrid drang nicht weiter in ihn ein.

In der letzten Woche vor den Weihnachtsferien ging es immer turbulenter zu. Durch das ganze Schloß schwirrten Gerüchte über den Weihnachtsball, doch Harry glaubte nicht die Hälfte davon – zum Beispiel hieß es, Dumbledore hätte bei Madam Rosmerta achthundert Fässer eingelegtes Fleisch gekauft. Es schien jedoch zu stimmen, daß er die Schwestern des Schicksals gebucht hatte. Wer genau diese Schwestern waren, wußte Harry nicht, da er nie eines dieser Zauberradiosbesessen hatte, doch aus der wilden Begeisterung jener, die mit den Klängen des Magischen Rundfunks (MRF) aufgewachsen waren, schloß er, daß sie eine sehr berühmte Musikgruppe sein mußten.

Einige Lehrer, etwa der kleine Professor Flitwick, gaben es ganz auf, sie zu unterrichten, da sie mit den Gedanken doch ständig woanders waren; in seiner Stunde am Dienstag durften sie spielen, und er selbst saß die meiste Zeit bei Harry und sprach mit ihm über seinen tadellos gelungenen Aufrufezauber bei der ersten Turnierrunde. Andere Lehrer waren nicht so großzügig. Nichts würde zum Beispiel Professor Binns davon abhalten, seine Aufzeichnungen über die Kobold-Aufstände durchzuwälzen – da Binns sich nicht einmal durch seinen eigenen Tod vom Unterricht hatte abhalten lassen, vermuteten sie, daß eine Kleinigkeit wie Weihnachten ihn auch nicht aus der Bahn werfen würde. Es war erstaunlich, wie es Binns gelang, selbst die blutigen und lasterhaften Zeiten der Kobold-Unruhen so langweilig klingen zu lassen wie Percys Kesselgutachten. Auch die Professoren McGonagall und Moody hielten sie bis zur letzten Minute des Unterrichts auf Trab, und Snape dachte natürlich genauso wenig daran, sie im Unterricht spielen zu lassen, wie Harry zu adoptieren. Er starrte gehässig in die Runde und teilte ihnen mit, daß er sie in der letzten Stunde zum Thema Gegengifte prüfen würde.

»So ein Armleuchter«, sagte Ron erbittert, als sie an diesem Abend im Gemeinschaftsraum der Gryffindors saßen.»Am allerletzten Tag kommt er uns noch mit einem Test. Ruiniert die letzte Woche mit einer Unmenge Büffelei.«

»Mmm… du überanstrengst dich auch nicht gerade, oder?«, sagte Hermine und schaute ihn über den Rand ihrer Zaubertranknotizen hinweg an. Ron war damit beschäftigt, ein Kartenschloß aus seinen explosiven Mau-Mau-Kartenzu bauen, mit denen sie immer Snape explodiert gespielt hatten – und mit diesen Karten war es viel prickelnder als mit Muggelkarten, weil das Ganze ja jederzeit in die Luft fliegen konnte.

»Es ist Weihnachten, Hermine«, sagte Harry träge; er fläzte sich in einem Sessel am Feuer und las jetzt zum zehnten Mal Fliegen mit den Cannons.

Hermine versetzte auch ihm einen strengen Blick.»Ich hätte gedacht, du tust was Nützliches, Harry, wenn du schon deine Gegengifte nicht lernen willst!«

»Was zum Beispiel?«, fragte Harry und sah zu, wie Joey Jenkins von den Cannons einen Klatscher gegen einen Jäger der Flammenden Fledermäuse knallte.»Dieses Ei!«, zischte Hermine.

»Nun ist aber gut, Hermine, ich hab doch noch Zeit bis zum vierundzwanzigsten Februar«, sagte Harry.

Er hatte das goldene Ei oben in seinen Koffer gelegt und es seit der Siegesfete nach der ersten Runde nicht mehr geöffnet. Schließlich mußte er erst in zweieinhalb Monaten wissen, was es mit diesem kreischenden Gejammer auf sich hatte.

»Aber vielleicht brauchst du Wochen, um es rauszufinden!«, sagte Hermine.»Dann stehst du wirklich da wie ein Idiot, wenn alle anderen die nächste Aufgabe schon kennen und du nicht!«

»Laß ihn in Ruhe, Hermine, er hat sich eine kleine Pause verdient«, sagte Ron. Er stellte die letzten zwei Karten auf die Spitze seines Turms und das ganze Kartenhaus explodierte und versengte ihm die Augenbrauen.

»Siehst ja hübsch aus, Ron… paßt sicher gut zu deinem Festumhang.«

Es waren Fred und George. Sie setzten sich an den Tisch zu Harry, Ron und Hermine, während Ron mit den Fingern den Brandschaden in seinem Gesicht betastete.

»Ron, können wir uns Pigwidgeon ausleihen?«, fragte George.

»Nein, er ist mit einem Brief unterwegs«, sagte Ron.»Warum?«

»Weil George ihn zum Ball einladen will«, sagte Fred trocken.

»Weil wir einen Brief verschicken wollen, du Riesenrindvieh«, setzte George hinzu.

»An wen schreibt ihr da eigentlich die ganze Zeit?«, fragte Ron.

»Steck deine Nase nicht in unsere Angelegenheiten, oder ich verbrenn sie dir auch noch«, sagte Fred und fuchtelte bedrohlich mit dem Zauberstab.»Wie steht's… habt ihr schon eure Mädchen für den Ball?«

»Nee«, sagte Ron.

»Tja, ihr solltet euch besser beeilen, sonst sind die besten weg«, sagte Fred.

»Und mit wem gehst du?«, fragte Ron.

»Angelina«, sagte Fred wie aus der Pistole geschossen und ohne eine Spur Verlegenheit.

»Wie bitte?«, sagte Ron verdutzt.»Hast du sie schon gefragt?«

»Gut, daß du's sagst«, meinte Fred. Er wandte den Kopf und rief durch den Gemeinschaftsraum:»Hey! Angelina!«

Angelina, die sich am Kamin mit Alicia Spinnet unterhalten hatte, sah zu ihm herüber.

»Was gibt's?«, rief sie.

»Willst du mit mir zum Ball gehen?«

Angelina musterte Fred einen Augenblick lang abschätzend.

»Na gut«, sagte sie und wandte sich dann verhalten grinsend wieder Alicia und ihrer Unterhaltung zu.

»Na bitte«, sagte Fred zu Harry und Ron,»nichts leichter als das.«

Er stand auf und gähnte:»Dann nehmen wir eben 'ne Schuleule. George, komm mit…«

Sie gingen hinaus. Ron ließ jetzt seine Augenbrauen in Ruhe und sah über die schwelende Ruine seines Kartenhauses hinweg Harry an.

»Wir sollten tatsächlich was unternehmen… einfach jemanden fragen. Er hat Recht. Wir wollen ja schließlich nicht mit einem Paar Trollinnen aufkreuzen.«

Hermine prustete entrüstet los.»Einem Paar… was bitte?«

»Na ja – du weißt schon«, sagte Ron achselzuckend.»Ich würd lieber allein gehen als zum Beispiel mit – Eloise Midgeon.«

»Mit ihren Pickeln ist es in letzter Zeit viel besser geworden – und sie ist wirklich nett!«

»Ihre Nase ist verrutscht«, sagte Ron.

»Oh, verstehe«, köchelte Hermine.»Kurz und gut, du nimmst das bestaussehende Mädchen, das mit dir gehen will, selbst wenn sie ganz unausstehlich ist?«‹

»Ähm – ja, so ungefähr«, sagte Ron.

»Ich geh schlafen«, fauchte Hermine und rauschte ohne ein weiteres Wort zur Mädchentreppe davon.

* * *

Die Lehrerschaft von Hogwarts, ganz offensichtlich von dem Wunsch beseelt, die Gäste aus Beauxbatons und Durmstrang zu beeindrucken, schien entschlossen, die Schule dieses Weihnachten von ihrer besten Seite zu präsentieren. Sie wurde nun festlich geschmückt, und Harry mußte feststellen, daß er das Schloß noch nie in so verblüffendem Gewand gesehen hatte. An den Geländern der Marmortreppe hingen ewige Eiszapfen; die üblichen zwölf Christbäume in der Großen Halle waren mit allem Erdenklichen geschmückt, von leuchtenden Holunderbeeren bis zu echten, schuhuhenden Goldeulen; die Rüstungen waren allesamt verhext und sangen Weihnachtslieder, wenn man an ihnen vorbeiging. Es war schon beeindruckend, einen leeren Helm, der die Hälfte des Textes vergessen hatte,»Ihr Kinderlein kommet«singen zu hören. Filch, der Hausmeister, mußte wiederholt Peeves aus den Rüstungen zerren, wo er sich gerne versteckte und die Lücken in den Liedern mit selbst gebastelten und allesamt sehr unanständigen Reimen füllte.

Harry hatte Cho noch immer nicht gefragt, ob sie mit ihm zum Ball gehen wollte. Er und Ron wurden allmählich nervös, doch Harry meinte, Ron würde ohne Partnerin bei weitem nicht so dumm dastehen wie er; immerhin sollten Harry und die anderen Champions den Ball eröffnen.

»Es gibt ja immer noch die Maulende Myrte«, sagte er trübselig, in Gedanken bei dem Geist, der im Mädchenklo im zweiten Stock spukte.

»Harry – wir müssen die Zähne zusammenbeißen und es einfach tun«, sagte Ron am Freitagmorgen in einem Ton, als ob es darum ginge, eine uneinnehmbare Festung zu stürmen.»Wenn wir uns heute Abend im Gemeinschaftsraum treffen, haben wir beide eine Partnerin – abgemacht?«

»Ähm – einverstanden«, sagte Harry.

Doch jedes Mal, wenn er Cho an diesem Tag sah – in der Pause und dann beim Mittagessen und später wieder auf dem Weg zu Geschichte der Magie -, war sie von einer Traube Freundinnen umgeben. Ging sie denn nie irgendwo allein hin? Sollte er vielleicht warten und dann auf sie losstürmen, wenn sie aufs Klo ging? Aber nein – selbst aufs Klo schien sie mit einem Geleitzug aus vier oder fünf Mädchen zu gehen. Doch wenn er es nicht bald tat, würde ihm sicher ein anderer zuvorkommen.

Er konnte bei Snapes Gegengiftprüfung kaum einen vernünftigen Gedanken fassen, vergaß dann auch die wichtigste Zutat – einen Gallenstein – und bekam prompt eine miserable Note. Doch es war ihm egal; er war ausschließlich damit beschäftigt, seinen Mumm für das zusammenzukratzen, was er gleich vorhatte. Als es läutete, packte er seine Tasche und hastete zur Kerkertür.

»Wir sehen uns beim Abendessen«, rief er Ron und Hermine zu und sprintete die Treppe hoch.

Er mußte Cho doch nur um ein Wort unter vier Augen bitten, das war alles… auf der Suche nach ihr hastete er durch die rappelvollen Gänge und dann (immerhin früher als erwartet) fand er sie, als sie gerade aus Verteidigung gegen die dunklen Künste kam.

»Ähm – Cho? Könnte ich dich kurz sprechen?«

Kichern sollte verboten werden, dachte Harry zornig, als alle Mädchen um Cho herum damit anfingen. Sie allerdings nicht. Sie sagte»gut«und folgte ihm außer Hörweite ihrer Klassenkameradinnen.

Harry wandte sich zu ihr um und sein Magen tat einen merkwürdigen Hüpfer, als ob er beim Treppabgehen eine Stufe verpaßt hätte.

»Ähm«, sagte er.

Er konnte sie nicht fragen. Er konnte es einfach nicht. Doch er mußte. Cho stand da und sah ihn verwirrt an.

Die Worte kamen heraus, bevor Harry seine Zunge richtig um sie geschlungen hatte.

»Willuballmimir?«

»Wie bitte?«, sagte Cho.

»Willst du – willst du mit mir zum Ball gehen?«, sagte Harry.

Warum mußte er jetzt rot werden? Warum?

»Oh!«, sagte Cho und auch sie wurde rot.»Oh, Harry, tut mir wirklich Leid«, und sie sah tatsächlich danach aus.»Ich bin schon mit jemand anderem verabredet.«

»Oh«, sagte Harry.

Es war doch komisch; noch vor einem Augenblick hatten sich seine Eingeweide gewunden wie ein Haufen Schlangen, doch plötzlich schien er überhaupt keine Eingeweide mehr zu haben.

»Oh, schon gut«, sagte er,»kein Problem.«

»Tut mir wirklich Leid«, sagte sie noch mal.

»Schon gut«, sagte Harry.

Sie standen da und sahen sich an, dann sagte Cho:»Nun -«

»Ja«, sagte Harry.

»Gut, bis dann«, sagte Cho, immer noch ziemlich rot, und ging davon.

Dann, bevor er wußte, was er tat, rief Harry ihr nach:

»Mit wem gehst du denn?«

»Oh – mit Cedric«, sagte sie.»Cedric Diggory.«

»Oh, verstehe«, sagte Harry.

Seine Eingeweide waren wieder da. Allerdings fühlten sie sich jetzt an, als wären sie zwischenzeitlich mit Blei gefüllt worden.

Das Abendessen hatte Harry völlig vergessen und langsam stieg er die Treppen zum Gryffidor-Turm hoch. Chos Stimme klang ihm bei jedem Schritt in den Ohren. ›Cedric -Cedric Diggorys In letzter Zeit hatte er eigentlich begonnen, Cedric zu mögen – und war schon bereit gewesen zu vergessen, daß er ihn einmal im Quidditch geschlagen hatte und daß er hübsch war und beliebt und der Lieblingschampion von fast allen. Doch nun war ihm plötzlich klar, daß Cedric ein nichtsnutziger Schönling war, dessen gesammelter Grips nicht mal einen Eierbecher füllte.

»Lichterfee«, sagte er dumpf zu der fetten Dame – das Paßwort war tags zuvor geändert worden.

»Ja, in der Tat, mein Lieber!«, trällerte sie, zupfte ihr neues Lametta-Haarband zurecht und schwang beiseite, um ihn einzulassen.

Harry trat in den Geineinschaftsraum und sah sich um. Zu seiner Überraschung sah er Ron mit aschgrauem Gesicht an einem Tisch weit hinten sitzen. Bei ihm saß Ginny, die offenbar mit leiser, tröstender Stimme auf ihn einredete.

»Was gibt's, Ron?«, sagte Harry und setzte sich dazu.

Ron hob den Kopf und sah Harry mit einem Ausdruck blinden Entsetzens an.»Warum hab ich das nur getan?«, stieß er wütend hervor.»Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist!«

»Was denn?«, sagte Harry.

»Er – ähm – er hat eben Fleur Delacour gefragt, ob sie mit ihm zum Ball gehen will«, sagte Ginny. Sie sah aus, als würde sie ein Lächeln unterdrücken, tätschelte jedoch weiterhin mitfühlend Rons Arm.

»Du hast was?«, sagte Harry.

»Ich weiß nicht, was mich da geritten hat!«, keuchte Ron.»Was war mit mir los? Da waren Leute – überall – ich muß verrückt geworden sein – und alle haben zugesehen! Es war in der Eingangshalle, sie stand da und unterhielt sich mit Diggory, und ich bin nur so an ihr vorbeigegangen – da hat es mich irgendwie gepackt – und ich hab sie gefragt!«

Ron stöhnte und schlug die Hände vors Gesicht. Er sprach weiter, doch seine Worte waren kaum zu verstehen.»Sie hat mich angeschaut, als wär ich eine Meeresschnecke oder so was. Hat nicht geantwortet. Und dann – ich weiß nicht -, dann bin ich wohl wieder zu mir gekommen und bin abgehauen.«

»Sie hat was von einer Veela«, sagte Harry.»Du hattest Recht – ihre Großmutter war eine. Es war nicht dein Fehler, ich wette, du bist in dem Moment an ihr vorbeigegangen, als sie Diggory mit ihrem unheimlichen Charme besprühte, und du hast was davon abbekommen – aber das hat ihr nichts genutzt. Er geht mit Cho Chang.«

Ron sah auf.

»Ich hab sie eben noch gefragt, ob sie mit mir kommen will«, sagte Harry traurig,»und sie hat es mir erzählt.«

Ginny hatte plötzlich aufgehört zu lächeln.

»Das ist doch verrückt«, sagte Ron,»jetzt sind wir die Einzigen, die niemanden haben – na ja, außer Neville. Hey – rat mal, wen er gefragt hat! Hermine!«

»Wie bitte?«Harry war durch diese verblüffende Neuigkeit ganz von den eigenen Sorgen abgelenkt.

»Ja, stimmt!«, sagte Ron und fing an zu lachen, was ihm wieder ein wenig Farbe ins Gesicht trieb.»Er hat es mir nach Zaubertränke gesagt! Sie sei ja immer so nett zu ihm gewesen, hätte ihm bei den Hausaufgaben geholfen und alles – aber sie hätte gesagt, sie sei schon verabredet. Ha! Denkste! Sie wollte nur nicht mit Neville… na ja, ich meine, wer will das schon?«

»Hört auf!«, sagte Ginny gereizt.»Lacht nicht -«

In diesem Augenblick kletterte Hermine durch das Porträtloch.

»Warum wart ihr beide nicht beim Abendessen?«, fragte sie und kam an ihren Tisch.

»Weil – seid still, ihr beiden -, weil sie gerade eben Körbe von zwei Mädchen gekriegt haben!«, antwortete Ginny.

Das ließ Harry und Ron verstummen.

»Wie nett von dir, Ginny«, sagte Ron säuerlich.

»Alle gut Aussehenden sind schon weg, Ron?«, sagte Hermine schnippisch.»Eloise Midgeon sieht allmählich immer hübscher aus, oder? Nun, ich bin sicher, irgendwo findet ihr irgendeine, die euch haben will.«

Doch Ron starrte Hermine an, als würde er sie plötzlich in einem ganz anderen Licht sehen.»Hermine, Neville hat Recht – du bist tatsächlich ein Mädchen…«

»Oh, gut beobachtet«, sagte sie bissig.

»Nun ja – du kannst mit einem von uns gehen!«

»Nein, kann ich nicht«, fauchte Hermine.

»Ach, nun hab dich nicht so«, sagte Ron ungeduldig,»wir brauchen Partnerinnen, wie stehen wir denn da, wenn wir keine haben, alle anderen haben welche…«

»Ich kann nicht mit euch gehen«, sagte Hermine errötend,»weil ich schon jemanden habe.«

»Nein, hast du nicht!«, entgegnete Ron.»Das hast du nur gesagt, um Neville loszuwerden!«

»Aach, wie genau du das weißt!«, sagte Hermine und ihre Augen blitzten gefährlich.»Nur weil ihr drei Jahre gebraucht habt, Ron, heißt das noch lange nicht, daß kein anderer bemerkt hat, daß ich ein Mädchen bin!«

Ron starrte sie an. Dann begann er wieder zu grinsen.»Schon gut, schon gut, wir wissen, daß du ein Mädchen bist«, sagte er.»Ist es jetzt gut? Kommst du nun mit oder nicht?«

»Ich hab's dir doch gesagt!«, fauchte Hermine zornig.»Ich geh mit einem anderen!«

Und sie stürmte in Richtung Mädchenschlafsaal davon. Ron sah ihr nach.»Sie lügt«, sagte er matt.

»Tut sie nicht«, flüsterte Ginny.

»Und wer soll es denn sein?«, fragte Ron scharf.

»Das erzähl ich dir nicht, es ist ihre Angelegenheit«, sagte Ginny.

»Na schön«, sagte Ron, der höchst mißgelaunt aussah,»das wird mir allmählich zu dumm. Ginny, du kannst mit Harry gehen, und ich werd einfach -«

»Das geht nicht«, sagte Ginny und nun lief auch sie scharlachrot an.»Ich gehe mit – mit Neville. Er hat mich gefragt, als Hermine nein gesagt hat, und ich dachte… wißt ihr… ich würde sonst nicht mitkommen können, ich bin doch noch nicht in der vierten Klasse.«Sie sah ganz elend aus.»Ich glaub, ich geh mal runter zum Abendessen«, sagte sie, stand mit hängendem Kopf auf und kletterte durch das Porträtloch.

Ron sah Harry mit hervorquellenden Augen an.

»Was ist bloß in die beiden gefahren?«, fragte er.

Doch Harry hatte gerade Parvati und Lavender durch das Porträtloch hereinkommen sehen. Die Zeit war reif für einen Befreiungsschlag.

»Warte hier«, sagte er zu Ron, stand auf und ging geradewegs auf Parvati zu.

»Parvati? Möchtest du nicht mit mir zum Ball kommen?«

Parvati überkam ein Kicherkrampf. Harry wartete mit in der Tasche gekreuzten Fingern, bis sie sich beruhigt hatte.

»Ja, eigentlich schon«, sagte sie endlich und wurde feuerrot.

»Danke«, sagte Harry erleichtert.»Lavender – möchtest du mit Ron gehen?«

»Sie geht schon mit Seamus«, sagte Parvati und die beiden fingen noch heftiger an zu kichern.

Harry seufzte.

»Wißt ihr vielleicht ein Mädchen, das mit Ron gehen würde?«, sagte er mit gedämpfter Stimme, damit Ron nichts hörte.

»Was ist mit Hermine Granger?«, sagte Parvati.

»Sie hat schon jemanden.«

Parvati schien verblüfft.

»Oooooh – wen?«, fragte sie spitz.

Harry zuckte die Achseln.»Keine Ahnung. Also, was ist mit Ron?«

»Na ja…«, sagte Parvati langsam,»ich glaube, meine Schwester würde vielleicht… Padma, weißt du… in Ravenclaw. Ich frag sie, wenn du möchtest.«

»Ja, das wär klasse«, sagte Harry.»Und sag mir Bescheid, ja?«

Er ging mit dem Gefühl zu Ron zurück, so viel Mühe wäre dieser Ball doch nicht wert. Hoffentlich saß Padma Patils Nase genau in der Mitte.

Der Weihnachtsball

Zwar hatten die Viertkläßler eine Unmenge Hausaufgaben mit in die Ferien bekommen, doch während der ersten freien Tage hatte Harry einfach keine Lust zu arbeiten und ließ es sich in den Vorweihnachtstagen, wie alle anderen auch, möglichst gut gehen. Im Gryffindor-Turm sah man kaum weniger Schüler als während der Unterrichtszeit, und es schien sogar ein wenig enger geworden zu sein, denn die Dagebliebenen machten viel mehr Radau als sonst. Fred und George hatten mit ihren Kanarienkremschnitten einen großen Erfolg gelandet, und während der ersten Ferientage passierte es andauernd, daß einem der Schüler plötzlich ein Federkleid wuchs. Doch es dauerte nicht lange, bis die Gryffindors alles, was ihnen zu essen angeboten wurde, mit äußerster Vorsicht genossen, denn es konnte ja Kanarienkrem drin sein, und George teilte Harry ganz im Vertrauen mit, daß sie mit einer Neuentwicklung beschäftigt waren. Harry nahm sich fest vor, von Fred und George in Zukunft nicht einmal mehr einen Kartoffelchip anzunehmen. Dudley und sein Würgzungen-Toffee hatte er nämlich noch in guter Erinnerung.

Dichter Schnee fiel auf das Schloß und die Ländereien. Die blaßblaue Beauxbatons-Kutsche sah neben dem glasierten Lebkuchenhäuschen, in das sich Hagrids Hütte verwandelt hatte, wie ein großer, in Eiswasser getauchter Kürbis aus, und auch die Bullaugen des Durmstrang-Schiffes waren vereist, die Masten und Leinen kristallweiß gepudert. Die Hauselfen unten in der Küche übertrafen sich selbst mit einer Folge reichhaltiger, wärmender Eintöpfe und pikanter Nachspeisen, und nur Fleur Delacour schien immer etwas zu finden, über das sie sich beschweren konnte.

»Es ist zu schwer, dieses Essen in 'Ogwarts«, hörten sie Fleur eines Abends murren, als sie hinter ihr die Große Halle verließen. (Ron ging geduckt hinter Harry, damit sie ihn ja nicht sehen konnte.)»Isch werde nischt in mein Abendkleid passen!«

»Ooooh, was für eine Tragödie«, feixte Hermine, während Fleur nach draußen ging.»Ganz schön eingebildet, unsere Mademoiselle.«

»Hermine – mit wem gehst du zum Ball?«, fragte Ron.

Fortwährend plagte er sie mit dieser Frage, in der Hoffnung, sie einmal zu überrumpeln und eine Antwort aus ihr rauszuschütteln. Hermine hob jedoch nur die Brauen und meinte:»Ich sag es dir nicht, sonst machst du dich nur über mich lustig.«

»Machst du Witze, Weasley?«, tönte Malfoy hinter ihnen.»Du willst mir doch nicht erzählen, jemand habe das hier zum Ball eingeladen? Doch nicht das Schlammblut mit den langen Hauern?«

Harry und Ron wirbelten herum, doch Hermine blickte über Malfoys Schulter, winkte und rief:»Hallo, Professor Moody!«

Malfoy erbleichte, sprang erschrocken einen Schritt zurück und sah sich hektisch um, doch Moody saß immer noch am Lehrertisch und verspeiste den Rest seines Eintopfs.

»Was für ein verschrecktes kleines Frettchen du doch bist, Malfoy«, höhnte Hermine und schritt laut lachend mit Ron und Harry auf die Marmortreppe zu.

»Hermine«, sagte Ron und sah sie plötzlich stirnrunzelnd von der Seite her an,»deine Zähne…«

»Was ist damit?«, fragte sie.

»Na ja, sie sind anders… fällt mir gerade auf…«

»Natürlich – hast du geglaubt, ich behalte diese Beißer, die mir Malfoy verpaßt hat?«

»Nein, ich meine, sie sehen auch anders aus, als sie waren, bevor er dich mit diesem Fluch belegt hat… sie sind alle… regelmäßig und – nicht mehr zu groß.«

Hermine lächelte auf einmal hinterlistig, und auch Harry fiel es jetzt auf: Es war ein ganz anderes Lächeln, als er es von ihr kannte.

»Das war so… ich bin nach oben gegangen zu Madam Pomfrey, um die Zähne schrumpfen zu lassen, und sie hat mir einen Spiegel vors Gesicht gehalten und gemeint, ich solle Halt sagen, wenn sie wieder so sind wie früher. Und ich hab sie einfach… ein wenig weiterzaubern lassen.«Hermines Lächeln war noch eine Spur breiter geworden.»Mum und Dad wird das gar nicht gefallen. Ich hab ewig lang versucht sie zu überreden, daß ich sie schrumpfen lassen darf, aber sie wollten unbedingt, daß ich meine Klammer weiter trage. Du weißt doch, sie sind Zahnärzte, sie halten einfach nichts davon, wenn Zähne und Zauberei – ach, sieh mal! Pigwidgeon ist wieder da!«

Rons winziger Steinkauz saß mit einer Pergamentrolle am Bein auf dem eiszapfenschweren Treppengeländer und zwitscherte wie verrückt. Im Vorbeigehen deuteten ein paar Schüler auf ihn und lachten und eine Gruppe Drittkläßlerinnen blieb stehen.»Oh, schaut euch mal diese Winzeule an! Ist sie nicht niedlich?«

»Dummes kleines fedriges Biest!«, zischte Ron, nahm ein paar Stufen auf einmal nach oben, packte Pigwidgeon und schloß ihn in die Faust.»Das nächste Mal bringst du den Brief gleich zum Empfänger! Ohne zu trödeln und dich wichtig zu machen!«

Pigwidgeon quetschte den Kopf aus Rons Faust hervor und schuhuhte vergnügt. Die Drittkläßlerinnen machten erschrockene Mienen.

»Verschwindet!«, fauchte Ron sie an und fuchtelte mit der Faust, und Pigwidgeon schuhuhte noch ausgelassener, als er so rasch durch die Luft geschleudert wurde.»Hier – nimm du das, Harry«, fügte Ron gedämpft hinzu, und die Drittkläßlerinnen trotteten mit empörten Blicken davon. Ron zog Sirius' Antwortbrief vorsichtig von Pigwidgeons Bein, Harry steckte ihn in die Tasche, und sie hasteten nach oben in den Gryffindor-Turm, um den Brief zu lesen.

Im Gemeinschaftsraum waren alle immer noch so sehr damit beschäftigt, Feriendampf abzulassen, daß keiner groß darauf achtete, was um ihn her vor sich ging. Die drei setzten sich ein wenig abseits von den anderen an ein fast schon zugeschneites Fenster, und Harry las vor:

Lieber Harry,

meinen Glückwunsch, daß du an diesem Hornschwanz vorbeigekommen bist. Wer auch immer deinen Namen in den Kelch geworfen hat, wird jetzt nicht sonderlich glücklich sein! Ich wollte dir eigentlich einen Bindehautentzündungs-Fluch vorschlagen, da die Augen die schwächste Stelle eines Drachen sind -

»Genau das, was Krum gemacht hat!«, flüsterte Hermine.

– aber deine List war besser, Hut ab.

Jetzt ruh dich aber nicht auf deinen Lorbeeren aus, Harry. Du hast erst eine Aufgabe geschafft; wer immer dich ins Turnier gebracht hat, wird noch genug Gelegenheit haben, dir etwas anzutun. Halt die Augen offen – besonders wenn der, von dem wir gesprochen haben, in der Nähe ist – und achte vor allem darauf, dir keinen Ärger einzuhandeln.

Schreib mir wieder; ich möchte auch weiterhin von allen ungewöhnlichen Vorkommnissen erfahren.

Sirius

»Er hört sich genauso an wie Moody«, sagte Harry leise und steckte den Brief zurück in den Umhang.»›Immer wachsam!‹ Man könnte meinen, ich laufe blind in der Gegend herum und krache ständig gegen Wände…«

»Aber er hat Recht, Harry«, sagte Hermine,»du hast tatsächlich noch zwei Aufgaben vor dir. Du solltest dir dieses Ei wirklich mal genauer ansehen und allmählich herausfinden, was es zu bedeuten hat…«

»Ja, schon gut, schon gut«, brummte Harry. Dann sah er den Ausdruck auf Hermines Gesicht und sagte:»Und wie bitte soll ich mich konzentrieren bei diesem Lärm? Bei dem Radau, den die Meute hier macht, kann ich das Ei ja nicht mal hören.«

»Wenn du meinst«, seufzte sie, ließ sich in ihren Sessel zurücksinken und sah den beiden beim Schachspiel zu, das Ron mit einem tollen Schachmatt beendete, bei dem ein paar todesmutige Bauern und ein sehr brutaler Läufer die Hauptrollen spielten.

* * *

Am Weihnachtsmorgen erwachte Harry ganz plötzlich. Verwundert, was ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, öffnete er die Augen. Ein Wesen starrte ihn mit riesigen, grünen Telleraugen aus der Dunkelheit heraus an, und es war ihm so nahe, daß es fast seine Nasenspitze berührte.

»Dobby!«, rief Harry und krabbelte so hastig weg von dem Elfen, daß er fast aus dem Bett fiel.»Was soll denn das?«

»Dobby bittet um Verzeihung, Sir!«, quiekte Dobby verschüchtert, preßte die langen Finger auf den Mund und trampelte rückwärts über die Decke.»Dobby will Harry Potter nur frohe Weihnachten wünschen und ihm ein Geschenk bringen, Sir!«

»Ist schon gut«, sagte Harry, noch immer ein wenig kurzatmig, während sein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte.»Das nächste Mal – stups mich meinetwegen, aber beug dich bloß nicht so über mein Gesicht wie vorhin…«

Harry zog die Vorhänge des Himmelbetts zurück, nahm die Brille vom Nachttisch und setzte sie auf. Sein Schrei hatte Ron, Seamus, Dean und Neville geweckt. Alle blinzelten mit verquollenen Augen und zerzausten Haaren zwischen ihren Vorhängen hindurch.

»Hat dich jemand angegriffen, Harry?«, fragte Seamus schläfrig.

»Nein, es ist nur Dobby«, murmelte Harry.»Du kannst weiterschlafen.«

»Nöh… Geschenke!«, sagte Seamus, dem jetzt ein Berg von Päckchen am Fußende seines Bettes aufgefallen war. Auch Ron, Dean und Neville fanden, da sie nun schon einmal wach waren, könnten sie sich ja auch gleich ans Geschenkeauspacken machen. Harry wandte sich wieder Dobby zu, der jetzt hibbelig an Harrys Bett stand und immer noch schuldbewußt dreinsah, weil er ihn erschreckt hatte. An der Schlaufe seines Teewärmers baumelte eine Christbaumkugel.

»Darf Dobby Harry Potter sein Geschenk geben?«, quiekte er schüchtern.

»Natürlich«, sagte Harry.»Ähm… ich hab auch was für dich.«

Das war eine Lüge; er hatte überhaupt nichts für Dobby gekauft, dennoch öffnete er rasch seinen Koffer und zog ein besonders schlabberiges verknäultes Paar Socken heraus. Sie waren seine ältesten und widerlichsten, von senfgelber Farbe, und hatten einst Onkel Vernon gehört. Besonders schlabberig waren sie, weil Harry sie nun schon seit einem Jahr über sein Spickoskop zog. Er nahm das Spickoskop heraus, reichte Dobby die Socken und sagte:»Tut mir ja Leid, hab vergessen sie zu verpacken…«

Doch Dobby war maßlos entzückt.

»Socken sind Dobbys liebste, liebste Kleidungsstücke, Sir!«, sagte er, riß sich seine zwei verschiedenfarbigen von den Füßen und zog Onkel Vernons Socken an.

»Ich hab sieben jetzt, Sir… aber Sir…«, sagte er und seine Augen weiteten sich nun, da er die Socken, so weit es ging, hochgezogen hatte, und sie reichten bis zum Saum seiner Shorts,»im Laden haben sie einen Fehler gemacht und Harry Potter zwei gleiche Socken gegeben!«

»O nein, Harry, wie konnte dir das nur passieren!«, sagte Ron und grinste von seinem mit Packpapierknäueln übersäten Bett herüber.»Ich mach dir 'n Vorschlag, Dobby – bitte – nimm diese beiden, dann kannst du sie richtig mischen. Und hier ist dein Pulli.«

Er warf Dobby ein Paar frisch ausgepackte violette Socken zu sowie den selbst gestrickten Pulli, den ihm seine Mutter geschickt hatte.

Dobby war vor Freude vollkommen aus dem Häuschen.»Sir, das ist sehr lieb von Ihnen!«, quiekte er, und wieder standen Tränen in seinen Augen. Er machte eine tiefe Verbeugung vor Ron.»Dobby wußte schon, daß Sir ein großer Zauberer sein muß, denn er ist Harry Potters bester Freund, aber Dobby wußte nicht, daß er auch so großmütig, so edel, so selbstlos…«

»Es sind doch nur Socken«, sagte Ron, der um die Ohren herum leicht rosa angelaufen war, aber gleichwohl ziemlich geschmeichelt aussah.»Irre, Harry -«Er hatte soeben Harrys Geschenk ausgewickelt, einen Hut in den Farben der Chudley Cannons.»Cool!«Er stülpte ihn über den Kopf, wo er sich fürchterlich mit seinem roten Haar biß.

Dobby reichte Harry jetzt ein kleines Päckchen, und heraus kamen – Socken.

»Dobby hat sie selbst gestrickt, Sir!«, sagte der Elf glücklich.»Er hat die Wolle von seinem Lohn gekauft, Sir!«

Die linke Socke hatte ein Besenmuster auf Hellrot, die rechte Socke war grün und hatte kleine Knubbel.

»Die sind… wirklich… ja, vielen Dank, Dobby«, sagte Harry und zog sie an, was wiederum Glückstränen aus Dobbys Augen rollen ließ.

»Dobby muß jetzt gehen, Sir, in der Küche kochen wir schon das Weihnachtsessen!«, sagte Dobby, winkte Ron und den anderen zum Abschied zu und trippelte aus dem Schlafsaal.

Harrys andere Geschenke waren doch etwas brauchbarer als Dobbys ungleiches Sockenpaar – ausgenommen natürlich das der Dursleys, das aus einem einzigen Papiertaschentuch bestand, ein Rekord an Gemeinheit.

Harry vermutete, daß auch sie das Würgzungen-Toffee nicht vergessen hatten. Hermine hatte Harry ein Buch geschenkt, Quidditch-Mannschaften Großbritanniens und Irlands; von Ron bekam er eine prall gefüllte Tüte Stinkbomben, von Sirius ein praktisches Taschenmesser mit vielfältigem Zubehör, um jedes Schloß und jeden Knoten zu öffnen; und Hagrid schenkte ihm eine Riesenschachtel Süßigkeiten mit all seinen Lieblingsleckereien – Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung, Schokofrösche, Bubbels Bester Blaskaugummi und zischende Zauberdrops. Natürlich war wie immer Mrs Weasleys Päckchen mit dem neuesten Pulli angekommen (grün mit aufgesticktem Drachen – Harry vermutete, daß Charlie ihr alles über den Hornschwanz erzählt hatte) und einer Unmenge selbst gemachter Pasteten.

Harry und Ron trafen sich im Gemeinschaftsraum mit Hermine und gingen hinunter zum Frühstück. Danach verbrachten sie fast den ganzen Morgen im Gryffindor-Turm, wo sich alle mit ihren Geschenken amüsierten, dann kehrten sie zu einem herrlichen Mittagessen in die Große Halle zurück, bei dem es mindestens hundert Truthähne und Plumpuddings und bergeweise Kribbels Zauberkräcker gab.

Am Nachmittag gingen sie hinaus aufs Schloßgelände; der Schnee war noch unberührt, nur die Durmstrangs und Beauxbatons hatten auf ihren Wegen zum Schloß tiefe Gräben in der Schneedecke hinterlassen. Hermine schaute bei der Schneeballschlacht, die sich Ron und Harry gegen die beiden anderen Weasleys lieferten, lieber nur zu und verkündete dann gegen fünf, sie wolle jetzt nach oben gehen und sich auf den Ball vorbereiten.

»Wie bitte, du brauchst drei Stunden?«, fragte Ron und sah sie verdutzt an, was er prompt büßen mußte, denn ein großer Schneeball von George traf ihn hart am Ohr.»Mit wem gehst du eigentlich?«, rief er Hermine nach, doch sie winkte nur von der Steintreppe her und verschwand im Schloß.

Heute gab es keinen Weihnachtstee, da zum Ball ein Festmahl gehörte, und um sieben Uhr, als sie ohnehin kaum noch etwas sehen konnten, gaben sie ihre Schneeballschlacht auf und stapften zurück in den Gemeinschaftsraum.

Die fette Dame saß mit ihrer Freundin Violet aus dem Erdgeschoß beisammen, beide schon ziemlich beschwipst, was bei den leeren Schnapspralinen-Schachteln, die über den Boden verstreut lagen, nicht weiter verwunderlich war.

»Fichterleen, so isses!«, kiekste sie auf das Paßwort hin und schwang zur Seite, um sie einzulassen.

Harry, Ron, Seamus und Neville zogen oben im Schlafsaal ihre Festumhänge an und guckten dabei allesamt recht verlegen aus der Wäsche, doch keiner litt solche Qualen wie Ron, der sich im hohen Spiegel in der Ecke entsetzt anstarrte. Es ließ sich einfach nicht leugnen, daß sein Umhang peinliche Ähnlichkeit mit einem Kleid hatte. In einem verzweifelten Versuch, es mehr nach Männermode aussehen zu lassen, machte er sich mit einem Abtrennzauber über Rüschenkragen und Spitzensäume her. Es gelang ihm auch halbwegs, denn zumindest war der Umhang jetzt rüschenfrei, doch auf dem Weg nach unten war dann doch deutlich zu sehen, daß Kragen und Ärmelsäume fürchterlich ausgefranst waren.

»Ich begreif immer noch nicht, wie ihr zwei die beiden bestaussehenden Mädchen der ganzen Klassenstufe abkriegen konntet«, grummelte Dean.

»Tierischer Magnetismus«, sagte Ron mit düsterer Miene und zog wieder mal einen losen Faden aus dem Ärmelsaum.

Der Gemeinschaftsraum bot einen ganz ungewöhnlichen Anblick: es war heute nicht das übliche schwarze Gewusel, sondern er war voller Schüler, die in den verschiedensten Farben gekleidet waren. Parvati erwartete Harry am Fuß der Treppe. Mit ihrem knallroten Umhang, dem mit goldenen Strähnen durchflochtenen langen schwarzen Zopf und den goldenen Armspangen, die an ihren Handgelenken schimmerten, sah sie unbestreitbar hübsch aus. Harry stellte erleichtert fest, daß sie nicht giggelte.

»Du -, ähm – siehst nett aus«, sagte er verlegen.

»Danke«, erwiderte sie.»Padma erwartet dich in der Eingangshalle«, fügte sie zu Ron gewandt hinzu.

»Gut«, sagte Ron und sah sich um.»Wo steckt Hermine?«

Parvati zuckte die Achseln.»Wie steht's, Harry, wollen wir gehen?«

»Einverstanden«, sagte Harry und wäre doch am liebsten im Gemeinschaftsraum geblieben. Fred zwinkerte Harry auf dem Weg zum Porträtloch zu.

Auch in der Eingangshalle wimmelte es von Leuten, die sich gegenseitig auf die Füße traten und warteten, daß es endlich acht Uhr wurde und die Flügeltüren zur Großen Halle aufgingen. Wer mit einem Partner aus einem anderen Haus verabredet war, drängte sich mit verzweifelt suchendem Blick durch die Menge. Parvati fand ihre Schwester Padma und führte sie hinüber zu Harry und Ron.

»Hallo«, sagte Padma, die in ihrem helltürkisen Umhang nicht weniger hübsch aussah als Parvati. Allerdings schien sie nicht übermäßig begeistert, Ron als Partner zu haben. Als sie ihn von Kopf bis Fuß musterte, blieben ihre dunklen Augen an dem ausgefransten Kragen und den Ärmeln seines Festumhangs haften.

»Hallo«, sagte Ron, sah sie jedoch überhaupt nicht an, sondern ließ den Blick hastig durch die Menge schweifen.»O nein…«

Er ging in die Knie, um sich hinter Harrys Rücken zu verstecken, denn in diesem Augenblick schwebte Fleur Delacour vorbei, begleitet vom Quidditch-Kapitän der Ravenclaws, Roger Davies. In ihrem silbergrauen Satinumhang sah Fleur einfach umwerfend aus. Als sie verschwunden waren, richtete sich Ron wieder auf und lugte über die Köpfe der Menge hinweg.

»Wo steckt bloß Hermine?«, fragte er zum wiederholten Mal.

Eine Gruppe Slytherins kam die Treppe von ihrem Gemeinschaftsraum unten in den Kerkern herauf. Malfoy führte sie an; er trug einen Festumhang aus schwarzem Satin mit einem Stehkragen, und Harry fand, daß er aussah wie ein Priester. An Malfoys Arm klammerte sich Pansy Parkinson in einem stark berüschten blaßrosa Umhang. Crabbe und Goyle trugen beide Grün; sie ähnelten moosbewachsenen Geröllblöcken, und wie Harry befriedigt feststellte, war es keinem von beiden gelungen, eine Partnerin zu finden.

Das Eichenportal öffnete sich und alle wandten sich um. Die Schüler aus Durmstrang betraten die Halle, angeführt von Professor Karkaroff. Mit an der Spitze ging Krum, begleitet von einem hübschen Mädchen in blauem Umhang, das Harry nicht kannte. Er spähte über ihre Köpfe hinweg und sah, daß sie draußen direkt vor dem Schloß ein Stück Rasen in eine Art Grotte voller Lichterfeen verwandelt hatten – Hunderte von echten Feen saßen dort in Rosenbüschen oder flatterten über einem steinernen Weihnachtsmann mit Rentier.

Jetzt ertönte Professor McGonagalls kräftige Stimme:»Die Champions hierher, bitte!«

Parvati, die übers ganze Gesicht strahlte, rückte ihre Ketten und Spangen zurecht;»bis gleich«, sagten sie zu Ron und Padma. Die schwatzende Menge teilte sich vor ihnen und sie gingen nach vorn. Professor McGonagall, die einen Festumhang aus rotem Schottentuch trug und einen ziemlich häßlichen Distelkranz auf die Krempe ihres Huts gelegt hatte, wies sie an, rechts von der Tür zu warten, während die anderen schon hineingingen und sich auf ihre Plätze setzten; erst dann sollten sie in einem feierlichen Zug die Große Halle durchqueren. Fleur Delacour und Roger Davies stellten sich gleich neben der Tür auf; Davies schien von seinem Glück, Fleur als Partnerin abbekommen zu haben, so überwältigt, daß er kaum den Blick von ihr wenden konnte. Auch Cedric und Cho standen in Harrys Nähe; er sah anderswohin, damit er nicht mit ihnen sprechen mußte. So fiel sein Blick auf das Mädchen neben Krum. Und der Mund klappte ihm auf.

Es war Hermine.

Aber sie sah überhaupt nicht aus wie Hermine. Offenbar hatte sie etwas mit ihrem Haar angestellt; es war nicht mehr buschig, sondern geschmeidig und glänzend und verschlang sich in ihrem Nacken zu einem eleganten Knoten. Sie trug einen Umhang aus fließendem, immergrün-blauem Stoff, und sie bewegte sich auch irgendwie anders; doch vielleicht nur deshalb, weil die zwei Dutzend Bücher fehlten, die sie auf dem Rücken mit sich zu schleppen pflegte. Außerdem lächelte sie – ziemlich nervös, und nun fiel deutlich auf, daß ihre Vorderzähne geschrumpft waren. Harry begriff nicht, warum er es nicht schon längst bemerkt hatte.

»Hallo, Harry!«, sagte sie.»Hallo, Parvati!«

Parvati starrte Hermine mit unverhohlener Bestürzung an. Und sie war nicht die Einzige; als sich die Türen der Großen Halle öffneten, stakste Krums Fanclub aus der Bibliothek vorbei und warf Hermine Blicke voll abgrundtiefer Verachtung zu. Pansy Parkinson, an Malfoys Arm, lief mit offenem Mund an ihr vorbei, und selbst Malfoy schien um eine Beleidigung verlegen, die er ihr an den Kopf werfen konnte. Ron jedoch lief schnurstracks an Hermine vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Sobald drinnen alle ihre Plätze gefunden hatten, wies Professor McGonagall die Champions an, sich zu zweit mit Partner oder Partnerin zusammenzutun und ihr der Reihe nach zu folgen. Unter allgemeinem Beifall betraten sie die Große Halle und machten sich auf den Weg hinauf zu einem großen runden Tisch auf dem Podium, wo die Richter saßen.

Die Wände der Halle waren mit funkelnden Eiskristallen geschmückt und Hunderte von Girlanden aus Mistelzweigen und Efeu überwucherten die gestirnte schwarze Decke. Die Haustische waren verschwunden; an ihrer Stelle fanden sich gut hundert kleinere Tische mit Lampen, an denen jeweils ein Dutzend Schüler saßen.

Harry achtete vor allem darauf, nicht zu stolpern. Parvati schien sich blendend zu amüsieren; sie sah strahlend in die Menge und bugsierte Harry so energisch herum, daß er sich vorkam wie ein dressiertes Hündchen, das sie Kunststücke aufführen lassen wollte. Als er sich dem runden Tisch näherte, erhaschte er einen kurzen Blick auf Ron und Padma. Rons Augen verengten sich zu Schlitzen, als Hermine an ihm vorbeiging. Padma schien ein wenig zu schmollen.

Vom Podiumstisch aus lächelte Dumbledore den Champions glücklich entgegen. Karkaroffs Miene hingegen ähnelte der von Ron, als er Krum und Hermine näher kommen sah. Ludo Bagman, heute Abend in hellpurpurnem Umhang mit großen gelben Sternen, klatschte nicht weniger begeistert als die Schüler unten; auch Madame Maxime, die ihre übliche Uniform aus schwarzem Satin gegen ein fließendes Gewand aus lavendelfarbener Seide eingetauscht hatte, klatschte ihnen höflich zu. Harry fiel plötzlich auf, daß Mr Crouch nicht da war. Auf dem fünften Platz saß Percy Weasley.

Als die Champions und ihre Partner den Tisch erreichten, zog Percy den leeren Stuhl neben sich vor und sah Harry eindringlich an. Harry folgte dem Wink und setzte sich neben Percy, der einen brandneuen marineblauen Umhang trug und eine ungeheuer blasierte Miene aufgesetzt hatte.

»Ich bin befördert worden«, sagte Percy, bevor Harry überhaupt fragen konnte, und nach seinem Ton zu schließen, hätte er genauso gut zum Herrscher des Universums gewählt worden sein können.»Ich bin jetzt Mr Crouchs persönlicher Assistent und als sein Vertreter hier.«

»Warum kann er nicht selbst kommen?«, fragte Harry. Er freute sich nicht gerade darauf, während des ganzen Abendessens über Kesselböden belehrt zu werden.

»Ich muß leider sagen, daß Mr Crouch sich nicht wohl befindet, überhaupt nicht wohl. Seit der Weltmeisterschaft ist er etwas leidend. Das wundert einen natürlich nicht – Überarbeitung. Er ist nicht mehr der Jüngste – selbstverständlich immer noch brillant, immer noch ein großartiger Kopf. Doch die Weltmeisterschaft war ein Fiasko für das ganze Ministerium, und dann hat das Fehlverhalten seiner Hauselfe, Blinky oder wie sie hieß, Mr Crouch auch noch persönlich schwer getroffen. Natürlich hat er sie sofort danach verstoßen, aber – nun ja, wie gesagt, er kommt schon zurecht, braucht jedoch Hilfe im Haushalt, und ich fürchte, seit sie fort ist, hat er es zu Hause doch deutlich schwerer. Und dann mußten wir auch noch das Turnier organisieren und die Folgen der Weltmeisterschaft bewältigen – diese unverschämte Kimmkorn hat überall rumgeschnüffelt -, nein, der arme Mann hat nun seine wohlverdienten ruhigen Weihnachten. Jedenfalls weiß er, da ist jemand, auf den er sich verlassen kann und der ihn vertritt, und darüber bin ich einfach froh.«

Harry lag die Frage auf der Zunge, ob Mr Crouch schon aufgehört hatte, Percy»Weatherby«zu nennen, doch er widerstand der Versuchung.

Noch war auf den schimmernden Goldtellern kein Essen, doch alle hatten kleine Speisekarten vor sich liegen. Unsicher nahm Harry seine Karte in die Hand und sah sich um – Bedienungen waren nicht in Sicht. Dumbledore jedoch studierte aufmerksam seine Karte, dann sagte er klar und deutlich zu seinem Teller:»Schweinekoteletts!«

Und Schweinekoteletts erschienen. Die anderen am Tisch begriffen und bestellten ebenfalls bei ihren Tellern. Harry wandte den Kopf zu Hermine, um zu sehen, wie sie sich bei dieser neuen und komplizierten Weise, zu Abend zu essen, fühlen mochte – gewiß bedeutete dies viel zusätzliche Plackerei für die Hauselfen? -, doch endlich einmal schien Hermine nicht an B.ELFE.R zu denken. Sie war in ein Gespräch mit Viktor Krum vertieft und nahm offenbar kaum wahr, was sie überhaupt aß.

Mit einem Mal fiel Harry auf, daß er Krum bisher noch gar nicht wirklich hatte reden hören, doch jetzt sprach er ausgiebig, und dazu noch sehr begeistert.

»Wir habe auch eine Schloß, nicht so groß wie diese hier und auch nicht so bequem, möchte ich meine«, erklärte er Hermine.»Wir habe nur vier Stockwerke und die Feuer brenne nur für magische Zwecke. Aber wir habe viele größere Land als ihr, aber in Winter wir habe wenig Licht und wir habe nichts davon. Doch in Sommer fliege wir jede Tag, über die Seen und die Berge -«

»Nun aber, Viktor!«, sagte Karkaroff mit einem Lachen und einem kalten Blick.»Bloß nicht alles verraten, sonst wird unsere reizende Freundin gleich ganz genau wissen, wo wir zu finden sind!«

Dumbledore lächelte und seine Augen funkelten.»Igor, all die Geheimniskrämerei… man könnte fast meinen, Sie wollten gar keinen Besuch haben.«

»Wissen Sie, Dumbledore«, sagte Karkaroff und zeigte seine gelben Zähne in ihrer ganzen Pracht,»wir schützen doch alle unser eigenes Reich, nicht wahr? Bewachen wir nicht eifersüchtig die Tempel der Gelehrsamkeit, die uns anvertraut sind? Sind wir nicht zu Recht stolz darauf, daß nur wir alleine die Geheimnisse unserer Schulen kennen und sie auch schützen?«

»Oh, nie im Traum würde ich mir einbilden, alle Geheimnisse von Hogwarts zu kennen, Igor«, sagte Dumbledore freundlich.»Erst heute Morgen zum Beispiel habe ich auf dem Weg ins Bad die falsche Tür geöffnet und fand mich plötzlich in einem herrlich gestalteten Raum, den ich noch nie zuvor gesehen hatte und der eine ganz erstaunliche Sammlung von Nachttöpfen enthielt. Als ich dann später zurückkam, um mir die Sache näher anzusehen, war der Raum verschwunden. Aber ich muß die Augen nach ihm offen halten. Vielleicht ist er nur um halb sechs Uhr morgens zugänglich. Oder er erscheint nur bei Viertelmond – oder wenn der Suchende eine außergewöhnlich volle Blase hat.«

Harry prustete in seinen Gulaschteller. Percy runzelte die Stirn, doch Harry hätte schwören können, daß Dumbledore ihm ganz kurz zugezwinkert hatte.

Unterdessen äußerte sich Fleur Delacour gegenüber Roger Davies ausgesprochen abfällig über das weihnachtlich geschmückte Hogwarts.

»Das ist nischts«, sagte sie geringschätzig und ließ den Blick über die funkelnden Wände der Großen Halle schweifen.»Im Palast von Beauxbatons 'aben wir an Weihnachten Eisskulpturen überall im Speisesaal. Sie schmelsen natürlisch nischt… sie sind wie riesige Statuen aus Diamant und glitsern dursch den ganzen Saal. Und das Essen ist einfach süperb. Und wir 'aben Chöre aus Waldnymphen, die uns beim Essen mit ihren Gesängen begleiten. Wir 'aben keine solsche 'ässlischen Rüstungen in den 'allen, und wenn ein Poltergeist je in Beauxbatons eindringen würde, dann würden wir ihn – sakk – einfach rauswerfen.«Sie klatschte unwirsch mit der Hand auf den Tisch.

Roger Davies hing mit glasigem Blick an ihren Lippen und verfehlte mit der Gabel andauernd seinen Mund. Harry hatte den Eindruck, daß Davies zu sehr damit beschäftigt war, sie anzustarren, als daß er auch nur ein Wort von ihr verstanden hätte.

»Vollkommen richtig«, sagte er eilig und schlug nun selbst mit der Hand auf den Tisch.»Zack und weg. Genau.«

Harry ließ den Blick durch die Halle wandern. Hagrid saß an einem der anderen Lehrertische; er hatte wieder einmal seinen fürchterlichen Braunhaar-Anzug an und spähte hinauf zum Podiumstisch. Harry bemerkte, wie er jemandem kurz zuwinkte, folgte seinem Blick und sah Madame Maxime, deren Opale im Kerzenlicht glitzerten, zurückwinken.

Hermine war gerade dabei, Kram zu belehren, wie ihr Name richtig ausgesprochen wurde; andauernd nannte er sie»Erminne«.

»Her – mie – ne«, sagte sie langsam und deutlich.

»Her – minne.«

»Wird schon«, sagte sie, fing Harrys Blick auf und grinste.

Als sie aufgegessen hatten, erhob sich Dumbledore und bat die Schüler ebenfalls aufzustehen. Dann, mit einem Schlenker seines Zauberstabs, bewegten sich die Tische fort und reihten sich an den Wänden auf, so daß in der Mitte viel Platz war. Dann beschwor er an der rechten Wand eine Bühne herauf. Er stattete sie mit einem Schlagzeug, mehreren Gitarren, einer Laute, einem Cello und einigen Dudelsäcken aus.

Unter wild begeistertem Klatschen stürmten die Schwestern des Schicksals die Bühne; alle hatten sie besonders wilde Mähnen und waren in schwarze Umhänge gekleidet, die kunstvoll zerrissen und aufgeschlitzt waren. Sie nahmen ihre Instramente auf, und Harry, der sie so gespannt beobachtet hatte, daß er fast vergessen hatte, was auf ihn zukam, erkannte plötzlich, daß die Lampen auf den Tischen ringsum ausgegangen waren und sich die anderen Champions und ihre Partner erhoben.

»Komm mit!«, zischte Parvati.»Wir sollen doch tanzen!«

Harry verhedderte sich beim Aufstehen in seinem Festumhang. Die Schwestern des Schicksals stimmten eine langsame, traurige Melodie an; Harry, ganz darauf bedacht, ja niemanden anzusehen, schritt auf die hell erleuchtete Tanzfläche (aus den Augenwinkeln sah er, daß Seamus und Dean ihm zuwinkten und kicherten), und schon hatte Parvati ihn an den Händen gefaßt, legte eine um ihre Hüfte und hielt die andere fest in der eigenen.

Könnte schlimmer sein, dachte Harry und drehte sich langsam auf der Stelle (Parvati führte). Er sah stur über die Köpfe des Publikums hinweg, und schon bald waren viele Mitschüler auf die Tanzfläche gekommen, so daß die Champions nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen. Neville und Ginny tanzten ganz in der Nähe -er konnte Ginny immer wieder das Gesicht verziehen sehen, wenn ihr Neville auf die Füße tappte -, während Dumbledore mit Madame Maxime einen Walzer hinlegte. Sie war so viel größer als er, daß die Spitze seines Hutes gerade mal ihr Kinn kitzelte; sie jedoch bewegte sich für eine so große Frau ausgesprochen graziös. Mad-Eye Moody tanzte einen äußerst unbeholfenen Twostep mit Professor Sinistra, die immer wieder nervös seinem Holzbein auswich.

»Hübsche Socken, Potter«, knurrte Moody im Vorbeitanzen und starrte mit dem magischen Auge durch Harrys Umhang hindurch.

»Oh – ja, Dobby, der Hauself, hat sie für mich gestrickt«, erwiderte Harry grinsend.

»Er ist ja so gruslig!«, flüsterte Parvati, als Moody davon-geklonkt war.»So ein Auge gehört verboten!«

Der Dudelsack gab einen letzten zittrigen Ton von sich und Harry hörte es mit Erleichterung. Die Schwestern des Schicksals beendeten ihr Stück, Beifall brauste auf und Harry ließ Parvati sofort los.»Wollen wir uns nicht setzen?«

»Och, aber – das hier ist wirklich gut!«, sagte Parvati, als die Schwestern mit dem nächsten, viel schnelleren Lied begannen.

»Nein, nicht mein Fall«, log Harry und führte sie von der Tanzfläche – vorbei an Fred und Angelina, die so ausgelassen tanzten, daß die Leute um sie her ängstlich zurückwichen, um sich nicht zu verletzen – und hinüber zum Tisch, wo Ron und Padma saßen.

»Wie läuft's?«, fragte Harry Ron, setzte sich und öffnete eine Flasche Butterbier.

Ron gab keine Antwort. Er starrte finster zu Hermine und Krum hinüber, die ganz in der Nähe tanzten. Padma hatte die Arme verschränkt und die Beine übereinander geschlagen und wippte mit dem Fuß im Takt der Musik. Hin und wieder versetzte sie Ron, der sie völlig ignorierte, einen beleidigten Blick.

Parvati setzte sich neben Harry, kreuzte ebenfalls Arme und Beine und wurde nach wenigen Minuten von einem Jungen aus Beauxbatons zum Tanz aufgefordert.

»Du erlaubst doch, Harry?«, sagte Parvati.

»Wie bitte?«, sagte Harry, der gedankenversunken Cho und Cedric beobachtete.

»Oh, schon gut«, fauchte Parvati und ging mit dem Jungen aus Beauxbatons davon. Am Ende des Stücks kehrte sie nicht zurück.

Dafür kam Hermine zum Tisch und setzte sich auf Parvatis leeren Stuhl. Das Tanzen hatte ihr einen Hauch Rosa ins Gesicht getrieben.

»Hallo«, sagte Harry.

Ron sagte kein Wort.

»Heiß hier drin, nicht wahr?«, sagte Hermine und fächelte sich mit der Hand Luft zu.»Viktor holt uns eben was zu trinken.«

Ron warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

»Viktor?«, sagte er.»Darfst du ihn noch nicht Vicky nennen?«

Hermine sah ihn verdutzt an.

»Was ist los mit dir?«, fragte sie.

»Wenn du das nicht weißt«, fauchte Ron,»dann sag ich's dir auch nicht.«

Hermine starrte erst ihn an, dann Harry, der die Achseln zuckte.»Ron, was -?«

»Er ist aus Durmstrang!«, zischte Ron.»Er kämpft gegen Harry! Gegen Hogwarts! Du – du -«Ron suchte offenbar nach Worten, die stark genug waren für Hermines Verbrechen,»du verbrüderst dich mit dem Feind, das ist es!«

Hermine klappte der Mund auf.

»Du hast sie doch nicht mehr alle!«, erwiderte sie nach kurzer Besinnung.»Mit dem Feind! Jetzt mach aber mal halblang – wer war denn so aufgeregt, als Krum hier ankam? Wer wollte unbedingt ein Autogramm von ihm? Wer hat ein Krum-Püppchen oben im Schlafsaal?«

Ron zog es vor, darauf nicht einzugehen.»Ich nehm an, er hat dich gefragt, ob du mit ihm zum Ball gehen willst, als ihr oben in der Bibliothek alleine wart?«

»Ja, allerdings«, sagte Hermine, und die rosa Flecken auf ihren Wangen glühten nun.»Na und?«

»Und wie ist es passiert – hast wohl versucht, ihn auf Belfer heiß zu machen?«

»Nein, hab ich nicht! Wenn du's wirklich wissen willst – er sagte, er wäre jeden Tag in die Bibliothek gekommen, um mal mit mir zu sprechen, und dann hätte er immer den Mut verloren!«

Hermine hatte sehr schnell gesprochen und wurde jetzt so knallrot wie Parvatis Umhang.

»Ja – schön, das hat er dir erzählt«, sagte Ron gehässig.

»Und was soll das wieder heißen?«

»Ist doch klar, oder? Er ist der Schüler von Karkaroff. Er weiß, mit wem du so oft zusammen bist… er versucht doch nur, näher an Harry heranzukommen – einiges über ihn zu erfahren – oder ihm so nahe zu kommen, daß er ihn verhexen kann -«

Hermine sah aus, als hätte Ron ihr eine Ohrfeige verpaßt. Sie antwortete mit zitternder Stimme.»Nur um das zu klären, er hat mir nicht eine einzige Frage zu Harry gestellt, nicht eine -«

Mit Lichtgeschwindigkeit wechselte Ron die Spur.»Dann hofft er, daß du ihm hilfst, sein Eierrätsel zu lösen! Sicher habt ihr bei diesen traulichen kleinen Bibliothekstreffen die Köpfe zusammengesteckt -«

»Ich würde ihm nie und nimmer helfen, das Eierrätsel zu lösen!«, sagte Hermine empört.»Niemals. Wie kannst du nur so etwas sagen – ich will, daß Harry das Turnier gewinnt. Das weißt du doch, Harry, oder?«

»Komische Art, das zu zeigen«, höhnte Ron.

»Der Sinn dieses ganzen Turniers soll es doch sein, Zauberer aus anderen Ländern kennen zu lernen und Freundschaften zu schließen!«, sagte Hermine schrill.

»Nein, Blödsinn!«, rief Ron.»Es geht allein ums Gewinnen!«

Einige Leute schauten nun zu ihnen rüber.

»Ron«, sagte Harry leise,»mir macht es nichts aus, daß Hermine mit Krum gekommen ist -«

Doch Ron ignorierte auch Harry.

»Warum läufst du Vicky nicht nach, er sucht dich sicher schon«, sagte er.

»Und nenn ihn nicht Vicky!«Hermine sprang auf, stürmte auf die Tanzfläche und verschwand in der Menge.

Ron sah ihr mit einer Mischung aus Zorn und Genugtuung nach.

»Bittest du mich heute Abend eigentlich mal zum Tanz?«, fragte ihn Padma.

»Nein«, sagte Ron und schaute weiter finster in die Menge.

»Schön«, zischte Padma, erhob sich und ging hinüber zu Parvati und dem Jungen aus Beauxbatons, der so schnell einen seiner Freunde auftrieb, daß Harry geschworen hätte, das sei nur mit einem Aufrufezauber möglich gewesen.

»Wo ist Hermine?«, sagte eine Stimme.

Krum war soeben mit zwei Butterbieren in den Händen an ihren Tisch getreten.

»Keine Ahnung«, sagte Ron mit steifer Miene und blickte zu ihm hoch.»Hast sie verloren, was?«

Krum sah schon wieder mürrisch drein.

»Gut, wenn ihr sie seht, sagt ihr, ich hab was zu trinke«, sagte er und schlurfte davon.

»Hast dich mit Viktor Krum angefreundet, Ron?«

Percy war herbeigewuselt, rieb sich die Hände und machte eine ungemein wichtige Miene.»Ganz exzellent! Genau darum geht es nämlich – internationale magische Zusammenarbeit!«

Zu Harrys Ärger nahm Percy prompt Padmas verlassenen Platz ein. Der Tisch auf dem Podium war jetzt leer; Professor Dumbledore tanzte mit Professor Sprout; Ludo Bagman mit Professor McGonagall; Madame Maxime und Hagrid walzten eine breite Schneise durch die Tanzenden, und Karkaroff war spurlos verschwunden. In der nächsten Musikpause gab es wieder allseits Beifall, und Harry sah, wie Ludo Bagman Professor McGonagall die Hand küßte und sich durch die Menge zu seinem Platz zurückschlängelte. In diesem Augenblick sprachen ihn Fred und George an.

»Was glauben die eigentlich, was sie da tun, belästigen auch noch hochrangige Ministeriumsvertreter!«, zischte Percy und beäugte Fred und George argwöhnisch,»so was von respektlos.«

Ludo Bagman wimmelte Fred und George jedoch ziemlich schnell ab, entdeckte Harry, winkte und kam zu ihrem Tisch herüber.

»Ich hoffe, meine Brüder haben Sie nicht belästigt, Mr Bagman?«, sagte Percy beflissen.

»Wie bitte? O nein, überhaupt nicht!«, sagte Bagman.»Nein, sie haben mir nur ein wenig mehr über ihre falschen Zauberstäbe erzählt. Ob ich nicht einen Rat wüßte, wie sie zu vermarkten wären. Ich hab versprochen, sie mit ein paar Geschäftsfreunden von mir in Zonkos Zauberscherzladen bekannt zu machen…«

. Percy schien keineswegs begeistert, und Harry hätte wetten können, daß er es Mrs Weasley verraten würde, sobald er heimkam. Offenbar hatten Fred und George in letzter Zeit recht ehrgeizige Pläne entwickelt, wenn sie jetzt schon vorhatten, ihre Zauberstäbe zu verkaufen.

Bagman öffnete den Mund, um Harry etwas zu fragen, doch Percy unterbrach ihn.»Wie, finden Sie, läuft das Turnier, Mr Bagman? Unsere Abteilung jedenfalls ist recht zufrieden – natürlich war diese kleine Panne mit dem Feuerkelch«- er warf Harry einen Blick zu -»ein wenig bedauerlich, doch bisher scheint doch alles glatt zu laufen, meinen Sie nicht auch?«

»O ja«, sagte Bagman vergnügt,»war alles ein Riesenspaß. Wie geht's dem guten Barty? Ein Jammer, daß er nicht kommen konnte.«

»Oh, ich bin sicher, Mr Crouch wird im Nu wieder auf den Beinen sein«, sagte Percy mit wichtiger Miene,»doch bis dahin bin ich natürlich gern bereit, für ihn einzuspringen. Selbstverständlich geht es nicht darum, sich auf Bällen rumzutreiben«- er lachte überheblich -»o nein, ganz im Gegenteil. Ich muß mich ja um alles kümmern, was während seiner Abwesenheit so anfällt – Sie haben doch gehört, daß man Ali Bashir festgesetzt hat, weil er eine Sendung fliegender Teppiche ins Land schmuggeln wollte? Und dann versuchen wir die Transsilvanier davon zu überzeugen, endlich das Internationale Duellverbotsabkommen zu unterzeichnen. Zu Jahresbeginn hab ich ein Treffen mit ihrem Abteilungsleiter für magische Zusammenarbeit -«

»Laß uns kurz mal frische Luft schnappen«, murmelte Ron Harry zu,»damit wir Percy loswerden…«

Unter dem Vorwand, Getränke holen zu gehen, standen sie auf und drängelten sich an der Tanzfläche entlang hinaus in die Eingangshalle. Das Portal stand offen, und die flatternden Lichterfeen im Rosengarten zwinkerten und funkelten, als sie die Vortreppe hinuntergingen. Unten ging es auf von Büschen eingefaßten Pfaden weiter, die sich in kunstvollen Windungen an großen steinernen Statuen entlang dahinschlängelten. Harry konnte Wasser plätschern hören und es klang wie ein Brunnen. Sie folgten einem der gewundenen, von Rosenbüschen bestandenen Wege, waren allerdings noch nicht weit gekommen, als sie eine unangenehm vertraute Stimme hörten.

»… verstehe nicht, was es da noch zu reden gibt, Igor.«

»Severus, du kannst nicht so tun, als würde das nicht passieren!«Karkaroffs Stimme klang besorgt und gedämpft, als wollte er auf keinen Fall belauscht werden.»Das wird doch schon seit Monaten immer deutlicher, ich mach mir allmählich ernsthaft Sorgen, das muß ich zugeben -«

»Dann flieh«, entgegnete Snape barsch.»Flieh, ich werde eine Ausrede für dich finden. Ich jedoch bleibe in Hogwarts.«

Snape und Karkaroff bogen um eine Hecke. Snape hatte seinen Zauberstab gezückt und zerfledderte mit äußerst miesepetriger Miene die Rosenbüsche am Wegrand in tausend Stücke. Aus den Büschen drangen Schreie und dunkle Schatten stürzten hervor.

»Zehn Punkte Abzug für Hufflepuff, Fawcett!«, raunzte Snape ein Mädchen an, das an ihm vorbeirannte.»Und auch zehn Punkte minus für Ravenclaw, Stebbins!«, als ein Junge ihr nachstürmte.»Und was tut ihr zwei hier?«, fügte er hinzu, als er Harry und Ron ein Stück vor sich auf dem Pfad erkannte.

Karkaroff, fiel Harry auf, schien bei ihrem Anblick beinahe die Fassung zu verlieren. Seine Hand fuhr nervös zum Spitzbart und er zwirbelte ihn um den Finger.

»Wir gehen spazieren«, antwortete Ron knapp.»Nicht verboten, oder?«

»Dann geht gefälligst schnell weiter!«, raunzte Snape und rauschte mit gebauschtem schwarzem Umhang an ihnen vorbei. Karkaroff folgte ihm hastig. Harry und Ron gingen weiter den Pfad entlang.

»Wovor fürchtet sich Karkaroff wohl?«, murmelte Ron.

»Und seit wann duzen sich er und Snape?«, sagte Harry langsam.

Sie waren jetzt bei einem großen steinernen Rentier angelangt, über dem sie die hohen Fontänen eines Springbrunnens funkeln sahen. Auf einer Steinbank waren die schattenhaften Umrisse zweier riesiger Menschen zu erkennen, und offenbar sahen sie im Mondlicht dem Tanz der Fontänen zu.

Dann hörte Harry Hagrid sprechen.

»Ich hab Sie nur einmal ansehn brauchen, da Wut ich's«, sagte er mit seltsam rauher Stimme.

Harry und Ron erstarrten. Das klang irgendwie nicht danach, als sollten sie dazwischenplatzen… Harry blickte sich um und sah Fleur Delacour und Roger Davies ganz in der Nähe, halb verdeckt in einem Rosenbusch. Er tippte Ron auf die Schulter und nickte zu den beiden hinüber, um ihm zu bedeuten, daß sie auf diesem Weg leicht unbemerkt entkommen konnten (denn Fleur und Davies kamen Harry sehr beschäftigt vor). Doch Rons Augen weiteten sich vor Schreck beim Anblick von Fleur, er schüttelte heftig den Kopf und zog Harry tief in die Schatten hinter dem Rentier.

»Was 'aben Sie gewußt, 'Agrid?«, sagte Madame Maxime mit einem deutlichen Schnurren in ihrer leisen Stimme.

Hier wollte Harry ganz bestimmt nicht zuhören; er wußte, Hagrid wäre es peinlich, in dieser Situation belauscht zu werden (ihm selbst würde es sicher so gehen) – und wenn es möglich gewesen wäre, hätte Harry sich Finger in die Ohren gesteckt und laut gesummt, doch das ging nun wirklich nicht. Stattdessen versuchte er sich für einen Käfer zu begeistern, der über den Rücken des steinernen Rentiers krabbelte, doch er war einfach nicht interessant genug, um Hagrids nächste Worte untergehen zu lassen.

»Ich wußt es gleich… Sie sind wie ich… war's die Mutter oder der Vater?«

»Isch – isch weiß nischt, was Sie meinen, 'Agrid…«

»Bei mir war's die Mutter«, sagte Hagrid leise.»Sie war eine der Letzten in Britannien. Natürlich kann ich mich nich mehr gut an sie erinnern… sie ist fortgegangen. Als ich ungefähr drei war. War nich so der mütterliche Typ. Tja… liegt eben nich in ihrer Natur, nich. Keine Ahnung, was aus ihr geworden ist… vielleicht ist sie gestorben…«

Madame Maxime sagte kein Wort. Harry konnte der Verlockung nicht widerstehen, wandte den Blick von dem Käfer ab und spähte mit gespitzten Ohren über das Geweih des Rentiers zu den beiden hinüber… noch nie hatte er Hagrid über seine Kindheit sprechen gehört.

»Daß sie fortging, hat meinem Dad das Herz gebrochen. Winziger kleiner Kerl, mein Dad. Als ich sechs war, konnte ich ihn hochheben und ihn auf den Küchenschrank setzen, wenn er mich geärgert hat. Dann hat er immer gelacht…«Hagrids tiefe Stimme brach ab. Madame Maxime lauschte ihm reglos, ihr Blick schien auf den silbrigen Fontänen zu ruhen.»Dad hat mich großgezogen… aber dann ist er natürlich gestorben, gerade als ich in die Schule gekommen bin. Danach mußte ich mich mehr schlecht als recht selbst durchschlagen. Dumbledore hat mir wirklich geholfen. War sehr freundlich zu mir, muß ich sagen…«

Hagrid zog ein großes, gepunktetes seidenes Taschentuch hervor und schneuzte sich markerschütternd.»Tja… wie auch immer… das war's von mir. Und wie steht's mit Ihnen? Von wem haben Sie's?«

Doch Madame Maxime war plötzlich aufgestanden.

»Mir ist kalt«, sagte sie. Doch so kalt es hier draußen auch immer war, es war nicht annähernd so eisig wie ihre Stimme.»Isch möschte wieder reinge'en.«

»Was?«, sagte Hagrid verdutzt.»Nein, gehen Sie nicht! Ich -ich hab noch nie eine andere getroffen!«

»Eine andere was denn, genau?«, fragte Madame Maxime kalt.

Harry hätte Hagrid am liebsten gesagt, er solle jetzt bloß den Mund halten. Da stand er im Schatten verborgen, biß die Zähne zusammen und hoffte auf das Unmögliche – doch es hatte keinen Zweck.

»Eine zweite Halbriesin, natürlich«, sagte Hagrid.

»Wie können Sie es wagen!«, kreischte Madame Maxime. Ihre Stimme gellte wie ein Nebelhorn durch die friedliche Nacht; Harry hörte, wie Fleur und Roger hinter ihm aus ihrem Rosenbusch stürzten.»Man 'at misch nie im Leben dermaßen beleidigt! 'albriese? Moi? Isch 'abe – isch 'abe große Knochen!«

Sie stürmte davon; große, vielfarbene Feenschwärme flatterten auf, als sie sich wütend durch die Büsche schlug. Hagrid saß immer noch auf der Bank und starrte ihr nach. Es war viel zu dunkel, um sein Gesicht sehen zu können. Dann, nach etwa einer Minute, stand er auf und schritt davon, nicht zurück zum Schloß, sondern hinaus auf das dunkle Land und hinüber zu seiner Hütte.

»Komm«, sagte Harry sehr leise zu Ron.»Gehen wir…«

Doch Ron rührte sich nicht.

»Was ist los?«, fragte Harry und sah ihn an.

Ron wandte sich mit todernster Miene Harry zu.

»Hast du das gewußt?«, wisperte er.»Daß Hagrid ein Halbriese ist?«

»Nein«, sagte Harry achselzuckend.»Na und?«

Ron sah ihn an und Harry wußte sofort, daß er wieder einmal seine Unwissenheit über die Zaubererwelt kundgetan hatte. Er war bei den Dursleys aufgewachsen, und daher war vieles, was die Zauberer für selbstverständlich hielten, überraschend neu für Harry. Im Laufe seiner Schulzeit hatte er immer weniger von diesen Schnitzern begangen, nun jedoch spürte er, daß die meisten Zauberer nicht»na und?«sagen würden, wenn sie herausfänden, daß einer ihrer Freunde ein Halbriese war.

»Ich erklär's dir drin«, sagte Ron leise.»Komm mit…«

Fleur und Roger Davies waren verschwunden, vermutlich weiter ins Buschwerk hinein, wo sie ungestört sein konnten. Harry und Ron kehrten in die Große Halle zurück. Parvati und Padma saßen nun an einem Tisch im Hintergrund, umgeben von einer ganzen Traube von Beauxbatons-Jungen, und Hermine tanzte schon wieder mit Krum. Harry und Ron setzten sich an einen Tisch in sicherer Entfernung von der Tanzfläche.

»Also?«, bohrte Harry nach.»Was soll denn schon sein mit den Riesen?«

»Also, sie sind… sie sind…«, Ron rang nach Worten,»nicht besonders nett«, endete er lahm.

»Wen stört das?«, sagte Harry.»Hagrid ist doch völlig in Ordnung!«

»Das weiß ich auch, aber… verdammt noch mal, kein Wunder, daß er den Mund hält«, sagte Ron kopfschüttelnd.»Ich dachte immer, er sei als Kind in einen vermasselten Verschlingungszauber reingestolpert oder etwas in der Art. Hatte keine Lust, darüber zu sprechen…«

»Aber was ist denn schon dabei, wenn seine Mutter eine Riesin ist?«, fragte Harry.

»Na ja… keiner, der ihn kennt, wird sich darum scheren, weil wir wissen, daß er nicht gefährlich ist«, sagte Ron langsam.»Aber… Harry, die Riesen sind nun einmal bösartig. Wie Hagrid selbst gesagt hat, es liegt in ihrer Natur, sie sind wie Trolle… sie mögen einfach töten, das weiß jeder. Aber in Großbritannien gibt es keine mehr.«»Was ist mit ihnen passiert?«

»Sie waren ohnehin am Aussterben und dann haben die Auroren viele von ihnen umgebracht. In anderen Ländern soll es aber noch Riesen geben… sie leben meist versteckt in den Bergen…«

»Ich weiß nicht, wen die Maxime eigentlich täuschen will«, sagte Harry und sah hinüber zu ihr, die allein und mit sehr betrübter Miene am Richtertisch saß.»Wenn Hagrid ein Halbriese ist, dann ist sie es eindeutig auch. Von wegen große Knochen… das Einzige, was größere Knochen hat als sie, ist ein Dinosaurier.«

Harry und Ron verbrachten den restlichen Ballabend damit, in einer Ecke zu sitzen und über Riesen zu fachsimpeln; keiner von beiden hatte Lust zu tanzen. Harry mied möglichst jeden Blick auf Cho und Cedric, und wenn er sie dann doch sah, hätte er am liebsten gegen das Tischbein getreten.

Als die Schwestern des Schicksals um Mitternacht zu spielen aufhörten, bekamen sie von allen noch eine letzte Runde Applaus, dann tröpfelten die Gäste allmählich hinaus in die Eingangshalle. Viele sagten, am liebsten hätten sie weitergefeiert, doch Harry war es nur recht, daß er endlich zu Bett gehen konnte; was ihn anging, war der Abend nicht besonders lustig gewesen.

Draußen in der Eingangshalle sahen Harry und Ron, wie Hermine Krum, der auf dem Weg zurück zum Durmstrang-Schiff war, gute Nacht wünschte. Sie versetzte Ron einen sehr kühlen Blick und rauschte ohne ein Wort an ihm vorbei und die Marmortreppe hoch. Harry und Ron folgten ihr, doch auf halber Treppe hörte Harry, wie ihn jemand rief.

»Hey – Harry!«

Es war Cedric Diggory. Harry sah, daß Cho unten in der Halle auf ihn wartete.

»Ja?«, sagte Harry kurz, und Cedric kam zu ihm hochgestürmt.

Er sah ganz so aus, als wollte er vor Ron lieber nicht den Mund aufmachen. Ron zuckte die Achseln, schaute genervt und ging weiter die Treppe hinauf.

»Hör mal…«, sagte Cedric mit gedämpfter Stimme, als Ron verschwunden war.»Ich schulde dir 'nen Gefallen für diese Drachengeschichte. Was ist mit deinem goldenen Ei? Jammert es auch, wenn du es aufmachst?«

»Ja«, sagte Harry.

»Nun… nimm ein Bad, verstanden?«

»Was?«

»Nimm ein Bad und – ähm – nimm das Ei mit und – hmh – denk im heißen Wasser einfach mal drüber nach. Das wird dir helfen… glaub mir.«

Harry starrte ihn an.

»Und noch was«, sagte Cedric.»Nimm das Badezimmer der Vertrauensschüler. Im fünften Stock, vierte Tür links von dieser Statue von Boris dem Bekloppten. Das Paßwort ist Pinienfrisch. Muß mich jetzt sputen – will ihr noch gute Nacht sagen -«

Er grinste Harry zu und stürzte hastig zum Fuß der Treppe hinunter, wo Cho auf ihn wartete.

Harry stieg allein hoch in den Gryffindor-Turm. Das war ein äußerst merkwürdiger Ratschlag. Warum sollte ihm ein Bad helfen, herauszufinden, was es mit diesem kreischenden Ei auf sich hatte? Wollte Cedric ihn verulken? Versuchte er, Harry wie einen Dummkopf dastehen zu lassen, um bei Cho noch besser abzuschneiden?

Die fette Dame und ihre Freundin Vi dösten in ihrem Bild über dem Porträtloch. Harry mußte»Lichterfeen!«schreien, damit sie endlich aufwachten, und dann waren sie auch noch höchst verärgert. Er kletterte in den Gemeinschaftsraum und geriet mitten in einen heißen Streit zwischen Ron und Hermine. Sie standen drei Meter voneinander entfernt und brüllten sich mit scharlachroten Gesichtern an.

»Na schön, wenn du es nicht leiden kannst, dann weißt du ja, was du zu tun hast, oder?«, schrie Hermine; ihr Haar löste sich allmählich aus dem eleganten Knoten und ihr Gesicht war wutverzerrt.

»Ach ja?«, schrie Ron zurück.»Was denn bitte?«»Wenn das nächste Mal ein Ball ist, dann frag mich doch gleich, und nicht als letzte Rettung!«

Ron mummelte stumme Worte wie ein Goldfisch und Hermine wandte sich auf dem Absatz um und stürmte die Treppe hoch in ihren Schlafsaal.

Ron schien wie vom Blitz getroffen.»Pff«, prustete er,»tss – das zeigt doch, daß sie überhaupt nicht begriffen hat, worum es ging -«

Harry sagte nichts dazu. Es gefiel ihm einfach zu gut, wieder mit Ron reden zu können, als daß er ihm seine Meinung hätte sagen können – doch er konnte den Gedanken nicht abschütteln, daß Hermine viel besser als Ron begriffen hatte, worum es ging.

Rita Kimmkorns Riesenknüller

Am zweiten Weihnachtstag standen alle spät auf. Im Gemeinschaftsraum der Gryffindors war es so ruhig wie schon lange nicht mehr und viel Gegähne durchzog die lahmen Unterhaltungen. Hermine hatte nun wieder buschiges Haar; Harry gestand sie, daß sie vor dem Ball Riesenmengen Seidenglatts Haargel genommen hatte,»aber für jeden Tag wär mir das entschieden zu viel Aufwand«, sagte sie nüchtern und kraulte Krummbein hinter den Ohren.

Ron und Hermine schienen stillschweigend übereingekommen zu sein, ihren Streit zu begraben. Sie gingen betont freundlich miteinander um, allerdings merkwürdig steif. Ron und Harry warteten nicht lange, bis sie Hermine von dem Gespräch zwischen Madame Maxime und Hagrid erzählten, das sie belauscht hatten. Doch Hermine schien die Neuigkeit, daß Hagrid ein Halbriese war, nicht annähernd so schockierend zu finden wie Ron.

»Nun ja, ich hab's mir schon gedacht«, sagte sie achselzuckend.»Ich wußte, daß er kein ausgewachsener Riese sein kann, denn die sind ja um die sieben Meter groß. Aber ehrlich gesagt, was soll diese ganze Aufregung um die Riesen. Sie können doch nicht alle schrecklich sein… gegen die Werwölfe gibt es genau dieselben Vorurteile… die Leute sind einfach viel zu engstirnig!«

Ron sah aus, als ob er ihr am liebsten höhnisch über den Mund gefahren wäre, doch vielleicht wollte er nicht schon wieder Streit anfangen, denn er beschränkte sich darauf, ungläubig den Kopf zu schütteln, als Hermine gerade woanders hinsah.

Es wurde allmählich Zeit, an die Hausaufgaben zu denken, die sie in der ersten Ferienwoche vernachlässigt hatten. Jetzt, da Weihnachten vorbei war, schienen alle ein wenig matt und lahm – alle außer Harry, der (wieder mal) ziemlich nervös wurde.

Das Problem war, daß der vierundzwanzigste Februar mit Weihnachten im Rücken viel näher gekommen zu sein schien, und noch immer hatte er nichts unternommen, um das Rätsel des goldenen Eis zu lösen. So fing er an, das Ei jedes Mal, wenn er in den Schlafsaal ging, aus dem Koffer zu holen, es zu öffnen und ihm aufmerksam zu lauschen, immer in der Hoffnung, es würde ihm endlich ein Licht aufgehen. Er zermarterte sich den Kopf darüber, woran ihn der Lärm erinnerte, aber einmal abgesehen von dreißig Musiksägen hatte er so etwas noch nie gehört. Er schloß das Ei, schüttelte es energisch und öffnete es wieder, um zu hören, ob sich der Ton verändert hatte, doch nein. Er versuchte, gegen das Wehklagen anbrüllend, dem Ei Fragen zu stellen, doch nichts geschah. Er warf das Ei sogar durch den Saal, doch es brachte nichts, und eigentlich hatte er auch nicht daran geglaubt.

Harry hatte den Hinweis von Cedric nicht vergessen, aber da er im Augenblick nicht allzu freundschaftliche Gefühle für Cedric hegte, wollte er möglichst ohne seine Hilfe auskommen. Und wenn Cedric ihm wirklich einen heißen Tipp hätte geben wollen, dann hätte er mehr mit der Sprache rausrücken müssen. Er selbst hatte Cedric genau gesagt, was bei der ersten Aufgabe drankam, aber Cedrics Vorstellung von einem fairen Tausch war wohl, ihm zu sagen, er solle ein Bad nehmen. Nein, solche Krücken brauchte er nicht – und schon gar nicht von jemandem, der mit Cho Händchen haltend durch die Schule spazierte. Und so kam der erste Tag nach den Ferien, Harry ging wie immer beladen mit Büchern, Pergamenten und Federn zum Unterricht, doch das Ei lag ihm so schwer im Magen, als ob er es ständig mit sich herumtragen würde.

Noch immer lag hoher Schnee, und die Fenster des Gewächshauses waren so dicht beschlagen, daß sie in Kräuterkunde nicht einmal nach draußen sehen konnten. Bei so einem Wetter freute sich niemand auf Pflege magischer Geschöpfe, obwohl Ron meinte, die Kröter würden ihnen sicher ganz schön einheizen, denn entweder müßten sie hinter ihnen herjagen, oder sie würden so stark explodieren, daß Hagrids Hütte Feuer fing.

Drüben vor der Hütte sahen sie jedoch nur eine ältere Hexe mit kurz geschorenem grauem Haar und einem energisch spitzen Kinn vor der Tür stehen.

»Nun beeilt euch mal, es hat schon vor fünf Minuten geläutet«, blaffte sie die Klasse an, die durch den Schnee auf sie zustapfte.

»Wer sind Sie?«, fragte Ron und starrte sie an.»Wo ist Hagrid?«

»Mein Name ist Professor Raue-Pritsche«, sagte sie barsch,»ich bin eure Vertretung in Pflege magischer Geschöpfe.«

»Wo ist Hagrid?«, wiederholte Harry laut.

»Er fühlt sich nicht wohl«, sagte Professor Raue-Pritsche knapp.

Leises, unangenehmes Lachen drang an Harrys Ohren. Er wandte sich um; Draco Malfoy und die anderen Slytherins waren hinzugestoßen. Ihnen allen stand die Schadenfreude ins Gesicht geschrieben, und keiner schien überrascht, Professor Raue-Pritsche hier zu sehen.

»Hier lang, bitte«, sagte Professor Raue-Pritsche und ging mit schnellen Schritten an der Koppel entlang, auf der die riesigen Beauxbatons-Pferde zitterten.

Harry, Ron und Hermine folgten ihr und warfen hin und wieder Blicke über die Schulter zu Hagrids Hütte. Alle Vorhänge waren zugezogen. War Hagrid dort drin, krank und allein?

»Was fehlt Hagrid denn?«, fragte Harry und beeilte sich, mit Professor Raue-Pritsche Schritt zu halten.

»Das geht dich nichts an«, sagte sie, als hielte sie ihn für einen naseweisen Bengel.

»Tut es allerdings«, sagte Harry gereizt.»Was ist los mit ihm?«

Professor Raue-Pritsche tat so, als ob sie ihn nicht hören würde. Sie führte sie an der Koppel vorbei, wo sich die Beauxbatons-Pferde jetzt zum Schutz gegen die Kälte aneinander geschmiegt hatten, und auf einen Baum am Waldrand zu. An den Baum gebunden war ein großes, schönes Einhorn. Viele Mädchen»uuuhten«bei diesem Anblick.

»Oooh, ist es nicht wunderschön?«, flüsterte Lavender Brown.»Wie hat sie es gefangen? Das soll ja unglaublich schwer sein!«

Das Einhorn war so gleißend weiß, daß der Schnee um es herum grau schien. Es stampfte nervös mit seinen goldenen Hufen und warf seinen gehörnten Kopf zurück.

»Jungen zurückbleiben!«, bellte Professor Raue-Pritsche, und ihr ausgestreckter Arm traf Harry hart an der Brust.»Sie ziehen die Hand einer Frau vor, diese Einhörner. Mädchen nach vorn, und vorsichtig annähern. Kommt schon, ganz locker bleiben…«

Sie ging mit den Mädchen langsam auf das Einhorn zu, während die Jungen am Koppelzaun stehen blieben und zusahen.

Sobald Professor Raue-Pritsche außer Hörweite war, drehte sich Harry zu Ron um.»Was, meinst du, ist los mit ihm? Hat ihn vielleicht ein Kröter -?«

»Oh, er wurde nicht angegriffen, Potter, wenn du das meinst«, sagte Malfoy leise.»Nein, er schämt sich nur zu sehr, sein großes häßliches Gesicht zu zeigen.«

»Was meinst du damit?«, fragte Harry scharf.

Malfoy steckte die Hand in den Umhang und zog eine zusammengefaltete Zeitungsseite heraus.

»Hier, lies«, sagte er.»Tut mir ja unendlich Leid, daß du es erfahren mußt, Potter…«

Er grinste höhnisch, während Harry ihm das Zeitungsblatt aus der Hand riß, es auffaltete und zusammen mit Ron, Seamus, Dean und Neville, die ihm über die Schulter lugten, durchlas. Es war ein Artikel mit einem Bild von Hagrid, auf dem er äußerst verschlagen aussah.

Dumbledores Riesenfehler

Albus Dumbledore, der exzentrische Direktor von Hogwarts, der Schule für Zauberei und Hexerei, hat sich noch nie gescheut, Stellen mit umstrittenen Personen zu besetzen. Im September dieses Jahres stellte er Alastor»Mad-Eye«Moody ein, den berüchtigten, schockzauberfreudigen Ex-Auroren, und zwar als Lehrer zur Verteidigung gegen die dunklen Künste. Diese Entscheidung hat im Zaubereiministerium einiges Kopfschütteln ausgelöst, da Moody durchaus bekannt dafür ist, daß er gewohnheitsmäßig jeden angreift, der in seinem Umkreis auch nur eine plötzliche Bewegung macht. Mad-Eye Moody jedoch kommt einem ganz vernünftig und freundlich vor, wenn man ihn mit dem Halbmenschen vergleicht, den Dumbledore Pflege magischer Geschöpfe unterrichten läßt.

Rubeus Hagrid, der zugibt, daß er in seinem dritten Schuljahr von Hogwarts geflogen ist, hat seither die Stelle eines Wildhüters an der Schule inne, eine Arbeit, die ihm Dumbledore besorgt hat. Letztes Jahr allerdings hat Hagrid seinen unheilvollen Einfluss auf Dumbledore dazu eingesetzt, sich zusätzlich die Stelle eines Lehrers für die Pflege magischer Geschöpfe unter den Nagel zu reißen, ohne Rücksicht auf viele besser ausgebildete Kandidaten.

Hagrid, ein beängstigend großer und wild aussehender Mann, nutzt seitdem seine neu gewonnene Autorität, um die ihm anvertrauten Schüler mit einer Reihe grauenhafter Kreaturen in Angst und Schrecken zu versetzen. Während Dumbledore beide Augen zudrückte, hat Hagrid in einigen seiner Unterrichtsstunden, die viele als»sehr beängstigend«beschreiben, dafür gesorgt, daß mehrere Schüler schwer verletzt wurden.

»Ich wurde von einem Hippogreif angegriffen und mein Freund Vincent Crabbe ist von einem Flubberwurm ganz schlimm gebissen worden«, berichtet der Viertkläßler Draco Malfoy.»Wir alle hassen Hagrid, aber wir haben zu viel Angst, um etwas zu sagen.«

Hagrid hat freilich nicht die Absicht, seine Einschüchterungskampagne zu beenden. Im Gespräch mit einer Reporterin des Tagespropheten gab er letzten Monat zu, daß er Geschöpfe gezüchtet habe, die er»Knallrümpfige Kröter«nennt, eine höchst gefährliche Kreuzung zwischen Heuschrecke und Feuerkrabbe. Die Züchtung neuer Kreuzungen magischer Geschöpfe steht natürlich unter der strengen Kontrolle der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe. Hagrid jedoch scheint sich über solch kleinliche Beschränkungen erhaben zu fühlen.

»Es hat mir einfach Spaß gemacht«, sagte er, um dann hastig das Thema zu wechseln.

Als ob dies nicht genug wäre, hat der Tagesprophet inzwischen Beweise dafür gefunden, daß Hagrid kein – wie er immer vorgab – reinblütiger Zauberer ist. Er ist in Wahrheit nicht einmal ganz Mensch. Seine Mutter, so können wir jetzt exklusiv berichten, ist keine andere als die Riesin Fridwulfa, deren Aufenthalt gegenwärtig unbekannt ist.

Blutrünstig und gewalttätig wie sie sind, brachten sich die Riesen im Laufe des vergangenen Jahrhunderts durch Kriege untereinander selbst an den Rand des Aussterbens. Die wenigen, die übrig geblieben waren, schlössen sich den Reihen von Du-weißt-schon-wem an und verübten während seiner Schreckensherrschaft einige der bestialischsten Massenmorde an Muggeln. Zwar wurden viele Riesen, die Du-weißt-schon-wem dienten, von Auroren im Kampf gegen die dunklen Kräfte getötet, doch Fridwulfa entkam. Es ist möglich, daß sie Zuflucht in einem der Riesen-Dörfer gefunden hat, die es in Bergregionen anderer Länder noch immer gibt. Nach seinem Gebaren als Lehrer für die Pflege magischer Geschöpfe zu schließen hat Fridwulfas Sohn jedoch offensichtlich ihr gewalttätiges Wesen geerbt.

Eine makabre Seite dieser Geschichte ist nun, daß Hagrid, wie zu hören ist, eine enge Freundschaft zu dem Jungen aufgebaut hat, der den Sturz des Unnennbaren herbeiführte – und damit Hagrids Mutter und die übrig gebliebenen Anhänger des Unnennbaren in den Untergrund getrieben hat. Vielleicht kennt Harry Potter die unangenehme Wahrheit über seinen großen Freund gar nicht – doch Albus Dumbledore hat gewiß die Pflicht, dafür zu sorgen, daß Harry Potter und seine Mitschüler vor den Gefahren, die ihnen beim Umgang mit Halbriesen drohen, gewarnt werden.

Rita Kimmkorn

Als Harry zu Ende gelesen hatte, blickte er zu Ron auf, dessen Mund offen stand.

»Wie hat sie das rausgefunden?«, wisperte er.

Das war es allerdings nicht, was Harry umtrieb.

»Was soll das heißen, ›Wir alle hassen Hagrid‹?«, blaffte er Malfoy an.»Was soll der Mist, von wegen der hier«- und er deutete auf Crabbe -»hätte einen üblen Biß von einem Flubberwurm abbekommen? Die haben doch nicht mal Zähne!«

Crabbe kicherte, offenbar höchst zufrieden mit sich.

»Tja, ich vermute mal, das wird die Lehrerlaufbahn dieses Idioten beenden«, sagte Malfoy mit fiebrigen Augen.»Halbriese… und ich hab doch tatsächlich geglaubt, er hätte als Kind 'ne ganze Flasche Skele-Wachs ausgetrunken… die Mamis und Papis werden das überhaupt nicht gerne hören… Sie werden Angst bekommen, daß er ihre Kleinen frißt, har, har…«

»Du -«

»Hört ihr da drüben eigentlich zu?«

Professor Raue-Pritsches Stimme wehte zu den Jungen herüber. Die Mädchen standen eng um das Einhorn gedrängt und streichelten es. Harry war so zornig, daß die Seite aus dem Tagespropheten in seiner Hand zitterte, als er sich umdrehte und mit leerem Blick hinüber zu dem Einhorn starrte, dessen magische Eigenschaften Professor Raue-Pritsche jetzt mit lauter Stimme aufzählte, damit auch die Jungen etwas mitbekamen.

»Ich kann nur hoffen, daß diese Frau bleibt!«, sagte Parvati Patil nach dem Ende der Stunde, als sie zum Mittagessen ins Schloß zurückgingen.»Genau so hab ich mir Pflege magischer Geschöpfe immer vorgestellt… richtige Tiere wie dieses Einhorn, keine Monster…«

»Und was ist mit Hagrid?«, sagte Harry wütend, als sie die Treppe hochgingen.

»Was soll mit ihm sein?«, sagte Parvati mit harter Stimme.»Er kann doch immer noch den Wildhüter machen, oder?«

Seit dem Ball war Parvati gegenüber Harry ziemlich kühl. Ihm war klar, daß er ihr vielleicht ein wenig mehr Aufmerksamkeit hätte schenken sollen, doch sie schien sich trotz allem gut amüsiert zu haben. Jedenfalls erzählte sie allen, die es hören wollten, daß sie sich für den nächsten Wochenendausflug nach Hogsmeade mit dem Jungen von Beauxbatons verabredet hatte.

»Das war nun wirklich mal eine gute Unterrichtsstunde«, sagte Hermine, als sie die Große Halle betraten.»Ich hätte nicht mal die Hälfte von dem gewußt, was uns Professor Raue-Pritsche über Ein-«

»Schau dir das an!«, knurrte Harry und hielt ihr den Artikel des Tagespropheten unter die Nase.

Hermine ging beim Lesen langsam der Mund auf. Sie reagierte genau wie Ron.»Wie hat diese fürchterliche Kimmkorn das rausbekommen? Du glaubst doch nicht, Hagrid selbst hat es ihr erzählt?«

»Nein«, sagte Harry, ging voraus zum Gryffindor-Tisch und ließ sich zornig auf einen Stuhl fallen.»Er hat es doch nicht mal uns erzählt, oder? Ich schätze, sie war sauer, weil er ihr keine Horrorgeschichten über mich erzählt hat, und hat dann rumgeschnüffelt, um es ihm heimzuzahlen.«

»Vielleicht hat sie gehört, wie er es am Ballabend Madame Maxime erzählt hat«, sagte Hermine leise.

»Dann hätten wir sie draußen im Garten sehen müssen!«, sagte Ron.»Außerdem darf sie sich in der Schule ja gar nicht mehr blicken lassen, Hagrid meinte, Dumbledore hätte ihr Hausverbot erteilt…«

»Vielleicht hat sie einen Tarnurnhang«, sagte Harry und schöpfte sich so wütend Hühnerfrikassee auf den Teller, daß er es nach allen Seiten verspritzte.

»Das sieht ihr ähnlich, sich in Büschen zu verstecken und Leute zu belauschen.«

»Wie du und Ron, willst du sagen«, entgegnete Hermine.

»Wir wollten ihn ja gar nicht belauschen!«, sagte Ron entrüstet.»Wir hatten keine andere Wahl! Der Trottel plaudert über seine Riesenmutter, wo ihn doch jeder hätte hören können!«

»Wir müssen zu ihm und sehen, wie es ihm geht«, sagte Harry.»Heute Abend, nach Wahrsagen. Ihm sagen, daß wir ihn wiederhaben wollen… Du willst ihn doch auch wieder?«, fragte er mit wütendem Blick zu Hermine gewandt.

»Ich – nun ja, ich will nicht so tun, als wär es keine schöne Abwechslung gewesen, mal eine richtige Stunde Pflege magischer Geschöpfe -«Unter Harrys wütendem Blick gab sie jedoch klein bei und setzte rasch hinzu:»- aber natürlich will ich Hagrid wiederhaben!«

Und so gingen die drei nach dem Abendessen noch einmal aus dem Schloß und über den gefrorenen Abhang hinunter zu Hagrids Hütte. Sie klopften und Fang antwortete mit freudigem Gebelle.

»Hagrid, wir sind's!«, rief Harry und trommelte gegen die Tür.

Er gab keine Antwort. Sie hörten Fang an der Tür kratzen und winseln, doch er machte nicht auf. Zehn Minuten lang hämmerten sie gegen die Tür; Ron ging sogar um die Ecke und klopfte an ein Fenster, aber nichts rührte sich.

»Warum will er uns nicht sehen?«, fragte Hermine, als sie schließlich aufgegeben hatten und zurück zum Schloß gingen.»Er denkt doch nicht etwa, es würde uns was ausmachen, daß er ein Halbriese ist?«

Doch es hatte ganz den Anschein, als würde es Hagrid selbst etwas ausmachen. Die ganze Woche war keine Spur von ihm zu sehen. Er erschien nicht zum Essen am Lehrertisch, er ging offenbar auch nicht seinen Pflichten als Wildhüter auf den Ländereien nach, und Pflege magischer Geschöpfe hatten sie auch weiterhin bei Professor Raue-Pritsche. Malfoy feixte bei jeder sich bietenden Gelegenheit.

»Sehnst dich wohl nach deinem Mischlingskumpel?«, wisperte er ständig Harry zu, wenn ein Lehrer in der Nähe war, um vor Harrys Vergeltung sicher zu sein.»Sehnst dich nach dem Elefantenmenschen?«

Mitte Januar war wieder ein Besuch in Hogsmeade angesagt. Hermine war sehr überrascht, daß Harry mitkommen wollte.

»Ich dachte eigentlich, du würdest die Gelegenheit vernünftig nutzen, wo es doch im Gemeinschaftsraum ausnahmsweise mal ruhig ist«, sagte sie.»Du mußt dich endlich um dieses Ei kümmern.«

»Oh, ich – ich glaub, ich weiß schon ziemlich genau, um was es geht«, log Harry.

»Ach wirklich?«, sagte Hermine, offensichtlich beeindruckt.»Nicht schlecht!«

Harrys Eingeweide verkrampften sich schuldbewußt, doch er achtete nicht auf sie. Schließlich hatte er immer noch fünf Wochen, um die Sache mit dem Ei zu klären, und das reichte doch ewig… und wenn er nach Hogsmeade ging, würde er vielleicht zufällig Hagrid treffen und könnte ihn zur Rückkehr bewegen.

Am Sonntag verließ er mit Ron und Hermine das Schloß und sie machten sich auf den Weg durch die naßkalten Wiesen hinüber zum Tor. Als sie am Durnistrang-Schiff vorbeikamen, das immer noch am Seeufer vertäut lag, sahen sie Viktor Krum mit nichts als einer Badehose bekleidet an Deck kommen. Er war sehr hager, doch offenbar viel zäher, als er aussah, denn er stieg auf die Reling des Schiffes, streckte die Arme vor und sprang kopfüber in den See.

»Er muß verrückt sein!«, sagte Harry und sah gebannt zu, wie Krums dunkler Schöpf mitten im See wieder auftauchte.»Das Wasser muß eiskalt sein, wir haben doch Januar!«

»Da, wo er herkommt, ist es viel kälter«, sagte Hermine.»Ich schätze, für ihn fühlt es sich ziemlich warm an.«

»Jaah, aber da ist auch noch der Riesenkrake«, sagte Ron. Er klang nicht besorgt – wenn man genau hinhörte, klang er hoffnungsvoll. Hermine entging dieser Unterton nicht und sie runzelte die Stirn.

»Er ist wirklich nett, weißt du«, sagte sie.»Überhaupt nicht so, wie du denkst, nur weil er aus Durmstrang kommt. Hier gefällt es ihm viel besser, hat er mir gesagt.«

Ron sagte nichts. Seit dem Ball hatte er Viktor Krum nicht mehr erwähnt. Harry hatte jedoch am zweiten Feiertag unter seinem Bett einen kleinen Arm gefunden, der sehr danach aussah, als wäre er von einer kleinen Modellfigur mit bulgarischem Quidditch-Umhang abgerissen worden.

Harry hielt den ganzen Weg die matschige Hauptstraße entlang Ausschau nach einem Zeichen von Hagrid, und als er sich vergewissert hatte, daß Hagrid in keinem der Läden war, schlug er vor, einen kleinen Abstecher in die Drei Besen zu machen.

Der Pub war wie immer gut besucht, doch er brauchte den Blick nur kurz über die Tische schweifen zu lassen, um festzustellen, daß Hagrid nicht da war. Harry wurde schwer ums Herz und er ging mit Ron und Hermine zur Bar und bestellte bei Madam Rosmerta drei Butterbier. Trübselig ging ihm durch den Kopf, daß er vielleicht besser im Schloß geblieben wäre und dem Wehklagen des Eis gelauscht hätte.

»Geht der eigentlich nie ins Büro?«, flüsterte Hermine plötzlich.»Seht mal!«

Sie deutete auf den Spiegel hinter der Bar und im Spiegelbild sah Harry Ludo Bagman mit einer Schar Kobolde in einer dunklen Ecke sitzen. Bagman redete schnell und leise auf die Kobolde ein, die alle die Arme verschränkt hatten und recht bedrohlich aussahen.

Tatsächlich merkwürdig, dachte Harry, daß Bagman hier in den Drei Besen saß, an einem Wochenende ohne Turnier, wo er als Richter nicht benötigt wurde. Er beobachtete Bagman im Spiegel. Wieder wirkte er angespannt, nicht weniger als damals im nächtlichen Wald, bevor das Dunkle Mal erschienen war. Doch in diesem Moment warf Bagman einen Blick zur Bar, erkannte Harry und stand auf.

»Bin gleich wieder da, einen Moment nur!«, hörte ihn Harry barsch zu den Kobolden sagen, dann hastete Bagman durch den Pub auf Harry zu, nun wieder jungenhaft grinsend.

»Harry!«, sagte er.»Wie geht's dir? Hatte gehofft, dich zu treffen! Läuft alles gut?«

»Ja, danke«, sagte Harry.

»Könnte ich dich vielleicht kurz unter vier Augen sprechen, Harry?«, drängte Bagman.»Ihr zwei würdet uns doch kurz mal allein lassen, nicht wahr?«

»Ähm – okay«, sagte Ron, und er und Hermine gingen davon, um einen freien Tisch zu suchen.

Bagman führte Harry ganz ans Ende der Bar, so weit wie möglich weg von Madam Rosmerta.

»Ich dachte, ich könnte dir noch mal zu deiner glänzenden Leistung gegen diesen Hornschwanz gratulieren, Harry«, sagte Bagman.»Wirklich hervorragend.«

»Danke«, sagte Harry, doch er wußte, das konnte nicht alles sein, was Bagman sagen wollte, denn er hätte ihm auch vor Ron und Hermine gratulieren können. Bagman schien es jedoch nicht allzu eilig zu haben, mit der Sprache rauszurücken. Harry bemerkte, wie er im Spiegel zu den Kobolden hinübersah, die ihn und Harry mit ihren dunklen, schrägen Augen beobachteten.

»Ein Alptraum, sag ich dir«, murmelte Bagman Harry zu, als er bemerkt hatte, daß auch Harry die Kobolde beobachtete.»Ihr Englisch ist nicht allzu gut… als ob ich mich wieder mit diesen Bulgaren bei der Weltmeisterschaft rumschlagen müßte… aber die haben wenigstens eine Zeichensprache benutzt, die ein normaler Mensch entziffern kann. Diese Bande da quasselt ständig in Koboldogack… und ich kenne nur ein Wort in Koboldogack. Bladwack. Das bedeutet ›Spitzhacke‹. Sag ich natürlich nicht, sonst meinen die noch, ich würde sie bedrohen.«Er lachte kurz und dröhnend auf.

»Was wollen die?«, fragte Harry, dem auffiel, daß die Kobolde Bagman immer noch scharf im Visier hatten.

»Ähm – nun ja…«, sagte Bagman und schien plötzlich nervös geworden.»Sie… ähm… sie suchen nach Barty Crouch.«

»Und warum ausgerechnet hier?«, sagte Harry.»Er ist doch in Lond9n im Ministerium?«

»Ähm… ehrlich gesagt, ich hab keine Ahnung, wo er steckt«, sagte Bagman.»Er hat gewissermaßen… aufgehört zu arbeiten. Taucht schon seit einigen Wochen nicht mehr auf. Der junge Percy, sein Assistent, behauptet, er sei krank. Offenbar hat er vor kurzem per Eulenpost Anweisungen geschickt. Aber das bleibt doch unter uns, Harry? Rita Kimmkorn schnüffelt nämlich immer noch überall rum, und ich wette, sie bläst Bartys Krankheit zu irgendeiner üblen Geschichte auf. Dann heißt es wahrscheinlich noch, er werde vermißt, wie Bertha Jorkins.«

»Haben Sie etwas von Bertha Jorkins gehört?«, fragte Harry.

»Nein«, sagte Bagman, und wieder schien er angespannt.»Ich hab natürlich ein paar Leute auf die Suche geschickt…«, (Wurde allmählich auch Zeit, dachte Harry),»doch das ist alles sehr merkwürdig. Wir wissen jetzt, daß sie in Albanien angekommen ist, weil sie dort ihren Cousin zweiten Grades getroffen hat. Und dann hat sie das Haus ihres Cousins in Richtung Süden verlassen, um eine Tante zu besuchen… aber unterwegs ist sie offenbar spurlos verschwunden. Verdammt, wenn ich nur wüßte, wo sie steckt… sie scheint jedenfalls nicht der Typ zu sein, der einfach durchbrennt… aber was soll's… was reden wir hier überhaupt von Kobolden und Bertha Jorkins? Ich wollte dich was ganz anderes fragen«- er senkte die Stimme -»wie kommst du mit dem goldenen Ei voran?«

»Ähm… nicht schlecht«, schwindelte Harry.

Bagman schien zu wissen, daß er nicht die Wahrheit sagte.

»Hör zu, Harry«, sagte er (immer noch mit gedämpfter Stimme),»ich komme mir bei dieser ganzen Sache ziemlich schlecht vor… du bist einfach ins Turnier reingerasselt, du hast dich nicht freiwillig gemeldet… und wenn (er sprach jetzt so leise, daß Harry ihm das Ohr zuneigen mußte, um ihn zu verstehen)… wenn ich dir irgendwie helfen kann… ein kleiner Tipp, wo's langgehen könnte… weißt du, irgendwie mag ich dich… und wie du an diesem Drachen vorbeigekommen bist… Also, du brauchst nur ein Wort zu sagen.«

Harry blickte auf und sah in Bagmans rundes, rosiges Gesicht und die geweiteten, babyblauen Augen.

»Wir sollen doch das Rätsel allein lösen, oder?«, sagte er, darauf bedacht, lässig zu klingen und nicht so, als ob er den Chef der Abteilung für Magische Spiele beschuldigen würde, die Regeln zu brechen.

»Ja, schon richtig«, sagte Bagman ungeduldig,»aber – nun stell dich nicht so an, Harry, wir wollen doch alle einen Sieger aus Hogwarts, oder?«

»Haben Sie Cedric auch Hilfe angeboten?«, fragte Harry.

Auf Bagmans glattem Gesicht erschienen sehr feine Runzeln.

»Nein, hab ich nicht«, sagte er.»Ich – nun, wie gesagt, ich mag dich inzwischen ganz gern. Dachte eben, ich könnte dir ein wenig unter die Arme…«

»Nett von Ihnen«, sagte Harry,»aber ich glaube, ich hab dieses Eierrätsel fast gelöst… brauch vielleicht nur noch ein paar Tage.«

Er war sich nicht ganz sicher, warum er Bagmans Hilfe ablehnte, er wußte nur, daß er Bagman eigentlich gar nicht kannte, und wenn er seine Hilfe annehmen würde, hätte er viel eher das Gefühl, er würde mogeln, als wenn er Ron, Hermine oder Sirius um Rat fragte.

Bagman sah fast beleidigt aus, aber er konnte nichts weiter sagen, weil in diesem Augenblick Fred und George auftauchten.

»Hallo, Mr Bagman«, sagte Fred und lächelte breit.»Dürfen wir Sie zu einem Drink einladen?«

»Ähm… nein«, sagte Bagman mit einem letzten, enttäuschten Blick auf Harry,»nein danke, Jungs…«

Fred und George schienen nicht weniger enttäuscht als Mr Bagman, der Harry musterte, als hätte er ihn ganz übel im Stich gelassen.

»Jetzt muß ich mich aber sputen«, sagte er.»War schön, euch zu sehen. Viel Glück, Harry.«

Er eilte hinaus. Die Kobolde rutschten von ihren Stühlen und folgten ihm vor die Tür. Harry ging hinüber zu Ron und Hermine.

»Was wollte er?«, fragte Ron, kaum hatte Harry sich gesetzt.

»Er hat mir Hilfe für das goldene Ei angeboten«, antwortete Harry.

»Das darf er eigentlich nicht!«, sagte Hermine schockiert.»Er ist einer der Richter! Und außerdem hast du es doch schon gelöst, oder?«

»Ähemm… fast«, sagte Harry.

»Ich glaube nicht, daß Dumbledore erfreut wäre, wenn er wüßte, daß Bagman dich zum Mogeln anstiften will!«, sagte Hermine mit einem noch immer zutiefst mißbilligenden Blick.»Ich hoffe, er versucht auch Cedric zu helfen!«

»Tut er nicht. Ich hab ihn gefragt«, sagte Harry.

»Wen kümmert es, ob Diggory Hilfe kriegt?«, meinte Ron. Harry gab ihm stillschweigend Recht.

»Diese Kobolde sahen nicht gerade freundlich aus«, sagte Hermine und nippte an ihrem Butterbier.»Was hatten die hier verloren?«

»Bagman behauptet, sie suchen nach Crouch«, entgegnete Harry.»Er ist immer noch krank. Erscheint nicht zur Arbeit.«

»Vielleicht ist Percy dabei, ihn zu vergiften«, sagte Ron.»Denkt wahrscheinlich, wenn Crouch abnippelt, wird er zum Chef der Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit ernannt.«

Hermine versetzte Ron einen Darüber-macht-man-keine-Witze-Blick und sagte:»Merkwürdig, Kobolde, die nach Mr Crouch suchen… normalerweise haben sie mit der Abteilung zur Führung und Aufsicht Magischer Geschöpfe zu tun.«

»Crouch beherrscht übrigens eine Menge verschiedener Sprachen«, sagte Harry.»Vielleicht brauchen sie einen Übersetzer.«

»Jetzt sorgst du dich auch noch um die süßen kleinen Kobolde, nicht wahr?«, fragte Ron Hermine.»Willst du vielleicht so was wie BLÖK gründen? Befreit die Lümmelhaften Öden Kobolde?«

»Ha, ha, ha«, lachte Hermine trocken.»Kobolde brauchen keinen Schutz. Habt ihr nicht gehört, was uns Professor Binns über die Kobold-Aufstände erzählt hat?«

»Nein«, sagten Harry und Ron wie aus einem Munde.

»Sie sind durchaus fähig, es mit Zauberern aufzunehmen«, sagte Hermine und nippte an ihrem Butterbier.»Sie sind ziemlich klug. Ganz anders als die Hauselfen, die nie für ihre Sache eingetreten sind.«

»O nein«, sagte Ron und blickte zur Tür.

Rita Kimmkorn war gerade eingetreten. Heute trug sie einen bananengelben Umhang; ihre langen Fingernägel waren knallrosa lackiert, und begleitet wurde sie von ihrem dickbauchigen Fotografen. Sie holten Getränke an der Bar, dann drängten sie sich durch die Menge, und zwar, wie Harry, Ron und Hermine mit finsteren Blicken feststellten, zu einem Tisch in ihrer Nähe. Rita Kimmkorn redete sehr schnell und offenbar voller Genugtuung.

»… schien nicht besonders scharf darauf, mit uns zu reden, oder, Bozo? Was glaubst du, warum? Und was tut er eigentlich mit einer Bande Kobolde im Schlepptau? Zeigt ihnen die Sehenswürdigkeiten… was für ein Blödsinn… er war immer schon ein schlechter Lügner. Denkst du, da ist was im Busch? Sollen wir vielleicht ein wenig Staub aufwirbeln? In Ungnade gefallener Ex-Chef der Sportabteilung, Ludo Bagman… packender Satzanfang, Bozo – wir brauchen nur noch 'ne Story, die dazu paßt -«

»Wieder mal dabei, jemandes Leben zu ruinieren?«, fragte Harry laut.

Einige Köpfe wandten sich um. Rita Kimmkorns Augen hinter der juwelenbesetzten Brille weiteten sich, als sie erkannte, wer gesprochen hatte.

»Harry!«, rief sie und setzte ein strahlendes Lächeln auf.»Wie wunderbar! Willst du dich nicht zu uns -?«

»Ich würde nicht mal mit einem Dreimeterbesen in Ihre Nähe kommen«, sagte Harry erhitzt.»Warum haben Sie das Hagrid angetan?«

Rita Kimmkorn hob ihre stark nachgezogenen Brauen.

»Unsere Leser haben das Recht, die Wahrheit zu erfahren, Harry, ich tue nur meine -«

»Wen schert es, daß er ein Halbriese ist?«, rief Harry.»Er ist völlig in Ordnung!«

Der ganze Pub war verstummt. Madam Rosmerta stand hinter der Bar und starrte herüber, ohne zu merken, daß der Krug, den sie mit Met füllte, schon überlief.

Rita Kimmkorns Lächeln flackerte kaum merklich, doch sie festigte es sofort wieder; sie ließ ihre Krokodillederhandtasche aufschnappen, zog ihre Flotte-Schreibe-Feder heraus und sagte:»Wie war's mit einem Interview über Hagrid, wie du ihn kennst, Harry? Der Mann hinter den Muskeln? Eure doch sehr verwunderliche Freundschaft und die Gründe, die dahinter stecken. Würdest du ihn als Vaterersatz bezeichnen?«

Hermine stand abrupt auf und umklammerte das Butterbierglas, als wäre es eine Granate.

»Sie entsetzliche Frau«, sagte sie zähneknirschend,»Ihnen ist alles gleich, nicht wahr, Hauptsache, Sie haben eine Story und jeder kann dafür den Kopf hinhalten, nicht wahr? Selbst Ludo Bagman -«

»Setz dich, du dummes kleines Gör, und red nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst«, sagte Rita Kimmkorn kühl und musterte Hermine mit einem harten Ausdruck in den Augen.»Ich weiß Dinge über Ludo Bagman, die dir die Haare zu Berge stehen ließen… Nicht daß das nötig wäre -«, fügte sie mit einem Blick auf Hermines buschigen Haarschopf hinzu.

»Gehen wir«, sagte Hermine.»Kommt, Harry – Ron…«

Sie gingen zur Tür; viele Gäste starrten ihnen nach, und Harry warf von der Tür her einen Blick zurück. Rita Kimmkorns Flotte-Schreibe-Feder war nicht mehr zu halten; sie flog wie besessen über ein Blatt Pergament auf dem Tisch, vor und zurück, vor und zurück.

»Dich nimmt sie als Nächste aufs Korn, Hermine«, sagte Ron mit leiser, besorgter Stimme, während sie rasch die Straße hinuntergingen.

»Laßt sie nur machen!«, sagte Hermine schrill; sie zitterte vor Wut.»Ich werd's ihr schon zeigen! 'ne dumme Göre bin ich also? Oh, das werd ich ihr heimzahlen, erst Harry, dann Hagrid…«

»Du willst doch nicht etwa Rita Kimmkorn in die Quere schießen«, sagte Ron nervös.»Ich mein es ernst, Hermine, dann wird sie irgendwas über dich ausgraben -«

»Meine Eltern lesen den Tagespropheten nicht, mich bringt sie nicht zum Kuschen!«, sagte Hermine und schritt so energisch aus, daß Harry und Ron Mühe hatten, ihr zu folgen. Das letzte Mal, daß Harry sie so wütend gesehen hatte, hatte sie Draco Malfoy ein paar saftige Ohrfeigen verpaßt.»Und Hagrid kommt jetzt aus seinem Versteck! Er hätte sich von so einer niederträchtigen Kreatur nie und nimmer einschüchtern lassen dürfen! Kommt mit!«

Sie rannte ihnen voran den ganzen Weg zurück, durch das von Ebern flankierte Tor und über das Schloßgelände zu Hagrids Hütte.

Die Vorhänge waren immer noch zugezogen, und als sie näher kamen, hörten sie Fang kläffen.

»Hagrid!«, rief Hermine und pochte gegen die Tür.»Hagrid, jetzt reicht's aber! Wir wissen, daß du dadrin bist! Es kümmert doch keinen, daß deine Mum eine Riesin war, Hagrid! Du kannst doch nicht zulassen, daß diese miese Kimmkorn dir das antut! Hagrid, komm jetzt raus, sei doch nicht so -«

Die Tür ging auf. Hermine sagte:»Wird auch Z-!«, doch jäh brach sie ab, denn nicht Hagrid sah ihr ins Gesicht, sondern Albus Dumbledore.

»Guten Tag«, sagte er freundlich und lächelte auf sie herab.

»Wir – ähem – wir wollten eigentlich Hagrid besuchen«, sagte Hermine nun etwas kleinlaut.

»Ja, so viel hab ich verstanden«, sagte Dumbledore.»Wollt ihr nicht reinkommen?«

»Oh – ähm – gut«, sagte Hermine.

Die drei betraten die Hütte; sofort stürzte sich Fang wie verrückt bellend auf Harry und versuchte ihm die Ohren zu lecken. Harry wimmelte ihn ab und sah sich um.

Hagrid saß an seinem Tisch, auf dem zwei große Becher Tee standen. Er sah ungeheuer elend aus. Sein Gesicht war fleckig, die Augen waren geschwollen, und was sein Haar anging, so hatte er es jetzt ins andere Extrem getrieben; es war nicht im Mindesten gezähmt, sondern sah aus wie eine Perücke aus verknoteter Drahtwolle.

»Hallo, Hagrid«, sagte Harry.

Hagrid sah auf.

»'lo«, sagte er mit sehr heiserer Stimme.

»Noch ein wenig Tee, nehm ich an«, sagte Dumbledore, schloß die Tür hinter den dreien, zückte den Zauberstab und ließ ihn kurz im Kreis wirbeln; mitten in der Luft erschien ein sich drehendes Tablett, mit Teetassen und einem Teller voller Kekse. Dumbledore zauberte das Tablett auf den Tisch und alle setzten sich. Ein kurzes Schweigen trat ein, dann sagte Dumbledore:»Hast du zufällig verstanden, was Miss Granger da gerufen hat, Hagrid?«

Hermines Wangen verfärbten sich, doch Dumbledore lächelte sie an und fuhr fort:»Hermine, Harry und Ron wollen offenbar immer noch etwas mit dir zu tun haben, wenn man bedenkt, daß sie fast die Tür eingeschlagen hätten.«

»Natürlich wollen wir das!«, sagte Harry und sah Hagrid eindringlich an.»Du glaubst doch nicht etwa, daß irgend etwas von dieser Kimmkorn-Kuh – Verzeihung, Professor«, fügte er rasch hinzu und sah Dumbledore an.

»Ich bin vorübergehend taub und hab keine Ahnung, was du gesagt hast, Harry«, sagte Dumbledore, drehte Däumchen und starrte an die Decke.

»Ähm – gut«, sagte Harry verlegen.»Ich wollte nur sagen – Hagrid, wie konntest du nur glauben, wir würden uns darum scheren, was diese – Person – über dich geschrieben hat?«

Zwei dicke Tränen traten aus Hagrids käferschwarzen Augen und kullerten langsam durch seinen wirren Bart.

»Das ist der lebendige Beweis dessen, was ich dir gesagt habe, Hagrid«, sagte Dumbledore und starrte vorsorglich immer noch zur Decke.»Ich hab dir die Briefe von zahllosen Eltern gezeigt, die dich noch aus ihrer eigenen Schulzeit kennen und mir unmißverständlich schreiben, sollte ich dich feuern, dann hätten sie ein Wörtchen mit mir zu reden -«

»Nich alle«, sagte Hagrid heiser.»Nich alle woll'n, daß ich bleib.«

»Ich bitte dich, Hagrid, wenn du von allen geliebt werden willst, dann, fürchte ich, mußt du sehr lange in dieser Hütte hocken bleiben«, sagte Dumbledore und schaute Hagrid nun streng über den Rand seiner Halbmondgläser hinweg an.»Seit ich Direktor bin, ist noch keine Woche vergangen, in der ich nicht mindestens eine Eule bekommen habe mit einer Beschwerde über meine Art, diese Schule zu leiten. Aber was soll ich machen? Mich in meinem Studierzimmer verbarrikadieren und mich weigern, mit irgendjemandem zu reden?«

»Sie – Sie sind ja auch kein Halbriese!«, krächzte Hagrid.

»Hagrid, sieh dir doch mal meine Verwandten an!«, sagte Harry aufgebracht.»Schau dir die Dursleys an!«

»Eine hervorragende Idee«, sagte Professor Dumbledore.»Mein eigener Bruder, Aberforth, wurde wegen Ausübung unpassender Zauberstücke an einer Ziege verklagt. Es stand in allen Zeitungen, aber meinst du, Aberforth hätte sich versteckt? Von wegen! Er hielt die Ohren steif und ging seinen Geschäften nach, als wäre nichts gewesen! Natürlich bin ich mir nicht ganz sicher, ob er lesen kann, daher mag es nicht nur Tapferkeit gewesen sein…«

»Komm zurück und unterrichte wieder, Hagrid«, sagte Hermine leise,»bitte komm zurück, wir vermissen dich sehr.«

Hagrid schluckte schwer. Noch mehr Tränen kullerten ihm aus den Augen, liefen die Wangen hinunter und verschwanden in dem wirren Bart.

Dumbledore erhob sich.

»Ich weigere mich, deine Kündigung anzunehmen, Hagrid, und erwarte dich am Montag wieder zur Arbeit«, sagte er.»Du frühstückst um halb neun mit mir in der Großen Halle. Und keine Widerrede. Schönen Nachmittag euch allen noch.«

Dumbledore verließ die Hütte, nicht ohne vorher noch kurz Fangs Ohren gekrault zu haben. Als die Tür hinter ihm zugegangen war, begann Hagrid in seine mülleimer-deckelgroßen Hände zu schluchzen. Hermine tätschelte ihm den Arm, und endlich hob Hagrid den Kopf, sah sie mit brennend roten Augen an und sagte:»Großartiger Mann, Dumbledore… großartiger Mann…«

»Ja, das ist er«, sagte Ron.»Kann ich einen von diesen Keksen haben, Hagrid?«

»Schlag zu«, sagte Hagrid und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.»Aahr, 'türlich hat er Recht – ihr habt alle Recht… war dumm von mir… mein alter Dad hätt sich geschämt für mich…«Wieder rollten Tränen über seine Wangen, doch jetzt wischte er sie energisch weg und sagte:»Hab euch noch nich mal 'n Bild von meinem alten Dad gezeigt, nich? Hier…«

Hagrid stand auf, ging hinüber zu seiner Kommode, öffnete eine Schublade und zog ein Bild von einem kleinen Zauberer heraus, der Hagrids runzlige schwarze Augen hatte und mit strahlendem Gesicht auf Hagrids Schulter saß. Hagrid war nach dem Apfelbaum neben ihm zu schließen gut zweieinhalb Meter groß, doch sein Gesicht war bartlos jung, rund und glatt – er wirkte kaum älter als elf Jahre.

»Das war, kurz nachdem sie mich in Hogwarts aufgenommen ham«, krächzte Hagrid.»Dad war so was von froh… dachte, ich wär vielleicht kein Zauberer, wißt ihr, weil meine Mum… na, wie auch immer, 'türlich war ich nie der große Magier, stimmt schon… aber wenigstens hat er nich erlebt, wie sie mich rausgeworfen haben. Ist nämlich schon in meinem zweiten Schuljahr gestorben…

Dumbledore war der Einzige, der sich nach dem Tod von meinem Dad für mich eingesetzt hat. Hat mir diese Wildhüterstelle besorgt… vertraut einfach Leuten, ist doch wahr. Gibt ihnen noch 'ne zweite Schangse… ganz anders als die anderen Schulleiter, wißt ihr. Er nimmt jeden auf in Hogwarts, wenn er nur begabt ist. Weiß, daß was Gutes aus den Leuten werden kann, auch wenn ihre Familien… wie sagt man… nicht so respektierlich war'n. Aber manche verstehn das einfach nich, 's gibt welche, die halten dir das immer wieder vor… manche von unserem Schlag tun sogar so, als hätten sie nur große Knochen, statt den Mund aufzumachen und zu sagen – ich bin, was ich bin, und ich schäm mich nich dafür. ›Schäm dich nie‹, hat mein alter Dad immer gesagt, ›'s gibt immer welche, die's dir vorwerfen, aber mit denen brauchst du dich gar nich abzugeben.‹ Und er hat Recht gehabt. Ich war 'n Idiot. Mit der geb ich mich nich mehr ab, das versprech ich euch. Große Knochen… erzählt mir was von wegen große Knochen.«

Harry, Ron und Hermine warfen sich nervöse Blicke zu; Harry wäre eher mit fünfzig Knallrümpfigen Krötern spazieren gegangen als Hagrid zu gestehen, daß er ihn bei seiner Unterhaltung mit Madame Maxime belauscht hatte, doch Hagrid redete weiter, offenbar nicht ahnend, was er ausgeplaudert hatte.

»Weißt du was, Harry?«, sagte er und sah mit leuchtenden Augen vom Foto seines Vaters auf.»Als ich dich kenn gelernt hab, hast du mich ein bißchen an mich selbst erinnert. Mum und Dad nicht mehr da, und du hattest das Gefühl, daß du gar nicht nach Hogwarts paßt, weißt du noch? Warst nicht sicher, ob du es überhaupt schaffst… und nu schau dich mal an, Harry! Schul-Schämpion!«

Sein Blick verweilte einen Moment lang auf Harry, dann sagte er tiefernst:»Weißt du, was ich wirklich gut finden würd, Harry? Ich fand's wirklich gut, wenn du gewinnst, sag ich dir. Dann hättest du's allen gezeigt… du brauchst nicht reinblütig zu sein, um es zu schaffen. Du brauchst dich nicht zu schämen, weil du so bist, wie du bist. Dann würden sie sehen, daß es Dumbledore ist, der Recht hat und alle aufnimmt, wenn sie nur zaubern können. Wie steht's eigentlich mit dem Ei, Harry?«

»Großartig«, sagte Harry.»Wirklich großartig.«

Auf Hagrids verweintem Gesicht brach sich ein breites, feuchtes Lächeln Bahn.»Gut gemacht, Junge… Du zeigst es denen, Harry, du zeigst es denen. Schlägst sie alle.«

Hagrid anzulügen war nicht ganz dasselbe, wie irgendjemanden anzulügen. Später am Nachmittag, als Harry mit Ron und Hermine zum Schloß zurückging, konnte er das Bild von Hagrids bartumwuchertem Gesicht nicht aus seinen Gedanken verbannen, das so glücklich ausgesehen hatte bei der Vorstellung, Harry würde das Turnier gewinnen. Das rätselhafte Ei lastete an diesem Abend schwer auf Harrys Gewissen, und als er im Bett lag, hatte er seinen Entschluß schon gefaßt – es war an der Zeit, seinen Stolz zu vergessen und herauszufinden, ob Cedrics rätselhafter Hinweis irgend etwas taugte.

Das Ei und das Auge

Da Harry keine Ahnung hatte, wie lange er baden mußte, um das Geheimnis des goldenen Eis zu lüften, beschloß er, nachts zu gehen, wenn er sich so viel Zeit nehmen konnte, wie er brauchte. Es widerstrebte ihm zwar, einem weiteren Ratschlag von Cedric zu folgen, doch er entschied sich, das Bad der Vertrauensschüler zu benutzen. Nur wenige durften dort rein und so würde er eher ungestört bleiben.

Harry plante seine Unternehmung mit Sorgfalt, denn schon einmal hatte ihn Filch, der Hausmeister, mitten in der Nacht aufgegriffen, als er sich verbotenerweise im Schloß herumgetrieben hatte, und er hatte nicht das Bedürfnis, dies noch einmal zu erleben. Natürlich würde der Tarnurnhang entscheidend sein, und als zusätzliche Vorkehrung wollte er die Karte des Rumtreibers mitnehmen, die neben dem Umhang das nützlichste Werkzeug fürs Regelbrechen war, das Harry besaß. Die Karte zeigte ganz Hogwarts, auch die vielen Abkürzungen und Geheimgänge, und vor allem zeigte sie die Leute im Schloß als winzige, beschriftete Punkte, die sich durch die Gänge bewegten, so daß Harry gewarnt sein würde, wenn sich jemand dem Badezimmer näherte.

Am Dienstagabend stahl sich Harry hoch in den Schlafsaal, warf sich den Tarnurnhang über, schlich mach unten und wartete, wie in jener Nacht, als Hagrid ihn zu den Drachen geführt hatte, bis sich das Porträtloch öffnete. Diesmal war es Ron, mit dem er sich abgesprochen hatte; er stand auf der anderen Seite des Porträtlochs, sagte der fetten Dame das Paßwort (»Bananeneis«), stieg in den Gemeinschaftsraum, murmelte Harry»viel Glück«zu, und Harry schlüpfte hinaus.

Heute Abend fiel es ihm schwer, sich mit dem Tarnurnhang zu bewegen, denn er trug das schwere Ei unter dem einen Arm und hielt sich mit dem anderen die Karte vor die Augen. Die mondbeschienenen Gänge waren jedoch ausgestorben und still, und indem Harry gelegentlich anhielt und die Karte vorsorglich prüfte, gelang es ihm, unliebsame Begegnungen zu vermeiden. Als er die Statue von Boris dem Bekloppten erreichte, einem ratlos in die Gegend schauenden Zauberer mit Handschuhen, bei denen er links und rechts verwechselt hatte, sah er die richtige Tür, neigte sich zu ihr und murmelte das Paßwort»Pinienfrisch«, wie Cedric ihm gesagt hatte.

Knarrend öffnete sich die Tür. Harry glitt hinein, schob den Riegel vor, zog den Tarnurnhang vom Kopf und sah sich um.

Sein erster Eindruck war, daß es sich durchaus lohnen würde, Vertrauensschüler zu werden, nur um dieses Badezimmer benutzen zu dürfen. Ein stattlicher kerzenbestückter Kronleuchter tauchte das Bad in sein warmes Licht. Es war ganz aus Marmor, auch das in der Mitte des Raums eingelassene rechteckige Becken, das eher wie ein leerer Swimmingpool aussah. Rund hundert goldene Wasserhähne ragten aus den Seitenwänden des Beckens und in jedem Drehknopf war ein andersfarbener Juwel eingelassen. Auch ein Sprungbrett gab es hier. An den Fenstern hingen lange, weiße Leinenvorhänge; in einer Ecke fand sich ein großer Stapel flaumig weicher weißer Badetücher, und an der Wand hing ein einzelnes, goldgerahmtes Gemälde. Darauf war eine blonde Meerjungfrau zu sehen, die tief schlafend auf einem Felsen lag und deren langes Haar bei jedem Schnarcher über ihr Gesicht flatterte.

Harry legte seinen Umhang, das Ei und die Karte auf den Boden und ging, sich umsehend, auf das Becken zu, wobei seine Schritte von den Wänden widerhallten. Gewiß, dieses Bad war herrlich – und er hatte große Lust, ein paar von diesen Wasserhähnen auszuprobieren -, doch nun, da er hier war, kam ihm der unangenehme Gedanke, daß Cedric ihn vielleicht auf den Arm genommen hatte. Wie um alles in der Welt sollte ihm dieses Bad helfen, das Geheimnis des Eis zu lösen? Trotz allem legte er eines der flaumigen Tücher an den Rand des swimmingpoolgroßen Beckens, legte den Umhang, die Karte und das Ei dazu, kniete sich nieder und drehte ein paar Wasserhähne auf.

Sofort war ihm klar, daß jeder Wasserstrahl eine andere Sorte Schaumbad enthielt, aber es war Schaumbad, wie Harry es noch nie erlebt hatte. Aus einem Hahn blubberten rosa und blaue Blasen von Fußballgröße, aus einem anderen quoll eisweißer Schaum, so dicht und fest, daß Harry sicher war, er würde ihn über das Wasser tragen; aus einem dritten Hahn sprühten schwer parfümierte purpurne Wolken, die über dem Wasser schweben blieben. Harry drehte eine Weile nach Lust und Laune an den Hähnen, und besonders einer gefiel ihm, dessen Strahl auf der Wasseroberfläche abprallte und in großen Bögen darüber hinweghüpfte. Als das tiefe Becken mit heißem Wasser, feinem Schaum und mächtigen Blasen gefüllt war (was bei seiner Größe doch schnell gegangen war), drehte Harry alle Hähne zu, zog Morgenrock, Pyjama und Badeschlappen aus und ließ sich ins Wasser gleiten.

Es war so tief, daß seine Füße kaum den Boden berührten, und so schwamm er tatsächlich ein paar Runden, dann lehnte er sich an den Beckenrand, planschte ein wenig im Wasser und nahm das Ei unter die Lupe. So toll es auch war, im heißen und schaumigen Wasser durch wabernde bunte Dampfwolken zu schwimmen, es hatte ihn kein Geistesblitz getroffen, noch war ihm plötzlich etwas wie Schuppen von den Augen gefallen.

Harry streckte die Arme aus, hob das Ei mit nassen Händen hoch und öffnete es. Das klagende, kreischende Lärmen erfüllte das Bad und hallte zitternd von den Marmorwänden wider, doch es klang so unbegreiflich wie immer, und im Gewirr der Echos vielleicht noch rätselhafter. Aus Sorge, der Lärm könnte Filch auf den Plan rufen, wie es Cedric vielleicht sogar beabsichtigt hatte, ließ er das Ei wieder zuschnappen – und dann schrak er so heftig zusammen, daß er das Ei fallen ließ. Scheppernd rollte es über den Marmorboden davon. Jemand sprach.

»Ich würde es einfach mal ins Wasser legen, wenn ich du wäre.«

Harry hatte vor Schreck eine beträchtliche Menge Seifenblasen geschluckt. Prustend richtete er sich auf und sah den Geist eines sehr verdrossen aussehenden Mädchens mit übergeschlagenen Beinen auf einem der Wasserhähne sitzen. Es war die Maulende Myrte, die man normalerweise im Abflußrohr eines Klos drei Stockwerke weiter unten schluchzen hören konnte.

»Myrte!«, sagte Harry empört.»Ich – ich hab überhaupt nichts an!«

Der Schaum war so dicht, daß es kaum eine Rolle spielte, aber er hatte das unangenehme Gefühl, daß Myrte ihn aus einem der Hähne heraus beobachtet hatte, schon seit er hereingekommen war.

»Ich hab die Augen geschlossen, als du reinkamst«, sagte sie und blinzelte ihn durch ihre dicken Brillengläser an.»Du hast mich schon ewig nicht mehr besucht.«

»Jaah… nun…«, sagte Harry und ging ein wenig in die Knie, nur um vollkommen sicher zu sein, daß Myrte nichts als seinen Kopf sehen konnte,»ich darf doch eigentlich gar nicht in dein Klo. Es ist doch nur für Mädchen.«

»Früher hat dich das nicht gestört«, schmollte Myrte.»Früher bist du ständig gekommen.«

Das stimmte, allerdings nur, weil Harry, Ron und Hermine festgestellt hatten, daß Myrtes kaputtes Klo der beste Platz war, um insgeheim einen Vielsaft-Trank zu brauen – einen verbotenen Zaubertrank, der Harry und Ron für eine Stunde in lebende Abbilder von Crabbe und Goyle verwandelt hatte, als die sie sich dann in den Gemeinschaftsraum der Slytherins schmuggeln konnten.

»Ich hab Ärger gekriegt, weil ich dort rein bin«, sagte Harry, was nur die halbe Wahrheit war; nur Percy hatte ihn einmal erwischt, wie er aus Myrtes Klo kam.»Danach dachte ich, ich laß es lieber bleiben.«

»Oh… verstehe…«, sagte Myrte und fingerte mit grämlicher Miene an einem dunklen Punkt auf ihrem Kinn herum.»Ja… wie auch immer… ich würde das Ei mal ins Wasser legen. Das hat Cedric Diggory nämlich getan.«

»Hast du den auch schon bespitzelt?«, sagte Harry entrüstet.»Was treibst du hier eigentlich – schleichst dich abends einfach rein und siehst zu, wie die Vertrauensschüler baden?«

»Manchmal«, sagte Myrte verschmitzt,»aber bisher bin ich noch nie aus dem Versteck gekommen, um mit jemandem zu sprechen.«

»Das ehrt mich aber«, sagte Harry mit finsterer Miene.»Halt dir jetzt bloß die Augen zu!«

Er vergewisserte sich, daß Myrte ihre Brille gut verdeckt hatte, bevor er sich aus dem Wasser zog, das Badetuch fest um sich wickelte und dann das Ei holen ging.

Sobald er wieder im Wasser war, spähte Myrte durch ihre Finger hindurch und sagte:»Nun mach schon… öffne es unter Wasser.«

Harry drückte das Ei unter die schaumige Wasseroberfläche und öffnete es… und diesmal war kein Klagen zu hören. Ein gegurgeltes Lied ertönte, ein Lied, dessen Text er durch das Wasser nicht verstehen konnte.

»Du mußt mit dem Kopf untertauchen«, sagte Myrte, die es offensichtlich zutiefst genoß, ihn herumkommandieren zu können.»Mach schon!«

Harry holte tief Atem und tauchte unter – und jetzt, da er auf dem marmornen Boden des schaumgefüllten Bades saß, hörte er einen Chor schauriger Stimmen, der aus dem offenen Ei in seinen Händen heraus ein Lied für ihn sang:

Komm, such, wo unsere Stimmen klingen,

denn über dem Grund können wir nicht singen.

Und während du suchst, überlege jenes:

Wir nahmen, wonach du dich schmerzlich sehnest.

In einer Stunde mußt du es finden

und es uns dann auch wieder entwinden.

Doch brauchst du länger, fehlt dir das Glück,

zu spät, 's ist fort und kommt nicht zurück.

Harry ließ sich nach oben treiben, stieß mit dem Kopf durch die Seifenblasen und schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht.

»Hast du es gehört?«, fragte Myrte.

»Ja… ›Komm, such, wo unsere Stimmen klingen… ‹ Und wenn ich mich bitten lasse?… Warte, ich muß es noch mal hören…«Wieder tauchte er unter. Harry mußte sich das Unterwasserlied noch dreimal anhören, bis er es endlich auswendig konnte; dann dachte er eine Weile im Wasser planschend angestrengt nach, während Myrte dasaß und ihn beobachtete.

»Ich muß wohl nach Leuten Ausschau halten, die ihre Stimmen über dem Wasser nicht benutzen können…«, sagte er langsam.»Hmh… wer könnte das sein?«

»Bist einer von den Langsamen, nicht?«

Er hatte die Maulende Myrte noch nie so gut gelaunt gesehen, außer an dem Tag, als sich Hermine mit einer Dosis Vielsaft-Trank ein haariges Gesicht und einen Katzenschwanz verpaßt hatte.

Harry sah sich nachdenklich im Badezimmer um… wenn die Stimmen nur unter Wasser zu hören waren, dann mußten es Wassergeschöpfe sein. Er stellte seine Überlegung Myrte vor, die ihn nur geziert anlächelte.

»Tja, das hat Diggory auch gedacht«, sagte sie.»Da lag er und hat ewig lang mit sich selbst gesprochen. Kam einfach nicht zum Schluß… fast alle Seifenblasen waren weg…«

»Unter Wasser…«, sagte Harry langsam.»Myrte… was lebt eigentlich im See, außer dem Riesenkraken?«

»Oh, dies und das«, sagte sie.»Manchmal komm ich dort runter… es geht einfach nicht anders, wenn jemand überraschend mein Klo spült…«

Harry versuchte sich lieber nicht vorzustellen, wie es war, wenn die Maulende Myrte mit dem Inhalt eines Klos durch ein Rohr in den See rauschte, und sagte:»Hat denn etwas dort im See eine menschliche Stimme? Wart mal -«

Sein Blick war auf das Bild der schnarchenden Nixe an der Wand gefallen.»Myrte, dort drin leben doch nicht etwa Wassermenschen?«

»Ooh, sehr gut«, sagte sie und ihre dicken Brillengläser funkelten.»Diggory hat viel länger gebraucht! Und die dort war sogar wach«- Myrte zuckte mit dem Kopf angewidert in Richtung Nixe -»und hat gekichert und sich rausgeputzt und mit ihrer Flosse gespielt…«

»Das ist es!«, sagte Harry aufgeregt.»Die zweite Aufgabe ist, die Wassermenschen im See aufzusuchen und… und…«

Doch plötzlich wurde ihm klar, was er eben gesagt hatte, und die Freude über seine Entdeckung wurde aus ihm herausgesogen, als ob jemand einen Stöpsel aus seinem Magen gezogen hätte. Er war kein sehr guter Schwimmer; viel geübt hatte er nie. Dudley hatte, als er noch kleiner war, Unterricht bekommen, doch Tante Petunia und Onkel Vernon hatten sich nie darum gekümmert, daß Harry schwimmen lernte, zweifellos in der Hoffnung, Harry würde eines Tages ersaufen. Ein paar Längen dieses Beckens, schön und gut, doch dieser See war sehr groß und sehr tief… und die Wassermenschen lebten sicher auf dem Grund des Sees…

»Myrte«, sagte Harry langsam,»wie soll ich dort unten atmen?«

Bei diesen Worten füllten sich Myrtes Augen plötzlich mit Tränen.»Wie taktlos von dir!«, murrte sie und stöberte in ihrem Umhang nach einem Taschentuch.

»Was ist taktlos?«, fragte Harry verwirrt.

»Vor mir vom Atmen zu sprechen!«, sagte sie schrill, und ihre Stimme hallte laut im Badezimmer wider.»Wo ich doch… schon so lange… nicht mehr… kann…«Sie vergrub das Gesicht in ihrem Taschentuch und schniefte laut.

Harry fiel ein, wie empfindlich Myrte schon immer gewesen war, weil sie tot war, doch kein anderer Geist, den er kannte, machte ein solches Drama daraus.

»Verzeihung«, sagte er ungeduldig.»Ich hab's nicht so gemeint – ist mir ganz entfallen…«

»O ja, es ist so leicht, Myrtes Tod zu vergessen«, schluchzte Myrte und sah ihn mit verquollenen Augen an.»Keiner hat mich vermißt, selbst als ich noch am Leben war. Stundenlang haben sie gebraucht, um meine Leiche zu finden – ich weiß es noch, ich saß ja da und hab auf sie gewartet. Olive Hornby kam in mein Klo – ›Steckst du schon wieder hier drin und schmollst, Myrte?‹, hat sie gesagt. ›Professor Dippet hat mich nämlich gebeten, nach dir zu suchen -‹ Und dann hat sie meine Leiche gesehen… ooooh, das hat sie bis an ihr Lebensende nicht vergessen, dafür hab ich schon gesorgt… ich bin ihr nämlich ständig gefolgt und hab sie dran erinnert, ich weiß noch, bei der Hochzeit ihres Bruders -«

Doch Harry hörte ihr nicht zu; er dachte wieder über das Lied der Wassermenschen nach.»Wir nahmen, wonach du dich schmerzlich sehnest.«Das klang ganz danach, als würden sie ihm etwas stehlen, etwas, das er zurückholen mußte. Was sollte das sein?

»- und dann ist sie natürlich vors Zaubereiministerium gezogen, damit ich ihr nicht mehr nachspuke, deshalb mußte ich wieder hierher kommen und in meinem Klo leben.«

»Gut«, sagte Harry verschwommen.»Schön, ich bin jetzt viel weiter als vorher… schließ doch noch mal die Augen, ich komm raus.«

Er holte das Ei vom Beckenboden herauf, kletterte heraus, trocknete sich ab und zog Pyjama und Morgenrock an.

»Kommst du mich mal wieder in meinem Klo besuchen?«, fragte die Maulende Myrte mit trauriger Stimme, als Harry den Tarnurnhang aufhob.

»Ähm… ich versuch's«, sagte Harry, obwohl er im Stillen dachte, er würde nur dann noch einmal in Myrtes Klo vorbeischauen, wenn alle anderen Klos im Schloß verstopft wären.»Bis dann, Myrte… danke für deine Hilfe.«

»Adieu, adieu«, sagte sie schwermütig, und als sich Harry den Tarnurnhang wieder anzog, sah er, wie sie in einem der Wasserhähne verschwand.

Draußen im dunklen Korridor warf Harry einen Blick auf die Karte des Rumtreibers, um zu prüfen, ob die Luft noch rein war. Ja, die Punkte für Filch und Mrs Norris waren immer noch eindeutig in seinem Büro… niemand außer Peeves schien sich zu bewegen, der ein Stockwerk über Harry im Pokalzimmer auf- und abhüpfte… schon war er den ersten Schritt zurück in den Gryffindor-Turm gegangen, als ihm etwas anderes ins Auge fiel… etwas äußerst Merkwürdiges.

Peeves war nicht der Einzige, der sich bewegte. Ein anderer Punkt flitzte in einem Zimmer in der linken unteren Ecke umher – in Snapes Büro. Doch der Punkt war nicht mit»Severus Snape«beschriftet… es war Bartemius Crouch.

Harry starrte auf den Punkt. Mr Crouch war doch angeblich zu krank, um zur Arbeit oder zum Weihnachtsball zu kommen – also warum hatte er sich um ein Uhr morgens in Hogwarts eingeschlichen? Harry sah gespannt zu, wie der Punkt sich unablässig im Zimmer auf und ab bewegte und nur hie und da kurz innehielt…

Harry zögerte, überlegte… und dann gewann seine Neugier die Oberhand. Er drehte sich um und lief in die andere Richtung, bis zur nächsten Treppe. Er würde schon herausfinden, was Crouch hier zu suchen hatte.

Harry ging, so leise er konnte, treppab, dennoch wandten sich die Köpfe in den Gemälden beim Knarzen eines Dielenbrettes oder bei dem Rascheln seines Pyjamas neugierig um. Er schlich den Korridor einen Stock tiefer entlang, schob auf halbem Weg einen Wandteppich zur Seite und ging eine schmalere Treppe hinunter, eine Abkürzung, die ihn gleich zwei Stockwerke tiefer bringen würde. Immer wieder warf er einen Blick auf die Karte und wunderte sich… es schien einfach nicht zu diesem korrekten, gesetzestreuen Charakter von Mr Crouch zu passen, so spät in der Nacht in einem fremden Büro herumzuschnüffeln…

Und dann, auf halber Treppe, als er nicht mehr auf seine Schritte achtete und ganz in Gedanken über das seltsame Gebaren von Mr Crouch vertieft war, sank Harrys Bein plötzlich geradewegs durch die Trickstufe, die Neville dauernd zu überspringen vergaß. Er begann unbeholfen zu schwanken, und das goldene Ei, noch feucht vom Badewasser, glitt ihm aus dem Arm. Er ließ sich nach vorn fallen, um es aufzufangen, doch zu spät; das Ei kullerte die lange Treppe hinunter und ließ auf jeder Stufe einen Schlag wie von einer Baßtrommel hören. Der Tarnurnhang rutschte ihm vom Kopf und Harry konnte ihn gerade noch packen, da flatterte ihm die Karte des Rumtreibers aus der Hand und segelte sechs Stufen hinunter, wo er sie, bis übers Knie in die Stufe versunken, nicht erreichen konnte.

Das goldene Ei kullerte durch den Wandteppich am Fuß der Treppe, schlug scheppernd im Korridor unten auf und begann mit seinem lauten Wehklagen. Harry zog den Zauberstab und mühte sich verzweifelt, die Karte des Rumtreibers zu berühren und sie zu löschen, doch er konnte sie nicht erreichen.

Er zog sich den Umhang wieder über den Kopf, richtete sich auf und lauschte angestrengt, die Augen vor Angst zu Schlitzen verengt – und es dauerte nur einen Augenblick -

»PEEVES!«

Das war unmißverständlich der Jagdruf von Filch, dem Hausmeister. Harry konnte deutlich seine hastig schlurfenden Schritte näher und näher kommen und seine keuchende Stimme vor Wut schrill werden hören.

»Was soll dieser Höllenlärm? Du weckst noch das ganze Schloß! Ich krieg dich, Peeves, ich krieg dich, du wirst… und was ist das?«

Filch war offenbar stehen geblieben; es gab ein Klingen von Metall auf Metall und das Wehklagen erstarb. Filch hatte das Ei aufgehoben und es geschlossen. Harry stand reglos da, das eine Bein immer noch fest in der magischen Stufe verklemmt, und lauschte gebannt. Jeden Moment würde Filch den Gobelin zur Seite ziehen und nach Peeves Ausschau halten… und da würde kein Peeves sein… doch wenn er die Treppe hochstieg, würde er die Karte des Rumtreibers entdecken… und diese Karte würde, mit oder ohne Tarnumhang,»Harry Potter«genau da anzeigen, wo er stand.

»Ei?«, sagte Filch leise am Fuß der Treppe.»Meine Süße!«- offenbar war Mrs Norris bei ihm -»Das ist ein Trimagischer Schlüssel! Er gehört einem Schul-Champion!«

Harry wurde schlecht; sein Herz hämmerte rasend schnell -

»PEEVES!«, donnerte Filch voll Schadenfreude.»Du hast gestohlen!«

Er riß den Wandteppich unten zur Seite, und Harry sah sein fürchterliches Sackgesicht und die hervorquellenden fahlen Augen, die die dunkle und (für Filch) völlig ausgestorbene Treppe hochstarrten.

»Versteckst dich, was?«, sagte er leise.»Ich werd dich schon kriegen, Peeves… du hast doch tatsächlich einen Trimagischen Schlüssel gestohlen, Peeves… dafür wird dich Dumbledore endlich rausschmeißen, du mieser kleiner Dieb von Poltergeist…«

Filch stieg die ersten Stufen hoch, dicht gefolgt von einer dürren, staubfarbenen Katze. Mrs Norris' lampenartige Augen, die denen ihres Herrn so sehr ähnelten, hatten geradewegs Harry ins Visier genommen. Schon einmal hatte er sich fragen müssen, ob der Tarnurnhang auch bei Katzen wirkte… sein Magen verkrampfte sich vor Anspannung, während er Filch in seinem alten Flanellmorgenmantel immer näher kommen sah – verzweifelt mühte er sich, sein eingeklemmtes Bein zu befreien, doch es sank nur noch ein paar weitere Zentimeter ein – und Filch mußte nun jede Sekunde die Karte entdecken oder direkt in ihn hineinlaufen -»Filch? Was ist hier los?«

Filch hielt ein paar Stufen unterhalb von Harry inne und wandte sich um. Am Fuß der Treppe stand der Einzige, der Harrys Lage nur noch verschlimmern konnte – Snape. Er trug ein langes graues Nachthemd und schien vor Zorn zu rasen.

»Es ist Peeves, Professor«, wisperte Filch bösartig.»Er hat dieses Ei die Treppe runtergeworfen.«

Rasch nahm Snape die Stufen bis hinauf zu Filch. Harry biß die Zähne zusammen, überzeugt, daß sein laut pochendes Herz ihn jede Sekunde verraten mußte…

»Peeves?«, sagte Snape leise und starrte das Ei in Filchs Hand an.»Aber Peeves konnte nicht in mein Büro…«

»Dieses Ei war in Ihrem Büro, Professor?«

»Natürlich nicht«, fuhr ihn Snape an,»ich hab Gepolter und Gejammer gehört -«

»Ja, Professor, das war das Ei -«

»- und wollte kurz nachsehen, was los ist -«

»Peeves hat es runtergeworfen, Professor -«

»- und als ich an meinem Büro vorbeikam, sah ich, daß die Fackeln brannten und eine Schranktür offen stand! Jemand hat es durchsucht!«

»Aber Peeves konnte nicht -«

»Das weiß ich auch, Filch!«, bellte Snape.»Ich versiegle mein Büro mit einem Fluch, den nur ein Zauberer brechen kann!«Snape sah die Treppe hoch, durch Harry hindurch, und dann hinunter auf den Korridor.»Ich möchte, daß Sie mir bei der Suche nach dem Eindringling helfen, Filch.«

»Ich – ja, Professor – aber -«

Filch blickte sehnsüchtig die Treppe hoch, und Harry entging nicht, daß er nur widerwillig die Chance sausen ließ, Peeves in die Enge zu treiben. Geh, flehte ihn Harry stumm an, geh mit Snape… geh… Mrs Norris lugte hinter Filchs Beinen hervor… Harry hatte den deutlichen Eindruck, daß sie ihn riechen konnte… warum nur hatte er das Bad mit so viel Duftschaum gefüllt?

»Die Sache ist die, Professor«, sagte Filch mit wehleidiger Stimme,»diesmal wird der Direktor auf mich hören müssen, Peeves hat einen Schüler bestohlen, das wäre meine Chance, ihn ein für alle Mal aus dem Schloß werfen zu lassen -«

»Filch, dieser vermaledeite Poltergeist ist mir verdammt noch mal völlig egal, ich muß mich um mein Büro -«

Klonk. Klonk. Klonk.

Snape verstummte mit einem Schlag. Er und Filch spähten hinunter zum Fuß der Treppe. Harry sah Mad-Eye Moody humpelnd in der schmalen Lücke zwischen ihren Köpfen auftauchen. Moody trug seinen alten Reiseumhang über dem Nachthemd und stützte sich wie immer auf seinen Stock.

»Was haben wir denn hier, 'ne Pyjama-Party?«, knurrte er die Treppe hoch.

»Professor Snape und ich haben Lärm gehört, Professor«, antwortete Filch überstürzt.»Peeves, der Poltergeist, hat mal wieder Sachen durch die Gegend geworfen – und dann hat Professor Snape entdeckt, daß jemand in sein Büro eingeb-«

»Mund halten!«, zischte Snape.

Moody trat einen weiteren Schritt auf die Treppe zu. Harry sah, wie sein magisches Auge über Snape wanderte und dann, er war sich sicher, auf ihm ruhen blieb.

Harrys Herz tat einen ganz fürchterlichen Schlag: Moody konnte durch Tarnumhänge sehen… für ihn allein offenbarte sich die ganze Seltsamkeit dieses Schauspiels auf der Treppe… Snape im Nachthemd, Filch mit dem Ei unter dem Arm, und er, Harry, über ihnen in eine Stufe eingeklemmt. Moodys schräg klaffende Wunde von Mund öffnete sich überrascht. Einige Sekunden lang starrten sich er und Harry an. Dann machte Moody den Mund zu und ließ sein blaues Auge zu Snape wandern.

»Hab ich richtig gehört, Snape?«, fragte er langsam.»Jemand ist in Ihr Büro eingebrochen?«

»Das ist unwichtig«, sagte Snape kalt.

»Im Gegenteil«, knurrte Moody,»es ist sehr wichtig. Wer sollte denn in Ihr Büro einbrechen wollen?«

»Ein Schüler, würde ich vermuten«, sagte Snape. Harry konnte eine Ader auf Snapes fettiger Stirn fürchterlich zucken sehen.»Das ist schon öfter vorgekommen. Zaubertrankzutaten sind aus meinem persönlichen Vorratsschrank verschwunden… Schüler, die verbotene Mixturen ausprobieren, mit Sicherheit…«

»Die waren also auf Trankzutaten aus?«, fragte Moody.»Sie verstecken nicht zufällig etwas in Ihrem Büro?«

Harry sah von der Seite, wie Snapes fahles Gesicht häßlich ziegelrot anlief und die Ader auf seiner Stirn noch schneller pulste.

»Sie wissen, daß ich nichts verstecke, Moody«, sagte er mit leiser und drohender Stimme,»da Sie mein Büro ja selbst recht gründlich durchsucht haben.«

Moodys Gesicht verzog sich zu einem Lächeln.»Das Vorrecht des Auroren, Snape. Dumbledore meinte, ich solle ein Auge auf-«

»Dumbledore vertraut mir«, sagte Snape zähneknirschend.»Ich weigere mich zu glauben, daß er Sie angewiesen hat, mein Büro zu durchsuchen!«

»Natürlich traut Dumbledore Ihnen«, knurrte Moody.»Verliert nie den Glauben an das Gute im Zauberer, nicht wahr? Gibt jedem 'ne zweite Chance. Ich aber – ich sage, es gibt Flecken, die gehen nicht mehr raus, Snape. Flecken, die nie mehr rausgehen, Sie wissen, wovon ich rede?«

Snape tat plötzlich etwas sehr Seltsames. Er packte seinen linken Unterarm krampfartig mit der rechten Hand, als ob er heftig schmerzen würde.

Moody lachte.»Gehen Sie wieder schlafen, Snape.«

»Sie sind nicht befugt, mich herumzukommandieren!«, zischte Snape und ließ seinen Arm los, als würde er sich über sich selbst ärgern.»Ich habe genauso das Recht wie Sie, nach Einbruch der Dunkelheit in dieser Schule Wache zu gehen!«

»Dann wachen Sie woanders«, sagte Moody, doch in seiner Stimme lag etwas sehr Bedrohliches.»Ich freu mich darauf, Sie eines Nachts in einem dunklen Korridor zu treffen… übrigens, Sie haben was verloren…«

Mit einem stummen Schrei des Entsetzens sah Harry, wie Moody auf die Karte des Rumtreibers deutete, die noch immer sechs Stufen unter ihm lag. Snape und Filch wandten die Köpfe. Und in diesem Augenblick ließ Harry alle Vorsicht fahren; er hob unter seinem Tarnurnhang die Arme, winkte verzweifelt, um Moodys Blick auf sich zu ziehen, und formte mit den Lippen die Worte:»Das ist meine! Meine!«

Schon hatte Snape, dem die dämmernde Erkenntnis als fürchterliche Grimasse ins Gesicht geschrieben stand, die Hand nach der Karte ausgestreckt -

»Accio Pergament!«

Die Karte flog hoch, raschelte durch Snapes ausgestreckte Finger und flatterte die Stufen hinunter direkt in Moodys Hand.

»Mein Fehler«, sagte Moody gelassen.»Die gehört mir -muß sie vorhin fallen gelassen haben -«

Doch Snapes schwarze Augen blitzten vom Ei in Filchs Armen hinüber zur Karte in Moodys Hand, und Harry war klar, daß er zwei und zwei zusammenzählte, wie nur Snape es konnte…

»Potter«, flüsterte er.

»Wie bitte?«, sagte Moody gleichmütig, faltete die Karte zusammen und steckte sie ein.

»Potter!«, raunzte Snape, und tatsächlich wandte er den Kopf und starrte genau auf die Stelle, wo Harry stand, als ob er ihn plötzlich sehen könnte.»Dieses Ei gehört Potter. Dieses Pergament gehört auch Potter. Ich hab es schon einmal gesehen, ich erkenne es wieder. Potter ist hier! Potter, in seinem Tarnurnhang!«

Snape streckte die Hände aus wie ein Blinder und begann die Stufen hinaufzusteigen; Harry hätte schwören können, daß seine übergroßen Nüstern sich weiteten und er versuchte, Harry zu erschnüffeln – in der Falle festsitzend beugte sich Harry nach hinten, um Snapes Fingerspitzen zu entgehen, doch er mußte ihn jeden Moment -

»Da gibt's nichts zu suchen, Snape!«, bellte Moody.»Aber ich werde umgehend dem Schulleiter berichten, wie schnell Sie an Harry Potter gedacht haben!«

»Was soll das heißen?«, raunzte Snape und wandte den Kopf, die ausgestreckten Hände immer noch Zentimeter von Harrys Brust entfernt, zu Moody um.

»Das soll heißen, daß Dumbledore sehr erpicht darauf ist zu erfahren, wer es auf den Jungen abgesehen hat!«, sagte Moody und hinkte noch einen Schritt näher zum Fuß der Treppe.»Und das gilt auch für mich, Snape, da bin ich sehr neugierig.«Das Fackellicht flackerte über sein zerstörtes Gesicht, so daß die Narben und die Stelle, an der ein Stück seiner Nase fehlte, noch tiefer und dunkler wirkten.

Snape sah auf Moody hinunter und Harry konnte sein Gesicht nicht sehen. Einen Moment lang herrschte vollkommene Stille, niemand rührte sich oder sprach. Dann ließ Snape langsam die Hände sinken.

»Ich dachte nur«, sagte Snape mit gezwungen ruhiger Stimme,»wenn Potter sich schon wieder zu nachtschlafender Zeit im Schloß rumtreibt… das ist eine bedauerliche Angewohnheit von ihm… dann sollte man ihm Einhalt gebieten. Zu – zu seiner eigenen Sicherheit.«

»Ah, verstehe«, sagte Moody leise.»Ihnen liegt nur Potters Wohl am Herzen.«

Stille trat ein. Snape und Moody sahen sich immer noch an. Mrs Norris ließ ein lautes Miauen hören und spähte immer noch hinter Filchs Beinen hervor, auf der Suche nach der Quelle des Schaumbaddufts.

»Ich werd mich jetzt wohl wieder hinlegen«, sagte Snape barsch.

»Die beste Idee, die Sie heute Nacht hatten«, sagte Moody.»Filch, wenn Sie mir jetzt bitte dieses Ei geben -«

»Nein!«, sagte Filch und umklammerte das Ei, als wäre es sein erstgeborener Sohn.»Professor Moody, das ist der Beweis für Peeves' Verrat!«

»Es ist das Eigentum des Champions, dem er es gestohlen hat!«, sagte Moody.»Geben Sie es mir, sofort.«

Snape rauschte die Treppe hinunter und lief ohne ein Wort an Moody vorbei. Filch schnalzte Mrs Norris zu, die noch ein paar Sekunden lang unverwandt Harry anstarrte, sich dann umdrehte und ihrem Herrn folgte. Harry, der immer noch schnell atmete, hörte, wie Snape sich auf dem Korridor entfernte; Filch übergab Moody das Ei und verschwand nun ebenfalls, wobei er Mrs Norris zumurmelte:»Macht nichts, meine Süße… wir sehen Dumbledore morgen früh… dann sagen wir ihm schon, was Peeves angestellt hat…«

Eine Tür fiel zu. Harry stand jetzt alleine auf der Treppe und sah hinunter zu Moody, der seinen Stock auf die erste Stufe stellte und begann, unter großer Mühsal und mit einem dumpfen Klonk auf jeder Stufe die Treppe zu ihm hochzusteigen.

»Das war knapp, Potter«, murmelte er.

»Jaah… ich – ähm… danke«, sagte Harry matt.

»Was hat es damit auf sich?«, sagte Moody, zog die Karte des Rumtreibers aus der Tasche und entfaltete sie.

»Karte von Hogwarts«, sagte Harry und hoffte, Moody würde ihn endlich aus seiner Treppenstufe ziehen; das Bein tat ihm inzwischen richtig weh.

»Beim Barte des Merlin«, hauchte Moody, sein magisches Auge schien angesichts der Karte völlig verrückt zu spielen.»Das… das ist ja 'ne sagenhafte Karte, Potter!«

»Jaah, sie ist… recht nützlich«, sagte Harry. Ihm tränten allmählich die Augen vor Schmerz.»Ähm – Professor Moody, vielleicht könnten Sie mir kurz helfen -?«

»Was? Oh! Ja… ja natürlich…«

Moody umklammerte Harrys Arme und zog ihn nach oben; Harrys Bein löste sich aus der Trickstufe und er setzte es auf die Stufe darüber.

Moody starrte immer noch auf die Karte.»Potter…«, sagte er langsam,»du hast nicht zufällig gesehen, wer in Snapes Büro eingebrochen ist? Auf dieser Karte, meine ich?«

»Ähm… ja, hab ich…«, gab Harry zu.»Es war Mr Crouch.«

Moodys magisches Auge huschte prüfend über die Karte. Plötzlich schien er alarmiert.

»Crouch?«, fragte er.»Bist du – bist du dir sicher, Potter?«

»Absolut«, sagte Harry.

»Jedenfalls ist er nicht mehr da«, sagte Moody, dessen Augen beständig über die Karte flogen.»Crouch… das ist sehr – sehr interessant…«

Fast eine Minute lang schwieg er und starrte nur auf die Karte. Harry war klar, daß ihm diese Neuigkeit etwas gesagt hatte, und wollte sehnlichst wissen, was es war. Er überlegte, ob er es wagen sollte zu fragen. Moody jagte ihm ein wenig Angst ein… doch Moody hatte ihm gerade geholfen, einer Menge Ärger aus dem Weg zu gehen.

»Ähm… Professor Moody… warum, glauben Sie, wollte sich Mr Crouch in Snapes Büro umsehen?«

Moodys magisches Auge löste sich von der Karte und fixierte nun zitternd Harry. Es war ein durchdringender Blick, und Harry hatte den Eindruck, daß Moody ihn taxierte, nicht sicher, ob er antworten sollte oder nicht, oder wie viel er ihm erzählen sollte.

»Laß es mich so sagen, Potter«, murmelte Moody endlich,»es heißt, der alte Mad-Eye sei ganz besessen davon, schwarze Magier zu fassen… aber Mad-Eye ist nichts -nichts – im Vergleich zu Barty Crouch.«

Erneut starrte er auf die Karte. Harry brannte darauf, mehr zu erfahren.

»Professor Moody«, sagte er noch einmal.»Glauben Sie, könnte dies damit zu tun haben… daß Mr Crouch vielleicht denkt, es sei irgendwas im Busch…«

»Zum Beispiel?«, fragte Moody scharf.

Harry überlegte, wie viel er zu sagen wagen sollte. Moody sollte nicht auf den Gedanken kommen, daß er eine Quelle außerhalb von Hogwarts hatte; das würde womöglich zu peinlichen Fragen über Sirius führen.

»Ich weiß nicht«, murmelte Harry,»in letzter Zeit sind ein paar merkwürdige Sachen passiert. Es stand ja im Tagespropheten… das Dunkle Mal bei der Weltmeisterschaft und die Todesser und alles…«

Die beiden so verschiedenen Augen Moodys weiteten sich.

»Du bist ein schlauer Junge, Potter«, sagte er. Sein magisches Auge wanderte nun wieder zur Karte des Rumtreibers.»So was könnte tatsächlich in Crouchs Kopf vor sich gehen«, sagte er langsam.»Sehr gut möglich… in letzter Zeit sind einige seltsame Gerüchte umhergeschwirrt – mit tatkräftiger Unterstützung von Rita Kimmkorn, natürlich. Das macht einige Leute nervös, vermute ich.«Ein grimmiges Lächeln zerrte an seinem schrägen Mund.»Oh, wenn es eins gibt, das ich hasse«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Harry gewandt, und sein magisches Auge fixierte die untere Ecke der Karte,»dann ist es ein Todesser, der (entkommen ist und frei herumläuft…«

Harry starrte ihn an. Konnte Moody tatsächlich das meinen, was Harry vermutete?

»Und jetzt möchte ich dir eine Frage stellen, Potter«, sagte Moody nun wieder in nüchternem Ton.

Harry wurde schwer ums Herz; er hatte schon darauf gewartet. Moody würde ihn fragen, woher er die Karte, diesen recht zweifelhaften magischen Gegenstand, eigentlich hatte – und die Geschichte, wie sie ihm in die Hände gefallen war, würde nicht nur ihn belasten, sondern seinen eigenen Vater, Fred und George Weasley sowie Professor Lupin, ihren letzten Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Moody wedelte mit der Karte vor Harrys Nase herum und Harry machte sich auf das Schlimmste gefaßt -

»Kann ich mir die ausleihen?«

»Oh!«, sagte Harry. Er hatte viel Freude an seiner Karte, doch andererseits war er ungeheuer erleichtert, daß Moody nicht fragte, wo er sie her hatte, und zweifellos schuldete er ähm auch einen Gefallen.»Ja, klar.«

»Guter Junge«, knurrte Moody.»Die kann ich wirklich gut gebrauchen… das ist vielleicht genau das, wonach ich gesucht habe… schön, nun aber ins Bett, Potter, komm mit…«

Sie stiegen zusammen die Treppe hoch, und auch im Gehen untersuchte Moody die Karte wie einen Schatz, von (dem er nicht zu träumen gewagt hatte. Schweigend gingen sie bis zur Tür von Moodys Büro, wo er stehen blieb und zu Harry hinuntersah.»Hast du jemals daran gedacht, ein Auror zu werden, Potter?«

»Nein«, sagte Harry völlig perplex.

»Dann Überleg's dir doch mal«, sagte Moody, nickte mit dem Kopf und musterte Harry nachdenklich.»Ja, allerdings… und übrigens… ich vermute mal, du bist mit diesem Ei heute Nacht nicht einfach so spazieren gegangen?«

»Ähm – nein«, sagte Harry grinsend.»Ich hab das Rätsel gelöst.«

Moody sah ihn zwinkernd an, und wieder spielte sein magisches Auge verrückt.»Gibt nichts Besseres als einen kleinen Mondscheinspaziergang, um auf Ideen zu kommen, Potter… wir sehen uns morgen früh…«Er betrat sein Büro, den Blick schon wieder auf der Karte des Rumtreibers, und schloß die Tür hinter sich.

Langsam ging Harry zurück in den Gryffindor-Turm, ganz in Gedanken an Snape und Crouch versunken, und rätselte, was das alles zu bedeuten hatte… Warum schützte Crouch vor, krank zu sein, wenn er es dann doch schaffte, nach Hogwarts zu kommen? Und was, vermutete er, sei in Snapes Büro versteckt?

Dann hatte Moody auch noch vorgeschlagen, er, Harry, sollte Auror werden! Interessanter Vorschlag… doch als Harry vier Minuten später Ei und Tarnurnhang sicher in seinem Koffer verstaut hatte und leise in sein Bett stieg, kam ihm doch noch der Gedanke, daß er zunächst mal sehen wollte, wie vernarbt die anderen Auroren waren, bevor er sich für diesen Beruf entschied.

Die zweite Aufgabe

»Du hast doch gesagt, du hättest das Eierrätsel schon gelöst!«, entrüstete sich Hermine.

»Sprich doch leiser!«, erwiderte Harry ärgerlich.»Ich muß es nur noch ein wenig – ausfeilen, verstehst du?«

Sie hatten sich im Zauberkunstunterricht zu dritt an einen Tisch in der hinteren Reihe gesetzt. Heute war das Gegenteil des Aufrufezaubers dran – der Verscheuchezauber. Professor Flitwick, wohl wissend, was für häßliche Unfälle passieren konnten, wenn ständig irgendwelche Gegenstände durch das Zimmer flogen, hatte jedem Schüler einen Stapel Kissen zum Üben gegeben. Der Gedanke dahinter war, daß niemand verletzt würde, wenn die Kissen ihr Ziel verfehlten. Als Idee sehr gut, taugte er in der Praxis nicht allzu viel. Neville peilte so schlecht, daß nicht nur die leichten Kissen durchs Zimmer flogen, sondern zum Beispiel auch Professor Flitwick.

»Vergiß doch einfach mal für 'ne Weile dieses Ei!«, zischte Harry, während Professor Flitwick mit einem Ausdruck stummen Leidens auf dem Gesicht an ihnen vorbeischwebte und auf einem großen Schrank landete.»Ich will dir doch nur diese Geschichte von Snape und Moody erzählen…«

Dieser Unterricht bot die beste Deckung für ein vertrauliches Gespräch, da all ihre Mitschüler viel zu viel Spaß hatten, um groß auf die drei zu achten. Harry erzählte nun schon seit einer halben Stunde in geflüsterten Fortsetzungen von seinen Abenteuern in der vorigen Nacht.

»Snape sagte, auch Moody hätte sein Büro durchsucht?«, wisperte Ron, die Augen vor Neugier flackernd, während er gleichzeitig mit einem Schwung des Zauberstabs ein Kissen fortjagte (es sauste durch die Luft und schlug Parvati den Hut vom Kopf).»Was glaubst du… ist Moody hier in der Schule, um nicht nur Karkaroff, sondern auch Snape im Auge zu behalten?«

»Keine Ahnung, ob Dumbledore ihn darum gebeten hat, auf jeden Fall tut er genau das«, sagte Harry und wedelte achtlos mit dem Zauberstab, woraufhin sein Kissen eine verkorkste Bauchlandung auf dem Boden hinlegte.»Moody meinte, Dumbledore behalte Snape nur hier, weil er ihm eine zweite Chance oder so was geben will…«

»Was?«, sagte Ron und riß die Augen auf. Sein nächstes Kissen trudelte hoch in die Luft, prallte gegen den Kronleuchter und schlug klatschend auf Professor Flitwicks Tisch auf.»Harry… vielleicht glaubt Moody, Snape habe deinen Namen in den Feuerkelch geworfen!«

»Ach, Ron«, sagte Hermine und schüttelte ungläubig den Kopf.»Wir haben schon einmal gedacht, Snape wolle Harry umbringen, und dann stellte sich raus, daß er ihm das Leben gerettet hat, weißt du noch?«

Sie verscheuchte ein Kissen, es flog quer durchs Zimmer und landete in der Kiste, genau da, wo es sollte. Harry sah Hermine nachdenklich an… es stimmte, Snape hatte ihm einmal das Leben gerettet, doch das Merkwürdige war, daß Snape ihn entschieden haßte, genauso, wie er Harrys Vater gehaßt hatte, als sie zusammen auf der Schule waren. Snape bereitete es Genuß, Harry Punkte abzuziehen, und er ließ gewiß nie eine Gelegenheit aus, ihm Strafen zu verpassen oder sogar vorzuschlagen, er solle von der Schule verwiesen werden.

»Mir ist egal, was Moody sagt«, fuhr Hermine fort,»Dumbledore ist nicht dumm. Er hatte Recht, Hagrid und Professor Lupin zu vertrauen, auch wenn eine Menge Leute ihnen keine Arbeit gegeben hätten. Warum sollte er sich dann in Snape täuschen, selbst wenn Snape ein wenig -«

»- bösartig ist«, ergänzte Ron schlagartig.»Nun hör mal, Hermine, warum sollte dann ein Schwarzmagierfänger sein Büro durchsuchen?«

»Warum hat Mr Crouch so getan, als sei er krank?«, fragte Hermine, ohne auf Ron einzugehen.»Schon ein wenig komisch, oder, daß er es nicht schafft, zum Weihnachtsball zu kommen, aber mitten in der Nacht hier rumschleichen kann, wie es ihm paßt?«

»Du kannst Crouch einfach nicht leiden, und zwar wegen dieser Winky, seiner Elfe«, sagte Ron und ließ ein Kissen gegen das Fenster klatschen.

»Und du hast dir in den Kopf gesetzt, daß Snape irgendwas ausheckt«, sagte Hermine und ließ ihr Kissen tadellos in die Kiste fliegen.

»Ich will nur wissen, was Snape mit seiner ersten Chance angefangen hat, wenn das jetzt seine zweite ist«, sagte Harry grimmig, und zu seiner größten Überraschung flog sein Kissen schnurgerade durchs Zimmer und landete auf dem Hermines.

* * *

Harry folgte dem Wunsch von Sirius, über alle merkwürdigen Geschehnisse in Hogwarts unterrichtet zu werden, und schickte ihm noch in dieser Nach einen Brief per Waldkauz, in dem er ihm alles über Mr Crouchs Einbruch in Snapes Büro und Moodys und Snapes Zusammenstoß berichtete. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit ernsthaft dem dringendsten Problem zu, vor dem er stand. Wie sollte er am vierundzwanzigsten Februar eine Stunde lang unter Wasser bleiben?

Ron gefiel die Idee ganz gut, noch einmal den Aufrufezauber zu benutzen – Harry hatte ihm erklärt, daß es in der Muggelwelt Atmungsgeräte gab, und Ron wollte partout nicht einsehen, warum Harry nicht ein solches Gerät aus der nächsten Muggelstadt zu sich rufen sollte. Hermine machte diesen Plan zunichte, indem sie verkündete, daß Harry wohl kaum innerhalb der gesetzten Zeit von einer Stunde lernen würde, mit einer Taucherlunge umzugehen, und selbst dann würde er sofort disqualifiziert, weil er den Internationalen Kodex zur Geheimhaltung der Magie gebrochen hätte. Es war einfach unsinnig zu hoffen, daß kein Muggel eine Taucherlunge bemerken würde, die über das Land auf Hogwarts zuflog.

»Die beste Lösung wäre natürlich, wenn du dich in ein U-Boot oder so was verwandeln könntest«, sagte sie.»Wenn wir nur schon Verwandlung für Menschen gehabt hätten! Aber ich glaub nicht, daß wir vor der sechsten Klasse damit anfangen, und es kann ganz übel ausgehen, wenn du nicht genau weißt, was du tust…«

»Allerdings, ich hab keine Lust, mit einem Sehrohr im Kopf durch die Gegend zu laufen«, sagte Harry.»Vielleicht sollte ich einfach jemanden direkt vor Moodys Augen angreifen, dann erledigt er es sicher für mich…«

»Er läßt dich nicht selbst wählen, in was er dich verwandelt«, entgegnete Hermine nüchtern.»Nein, ich denke, die beste Möglichkeit wäre irgendein Zauber.«

Und so vergrub Harry sich abermals in der Bibliothek, auf der Suche nach einem Zauber, der ihm helfen würde, ohne Sauerstoff zu überleben, auch wenn er allmählich das Gefühl hatte, für den Rest seines Lebens von den staubigen Bänden genug zu haben. Doch obwohl die drei ihre Mittagspausen, die Abende und die Wochenenden mit der Suche verbrachten – und obwohl Harry Professor McGonagall um eine Bescheinigung bat, damit er auch die Verbotene Abteilung benutzen durfte, und sogar die reizbare, geierartige Bibliothekarin Madam Pince um Hilfe fragte -, sie fanden trotz allem nichts, was es Harry ermöglicht hätte, eine Stunde unter Wasser zu verbringen und danach seine Geschichte auch noch erzählen zu können.

Anflüge von Panik, wie Harry sie schon kannte, begannen ihn nun wieder zu quälen, und wieder einmal fiel es ihm schwer, im Unterricht seine Gedanken beisammenzuhalten. Der See, der für Harry immer wie selbstverständlich zum Schloßgelände gehört hatte, zog fortwährend seinen Blick an, wenn er in der Nähe eines Klassenzimmerfensters saß, diese große, eisen graue Masse kalten Wassers, dessen dunkle und eisige Tiefen ihm allmählich so fern schienen wie der Mond.

Genau wie damals, bevor er es mit dem Hornschwanz aufnehmen mußte, glitt die Zeit davon, als ob jemand die Uhren verhext hätte und sie jetzt besonders schnell liefen. Noch eine Woche war es bis zum vierundzwanzigsten Februar (also immer noch Zeit)… dann waren es fünf Tage (wurde nun allmählich Zeit, daß er etwas fand)… noch drei Tage (bitte laß mich was finden… bitte).

Noch zwei Tage, und Harry verlor wieder einmal den Appetit. Das einzig Gute beim Frühstück am Montag war die Rückkehr des Waldkauzes, den er Sirius geschickt hatte. Er nahm ihm das Pergament vom Bein, glättete es und hatte den kürzesten Brief vor Augen, den Sirius ihm je geschrieben hatte.

Schick mir das Datum des nächsten Hogsmeade-Wochenendes eulenwendend zurück.

Harry drehte das Pergament um, denn vielleicht stand ja etwas auf der Rückseite, doch sie war leer.

»Übernächstes Wochenende«, flüsterte Hermine, die über Harrys Schulter mitgelesen hatte.»Hier, nimm meine Feder und schick die Eule sofort zurück.«

Harry kritzelte das Datum auf die Rückseite von Sirius' Brief, band ihn wieder an das Bein des Waldkauzes und sah zu, wie der Vogel zum Rückflug ansetzte. Was hatte er erwartet? Einen Ratschlag, wie er unter Wasser überleben konnte? Er war so erpicht darauf gewesen, Sirius alles über Snape und Moody zu erzählen, daß er völlig vergessen hatte, das Eierrätsel zu erwähnen.

»Weshalb will er denn wissen, wann wir das nächste Mal in Hogsmeade sind?«, fragte Ron.

»Keine Ahnung«, sagte Harry dumpf. Das kurze Glücksgefühl angesichts des Waldkauzes war schon wieder verflogen.»Beeil dich… wir haben Pflege magischer Geschöpfe.«

Ob Hagrid sie nun für die Knallrümpfigen Kröter entschädigen wollte, oder weil nur noch zwei davon übrig waren, oder weil er beweisen wollte, daß er alles konnte, was Professor Raue-Pritsche konnte – Harry wußte es nicht, doch seit Hagrid wieder arbeitete, hatte er den Unterricht über Einhörner fortgesetzt. Es stellte sich heraus, daß Hagrid genausoviel über Einhörner wußte wie über Monster, aber es war klar, daß ihn die Einhörner ein wenig enttäuschten, da sie ja keine Giftzähne hatten.

Er hatte es geschafft, zwei Einhorn-Fohlen zu fangen. Im Gegensatz zu ausgewachsenen Einhörnern waren sie von Kopf bis Schwanz von reiner goldener Farbe. Parvati und Lavender waren ganz hingerissen von diesem Anblick, und selbst Pansy Parkinson hatte Mühe zu verbergen, wie sehr sie die Tiere mochte.

»Leichter zu erkennen als die Alten«, erklärte Hagrid der Klasse.»Sie wer'n silbern, wenn sie etwa zwei Jahre alt sind, und mit vier Jahren wächst ihnen das Horn. Erst wenn sie ausgewachsen sind, mit etwa sieben, wer'n sie ganz weiß. Als Babys sind sie 'n wenig zutraulicher… haben nicht so viel gegen Jungs… nur zu, ein wenig näher ran, ihr könnt sie streicheln, wenn ihr wollt… gebt ihnen 'n paar von diesen Zuckerstückchen… Alles in Ordnung mit dir?«, murmelte Hagrid und zog Harry ein wenig beiseite, während die meisten anderen um die Baby-Einhörner herumschwärmten.

»Jaah«, sagte Harry.

»Bloß 'n bißchen nervös, nich?«, sagte Hagrid.»Bißchen«, murmelte Harry.

»Harry«, sagte Hagrid und gab ihm mit seiner massigen Hand einen solchen Klaps auf die Schulter, daß Harrys Knie unter der Wucht einknickten,»ich hab mir ja Sorgen gemacht, bevor ich gesehn hab, wie du's mit diesem Hornschwanz aufgenommen hast, aber jetzt weiß ich, du schaffst alles, was du dir in Kopf setzt. Ich mach mir jedenfalls keine Gedanken mehr drüber. Du kriegst das schon hin. Dein Rätsel hast du doch schon gelöst, nich?«

Harry nickte, doch noch während er dies tat, überkam ihn ein verrückter Drang zu gestehen, daß er keine Ahnung hatte, wie er eine Stunde lang am Grund des Sees überleben sollte. Er sah zu Hagrid auf – vielleicht hatte er schon ein paar Mal in den See steigen müssen, weil er sich um dessen Geschöpfe kümmern mußte? Schließlich pflegte er auch alle anderen Wesen der Ländereien -

»Du gewinnst«, knurrte Hagrid und klatschte erneut mit solcher Wucht auf Harrys Schulter, daß er buchstäblich ein paar Zentimeter in den sumpfigen Boden sank.»Das weiß ich. Hab ich im Gespür. Du gewinnst, Harry.«

Harry brachte es einfach nicht über sich, das glückliche, zuversichtliche Lächeln auf Hagrids Gesicht zu Eis gefrieren zu lassen. Er zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, trat scheinbar ganz interessiert zu den jungen Einhörnern und begann, seinen Mitschülern gleich, sie zu streicheln.

* * *

Am Abend vor der zweiten Aufgabe fühlte sich Harry in einem Alptraum gefangen. Selbst wenn er wie durch ein Wunder einen brauchbaren Zauber fand, so war ihm doch vollkommen klar, daß es ungeheuer schwer sein würde, ihn über Nacht noch zu erlernen. Wie hatte er es so weit kommen lassen können? Warum hatte er sich nicht früher an das Eierrätsel gesetzt? Wieso war er im Unterricht so oft mit den Gedanken woanders gewesen – was, wenn ein Lehrer einmal zufällig erwähnt hätte, wie man unter Wasser atmen konnte?

Während draußen die Sonne unterging, saßen Harry, Ron und Hermine in der Bibliothek, voreinander durch mächtige Stapel Zauberbücher verborgen, und blätterten fieberhaft Seite um Seite um. Harry zuckte jedes Mal heftig zusammen, wenn er das Wort»Wasser«auf einer Buchseite sah, doch meist hieß es da nur:»Man nehme einen Liter Wasser, ein halbes Pfund geschnittene Alraunenblätter und einen Molch…«

»Ich glaub, es geht einfach nicht«, hörte er Rons matte Stimme von der anderen Seite des Tisches her.»Nichts zu finden. Nichts. Was am ehesten noch ginge, wäre dieser Dreh, um Pfützen und Tümpel auszutrocknen, dieser Dürrezauber, aber der ist nie und nimmer mächtig genug, um diesen See trocken zu legen.«

»Es muß doch etwas geben«, murmelte Hermine und zog eine Kerze näher zu sich heran. Das Brüten über Alte und vergessene Hexereien und Zaubereien in dieser winzigen Schrift hatte ihre Augen so ermüdet, daß sie mit der Nasenspitze fast die Seiten berührte.»Sie würden doch nie eine Aufgabe stellen, die nicht zu lösen ist.«

»Haben sie aber«, sagte Ron.»Harry, du gehst morgen einfach runter zum See, steckst deinen Kopf ins Wasser und rufst nach den Wassermenschen, sie sollen dir bitteschön das zurückgeben, was sie dir gestohlen haben, und einfach rauswerfen. Mehr kannst du schlicht nicht machen, Alter.«

»Es gibt eine Möglichkeit!«, sagte Hermine.»Es muß doch eine geben!«Daß sich in der Bibliothek nichts Brauchbares finden ließ, schien sie als persönliche Beleidigung aufzufassen; nie zuvor hatten sie die Bücher im Stich gelassen.

»Ich weiß, was ich hätte tun sollen«, sagte Harry, der die Wange auf Scharfe Tricks für scharfe Typen gelegt hatte.»Ich hätte mich zum Animagus ausbilden lassen sollen, so wie Sirius.«

»Genau, dann hättest du dich jederzeit in einen Goldfisch verwandeln können!«, sagte Ron.

»Oder einen Frosch«, gähnte Harry. Er war erschöpft.

»Es dauert Jahre, bis man ein Animagus wird, und dann mußt du dich auch noch anmelden und so weiter«, sagte Hermine unwirsch. Sie hatte in/wischen das Stichwortverzeichnis von Tausend knifflige Zauberrätsel überflogen.»Wißt ihr das nicht mehr, Professor McGonagall hat es uns doch gesagt… du mußt dich dann beim Amt gegen den Mißbrauch der Magie eintragen lassen… welches Tier du werden willst, und deine besonderen Kennzeichen, damit du keinen Unsinn anstellst…«

»War doch nur 'n Witz, Hermine«, sagte Harry müde.»Ich weiß, ich habe keine Chance, mich bis morgen Abend in einen Frosch zu verwandeln…«

»Ach, das bringt doch überhaupt nichts«, sagte Hermine und klappte Tausend knifflige Zauberrätsel zu.»Wer um Himmels willen möchte schon, daß seine Nasenhaare als Ringellöckchen wachsen?«

»Fand ich nicht schlecht«, ertönte Fred Weasleys Stimme.»Könnte man mal drüber reden, oder?«

Harry, Ron und Hermine sahen auf. Fred und George waren gerade hinter einem Bücherregal hervorgetreten.

»Was treibt ihr zwei denn hier?«, fragte Ron.

»Wir suchen euch«, sagte George.»McGonagall will dich sprechen, Ron. Und dich auch, Hermine.«

»Warum?«, fragte Hermine verdutzt.

»Keine Ahnung… jedenfalls sah sie ziemlich angespannt aus«, sagte Fred.

»Wir sollen euch zu ihr ins Büro runterbringen«, sagte George.

Ron und Hermine starrten Harry an, dem sich der Magen zusammenzog. Wollte Professor McGonagall den beiden eine Strafpredigt halten? Vielleicht war ihr aufgefallen, wie viel sie ihm halfen, wo er doch allein herausfinden sollte, wie die Aufgabe zu lösen war?

»Wir treffen uns dann im Gemeinschaftsraum«, sagte Hermine und erhob sich zusammen mit Ron – beide schienen ziemlich beunruhigt.»Und bring möglichst viele von diesen Büchern mit, ja?«

»Gut«, sagte Harry bedrückt.

Um Punkt acht löschte Madam Pince alle Lampen und scheuchte Harry aus der Bibliothek. Er nahm so viele Bücher mit, wie er tragen konnte, und schwankte mit seiner Last zurück in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo er sich einen Tisch beiseite zog und seine Suche fortsetzte. In Magische Mätzchen für tumbe Zauberer war nichts… und auch nicht im Führer durch die mittelalterliche Hexenkunst… nicht ein Wort über Unterwasserausflüge in Eine Anthologie der Zauberei des achtzehnten Jahrhunderts oder in Grausige Wesen der Tiefe und auch nicht in Kräfte Ihres Innern, von denen Sie nie wußten, und was Sie jetzt damit anfangen.

Krummbein krabbelte auf Harrys Schoß und kuschelte sich sonor schnurrend darin ein. Allmählich wurde es um Harry herum leer. Manche wünschten ihm viel Glück für den nächsten Morgen und klangen dabei so fröhlich und zuversichtlich wie Hagrid. Offenbar waren sie alle überzeugt, er würde, wie schon bei der ersten Aufgabe, erneut einen verblüffenden Auftritt hinlegen. Harry konnte ihnen nicht antworten, er hatte das Gefühl, ein Golfball stecke ihm in der Kehle, und so nickte er nur. Er hatte alle mitgebrachten Bücher durchstöbert und Ron und Hermine waren noch immer nicht zurück. Es ist aus, sagte er sich. Du schaffst es nicht. Du mußt eben morgen früh runter zum See und es den Richtern ganz klar sagen…

Er sah sich schon gestehen, daß er die Aufgabe nicht lösen konnte. Er stellte sich Bagmans rundäugige Überraschung vor, Karkaroffs zufriedenes, gelbzähniges Lächeln. Er hörte beinahe schon, wie Fleur Delacour sagte:»Isch 'ab es gewußt, er ist doch nur ein kleiner Junge.«Er sah Malfoy mit seinem POTTER STINKT-Anstecker vor dem Publikum herumtänzeln, sah Hagrids enttäuschtes, ungläubiges Gesicht…

Harry stand urplötzlich auf, und da er ganz vergessen hatte, daß Krummbein auf seinem Schoß lag, landete der Kater auf dem Boden. Er fauchte zornig, versetzte Harry einen angewiderten Blick und stolzierte mit hoch aufgerichtetem Flaschenbürstenschwanz davon. Doch Harry stürmte bereits die Wendeltreppe zum Schlafsaal hoch… er wollte sich den Tarnurnhang schnappen und in die Bibliothek zurückkehren, und dort würde er die ganze Nacht bleiben, wenn es sein mußte…

»Lumos«, flüsterte Harry fünfzehn Minuten später, als er die Tür zur Bibliothek öffnete.

Mit leuchtender Zauberstabspitze schlich er an den Regalen entlang und zog Bücher heraus – noch mehr Bücher über Hexerei und Zauberei, Bücher über Wassermenschen und Wassermonster, Bücher über berühmte Hexen und Zauberer, über magische Erfindungen, Bücher über einfach alles, in denen vielleicht auch nur beiläufig erwähnt war, wie man unter Wasser überleben konnte. Er trug den Stapel hinüber zu einem Tisch und machte sich an die Arbeit. Im schmalen Lichtstrahl seines Zauberstabs blätterte er Seite um Seite um, hin und wieder sah er auf die Uhr…

Ein Uhr… zwei Uhr… um sich anzuspornen, blieb ihm nur, sich selbst einzureden: Im nächsten Buch… im nächsten… im nächsten…

* * *

Die Nixe auf dem Gemälde im Badezimmer der Vertrauensschüler lachte und lachte. Harry trieb wie ein Korken auf dem schaumigen Wasser um ihren Fels, während sie den Feuerblitz über seinem Kopf ausgestreckt hielt.

»Komm und hol ihn dir!«, giggelte sie hämisch.»Los, spring schon!«

»Ich kann nicht«, keuchte Harry, schnappte nach dem Feuerblitz und strampelte verzweifelt, um nicht unterzugehen.»Gib ihn her!«

Doch sie stieß ihm nur die Besenspitze schmerzhaft in die Seite und lachte ihn aus.

»Das tut weh – laß das sein – autsch -«

»Harry Potter muß aufwachen, Sir!«

»Hör auf mich zu stupsen -«

»Dobby muß Harry Potter stupsen, Sir, er muß aufwachen!«

Harry öffnete die Augen. Er war immer noch in der Bibliothek; der Tarnurnhang war ihm im Schlaf vom Kopf gerutscht und er lag mit der Wange auf dem Großen Selbsthilfebuch für Zauberer. Er setzte sich auf, rückte seine Brille zurecht und blinzelte ins helle Tageslicht.

»Harry Potter muß sich beeilen!«, quiekte Dobby.»Die zweite Runde beginnt in zehn Minuten, und Harry Potter -«»Zehn Minuten?«, krächzte Harry.»Zehn – zehn Minuten?«

Er blickte auf seine Uhr. Dobby hatte Recht. Es war zwanzig nach neun. Ein großes schweres Gewicht schien ihm durch die Brust in den Magen zu fallen.

»Beeilung, Harry Potter!«, quiekte Dobby und zupfte ihn am Ärmel.»Sie sollten längst unten am See bei den anderen Champions sein, Sir!«

»Es ist zu spät, Dobby«, sagte Harry mit hoffnungsloser Stimme.»Ich werde nicht antreten, ich weiß nicht, wie -«

»Harry Potter wird diese Aufgabe lösen!«, quiekte der Elf.»Dobby wußte, daß Harry nicht das richtige Buch gefunden hat, also hat Dobby es für ihn getan!«

»Was?«, sagte Harry.»Aber du weißt doch gar nicht, was in der zweiten Aufgabe drankommt -«

»Dobby weiß es sehr wohl, Sir! Harry Potter muß in den See hinein und seinen Wheezy finden -«»Meinen was finden?«

»- und seinen Wheezy von den Wassermenschen zurückholen!«

»Was ist ein Wheezy?«

»Ihren Wheezy, Sir, Ihren Wheezy – Wheezy, der Dobby seinen Pulli geschenkt hat!«

Dobby zupfte an dem geschrumpften kastanienbraunen Pulli, den er jetzt über seinen Shorts trug.

»Was?«, keuchte Harry.»Sie haben… sie haben Ron?«

»Das, was Harry Potter am meisten vermissen wird, Sir!«, quiekte Dobby.»Und nach einer Stunde -«

»›- fehlt dir das Glück‹«, zitierte Harry und sah den Elfen an,»›zu spät, 's ist fort und kommt nicht zurück.‹ Dobby – was muß ich tun?«

»Sie müssen essen, Sir!«, quiekte der Elf, steckte die Hand in die Tasche seiner Shorts und zog etwas heraus, das aussah wie eine Kugel aus schmierigen, graugrünen Rattenschwänzen.»Kurz bevor Sie in den See gehen, Sir – Dianthuskraut!«

»Was bewirkt das?«, fragte Harry und starrte die Krautkugel an.

»Es macht, daß Harry Potter unter Wasser atmen kann, Sir!«

»Dobby«, sagte Harry aufgebracht,»hör zu – bist du dir sicher?«

Er konnte nicht ganz vergessen, daß er das letzte Mal, als Dobby versucht hatte, ihm zu»helfen«, am Ende ohne Knochen in seinem rechten Arm im Krankenflügel gelandet war.

»Dobby ist sich ganz, ganz sicher, Sir!«, sagte der Elf mit ernster Miene.»Dobby hört dies und das, Sir, er ist ein Hauself, er geht im ganzen Schloß herum und macht Feuer und wischt die Böden, Dobby hat Professor McGonagall und Professor Moody im Lehrerzimmer gehört, wie sie über die nächste Aufgabe gesprochen haben… Dobby kann nicht zulassen, daß Harry Potter seinen Wheezy verliert!«

Harrys Zweifel schwanden. Er sprang auf und riß sich den Tarnurnhang herunter, stopfte ihn in seine Schultasche, packte die Dianthuskraut-Kugel und steckte sie in seinen Umhang, dann hetzte er mit Dobby auf den Fersen aus der Bibliothek.

»Dobby muß zurück in die Küche, Sir!«, quiekte Dobby, als sie in den Korridor stürzten.»Man wird Dobby vermissen – viel Glück, Harry Potter, Sir, viel Glück!«

»Bis später dann, Dobby!«, rief Harry, sprintete den Korridor entlang und nahm drei Stufen auf einmal die Treppen hinunter.

In der Eingangshalle traf er auf ein paar Nachzügler aus der Großen Halle, die durch das Eichenportal hinausgingen, um sich die zweite Runde anzusehen. Mit aufgerissenen Augen sahen sie Harry vorbeiflitzen, die steinerne Treppe hinunterrasen und, beinahe Colin und Dennis Creevey umrempelnd, hinaus aufs Gelände und in den sonnigen, kalten Tag spurten. Während er den grasbewachsenen Abhang hinunterjagte, sah er, daß die Tribünen, die im November das Drachengehege umgeben hatten, am anderen Ufer aufgebaut waren und sich im See darunter spiegelten; eine Sitzreihe über der anderen war bis auf den letzten Platz besetzt. Das aufgeregte Geschnatter und Getuschel der Menge hallte als merkwürdiges Summen über das Wasser, während Harry, inzwischen völlig außer Atem, am Ufer entlang auf die Richter zurannte, die wieder an einem golddrapierten Tisch direkt am Wasser saßen. Cedric, Fleur und Krum standen neben dem Richtertisch und sahen ihm entgegen.

»Ich… ich bin… da…«, keuchte Harry, bremste schlitternd ab und bespritzte Fleur versehentlich mit Uferschlamm.

»Wo hast du gesteckt?«, sagte eine herrische, mißbilligende Stimme.»Wir haben schon gewartet!«

Harry wandte sich um. Percy Weasley saß am Richtertisch – Mr Crouch war wieder einmal nicht erschienen.

»Schon gut, Percy!«, sagte Ludo Bagman, der ungeheuer erleichtert schien, Harry zu sehen.»Lassen Sie ihn doch erst mal Luft holen!«

Dumbledore lächelte Harry zu, doch Karkaroff und Madame Maxime schienen keineswegs erfreut, ihn zu sehen – nach ihren Mienen zu schließen hatten sie offenbar geglaubt, er würde nicht mehr auftauchen.

Harry stützte die Hände auf die Knie und rang nach Luft; er hatte solches Seitenstechen, daß es ihm vorkam, als hätte er ein Messer zwischen den Rippen. Aber er hatte nicht die Zeit, es ausklingen zu lassen; Ludo Bagman trat nun zwischen die Champions und stellte sie in drei Meter Abstand am Ufer entlang auf. Harry stand ganz am Ende der Reihe, neben Krum, der eine Badehose trug und seinen Zauberstab bereithielt.

»Alles klar, Harry?«, wisperte Bagman und zog Harry ein paar Schritte weiter von Krum fort.»Du weißt, wie du es anstellst?«

»Ja«, keuchte Harry und massierte sich die Rippen.

Bagman kniff ihm kurz in die Schulter und kehrte zum Richtertisch zurück; er richtete den Zauberstab, wie schon bei der Weltmeisterschaft, auf seine Kehle, sagte»Sonorus!«und ließ seine Stimme über das Wasser hinüber zu den Tribünen dröhnen.

»Es ist so weit, unsere Champions sind bereit für die nächste Aufgabe, die auf meinen Pfiff hin beginnt. Sie haben genau eine Stunde, um das zurückzuholen, was ihnen genommen wurde. Ich zähle also bis drei. Eins… zwei… drei!«

Der Pfiff hallte in der kalten, windstillen Luft schrill wider; auf den Tribünen brach Jubel und Beifall los; ohne sich darum zu kümmern, was die anderen Champions taten, zog Harry Schuhe und Socken aus, zog die Hand voll Dianthuskraut aus der Tasche, stopfte sich die Kugel in den Mund und watete hinaus in den See.

Das Wasser war so kalt, daß die Haut auf seinen Beinen brannte, als würde er durch ein Feuer und nicht durch eisiges Wasser gehen. Sein durchweichter Umhang hing ihm immer schwerer von den Schultern, während er tiefer hineinwatete. Das Wasser stand ihm über den Knien und seine rasch ertaubenden Füße rutschten über Schlick und flache, glitschige Steine. Er kaute das Dianthuskraut, so kraftvoll und schnell er konnte; es fühlte sich unangenehm schleimig und gummiartig an wie die Greifarme eines Tintenfischs. Hüfthoch im eisigen Wasser hielt er inne, schluckte und wartete darauf, daß etwas passierte.

Er konnte Gelächter aus dem Publikum hören und wußte, daß er bescheuert aussehen mußte, wie er da im See herumtapste ohne auch nur ein Anzeichen für magische Kräfte. Was noch trocken an ihm war, war Gänsehaut, und bis zur Brust im kalten Wasser stehend blies nun auch noch eine grausame Brise durch sein Haar, und es begann ihn vor Kälte heftig zu schütteln. Er mied den Blick hinüber zu den Tribünen; das Gelächter wurde lauter und die Slytherins begannen zu buhen und zu höhnen…

Dann, ganz plötzlich, fühlte sich Harry, als würde ihm ein unsichtbares Kissen auf Mund und Nase gedrückt. Er versuchte Luft zu holen, doch es drehte sich alles in seinem Kopf; seine Lungen waren leer und er spürte plötzlich einen stechenden Schmerz zu beiden Seiten seines Halses -

Harry klammerte die Hände um den Hals und spürte zwei große, gelippte Schlitze gleich unter den Ohren, die in der kalten Luft flatterten… er hatte Kiemen. Ohne weiter nachzudenken, tat er das Einzige, was Sinn hatte – er warf sich bäuchlings ins Wasser.

Der erste Zug eisigen Wassers kam ihm vor wie das lebensrettende Atemholen. Der Wirbel in seinem Kopf legte sich; er nahm einen weiteren kräftigen Zug Wasser und spürte, wie es sanft durch seine Kiemen floß und Sauerstoff in sein Gehirn schickte. Er streckte die Hände vor sich aus und betrachtete sie. Unter Wasser wirkten sie gespenstisch grün und zwischen den Fingern hatten sich Schwimmhäutchen gebildet. Er neigte den Kopf nach unten und musterte seine nackten Füße – sie waren länger geworden, und auch zwischen seinen Zehen waren nun Schwimmhäutchen; es sah aus, als wären ihm Flossen gewachsen.

Das Wasser schien ihm nun auch nicht mehr eisig… im Gegenteil, er fühlte sich angenehm, kühl und sehr leicht. Harry machte noch einen Schwimmzug und freute sich, wie schnell und weit seine Flossenfüße ihn durchs Wasser trieben, freute sich, wie klar er jetzt sehen konnte und daß er nicht mehr zu blinzeln brauchte. Bald war er so weit in den See hineingeschwommen, daß er den Grund nicht mehr sehen konnte. Er senkte den Kopf und stieß sich hinunter in die Tiefen.

Stille drückte auf seine Ohren, während er über eine fremde, dunkle, neblige Landschaft schwebte. Er hatte nur drei Meter Sicht, und während er rasch durchs Wasser glitt, tauchten plötzlich immer neue Landschaften aus der Dunkelheit auf: Wälder aus wimmelndem schwarzem Tang, weite, mit matt schimmernden Steinen übersäte Schlickebenen. Tiefer hinunter schwamm er, und weit hinaus in die Mitte des Sees, mit aufgerissenen Augen durch das schauerlich graue Licht starrend, auf die Schatten um ihn her, die er nicht durchdringen konnte.

Kleine Fische flitzten an ihm vorbei wie Silberpfeile. Das eine oder andere Mal glaubte er etwas Großes vor sich zu erkennen, doch wenn er näher kam, entdeckte er, daß es nur ein dicker, geschwärzter Baumstamm war oder ein dichtes Tanggeflecht. Von den anderen Champions, von Wassermenschen, von Ron war keine Spur zu entdecken – und glücklicherweise auch nicht von dem Riesenkraken.

Hellgrüner Tang erstreckte sich vor ihm, so weit sein Blick reichte, meterhoch, wie eine wild verwucherte Wiese. Harry spähte ohne zu blinzeln in die Tiefen und versuchte in dem düsteren Licht Gestalten zu erkennen… und dann, ohne Vorwarnung, packte ihn etwas am Knöchel.

Harry wirbelte herum und sah einen Grindeloh, einen kleinen, gehörnten Wasserdämon, den Kopf aus dem Tang strecken, die langen Finger fest um Harrys Bein geklammert und die spitzen Vorderzähne gebleckt – rasch steckte Harry seine mit Schwimmhäutchen bewachsene Hand in die Tasche und tastete nach seinem Zauberstab – aber bis er ihn in den Fingern hatte, waren zwei weitere Grindelohs aus dem Tang aufgetaucht, hatten sich an seinem Umhang festgeklammert und versuchten ihn in die Tiefe zu ziehen.

»Relaschio!«, rief Harry, doch kein Laut kam aus seinem Mund… nur eine große Blase, und sein Zauberstab schoß auch keinen Funkenstrom gegen die Grindelohs, sondern einen Strahl offenbar kochend heißen Wassers, denn da, wo er sie traf, flammten rote Flecken auf ihrer grünen Haut auf. Harry entwand sein Bein dem Griff der Grindelohs und schwamm, so schnell er konnte, davon; hin und wieder jagte er einen weiteren heißen Wasserstrahl blindlings über die Schultern, denn ihm war, als ob ein Grindeloh noch immer nach seinem Fuß schnappte. Dann stieß er heftig nach hinten aus, und endlich spürte er, wie sein Fuß einen gehörnten Schädel traf, und als er einen Blick zurückwarf, sah er den benommenen Grindeloh mit schielendem Blick davontreiben, während seine Mitdämonen wütend die Faust gegen ihn reckten und sich in ihren Tang zurücksinken ließen.

Harry ging es nun ein wenig langsamer an, steckte den Zauberstab in den Umhang und blickte lauschend umher, während er einen großen Kreis im Wasser schwamm. Die Stille lastete nun noch schwerer auf seinen Trommelfellen. Er wußte, daß er tief unten im See sein mußte, doch nichts außer dem wimmelnden Tang bewegte sich.»Wie kommst du so voran?«

Harry war einem Herzanfall nahe. Er wirbelte herum und sah die Maulende Myrte im nebligen Licht vor sich schwimmen und ihn durch ihre dicke Perlmuttbrille anstarren.

»Myrte!«, versuchte Harry zu rufen, doch wiederum kam nichts als eine große Blase aus seinem Mund. Doch der Maulenden Myrte gelang es zu kichern.

»Vielleicht probierst du es mal dort drüben!«, sagte sie und deutete ins Trübe.»Ich komm nicht mit… ich mag sie nicht besonders, sie jagen mich immer, wenn ich ihnen zu nahe komme…«

Harry bedankte sich mit nach oben gerecktem Daumen und schwamm erneut los, darauf bedacht, etwas höher über dem Tang zu bleiben, um den Grindelohs, die vielleicht noch auf ihn lauerten, zu entgehen.

Er schwamm, wie es ihm vorkam, mindestens zwanzig Minuten lang. Weite Ebenen schwarzen Schlamms, von seinen Flossen trüb aufgewirbelt, zogen unter ihm hinweg. Dann endlich hörte er einen Fetzen jenes Wassermenschenliedes, das er nicht mehr vergessen würde:

»In einer Stunde mußt du es finden

und es uns dann auch wieder entwinden…«

Nach ein paar raschen Zügen sah Harry vor sich einen großen Fels aus dem trüben Wasser auftauchen. Auf den Stein waren Wassermenschen gemalt; sie trugen Speere und waren offenbar auf der Jagd nach Riesenkraken. Harry schwamm weiter, am Fels vorbei, und folgte dem Wassermenschenlied.

»… die Zeit ist halb um, so zaudre nicht,

sonst sieht, was du suchst, nie mehr das Licht.«

Aus der Dunkelheit ragten plötzlich einige primitive und mit Algen bewachsene steinerne Behausungen ins trübe Licht. Durch die dunklen Fenster sah Harry hie und da ein paar Gesichter… Gesichter, die nicht entfernt der Nixe auf jenem Badezimmergemälde ähnelten…

Die Wassermenschen hatten gräuliche Haut und langes, wildes, dunkelgrünes Haar. Ihre Augen waren gelb, wie ihre splittrigen Zähne, und sie trugen dicke Perlenschnüre um den Hals. Mit scheelen Blicken verfolgten sie grinsend, wie Harry vorbeischwamm; einige wenige kamen aus ihren Höhlen, um ihn besser betrachten zu können; sie trugen Speere in den Händen und durchpeitschten das Wasser mit ihren kräftigen silbernen Schwanzflossen.

Harry schwamm rasch weiter, spähte umher und sah bald noch weitere Behausungen auftauchen; um. manche davon waren Tanggärten angelegt, und vor einer Tür, an einem Pfahl angeleint, sah er sogar einen Hausgrindeloh. Von allen Seiten erschienen jetzt Wassermenschen und betrachteten ihn neugierig, deuteten auf seine Flossenhände und Kiemen und tuschelten hinter vorgehaltenen Händen miteinander. Schnell bog Harry um einen Felsen, doch dahinter tat sich ein sonderbares Schauspiel vor ihm auf. Eine ganze Schar Wassermenschen schwebte vor einer Häuserreihe, die eine Art Dorfplatz bildete, nur daß dieser Platz unter Wasser errichtet war. Ein Wassermenschenchor in der Mitte des Platzes sang jenes Lied, das die Champions anlocken sollte, und hinter dem Chor ragte eine Statue auf: ein gigantischer Wassermensch, mit groben Schlägen aus einem mächtigen Geröllblock gehauen. An die Schwanzflosse des steinernen Wassermenschen waren vier Menschen gefesselt.

Ron hatten sie zwischen Hermine und Cho Chang angebunden. Mit dabei war auch ein Mädchen, das nicht älter als acht schien. Die silbrige Haarwolke, die um es her im Wasser schwebte, ließ Harry sicher sein, daß es Fleur Delacours Schwester war. Alle vier schienen in einen sehr tiefen Schlaf versunken. Die Köpfe hingen schlaff herunter und Ströme feiner Blasen quollen aus ihren Mündern.

Harry schwamm mit raschen Zügen auf die Geiseln zu, in der Furcht, daß die Wassermenschen ihre Speere senken und gegen ihn schleudern würden, doch nichts geschah. Die Gefangenen waren mit dicken, glibberigen und sehr zähen Tangschlingen an die Statue gefesselt. Einen kurzen Augenblick lang dachte er an das Messer, das ihm Sirius zu Weihnachten geschenkt hatte – aber es lag sicher verwahrt und völlig nutzlos in seinem Koffer im Schloß.

Er sah sich um. Viele der Wassermenschen, die ihn und die vier Geiseln umkreisten, trugen Speere. Er schwamm auf einen über zwei Meter großen Wassermann mit langem grauem Bart und einer Halskette aus Haifischzähnen zu und versuchte ihm grimassierend und fuchtelnd verständlich zu machen, daß er sich seinen Speer ausleihen wolle. Der Wassermann lachte und schüttelte den Kopf.»Wir helfen nicht«, sagte er mit knirschender und krächzender Stimme.

»Nun mach schon!«, sagte Harry wütend (doch nur Blasen kamen aus seinem Mund) und versuchte dem Wassermann den Speer zu entwinden, doch er riß ihn an sich, schüttelte wieder den Kopf und lachte.

Harry wirbelte herum und blickte umher. Etwas Scharfes… irgend etwas… Auf dem Boden des Sees lagen Steine verstreut. Er schwamm hinab, holte sich einen besonders scharf gezackten Stein und kehrte zu der Statue zurück. Dann begann er auf die Taue einzuhacken, mit denen Ron gefesselt war, und nach einigen Minuten harter Arbeit rissen sie. Ron blieb bewußtlos ein paar Zentimeter über dem Seegrund schweben und dümpelte langsam dahin.

Harry sah sich um. Von den anderen Champions war keine Spur zu sehen. Worauf warteten sie? Warum beeilten sie sich nicht? Er wandte sich nun Hermine zu, hob den gezackten Stein und begann auch auf ihre Fesseln einzuhacken -

Doch schon packten ihn mehrere Paar starker grauer Hände. Ein halbes Dutzend Wassermänner schüttelten die grünhaarigen Köpfe und zogen ihn lachend von Hermine fort.

»Du nimmst deine eigene Geisel«, sagte einer der Wassermänner.»Laß die anderen hier…«

»Unmöglich!«, wollte Harry aufgebracht schreien – doch seinem Mund entwichen nur zwei große Blasen.

»Deine Aufgabe ist es, deinen Freund zurückzuholen… laß die anderen hier…«

»Mit ihr bin ich auch befreundet!«, rief Harry und gestikulierte zu Hermine hinüber, wobei ihm eine riesige silberne Blase geräuschlos aus dem Mund trat.»Und die anderen sollen auch nicht sterben!«

Chos Kopf lag auf Hermines Schulter; das kleine silberhaarige Mädchen war gespenstisch grün und fahl. Harry mühte sich verzweifelt, die Wassermänner abzuschütteln, doch sie lachten nur noch lauter und hielten ihn fest. Harry blickte hektisch um sich. Wo blieben die anderen Champions? Hatte er noch Zeit, Ron nach oben zu bringen und dann zurückzukommen, um Hermine und die anderen zu holen? Würde er sie dann wieder finden? Er sah auf die Uhr, um zu prüfen, wie viel Zeit ihm noch blieb – aber sie war stehen geblieben. Nun jedoch deuteten die Wassermänner um ihn her auf etwas über seinem Kopf. Harry blickte auf und sah Cedric auf sich zuschwimmen. Sein Kopf steckte in einer mächtigen Blase, die seine Züge merkwürdig weitete und spannte.

»Hab mich verirrt!«, formte er mit den Lippen, die Augen voller Panik.»Fleur und Krum kommen gleich!«

Harry fiel ein Stein vom Herzen, und er beobachtete, wie Cedric ein Messer aus der Tasche zog und Chos Fesseln durchschnitt. Er zog sie in die Höhe und verschwand mit ihr.

Harry sah sich angespannt um. Wo blieben Fleur und Krum? Die Zeit wurde allmählich knapp, und dem Lied zufolge waren die Geiseln nach einer Stunde verloren…

Die Wassermenschen kreischten erregt. Jene, die Harry festhielten, lockerten ihren Griff und schauten über die Schultern. Auch Harry wandte sich um und sah etwas Monströses durch das Wasser furchen: ein menschlicher Körper in Badehosen mit dem Kopf eines Hais… es war Krum. Erschien sich selbst verwandelt zu haben – allerdings nicht besonders gut.

Der Hai-Mann schwamm geradewegs auf Hermine zu und begann an ihren Fesseln zu reißen und zu beißen: Das Problem war nur, daß Krums neue Zähne wenig dazu geeignet waren, etwas Kleineres als einen Delphin zu zerbeißen, und Harry sah es schon kommen, daß Krum, wenn er nicht vorsichtig war, Hermine in zwei Teile reißen würde. Er schoß auf ihn zu, schlug ihm hart auf die Schulter und hielt den gezackten Stein in die Höhe. Krum packte den Stein und begann Hermine freizuhacken. Nach Sekunden schon war es ihm gelungen; er schlang den Arm um Hermines Taille und schwamm ohne einen Blick zurück davon.

Was jetzt?, dachte Harry verzweifelt. Wenn er nur sicher wüßte, daß Fleur auf dem Weg war… noch war nichts von ihr zu sehen. Es blieb ihm nichts anderes übrig…

Er holte den Stein vom Grund, den Krum hatte fallen lassen, doch die Wassermänner kamen näher, bildeten nun einen Kreis um Ron und das kleine Mädchen und schüttelten die Köpfe.

Harry zog seinen Zauberstab.»Aus dem Weg!«

Nur Blasen sprudelten ihm aus dem Mund, aber er war sich sicher, daß die Wassermänner ihn verstanden hatten, denn plötzlich hörten sie auf zu lachen. Mit ihren gelblichen Augen blickten sie gebannt und verängstigt auf Harrys Zauberstab. Harry war allein und sie waren viele, doch nach ihren Mienen zu schließen konnten sie genauso wenig zaubern wie der Riesenkrake.

»Ich zähle bis drei!«, rief Harry; ein langer Strom aus Blasen quoll aus seinem Mund, doch er hielt drei Finger in die Höhe, damit sie die Botschaft auch sicher verstanden.»Eins…«(er zog einen Finger ein) -»zwei…«(er zog den zweiten Finger ein) -

Sie wichen zurück. Harry schoß auf das kleine Mädchen zu und hieb mit dem Stein auf das Tau ein, mit dem es an die Statue gefesselt war; und endlich war auch sie befreit. Er schlang den Arm um die Taille des Mädchens, packte Ron hinten am Umhang und stieß mit seinen Beinen durchs Wasser.

Er kam nur langsam und mühsam voran. Seine Schwimmhände konnte er nicht mehr benutzen, um sich anzutreiben; er ruderte verzweifelt mit seinen Beinen, doch Ron und Fleurs Schwester waren wie Säcke voll Kartoffeln, die ihn hinabzogen… er wandte das Gesicht nach oben, obwohl das Wasser über ihm noch dunkel war und er wußte, daß er noch tief unten sein mußte…

Auch Wassermenschen stiegen mit ihm hoch. Sie schlängelten völlig mühelos um ihn herum und beobachteten, wie er sich durch das Wasser kämpfte… würden sie ihn zurück in die Tiefe ziehen, wenn die Zeit um war? Fraßen sie vielleicht sogar Menschen? Harrys Beine verkrampften sich vor Anstrengung; seine Schultern schmerzten furchtbar unter der Last Rons und des Mädchens, die sie nach oben ziehen mußten…

Das Luftholen war nun unerträglich schwer geworden. Wieder spürte er Schmerzen an beiden Seiten seines Halses… jetzt wurde ihm auch bewußt, daß sein Mund voll Wasser war… aber die Dunkelheit war jetzt nicht mehr so undurchdringlich… über sich konnte er das Tageslicht sehen…

Er stieß mit den Beinen kräftig nach unten und entdeckte, daß er wieder ganz normale Füße hatte… Wasser drang ihm durch den Mund in die Lungen… er fühlte sich schwindlig und benommen, doch er wußte, daß nur drei Meter über ihm Licht und Luft waren… er mußte es bis oben schaffen… er mußte einfach…

Harry ruderte so verzweifelt mit seinen Beinen, daß es sich anfühlte, als würden seine Muskeln vor Empörungschreien; sogar sein Kopf schien voll Wasser, er konnte nicht atmen, er brauchte Sauerstoff, er mußte weitermachen, er durfte nicht aufhören -

Und dann spürte er, wie sein Kopf durch die Wasseroberfläche stieß; wunderbare, kalte, klare Luft stach ihm ins nasse Gesicht; er sog sie in mächtigen Zügen ein, und es schien ihm, als hätte er in seinem Leben noch nie richtig geatmet. Keuchend zog er Ron und das kleine Mädchen hoch an die Luft. Überall um ihn her tauchten wilde, grünbehaarte Köpfe aus dem Wasser und lächelten ihm zu.

Die Menge auf der Tribüne machte einigen Lärm; alle waren aufgesprungen und riefen und schrien; Harry hatte den Eindruck, daß sie Ron und das Mädchen für tot hielten, doch sie irrten sich… beide hatten die Augen geöffnet; das Mädchen sah ängstlich und verwirrt aus und Ron spuckte nur einen großen Wasserstrahl aus, blinzelte im hellen Licht, wandte sich Harry zu und sagte:»Naß, oder?«Dann erkannte er Fleurs Schwester.»Warum hast du die mitgebracht?«

»Fleur ist nicht gekommen. Ich konnte sie nicht da unten lassen«, keuchte Harry.

»Harry, du Trottel!«, sagte Ron,»du hast dieses Lied doch nicht etwa ernst genommen? Dumbledore hätte doch keinen von uns im Stich gelassen!«

»Aber in dem Lied heißt es -«

»Nur damit ihr auch ja innerhalb der Zeit wieder zurückkommt!«, sagte Ron.»Ich hoffe, du hast da unten nicht deine Zeit verplempert und den Helden gespielt!«

Harry kam sich dumm vor und war zugleich verärgert. Ron hatte gut reden; er hatte ja geschlafen, er hatte nicht erlebt, wie schaurig es dort unten im See gewesen war, umkreist von speertragenden Wassermännern, die durchaus zum Töten bereit schienen.

»Komm her«, sagte er schroff,»hilf mir mit dem Mädchen, ich glaub nicht, daß sie allzu gut schwimmen kann.«

Sie zogen Fleurs Schwester durch das Wasser, hinüber zum Ufer, wo die Richter standen und sie beobachteten. Begleitet wurden sie von einer Art Ehrengarde aus zwanzig Wassermenschen, die ihre fürchterlich kreischigen Lieder sangen.

Harry sah, wie Madam Pomfrey um Hermine, Krum, Cedric und Cho herumwirbelte, die allesamt in dicke Decken eingewickelt waren. Dumbledore und Ludo Bagman standen da und strahlten Harry und Ron entgegen, die jetzt auf das Ufer zuschwammen, doch Percy, der sehr blaß und merkwürdig jünger aussah als sonst, kam ins Wasser gepatscht, um sie zu begrüßen.

Unterdessen versuchte Madame Maxime Fleur zu bändigen, die vollkommen aufgelöst schien und sich mit Zähnen und Klauen kämpfend zurück ins Wasser stürzen wollte.

»Gabrielle! Gabrielle! Lebt sie noch! Ist sie verletzt?«

»Ihr geht's gut!«, wollte Harry ihr zurufen, doch er war so erschöpft, daß er kaum sprechen und schon gar nicht laut rufen konnte.

Percy schnappte sich Ron und zerrte ihn ans Ufer (»Hau ab, Percy, mir geht's gut!«); Dumbledore und Bagman zogen Harry auf die Beine; Fleur hatte sich Madame Maximes Griff entwunden und umarmte ihre Schwester.

»Es waren die Grindelohs… sie 'aben misch angegriffen… oh, Gabrielle, isch dachte schon… isch dachte…«

»Komm hierher zu mir, Junge«, sagte Madam Pomfrey; sie packte Harry am Arm, zog ihn hinüber zu Hermine und den anderen, wickelte ihn so fest in eine Decke, daß er sich vorkam wie in einer Zwangsjacke, und flößte ihm resolut einen Löffel sehr heißen Zaubertranks ein. Dampf stob ihm aus den Ohren.

»Gut gemacht, Harry!«, rief Hermine.»Du hast es geschafft, du hast es ganz allein rausgefunden!«

»Na ja -«, sagte Harry. Er hätte ihr gerne von Dobby erzählt, doch soeben war ihm aufgefallen, daß Karkaroff ihn beobachtete. Er war der einzige Richter, der den Tisch nicht verlassen hatte; der einzige Richter, der nicht erfreut und erleichtert schien, daß Harry, Ron und Fleurs Schwester wohlbehalten zurück waren.»Ja, stimmt schon«, sagte Harry und hob ein wenig die Stimme, damit Karkaroff ihn hören konnte.

»Du hast eine Wasserkäfer in deine Haar, Erminne«, sagte Krum.

Harry hatte den Eindruck, daß Krum versuchte, ihre Aufmerksamkeit wiederzugewinnen, vielleicht um sie daran zu erinnern, daß er sie gerade aus dem See gerettet hatte, doch Hermine wischte den Wasserkäfer unwirsch weg und sagte:»Aber du hast die Zeit weit überschritten, Harry… hast du so lange gebraucht, um uns zu finden?«

»Nein… gefunden hatte ich euch schon lange…«

Harry kam sich allmählich ziemlich belämmert vor. Nun, wieder auf dem Trockenen, war er sich sicher, daß Dumbledore keine Geisel hätte sterben lassen, nur weil ihr Champion nicht zu ihr durchkam. Warum hatte er sich nicht einfach Ron geschnappt und war verschwunden? Er wäre der Erste gewesen… Cedric und Krum hatten keine Zeit damit verschwendet, sich um irgendjemanden zu kümmern; sie hatten das Wasserlied nicht ernst genommen…

Dumbledore kauerte am Ufer, vertieft in ein Gespräch mit einem Wassermenschen, offenbar der Anführerin, einer besonders wild und grimmig aussehenden Nixe. Dumbledore machte genau jene Geräusche, die die Wassermenschen von sich gaben, wenn sie an der Oberfläche waren; offensichtlich konnte er Meerisch sprechen. Schließlichrichtete er sich auf, wandte sich seinen Richterkollegen zu und sagte:»Ich denke, wir sollten uns beraten, bevor wir die Noten vergeben.«

Die Richter scharten sich eng zusammen. Madam Pomfrey ging hinüber, um Ron aus Percys Klammergriff zu lösen; sie führte ihn zu Harry und den anderen, gab ihm eine Decke und ein wenig Aufpäppel-Trank, dann ging sie Fleur und ihre Schwester holen. Fleur hatte viele Schnittwunden auf Gesicht und Armen und ihr Umhang war zerfetzt, doch es schien sie nicht zu kümmern, und sie gestattete Madam Pomfrey nicht einmal, die Wunden zu reinigen.

»Kümmern Sie sisch um Gabrielle«, sagte sie und wandte sich Harry zu.»Du 'ast sie gerettet«, keuchte sie.»Obwohl sie nischt deine Geisel war.«

»Ja-ah«, sagte Harry, der inzwischen zutiefst bereute, nicht alle drei Mädchen in Fesseln an der Statue gelassen zu haben.

Fleur stürzte sich nun auch auf ihn und gab ihm einen Kuß. Hermine machte ein zorniges Gesicht, doch in diesem Augenblick dröhnte Ludo Bagmans magisch verstärkte Stimme neben ihnen hinaus auf den See, sie zuckten zusammen und die Menge auf der Tribüne wurde ganz still.

»Meine Damen und Herren, wir haben unsere Entscheidung getroffen. Seehäuptling in Murcus hat uns genau geschildert, was auf dem Grund des Sees geschehen ist, und wir haben daher beschlossen, die Champions bei fünfzig möglichen Punkten wie folgt zu benoten…

Miss Fleur Delacour hat zwar gezeigt, daß sie hervorragend mit dem Kopfblasenzauber umgehen kann, doch sie wurde von Grindelohs angegriffen, als sie sich ihrem Ziel näherte, und hat es nicht geschafft, ihre Geisel zu befreien. Wir erteilen ihr fünfundzwanzig Punkte.«

Applaus von der Tribüne.

»Isch 'ab eigentlisch keinen verdient«, krächzte Fleur und schüttelte ihren herrlichen Kopf.

»Mr Cedric Diggory, der ebenfalls den Kopfblasenzauber verwendet hat, kam als Erster mit seiner Geisel zurück, allerdings nach der gesetzten Zeit von einer Stunde.«Gewaltiger Jubel von den Hufflepuffs im Publikum; Harry sah, wie Cho Cedric einen glühenden Blick schenkte.»Deshalb geben wir ihm siebenundvierzig Punkte.«

Harry wurde schwer ums Herz. Wenn Cedric die Zeit überschritten hatte, was war dann erst mit ihm?

»Mr Viktor Krum hat eine unvollständige Verwandlung benutzt, die dennoch sehr wirksam war, und ist als Zweiter mit seiner Geisel zurückgekehrt. Wir geben ihm vierzig Punkte.«

Karkaroff klatschte besonders laut und mit überlegenem Mienenspiel.

»Mr Harry Potter hat mit bester Wirkung Dianthuskraut genommen«, fuhr Bagman fort.»Er kehrte als Letzter zurück und weit über dem Zeitlimit von einer Stunde. Wie uns die Seehäuptlingin allerdings mitteilt, hat Mr Potter die Geiseln als Erster erreicht, und die Verspätung bei seiner Rückkehr war seiner Entschlossenheit geschuldet, alle Geiseln, nicht nur die seine, in Sicherheit zu bringen.«

Ron und Hermine warfen Harry halb aufgebrachte, halb mitleidige Blicke zu.

»Die Mehrzahl der Richter«- und an dieser Stelle versetzte Bagman Karkaroff einen sehr bissigen Blick -»sind der Überzeugung, daß dies moralisches Rückgrat beweist und mit der vollen Punktzahl belohnt werden sollte. Dennoch… Mr Potters Ergebnis lautet fünfundvierzig Punkte.«

Harrys Magen sprang ihm in die Kehle – jetzt war er mit Cedric zusammen auf dem ersten Platz. Ron und Hermine, auf dem falschen Fuß erwischt, sahen Harry mit großen Augen an und begannen dann wie die anderen wild zu klatschen.

»Da hast du es, Harry!«, rief Ron durch den Trubel.»Du warst überhaupt nicht blöde – du hast moralisches Rückgrat bewiesen!«

Auch Fleur klatschte begeistert, während Krum überhaupt nicht glücklich schien. Wieder versuchte er, Hermine in ein Gespräch zu verwickeln, doch sie war zu sehr damit beschäftigt, Harry zu bejubeln, um hinzuhören.

»Die dritte und letzte Runde des Turniers findet am vier-undzwanzigsten Juni bei Einbruch der Dunkelheit statt«, fuhr Bagman fort.»Wir werden den Champions genau einen Monat vorher mitteilen, was auf sie zukommt. Dank an alle für die Unterstützung ihrer Champions.«

Es ist vorbei, dachte Harry benommen, und schon bugsierte Madam Pomfrey die Champions und ihre Geiseln zurück ins Schloß, wo sie trockene Kleider anziehen sollten Es war vorbei, er war durchgekommen… er mußte sich jetzt bis zum vierundzwanzigsten Juni um gar nichts mehr sorgen…

Das nächste Mal, wenn ich nach Hogsmeade komme, so beschloß er, als er die Steinstufen zum Schloß hochging, das nächste Mal kaufe ich Dobby für jeden Tag des Jahres ein Paar Socken.

Tatzes Rückkehr

Der ganze Trubel nach der zweiten Runde, als alle unbedingt hören wollten, was denn genau auf dem Grund des Sees geschehen war, hatte vor allem ein Gutes: Ron stand wenigstens einmal gemeinsam mit Harry im Rampenlicht. Harry fiel auf, daß Ron seine Geschichte jedes Mal ein wenig anders erzählte. Die erste Darstellung schien durchaus noch der Wahrheit zu entsprechen; sie stimmte jedenfalls mit dem überein, was Hermine berichtete: Dumbledore hatte in Professor McGonagalls Büro die Geiseln in einen Zauberschlaf versetzt, nachdem er ihnen versichert hatte, ihnen würde nichts geschehen und sie würden erst wieder aufwachen, wenn sie an Land seien. Eine Woche später jedoch erzählte Ron die nervenzerfetzende Geschichte einer Entführung, bei der er allein gegen fünfzig schwer bewaffnete Wassermenschen gekämpft habe, die ihn erst hätten zusammenschlagen müssen, um ihn fesseln zu können.

»Aber ich hatte meinen Zauberstab im Ärmel versteckt«, beteuerte er Padma Patil, die nun, da Ron so viel Beachtung fand, offenbar viel schärfer auf ihn war und jedes Mal, wenn sie ihm im Korridor begegnete, unter großem Hallo unbedingt mit ihm sprechen wollte.»Diese Wasseridioten hätt ich jederzeit erledigen können.«

»Und wie bitte hättest du das angestellt, wolltest du sie vielleicht anschnarchen?«, giftete Hermine. Sie hatte sich viele Sticheleien anhören müssen, weil sie es war, die Viktor Krum am meisten vermißte, und war in ziemlich gereizter Stimmung.

Ron wurde rot um die Ohren und kehrte von Stund an zu der Geschichte mit dem Zauberschlaf zurück.

Anfang März wurde das Wetter trockener, aber wenn sie draußen auf dem Land waren, röteten ihnen furchtbare Winde die Hände und Gesichter. Ihre Briefe kamen verspätet an, denn die Stürme bliesen die Eulen aus ihren Flugbahnen. Der Waldkauz, den Harry Sirius mit dem Datum des Hogsmeade-Wochenendes geschickt hatte, tauchte eines Freitagmorgens beim Frühstück auf, und die Hälfte seiner Federn war in die falsche Richtung gebürstet; kaum hatte Harry Sirius' Antwort von seinem Bein gerissen, flatterte er wieder davon, offensichtlich aus Furcht, er würde gleich wieder in die Lüfte geschickt.

Sirius' Brief war fast so kurz wie sein voriger.

Komm Samstagnachmittag um zwei zu dem Gatter an der Straße, die aus Hogsmeade herausführt (an Derwisch und Banges vorbei). Bring so viel Eßbares mit, wie du tragen kannst.

»Er ist doch nicht etwa wieder in Hogsmeade?«, sagte Ron ungläubig.

»Sieht ganz danach aus«, meinte Hermine.

»Das kann er doch nicht machen«, sagte Harry mit angespannter Stimme.»Wenn sie ihn fassen…«

»Bis hierher ist er jedenfalls durchgekommen«, sagte Ron.»Und in diesem Kaff wird sich jetzt wohl kein Dementor mehr rumtreiben.«

Nachdenklich faltete Harry den Brief zusammen. Wenn er ehrlich zu sich war, wollte er Sirius wirklich gern wieder sehen. In die letzte Doppelstunde an diesem Nachmittag -Zaubertränke – ging er jedenfalls viel besser gelaunt als sonst, wenn er die Treppen zu den Kerkern hinunterstieg.

Malfoy, Crabbe und Goyle standen vor der Klassenzimmertür und hatten die Köpfe mit einigen Slytherin-Mädchen aus Pansy Parkinsons Bande zusammengesteckt. Sie kicherten ausgelassen über etwas, das Harry nicht sehen konnte. Als die drei näher kamen, lugte Pansys aufgeregtes Mopsgesicht hinter Goyles breitem Rücken hervor.

»Da sind sie ja, da sind sie!«, giggelte sie, und die Slytherin-Traube stob auseinander. Harry sah, daß Pansy eine Illustrierte in der Hand hielt – die Hexenwoche. Das bewegte Titelbild zeigte eine lockenhaarige Hexe, die zähneblitzend lächelte und mit dem Zauberstab auf einen großen Biskuit-kuchen deutete.

»Da steht was drin, das dich sicher interessieren wird, Granger!«, rief Pansy und warf die Illustrierte Hermine zu, die sie verdutzt auffing. In diesem Augenblick öffnete sich die Kerkertür und Snape winkte sie herein.

Harry, Ron und Hermine gingen wie immer schnurstracks auf einen Tisch ganz hinten zu. Sobald Snape ihnen den Rücken gekehrt hatte, um die Zutaten des heutigen Tranks an die Tafel zu schreiben, blätterte Hermine unter dem Tisch hastig das Heft durch. Im mittleren Teil fand sie schließlich, wonach sie suchten. Harry und Ron beugten sich tiefer über die Seiten. Ein Farbfoto von Harry prangte über einem kurzen Artikel mit der Überschrift

Harry Potters stummes Herzeleid

Ein Junge wie kein anderer, könnte man meinen – doch auch ein Junge, der die ganz gewöhnlichen Qualen des Heranwachsenden durchleidet. Seit dem tragischen Ableben seiner Eltern der Liebe beraubt, glaubte der vierzehnjährige Harry Potter, endlich Trost bei seiner festen Freundin in Hogwarts, Hermine Granger, gefunden zu haben. Doch er ahnte nicht, daß seine Seele in diesem ohnehin von persönlichen Verlusten geprägten Leben bald erneut einen schweren Schlag erleiden würde.

Miss Granger, ein äußerlich unscheinbares, aber ehrgeiziges Mädchen, hegt offenbar eine Vorliebe für berühmte Zauberer, die Harry allein nicht befriedigen kann. Seit Viktor Krum, der bulgarische Sucher und Held der letzten Quidditch-Weltmeisterschaft, in Hogwarts weilt, spielt Miss Granger mit den Gefühlen beider Jungen. Krum, der von der tückischen Miss Granger offensichtlich hingerissen ist, hat sie bereits eingeladen, ihn während der Sommerferien in Bulgarien zu besuchen, und versichert, er habe»solche Gefühle noch für kein anderes Mädchen empfunden«.

Allerdings sind es womöglich gar nicht die zweifelhaften natürlichen Reize Miss Grangers, denen diese beiden unglücklichen Jungen verfallen sind.

»Im Grunde ist sie häßlich«, meint Pansy Parkinson, eine hübsche und lebhafte Viertkläßlerin,»aber daß sie einen Liebestrank zusammenbraut, traue ich ihr durchaus zu, sie hat ja ziemlich viel Grips. Ich bin sicher, damit schafft sie es.«

Natürlich sind Liebestränke in Hogwarts verboten und zweifellos sollte Albus Dumbledore diesen Behauptungen nachgehen. In der Zwischenzeit können alle, die sich um das Wohl Harry Potters sorgen, nur hoffen, daß er sein Herz das nächste Mal einer würdigeren Kandidatin schenkt.

Rita Kimmkorn

»Ich hab's dir doch gesagt!«, zischelte Ron Hermine zu, die mit offenem Mund das Blatt anstarrte.»Ich hab dir doch gesagt, du sollst diese Rita Kimmkorn nicht ärgern! Jetzt hat sie dich auf dem Kieker und macht aus dir so eine – eine Lebedame!«

Hermines verblüffte Miene löste sich in schnaubendes Gelächter auf.»Lebedame?«, wiederholte sie, wandte sich Ron zu und zitterte verhalten kichernd.

»So nennt es jedenfalls meine Mum«, murmelte Ron und wieder lief er um die Ohren herum rot an.

»Wenn das alles ist, was Rita zustande bringt, dann wird sie allmählich langweilig«, sagte Hermine und warf die Hexenwoche immer noch kichernd auf den leeren Stuhl neben ihr.»Das ist doch nichts als ein Haufen Müll.«

Sie sah hinüber zu den Slytherins, die gespannt beobachteten, ob es ihnen gelungen war, sie und Harry mit dem Artikel zu ärgern. Hermine schenkte ihnen ein herablassendes Lächeln und einen lässigen Wink mit der Hand, dann packten die drei die Zutaten aus, die sie für ihren Gripsschär-fungs-Trank brauchten.

»Eins ist schon komisch daran«, sagte Hermine zehn Minuten später und hielt die Mörserkeule über eine Schale Skarabäuskäfer.»Wie hat Rita Kimmkorn das nur rausgefunden…?«

»Was rausgefunden?«, fragte Ron sofort.»Du hast doch nicht etwa Liebestränke gebraut?«

»Sei doch nicht albern«, zischte Hermine und begann ihre Käfer zu zerstampfen.»Nein, es ist nur… wie hat sie erfahren, daß Viktor mich eingeladen hat, ihn im Sommer zu besuchen?«Hermine lief bei diesen Worten scharlachrot an und vermied entschieden Rons Blick.

»Was?«Ron ließ seinen Stößel mit einem lauten Klonk fallen.

»Er hat mich gefragt, gleich nachdem er mich aus dem See gezogen hatte«, murmelte Hermine.»Nachdem er seinen Haikopf losgeworden ist. Madam Pomfrey hat uns Deckengegeben, dann hat er mich von den Richtern weggezogen, damit sie nichts mitbekamen, und gefragt, ob ich im Sommer schon was vorhätte und ob ich nicht Lust hätte -«

»Und was hast du geantwortet?«, warf Ron ein und hämmerte, die Augen unverwandt auf Hermine gerichtet, gut eine Armlänge von der Schale entfernt mit dem Stößel auf den Tisch.

»Und er hat wirklich gesagt, daß er noch nie solche Gefühle für jemanden empfunden hätte«, fuhr Hermine fort und wurde so rot, daß Harry die Hitze, die in ihr aufstieg, fast spüren konnte.»Aber wie könnte Rita Kimmkorn uns belauscht haben? Sie war nicht da… oder doch? Vielleicht hat sie einen Tarnumhang und hat sich aufs Gelände geschlichen, um sich die zweite Runde anzusehen…«

»Und was hast du geantwortet?«, wiederholte Ron und hieb mit dem Stößel so heftig auf den Tisch, daß eine Delle im Holz zurückblieb.

»Mich hat nur interessiert, ob es dir und Harry gut geht und -«

»So faszinierend Ihr gesellschaftliches Leben zweifellos ist, Miss Granger«, sagte eine eisige Stimme direkt hinter ihnen,»ich muß Sie doch ermahnen, es nicht im Unterricht zu erörtern. Zehn Punkte Abzug für Gryffindor.«

Snape war zu ihrem Tisch herübergeglitten, während sie gesprochen hatten. Die ganze Klasse drehte nun die Köpfe um; Malfoy nutzte die Gelegenheit und ließ POTTER STINKT durch den Kerker zu Harry hinüberblitzen.

»Ah… und man liest auch noch Heftchen unter dem Tisch?«, setzte Snape hinzu und schnappte sich die Hexenwoche.»Noch einmal zehn Punkte Abzug für Gryffindor… oh, verstehe…«Snapes schwarze Augen stürzten sich gierig auf Rita Kimmkorns Artikel.»Potter muß natürlich erfahren, was die Presse über ihn schreibt…«

Der Kerker erzitterte unter dem Gelächter der Slytherins und ein unangenehmes Lächeln kräuselte Snapes dünne Lippen. Harry trieb es die Zornesröte ins Gesicht, als Snape auch noch begann, den Artikel laut vorzulesen.

»Harry Potters stummes Herzeleid… meine Güte, Potter, was hast du nun wieder für ein Wehwehchen? Ein Junge wie kein anderer, könnte man meinen…«

Harrys Gesicht brannte. Snape legte am Ende jedes Satzes eine kleine Pause ein, um den Slytherins einen ausgiebigen Lacher zu gönnen. Von Snape vorgelesen, klang der Artikel noch zehnmal schlimmer.

»… können alle, die sich um das Wohl Harry Potters sorgen, nur hoffen, daß er sein Herz das nächste Mal einer würdigeren Kandidatin schenkt. Wie unglaublich rührend«, höhnte Snape und rollte das Heft unter dem anhaltenden Gelächter der Slytherins zusammen.»Es ist wohl am besten, wenn ich euch drei voneinander trenne, damit ihr euch Gedanken über Zaubertränke statt über euer Liebesleben macht. Weasley, du bleibst hier. Miss Granger, dort rüber, neben Miss Parkinson. Potter, an den Tisch vor meinem Pult. Beweg dich. Sofort.«

Harry warf die Zutaten und die Schultasche wütend in seinen Kessel und zog ihn nach vorn zu dem freien Tisch. Snape folgte ihm, setzte sich an das Pult und sah zu, wie Harry seine Sachen aus dem Kessel packte. Entschlossen, Snape keines Blickes zu würdigen, begann Harry erneut seine Skarabäuskäfer zu zerstampfen, und jeder einzelne davon, so schien es ihm, hatte Snapes Gesicht.

»Dieser ganze Presserummel scheint deinen ohnehin schon übergroßen Kopf noch mehr aufgeblasen zu haben, Potter«, sagte Snape leise, sobald der Rest der Klasse sich wieder beruhigt hatte.

Harry antwortete nicht. Er wußte, daß Snape ihn provozieren wollte; das kannte er bereits von ihm. Zweifellos war er darauf aus, einen Grund zu finden, um Gryffindor noch vor Ende der Stunde satte fünfzig Punkte abzuziehen.

»Du leidest vielleicht unter der Wahnvorstellung, daß die ganze Zaubererwelt von dir beeindruckt ist«, fuhr Snape so leise fort, daß ihn niemand sonst hören konnte (Harry hieb weiter auf seine Skarabäuskäfer ein, obwohl er sie bereits zu einem ganz feinen Pulver zerstampft hatte),»aber mir ist es völlig gleich, wie oft dein Bild in der Zeitung erscheint. Für mich, Potter, bist du nichts als ein ungezogener kleiner Bengel, der Vorschriften für unter seiner Würde hält.«

Harry schüttete die zerstäubten Käfer in seinen Kessel und begann seine Ingwerwurzeln klein zu schneiden. Ihm bebten die Hände vor Wut, aber er hielt den Blick gesenkt, als könne er nicht hören, was Snape sagte.

»Also laß dir das eine Warnung sein, Potter«, fuhr Snape noch leiser und bedrohlicher klingend fort,»winzige Berühmtheit oder nicht – wenn ich dich noch einmal dabei erwische, wie du in mein Büro einbrichst -«

»Ich war nicht mal in der Nähe Ihres Büros!«, entgegnete Harry zornig und vergaß dabei völlig seine vorgeschützte Taubheit.

»Lüg mich nicht an!«, zischte Snape, und seine unergründlichen schwarzen Augen bohrten sich in die Harrys.»Baumschlangenhaut. Dianthuskraut. Beide stammen aus meinen persönlichen Vorräten, und ich weiß, wer sie gestohlen hat.«

Harry hielt Snapes Blick stand, entschlossen, nicht zu blinzeln oder schuldbewußt auszusehen. In Wahrheit hatte er Snape weder das eine noch das andere gestohlen. Hermine hatte die Baumschlangenhaut in ihrem zweiten Schuljahr geklaut – die hatten sie für den Vielsaft-Trank gebraucht – und damals hatte Snape Harry zwar verdächtigt, doch er hatte es nie beweisen können. Und das Dianthuskraut hatte natürlich Dobby gestohlen.

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, log Harry kühl.

»Du bist im Schloß umhergeschlichen in der Nacht, als bei mir eingebrochen wurde!«, zischte Snape.»Mach mir nichts vor, Potter! Schön, Mad-Eye hat sich vielleicht deinem Fanclub angeschlossen, ich aber werde diese Umtriebe nicht dulden! Wenn du dich noch einmal in mein Büro schleichst, Potter, dann bezahlst du dafür!«

»In Ordnung«, sagte Harry gelassen und wandte sich wieder seinen Ingwerwurzeln zu,»ich denk dran, wenn ich je den Drang verspüren sollte, da reinzugehen.«

Snapes Augen blitzten. Er steckte die Hand ins Innere seines schwarzen Umhangs. Einen verwirrten Moment lang dachte Harry, Snape würde seinen Zauberstab ziehen und ihm einen Fluch auf den Hals jagen – doch dann sah er, daß Snape eine kleine Kristallflasche mit einer vollkommen klaren Flüssigkeit herauszog. Harry starrte das Fläschchen an.

»Weißt du, was das ist, Potter?«, fragte Snape, und wieder glitzerten seine Augen gefährlich.

»Nein«, entgegnete Harry, diesmal völlig aufrichtig.

»Das ist ein Veritaserum – ein Wahrheitselixier, das so mächtig ist, daß drei Tropfen genügen, damit du vor der ganzen Klasse deine tiefsten Geheimnisse ausplauderst«, sagte Snape mit tückischer Miene.»Allerdings unterliegt der Gebrauch dieses Elixiers sehr strengen Richtlinien des Ministeriums. Doch wenn du dich nicht vorsiehst, könnte es passieren, daß meine Hand versehentlich -«er schüttelte lässig das Kristallfläschchen»- über deinem abendlichen Kürbissaft ausrutscht. Und dann, Potter… dann wird sich erweisen, ob du in meinem Büro warst oder nicht.«

Harry sagte kein Wort. Er nahm das Messer zur Hand, wandte sich wieder den Ingwerwurzeln zu und begann sie in Scheiben zu schneiden. Die Sache mit dem Wahrheitselixier hörte sich überhaupt nicht gut an, und er würde es Snape durchaus zutrauen, ihm ein paar Tropfen unterzujubeln. Er unterdrückte ein Schaudern bei dem Gedanken, was ihm dann aus dem Mund sprudeln würde… ganz abgesehen davon, daß dann auch einige andere Ärger bekommen würden – vor allem Hermine und Dobby – und dann waren da all die anderen Geschichten, die er geheim hielt… zum Beispiel, daß er Verbindung zu Sirius hatte… und -seine Eingeweide verknäulten sich – was er für Cho empfand… Er schüttete nun auch die Ingwerwurzeln in den Kessel und fragte sich, ob er sich an Moody ein Beispiel nehmen und nur noch aus seiner persönlichen Taschenflasche trinken sollte.

An der Kerkertür klopfte es.

»Herein«, sagte Snape mit seiner gewöhnlichen Stimme.

Die Tür ging auf und die Klasse wandte die Köpfe. Professor Karkaroff trat ein. Unter aller Augen ging er auf Snapes Tisch zu. Er wirkte aufgewühlt und wickelte schon wieder seinen Ziegenbart um den Finger.

»Ich muß Sie sprechen«, sagte Karkaroff unvermittelt, als er vor Snape stand. Er öffnete kaum den Mund, offenbar entschlossen, niemand außer Snape solle ihn hören, und wirkte dabei wie ein schlechter Bauchredner. Harry wandte die Augen nicht von den Ingwerwurzeln und spitzte die Ohren.

»Ich spreche nach dem Unterricht mit Ihnen, Karkaroff-«, murmelte Snape, doch Karkaroff unterbrach ihn.

»Ich will jetzt mit dir sprechen; von hier kannst du nicht einfach verschwinden, Severus. Du bist mir die letzte Zeit dauernd aus dem Weg gegangen.«

»Nach der Stunde«, zischte Snape.

Wie um zu prüfen, ob er genug Gürteltiergalle eingegossen hatte, hielt Harry einen Meßbecher in die Höhe und warf bei dieser Gelegenheit einen Seitenblick auf die beiden. Karkaroff schien äußerst beunruhigt, Snape dagegen wütend.

Karkaroff vertrat sich für den Rest der Doppelstunde die Beine hinter Snapes Rücken. Er schien ihn unbedingt daran hindern zu wollen, am Ende der Stunde einfach zu entwischen. Harry, ganz neugierig darauf, was Karkaroff sagen wollte, stieß zwei Minuten vor dem Läuten absichtlich seine Flasche Gürteltiergalle um, ein guter Grund, sie anschließend hinter seinen Kessel gebückt aufzuwischen, während der Rest der Klasse lärmend hinausging.

»Was ist denn so dringend?«, hörte er Snape zischen.

»Das hier«, sagte Karkaroff, und Harry sah, als er über den Rand seines Kessels lugte, wie Karkaroff den linken Ärmel seines Umhangs hochzog und Snape etwas auf der Innenseite seines Unterarms zeigte.

»Nun?«, sagte Karkaroff, immer noch bemüht, nicht die Lippen zu bewegen.»Siehst du? Es war noch nie so deutlich, noch nie seit -«

»Weg damit!«, raunzte Snape und ließ die schwarzen Augen durch das Klassenzimmer schweifen.

»Aber du mußt doch bemerkt haben -«, setzte Karkaroff mit erregter Stimme an.

»Wir können später darüber sprechen, Karkaroff!«, bellte Snape.»Potter! Was machst du hier?«

»Ich wische meine Gürteltiergalle auf, Professor«, sagte Harry mit argloser Stimme, richtete sich auf und zeigte Snape den nassen Lumpen in seiner Hand.

Karkaroff drehte sich auf dem Absatz um und marschierte hinaus, offenbar verschreckt und wütend zugleich. Mit dem maßlos aufgebrachten Snape wollte Harry auf keinen Fall allein bleiben; er stopfte seine Bücher und Zutaten in die Tasche und machte sich überstürzt davon, um Ron und Hermine zu erzählen, was er soeben gehört hatte.

Am nächsten Tag gingen sie um die Mittagszeit aus dem Schloß, hinaus in das noch schwache silberne Sonnenlicht. So mild war es in diesem Jahr noch nicht gewesen, und als sie in Hogsmeade angekommen waren, hatten sie längst ihre Umhänge ausgezogen und über die Schultern geworfen. Das Essen, das sie für Sirius mitbringen sollten, trug Harry in der Tasche mit sich; sie hatten ein Dutzend Hühnerbeine, einen Laib Brot und eine Flasche Kürbissaft vom Mittagstisch geklaut.

Sie gingen in den Besenknecht, um ein Geschenk für Dobby zu kaufen, und machten sich einen Spaß daraus, die gräßlichsten Socken auszusuchen, darunter auch welche, die mit blitzenden Gold- und Silbersternen geschmückt waren, und solche, die laut schrien, wenn sie zu stinkig wurden. Um halb zwei dann machten sie sich auf den Weg die Hauptstraße entlang, an Derwisch und Banges vorbei zum Dorf hinaus.

In diese Richtung war Harry noch nie gegangen. Die gewundene Straße führte sie hinaus in die wilde Landschaft um Hogsmeade. Hier gab es nur noch vereinzelte Landhäuser mit großen Gärten; die Straße führte zunächst auf den Berg zu, in dessen Schatten Hogsmeade lag. Dann machte sie eine Biegung und sie konnten am Ende der Straße ein Gatter sehen. Dort wartete, die Vorderpfoten auf der obersten Stange, ein sehr großer, zottiger schwarzer Hund, der einen Packen Zeitungen im Maul trug und ihnen sehr bekannt vorkam…

»Hallo, Sirius«, sagte Harry, als sie ihn erreicht hatten.

Der schwarze Hund schnüffelte begierig an Harrys Tasche, wedelte kurz mit dem Schwanz, drehte sich dann um und trottete über das struppige Grasland davon, das bis zum felsigen Fuß des Berges anstieg. Die drei kletterten über das Gatter und folgten ihm.

Sirius führte sie bis zum Fuß des Berges, wo der Boden mit Geröllblöcken und Steinen übersät war. Mit seinen vier Hundebeinen kam er leicht voran; bei Harry, Ron und Hermine dauerte es nicht lange, bis sie außer Puste waren. Doch sie folgten Sirius weiter; nun ging es steil den Berg hoch. Die Gurte von Harrys Tasche schnitten ihm in die Schultern, und alle drei gerieten unter der Sonne ins Schwitzen, während sie eine halbe Stunde lang Sirius' wedelndem Schwanz folgten und einen gewundenen und steinigen Pfad emporkletterten.

Dann war es so weit. Sirius verschwand plötzlich, und als sie die Stelle erreichten, wo sie ihn zuletzt gesehen hatten, standen sie vor einem schmalen Spalt im Fels. Sie drängten sich hindurch und standen in einer kühlen, schwach erleuchteten Höhle. Im hinteren Teil der Höhle, angeleint an einen großen Stein, stand Seidenschnabel, der Hippogreif, halb graues Pferd, halb Adler. Seine wilden Augen blitzten auf, als er sie erkannte. Alle drei verbeugten sich tief vor ihm, und nachdem er sie einen Moment lang gemustert hatte wie ein Gebieter, knickte er die schuppigen Vorderbeine ein und erlaubte es Hermine, rasch hinüberzugehen und seinen fedrigen Hals zu streicheln. Harry jedoch sah gebannt auf den schwarzen Hund, der sich gerade in seinen Paten verwandelte.

Sirius trug einen zerlumpten grauen Umhang; er hatte ihn schon getragen, als er aus Askaban geflohen war. Seit er mit Harry im Kamin gesprochen hatte, war sein schwarzes Haar länger geworden und nun wieder stumpf und zerzaust. Er sah abgemagert aus.

»Hühnchen!«, sagte er mit rauher Stimme, nachdem er die alten Tagespropheten aus dem Mund genommen und zu Boden geworfen hatte.

Harry öffnete seine Tasche und reichte Sirius das Bündel mit Hühnerbeinen und Brot.

»Danke«, sagte Sirius, wickelte es auf, packte einen Schlegel, setzte sich auf den Höhlenboden und riß mit den Zähnen ein großes Stück Fleisch ab.»Hab die letzte Zeit meist von Ratten gelebt. Darf in Hogsmeade nicht zu viel Essen stehlen; die würden sonst auf mich aufmerksam werden.«

Er grinste zu Harry hoch, doch Harry grinste nur widerwillig zurück.

»Was treibst du hier, Sirius?«, fragte er.

»Ich erfülle meine Pflicht als Pate«, antwortete Sirius und nagte hundemäßig an dem Hühnerknochen herum.»Mach dir keine Sorgen um mich, für die Leute bin ich nur ein süßer kleiner Streuner.«

Noch immer grinste er, doch als er Harrys besorgte Miene sah, sagte er mit ernster Stimme:»Ich will in der Nähe sein, für alle Fälle. Dein letzter Brief… sagen wir einfach, allmählich ist was faul. Immer wenn jemand die Zeitung wegwirft, schnappe ich sie mir, und wie es aussieht, bin ich mittlerweile nicht mehr der Einzige, der sich Sorgen macht.«

Er nickte zu den zwei vergilbenden Tagespropheten auf dem Höhlenboden hinüber. Ron bückte sich danach und schlug eine Zeitung auf.

Harry sah jedoch unverwandt Sirius an.»Was ist, wenn sie dich erkennen? Was ist, wenn sie dich fangen?«

»Ihr drei und Dumbledore seid die Einzigen hier in der Gegend, die wissen, daß ich ein Animagus bin«, sagte Sirius achselzuckend und wandte sich wieder mit mächtigem Appetit seinem Hühnerbein zu.

Ron stieß Harry in die Rippen und reichte ihm die Tagespropheten. Es waren zwei Ausgaben; die erste trug die Schlagzeile: Mysteriöse Erkrankung von Bartemius Crouch, die zweite: Ministeriumshexe noch immer vermißt – Zaubereiminister erklärt den Fall zur Chefsache.

Harry überflog den Artikel über Crouch. Auf einigen Sätzen blieb sein Blick hängen:

… ist seit November nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen worden… sein Haus scheint leer zu stehen… St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen lehnt jede Stellungnahme ab… das Ministerium will Gerüchte über eine schwere Erkrankung nicht bestätigen…

»Das klingt ja, als würde er im Sterben liegen«, sagte Harry langsam.»Aber so krank kann er nicht sein, wenn er es geschafft hat, hier hochzukommen…«

»Mein Bruder ist Crouchs persönlicher Assistent«, sagte Ron zu Sirius gewandt.»Er behauptet, Crouch sei einfach überarbeitet.«

»Er hat wirklich ziemlich krank ausgesehen, als ich ihn das letzte Mal aus der Nähe gesehen hab«, sagte Harry.»An dem Abend, als der Kelch meinen Namen ausgegeben hat…«

»Ist doch nur die wohlverdiente Strafe dafür, daß er Winky entlassen hat«, sagte Hermine kühl. Sie streichelte Seidenschnabel, während dieser knirschend einen Hühnerknochen zermalmte.»Ich wette, er bereut es inzwischen – und spürt mal am eigenen Leib, wie es ist, wenn sie nicht da ist und ihn betüttelt.«

»Hermine hat sich wegen dieser Hauselfen in irgendwas reingesteigert«, murmelte Ron Sirius zu, wobei er Hermine einen finsteren Blick zuwarf.

Sirius jedoch schien aufzumerken.»Crouch hat seine Hauselfe rausgeworfen?«

»Ja, bei der Quidditch-Weltmeisterschaft«, sagte Harry und erzählte hastig vom Erscheinen des Dunklen Mals, von Winky, die mit Harrys Zauberstab in der Hand aufgefunden wurde, und von Mr Crouchs großem Zorn deswegen.

Als Harry geendet hatte, war Sirius wieder auf den Beinen und schritt die Höhle auf und ab.»Wie war das noch mal?«, sagte er nach einer Weile und wedelte mit einem Hühnerbein.»Ihr habt die Elfe zunächst in der Ehrenloge gesehen. Sie hat für Mr Crouch einen Platz besetzt?«

»Richtig«, sagten Harry, Ron und Hermine wie aus einem Mund.

»Aber Mr Crouch ist zu dem Spiel gar nicht aufgetaucht?«»Nein«, sagte Harry.»Später meinte er, er sei zu beschäftigt gewesen.«

Ohne ein Wort zu sagen schritt Sirius an der Höhlenwand entlang. Dann wandte er sich Harry zu:»Hast du nachgesehen, ob dein Zauberstab noch in der Tasche war, als du die Ehrenloge verlassen hast?«

»Ähm…«Harry dachte angestrengt nach.»Nein«, sagte er schließlich.»Bis wir in den Wald kamen, hab ich ihn ja nicht gebraucht. Und als ich dann die Hand in die Tasche steckte, fand ich nur mein Omniglas.«Er sah Sirius mit großen Augen an.»Willst du etwa sagen, wer immer dieses Mal beschworen hat, der hat auch in der Ehrenloge meinen Zauberstab gestohlen?«

»Schon möglich«, erwiderte Sirius.

»Winky hat diesen Zauberstab nicht gestohlen!«, sagte Hermine schrill.

»Die Elfe war ja nicht alleine in der Ehrenloge«, sagte Sirius stirnrunzelnd und war schon wieder dabei, in der Höhle auf und ab zu schreiten.»Wer saß sonst noch hinter dir?«

»Eine Menge Leute«, sagte Harry.»Ein paar bulgarische Minister… Cornelius Fudge… die Malfoys…«

»Die Malfoys!«, rief Ron plötzlich so laut, daß seine Stimme an den Höhlenwänden widerhallte und Seidenschnabel nervös seinen Kopf zurückwarf.»Ich wette, es war Lucius Malfoy!«

»Sonst noch jemand?«, sagte Sirius.

»Nein, niemand«, sagte Harry.

»Doch, noch jemand, und zwar Ludo Bagman«, erinnerte ihn Hermine.

»Achja…«

»Ich weiß nichts über Bagman, außer daß er früher Treiber bei den Wimbourner Wespen war«, sagte Sirius und ging immer noch auf und ab.»Was ist er für ein Mann?«

»Er ist schon in Ordnung«, sagte Harry.»Er bietet mir andauernd seine Hilfe für das Trimagische Turnier an.«

»Ach, tut er das?«, sagte Sirius und legte die Stirn in noch tiefere Falten.»Ich frag mich, warum eigentlich?«

»Er meint, er könne mich ganz gut leiden«, sagte Harry.

»Hmmh«, brummte Sirius nachdenklich.

»Wir haben ihn im Wald gesehen, kurz bevor das Dunkle Mal erschienen ist«, sagte Hermine.»Wißt ihr noch?«, wandte sie sich fragend an Harry und Ron.

»Ja, aber er ist doch nicht im Wald geblieben«, sagte Ron.»Kaum hatten wir ihm von dem Aufruhr erzählt, ist er Richtung Zeltplatz verschwunden.«

»Woher willst du das wissen?«, warf Hermine ein.»Woher willst du wissen, wohin er disappariert ist?«

»Nun hör aber auf«, entgegnete Ron verwundert,»willst du etwa sagen, du hältst es für möglich, daß Ludo Bagman das Dunkle Mal heraufbeschworen hat?«

»Jedenfalls ist es ihm eher zuzutrauen als Winky«, sagte Hermine stur.

»Hab's dir ja gesagt«, wandte sich Ron mit viel sagendem Blick an Sirius,»sie hat sich da in was reingesteigert wegen dieser Haus-«

Doch Sirius hob die Hand, um Ron Schweigen zu gebieten.»Als das Dunkle Mal am Himmel war und die Elfe mit Harrys Zauberstab entdeckt wurde, was hat Crouch da getan?«

»Er ging ins Gebüsch, um noch einmal nachzusehen«, sagte Harry,»aber er hat niemanden gefunden.«

»Natürlich«, murmelte Sirius auf und ab gehend,»natürlich wollte er es unbedingt jemand anderem an den Hals hängen, wo doch seine Elfe beschuldigt wurde… und dann hat er sie rausgeworfen?«

»Ja«, regte sich Hermine auf.»Er hat sie rausgeworfen, nur weil sie nicht im Zelt geblieben ist und sich hat niedertrampeln lassen -«

»Hermine, nun hör doch mal auf mit dieser Elfe!«, sagte Ron.

Doch Sirius schüttelte den Kopf.»Sie hat Crouch besser durchschaut als du, Ron. Wenn du wissen willst, wie ein Mensch ist, dann sieh dir genau an, wie er seine Untergebenen behandelt, nicht die Gleichrangigen.«

Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Gesicht, offenbar angestrengt nachdenkend.»Dieser Barty Crouch läßt sich so selten blicken… da befiehlt er eigens seiner Hauselfe, ihm einen Platz bei der Quidditch-Weltmeisterschaft zu besetzen, und dann kommt er nicht mal, um sich das Spiel anzusehen. Er trägt mit viel Mühe dazu bei, daß das Trimagische Turnier wieder stattfinden kann, und dann erscheint er auch dazu nicht… das sieht Crouch gar nicht ähnlich. Wenn er vor dieser ganzen Geschichte auch nur einen Tag wegen Krankheit freigenommen hat, dann verspeise ich Seidenschnabel.«

»Du kennst Crouch also?«, fragte Harry.

Sirius' Miene verdüsterte sich. Plötzlich sah er so bedrohlich aus wie in der Nacht, als Harry ihn zum ersten Mal gesehen hatte, in jener Nacht, als er noch geglaubt hatte, Sirius wäre ein Mörder.

»Oh, natürlich kenne ich Crouch«, sagte er leise.»Er war es, der den Befehl gab, mich nach Askaban zu bringen – ohne Gerichtsverhandlung.«

»Was?«, sagten Ron und Hermine im selben Moment.

»Du machst Witze!«, sagte Harry.

»Nein, überhaupt nicht«, sagte Sirius und biß ein großes Stück Hühnchen ab.»Crouch war früher Chef der Abteilung für Magische Strafverfolgung, habt ihr das nicht gewußt?«

Die drei schüttelten die Köpfe.

»Er war als nächster Zaubereiminister im Gespräch«, sagte Sirius.»Ein großartiger Zauberer, dieser Barty Crouch, mit starken magischen Kräften und machthungrig – übrigens nie ein Anhänger Voldemorts«, setzte er hinzu und beantwortete damit die Frage, die in Harrys Gesicht geschrieben stand.»Nein, Barty Crouch hat sich immer klar und deutlich gegen die dunkle Seite gewandt. Allerdings wurden mit der Zeit viele Leute, die gegen die dunkle Seite kämpften… nun, das würdet ihr nicht verstehen… ihr seid noch zu jung…«

»Das hat mein Dad bei der Weltmeisterschaft auch gesagt«, erwiderte Ron mit einer Spur Ärger in der Stimme.»Warum stellst du uns denn nicht mal auf die Probe?«

Ein Grinsen blitzte über Sirius' hageres Gesicht.»Gut, ich versuch's mal…«

Er schritt davon in den hinteren Teil der Höhle, kehrte wieder zurück und sagte:»Stellt euch vor, Voldemort ist gerade sehr mächtig. Ihr wißt nicht, wer seine Anhänger sind, ihr wißt nicht, wer für ihn arbeitet und wer nicht; ihr wißt, daß er sich Menschen Untertan machen kann, die dann schreckliche Dinge tun, ohne daß sie sich selbst Einhalt gebieten können. Ihr habt Angst um euer eigenes Leben, um eure Familie, eure Freunde. Jede Woche gibt es Meldungen von neuen Morden, von Verschwundenen, von Folter… im Zaubereiministerium herrscht völliges Durcheinander, sie wissen nicht, was sie tun sollen, sie versuchen, alles vor den Muggeln zu verbergen, doch unterdessen sterben auch Muggel. Allenthalben herrscht Schrecken… Angst… Chaos… so war es damals.

Solche Zeiten bringen bei manchen Menschen das Beste zum Vorschein, bei anderen das Schlimmste. Crouchs Grundsätze mögen zu Anfang gut gewesen sein – ich weiß es nicht. Er stieg im Ministerium rasch auf und begann harte Maßnahmen gegen Voldemorts Anhänger zu befehlen. Den Auroren erteilte er weitgehende Machtbefugnisse – zum Beispiel die Erlaubnis zu töten, statt Gefangene zu machen. Und ich war nicht der Einzige, den sie ohne Prozeß sofort den Dementoren ausgeliefert haben. Crouch hat Gewalt mit Gewalt bekämpft und den Einsatz der Unverzeihlichen Flüche gegen Verdächtige erlaubt. Ich würde sagen, er wurde so gefühllos und grausam wie viele von der dunklen Seite. Er hatte natürlich seine Anhänger – eine Menge Leute dachten, er würde die Probleme richtig anpacken, und viele Hexen und Zauberer waren von der Vorstellung ganz begeistert, er könnte Zaubereiminister werden. Als Voldemort verschwand, sah es so aus, als wäre es nur noch eine Frage der Zeit, bis Crouch den Ministerposten übernehmen würde. Doch dann geschah etwas Peinliches…«Sirius lächelte grimmig.»Crouchs eigener Sohn wurde zusammen mit einer Gruppe von Todessern gefaßt, die es dank ihrer Lügenmärchen geschafft hatten, daß man sie aus Askaban entlassen hatte. Offenbar versuchten sie damals, Voldemort zu finden und ihn an die Macht zurückzubringen.«

»Crouchs Sohn wurde gefaßt?«, keuchte Hermine.

»Ja«, sagte Sirius, warf Seidenschnabel einen Hühnerknochen zu, bückte sich, hob das am Boden liegende Brot auf und brach es in zwei Teile.»Häßlicher kleiner Schock für den guten Barty, könnte ich mir vorstellen. Hätte vielleicht hin und wieder früher aus dem Büro gehen und ein wenig mehr Zeit zu Hause bei seiner Familie verbringen sollen… dann hätte er seinen eigenen Sohn kennen gelernt.«

Er begann große Stücke Brot zu verschlingen.

»War sein Sohn tatsächlich ein Todesser?«, fragte Harry.

»Keine Ahnung«, sagte Sirius und stopfte sich weiter Brot in den Mund.»Ich selbst war bereits in Askaban, als sie ihn eingeliefert haben. Das meiste hab ich erst erfahren, seit ich raus bin. Der Junge wurde jedenfalls in Begleitung von Leuten geschnappt, die, da wette ich mein Leben drum, Todesser waren – aber er hätte natürlich auch zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort sein können, genau wie die Hauselfe.«

»Hat Crouch versucht, seinen Sohn da rauszuhauen?«, flüsterte Hermine.

Sirius ließ ein Lachen hören, das eher wie ein Bellen klang.»Crouch und seinen Sohn raushauen? Ich dachte, du hättest ihn durchschaut, Hermine? Alles, was seinen Ruf zu gefährden drohte, mußte beseitigt werden, er hatte sein ganzes Leben dem Ziel gewidmet, Zaubereiminister zu werden. Du hast doch gesehen, wie er eine treue Hauselfe rausgeworfen hat, weil sie mit dem Dunklen Mal in Verbindung gebracht wurde – das zeigt dir doch, wie er ist? Crouchs väterliche Zuneigung ging nur so weit, daß er dafür sorgte, daß seinem Sohn der Prozeß gemacht wurde, und nach allem, was man hört, war dieser Prozeß nicht viel mehr als eine gute Gelegenheit für Crouch, zu zeigen, wie sehr er seinen Sohn haßte… danach schickte er ihn direkt nach Askaban.«

»Er hat seinen eigenen Sohn den Dementoren ausgeliefert?«, fragte Harry leise.

»Ja, allerdings«, sagte Sirius und wirkte nun keineswegs mehr amüsiert.»Ich hab gesehen, wie ihn die Dementoren reinbrachten, ich hab sie durch die Gitter meiner Zellentür genau beobachtet. Er konnte nicht älter als neunzehn gewesen sein. Sie steckten ihn in eine Zelle in der Nähe von meiner. Als es Nacht wurde, schrie er nach seiner Mutter. Nach ein paar Tagen allerdings wurde er ruhiger… irgendwann sind sie alle verstummt… nur hin und wieder schrien sie im Schlaf…«

Für kurze Zeit war die Abgestumpftheit in Sirius' Blick deutlich wie nie zu sehen, so als hätten sich Stahltüren hinter seinen Augen geschlossen.

»Also ist er immer noch in Askaban?«, sagte Harry.»Nein«, sagte Sirius matt.»Nein, er ist nicht mehr dort. Er starb, ungefähr ein Jahr nachdem sie ihn eingeliefert hatten.«»Er ist gestorben?«

»Er war nicht der Einzige«, sagte Sirius bitter.»Die meisten dort drin werden wahnsinnig und viele hören schließlich einfach auf zu essen. Sie verlieren ihren Lebenswillen. Man wußte immer, wann einer sterben würde, denn die Dementoren spürten es und wurden erregt. Dieser Junge sah schon recht kränklich aus, als er eingeliefert wurde. Da Crouch ein wichtiger Mann im Ministerium war, durften er und seine Frau ihn am Totenbett besuchen. Das war das letzte Mal, daß ich Barty Crouch gesehen hab; er mußte seine Frau praktisch an meiner Zelle vorbeitragen. Offenbar ist sie dann auch gestorben, kurz danach. Verzweiflung. Sie ist dahingesiecht, genau wir ihr Junge. Crouch hat die Leiche seines Sohnes nicht einmal abgeholt. Die Dementoren haben ihn draußen vor der Festung begraben, ich hab sie dabei beobachtet.«

Sirius warf das Brotstück, das er gerade zum Mund gehoben hatte, beiseite, setzte die Flasche Kürbissaft an die Lippen und leerte sie in schnellen Zügen.

»Der alte Crouch hat also alles verloren, genau in dem Augenblick, da er glaubte, es endlich geschafft zu haben«,fuhr er fort und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.»Da ist er ein Held, drauf und dran, Zaubereiminister zu werden… kurz darauf stirbt sein Sohn, stirbt seine Frau, der gute Name gerät in Verruf, und wie ich seit meiner Flucht gehört habe, hat auch seine Beliebtheit rapide abgenommen. Als der Junge schließlich tot war, empfanden die Leute ein wenig mehr Mitgefühl für ihn und fingen an zu fragen, wie ein junger Bursche aus einer angesehenen Familie auf solche Abwege geraten konnte. So konnte Cornelius Fudge den Chefposten erobern und Crouch hat man in die Abteilung für Internationale Magische Zusammenarbeit abgeschoben.«

Ein langes Schweigen trat ein. Harry rief sich in Erinnerung, wie Crouchs Augen hervorgequollen waren, als er auf seine ungehorsame Hauselfe hinabgesehen hatte. Das mußte der Grund sein, weshalb Crouch so überzogen streng reagiert hatte, nachdem sie Winky im Wald unter dem Dunklen Mal gefunden hatten. Der Vorfall hatte ihn an seinen Sohn erinnert, an den alten Skandal und seinen Gesichtsverlust im Ministerium.

»Moody behauptet, Crouch sei davon besessen, schwarze Magier zu fangen«, bemerkte Harry.

»Ja, wie ich höre, ist es bei ihm fast ein Wahn geworden«, sagte Sirius.»Wenn du mich fragst, glaubt er immer noch, er könnte seine frühere Beliebtheit bei den Leuten zurückgewinnen, wenn er nur wieder einen Todesser fängt.«

»Und er hat sich in Hogwarts eingeschlichen und Snapes Büro durchsucht!«, sagte Ron und versetzte Hermine einen triumphierenden Blick.

»Ja, und das ergibt überhaupt keinen Sinn«, entgegnete Sirius.

»Tut es sehr wohl!«, sagte Ron aufgeregt.

Doch Sirius schüttelte den Kopf.»Hör zu, wenn CrouchSnape nachspüren will, warum kommt er dann nicht als Richter zum Turnier? Das wäre doch die beste Begründung dafür, Hogwarts regelmäßige Besuche abzustatten und ihn im Auge zu behalten.«

»Dann glaubst du auch, daß Snape irgendwas ausheckt?«, fragte Harry, doch Hermine redete dazwischen.

»Hör mal, egal was du sagst, Dumbledore jedenfalls vertraut Snape -«

»Nun laß das doch, Hermine«, sagte Ron ungeduldig.»Natürlich weiß ich, daß Dumbledore ein brillanter Kopf ist und so weiter, aber das heißt nicht, daß ein wirklich gerissener schwarzer Magier ihn nicht täuschen könnte -«

»Und warum hat dann Snape Harry im ersten Schuljahr das Leben gerettet? Warum hat er ihn nicht einfach sterben lassen?«

»Keine Ahnung – vielleicht dachte er, Dumbledore würde ihn rauswerfen -«

»Was meinst du, Sirius?«, sagte Harry laut. Ron und Hermine hörten auf sich zu kabbeln und lauschten.

»Bei dem, was ihr beide sagt, ist wohl jeweils was Wahres dran«, sagte Sirius und sah Ron und Hermine nachdenklich an.»Seit ich rausgefunden habe, daß Snape hier unterrichtet, frage ich mich, warum Dumbledore ihn eingestellt hat. Die dunklen Künste haben Snape immer schon fasziniert, in der Schule wußte das jeder. Ein schleimiger, öliger, fetthaariger Bengel war er«, fügte Sirius hinzu, und Harry und Ron grinsten sich an.»Als Snape in die Schule kam, beherrschte er mehr Flüche als die Hälfte der Schüler im siebten Jahr, und er gehörte zu einer Bande von Slytherins, die sich später fast alle als Todesser erwiesen.«

Sirius hielt die Finger in die Höhe und begann Namen abzuzählen.»Rosier und Wilkes – beide wurden ein Jahr vor Voldemorts Sturz von Auroren getötet. Die Lestranges – ein Ehepaar – sitzen in Askaban. Avery – wie ich höre, hat er sich aus der Schlinge gezogen, indem er behauptete, er habe unter dem Einfluss des Imperius-Fluchs gehandelt – er ist noch auf freiem Fuß. Doch soweit ich weiß, wurde Snape nie beschuldigt, ein Todesser zu sein – aber das heißt natürlich nicht viel. Viele von ihnen wurden nie gefaßt. Und Snape ist sicher klug und gerissen genug, nicht in irgendwelche Schwierigkeiten hineinzutappen.«

»Snape kennt Karkaroff ziemlich gut, aber das will er unter der Decke halten«, sagte Ron.

»Jaah, du hättest Snapes Gesicht sehen sollen, als er gestern in Zaubertränke aufgetaucht ist!«, fügte Harry rasch hinzu.»Karkaroff wollte mit Snape reden, er behauptete, Snape sei ihm aus dem Weg gegangen. Er sah jedenfalls ziemlich panisch aus. Dann hat er Snape etwas auf seinem Arm gezeigt, aber ich konnte nicht sehen, was es war.«

»Er hat Snape etwas auf seinem Arm gezeigt?«, fragte Sirius offensichtlich verblüfft. Nachdenklich fuhr er sich mit den Fingern durch sein verschmutztes Haar, dann zuckte er die Achseln.»Ich hab keine Ahnung, was das bedeuten soll… aber wenn Karkaroff aufrichtig besorgt ist und er zu Snape geht, um sich Rat zu holen…«

Sirius starrte auf die Höhlenwand, dann zog er eine verdrießliche Grimasse.»Es bleibt dabei, Dumbledore vertraut Snape, und ich weiß, daß Dumbledore noch vertrauensselig ist, wo andere längst mißtrauisch sind, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß er Snape in Hogwarts unterrichten ließe, wenn Snape je für Voldemort gearbeitet hätte.«

»Warum sind Moody und Crouch dann so scharf darauf, Snapes Büro zu durchsuchen?«, bohrte Ron nach.

»Na ja«, sagte Sirius bedächtig,»ich würde es Mad-Eye durchaus zutrauen, daß er sämtliche Lehrerbüros durchsucht hat, als er nach Hogwarts kam. Er nimmt die Verteidigung gegen die dunklen Künste schon sehr ernst, der gute Moody. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt jemandem vertraut, und nach allem, was er erlebt hat, wundert mich das nicht. Eins halte ich Moody jedoch zugute, er hat nie getötet, wenn es sich vermeiden ließ. Hat die Leute immer lebend abgeliefert. Er war hart, aber er hat nie die Mittel der Todesser angewandt. Crouch jedoch… ist ein anderer Typ… ist er wirklich krank? Wenn das stimmt, warum hat er sich dann aufgerafft und sich in Snapes Büro geschleppt? Und wenn nicht… was hat er vor? Was war denn so wichtig, daß er bei der Weltmeisterschaft nicht in die Ehrenloge kommen konnte? Was hat er getrieben, während er als Richter beim Turnier gebraucht wurde?«

Sirius, den Blick immer noch starr auf die Höhlenwand gerichtet, verfiel in Schweigen. Seidenschnabel scharrte auf dem steinigen Boden nach Knochen, die er vielleicht übersehen hatte.

Schließlich blickte Sirius zu Ron auf.»Du sagst, dein Bruder ist Crouchs persönlicher Assistent? Vielleicht könntest du ihn fragen, ob er Crouch in letzter Zeit gesehen hat?«

»Ich kann's versuchen«, sagte Ron mit zweifelnder Miene.»Sollte aber möglichst nicht so klingen, als würde ich vermuten, Crouch würde irgendein faules Ei ausbrüten. Percy liegt Crouch zu Füßen.«

»Und wenn du schon dabei bist, könntest du versuchen herauszufinden, ob sie irgendeine Spur von Bertha Jorkins gefunden haben«, setzte Sirius hinzu und deutete auf die andere Ausgabe des Tagespropheten.

»Bagman hat mir gesagt, daß sie immer noch im Dunkeln tappen«, sagte Harry.

»Ja, er wird in diesem Artikel hier zitiert«, sagte Sirius mit einem Kopfnicken zur Zeitung hin.»Lästert über Berthas schlechtes Gedächtnis. Vielleicht hat sie sich seit damals verändert, aber die Bertha, die ich kannte, war überhaupt nicht vergeßlich – ganz im Gegenteil. Sie war kein großes Licht, aber sie hatte ein glänzendes Gedächtnis für Klatsch und Tratsch. Hat sich damals regelmäßig in große Schwierigkeiten gebracht, weil sie nie wußte, wann es besser war, den Mund zu halten. Ich könnte mir vorstellen, daß sie für das Zaubereiministerium eine ziemliche Belastung war… vielleicht hat sich Bagman deshalb so lange nicht darum geschert, sie suchen zu lassen…«

Sirius ließ einen mächtigen Seufzer hören und rieb sich die dunkel umringten Augen.»Wie spät ist es?«

Harry sah auf die Uhr, dann fiel ihm ein, daß sie nicht mehr ging, seit sie eine Stunde unter Wasser gewesen war.»Es ist halb vier«, sagte Hermine.

»Ihr geht jetzt am besten zurück in die Schule«, sagte Sirius und erhob sich.»Und hört mal…«, er sah Harry besonders eindringlich an -»ich will nicht, daß ihr euch allzu oft aus der Schule schleicht, um mich zu besuchen, verstanden? Schickt mir einfach Nachrichten hier hoch. Ich will weiterhin von allen merkwürdigen Vorfällen erfahren. Aber ihr solltet Hogwarts nicht ohne Erlaubnis verlassen, das wäre die beste Gelegenheit für jemanden, euch anzugreifen.«

»Bisher hat keiner versucht mich anzugreifen, außer einem Drachen und einer Hand voll Grindelohs«, sagte Harry.

Doch Sirius sah ihn stirnrunzelnd an.»Das hat nichts zu sagen… ich werd erst aufatmen können, wenn dieses Turnier vorbei ist, und das ist erst im Juni. Und übrigens, wenn ihr unter euch über mich redet, dann nennt mich Schnuffel, ja?«

Er reichte Harry das leere Serviettenbündel und die Flasche und ging nach hinten, um sich mit einem Tätscheln von Seidenschnabel zu verabschieden.»Ich lauf mit euch bis zum Dorfrand«, sagte Sirius,»mal sehen, ob ich noch 'ne Zeitung abstauben kann.«

Bevor sie die Höhle verließen, verwandelte er sich in den großen schwarzen Hund, und sie stiegen mit ihm zusammen den Berghang hinunter, durchquerten das geröllübersäte Grasland und erreichten schließlich das Gatter. Hier ließ er sich von jedem kurz den Kopf kraulen, dann rannte er, einen Bogen um die Ausläufer des Dorfes einschlagend, davon.

Harry, Ron und Hermine machten sich auf den Weg zurück nach Hogsmeade und hoch nach Hogwarts.

»Ich frag mich, ob Percy all diese Geschichten über Crouch kennt«, sagte Ron, während sie den Torweg zum Schloß entlanggingen.»Aber vielleicht ist es ihm völlig egal… er würde Crouch dann womöglich nur noch mehr bewundern. Ja, Percy ist vernarrt in Vorschriften. Er würde einfach sagen, Crouch habe sich geweigert, sie für seinen eigenen Sohn zu brechen.«

»Percy würde nie jemanden aus seiner eigenen Familie den Dementoren ausliefern«, sagte Hermine streng.

»Ich weiß nicht recht«, sagte Ron.»Wenn er glaubte, wir würden seiner Karriere im Weg stehen… Percy ist richtig ehrgeizig, weißt du…«

Sie gingen die steinernen Stufen zur Eingangshalle hoch, wo ihnen schon die köstlichen Düfte aus der Großen Halle entgegenwehten.

»Armer alter Schnuffel«, sagte Ron genüßlich einatmend.»Er muß dich wirklich mögen, Harry… stell dir vor, du müßtest von Ratten leben.«

Mr . Crouchs Wahn

Harry, Ron und Hermine stiegen nach dem Frühstück am Sonntagmorgen hoch in die Eulerei. Wie von Sirius vorgeschlagen, hatten sie einen Brief an Percy dabei, in dem sie ihn fragten, ob er in letzter Zeit Mr Crouch gesehen habe. Weil Hedwig schon lange keinen Auftrag mehr bekommen hatte, gaben sie ihr den Brief mit. Vom Eulereifenster aus beobachteten sie, wie Hedwig davonflog, dann gingen sie hinunter in die Küche, um Dobby die neuen Socken zu schenken.

Die Hauselfen begrüßten sie mit freudigem Hallo, sie verbeugten sich, machten Knickse und wuselten dann gleich wieder davon, um Tee zu kochen. Dobby war hin und weg von seinem Geschenk.

»Harry Potter ist viel zu gut zu Dobby!«, quiekte er und wischte sich große Tränen aus seinen gewaltigen Augen.

»Du hast mir mit diesem Dianthuskraut das Leben gerettet, Dobby, und das meine ich ernst«, sagte Harry.

»Habt ihr vielleicht noch ein Eclair übrig?«, sagte Ron zu den strahlenden und sich verbeugenden Hauselfen.

»Du hast doch eben erst gefrühstückt!«, entrüstete sich Hermine, doch schon schwebte, getragen von vier Elfen, eine große silberne Platte mit Eclairs auf sie zu.

»Wir brauchen auch noch was zu futtern für Schnuffel«, murmelte Harry.

»Gute Idee«, sagte Ron.»Dann hat Pig wenigstens was zu tun. Habt ihr vielleicht noch was zum Mitnehmen für uns?«,sagte er zu den umstehenden Hauselfen, und wieder verneigten sie sich belustigt und eilten davon.

»Dobby, wo steckt Winky?«, sagte Hermine und sah sich in der Küche um.

»Winky ist dort drüben beim Herd, Miss«, sagte Dobby leise und ließ ein wenig die Ohren hängen.

»Meine Güte«, sagte Hermine, als sie Winky erkannte.

Auch Harry sah hinüber zum Herd. Winky saß auf demselben Stuhl wie letztes Mal, doch sie war so heruntergekommen und schmutzig, daß sie vor den rauchgeschwärzten Ziegelsteinen nicht auf den ersten Blick zu erkennen war. Ihre Kleider waren zerlumpt und voll gekleckert. Sie umklammerte eine Flasche Butterbier und stierte, ein wenig auf ihrem Stuhl schwankend, unverwandt ins Feuer. Und in diesem Moment packte sie ein offenbar heftiger Schluckauf.

»Winky ist inzwischen bei sechs Flaschen am Tag«, wisperte Dobby Harry zu.

»Na ja, das Zeug ist nicht besonders stark«, sagte Harry.

Aber Dobby schüttelte den Kopf.»Für einen Hauselfen ist es stark, Sir.«

Winky hickste erneut. Die Elfen, die die Eclairs gebracht hatten und jetzt wieder an die Arbeit zurückkehrten, versetzten ihr mißbilligende Blicke.

»Winky hat Sehnsucht, Harry Potter«, flüsterte Dobby traurig.»Winky will nach Hause. Winky glaubt immer noch, daß Mr Crouch ihr Meister ist, Sir, und Dobby kann sagen, was er will, sie wird nie Professor Dumbledore als ihren neuen Meister annehmen.«

»Hey, Winky«, sagte Harry, dem plötzlich eine Idee gekommen war. Er ging hinüber und beugte sich zu ihr hinunter.»Du weißt nicht zufällig, wie es Mr Crouch geht? Er läßt sich nämlich als Richter beim Trimagischen Turnier nicht blicken.«

Winkys Augen flackerten. Ihre riesigen Pupillen stellten sich auf Harry scharf. Sie schwankte noch ein wenig, dann lallte sie:»M-meister kommt – hicks – nicht mehr?«

»Nein«, sagte Harry,»wir haben ihn seit der ersten Runde nicht mehr gesehen. Der Tagesprophet schreibt, er sei krank.«

Winky schwankte ein wenig heftiger und sah Harry mit trüben Augen an.»Meister – hicks – krank?«

Ihre Unterlippe begann zu zittern.

»Aber wir sind nicht sicher, ob das stimmt«, sagte Hermine rasch.

»Meister braucht seine – hicks – Winky!«, wimmerte die Elfe.»Meister kann nicht – hicks – alles – hicks – allein schaffen…«

»Andere Leute schaffen es sehr wohl, ihre Hausarbeit selbst zu erledigen, Winky«, belehrte sie Hermine.

»Winky – hicks – ist nicht die Einzige – hicks – die im Haus von Mr Crouch arbeitet!«, piepste Winky entrüstet, begann nun gefährlich zu schwanken und verschüttete Butterbier über ihre ohnehin schon sehr fleckige Bluse.»Meister – hicks – vertraut Winky – hicks – das Wichtigste – hicks – das Geheimste an -«

»Was denn?«, sagte Harry.

Doch Winky schüttelte ganz energisch den Kopf und bespritzte sich erneut mit Butterbier.

»Winky bewahrt – hicks – die Geheimnisse ihres Meisters«, sagte sie trotzig und sah jetzt unter halsbrecherischem Schwanken und mit finster gekreuztem Blick zu Harry hoch.»Du – hicks – du willst spionieren, du.«

»So darf Winky nicht zu Harry Potter sprechen!«, sagte Dobby erzürnt.»Harry Potter ist edel und tapfer und Harry Potter spioniert nicht!«

»Er will – hicks – das ganz geheime Geheimnis – hicks -meines Meisters – hicks – ausspionieren – hicks – Winky ist eine gute Hauselfe – hicks – Winky ist stumm wie ein Fisch -hicks – wenn jemand kommt und – hicks – stöbert und schnüffelt – hicks -«Winkys Augenlider klappten plötzlich zu, sie glitt von ihrem Stuhl herunter, blieb vor dem Herd liegen und begann laut zu schnarchen. Die leere Flasche Butterbier rollte über den steingefliesten Boden davon.

Ein halbes Dutzend Hauselfen kam mit angewiderten Blicken herbeigeeilt. Einer hob die Flasche auf, die anderen deckten Winky mit einem großen karierten Tischtuch zu und stopften es fest unter ihren Körper, so daß sie nicht mehr zu sehen war.

»Verzeihung bitte, daß Sie so etwas mit ansehen mußten, Sirs und Miss!«, quiekte einer der Elfen und schüttelte mit tief beschämter Miene den Kopf.»Wir hoffen, daß Sie uns nicht nach Winky beurteilen, Sirs und Miss!«

»Sie ist unglücklich!«, sagte Hermine aufgebracht.»Warum deckt ihr sie einfach zu und versucht nicht mal, sie aufzumuntern?«

»Ich bitte um Verzeihung, Miss«, piepste der Hauself mit einer tiefen Verbeugung,»aber Hauselfen haben kein Recht, unglücklich zu sein, wenn Arbeit zu tun ist und ihre Meister bedient werden müssen.«

»Oh, um Himmels willen!«, sagte Hermine wütend.»Hört mir mal gut zu, ihr alle! Ihr habt genauso gut das Recht wie Zauberer, unglücklich zu sein! Ihr habt ein Recht auf Bezahlung und Urlaub und richtige Kleidung, ihr müßt nicht alles tun, was man euch sagt – schaut euch Dobby an!«

»Miss, bitte halten Sie Dobby da raus«, murmelte Dobby mit ängstlicher Miene. Das fröhliche Lächeln war von den Gesichtern der Hauselfen ringsum verschwunden. Plötzlich sahen sie Hermine an, als wäre sie verrückt und gefährlich.

»Hier ist noch viel mehr zu essen!«, quiekte eine Elfe an Harrys Ellbogen und stemmte ihm ein Dutzend Kuchenstücke, ein paar Äpfel und Birnen und; einen großen Schinken in die Arme.»Auf Wiedersehen!«

Die Hauselfen scharten sich jetzt dicht um Harry, Ron und Hermine, drückten ihnen viele kleine Hände ins Kreuz und begannen sie aus der Küche zu schubsen.

»Danke für die Socken, Harry Potter!«, rief Dobby niedergeschlagen vom Herd herüber, wo er neben der in das zerschlissene Tischtuch gewickelten Winky stand.

»Hättest du nicht wenigstens einmal den Mund halten können, Hermine?«, sagte Ron zornig, als die Küchentür hinter ihnen zugeschlagen war.»Die wollen uns sicher nie wieder hier unten sehen! Wir hätten vielleicht noch mehr über Crouch aus Winky rauskitzeln können!«

»Oh, als ob dich das kümmern würde!«, feixte Hermine.»Du kommst doch nur wegen des Essens hier runter!«

Den Rest des Tages herrschte eine! eigentümlich gereizte Stimmung. Harry war es so leid, daß sich Ron und Hermine bei den Hausaufgaben im Gemeinschaftsraum ständig angifteten, daß er an diesem Abend allein mit Sirius' Eßpaket in die Eulerei hochstieg.

Pigwidgeon war viel zu klein, um einen ganzen Schinken allein den Berg hochfliegen zu können, deshalb verpflichtete Harry zusätzlich noch zwei Häbichtskäuze der Schule. Als das sehr merkwürdige Trio mit dem großen Paket unter sich in die Dämmerung hineingeflogen war, lehnte sich Harry aus dem Fenster und ließ den Blick über das Land schweifen, über die dunklen, rauschenden Baumspitzen des Verbotenen Waldes und die sich im Wind kräuselnden Segel des Schiffs von Durmstrang. Ein Uhu flog durch den Rauchfaden, der sich aus Hagrids Kamin emporkringelte; er segelte auf das Schloß zu, um die Eulerei herum und verschwand. Harry schaute hinunter und sah Hagrid vor seiner Hütte mit kräftigen Schlägen der Hacke ein Stück Erde umgraben; offenbar wollte er ein neues Gemüsebeet anlegen. Jetzt konnte er beobachten, wie Madame Maxime aus ihrer Kutsche stieg und zu Hagrid hinüberging. Es sah so aus, als wollte sie ihn in ein Gespräch verwickeln. Hagrid stützte sich auf seine Hacke, schien jedoch nicht erpicht, sich länger mit ihr zu unterhalten, denn Madame Maxime kehrte nach kurzer Zeit zu ihrer Kutsche zurück.

Harry hatte keine Lust, in den Gryffindor-Turm zu gehen und zu hören, wie sich Ron und Hermine gegenseitig anfauchten, und so sah er Hagrid eine Weile beim Umgraben zu, bis ihn die Dunkelheit verschluckte und die Eulen ringsum allmählich erwachten und an Harry vorbei in die Nacht flatterten.

* * *

Beim Frühstück am nächsten Tag war die schlechte Laune von Ron und Hermine endgültig verflogen, und Rons düstere Prophezeiung, die Hauselfen würden jetzt nur noch miserables Essen an den Gryffindor-Tisch schicken, weil Hermine sie gekränkt hatte, erwies sich als falsch; Schinken, Eier und Lachs waren genauso gut wie immer.

Als die Eulen kamen, sah Hermine auf, offenbar erwartete sie Post.

»Percy wird noch keine Zeit gehabt haben zu antworten«, sagte Ron.»Wir haben Hedwig doch erst gestern losgeschickt.«

»Nein, das ist es nicht«, sagte Hermine.»Ich hab den Tagespropheten abonniert, weil es mir langsam stinkt, daß wir alles von den Slytherins erfahren müssen.«

»Gute Idee!«, sagte Harry und sah nun ebenfalls hoch zu den Eulen.»Hey, Hermine, ich glaub, du hast Glück -«

Ein Steinkauz segelte auf Hermine zu.

»Der hat aber keine Zeitung«, sagte sie mit enttäuschter Miene.»Er -«

Doch zu ihrer Verblüffung landete der Steinkauz vor ihrem Teller, dicht gefolgt von vier Schleiereulen, einer Sumpfohreule und einem Waldkauz.

»Wie viele Abos hast du eigentlich bestellt?«, fragte Harry und griff nach Hermines Becher, bevor er von der flügelschlagenden Eulenschar umgeworfen wurde, die alle auf Hermine zudrängelten, weil jede ihren Brief als Erste abliefern wollte.

»Was um Himmels willen -?«, sagte Hermine, nahm dem Steinkauz den Brief ab, öffnete ihn und begann zu lesen.»Was soll das denn!«, stieß sie hervor und lief rot an.

»Was ist?«, fragte Ron.

»Das ist – nein, wie lächerlich -«, sie klatschte Harry den Brief in die Hand, der nun sah, daß er nicht handgeschrieben, sondern mit ausgeschnittenen Buchstaben, offenbar aus dem Tagespropheten, zusammengeklebt war.

Du bist ein BösEs MädchEN, HaRRy PottEr verDienT eineBesserE.

VerSchwinde daHin wo du herKommst mUggel.

»Die sind alle so!«, sagte Hermine verzweifelt und öffnete einen Brief nach dem anderen.»›Du hast Harry Potter nicht verdient… ‹ – ›Dich sollte man in Froschlaich kochen… ‹ Autsch!«

Sie hatte den letzten Brief geöffnet und gelblich grüne Flüssigkeit, die stark nach Benzin roch, spritzte ihr über die Hände, auf denen sofort große gelbe Blasen aufquollen.

»Unverdünnter Bubotubler-Eiter!«, sagte Ron, hob mit spitzen Fingern den Umschlag auf und roch daran.

»Au!«, wimmerte Hermine, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, während sie versuchte, den Eiter mit einer Serviette von ihren Händen zu wischen, doch ihre Finger waren nun so dicht mit schmerzhaften Geschwülsten bedeckt, daß es aussah, als trage sie ein Paar dicke, ausgebeulte Handschuhe.

»Du gehst am besten in den Krankenflügel«, sagte Harry, während die Eulen um Hermine eine nach der anderen davonflogen,»wir sagen dann Professor Sprout, wo du abgeblieben bist…«

»Ich hab sie gewarnt!«, sagte Ron, als Hermine, die Hände schützend unter dem Umhang versteckt, aus der Großen Halle eilte.»Ich hab ihr gesagt, sie soll Rita Kimmkorn nicht ärgern! Sieh dir den hier an…«Er nahm einen der Briefe, die Hermine zurückgelassen hatte, und las ihn vor:»›In der Hexenwoche hab ich gelesen, was für ein falsches Spiel du mit Harry Potter treibst, und dieser Junge hat es doch schwer genug gehabt, und ich werde dir mit der nächsten Post einen Fluch schicken, sobald ich einen Umschlag finde, der groß genug ist.‹ Zum Teufel, sie sollte gut auf sich aufpassen.«

Hermine erschien nicht zu Kräuterkunde. Als Harry und Ron das Gewächshaus verließen und sich auf den Weg zu Pflege magischer Geschöpfe machten, sahen sie Malfoy, Crabbe und Goyle die Steintreppe vor dem Schloß herunterkommen. Hinter ihnen wisperte und giggelte Pansy Parkinson mit ihrer Bande Slytherin-Mädchen. Als Pansy Harry erkannte, rief sie:»Potter, hast du dich von deiner Liebsten getrennt? Warum war sie denn beim Frühstück so durch den Wind?«

Harry würdigte sie keines Blickes; er wollte ihr nicht auch noch die Genugtuung gönnen zu erfahren, wie viel Ärger der Artikel in der Hexenwoche verursacht hatte.

Hagrid, der ihnen in der letzten Stunde verkündet hatte, daß sie mit den Einhörnern fertig seien, erwartete sie vor der Hütte mit einer neuen Sammlung offener Kisten zu seinen Füßen. Harrys Laune verschlechterte sich beim Anblick der Kisten noch mehr – das war doch nicht etwa eine frische Kröterbrut? Doch als er nahe genug war, konnte er in den Kisten flaumige schwarze Geschöpfe mit langen Schnauzen erkennen. Ihre Vorderpfoten waren eigentümlich flach, wie Spaten, und als sie zu der Schülerschar hochblinzelten, wirkten sie ob all dieser Aufmerksamkeit milde verdutzt.

»Das sind Niffler«, verkündete Hagrid, als sich die Klasse im Kreis aufgestellt hatte.»Man findet sie meist unten in Bergwerksstollen. Sie stehn auf Glitzerzeug… da seht ihr's. schon.«

Ein Niffler war plötzlich hochgeschnellt, umklammerte Pansy Parkinsons Arm und versuchte ihr die Uhr vom Handgelenk zu beißen. Kreischend stolperte sie ein paar Schritte zurück.

»Nützliche kleine Schatzsucher«, sagte Hagrid glücklich.»Dachte, wir machen uns heut 'nen lustigen Vormittag mit denen. Seht ihr das dort drüben?«Er deutete auf das große Stück frisch umgegrabener Erde, auf dem ihn Harry vom Eulereifenster aus hatte arbeiten sehen.»Ich hab dort 'n paar Goldmünzen vergraben. Wessen Niffler nachher die meisten Goldmünzen ausgräbt, kriegt von mir 'nen Preis. Ihr müßt nur eure Wertsachen ablegen, dann sucht ihr euch 'nen Niffler aus und macht euch bereit, sie loszulassen.«

Harry nahm seine Uhr ab, die er nur noch aus Gewohnheit trug, und steckte sie in die Tasche. Dann hob er einen Niffler aus der Kiste. Der Niffler steckte seine lange Schnauze in Harrys Ohr und schnüffelte begeistert. Ein wirklich kuscheliges Geschöpf.

»Wartet mal«, sagte Hagrid und sah hinunter in die Kiste,»da ist noch 'n Niffler übrig… wer fehlt hier? Wo ist Hermine?«

»Sie muß sich verarzten lassen«, sagte Ron.»Erklären wir dir später«, murmelte Harry; Pansy Parkinson hatte die Ohren gespitzt.

So viel Spaß hatten sie in Pflege magischer Geschöpfe mit Abstand noch nicht gehabt. Die Niffler tauchten in das Stück Erde ein und wieder daraus auf, als ob es ein Teich wäre, dann trippelte jeder zu dem Schüler zurück, der ihn losgelassen hatte, und spuckte ihm Gold in die Hände. Rons Niffler war besonders tüchtig; bald hatte er seinen ganzen Schoß mit Goldmünzen gefüllt.

»Kann man die auch als Haustiere kaufen, Hagrid?«, meinte er begeistert, während der Niffler sich schon wieder in die Erde stürzte und Rons Umhang mit Dreck bespritzte.»Da wär deine Mum aber nich so glücklich, Ron«, grinste Hagrid,»die bringen ganze Häuser zum Einsturz, diese Niffler. Ich schätze, sie haben jetzt fast alle«, fügte er hinzu und ging um das Stück Erde herum, während die Niffler eifrig weitertauchten.»Ich hab doch nur hundert Münzen vergraben. Oh, da bist du ja, Hermine!«

Hermine kam über den Rasen auf sie zu. Ihre Hände waren rundum bandagiert und sie sah elend aus. Pansy Parkinson beobachtete sie mit glänzenden Knopfaugen.

»Gut, schauen wir mal, wie ihr abgeschnitten habt!«, sagte Hagrid.»Zählt eure Münzen! Und es hat keinen Zweck zu stehlen, Goyle«, fügte er hinzu, die käferschwarzen Augen zu Schlitzen verengt.»Das ist Leprechan-Gold. Löst sich nach 'n paar Stunden auf.«

Mit mürrisch verzogenem Mund leerte Goyle seine Taschen. Wie sich herausstellte, war Rons Niffler der Tüchtigste gewesen, und Hagrid überreichte ihm als Preis einen Riesenriegel Schokolade aus dem Honigtopf. Glockengeläut wehte über das Land und rief sie zum Mittagessen; Harry, Ron und Hermine blieben noch kurz da, um Hagrid zu helfen, die Niffler in die Kisten zu stecken, während der Rest der Klasse zum Schloß ging. Harry fiel auf, daß Madame Maxime sie von ihrem Kutschenfenster aus beobachtete.

»Was hast du mit deinen Händen gemacht, Hermine?«, fragte Hagrid besorgt.

Hermine erzählte ihm von der Haßpost, die sie am Morgen bekommen hatte, und von dem Umschlag voller Bubotubler-Eiter.

»Aaach, mach dir keine Sorgen«, sagte Hagrid und sah sie freundlich lächelnd an.»Nach dem, was diese Rita Kimm-korn über meine Mutter geschrieben hat, hab ich auch 'n paar von diesen Briefen gekriegt. ›Du bist ein Monster und man sollte dich erlegen.‹ – ›Deine Mutter hat unschuldige Menschen getötet, und wenn du nur einen Funken Anstand hättest, würdest du in den See springen.‹«

»Nein!«, rief Hermine entsetzt.

»Ja«, bestätigte Hagrid und trug die Niffler-Kisten hinüber zur Hüttenwand.»Sind doch nur Spinner, Hermine. Wenn du noch mehr von diesen Briefen kriegst, mach sie bloß nicht auf. Wirf sie einfach ins Feuer.«

»Da hast du mal eine wirklich gute Unterrichtsstunde verpaßt«, meinte Harry auf dem Rückweg zu Hermine gewandt.»Sind doch toll, diese Niffler, oder, Ron?«

Ron jedoch stierte mit finsterem Blick auf die Schokolade, die Hagrid ihm geschenkt hatte. Aus irgendeinem Grund schien er schwer sauer zu sein.

»Was ist los?«, sagte Harry.»Stimmt was nicht mit der Schokolade?«

»Nein«, sagte Ron brüsk.»Warum hast du mir nichts von

dem Gold erzählt?«

»Welchem Gold?«, fragte Harry.

»Von dem Gold, das ich dir bei der Quidditch-Weltmeis-terschaft gegeben hab«, sagte Ron.»Dem Leprechan-Goldfür mein Omniglas. In der Ehrenloge. Warum hast du mir nicht gesagt, daß es sich aufgelöst hat?«

Harry mußte einen Augenblick nachdenken, bis er begriff, wovon Ron eigentlich redete.

»Oh…«, sagte er, als er sich endlich erinnerte.»Keine Ahnung… hab gar nicht bemerkt, daß es verschwunden ist. Ich hab mir eher Sorgen um meinen Zauberstab gemacht, verstehst du?«

Sie stiegen die Treppe zum Schloß hoch und gingen in die Große Halle zum Mittagessen.

»Muß schön sein«, sagte Ron unvermittelt, als sie sich gesetzt hatten und ihre Teller mit Roastbeef und Yorkshire-Pudding beluden.»So viel Geld zu haben, daß du nicht einmal merkst, wenn eine Tasche voll Galleonen einfach verschwindet.«

»Hör zu, ich hatte in dieser Nacht andere Dinge im Kopf!«, sagte Harry ungeduldig.»Wir alle, weißt du noch?«

»Ich wußte nicht, daß sich Leprechan-Gold auflöst«, murmelte Ron.»Ich dachte, ich hätte bezahlt, was ich dir geschuldet hab. Du hättest mir diesen Chudley-Cannons-Hut nicht zu Weihnachten schenken sollen.«

»Vergiß es, ja?«, sagte Harry.

Ron spießte mit der Gabel eine Bratkartoffel auf und starrte sie mißmutig an. Dann sagte er:»Ich hasse es, arm zu sein.«

Harry und Hermine sahen sich an. Sie wußten beide nicht recht, was sie darauf sagen sollten.

»Alles Unsinn«, sagte Ron und starrte immer noch seine Kartoffel an.»Ich mach Fred und George jedenfalls keinen Vorwurf, weil sie versuchen, nebenher ein wenig Geld zu verdienen. Wenn ich's nur selbst könnte. Wenn ich nur einen Niffler hätte.«

»Schön, dann wissen wir ja, was wir dir das nächste Mal zu Weihnachten schenken«, sagte Hermine mit einem breiten Lächeln. Doch als Ron weiterhin eine triste Miene machte, fügte sie hinzu:»Komm schon, Ron, dir geht's nicht schlecht. Wenigstens sind deine Finger nicht voller Eiter.«Hermine hatte einige Schwierigkeiten, mit Messer und Gabel zu hantieren, da ihre Finger stocksteif und geschwollen waren.»Ich hasse diese Kimmkorn-Tante!«, brach es zornig aus ihr hervor.»Das zahl ich ihr heim, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

* * *

Auch in der Woche darauf bekam Hermine immer wieder Haßpost. Zwar befolgte sie Hagrids Ratschlag und öffnete sie nicht mehr, doch einige der Hermine-Hasser schickten ihr Heuler, die am Gryffindor-Tisch explodierten und sie, für alle hörbar, mit schrillen Beschimpfungen überhäuften. Selbst wer nicht die Hexenwoche las, erfuhr jetzt alles über die angebliche Dreiecksgeschichte Harry-Krum-Hermine. Harry war schon völlig entnervt, weil er den Leuten ständig erklären mußte, daß er mit Hermine nur befreundet war und nichts weiter.

»Glaub mir, das wird sich legen«, versicherte er Hermine,»wenn wir einfach drüber hinweggehen… was sie das letzte Mal über mich geschrieben hat, fanden die Leute mit der Zeit auch langweilig -«

»Ich will aber wissen, wie sie vertrauliche Gespräche belauschen kann, wo sie doch angeblich Hausverbot hat!«, fauchte Hermine zornig.

Nach der nächsten Stunde Verteidigung gegen die dunklen Künste blieb sie noch kurz im Klassenzimmer zurück, um Professor Moody etwas zu fragen. Die anderen machten, daß sie wegkamen; Moody hatte sie in Zauberabwehr so scharf geprüft, daß viele von ihnen an kleinen Rissen und Stichen auf ihren Armen nuckelten. Harry litt unter einem so schweren Fall von Ohrenzucken, daß er die Hände gegen die Ohren pressen mußte, als er nach draußen ging.

»Also, Rita benutzt jedenfalls keinen Tarnumhang!«, keuchte Hermine fünf Minuten später, als sie Harry und Ron am Fuß der Marmortreppe eingeholt und Harrys Hand von einem zuckenden Ohr weggezogen hatte.»Moody sagt, er habe sie bei der zweiten Runde nirgendwo in der Nähe des Richtertischs gesehen und auch nirgendwo am See!«

»Hermine, hat es noch irgendeinen Sinn, dir zu sagen, daß du die Sache endlich aufgeben sollst?«, sagte Ron.

»Nein!«, sagte Hermine stur.»Ich will wissen, wie sie mich und Viktor belauscht hat! Und wie sie von Hagrids Mutter erfahren hat!«

»Vielleicht hat sie dich verwanzt«, sagte Harry.»Verwanzt?«, sagte Ron verdutzt.»Wie meinst du… Flöhe auf sie angesetzt oder so was?«

Harry begann ihm etwas von versteckten Mikrofonen und Tonbändern zu erzählen.

Ron fand es ungeheuer spannend, doch Hermine unterbrach sie.»Wollt ihr beide denn nie Eine Geschichte von Hogwarts lesen?«

»Wozu denn?«, erwiderte Ron.»Du kennst das Buch doch auswendig, wir müssen dich nur fragen.«

»All die Sachen, die die Muggel als Ersatz für Zauberei benutzen – Elektrizität und Computer und Radar und so weiter -, die spielen in der Nähe von Hogwarts alle verrückt, es liegt einfach zu viel Magie in der Luft. Nein, Rita gebraucht einen Zauber, um uns abzuhören, sie muß… wenn ich nur rausfinden könnte, was es ist… und wehe, es ist gesetzwidrig, dann werd ich sie…«

»Haben wir denn sonst keine Sorgen?«, fragte Ron.»Müssen wir auch noch einen Rachefeldzug gegen Rita Kimmkorn starten?«

»Dich hab ich doch gar nicht um Hilfe gebeten!«, fauchte Hermine.»Ich mach es allein!«

Ohne einen Blick zurück stolzierte sie die Marmortreppe hoch. Harry war sich ziemlich sicher, daß sie in die Bibliothek ging.

»Wetten, sie kommt mit einer Schachtel ›Ich hasse Rita Kimmkorn‹-Anstecker wieder?«, sagte Ron.

Hermine bat Harry und Ron tatsächlich nicht um Hilfe für ihren Rachefeldzug gegen Rita Kimmkorn, wofür sie beide dankbar waren, denn in den Wochen vor den Osterferien stöhnten sie immer lauter unter einem wachsenden Berg von Arbeit. Harry bewunderte unverhohlen, wie Hermine sich über magische Abhörverfahren kundig machen konnte und dann auch noch alles andere nebenher erledigte. Er hatte allein mit den Hausaufgaben mehr als genug zu tun, auch wenn er nie vergaß, regelmäßig Eßpakete hoch zu Sirius in die Berghöhle zu schicken; seit dem letzten Sommer hatte er nicht vergessen, wie es war, ständig hungrig zu sein. Er steckte Zettel für Sirius dazu, auf denen er schrieb, daß nichts Ungewöhnliches passiert sei und daß sie immer noch auf Antwort von Percy warteten.

Hedwig kam erst am Ende der Osterferien zurück. Percys Brief lag in einem Päckchen mit Ostereiern, die Mrs Weasley geschickt hatte. Die für Harry und Ron waren groß wie Dracheneier und gefüllt mit hausgemachter Karamellkrem. Hermines Ei hingegen war nicht größer als das eines Hühnchens. Ihre Züge erschlafften, als sie es sah.

»Deine Mum liest nicht zufällig die Hexenwoche, Ron?«, fragte sie leise.

»Doch«, sagte Ron mit dem Mund voll Karamellkrem.»Aber nur wegen der Rezepte.«

Hermine betrachtete traurig ihr kleines Ei.

»Willst du nicht wissen, was Percy geschrieben hat?«,fragte Harry eilig. Percys Brief war knapp und in gereiztem Ton gehalten.

Wie ich dem Tagespropheten andauernd mitteile, gönnt sich Mr Crouch eine wohlverdiente Ruhepause. Er schickt mir regelmäßig Eulen mit seinen Anweisungen. Nein, ich habe ihn tatsächlich nicht gesehen, aber ich denke, man wird mir zutrauen, daß ich die Handschrift meines eigenen Vorgesetzten kenne. Im Moment habe ich zu viel zu tun, um auch noch diese lächerlichen Gerüchte aus der Welt schaffen zu können. Bitte belästigt mich nicht mehr, außer wenn etwas Wichtiges anliegt. Frohe Ostern.

Wenn es nach Ostern auf den Sommer zuging, begann Harry normalerweise hart für das letzte Quidditch-Spiel der Saison zu trainieren. Dieses Jahr jedoch mußte er sich auf die dritte und letzte Aufgabe des Trimagischen Turniers vorbereiten, doch er wußte immer noch nicht, was da auf ihn zukam. Endlich, in der letzten Maiwoche, nahm ihn Professor McGonagall nach Verwandlung kurz beiseite.

»Sie gehen heute Abend um neun hinunter zum Quidditch-Feld, Potter«, verkündete sie ihm.»Dort wird Mr Bagman allen Champions die dritte Aufgabe erläutern.«

Und so ließ Harry um halb neun Ron und Hermine im Gryffindor-Turm zurück und ging nach unten. Er durchquerte gerade die Eingangshalle, als Cedric vom Gemeinschaftsraum der Hufflepuffs hochkam.

»Was, schätzt du, kommt diesmal dran?«, fragte er Harry, während sie zusammen die Steintreppe hinunter und in die bewölkte Nacht hinausgingen.»Fleur quasselt ständig von unterirdischen Gängen und glaubt, wir müßten einen Schatz finden.«

»Das wär ja gar nicht so übel«, sagte Harry, denn dann könnte er einfach Hagrid um einen Niffler bitten, der die Arbeit für ihn erledigen würde.

Sie liefen den Rasenabhang zum Quidditch-Stadion hinunter und nahmen einen schmalen Durchgang zwischen den Tribünen hinaus aufs Feld.

»Was haben sie damit angestellt?«, sagte Cedric entrüstet und blieb wie angewurzelt stehen.

Das Quidditch-Feld war keine ebene Rasenfläche mehr. Es sah aus, als hätte jemand lange, niedrige Mauern darüber gezogen, die sich kreuz und quer und in engen Windungen über das ganze Feld erstreckten.

»Das sind Hecken!«, sagte Harry und beugte sich vor, um eine der Pflanzen unter die Lupe zu nehmen.

»Hallo, ihr da!«, rief eine fröhliche Stimme.

Ludo Bagman stand mit Krum und Fleur in der Mitte des Feldes. Harry und Cedric kletterten über die Hecken zu ihnen hinüber. Fleur strahlte Harry entgegen. Seit er ihre Schwester aus dem See gezogen hatte, war sie ihm gegenüber völlig verändert.

»Nun, was haltet ihr davon?«, sagte Bagman launig, als Harry und Cedric über die letzte Hecke gestiegen und bei den dreien angelangt waren.»Die wachsen doch ganz hübsch? Noch einen Monat und Hagrid hat sie sieben Meter hochgezogen. Und macht euch keine Sorgen«, fügte er grinsend hinzu, als er die nicht allzu glücklichen Mienen Harrys und Cedrics sah,»ihr bekommt euer Quidditch-Feld genauso wieder, wie es war, wenn die letzte Runde vorbei ist! Nun, ihr könnt sicher erraten, was wir hier wachsen lassen?«

Einen Moment lang schwiegen alle. Dann -

»Irrgarten«, knurrte Krum.

»Richtig!«, sagte Bagman.»Einen Irrgarten. Die dritte Aufgabe ist wirklich einfach. Der Trimagische Pokal wird in der Mitte des Labyrinths aufgestellt. Der erste Champion, der ihn berührt, erhält die volle Punktzahl.«

»Wir müssen nur dursch den Irrgarten kommen?«, fragte Fleur.

»Für Hindernisse garantieren wir«, sagte Bagman ausgelassen und wiegte sich auf den Fußballen.»Hagrid wird uns eine Reihe von Kreaturen zur Verfügung stellen… dann gibt es Zauber, die gebrochen werden müssen… alles, was wir so haben, ihr wißt ja. Die Champions, die nach Punkten führen, werden als Erste in den Irrgarten starten können.«Bagman grinste Harry und Cedric an.»Dann kommt Mr Krum… und nach ihm Fleur Delacour. Aber ihr alle habt 'ne faire Chance, ihr müßt euch nur wacker an den Hindernissen vorbeikämpfen. Wird doch Spaß machen, meint ihr nicht?«

Harry, der nur zu gut wußte, was für Kreaturen Hagrid für ein solches Ereignis wohl herbeischaffen würde, war sich überhaupt nicht sicher, wo hier der Spaß stecken sollte. Doch wie die anderen Champions nickte er höflich.

»Sehr schön… wenn ihr jetzt keine Fragen mehr habt, gehen wir nach oben ins Schloß, es ist doch ein wenig frisch hier…«

Sie schlängelten sich aus dem noch wachsenden Irrgarten, und Bagman schloß mit raschen Schritten zu Harry auf. Harry ahnte schon, daß Bagman ihm gleich wieder seine Hilfe anbieten würde, doch in diesem Moment tippte ihm Krum auf die Schulter.

»Könnt ich eine Wort mit dir sprechen?«

»Ja, natürlich«, sagte Harry ziemlich überrascht.

»Gehen wir zusammen ein wenig?«

»Klar«, sagte Harry neugierig.

Bagman schien leicht irritiert.»Ich warte auf dich, Harry, oder nicht?«

»Nein, ist schon gut, Mr Bagman«, sagte Harry und unterdrückte ein Lächeln,»ich denke, ich finde das Schloß schon allein, danke.«

Harry und Krum verließen zusammen das Stadion, aber Krum wandte seine Schritte nicht hinüber zum Durmstrang-Schiff. Vielmehr ging er auf den Wald zu.

»Warum gehen wir hier lang?«, fragte Harry, als sie an Hagrids Hütte und der erleuchteten Beauxbatons-Kutsche vorbeikamen.

»Will nicht, daß uns jemand hört«, sagte Krum knapp.

Als sie endlich, nicht weit von der Koppel der Beauxbatons-Pferde, ein abgeschiedenes Fleckchen Land erreicht hatten, blieb Krum im Schatten der Bäume stehen und sah Harry ins Gesicht.

»Ich will wissen«, sagte er mit finsterem Blick,»was zwischen dir und Herminne ist.«

Harry, der wegen Krums Geheimnistuerei schon etwas Ernsteres erwartet hatte, starrte verblüfft zu ihm hoch.

»Nichts«, sagte er. Doch Krum sah ihn weiter böse an, und Harry, dem noch einmal schlagartig bewußt wurde, wie groß Krum war, ließ sich zu ein paar mehr Worten herbei.»Wir sind befreundet. Wir gehen nicht zusammen, wie du meinst. Diese Kimmkorn hat das alles nur erfunden.«

»Herminne sprickt sehr oft von dir«, sagte Krum und sah Harry mißtrauisch an.

»Ja, selbstverständlich«, sagte Harry,»immerhin sind wir Freunde.«

Er konnte es nicht fassen, dieses Gespräch mit Viktor Krum, dem berühmten internationalen Quidditch-Spieler. Es war, als ob der achtzehnjährige Krum glaubte, er, Harry, sei ihm ebenbürtig – sei ein echter Rivale -

»Ihr habt nie… ihr seid nie…«

»Nein«, sagte Harry sehr bestimmt.

Krum sah ein wenig zufriedener aus. Er blickte Harry ein paar Sekunden lang unverwandt an, dann sagte er:»Du fliegst serr gutt. Ich hab dich gesehn bei erste Aufgabe.«

»Danke«, sagte Harry mit einem breiten Lächeln und fühlte sich mit einem Mal viel größer.»Ich hab dich bei der Quidditch-Weltmeisterschaft gesehen. Dein Wronski-Bluff, ich muß schon sagen -«

Doch hinter Krum, zwischen den Bäumen, bewegte sich etwas, und Harry, der am eigenen Leib erfahren hatte, was in diesem Wald alles auf einen lauern konnte, packte Krum instinktiv am Arm und zog ihn beiseite.

»Was ist los?«

Harry schüttelte den Kopf und spähte durch die Bäume hinüber zu der Stelle, wo er etwas gesehen hatte. Er schob die Hand in den Umhang und griff nach seinem Zauberstab.

In diesem Augenblick stolperte ein Mann hinter einer hohen Eiche hervor. Einen Moment lang kam er Harry fremd vor… dann erkannte er Mr Crouch. Er sah aus, als wäre er seit Tagen unterwegs. An den Knien war sein Umhang zerrissen und blutig; sein Gesicht war zerkratzt; er war unrasiert und aschgrau vor Erschöpfung. Sein sonst immer geschniegeltes Haar und sein Schnurrbart hatten Wasser und Schere dringend nötig. Mr Crouchs merkwürdige äußere Erscheinung war jedoch nichts im Vergleich zu seinem Gebaren. Murmelnd und gestikulierend schien er mit jemandem zu sprechen, den nur er allein sehen konnte. Er erinnerte Harry lebhaft an einen alten Landstreicher, den er einmal gesehen hatte, als er mit den Dursleys einkaufen gegangen war. Auch dieser Mann hatte sich wild fuchtelnd mit einem Luftgespinst unterhalten; Tante Petunia hatte Dudley an der Hand genommen und ihn über die Straße gezogen, um nicht an ihm vorbeigehen zu müssen; danach hatte Onkel Vernon der Familie einen langen Sermon darüber gehalten, was er am liebsten mit Bettlern und Vagabunden anstellen würde.

»War er nicht ein Richter?«, sagte Krum und starrte Mr Crouch mit großen Augen an.»Ist er nicht aus eure Ministerium?«

Harry nickte, zögerte einen Moment lang, dann trat er langsam auf Mr Crouch zu, der ihn nicht ansah, sondern weiter mit einem Baum in der Nähe sprach:

»… und wenn Sie das erledigt haben, Weatherby, schicken Sie eine Eule zu Dumbledore und bestätigen Sie ihm die Zahl der Durmstrang-Schüler, die am Turnier teilnehmen, Karkaroff hat soeben mitgeteilt, daß es zwölf sein werden…«

»Mr Crouch?«, sagte Harry behutsam.

»… und schicken Sie eine weitere Eule an Madame Maxime, denn vielleicht möchte sie die Zahl der Schüler, die sie mitbringt, aufstocken, da jetzt Karkaroff ein rundes Dutzend veranschlagt… tun Sie das, Weatherby, hören Sie? Hören Sie? Hören…«Mr Crouchs Augen quollen hervor. Da stand er, den Blick auf den Baum gerichtet, und murmelte stumm zu ihm hin. Dann stolperte er seitlich weg und fiel auf die Knie.

»Mr Crouch?«, sagte Harry laut.»Was ist mit Ihnen?«

Crouchs Augen rollten in ihren Höhlen. Harry sah sich nach Krum um, der ihm zwischen die Bäume gefolgt war und mit alarmiertem Blick auf Mr Crouch hinuntersah.

»Was fehlt ihm denn?«

»Keine Ahnung«, murmelte Harry.»Hör zu, du gehst am besten jemanden holen -«

»Dumbledore!«, keuchte Mr Crouch. Er streckte die Hand aus, packte Harrys Umhang und zog ihn zu sich her, aber seine Augen stierten immer noch über Harrys Kopf hinweg.»Ich muß… Dumbledore… sprechen…«

»Gut«, sagte Harry,»wenn Sie aufstehen würden, Mr Crouch, dann können wir hoch zum -«

»Ich hab… Dummheit… gemacht«, hauchte Mr Crouch. Er machte den Eindruck eines vollkommen Wahnsinnigen. Seine Augen rollten und traten hervor und ein Rinnsal aus Speichel lief ihm über das Kinn.»Muß es… Dumbledore… sagen.«

»Stehen Sie auf, Mr Crouch«, sagte Harry laut und deutlich.»Stehen Sie auf, ich bringe Sie zu Dumbledore!«

Mr Crouchs Blick kippte in Harrys Richtung.

»Wer… du?«, wisperte er.

»Ich bin ein Schüler aus dem Schloß«, sagte Harry und sah sich Hilfe suchend nach Krum um, doch Krum, offenbar höchst nervös, hielt sich im Schatten.

»Du bist nicht… seiner?«, flüsterte Crouch, und der Unterkiefer fiel ihm herab.

»Nein«, sagte Harry ohne die geringste Ahnung, wovon Crouch überhaupt redete.

»Dumbledores?«

»Ja, stimmt«, sagte Harry.

Crouch zog ihn näher an sein Gesicht; Harry versuchte Crouchs Klammergriff an seinem Umhang zu lockern, doch er war zu kräftig.

»Warne… Dumbledore…«

»Ich hole Dumbledore, wenn Sie mich loslassen«, sagte Harry.»Lassen Sie mich einfach los, Mr Crouch, und ich hole ihn…«

»Danke, Weatherby, und wenn Sie das erledigt haben, hätte ich gerne eine Tasse Tee. Meine Frau und mein Sohn werden in Kürze eintreffen und heute Abend gehen wir mit Mr und Mrs Fudge ins Konzert.«Crouch sprach nun wieder eifrig mit einem Baum und schien Harrys Anwesenheit völlig vergessen zu haben, was Harry so bestürzte, daß er gar nicht merkte, daß Crouch ihn losgelassen hatte.»Ja, mein Sohn hat jüngst zwölf ZAGs erworben, äußerst zufrieden stellend, ja, danke Ihnen, ja, wirklich sehr stolz. Nun, wenn Sie mir bitte das Schreiben des andorranischen Zaubereiministers bringen würden, ich denke, ich habe noch Zeit, eine Antwort aufzusetzen…«

»Du bleibst hier bei ihm!«, sagte Harry zu Krum gewandt.»Ich hole Dumbledore, das geht schneller, weil ich weiß, wo sein Büro ist -«

»Er ist wahnsinnig«, sagte Krum mit zweifelnder Stimme und starrte hinunter auf Crouch, der immer noch den Baum anplapperte, offenbar überzeugt, er sei Percy.

»Paß kurz auf ihn auf«, sagte Harry und hatte sich schon halb erhoben, doch das schien einen erneuten plötzlichen Wandel in Mr Crouchs Gedanken auszulösen; er schlang den Arm fest um Harrys Knie und zog ihn wieder zu Boden.

»Laß… mich… nicht allein!«, flüsterte er, und wieder traten ihm die Augen aus den Höhlen.»Ich… bin entkommen… muß es Dumbledore… sagen… warnen… meine Schuld… alles meine Schuld… Bertha… tot… alles meine Schuld… mein Sohn… meine Schuld… sag Dumbledore… Harry Potter… der dunkle Lord… stärker… Harry Potter…«

»Ich hol Dumbledore, wenn Sie mich loslassen, Mr Crouch!«Er sah sich wütend nach Krum um.»Hilf mir doch endlich!«

Krum trat mit äußerst widerwilliger Miene näher und hockte sich neben Mr Crouch auf die Erde.

»Paß einfach auf, daß er hier liegen bleibt«, sagte Harry und befreite sich aus Mr Crouchs Umklammerung.»Ich komm gleich mit Dumbledore zurück.«

»Beeil dich, ja!?«, rief Krum ihm vom Waldrand aus nach, als Harry losspurtete und über das dunkle Schloßgelände davonjagte. Kein Mensch war zu sehen; Bagman, Cedric und Fleur waren verschwunden. Harry rannte die Steintreppe hoch, durch das eichene Portal und über die Marmortreppe nach oben in den zweiten Stock.

Fünf Minuten später stürzte er auf einen steinernen Wasserspeier in der Mitte eines verlassenen Korridors zu.

»Scherbert Zitrone!«, japste er ihm entgegen.

Dies war das Paßwort für die verborgene Treppe zu Dumbledores Büro – zumindest hatte es vor zwei Jahren noch so gelautet. Doch offenbar war das Paßwort geändert worden, denn der steinerne Wasserspeier erwachte nicht zum Leben und sprang auch nicht zur Seite, sondern stand nur steinern da und sah Harry feindselig an.

»Beweg dich!«, schrie ihn Harry an.»Mach schon!«

Doch in Hogwarts hatte sich noch nie etwas bewegt, nur weil er es angeschrien hatte; er wußte, daß es nichts nützte. Er spähte nach links und rechts den dunklen Korridor entlang. Vielleicht war Dumbledore im Lehrerzimmer? Er begann, so schnell er konnte, auf die Treppe zuzurennen -

»POTTER!«

Harry geriet ins Schlittern, blieb stehen und drehte sich um.

Aus einem verborgenen Treppenaufgang hinter dem steinernem Wasserspeier war Snape herausgekommen. Während sich die Öffnung in der Wand hinter ihm schloß, winkte er Harry zu sich her.»Was tust du hier, Potter?«

»Ich muß Professor Dumbledore sprechen!«, sagte Harry, rannte auf Snape zu und bremste rutschend vor ihm ab.»Es geht um Mr Crouch… ich hab ihn gerade entdeckt… er ist im Wald… er fragt nach -«

»Was soll der Unsinn?«, sagte Snape mit glitzernden schwarzen Augen.»Wovon redest du überhaupt?«

»Mr Crouch!«, rief Harry.»Aus dem Ministerium! Er ist krank oder so was – er ist im Wald, er will Dumbledore sehen! Geben Sie mir doch das Paßwort nach oben -«

»Der Direktor ist beschäftigt, Potter«, sagte Snape, und sein dünner Mund kräuselte sich zu einem gehässigen Lächeln.

»Ich muß es Dumbledore sagen!«, schrie Harry.

»Hast du mich nicht verstanden, Potter?«

Harry spürte, daß Snape es in tiefen Zügen genoß, Harry in all seiner Panik genau das zu verweigern, was er brauchte.

»Hören Sie«, sagte Harry zornig,»Crouch geht es nicht gut – er – ist nicht richtig beisammen – er will – vor etwas warnen -«

Die steinerne Wand hinter Snape teilte sich. In der Öffnung stand Dumbledore in seinem langen grünen Umhang und mit belustigt neugieriger Miene.

»Gibt es ein Problem?«, sagte er und sah abwechselnd Harry und Snape an.

»Professor!«, sagte Harry und duckte sich an Snape vorbei, bevor dieser den Mund aufmachen konnte.»Mr Crouch ist hier – unten im Wald, er will mit Ihnen sprechen!«

Harry hätte erwartet, daß Dumbledore erst einmal Fragen stellen würde, doch zu seiner Erleichterung tat er nichts dergleichen.»Bring mich dorthin«, sagte er prompt und rauschte hinter Harry den Korridor entlang, während Snape am Wasserspeier stehen blieb und einen bislang unerreicht garstigen Anblick bot.

»Was hat Mr Crouch gesagt, Harry?«, fragte Dumbledore, während sie hastig die Marmortreppe hinunterstiegen.

»Er meinte, er wolle Sie warnen… er habe etwas Schreckliches getan… hat was von seinem Sohn gesagt… und Bertha Jorkins… und – und Voldemort… etwas von wegen Voldemort würde stärker werden…«

»Tatsächlich«, sagte Dumbledore und beschleunigte seine Schritte hinaus in die rabenschwarze Nacht.

»Er benimmt sich ganz merkwürdig«, sagte Harry, als er an Dumbledores Seite dahinhastete.»Er weiß offenbar nicht, wo er ist. Ständig redet er, als ob er glauben würde, Percy Weasley sei bei ihm, und dann macht er plötzlich einen Gedankensprung und sagt, er müsse Sie sehen… Ich hab Viktor Krum bei ihm gelassen.«

»Ach ja?«, sagte Dumbledore scharf und schritt nun noch zügiger voran, so daß Harry rennen mußte, um Schritt zu halten.»Weißt du, ob sonst noch jemand Mr Crouch gesehen hat?«

»Nein«, sagte Harry.»Krum und ich haben uns unterhalten, Mr Bagman hatte uns gerade die dritte Aufgabe erklärt, wir sind hinter den anderen zurückgeblieben, und dann haben wir Mr Crouch aus dem Wald kommen sehen -«

»Wo sind sie?«, sagte Dumbledore, als die Beauxbatons-Kutsche aus der Dunkelheit auftauchte.

»Dort drüben«, sagte Harry und lief jetzt Dumbledore voraus den Weg durch die Bäume entlang. Er konnte Crouchs Stimme nicht mehr hören, doch er wußte, wo er hinwollte; es war nicht weit von der Beauxbatons-Kutsche entfernt gewesen… irgendwo hier…

»Viktor?«, rief Harry.

Keine Antwort.

»Sie waren hier«, sagte Harry zu Dumbledore.»Sie waren ganz bestimmt irgendwo hier…«

»Lumos«, sagte Dumbledore. Aus seinem Zauberstab fiel ein Lichtstrahl und er hob ihn in die Höhe.

Der dünne Strahl wanderte über die schwarzen Baumstämme und erhellte den Waldboden. Und dann fiel er auf ein Paar Füße.

Harry und Dumbledore stürzten darauf zu. Krum lag alle viere von sich gestreckt auf dem Waldboden. Offenbar war er bewußtlos. Von Mr Crouch war keine Spur zu sehen. Dumbledore beugte sich über Krum und hob sachte eines seiner Augenlider an.

»Schockzauber«, sagte er leise. Seine Halbmondgläser glitzerten im Licht des Zauberstabs, während er den Boden zwischen den umstehenden Bäumen absuchte.

»Soll ich jemanden holen gehen?«, sagte Harry.»Madam Pomfrey?«

»Nein«, sagte Dumbledore rasch.»Bleib hier.«

Er hob den Zauberstab hoch und richtete ihn mit ausgestrecktem Arm auf Hagrids Hütte. Harry sah, wie etwas Silbernes aus der Spitze hervorschoß und wie ein Geistervogel zwischen den Bäumen hindurchflog. Dann beugte sich Dumbledore erneut über Krum, richtete den Zauberstab auf ihn und murmelte:»Enervate.«

Krum öffnete die Augen. Er wirkte benommen. Als er Dumbledore erkannte, versuchte er sich aufzurichten, doch Dumbledore legte ihm die Hand auf die Schulter und bedeutete ihm, ruhig liegen zu bleiben.

»Er hat mich angegriffen!«, murmelte Krum und fuhr mit der Hand zur Stirn.»Der alte Irre hat mich angegriffen! Ich habe nur nachsehe wollen, wo Potter steckt, und da hat er mich von hinten angegriffen!«

»Bleib noch einen Moment ruhig liegen«, sagte Dumbledore.

Das Geräusch donnernder Schritte drang zu ihnen herüber und Hagrid trat mit Fang auf den Fersen in den Lichtschein. Er trug seine Armbrust.

»Professor Dumbledore!«, sagte er und seine Augen weiteten sich.»Harry – was zum -?«

»Hagrid, ich möchte, daß du Professor Karkaroff holen gehst«, sagte Dumbledore.»Sein Schüler wurde angegriffen. Und danach alarmiere bitte Professor Moody -«

»Nicht nötig, Dumbledore«, ertönte ein heiseres Knurren,»ich bin schon da.«Auf den Stock gestützt und mit leuchtendem Zauberstab hinkte Moody auf sie zu.

»Verfluchtes Bein«, sagte er aufgebracht.»Wär sonst schneller hier gewesen… was ist passiert? Snape sagte was von wegen Mr Crouch -«

»Crouch?«, sagte Hagrid verdutzt.

»Karkaroff, bitte, Hagrid!«, sagte Dumbledore scharf.

»O ja… 'türlich, Professor…«, sagte Hagrid, machte kehrt und verschwand mit Fang im Schlepptau in der Dunkelheit.

»Ich weiß nicht, wo Barty Crouch steckt«, sagte Dumbledore zu Moody gewandt,»aber wir müssen ihn unbedingt finden.«

»Bin schon unterwegs«, knurrte Moody, richtete seinen Zauberstab auf und humpelte in den Wald hinein davon.

Weder Harry noch Dumbledore sprachen ein Wort, bis unmißverständlich zu hören war, daß Hagrid und Fang zurückkehrten. Ihnen nach hastete Karkaroff. Er trug seinen silbrigseidenen Pelzmantel und wirkte bleich und erregt.

»Was hat das zu bedeuten?«, rief er, als er Krum am Boden liegen und Dumbledore und Harry neben ihm knien sah.»Was geht hier vor?«

»Ich wurde angegriffen!«, sagte Krum, setzte sich jetzt auf und rieb sich die Stirn.»Mr Crouch oder wie diese Mann heißt -«

»Crouch hat dich angegriffen? Crouch hat dich angegriffen? Der Trimagische Richter?«

»Igor«, setzte Dumbledore an, doch Karkaroff hatte sich aufgerichtet und krallte, offenbar rasend vor Zorn, die Finger in seinen Pelz.

»Verrat!«, brüllte er und deutete auf Dumbledore.»Es ist eine Verschwörung! Sie und Ihr Zaubereiminister haben mich unter fadenscheinigen Vorwänden hierher gelockt, Dumbledore! Dies ist kein fairer Wettkampf! Zuerst schmuggeln Sie Potter in das Turnier, obwohl er zu jung ist! Nun versucht einer Ihrer Kumpane im Ministerium, meinen Champion zu erledigen! Ich wittere Betrug und Bestechung in dieser ganzen Angelegenheit, und Sie, Dumbledore, Sie mit Ihrem Gerede über engere internationale Zaubererbeziehungen, über den Wiederaufbau alter Partnerschaften, über das Begraben alter Konflikte – hier ist, was ich von Ihnen halte!«

Karkaroff spuckte Dumbledore vor die Füße. Mit einer blitzschnellen Bewegung packte Hagrid Karkaroff am Pelzkragen, hob ihn in die Luft und schmetterte ihn gegen einen nahen Baum.

»Entschuldige dich«, fauchte Hagrid, die massige Faust an Karkaroffs Kehle, der mit baumelnden Füßen in der Luft hing und nach Atem rang.

»Hagrid, hör auf!«, rief Dumbledore mit blitzenden Augen.

Hagrid zog die Hand zurück, mit der er Karkaroff gegen den Baum gedrückt hatte, und Karkaroff rutschte am Baumstamm hinunter und sackte am Wurzelansatz zu einem Häufchen zusammen; ein paar Zweige und Blätter regneten ihm auf den Kopf.

»Sei bitte so freundlich und begleite Harry hoch zum Schloß, Hagrid«, sagte Dumbledore scharf.

Schwer atmend versetzte Hagrid Karkaroff einen drohenden Blick.»Vielleicht sollte ich besser hier bleiben, Direktor…«

»Du bringst Harry zurück in die Schule, Hagrid«, wiederholte Dumbledore barsch.»Bring ihn gleich hoch in den Gryffindor-Turm. Und, Harry – ich möchte, daß du dort oben bleibst. Alles, was dir so zu tun einfällt – vielleicht die eine oder andere Eule fortzuschicken -, kann bis morgen warten, hast du mich verstanden?«

»Ähm – ja«, sagte Harry und starrte ihn an. Woher wußte Dumbledore, daß er genau in diesem Moment daran gedacht hatte, Pigwidgeon sofort zu Sirius zu schicken, um ihm zu berichten, was geschehen war?

»Ich laß Fang bei Ihnen, Direktor«, sagte Hagrid und starrte weiterhin drohend Karkaroff an, der noch immer am Fuß des Baumes zusammengesunken lag, verknäuelt in seinen Pelz und die Baumwurzeln.

»Hier geblieben, Fang. Komm mit, Harry.«

Sie marschierten schweigend an der Beauxbatons-Kutsche vorbei hinauf zum Schloß.

»Wie kann der das wagen«, knurrte Hagrid, als sie am See entlanggingen.»Wie kann der es wagen, Dumbledore zu beschuldigen. Als ob Dumbledore so was tun würde. Als ob Dumbledore ausgerechnet dich im Turnier haben wollte. Was für Sorgen er sich macht! Ich weiß nich, wann ich Dumbledore je so besorgt gesehen hab wie in letzter Zeit. Und du!«, sagte Hagrid plötzlich mit zorniger Stimme zu Harry, der verdutzt zu ihm aufsah.»Was hast du da unten zu suchen mit diesem krummen Kram? Er ist aus Durmstrang, Harry! Hätte dir gleich da unten 'nen Zauber verpassen können! Haste denn nichts gelernt bei Moody! Wenn ich mir vorstell, daß er dich allein da runtergelockt hat -«

»Krum ist schon in Ordnung!«, sagte Harry, als sie die Stufen zur Eingangshalle hochstiegen.»Er hat nicht versucht, mir einen Zauber aufzuhalsen, er wollte nur über Hermine sprechen -«

»Mit der werd ich auch noch 'n Wörtchen reden, da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte Hagrid und stapfte grimmig die Stufen empor.»Je weniger ihr drei mit diesen Ausländern zu tun habt, desto besser für euch. Da kann man doch keinem von trauen.«

»Mit Madame Maxime bist du aber ganz gut ausgekommen«, sagte Harry gereizt.

»Hör mir bloß auf mit der!«, sagte Hagrid und einen Moment lang sah er durchaus bedrohlich aus.»Der'n Masche kenn ich jetzt! Will sich nur wieder bei mir einschmeicheln und aus mir rauskitzeln, was in der dritten Aufgabe drankommt. Ha! Trau bloß keinem von denen!«

Hagrid war so schlechter Laune, daß Harry ganz froh war, sich vor der fetten Dame von ihm verabschieden zu können. Er kletterte durch das Porträtloch in den Gemeinschaftsraum und eilte gleich auf die Ecke zu, in der Ron und Hermine saßen, um ihnen alles zu erzählen.

Der Traum

»Es gibt nur zwei Möglichkeiten«, sagte Hermine und rieb sich die Stirn.»Entweder hat Mr Crouch Viktor angegriffen oder jemand anderer hat beide aus dem Hinterhalt überfallen.«

»Es war sicher Crouch selbst«, warf Ron ein.»Darum war er verschwunden, als Harry und Dumbledore hinzukamen. Hat sich schnell aus dem Staub gemacht.«

»Das glaub ich nicht«, entgegnete Harry kopfschüttelnd.»Mir kam er tatsächlich schwach vor – sah nicht so aus, als hätte er disapparieren können.«

»Man kann auf dem Hogwarts-Gelände nicht disapparieren, wie oft soll ich euch das denn noch erklären?«, sagte Hermine.

»Okay… und wie war's mit meiner Theorie«, sagte Ron erhitzt.»Krum hat Crouch angegriffen – nein, laß mich ausreden – und sich dann selbst einen Schockzauber verpaßt!«

»Und Mr Crouch hat sich in Luft aufgelöst, ja?«, entgegnete Hermine kühl.

»Ähm, jaah…«

Der Tag brach an. Harry, Ron und Hermine hatten sich in aller Frühe aus ihren Schlafsälen geschlichen und waren in die Eulerei hochgehastet, um Sirius eine Nachricht zu schicken. Nun standen sie oben am Fenster und sahen hinaus auf das nebelverhangene Land. Alle drei waren blaß und hatten geschwollene Augen, weil sie noch bis spät in die Nacht hinein über die Sache mit Mr Crouch gesprochen hatten.

»Laß uns das Ganze noch mal durchgehen, Harry«, sagte Hermine.»Was genau hat er gesagt?«

»Ich hab's dir doch schon erzählt, es war viel wirres Zeugs darunter«, erwiderte Harry.»Er wollte Dumbledore vor etwas warnen. Jedenfalls hat er von Bertha Jorkins gesprochen und schien sie für tot zu halten. Immer wieder hat er gesagt, es sei seine Schuld gewesen… und seinen Sohn hat er auch erwähnt.«

»Ja, das war allerdings wirklich seine Schuld«, sagte Hermine gereizt.

»Er war vollkommen durcheinander«, fuhr Harry fort.»Mir kam's immer wieder so vor, als glaube er, seine Frau und sein Sohn seien noch am Leben, und dauernd hat er mit einem eingebildeten Percy geredet und ihm irgendwelche Anweisungen für die Arbeit erteilt.«

»Und… was hat er noch mal über Du-weißt-schon-wen gesagt?«, fragte Ron argwöhnisch.

»Hab ich doch schon gesagt«, erwiderte Harry matt.»Er sei stärker geworden.«

Stille trat ein.

Dann meldete sich Ron zu Wort, doch sein zuversichtlicher Tonfall klang nicht ganz echt:»Aber du sagst doch selbst, daß er völlig durcheinander war, und die halbe Zeit hat er wahrscheinlich nur rumgesponnen…«

»Er klang am klarsten, als er von Voldemort gesprochen hat«, sagte Harry, ohne auf Rons erschrockenes Zucken zu achten.»Sonst ist es ihm recht schwer gefallen, seine Gedanken auf die Reihe zu bringen, aber bei Voldemort schien er zu wissen, wovon er redete und was er wollte. Er sagte immer wieder, er wolle Dumbledore sehen.«

Harry wandte sich vom Fenster ab und spähte hoch ins Dachgebälk. Die Hälfte der vielen Vogelstangen war leer; dann und wann kam eine Eule mit einer Maus im Schnabel von der nächtlichen Jagd durch eines der Fenster gesegelt.

»Wenn Snape mich nur nicht aufgehalten hätte«, sagte Harry erbittert,»dann wären wir vielleicht noch rechtzeitig gekommen. ›Der Direktor ist beschäftigt, Potter… was soll dieser Unsinn, Potter?‹ Warum konnte er nicht einfach verduften?«

»Vielleicht wollte er gar nicht, daß du dorthin zurückgehst!«, sagte Ron hastig.»Vielleicht – wart mal kurz – wie schnell, glaubst du, hätte er in den Wald kommen können? Denkst du, er hätte es vor dir und Dumbledore geschafft?«

»Nur dann, wenn er sich in eine Fledermaus verwandeln konnte«, sagte Harry.

»Das würd ich ihm glatt zutrauen«, brummte Ron.

»Wir müssen zu Professor Moody«, schlug Hermine vor,»und ihn fragen, ob er Mr Crouch gefunden hat.«

»Wenn er die Karte des Rumtreibers mit hatte, war es sicher einfach«, sagte Harry.

»Oder Crouch war schon außerhalb des Geländes«, sagte Ron,»weil sie ja nur bis zur Grenze -«

»Schhh!«, machte Hermine plötzlich.

Jemand stieg die Treppe zur Eulerei hoch. Harry konnte zwei streitende Stimmen hören, die immer näher kamen.

»- das ist Erpressung, sag ich dir, das kann uns 'ne Menge Ärger einbringen -«

»- wir haben es lange genug auf die nette Tour versucht, wird allmählich Zeit, daß wir die harte Gangart einschlagen, tut er ja auch. Es wäre ihm sicher unangenehm, wenn man im Zaubereiministerium erfährt, was er getan hat -«

»Ich sag dir, wenn du das schreibst, ist es Erpressung!«

»Jaah, und ausgerechnet du wirst dich beklagen, wenn 'ne hübsche Summe dabei rausspringt?«

Die Eulereitür schlug auf. Fred und George traten über die Schwelle und blieben beim Anblick von Harry, Ron und Hermine wie angewurzelt stehen.

»Was macht ihr denn hier?«, fragten Ron und Fred gleichzeitig.

»Post verschicken«, antworteten Harry und George wie auf Kommando.

»Wie, so früh?«, sagten Hermine und Fred.

Fred grinste.»Schön – wir fragen euch nicht, was ihr hier zu suchen habt, wenn ihr uns nicht fragt, was wir hier treiben«, sagte er.

Er hielt einen versiegelten Umschlag in der Hand. Harry warf einen Blick darauf, doch Fred, ob zufällig oder absichtlich, verschob die Hand, so daß der Namenszug nicht mehr zu lesen war.

»Laßt euch von uns nicht aufhalten«, sagte er und deutete mit einer übertriebenen Verbeugung zur Tür.

Ron rührte sich nicht vom Fleck.»Wen wollt ihr erpressen?«, fragte er.

Das Grinsen auf Freds Gesicht erstarb. George warf Fred einen kurzen Blick zu, dann lächelte er Ron an.

»Mach dich nicht lächerlich, ich hab nur Witze gemacht«, sagte er gelassen.

»Klang aber gar nicht danach«, sagte Ron.

Fred und George wechselten einen Blick.

Dann sagte Fred barsch:»Ich hab's dir doch schon mal gesagt, Ron, steck deine Nase nicht da rein, wenn du sie hübsch findest, so wie sie ist. Weiß zwar nicht, warum das so sein sollte, aber…«

»Es ist auch meine Angelegenheit, wenn ihr jemanden erpreßt«, sagte Ron.»George hat Recht, ihr könntet ernsthaft Ärger kriegen.«

»Ich hab dir doch gesagt, daß ich einen Witz gemacht hab«, entgegnete George. Er ging auf Fred zu, nahm ihm den Brief aus der Hand und band ihn an das Bein der nächstbesten Schleiereule.»Du klingst allmählich wie unser lieber älterer Bruder, muß ich sagen. Mach so weiter, und sie ernennen dich noch zum Schulsprecher.«

»Was für ein Blödsinn«, sagte Ron entrüstet.

George trug die Schleiereule hinüber zum Fenster und ließ sie davonflattern. Dann wandte er sich grinsend zu Ron um.»Na dann hör auf, den Leuten vorzuschreiben, was sie tun sollen. Bis später.«

Die beiden verschwanden Harry. Ron und Hermine starrten sich verdutzt an.

»Ihr glaubt doch nicht, daß sie etwas von all dem mitbekommen haben?«, flüsterte Hermine.»Von Crouch und so weiter?«

»Nein«, sagte Harry.»Wenn es etwas so Ernstes wäre, dann würden sie es jemandem sagen. Zumindest Dumbledore.«

Ron jedoch schien sich in seiner Haut nicht recht wohl zu fühlen.

»Was ist los mit dir?«, fragte Hermine.

»Na ja…«, setzte Ron an,»ich bin mir da nicht so sicher. Sie… sie sind in letzter Zeit ganz scharf darauf, Geld zu machen, das ist mir aufgefallen, als ich öfter mit ihnen rumgehangen bin, – als – ihr wißt schon -«

»Als wir nicht miteinander redeten«, beendete Harry den Satz für ihn.»Sicher, aber Erpressung…«

»Sie haben sich diese Sache mit dem Zauberscherzladen in den Kopf gesetzt«, sagte Ron.»Ich dachte zuerst, sie wollten damit nur Mum ärgern, aber sie meinen es ernst, sie wollen einen Laden aufmachen. Sie haben nur noch ein Jahr in Hogwarts, ständig reden sie davon, es sei an der Zeit, über die Zukunft nachzudenken, und daß Dad ihnen nicht helfen könne und daß sie Gold brauchten, um überhaupt anfangen zu können.«

Jetzt schien sich Hermine unbehaglich zu fühlen.»Schon, aber… sie würden nichts Ungesetzliches tun, oder doch?«

»Oder doch?«, wiederholte Ron mit skeptischer Miene.»Keine Ahnung… jedenfalls haben sie keine großen Probleme damit, Regeln zu verletzen.«

»Ja, aber hier geht's um das Gesetz«, sagte Hermine mit besorgtem Blick.»Und nicht um eine alberne Vorschrift in der Hausordnung… bei Erpressung kommen sie mit Nachsitzen nicht davon! Ron… vielleicht solltest du es Percy sagen…«

»Bist du verrückt?«, entgegnete Ron.»Percy? Er würde wahrscheinlich einen auf Crouch machen und sie einbuchten lassen!«Er starrte zum Fenster hinaus, durch das die Eule von Fred und George verschwunden war, dann sagte er:»Kommt, laßt uns was frühstücken.«

»Glaubt ihr, es ist noch zu früh, um zu Professor Moody zu gehen?«, fragte Hermine, während sie die Wendeltreppe hinunterstiegen.

»Ja«, sagte Harry.»Wenn wir ihn im Morgengrauen wecken, wird er wahrscheinlich glauben, wir wollten ihn angreifen, und dann sprengt er uns glattweg durch die Tür. Warten wir lieber bis zur großen Pause.«

Geschichte der Zauberei war lange nicht mehr so furchtbar zäh dahingeflossen. Harry sah andauernd auf Rons Uhr, da er seine eigene nun doch weggeworfen hatte, aber Rons ging so langsam, daß er gewettet hätte, auch die sei kaputt. Alle drei waren dermaßen müde, daß sie am liebsten die Köpfe auf den Tisch gelegt und geschlafen hätten; selbst Hermine machte sich ausnahmsweise keine Notizen, sondern saß da, den Kopf auf die Hände gestützt, und sah Professor Binns mit trüben Augen an.

Als es endlich läutete, hasteten sie hinaus in den Gang und hinüber zum Klassenraum, in dem sie Verteidigung gegen die dunklen Künste hatten; Moody kam gerade aus der Tür. Er sah so müde aus, wie sie sich fühlten. Das Lid seines normalen Auges hing schlaff herab und verlieh seinem Gesicht einen noch schieferen Ausdruck als sonst.

»Professor Moody?«, rief Harry, und sie drängelten sich durch die Scharen auf dem Korridor zu ihm hinüber.

»Hallo, Potter«, knurrte Moody. Sein magisches Auge folgte ein paar vorbeigehenden Erstkläßlern, die verängstigt ihre Schritte beschleunigten; es kippte zurück ins Innere seines Kopfes und beobachtete, wie sie um die Ecke verschwanden, bevor er wieder ein Wort sagte.»Kommt hier rein.«

Er trat zur Seite, ließ sie in sein leeres Klassenzimmer treten, hinkte ihnen nach und schloß die Tür.

»Haben Sie ihn gefunden?«, fragte Harry ohne Umschweife.»Mr Crouch?«

»Nein«, sagte Moody. Er humpelte hinüber zu seinem Tisch, setzte sich, streckte leise grunzend das Holzbein aus und zog seinen Flachmann hervor.

»Haben Sie die Karte benutzt?«, sagte Harry.

»Natürlich«, entgegnete Moody und genehmigte sich einen Schluck aus der Flasche.»Hab mir ein Beispiel an dir genommen, Potter. Hab sie aus meinem Büro in den Wald gerufen. Auf der Karte war er jedenfalls nicht.«

»Also ist er tatsächlich disappariert?«, fragte Ron.

»Du kannst auf dem Gelände nicht disapparieren, Ron!«, entgegnete Hermine.»Es gibt andere Wege, auf denen er hätte verschwinden können, nicht wahr, Professor Moody?«

Moodys magisches Auge blieb leicht zitternd auf Hermine ruhen.

»Du bist auch so eine, die mal über eine Laufbahn als Auror nachdenken sollte«, erklärte er.»Tickst genau richtig dafür, Granger.«

Hermine lief vor Stolz rosarot an.

»Jedenfalls war er nicht unsichtbar«, sagte Harry.»Die Karte zeigt auch Unsichtbare. Also muß er das Gelände verlassen haben.«

»Aber aus eigener Kraft?«, sagte Hermine eifrig.»Oder weil ihn jemand gezwungen hat?«

»Ja, jemand hätte – hätte ihn auf einen Besen zerren und mit ihm fortfliegen können, oder?«, sagte Ron hastig und sah Moody hoffnungsvoll an, ganz als ob auch er hören wollte, daß er das Zeug zum Auroren habe.

»Auch eine Entführung können wir nicht ausschließen«, brummte Moody.

»Und?«, fragte Ron,»vermuten Sie, daß er irgendwo in Hogsmeade ist?«

»Könnte überall sein«, sagte Moody kopfschüttelnd.»Sicher wissen wir nur, daß er nicht hier ist.«

Er gähnte so ausgiebig, daß sich seine Narben spannten und sein schräger Mund einige Zahnlücken offenbarte.

Dann sagte er:»Nun, Dumbledore meint zwar, ihr drei spielt gern Detektive, aber für Crouch könnt ihr nichts tun. Das Ministerium wird inzwischen nach ihm suchen, Dumbledore hat sie unterrichtet. Potter, du mußt jetzt über die dritte Aufgabe nachdenken.«

»Wie bitte?«, sagte Harry.»Ach ja…«

Er hatte keinen einzigen Gedanken an den Irrgarten verschwendet, seit er ihn letzte Nacht mit Krum verlassen hatte.

»Sollte dir diesmal wirklich liegen«, sagte Moody, sah zu Harry auf und kratzte sein vernarbtes und stoppliges Kinn.»Dumbledore meint jedenfalls, daß du schon einschlägig bewandert bist. Hast im ersten Schuljahr ein paar Hindernisse auf dem Weg zum Stein der Weisen abgeräumt, nicht wahr?«

»Wir haben ihm dabei geholfen«, warf Ron hastig ein.»Ich und Hermine haben ihm geholfen.«

Moody grinste.»Schön, wenn ihr ihm auch helft, sich auf diese Runde vorzubereiten, dann würd's mich sehr überraschen, wenn er nicht gewinnt«, sagte er.»Und bis dahin… immer wachsam, Potter. Immer wachsam.«Er nahm noch einen kräftigen Zug aus seinem Flachmann und ließ sein magisches Auge zum Fenster hinüberschwenken. Von seinem Platz aus war die oberste Spiere des Durmstrang-Schiffes zu sehen.

»Ihr beide«- sein normales Auge musterte Ron und Hermine -»ihr paßt auf Potter auf, klar? Ich behalt zwar im Auge, was hier so vorgeht, aber trotzdem… man kann nie genug Augen offen haben.«

* * *

Sirius schickte ihre Eule schon am nächsten Morgen zurück. Sie flatterte vor Harry auf den Tisch, genau in dem Moment, als ein Waldkauz mit einem Tagespropheten im Schnabel vor Hermine landete. Sie nahm ihm die Zeitung ab, überflog die ersten Seiten, sagte:»Ha! Sie hat nichts von Crouch erfahren!«, und beugte sich dann zu Ron und Harry hinüber, die lasen, was Sirius über die mysteriösen Ereignisse der vorletzten Nacht zu sagen hatte.

Harry – wie konntest du dich darauf einlassen, mit Viktor Krum in den Wald zu gehen? Schwöre mir bitte eulenwendend, daß du mit niemandem mehr nachts spazieren gehst. In Hogwarts ist jemand, der höchst gefährlich ist. Für mich ist offensichtlich, daß sie nicht wollten, daß Crouch mit Dumbledore spricht, und sie waren vermutlich nur ein paar Meter von dir entfernt in der Dunkelheit. Sie hätten dich umbringen können.

Dein Name ist nicht zufällig in den Feuerkelch geraten. Wenn dich jemand angreifen will, dann hat er jetzt seine letzte Chance. Bleib immer in der Nähe von Ron und Hermine, verlaß abends nicht mehr den Gryffindor-Turm und wappne dich für die dritte Aufgabe. Übe Schockzaubern und Entwaffnen. Ein paar Hexereien können auch nicht schaden. In dieser Crouch-Sache kannst du nichts tun. Halt dich bedeckt und paß auf dich auf. Ich erwarte deinen Brief mit dem Versprechen, daß du dich nicht wieder draußen rumtreibst. Sirius

»Ausgerechnet er will mir was erzählen von wegen draußen rumtreiben?«, entrüstete sich Harry mild, faltete Sirius' Brief zusammen und steckte ihn in den Umhang.»Nach all dem, was er selbst damals in der Schule getrieben hat!«

»Er macht sich Sorgen um dich!«, sagte Hermine scharf.»Genau wie Moody und Hagrid! Also hör auf ihn!«

»Das ganze Jahr über hat keiner versucht, mich anzugreifen«, sagte Harry.»Niemand hat mir auch nur ein Haar gekrümmt -«

»Außer, daß jemand deinen Namen in den Feuerkelch geworfen hat«, unterbrach ihn Hermine.»Und der oder die müssen das aus einem bestimmten Grund getan haben, Harry. Schnuffel hat Recht. Vielleicht haben sie nur abgewartet. Vielleicht ist es genau diese Runde, bei der sie dich kriegen wollen.«

»Paß auf«, sagte Harry ungeduldig,»nehmen wir an, Schnuffel hat Recht und jemand hat Krum einen Schocker verpaßt und Crouch entführt. Gut, dann wären sie doch irgendwo hinter den Bäumen um uns her gewesen? Aber sie haben gewartet, bis ich fort war, und dann erst angegriffen. Also sieht's nicht danach aus, als ob sie es auf mich abgesehen hätten!«

»Sie hätten es nicht nach einem Unfall aussehen lassen können, wenn sie dich im Wald ermordet hätten!«, entgegnete Hermine.»Aber wenn du während einer Turnierrunde stirbst -«

»Aber Krum haben sie doch einfach angegriffen«, sagte Harry.»Warum haben sie mich dann nicht auch gleich weggeputzt? Sie hätten es zum Beispiel so aussehen lassen können, als ob Krum und ich uns duelliert hätten.«

»Harry, ich versteh's ja auch nicht«, sagte Hermine verzweifelt.»Ich weiß nur, daß eine Menge merkwürdiger Dinge passieren, und mir gefällt das überhaupt nicht… Moody hat Recht – Schnuffel hat Recht – du mußt endlich für die dritte Runde trainieren, und zwar sofort. Und vergiß ja nicht, Schnuffel zu antworten und ihm zu versprechen, daß du dich nicht mehr alleine rumtreibst.«

* * *

Das Schloßgelände draußen wirkte immer dann ungeheuer verlockend auf Harry, wenn er nicht rauskonnte. Während der nächsten Tage verbrachte er seine ganze Freizeit entweder in der Bibliothek, wo er zusammen mit Hermine und Ron nach brauchbaren Zaubern suchte, oder in leeren Klassenzimmern, in die sie sich schlichen, um in Ruhe zu üben. Harry nahm sich vor allem den Schockzauber vor, den er noch nie angewandt hatte. Das Problem war nur, daß Ron und Hermine dafür gewisse Opfer bringen mußten.

»Können wir nicht Mrs Norris kidnappen?«, schlug Ron am Montag in der Mittagspause vor, als er mitten im Zauberkunstklassenzimmer flach auf dem Rücken lag, soeben zum fünften Mal in Folge von Harry geschockt und wieder belebt.»Schocken wir doch die mal zur Abwechslung. Oder du könntest Dobby nehmen, Harry, ich wette, er würde alles tun, um dir zu helfen. Ich will mich ja nicht beklagen oder so«- er stand ächzend auf und rieb sich den Hintern -»aber mir tut schon alles weh…«

»Wenn du auch andauernd neben die Kissen fällst!«, sagte Hermine unwirsch und warf die Kissen, die sie schon für den Verscheuchezauber benutzt hatten, auf einen Haufen.»Versuch doch einfach mal gerade nach hinten zu fallen!«

»Wenn du geschockt bist, geht das nicht mehr, Hermine!«, sagte Ron wütend.»Warum probierst du es nicht selbst?«

»Ach weißt du, ich glaube, Harry hat es jetzt ohnehin raus«, erwiderte Hermine hastig.»Und wegen Entwaffnung müssen wir uns keine Sorgen machen, das kann er ja schon ewig… ich denke, heute Abend sollten wir mit ein paar von diesen Hexereien anfangen.«

Sie überflog die Liste, die sie in der Bibliothek aufgestellt hatten.

»Der hier gefällt mir«, sagte sie,»dieser Lähmfluch. Soll alles verlangsamen, was dich angreifen will, Harry. Mit dem fangen wir an.«

Die Glocke läutete. Eilends stopften sie die Kissen in Flitwicks Schrank zurück und schlüpften aus dem Klassenzimmer.

»Wir sehen uns beim Abendessen!«, sagte Hermine und machte sich auf den Weg zu Arithmantik, während Harry und Ron zu Wahrsagen in den Nordturm gingen. Durch die hohen Fenster fielen breite Streifen gleißend goldenen Sonnenlichts auf den Gang. Der Himmel war von einem leuchtenden, wie in Email gemalten Blau.

»In Trelawneys Zimmer wird's kochend heiß sein, die macht ihr Feuer doch nie aus«, sagte Ron, als sie die Treppe zur silbernen Leiter und zur Falltür hochgingen.

Er hatte völlig Recht. In dem matt erleuchteten Zimmer herrschte brütende Hitze. Und die schwer parfümierten Rauchschwaden aus dem Kamin machten alles noch unerfraglicher. Harry wurde ganz schwummrig im Kopf und er ging hinüber zu einem der verhängten Fenster. Als Professor Trelawney ihren Schal von einer Lampe abwickelte und gerade nicht hinsah, öffnete er das Fenster einen Spaltbreit und ließ sich dann in einen Chintz-Sessel sinken. Eine sanfte Brise umspielte jetzt sein Gesicht. Es war unendlich angenehm.

»Meine Lieben«, sagte Professor Trelawney, setzte sich in ihren geflügelten Lehnstuhl vor die Klasse und sah sie reihum mit ihren merkwürdig vergrößerten Augen an,»wir haben unsere Arbeiten zur Weisheit der Planeten fast abgeschlossen. Heute jedoch bietet sich eine exzellente Gelegenheit, die Wirkungen des Mars zu studieren, denn gegenwärtig steht er in höchst interessanter Konstellation. Wenn ihr bitte alle hierher schauen würdet, ich dämpfe das Licht…«

Sie schwang ihren Zauberstab und die Lampen erloschen. Das Feuer war jetzt die einzige Lichtquelle. Professor Trelawney bückte sich, langte unter ihren Stuhl und hob ein kleines, unter einer Glaskuppel geborgenes Modell des Sonnensystems hoch. Es war ein schönes Stück; um die neun Planeten drehten sich schimmernde Monde, beschienen von der feurigen Sonne, und alle wurden von unsichtbarer Hand unter dem Glas gehalten. Harry sah träge hin, während Professor Trelawney erklärte, in welch faszinierendem Winkel Mars jetzt zu Neptun stehe. Die schwer parfümierten Schwaden waberten über ihn hinweg und die Brise vom Fenster her kühlte ein wenig sein Gesicht. Irgendwo hinter dem Vorhang hörte er ein Insekt leise summen. Seine Lider wurden schwer…

Er flog jetzt auf dem Rücken eines Uhus, schwebte am klaren blauen Himmel auf ein altes, mit Efeu überwuchertes Haus hoch oben auf einem Hügel zu. Jetzt neigten sie sich in die Tiefe, und der Wind blies Harry angenehm ins Gesicht, bis sie ein dunkles, kaputtes Fenster im oberen Stockwerk erreichten und hineinflogen. Nun ging es einen düsteren Korridor entlang, zu einem Zimmer ganz am Ende… durch die Tür, hinein in das dunkle Zimmer, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren…

Harry war vom Rücken des Uhus gestiegen… er sah ihm nach, wie er durch das Zimmer flatterte, auf einen Stuhl, dessen Rückenlehne ihm zugekehrt war, und sein Bein jemandem entgegenstreckte… auf dem Boden neben dem Lehnstuhl waren zwei dunkle Gestalten zu sehen… beide bewegten sich…

Die eine war eine riesige Schlange… die andere war ein Mann… ein kleiner Mann mit schütterem Haar, wäßrigen Augen und spitzer Nase… er keuchte und schluchzte auf dem Kaminvorleger…

»Du hast Glück gehabt, Wurmschwanz«, sagte eine kalte, hohe Stimme aus den Tiefen des Lehnstuhls, auf dem die Eule gelandet war.»Wirklich viel Glück. Dein dummer Fehler hat nicht alles ruiniert. Er ist tot.«

»Herr!«, keuchte der Mann auf dem Boden.»Herr, ich bin… ich bin hocherfreut… und bedaure das sehr…«

»Nagini«, sagte die kalte Stimme,»du hast heute kein Glück. Ich werde dir Wurmschwanz doch nicht zum Fraß vorwerfen… aber reg dich nicht auf, bleib ruhig… es gibt ja immer noch Harry Potter…«

Die Schlange zischelte. Harry konnte ihre Zunge flattern sehen.

»Na, Wurmschwanz«, sagte die kalte Stimme,»vielleicht noch eine kleine Erinnerung, warum ich nicht noch einen Fehler deinerseits hinnehmen werde…«

»Herr… nein… ich bitte Euch…«

Aus der Kuhle des Lehnstuhls tauchte die Spitze eines Zauberstabs auf. Sie richtete sich auf Wurmschwanz.»Cru-cio«, sagte die kalte Stimme.

Wurmschwanz schrie, schrie, als ob jeder Nerv seines Körpers brennen würde, das Schreien erfüllte Harrys Ohren, und die Narbe auf seiner Stirn entflammte vor rasendem Schmerz; auch Harry schrie jetzt laut… Voldemort würde ihn hören, würde wissen, daß er da war…

»Harry! Harry!«

Harry öffnete die Augen. Er lag, die Hände aufs Gesicht gepreßt, auf dem Boden von Professor Trelawneys Zimmer. Seine Narbe brannte immer noch so fürchterlich, daß ihm die Augen tränten. Der Schmerz war kein Phantom gewesen. Die ganze Klasse stand um ihn herum und Ron kniete mit entsetztem Gesicht neben ihm.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er.

»Natürlich nicht!«, sagte Professor Trelawney mit überaus erregter Miene. Ihre großen Augen schwebten lauernd über Harry.»Was war es, Potter? Eine Vorahnung? Eine Erscheinung? Was haben Sie gesehen?«

»Nichts«, log Harry. Er setzte sich auf. Sein Körper bebte. Er konnte nicht anders, er mußte sich einfach umdrehen und in die Schatten hinter sich spähen; Voldemorts Stimme hatte sich so nah angehört…

»Sie hatten die Hand auf Ihre Narbe gepreßt!«, sagte Professor Trelawney.»Sie haben sich auf dem Boden gewälzt, mit der Hand auf der Narbe! Kommen Sie schon, Potter, ich habe Erfahrung mit solchen Dingen!«

Harry sah zu ihr auf.

»Ich glaube, ich muß in den Krankenflügel«, sagte er.»Üble Kopfschmerzen.«

»Mein Lieber, Sie wurden ohne Zweifel durch die außerordentlich klarsichtigen Schwingungen meines Zimmers stimuliert!«, sagte Professor Trelawney.»Wenn Sie jetzt gehen, verlieren Sie vielleicht die Möglichkeit, weiter denn je in die Zukunft zu sehen -«

»Ich möchte nichts weiter sehen als ein Kopfschmerzmittel«, sagte Harry.

Er stand auf. Die Klasse wich zurück. Alle sahen erschüttert aus.

»Bis später dann«, murmelte Harry Ron zu, nahm seine Tasche und ging auf die Falltür zu, ohne auf Professor Trelawney zu achten, die ein fürchterlich enttäuschtes Gesicht machte, ganz als ob ihr ein richtiger Leckerbissen durch die Lappen gegangen wäre.

Als Harry jedoch unten am Fuß der Leiter ankam, wandte er seine Schritte nicht zum Krankenflügel. Er hatte keinen Moment vorgehabt, dort hinzugehen. Sirius hatte ihm gesagt, was er tun solle, wenn seine Narbe wieder zu schmerzen anfing, und Harry wollte seinem Ratschlag folgen: Er würde geradewegs in Dumbledores Büro gehen. Während er durch die Flure lief, überlegte er, was er soeben im Traum gesehen hatte… er war ebenso klar und deutlich gewesen wie jener Traum, der ihn im Ligusterweg aus dem Schlaf gerissen hatte… noch einmal führte er sich die Einzelheiten vor Augen, um sich später gut daran erinnern zu können… er hatte gehört, wie Voldemort Wurmschwanz beschuldigte, einen dummen Fehler gemacht zu haben… doch der Uhu hatte gute Nachrichten gebracht, der Fehler war ausgemerzt, jemand war tot… deshalb sollte Wurmschwanz nicht an die Schlange verfüttert werden… statt seiner würde er, Harry, ihr zum Fraß vorgeworfen…

Gedankenversunken war Harry an dem steinernen Wasserspeier, der den Eingang zu Dumbledores Büro bewachte, einfach vorbeigegangen. Er blinzelte, sah sich um, erkannte, wo er war, lief zurück und blieb vor dem Wasserspeier stehen. Dann fiel ihm ein, daß er das Paßwort ja gar nicht kannte.

»Scherbert Zitrone?«Ein Versuch konnte ja nicht schaden.

Der Wasserspeier rührte sich nicht.

»Okay«, sagte Harry und starrte ihn an.»Birnenbrandpra-line. Ähm – Lakritzzauberstab. Zischende Zauberdrops. Bubbels Bester Blaskaugummi. Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung… o nein, die mag er doch nicht, oder?… Nun komm schon, mach einfach auf!«, sagte er wütend.»Ich muß ihn unbedingt sprechen, es ist dringend.«

Der Wasserspeier ließ sich nicht erweichen.

Harry stieß mit dem Fuß dagegen, doch dafür bekam er nichts als einen höllischen Schmerz im großen Zeh.

»Schokofrosch!«, schrie er zornig, auf einem Bein hüpfend.»Zuckerfederkiel! Kakerlakenschwarm!«

Der Wasserspeier erwachte zum Leben und sprang zur Seite. Harry blinzelte.»Kakerlakenschwarm?«, sagte er verdutzt.»War doch nur 'n Scherz…«

Er hastete durch den Spalt in der Wand, der sich lautlos hinter ihm schloß, betrat eine steinerne Wendeltreppe, die sich langsam nach oben drehte und ihn vor eine polierte Eichentür mit einem bronzenen Türklopfer brachte. Aus dem Büro drangen Stimmen. Er sprang von der Treppe, zögerte einen Moment und lauschte.

»Dumbledore, ich fürchte, ich kann den Zusammenhang überhaupt nicht erkennen!«Es war die Stimme des Zaubereiministers, Cornelius Fudge.

»Ludo meint, Bertha wäre es durchaus zuzutrauen, daß sie sich verirrt. Zugegeben, wir hatten gehofft, sie zwischenzeitlich zu finden, und dennoch haben wir keinen Beweis für irgendein faules Spiel, Dumbledore, nicht den geringsten. Von wegen, ihr Verschwinden hinge mit dem von Barty Crouch zusammen!«

»Und was, glauben Sie, ist mit Barty Crouch passiert, Minister?«, ertönte Moodys knurrende Stimme.

»Ich sehe da zwei Möglichkeiten, Alastor«, sagte Fudge.»Entweder ist Crouch, wenn man seine persönliche Geschichte bedenkt, jetzt vollkommen übergeschnappt – hat sich geistig umnachtet vom Acker gemacht und treibt sich irgendwo rum -«

»In diesem Fall hat er sich sehr schnell vom Acker gemacht, Cornelius«, sagte Dumbledore ruhig.

»Oder aber – nun…«Fudge klang verlegen.»Ich will nicht urteilen, bevor ich nicht die Stelle gesehen habe, an der er gefunden wurde, aber Sie sagen, es war nicht weit von der Beauxbatons-Kutsche? Dumbledore, wissen Sie, was diese Frau ist?«

»Ich halte sie für eine sehr fähige Schulleiterin – und eine exzellente Tänzerin«, sagte Dumbledore leise.

»Dumbledore, nun kommen Sie!«, sagte Fudge aufgebracht.»Meinen Sie nicht, Sie sehen sie wegen Hagrid durch eine rosarote Brille? Die erweisen sich nicht alle als harmlos – wenn Sie Hagrid überhaupt als harmlos bezeichnen können, mit seinem ganzen Monsterfimmel -«

»Ich verdächtige Madame Maxime genauso wenig wie Hagrid«, sagte Dumbledore weiterhin gelassen.»Ich denke, es ist möglich, daß Sie da Vorurteile haben, Cornelius.«

»Können wir diese Diskussion nun vielleicht beenden?«, knurrte Moody.

»Ja, ja, gehen wir also runter aufs Gelände«, sagte Fudge ungeduldig.

»Nein, das meinte ich nicht«, sagte Moody,»ich wollte nur bemerken, daß Potter Sie sprechen will, Dumbledore. Er steht vor der Tür.«

Das Denkarium

Die Bürotür öffnete sich.

»Hallo, Potter«, sagte Moody.»Na, dann komm mal rein.«

Harry trat ein. Schon einmal war er in Dumbledores Büro gewesen; es war ein schönes, kreisrundes Zimmer, ringsum behangen mit Bildern ehemaliger Schulleiter, Männer und Frauen, allesamt tief schlafend.

Cornelius Fudge stand neben Dumbledores Schreibtisch, er trug den üblichen Nadelstreifenumhang und hielt seinen limonengrünen Bowler in der Hand.

»Harry!«, sagte Fudge und trat mit einladender Geste auf ihn zu.»Wie geht es dir?«

»Gut«, log Harry.

»Wir sprachen eben über die Nacht, in der Mr Crouch auf dem Schloßgelände aufgetaucht ist«, sagte Fudge.»Du hast ihn doch entdeckt?«

»Ja«, sagte Harry. Dann beschloß er, es sei zwecklos so zu tun, als ob er ihr Gespräch nicht mitgehört hatte, und fügte hinzu:»Aber Madame Maxime habe ich nirgends gesehen, und für sie wäre es sicher nicht so einfach gewesen, sich zu verstecken?«

Hinter Fudges Rücken lächelte ihm Dumbledore mit funkelnden Augen zu.

»Nun, wie dem auch sei«, meinte Fudge mit verlegener Miene,»wir wollten eben aufbrechen und uns die Stelle mal ansehen… vielleicht gehst du einfach in den Unterricht zurück -«

»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Professor«, wandte sich Harry rasch zu Dumbledore, der ihm einen kurzen, forschenden Blick zuwarf.

»Warte hier auf mich, Harry«, sagte er.»Unsere kleine Expedition wird nicht lange dauern.«

Wortlos gingen sie an ihm vorbei aus dem Zimmer und schlössen die Tür. Nach gut einer Minute erstarb das Klopfen von Moodys Holzbein unten im Korridor. Harry sah sich um.

»Hallo, Fawkes«, sagte er.

Fawkes, Professor Dumbledores Phönix, hockte auf seiner goldenen Stange neben der Tür. Der Vogel von der Größe eines Schwans, mit herrlich scharlachrotem und goldenem Gefieder, raschelte mit seinem langen Schweif und blinzelte Harry freundlich an.

Harry setzte sich auf einen Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch. Einige Minuten lang hockte er da, sah den ehemaligen Schulleitern beim Schlummern zu, dachte über das eben Gehörte nach und betastete mit dem Finger seine Narbe. Sie schmerzte jetzt nicht mehr.

Hier in diesem Büro, mit der Aussicht, Dumbledore gleich von dem Traum erzählen zu können, fühlte Harry sich schon viel ruhiger. Er ließ den Blick über die Wand hinter dem Schreibtisch wandern. Der Sprechende Hut, zerschlissen und geflickt, lag auf einem Wandbord. Neben ihm stand eine Glasvitrine mit einem prachtvollen silbernen Schwert, in dessen Griff große Rubine eingelassen waren, und Harry erkannte, daß es das Schwert war, das er selbst im zweiten Jahr aus dem Sprechenden Hut gezogen hatte. Einst hatte es Godric Gryffindor gehört, dem Begründer des Hauses, zu dem Harry gehörte. Er ließ den Blick darauf ruhen und erinnerte sich gerade lebhaft, wie es ihm damals, als er schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, zu Hilfe gekommen war, da bemerkte er einen silbrig schimmernden Lichtfleck, der auf dem Glas der Vitrine tanzte. Er wandte den Kopf und sah, daß aus einem schwarzen Schrank, dessen Tür nicht ganz geschlossen war, ein schmaler Streifen Licht herausfiel. Harry zögerte, warf Fawkes einen Blick zu, stand auf, ging hinüber und zog die Schranktür auf.

Im Schrank stand eine flache steinerne Schale mit merkwürdigen Gravuren entlang des Rands; Runen und Symbole, die Harry nicht entziffern konnte. Das silbrige Licht kam aus dem Inneren der Schale und stammte von etwas, das Harry noch nie gesehen hatte. Er konnte nicht erkennen, ob die Substanz eine Flüssigkeit oder ein Gas war. Sie war hell, silbrig weiß, und bewegte sich unablässig; ihre Oberfläche kräuselte sich wie Wasser, über das ein Wind streicht, dann wiederum teilte sie sich auf in sanft wirbelnde Wolken. Es war wie flüssiges Licht oder wie Wind, der greifbare Gestalt angenommen hatte – Harry war ratlos.

Er wollte die Substanz berühren, herausfinden, wie sie sich anfühlte, doch nach fast vier Jahren Erfahrung mit der magischen Welt wußte er, daß es sehr dumm wäre, einfach die Hand in eine Schale mit einer unbekannten Substanz zu tauchen. Daher zog er den Zauberstab aus dem Umhang, ließ den Blick nervös durch das Büro huschen, wandte sich erneut der Schale zu und rührte ihren Inhalt ganz kurz mit der Spitze des Zauberstabs um. An der Oberfläche der silbrigen Substanz begann es sehr schnell zu wirbeln.

Harry beugte sich tiefer über die Schale und steckte mit dem Kopf bereits mitten im Schrank. Die silbrige Substanz war durchsichtig geworden; sie wirkte wie Glas. Er sah von oben in sie hinein und erwartete den steinernen Boden der Schale zu sehen – doch stattdessen erblickte er unter der Oberfläche der geheimnisvollen Substanz einen riesigen Raum, in den er wie durch ein rundes Fenster in der Decke hinuntersehen konnte.

Der Raum war schwach erleuchtet; vielleicht war er sogar unterirdisch, denn es gab keine Fenster, nur Fackeln an den Mauern, wie er sie schon von Hogwarts kannte. Er bückte sich noch tiefer, so daß seine Nase nur noch wenige Zentimeter von der glasigen Substanz entfernt war, und nun sah er, daß an den Wänden entlang Sitzbänke errichtet waren, die sich stufenweise nach oben zogen und bis auf den letzten Platz besetzt waren mit Hexen und Zauberern. Genau in der Mitte des Raumes stand ein leerer Stuhl. Etwas an diesem Stuhl erweckte eine dunkle Vorahnung in ihm. An den Armlehnen hingen Ketten, als ob man die dort Sitzenden an den Stuhl zu fesseln pflegte. Wo befand sich dieser Ort? Sicher nicht in Hogwarts; einen solchen Raum hatte er im Schloß noch nicht gesehen. Zudem gab es in diesem geheimnisvollen Saal nur Erwachsene, und Harry wußte, daß es nicht annähernd so viele Lehrer in Hogwarts gab. Sie scheinen auf etwas zu warten, überlegte er; zwar konnte er von oben nur auf ihre Spitzhüte sehen, doch sie alle blickten offenbar in eine Richtung und sprachen nicht miteinander.

Da die Schale rund war und der Raum, den Harry beobachtete, quadratisch, konnte er nicht erkennen, was in den Ecken passierte. Doch er wollte noch mehr sehen und neigte den Kopf noch tiefer…

Seine Nasenspitze berührte die seltsame Substanz, in die er geblickt hatte. Dumbledores Büro tat einen übermächtigen Ruck – Harry warf es nach vorn und er stürzte kopfüber in die Substanz der Schale -

Doch sein Kopf schlug nicht auf dem steinernen Boden auf. Er fiel durch etwas Eiskaltes und Schwarzes; es war, als würde er in einen dunklen Malstrom gesogen -

Und plötzlich saß er auf einer Bank an der Mauer des Raumes in der Schale, einer Bank hoch über den anderen. Er blickte zur steinernen Decke auf und erwartete, dort das runde Fenster zu sehen, durch das er eben gespäht hatte, doch da war nichts als dunkler, fester Stein.

Schwer und schnell atmend blickte sich Harry um. Keine einzige Hexe, kein Zauberer in diesem Raum achtete auf ihn (und es waren mindestens zweihundert von ihnen da). Niemand schien bemerkt zu haben, daß ein vierzehnjähriger Junge soeben von der Decke herunter in ihre Mitte gefallen war. Harry wandte sich dem Zauberer zu, der neben ihm auf der Bank saß, und stieß vor Überraschung einen lauten Schrei aus, der in dem stillen Raum widerhallte.

Ihm zur Seite saß Albus Dumbledore.

»Professor!«, sagte Harry mit einer Art ersticktem Flüstern.»Verzeihung – das war keine Absicht – ich wollte mir nur diese Schale in Ihrem Schrank ansehen – ich – wo sind wir?«

Doch Dumbledore rührte sich nicht und sagte kein Wort. Er achtete überhaupt nicht auf Harry. Wie alle anderen Zauberer auf den Bänken schaute er in die gegenüberliegende Ecke des Raumes, wo eine Tür war.

Harry starrte Dumbledore verdutzt an, ließ den Blick über die schweigend und gespannt wartende Menge schweifen und wandte sich erneut Dumbledore zu. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen…

Schon einmal hatte Harry sich an einem Ort befunden, an dem ihn niemand sehen oder hören konnte. Damals war er durch die Blätter eines verzauberten Taschenkalenders gefallen, mitten hinein in das Gedächtnis eines Anderen… und wenn er sich nicht sehr irrte, war etwas Ähnliches auch jetzt geschehen…

Harry hob die rechte Hand, zögerte kurz und wedelte dann energisch vor Dumbledores Gesicht hin und her.

Dumbledore rührte sich nicht, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Damit war für Harry die Sache klar. Er war im Innern eines Gedächtnisses, und dies war nicht der Dumbledore der Gegenwart. Doch allzu lange konnte es nicht her sein… der Dumbledore, der jetzt neben ihm saß, hatte silbernes Haar, genau wie der heutige Dumbledore. Doch was war dies für ein Ort? Worauf warteten all diese Zauberer?

Harry sah sich jetzt etwas aufmerksamer um. Es war, wie er von oben aus schon vermutet hatte, fast sicher ein unterirdischer Raum – eine Art Kerker, befand er. Der Ort hatte etwas Düsteres, ja Bedrohliches an sich; an den Wänden hingen keine Bilder, es gab überhaupt keinen Schmuck; nur diese dicht geschlossenen Bankreihen, die sich an den Wänden des Raums emporzogen, so daß alle Zuschauer ungehinderten Blick auf den Stuhl mit den Ketten an den Armlehnen hatten.

Harry überlegte noch, wozu dieser Raum dienen sollte, als er Schritte hörte. Die Tür in der Ecke des Kerkers öffnete sich und drei Gestalten traten ein – genau gesagt ein Mann, flankiert von zwei Dementoren.

Harrys Eingeweide gefroren. Die Dementoren, große Gestalten mit Kapuzen, die ihre Gesichter verhüllten, glitten langsam auf den Stuhl in der Mitte zu. Sie hatten mit ihren verwesenden und modrigen Händen die Arme des Mannes gepackt. Der Mann in ihrer Mitte machte den Eindruck, als würde er gleich ohnmächtig werden, und Harry konnte es durchaus nachfühlen… er wußte, daß ihm die Dementoren im Innern eines Gedächtnisses nichts anhaben konnten, doch er erinnerte sich nur zu gut an ihre Kräfte. Ein leises Schaudern lief durch die Zuschauerreihen, während die Dementoren den Mann zu dem Kettenstuhl führten und dann hinausglitten. Die Tür schwang hinter ihnen zu.

Harry sah hinunter auf den Mann, der jetzt auf dem Stuhl saß, und erkannte Karkaroff.

Im Gegensatz zu Dumbledore sah Karkaroff hier viel jünger aus; Haare und Ziegenbart waren schwarz. Er hatte keinen glattseidenen Pelz an, sondern einen dünnen und schäbigen Umhang. Er zitterte am ganzen Leib. Noch während ihn Harry beobachtete, erglühten die Ketten an den Armlehnen plötzlich golden, schlangen sich an seinen Armen hoch und zurrten sie fest.

»Igor Karkaroff«, sagte eine barsche Stimme links von Harry. Harry wandte sich um und sah, wie sich in der Mitte seiner Sitzbank Mr Crouch erhob. Crouchs Haar war dunkel, sein Gesicht hatte viel weniger Falten, er wirkte kräftig und wachsam.»Sie wurden aus Askaban hierher gebracht, um vor dem Zaubereiministerium auszusagen. Sie gaben uns zu verstehen, daß Sie wichtige Informationen für uns hätten.«

Karkaroff, fest an den Stuhl gebunden, richtete sich, so gut er konnte, auf.

»Das habe ich, Sir«, sagte er, und obwohl seine Stimme ängstlich klang, hörte Harry den vertrauten öligen Ton heraus.»Ich möchte dem Ministerium dienlich sein. Ich will helfen. Ich – ich weiß, daß das Ministerium versucht – auch noch die letzten Anhänger des dunklen Lords zu stellen. Ich werde alles tun, um dabei zu helfen…«

Von den Bänken kam Gemurmel. Einige der Zauberer und Hexen musterten Karkaroff gespannt, andere offen mißtrauisch. Dann hörte Harry von der anderen Seite Dumbledores her ganz deutlich eine vertraute knurrende Stimme:»Dreck.«

Harry beugte sich vor und wandte den Kopf. Dort, rechts neben Dumbledore, saß Mad-Eye Moody – mit einem gewaltigen Unterschied zu dem Moody, den er kannte. Dieser Moody hatte kein magisches Auge, sondern zwei normale. Beide sahen hinab auf Karkaroff, und beide waren, von glühendem Abscheu erfüllt, zu Schlitzen verengt.

»Crouch wird ihn laufen lassen«, flüsterte er Dumbledore zu.»Hat sich auf einen Tauschhandel mit ihm eingelassen. Sechs Monate hab ich gebraucht, bis ich ihn endlich in die Finger bekommen hab, und Crouch läßt ihn einfach laufen, wenn er genug neue Namen von ihm kriegt. Nehmen wir seine Informationen, würd ich sagen, und werfen ihn gleich wieder den Dementoren vor.«

Aus Dumbledores langer Adlernase kam ein leises, mißbilligendes Schnauben.

»Ach ja, hab ich ganz vergessen… du magst ja diese Dementoren nicht, Albus?«, sagte Moody mit maskenhaftem Lächeln.

»Nein«, sagte Dumbledore leise,»ich fürchte, nein. Ich war schon immer der Meinung, das Ministerium sollte mit diesen Kreaturen nicht gemeinsame Sache machen…«

»Aber bei Dreckskerlen wie diesem hier…«, sagte Moody leise.

»Sie sagen, Sie hätten Namen für uns, Karkaroff«, meldete sich jetzt wieder Mr Crouch.»Bitte, wir hören.«

»Sie müssen verstehen«, sagte Karkaroff hastig,»daß er, dessen Name nicht genannt werden darf, immer unter strengster Geheimhaltung gearbeitet hat… er zog es vor, daß wir – das heißt seine Anhänger – und ich bedaure heute zutiefst, daß ich mich je zu ihnen zählte -«

»Raus mit der Sprache«, höhnte Moody.

»- wir wußten nie die Namen all unserer Gefährten – nur er wußte genau, wer alles dazugehörte -«

»Ein durchaus kluger Schachzug, nicht wahr, Karkaroff, damit ein Kerl wie du sie nicht alle verpfeifen kann«, murmelte Moody.

»Und doch behaupten Sie, Sie hätten ein paar Namen für uns?«, sagte Mr Crouch.

»Ja – das habe ich«, erwiderte Karkaroff atemlos.»Und das waren, beachten Sie, wichtige Gefolgsleute. Leute, die ich mit eigenen Augen seinen Willen habe ausführen sehen. Ich gebe diese Namen preis zum Zeichen, daß ich ihm ganz und gar abschwöre und so tief bereue, daß ich kaum -«

»Diese Namen lauten?«, sagte Mr Crouch scharf.

Karkaroff holte tief Luft.

»Einer war Antonin Dolohow«, sagte er.»Ich – ich sah ihn unzählige Muggel foltern und – und Gegner des dunklen Lords.«

»Und hast ihm dabei geholfen«, brummte Moody.

»Wir haben Dolohow bereits gefaßt«, sagte Crouch.»Er wurde kurz nach Ihnen aufgegriffen.«

»Tatsächlich?«, sagte Karkaroff und seine Augen weiteten sich.»Es – es freut mich, dies zu hören.«

Doch er sah nicht danach aus. Harry spürte, daß diese Neuigkeit Karkaroff einen schweren Schlag versetzt hatte. Einer seiner Namen war wertlos geworden.

»Weitere Namen?«, fragte Crouch kalt.

»Natürlich, ja… da war Rosier«, sagte Karkaroff hastig.»Evan Rosier.«

»Rosier ist tot«, sagte Crouch.»Auch er wurde kurz nach Ihnen gefaßt. Er zog es vor zu kämpfen, statt ruhig mitzukommen, und wurde im Kampf getötet.«

»Hat dabei aber noch ein Stück von mir mitgenommen«, flüsterte Moody.

Harry wandte sich zu ihm um und sah, wie er Dumbledore das große Loch in seiner Nase zeigte.

»Das – das hat er auch verdient!«, sagte Karkaroff mit einem deutlichen Anflug von Panik in der Stimme. Harry sah, daß er sich allmählich Sorgen machte, ob überhaupt eine seiner Informationen dem Ministerium nützen würde. Karkaroffs Augen huschten zur Tür an der Ecke, hinter der zweifellos noch die Dementoren lauerten.

»Weitere Namen?«, sagte Crouch.

»Ja!«, stieß Karkaroff hervor.»Da war Travers – er half mit, die McKinnons zu ermorden! Mulciber – er war auf den Imperius-Fluch spezialisiert und hat zahllose Leute gezwungen, schreckliche Dinge zu tun! Rookwood, ein Spion, hat dem Unnennbaren nützliche Informationen aus dem inneren Kreis des Ministeriums geliefert!«

Harry spürte, daß Karkaroff diesmal auf eine Goldader gestoßen war. Die Zuschauer fingen an zu tuscheln.

»Rookwood?«, fragte Mr Crouch mit einem Kopfnicken zu einer vor ihm sitzenden Hexe, die auf ihr Pergamentblatt zu kritzeln begann.»Augustus Rookwood von der Mysteriumsabteilung?«

»Ja, genau der«, sagte Karkaroff beflissen.»Ich glaube, er nutzte ein Netz gut plazierter Zauberer innerhalb wie außerhalb des Ministeriums, um wichtige Informationen zu sammeln -«

»Aber Travers und Mulciber haben wir«, sagte Mr Crouch.»Nun gut, Karkaroff, wenn das alles ist, werden Sie nach Askaban zurückgebracht, während wir entscheiden -«

»Noch nicht!«, schrie Karkaroff in heller Verzweiflung.»Warten Sie, ich habe noch mehr!«

Harry sah ihn im Licht der Fackeln schwitzen, die weiße Haut scharf abgehoben gegen das Schwarz von Haar und Bart.

»Snape!«, rief er.»Severus Snape!«

»Snape wurde vor diesem Rat bereits entlastet«, sagte Crouch kühl.»Albus Dumbledore hat sich für ihn verbürgt.«

»Nein!«, rief Karkaroff und zerrte an den Ketten, die ihn an den Stuhl fesselten.»Ich versichere Ihnen, Severus Snape ist ein Todesser!«

Dumbledore hatte sich erhoben.»Ich habe in dieser Angelegenheit bereits ausgesagt«, erklärte er ruhig.»Severus Snape war in der Tat ein Todesser, doch er hat sich schon vor Lord Voldemorts Sturz wieder unseren Reihen angeschlossen und als Spion für uns gearbeitet, unter größter Gefahr für sein eigenes Leben. Er ist heute genauso wenig ein Todesser, wie ich es bin.«

Harry wandte den Kopf Mad-Eye Moody zu. Da saß er, hinter Dumbledores Rücken, und machte ein Gesicht, in dem tiefe Zweifel geschrieben standen.

»Nun gut, Karkaroff«, sagte Crouch kühl,»Sie waren hilfreich. Ich werde Ihren Fall noch einmal prüfen. In der Zwischenzeit werden Sie nach Askaban verbracht…«

Mr Crouchs Stimme erstarb. Harry sah sich um; der Kerker löste sich auf, als wäre er aus Rauch; alles verblaßte, er konnte nur noch seinen eigenen Körper sehen, alles andere waren wirbelnde Schatten…

Und dann kehrte der Kerker zurück. Harry saß auf einem anderen Platz; noch immer auf der höchsten Bank, doch jetzt links von Mr Crouch. Die Stimmung war ganz anders; entspannt, fast fröhlich. Die hier versammelten Hexen und Zauberer unterhielten sich miteinander, als wären sie bei einer Sportveranstaltung. Eine Hexe auf halber Höhe gegenüber fing Harrys Blick auf. Sie hatte kurzes blondes Haar, trug einen magentaroten Umhang und nuckelte an der Spitze eines giftgrünen Federkiels. Es war, unverkennbar, die jüngere Rita Kimmkorn. Harry sah sich um; wieder saß Dumbledore neben ihm, diesmal in einem anderen Umhang. Mr Crouch wirkte müder, auch irgendwie grimmiger und hagerer… Harry begriff. Es war eine andere Erinnerung, ein anderer Tag… ein anderer Prozeß.

Die Tür in der Ecke öffnete sich und Ludo Bagman schritt herein.

Dies war jedoch nicht der ein wenig aus dem Leim gegangene Ludo Bagman, sondern ein Bagman, der offensichtlich auf der Höhe seiner Kraft als Quidditch-Spieler war. Seine Nase war noch nicht gebrochen; er war groß, schlank und muskulös. Bagman wirkte nervös, als er sich auf den Kettenstuhl setzte, doch der Stuhl fesselte ihn nicht wie zuvor Karkaroff, und Bagman, dadurch vielleicht ermutigt, ließ den Blick über die Zuschauermenge schweifen, winkte einigen von ihnen und schaffte sogar den Anflug eines Lächelns.

»Ludo Bagman, Sie sind hier vor dem Rat für das Magische Gesetz, um sich zu Anschuldigungen im Zusammenhang mit den Umtrieben von Todessern zu äußern«, sagte Mr Crouch.»Wir haben gehört, was gegen Sie vorliegt, und kommen nun zum Urteil. Haben Sie Ihrer Aussage noch etwas hinzuzufügen, bevor wir das Urteil verkünden?«

Harry traute seinen Ohren nicht. Ludo Bagman, ein Todesser?

»Nur«, sagte Bagman verlegen lächelnd,»nur – daß mir klar ist, daß ich ein ziemlicher Dummkopf war -«

Einige Zauberer und Hexen auf den umliegenden Plätzen lächelten nachsichtig. Mr Crouch schien ihre Gefühle nicht zu teilen. Er starrte mit einem Ausdruck größter Abneigung und Strenge auf Ludo Bagman hinunter.

»Da sagst du mal ein wahres Wort, Bursche.«Jemand hinter Harry hatte das in trockenem Ton Dumbledore zugemurmelt. Harry drehte sich um, und wieder war es Moody, der da auf der Bank saß.»Wenn ich nicht gewußt hätte, daß er noch nie 'ne große Leuchte war, hätt ich gesagt, daß diese Klatscher sein Hirn dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen haben…«

»Ludo Bagman, Sie wurden dabei ertappt, wie Sie Informationen an die Gefolgsleute Lord Voldemorts weitergaben«, sagte Mr Crouch.»Dafür beantrage ich eine Haftstrafe in Askaban von nicht weniger als -«

Doch von den Bänken im Umkreis kam ein zorniger Aufschrei. Einige der Hexen und Zauberer, die an der Mauer saßen, standen auf, sahen Mr Crouch kopfschüttelnd an und drohten sogar mit Fäusten.

»Aber ich hab Ihnen doch schon gesagt, ich hatte keine Ahnung!«, rief Bagman mit ernster Miene über das Getuschel der Menge hinweg.»Überhaupt keine! Der alte Rookwood war ein Freund meines Dads… ich hätte mir nie träumen lassen, daß er mit Du-weißt-schon-wem unter einer Decke steckte! Ich dachte, er würde Informationen für unsere Seite sammeln. Und Rookwood hat ständig davon geredet, er wolle mir später eine Stelle im Ministerium besorgen… wenn meine Quidditch-Karriere beendet ist, wissen Sie… ich meine, ich kann mich doch nicht für den Rest meiner Tage von Klatschern beballern lassen, oder?«

Einige Zuschauer kicherten verhalten.

»Ich lasse darüber abstimmen«, sagte Mr Crouch kalt. Er wandte sich an eine Gruppe, die an der rechten Seite des Verlieses saß.»Ich bitte die Jury um Handzeichen… wer ist für eine Haftstrafe…?«

Harry wandte den Blick nach rechts. Keine einzige Hand hob sich. Viele Hexen und Zauberer ringsum begannen zu klatschen. Eine der Hexen aus der Jury erhob sich.

»Ja?«, bellte Crouch.

»Wir möchten die Gelegenheit nutzen und Mr Bagman zu seiner glänzenden Leistung für England im Quidditch-Spiel gegen die Türkei letzten Samstag gratulieren«, sagte die Hexe atemlos.

Mr Crouch schien wütend. Donnernder Beifall erschütterte den Kerker. Bagman stand auf und verbeugte sich mit strahlendem Lächeln.

»Ungeheuerlich«, fauchte Mr Crouch Dumbledore zu und setzte sich, während Bagman hinausging.»Rookwood wollte ihm tatsächlich eine Stelle bei uns besorgen… der Tag, an dem Ludo Bagman kommt, wird ein sehr trauriger Tag für das Ministerium sein…«

Und wieder löste sich der Kerker auf. Nach einer Weile festigte er sich, und Harry sah sich um. Er und Dumbledore saßen immer noch neben Mr Crouch, doch die Stimmung konnte nicht gegensätzlicher sein. Es herrschte vollkommene Stille, unterbrochen einzig vom trockenen Schluchzen einer verhärmten und abgemagerten Hexe, die neben Mr Crouch saß. Mit zitternden Händen preßte sie ein Taschentuch an die Lippen. Harry sah zu Mr Crouch auf, der noch hagerer und grauer als zuvor wirkte. Auf seiner Schläfe zuckte ein Nerv.

»Bringt sie rein«, sagte er, und seine Stimme hallte in dem stillen Kerker wider.

Die Tür in der Ecke öffnete sich. Diesmal kamen sechs Dementoren herein, die vier Menschen mit sich führten. Harry fiel auf, daß die Zuschauer sich umdrehten und Mr Crouch verstohlene Blicke zuwarfen. Einige flüsterten jetzt miteinander.

Die Dementoren führten die vier in die Mitte des Kerkers, wo für jeden ein Stuhl mit kettenbewehrten Armlehnen bereitstand. Einer der Gefangenen war ein untersetzter Mann, der mit leerem Blick zu Mr Crouch hochstarrte; ein anderer, schlanker und fahriger wirkend, ließ den Blick über die Menge huschen; eine Frau mit dichtem, glänzend schwarzem Haar und dunkel umschatteten Augen saß auf ihrem Kettenstuhl, als wäre er ein Thron; und schließlich war da ein Junge, noch keine zwanzig Jahre alt, dessen Miene buchstäblich versteinert war. Zitternd saß er da, Strähnen von strohblondem Haar im sommersprossigen, milchig weißen Gesicht. Die schmächtige kleine Hexe neben Crouch begann auf ihrem Platz vor- und zurückzuwippen und in ihr Taschentuch zu wimmern.

Crouch stand auf. Er sah auf die vier vor ihm hinunter und in seinem Gesicht stand der blanke Haß.

»Sie wurden hierher vor den Rat für das Magische Gesetz gebracht«, sagte er mit klarer Stimme,»damit wir Sie für ein Verbrechen verurteilen, so abscheulich…«

»Vater«, sagte der Junge mit dem strohblonden Haar.»Vater… bitte…«

»- so abscheulich, wie wir es in den Mauern dieses Gerichts selten zu Ohren bekommen…«, sagte Crouch mit erhobener Stimme, die die seines Sohnes erstickte.»Wir haben gehört, welche Beweise gegen Sie vorliegen. Sie sind angeklagt, einen Auroren – Frank Longbottom – überwältigt und ihn dem Cruciatus-Fluch unterworfen zu haben, weil Sie glaubten, er kenne den Aufenthaltsort Ihres geflohenen Herrn, dessen Name nicht genannt werden darf-«

»Vater, ich war es nicht!«, schrie der Junge in Ketten.»Ich war es nicht, ich schwöre es, Vater, schick mich nicht zu den Dementoren zurück -«

»Sie sind weiterhin angeklagt«, bellte Mr Crouch,»den Cruciatus-Fluch gegen Frank Longbottoms Frau gerichtet zu haben, weil er selbst nichts preisgegeben hatte. Sie hatten die Absicht, ihm, dessen Name nicht genannt werden darf, wieder an die Macht zu verhelfen und die Welt erneut mit Gewalt zu überziehen, wie Sie es vermutlich schon taten, als er noch stark war -«

»Mutter!«, schrie der Junge, und die verhärmte kleine Hexe neben Crouch begann zu schluchzen und heftig mit dem Oberkörper zu wippen.»Mutter, sag ihm, er soll aufhören, Mutter, ich hab es nicht getan, ich war es nicht!«

»Ich fordere nun die Mitglieder der Jury auf«, rief Mr Crouch,»die Hand zu heben, wenn sie mit mir der Meinung sind, daß für diese Verbrechen eine lebenslängliche Strafe in Askaban angemessen ist.«

Die Hexen und Zauberer an der rechten Seite des Kerkers hoben einstimmig die Hände. Die Zuschauer auf den Bänken begannen zu klatschen, wie sie es schon für Bagman getan hatten, doch diesmal waren ihre Gesichter erfüllt von zorniger Genugtuung. Wieder begann der Junge zu schreien.

»Nein! Mutter, nein! Ich hab es nicht getan, ich war nicht dabei, ich wußte es nicht! Schick mich nicht dorthin, laß es nicht zu!«

Die Dementoren glitten herein. Die drei Mitangeklagten des Jungen erhoben sich schweigend von ihren Stühlen; die Frau mit den schweren, dunklen Augenlidern sah zu Crouch auf und rief:»Der dunkle Lord wird wiederkommen, Crouch! Begrab uns ruhig in Askaban, wir werden warten! Er wird wieder aufsteigen und uns von dort erlösen, er wird uns fürstlicher belohnen als alle seine anderen Anhänger! Wir allein waren ihm treu! Wir allein haben versucht, ihn zu finden!«

Der Junge allerdings versuchte die Dementoren abzuwehren, doch Harry sah, wie ihre kalte, Leben aussaugende Kraft ihn allmählich erlahmen ließ. Die Menge jubelte, manche Zuschauer waren aufgesprungen, und während die Frau rasch aus dem Kerker gegangen war, wehrte sich der Junge immer noch verbissen.

»Ich bin dein Sohn!«, schrie er zu Crouch hoch.»Ich bin dein Sohn!«

»Du bist nicht mein Sohn!«, bellte Crouch, und seine Augen traten plötzlich hervor.»Ich habe keinen Sohn!«

Die verhärmte Hexe neben ihm schluchzte laut auf und brach auf ihrem Platz zusammen. Sie war ohnmächtig. Crouch schien es nicht bemerkt zu haben.

»Bringt sie fort!«, donnerte Crouch den Dementoren entgegen, und Speicheltropfen flogen ihm aus dem Mund.»Bringt sie fort und laßt sie dort verrotten!«

»Vater! Vater, ich war nicht dabei! Nein! Nein! Vater, bitte!«

»Ich denke, Harry, es ist Zeit, in mein Büro zurückzukehren«, sagte eine ruhige Stimme in Harrys Ohr.

Harry zuckte zusammen. Er wandte sich zur einen Seite um. Dann zur anderen Seite.

Zu seiner Rechten saß ein Albus Dumbledore, der beobachtete, wie die Dementoren Crouchs Sohn mit sich fortzerrten – und zu seiner Linken saß ein Albus Dumbledore, der ihm direkt in die Augen sah.

»Komm mit«, sagte dieser Dumbledore und schob die Hand unter Harrys Ellbogen. Harry hatte das Gefühl, in die Luft zu steigen; der Kerker um ihn her löste sich auf; einen Moment lang herrschte vollkommene Schwärze, dann kam es ihm vor, als hätte er einen Salto in Zeitlupe gemacht, und er landete plötzlich glatt auf den Füßen, mitten in Dumbledores Büro, im gleißenden Licht der Sonne, die durch die Fenster schien. Sein Blick fiel auf die steinerne Schale im Schrank und neben ihm stand Albus Dumbledore.

»Professor«, keuchte Harry,»ich weiß, ich hätte nicht – ich wollte eigentlich nicht – die Schranktür war sozusagen offen und -«

»Ich verstehe vollkommen«, sagte Dumbledore. Er hob die Schale hoch, trug sie zu seinem Schreibtisch, stellte sie auf die polierte Tischplatte und setzte sich auf seinen Stuhl. Mit einer Handbewegung forderte er Harry auf, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Harry setzte sich, ohne die steinerne Schale aus den Augen zu lassen. Ihr Inhalt war jetzt wieder silbrig weiß und begann unter seinem Blick zu wirbeln und sich zu kräuseln.

»Was ist das?«, fragte Harry zitternd.

»Das? Man nennt es ein Denkarium«, sagte Dumbledore.»Mir kommt es manchmal so vor, und sicher kennst du das Gefühl, daß mein Kopf einfach mit zu vielen Gedanken und Erinnerungen voll gestopft ist.«

»Ähm«, sagte Harry, der nicht aufrichtig sagen konnte, daß er sich je so gefühlt hätte.

»Dann ist es an der Zeit für mich«, sagte Dumbledore und deutete auf die Steinschale,»das Denkarium zu benutzen. Man saugt einfach die überschüssigen Gedanken aus seinem Kopf, versenkt sie in der Schale und schaut sie sich je nach Laune wieder an. Es wird dann leichter, Muster und Verknüpfungen zu erkennen, wenn sie in dieser Gestalt aufbewahrt sind, verstehst du.«

»Sie meinen… dieses Zeug hier, das sind Ihre Gedanken?«, fragte Harry und starrte auf die wirbelnde weiße Substanz in der Schale.

»Natürlich«, sagte Dumbledore.»Ich zeig's dir.«

Er zog den Zauberstab aus dem Umhang und legte dessen Spitze an seinen silbernen Haarschopf nahe der Schläfe. Als er den Zauberstab wegzog, schienen seine Haare daran zu kleben – doch dann sah Harry, daß es in Wahrheit ein glitzernder Faden eben jener merkwürdigen, silbrig weißen Substanz im Denkarium war. Dumbledore fügte seinen frischen Gedanken der Schale hinzu, und Harry sah verblüfft sein eigenes Gesicht auf der Oberfläche der Substanz schwimmen.

Dumbledore legte seine schlanken Hände zu beiden Seiten auf die Schale und versetzte ihr einen kleinen Dreh, ein wenig wie ein Goldgräber, der in seiner Wasserschüssel nach Goldklümpchen sucht… und Harry sah, wie sein Gesicht ganz sanft in das von Snape überging, der den Mund öffnete und zur Decke sprach, mit leise widerhallender Stimme.»Es kommt zurück… das von Karkaroff auch… stärker und deutlicher denn je…«

»Ein Zusammenhang, auf den ich auch ohne Hilfe hätte kommen können«, seufzte Dumbledore,»aber sei's drum.«Er sah Harry über seine Halbmondgläser hinweg an, der wiederum mit offenem Mund Snapes Gesicht anstarrte, das immer noch in der Schale umherwirbelte.»Ich hatte das Denkarium gerade benutzt, als Mr Fudge zu unserer Besprechung eintraf, und es dann recht hastig weggestellt. Zweifellos habe ich die Schranktür nicht richtig zugemacht. Kein Wunder, daß es dann deine Aufmerksamkeit angezogen hat.«

»Tut mir Leid«, murmelte Harry.

Dumbledore schüttelte den Kopf.

»Neugier ist keine Sünde«, sagte er.»Aber wir sollten sie mit Umsicht walten lassen… ja, in der Tat…«

Die Stirn in sanfte Falten gelegt, rührte er mit der Spitze seines Zauberstabs die Gedanken in der Schale ein wenig durch. Nicht lange, und eine Gestalt erhob sich daraus, die eines plumpen, mißmutig blickenden Mädchens um die sechzehn. Die Füße noch in der Schale, begann sie sich langsam zu drehen. Von Harry oder Professor Dumbledore nahm sie keinerlei Notiz. Nun sprach sie, und ihre Stimme hallte wie die Snapes im Raum wider, als ob sie aus der Tiefe eines steinernen Beckens dringen würde.»Er hat mich verhext, Professor Dumbledore, und ich wollte ihn doch nur ein wenig ärgern, Sir, ich hab doch nur gesagt, ich hätte ihn letzten Donnerstag gesehen, wie er mit Florence hinter den Gewächshäusern geknutscht hat…«

»Aber warum, Bertha«, sagte Dumbledore traurig und sah zu dem sich still um sich selbst drehenden Mädchen hoch,»warum mußtest du ihm überhaupt nachschleichen?«

»Bertha?«, flüsterte Harry und sah zu ihr auf.»Ist das – war das Bertha Jorkins?«

»Ja«, sagte Dumbledore und rührte noch einmal durch die Gedanken in der Schale; Bertha versank in ihnen und sie wurden erneut silbern und undurchsichtig.»Das war die Bertha, wie sie mir als Schülerin in Erinnerung ist.«

Das Silberlicht aus dem Denkarium erhellte Dumbledores Gesicht, und plötzlich fiel Harry auf, wie alt er aussah. Er wußte natürlich, daß Dumbledore allmählich in die Jahre kam, doch irgendwie hatte er sich ihn nie als alten Mann vorgestellt.

»Nun, Harry«, sagte Dumbledore leise.»Bevor du dich in meinen Gedanken verloren hast, wolltest du mir etwas sagen.«

»Ja«, sagte Harry.»Professor – ich war vorhin in Wahrsagen und – ähm – bin da eingeschlafen.«

Er zögerte, unsicher, ob Dumbledore ihn tadeln würde, doch Dumbledore sagte nur:»Durchaus verständlich. Erzähl weiter.«

»Ich hatte einen Traum«, sagte Harry.»Einen Traum von Lord Voldemort. Er hat Wurmschwanz gefoltert… Sie kennen Wurmschwanz -«

»Ja, allerdings«, antwortete Dumbledore rasch.»Bitte fahr fort.«

»Eine Eule hatte Voldemort einen Brief überbracht. Er sagte etwas von wegen, Wurmschwanz' Fehler sei ausgemerzt. Jemand sei tot. Und er würde Wurmschwanz nicht der Schlange zum Fraß vorwerfen – da war eine Schlange neben seinem Stuhl. Er sagte – er sagte, er würde mich an seiner Stelle an die Schlange verfüttern. Dann hat er Wurmschwanz den Cruciatus-Fluch aufgehalst – und meine Narbe hat plötzlich geschmerzt. Das hat mich aufgeweckt, es tat so übel weh.«

Dumbledore sah ihn wortlos an.

»Hmmh – das ist alles«, sagte Harry.

»Verstehe«, sagte Dumbledore leise.»Verstehe. Nun, hat deine Narbe noch öfter wehgetan, außer jetzt und letztem Sommer?«

»Nein, ich – woher wissen Sie, daß sie mich letzten Sommer geweckt hat?«, fragte Harry verblüfft.

»Du bist nicht der Einzige, dem Sirius Briefe schreibt«, sagte Dumbledore.»Auch ich stehe mit ihm in Verbindung, seit er letztes Jahr Hogwarts verlassen hat. Ich war es, der die Berghöhle als sichersten Ort für ihn vorgeschlagen hat.«

Dumbledore stand auf und begann hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu gehen. Hin und wieder berührte er mit der Spitze des Zauberstabs seine Schläfe, zog einen silbrig leuchtenden Gedanken heraus und fügte ihn dem Denkarium hinzu. Die Gedanken in der Schale begannen so schnell zu wirbeln, daß Harry nichts klar erkennen konnte; es war nur noch ein Strudel verschwommener Farben.

»Professor?«, sagte er nach ein paar Minuten.

Dumbledore blieb stehen und sah Harry an.

»Entschuldige bitte«, murmelte er leise. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.

»Wissen – wissen Sie, warum meine Narbe schmerzt?«

Dumbledore sah Harry einen Moment durchdringend an, dann sagte er:»Ich habe eine Theorie, nicht mehr… Ich bin der Auffassung, deine Narbe schmerzt sowohl, wenn Lord Voldemort in deiner Nähe ist, als auch, wenn ihn eine besonders starke Woge des Hasses überkommt.«

»Aber… warum?«

»Weil du und er durch den Fluch, der gescheitert ist, miteinander verbunden seid«, sagte Dumbledore.»Das ist keine gewöhnliche Narbe.«

»Also glauben Sie… dieser Traum… ist es wirklich geschehen?«

»Durchaus möglich«, sagte Dumbledore.»Ich würde sagen – wahrscheinlich. Harry – hast du Voldemort gesehen?«

»Nein«, sagte Harry.»Nur die Stuhllehne. Aber – da wäre doch gar nichts zu sehen, oder? Ich meine, er hat doch keinen Körper? Aber… aber wie sonst hätte er dann den Zauberstab halten können?«, sagte Harry langsam.

»Ja, wie sonst?«, murmelte Dumbledore.»Wie sonst…«

Eine ganze Weile sagten weder Dumbledore noch Harry ein Wort. Dumbledore starrte auf die Wand gegenüber, legte hin und wieder seinen Zauberstab an die Schläfe und fügte dem Denkarium einen weiteren silbrig glänzenden Gedanken hinzu.

»Professor«, sagte Harry schließlich,»glauben Sie, daß er stärker wird?«

»Voldemort?«, fragte Dumbledore und sah Harry über das Denkarium hinweg an. Es war der typische, durchdringende Blick, mit dem ihn Dumbledore schon einige Male angesehen hatte, und bei dem Harry immer das Gefühl hatte, er würde ihn auf eine Weise durchschauen, wie es selbst Moodys magisches Auge nicht vermochte.»Noch einmal, Harry, ich kann dir nur sagen, was ich vermute.«

Dumbledore seufzte erneut und sah jetzt älter und müder aus denn je.

»Während der Jahre, in denen Voldemorts Macht immer größer wurde«, sagte er,»sind immer wieder Menschen verschwunden. Bertha Jorkins ist dort spurlos verschwunden, wo Voldemort mit Sicherheit zum letzten Mal war. Auch Mr Crouch ist verschwunden… und das auch noch auf unserem Gelände. Und jemand Drittes ist verschwunden, ein Fall, den das Ministerium, wie ich leider sagen muß, für unwichtig hält, denn es geht um einen Muggel. Sein Name war Frank Bryce, er lebte in dem Dorf, in dem Voldemorts Vater aufwuchs, und er wurde seit August letzten Jahres nicht mehr gesehen. Du siehst, ich lese die Muggelzeitungen, im Gegensatz zu den meisten unserer Freunde im Ministerium.«

Dumbledore sah Harry mit sehr ernster Miene an.»Diese Fälle von verschwundenen Personen scheinen miteinander in Verbindung zu stehen. Das Ministerium ist da anderer Meinung – wie du vielleicht gehört hast, als du draußen vor dem Büro gewartet hast.«

Harry nickte. Wieder verfielen beide in Schweigen und Dumbledore zog sich gelegentlich einen Gedanken aus dem Kopf. Harry hatte das Gefühl, es sei Zeit für ihn zu gehen, doch seine Neugier hielt ihn auf dem Stuhl.

»Professor?«, sagte er erneut.

»Ja, Harry?«, sagte Dumbledore.

»Ähm… könnte ich Sie etwas zu dieser… dieser Gerichtsverhandlung fragen, bei der ich war… im Denkarium?«

»Ja, du könntest«, erwiderte Dumbledore mit träger Stimme.»Ich war oft im Gericht, aber manche Prozesse sind mir viel deutlicher in Erinnerung als andere… besonders jetzt…«

»Sie wissen – Sie wissen, in welchem Prozeß Sie mich gefunden haben? Dem mit Crouchs Sohn? Da wurde über Nevilles Eltern gesprochen…«

Dumbledore versetzte Harry einen sehr scharfen Blick.

»Hat Neville dir nie gesagt, warum er bei seiner Großmutter aufgewachsen ist?«, sagte er.

Harry schüttelte den Kopf und fragte sich im gleichen Moment, warum er Neville in den ganzen vier Jahren, die er ihn nun kannte, nie gefragt hatte.

»Ja, es ging um Nevilles Eltern«, sagte Dumbledore.»Sein Vater, Frank Longbottom, war ein Auror wie Professor Moody. Er und seine Frau wurden gefoltert, wie du gehört hast, um ihnen abzupressen, wo sich Voldemort nach seinem Sturz aufhielt.«

»Also sind sie tot?«, sagte Harry leise.

»Nein«, erwiderte Dumbledore, und seine Stimme war erfüllt von einer Bitterkeit, wie sie Harry von ihm nicht kannte.»Sie sind geistig zerrüttet. Beide sind im St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen. Ich glaube, Neville besucht sie immer während der Ferien zusammen mit seiner Großmutter. Sie erkennen ihn nicht.«

Harry erstarrte vor Entsetzen. Er hatte keine Ahnung gehabt… in den ganzen vier Jahren hatte er Neville nicht einmal danach gefragt…

»Die Longbottoms waren sehr beliebt«, sagte Dumbledore.»Die Angriffe gegen sie kamen erst nach dem Sturz Voldemorts, als alle dachten, sie wären sicher. Diese Attacken haben eine Welle des Zorns ausgelöst, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Das Ministerium stand unter großem Druck, die Täter zu fassen. Leider waren die Aussagen der Longbottoms – angesichts ihres Zustands – nicht besonders zuverlässig.«

»Dann war Mr Crouchs Sohn vielleicht tatsächlich nicht dabei?«, fragte Harry langsam.

Dumbledore schüttelte den Kopf.»Was das betrifft, habe ich keine Ahnung.«

Harry verstummte und betrachtete eine Weile die wirbelnde Substanz im Denkarium. Da waren noch zwei Fragen, die ihm auf der Zunge brannten… doch sie drehten sich um die Schuld Lebender…

»Ähm«, sagte er,»Mr Bagman…«

»… wurde seither nie mehr irgendwelcher schwarzer Umtriebe beschuldigt«, antwortete Dumbledore leise.

»Gut«, sagte Harry eilig und starrte erneut auf den Wirbel im Denkarium, der sich jetzt verlangsamt hatte, da Dumbledore keine Gedanken mehr hinzufügte.»Und… ähm… und…«

Doch das Denkarium schien die Frage an seiner statt zu stellen. Snapes Gesicht schwamm erneut auf der Oberfläche. Dumbledore sah darauf hinab und dann hoch zu Harry.

»Und auch Professor Snape nicht«, sagte er.

Harry sah in Dumbledores hellblaue Augen, und das, was ihm wirklich auf der Zunge lag, sprudelte aus seinem Mund, bevor er wußte, was geschah.»Was, Professor, hat Sie davon überzeugt, daß er kein Anhänger Voldemorts mehr ist?«

Dumbledore hielt Harrys Blick für einige Sekunden, dann sagte er:»Das, Harry, ist eine Angelegenheit zwischen Professor Snape und mir.«

Harry wußte, daß das Gespräch zu Ende war; Dumbledore schien zwar nicht verärgert, doch es war etwas Abschließendes in seinem Tonfall, das Harry sagte, daß es Zeit war zu gehen. Er stand auf und auch Dumbledore erhob sich.

»Harry«, sagte er, als Harry die Tür erreicht hatte.»Bitte sprich mit niemand anderem über Nevilles Eltern. Er hat das Recht, es den Leuten selbst zu sagen, sobald er dazu bereit ist.«

»Ja, Professor«, sagte Harry und wandte sich zum Gehen.

»Und -«

Harry blickte zurück.

Dumbledore stand über das Denkarium gebeugt, und sein Gesicht, von unten durch die silbrigen Lichtstrahlen erhellt, wirkte nun noch älter. Er sah Harry einen Moment lang an, dann sagte er:»Viel Glück bei der dritten Aufgabe.«

Die dritte Aufgabe

»Sogar Dumbledore glaubt, daß Du-weißt-schon-wer stärker wird?«, flüsterte Ron.

Alles, was Harry im Denkarium gesehen, beinahe alles, was ihm Dumbledore gesagt und schließlich gezeigt hatte, hatte er inzwischen Ron und Hermine erzählt – und kaum war er aus Dumbledores Büro gekommen, hatte er auch Sirius eine Eule geschickt. Die drei saßen an diesem Abend wieder einmal bis tief in die Nacht im Gemeinschaftsraum und gingen alles noch einmal durch, bis Harry der Kopf zu schwirren begann und er verstand, was Dumbledore gemeint hatte, als er sagte, ein Kopf könne so überfüllt sein, daß es eine Erleichterung wäre, die Gedanken einfach abzusaugen.

Ron starrte ins Kaminfeuer. Harry glaubte ihn leicht zittern zu sehen, obwohl es ein warmer Abend war.

»Und er vertraut Snape?«, fragte Ron.»Er vertraut Snape tatsächlich, obwohl er weiß, daß er ein Todesser war?«

»Ja«, erwiderte Harry.

Hermine hatte seit zehn Minuten kein Wort mehr gesagt. Sie saß da, die Hände an die Stirn gepreßt, und starrte auf ihre Knie. Auch sie sieht aus, als könnte sie ein Denkarium ganz gut gebrauchen, dachte Harry.

»Rita Kimmkorn«, murmelte sie schließlich vor sich hin.

»Wie kannst du dich ausgerechnet jetzt über die aufregen?«, sagte Ron verdutzt.

»Ich reg mich nicht über sie auf«, sagte Hermine zu ihren Knien.»Ich überleg nur… wißt ihr noch, was sie mir in den Drei Besen gesagt hat? ›Ich weiß Dinge über Ludo Bagman, da würden dir die Haare zu Berge stehen.‹ Jetzt wissen wir, was sie gemeint hat, oder? Sie hat damals über seinen Prozeß berichtet, sie weiß, daß er Informationen an die Todesser weitergegeben hat. Und Winky auch… erinnert euch… ›Mr Bagman ist ein böser Zauberer.‹ Mr Crouch hat es sicher rasend gemacht, daß Bagman davonkam, und hat dann zu Hause von ihm gesprochen.«

»Stimmt schon, aber Bagman hat die Informationen doch nicht absichtlich weitergegeben?«

Hermine zuckte die Achseln.

»Und Fudge vermutet, Madame Maxime hätte Crouch angegriffen?«, sagte Ron und wandte sich erneut Harry zu.

»Ja«, entgegnete Harry,»aber das sagt er nur, weil Crouch in der Nähe der Beauxbatons-Kutsche verschwunden ist.«

»An sie haben wir noch gar nicht gedacht«, sagte Ron langsam.»Überlegt mal, sie hat eindeutig Riesen-Blut und will es nicht zugeben -«

»Natürlich nicht«, erwiderte Hermine scharf und hob den Kopf.»Sieh dir doch an, was Hagrid passiert ist, als Rita rausfand, wer seine Mutter ist. Und überleg mal, wie schnell Fudge Madame Maxime verdächtigt, nur weil sie etwas von einer Riesin hat. Wer braucht diese Vorurteile? Wahrscheinlich würd ich selbst behaupten, ich hätte große Knochen, wenn ich wüßte, was ich mir einhandle, wenn ich die Wahrheit sage.«

Hermine sah auf die Uhr.

»Wir haben noch nicht trainiert!«, setzte sie erschrocken hinzu.»Wir wollten doch den Lähmzauber üben! Morgen müssen wir aber wirklich ran! Ins Bett, Harry, du brauchst deinen Schlaf.«

Harry und Ron gingen langsam nach oben in den Schlafsaal. Während Harry seinen Pyjama anzog, warf er einen Blick hinüber zu Nevilles Bett. Wie Dumbledore versprochen, hatte er Ron und Hermine nichts von Nevilles Eltern erzählt. Er nahm die Brille ab und stieg ins Bett. Während er dalag, fragt er sich, wie er sich fühlen würde, wenn seine Eltern noch leben würden, ihn jedoch nicht erkennen könnten. Er erntete häufig Mitgefühl von Fremden, weil er eine Waise war, doch während er Nevilles Schnarchen lauschte, überlegte er, daß Neville dieses Mitgefühl eher verdient hätte als er. Wie er so dalag in der Dunkelheit, spürte er plötzlich Zorn und Haß in sich aufsteigen gegen jene, die Mr und Mrs Longbottom gefoltert hatten… er erinnerte sich, wie die Menge gejubelt hatte, als Crouchs Sohn und seine Gefährten von den Dementoren aus dem Gericht gezerrt wurden… er konnte es ihnen nachfühlen… und dann erinnerte er sich an das milchig weiße Gesicht des schreienden Jungen und mit jähem Schreck fiel ihm ein, daß dieser Junge ein Jahr später gestorben war…

Es war Voldemort, dachte Harry und starrte durch die Dunkelheit auf den Baldachin seines Bettes; hinter all dem steckte Voldemort… er war es, der diese Familien auseinander gerissen hatte, er war es, der all diese Leben zerstört hatte…

* * *

Ron und Hermine hätten eigentlich für ihre Prüfungen lernen sollen – die letzten standen am Tag der dritten Runde an -, doch den größten Teil ihrer Kräfte verwandten sie darauf, Harry bei der Vorbereitung für die letzte Aufgabe zu helfen.

»Mach dir deswegen keine Gedanken«, sagte Hermine brüsk, als Harry sie darauf ansprach und meinte, er könne durchaus mal eine Weile für sich allein üben.»Wenigstens kriegen wir dann Spitzennoten in Verteidigung gegen die dunklen Künste, im Unterricht hätten wir nie so viel über diese Hexereien rausgefunden.«

»Gutes Training für später, wenn wir mal alle Auroren sind«, sagte Ron begeistert und erprobte den Lähmzauber an einer Wespe, die ins Zimmer gesummt war und nun mitten in der Luft erstarrte.

In den ersten Junitagen breitete sich erneut eine gespannte und erregte Stimmung im Schloß aus. Alle freuten sich auf die dritte Runde, die eine Woche vor Ende des Schuljahrs stattfinden würde. Harry übte in jedem freien Augenblick magische Verwünschungen. Vor dieser dritten Runde fühlte er sich zuversichtlicher als vor den ersten beiden Aufgaben. Zwar würde sie mit Sicherheit gefährlich und schwierig sein, doch Moody hatte Recht: Harry hatte es schon einige Male zuvor mit monströsen Geschöpfen und verzauberten Hindernissen aufgenommen, und diesmal war er zumindest vorgewarnt und hatte eine Chance, sich für das Kommende zu wappnen.

Professor McGonagall war es leid, die drei andauernd in den Fluren üben zu sehen, und erlaubte es Harry, über die Mittagszeit das leere Verwandlungs-Klassenzimmer zu benutzen. Harry hatte den Lähmzauber bald im Griff, ein Fluch, der Angreifer behinderte und erlahmen ließ, außerdem den Reduktor-Fluch, mit dem er feste Gegenstände aus dem Weg schießen konnte, und schließlich, eine nützliche Entdeckung Hermines, den Vier-Punkte-Zauber, der seinen Zauberstab nach Norden ausrichtete und es ihm ermöglichen würde zu prüfen, ob er im Irrgarten in die richtige Richtung ging. Einige Schwierigkeiten hatte er jedoch immer noch mit dem Schild-Zauber. Er sollte vorübergehend eine unsichtbare Mauer um ihn hochziehen, die schwächere Flüche abprallen ließ; Hermine schaffte es, die Mauer mit einem gut gezielten Wabbelbein-Fluch bersten zu lassen. Zehn Minuten lang eierte Harry durchs Zimmer, bis sie endlich einen Gegenfluch nachgeschlagen hatte.

»Läuft trotzdem ganz gut bei dir«, ermutigte ihn Hermine, blickte auf ihre Liste und strich die Zauber durch, die sie schon gelernt hatten.»Ein paar von denen sind sicher ganz nützlich.«

»Kommt und seht euch das an«, sagte Ron vom Fenster her. Er schaute hinunter aufs Gelände.»Was treibt Malfoy denn da?«

Harry und Hermine traten zu Ron und sahen hinunter. Malfoy, Crabbe und Goyle standen unten im Schatten eines Baumes. Crabbe und Goyle schienen nach etwas Ausschau zu halten; beide feixten. Malfoy redete hinter vorgehaltener Hand mit ihnen.

»Sieht aus, als würde er ein Handy benutzen«, sagte Harry neugierig.

»Unmöglich«, entgegnete Hermine,»ich hab dir doch gesagt, diese Dinger funktionieren in und um Hogwarts nicht. Nun komm schon, Harry«, fügte sie ungeduldig hinzu, wandte sich vom Fenster ab und ging zurück in die Mitte des Zimmers,»probieren wir mal diesen Schild-Zauber.«

* * *

Sirius schickte inzwischen täglich eine Eule. Wie Hermine schien er seine Kräfte ganz darauf verwenden zu wollen, Harry heil durch die letzte Runde zu bringen, alles andere konnte warten. In jedem Brief ermahnte er Harry, alles, was außerhalb der Mauern von Hogwarts vor sich gehe, brauche ihn nicht zu beschäftigen, und schon gar nicht liege es in seiner Macht, diese Dinge zu beeinflussen. Er schrieb Harry:

Wenn Voldemort wirklich wieder stärker wird, dann ist es mir am wichtigsten, für deine Sicherheit zu sorgen. Er kann nicht hoffen, dich in die Hände zu kriegen, während du unter Dumbledores Schutz stehst, und dennoch, riskiere nichts: Konzentriere dich darauf, sicher durch dieses Labyrinth zu kommen, dann erst können wir unsere Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden.

Der vierundzwanzigste Juni rückte immer näher, und Harrys Nerven spannten sich allmählich, doch sie flatterten nicht so schlimm wie vor der ersten und zweiten Aufgabe. Zum einen hatte er das gute Gefühl, diesmal wirklich alles in seinen Kräften Stehende getan zu haben, um sich auf die Aufgabe vorzubereiten. Zum anderen war dies die letzte Hürde, und wie gut oder schlecht er auch immer abschneiden mochte, das Turnier würde endlich vorbei sein, und das allein schon war eine gewaltige Erleichterung.

* * *

Am Morgen der dritten Runde war das Frühstück am Gryffindor-Tisch eine recht lärmige Angelegenheit. Die Posteulen erschienen und brachten Harry eine Karte mit den besten Wünschen von Sirius. Es war nur ein Stück Pergament, zusammengefaltet und mit einer schlammigen Hundepfote gestempelt, doch Harry freute sich gleichwohl darüber. Eine Schleiereule ließ sich vor Hermine nieder, wie üblich mit der morgendlichen Ausgabe des Tagespropheten. Hermine entrollte die Zeitung, warf einen Blick auf die Titelseite und spritzte einen Mund voll Kürbissaft darüber.

»Was ist los?«, fragten Harry und Ron gleichzeitig und starrten sie an.

»Nichts«, sagte Hermine rasch und versuchte das Blatt unter ihren Umhang zu stecken, doch Ron schnappte es ihr aus den Fingern.

Er starrte auf die Schlagzeile und sagte:»Nicht zu fassen. Ausgerechnet heute. Diese blöde Kuh.«

»Wie?«, sagte Harry.»Schon wieder Rita Kimmkorn?«

»Nein«, entgegnete Ron, und genau wie Hermine wollte er die Zeitung verschwinden lassen.

»Es geht um mich, ja?«, sagte Harry.

»Nein«, sagte Ron in keineswegs überzeugendem Ton.

Doch bevor Harry energisch verlangen konnte, das Blatt zu sehen, rief Draco Malfoy vom Slytherin-Tisch her durch die Große Halle:

»Hey, Potter! Potter! Wie geht's deinem Kopf? Noch alle Tassen im Schrank? Oder gehst du gleich auf uns los wie ein Berserker?«

Malfoy hielt den Tagespropheten hoch. Die Slytherins am ganzen Tisch begannen zu kichern und wandten die Köpfe, um zu sehen, wie Harry reagieren würde.

»Laß mich sehen«, sagte Harry zu Ron.»Gib her.«

Höchst widerwillig reichte ihm Ron die Zeitung. Harry drehte sie um und sah in sein eigenes Gesicht, und darüber las er die Schlagzeile:

Harry Potter»gestört und gefährlich«

Der Junge, der den Unnennbaren besiegte, ist labil und möglicherweise gefährlich. Beunruhigende Tatsachen über Harry Potters seltsames Verhalten sind jetzt ans Licht gekommen, und sie wecken Zweifel, ob er geeignet ist, an einem kräftezehrenden Wettkampf wie dem Trimagischen Turnier teilzunehmen oder auch nur die Hogwarts-Schule zu besuchen. Wie der Tagesprophet heute exklusiv enthüllen kann, bricht Potter in der Schule des Öfteren zusammen und klagt häufig über Schmerzen, die ihm seine Stirnnarbe bereitet (Überbleibsel des Fluches, mit dem Du-weißt-schon-wer versuchte ihn zu töten). Letzten Montag, mitten im Wahrsageunterricht, wurde Ihr Tagesprophet-Reporter Zeuge, wie Potter aus dem Klassenzimmer stürzte und behauptete, er habe so heftige Narbenschmerzen, daß er nicht weiter am Unterricht teilnehmen könne.

Topspezialisten am St. Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen halten es für durchaus möglich, daß Potters Gehirn durch den Angriff des Unnennbaren nachhaltig geschädigt wurde und daß seine Behauptung, die Narbe schmerze noch immer, Ausdruck einer tief sitzenden Störung ist.

»Gut möglich, daß er alles vortäuscht«, meint ein Spezialist,»es könnte ein Schrei nach Zuwendung sein.«

Der Tagesprophet hat jedoch alarmierende Fakten über Harry Potter ans Licht gebracht, die Albus Dumbledore, Schulleiter von Hogwarts, vor der Zaubereröffentlichkeit sorgfältig verborgen hat.

»Potter beherrscht Parsel«, enthüllt Draco Malfoy, ein Viertkläßler in Hogwarts.»Vor ein paar Jahren gab es viele Angriffe auf Schüler, und die meisten vermuteten Potter dahinter, nachdem sie gesehen hatten, wie er in einem Duellierklub die Nerven verlor und eine Schlange auf einen anderen Jungen hetzte. Aber es wurde alles vertuscht. Außerdem hat er sich auch noch mit Werwölfen und Riesen angefreundet. Wir glauben, daß er für ein bißchen Macht alles tun würde.«

Parsel, die Fähigkeit mit Schlangen zu sprechen, wurde lange als eine dunkle Kunst betrachtet. Tatsächlich ist der berühmteste Parselmund unserer Zeit kein anderer als Du-weißt-schon-wer persönlich. Ein Mitglied der Liga zur Verteidigung gegen die dunkle Kraft, das ungenannt bleiben will, stellte fest, jeder Zauberer, der Parsel spreche, solle seiner Meinung nach»einmal gründlich durchleuchtet werden. Ich persönlich würde jedem mit größtem Mißtrauen begegnen, der mit Schlangen sprechen kann, denn diese Tiere werden oft bei den schlimmsten schwarzmagischen Praktiken eingesetzt und wurden im Laufe der Jahrhunderte immer wieder mit Schurken in Verbindung gebracht.«Desgleichen gelte für alle,»welche die Nähe solch heimtückischer Kreaturen wie Werwölfe und Riesen suchten, daß sie sich offensichtlich an der Gewalt ergötzen«.

Albus Dumbledore sollte unbedingt darüber nachdenken, ob ein solcher Junge am Trimagischen Turnier teilnehmen darf. Manche befürchten, Potter könnte sein Heil in den dunklen Künsten suchen, um das Turnier zu gewinnen, dessen dritte Runde heute Abend stattfindet.

Von unserer Sonderkorrespondentin Rita Kimmkorn

»Sieht aus, als hätt ich's mir mit ihr verscherzt«, sagte Harry gelassen und faltete die Zeitung zusammen.

Malfoy, Crabbe und Goyle saßen lachend drüben am Slytherin-Tisch, zeigten ihm den Vogel, zogen abstruse Fratzen und ließen ihre Zungen flattern wie Schlangen.

»Woher wußte sie, daß deine Narbe in Wahrsagen wehtat?«, fragte Ron.»Sie konnte unmöglich dabei gewesen sein, sie kann es unmöglich selbst gehört haben -«

»Das Fenster war offen«, sagte Harry.»Ich hab's aufgemacht, um frische Luft zu kriegen.«

»Du warst hoch oben im Nordturm!«, meinte Hermine.»Deine Stimme hätte nie bis ganz nach unten wehen können!«

»Na, du bist doch diejenige, die magische Methoden der Verwanzung erforscht!«, sagte Harry.»Sag mir doch, wie sie es geschafft hat!«

»Ich hab's ja versucht!«, sagte Hermine.»Aber ich… aber…«

Ein seltsam träumerischer Ausdruck trat plötzlich auf Hermines Gesicht. Sie hob langsam die Hand und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar.

»Alles in Ordnung mit dir?«, sagte Ron und sah sie stirnrunzelnd an.

»Ja«, hauchte Hermine. Wieder strich sie sich mit den Fingern durchs Haar, dann hielt sie die Hand an die Wange, als würde sie in ein unsichtbares Handy sprechen. Harry und Ron sahen sich mit großen Augen an.

»Ich hab 'ne Idee«, sagte Hermine ins Leere starrend.»Ich glaub, ich weiß es… denn dann hätte es keiner gesehen… nicht mal Moody… und sie hätte auf den Fenstersims kommen können… aber das darf sie nicht… das ist eindeutig verboten… ich glaub, wir haben sie! Gebt mir 'ne Sekunde in der Bibliothek – nur um sicherzugehen!«

Und schon packte Hermine ihre Schultasche und stürzte aus der Großen Halle.

»Hey!«, rief ihr Ron nach.»In zehn Minuten haben wir Geschichtsprüfung! Unglaublich«, sagte er dann zu Harry gewandt,»sie muß diese Kimmkorn wirklich hassen, wenn sie's riskiert, den Anfang einer Prüfung zu verpassen. Was machst du eigentlich gleich bei Binns – wieder mal die ganze Zeit lesen?«

Harry, der von den Prüfungen entbunden war, hatte bisher Stunde um Stunde in der hinteren Reihe gesessen und nach neuen Hexereien für die dritte Aufgabe gesucht.

»Denk schon«, sagte Harry; doch in diesem Augenblick kam Professor McGonagall am Gryffindor-Tisch entlang auf ihn zugeschritten.

»Potter, die Champions finden sich nach dem Frühstück im Raum hinter der Halle ein«, sagte sie.

»Aber das Turnier ist doch erst heute Abend!«, sagte Harry, und vor Schreck, er hätte sich in der Zeit geirrt, bekleckerte er sich mit Rührei.

»Das weiß ich wohl, Potter«, sagte sie.»Die Familien der Champions sind eingeladen, bei der dritten Runde zuzuschauen. Eine sehr gute Gelegenheit für Sie, sie zu begrüßen.«

Sie entfernte sich. Harry sah ihr mit offenem Mund nach.

»Sie glaubt doch nicht etwa, daß die Dursleys hier auftauchen?«, fragte er Ron verdutzt.

»Keine Ahnung«, sagte Ron.»Harry, ich muß mich beeilen, sonst komm ich zu spät zu Binns. Bis dann.«

Harry aß sein Frühstück auf, während sich die Große Halle allmählich leerte. Er sah, wie Fleur Delacour am Ravenclaw-Tisch aufstand und sich Cedric anschloß, der auf die Tür zum Nebenraum zuging und eintrat. Auch Krum schlurfte kurze Zeit später dort hinein. Harry blieb, wo er war. Er hatte überhaupt keine Lust, in die Kammer zu gehen. Er hatte keine Eltern – jedenfalls keine Familie, die hier aufkreuzen und zusehen würde, wie er sein Leben riskierte. Doch gerade als er aufstehen wollte und überlegte, in die Bibliothek zu gehen und auf die Schnelle noch ein paar Hexereien zu büffeln, öffnete sich die Tür des Nebenraums und Cedric streckte den Kopf heraus.

»Harry, komm schon, sie warten auf dich!«

Vollkommen perplex stand Harry auf. Die Dursleys konnten doch nicht etwa da sein? Er durchquerte die Halle und öffnete die Tür zur Kammer.

Cedric und seine Eltern standen gleich bei der Tür. Viktor Krum stand drüben in einer Ecke und unterhielt sich in schnellem Bulgarisch mit seinen Eltern. Er hatte die Hakennase seines Vaters geerbt. Auf der anderen Seite parlierte Fleur mit ihrer Mutter. Fleurs kleine Schwester Gabrielle hielt sich an der Hand der Mutter fest. Sie winkte Harry und er winkte zurück. Dann fiel sein Blick auf Mrs Weasley und Bill, die vor dem Kamin standen und ihn anstrahlten.

»Überraschung!«, trällerte Mrs Weasley aufgeregt, als Harry breit lächelnd zu ihnen trat.»Dachten, wir könnten kommen und dir zusehen, Harry!«Sie beugte sich zu ihm hinunter und küßte ihn auf die Wange.

»Alles okay mit dir?«, fragte Bill und schüttelte Harry grinsend die Hand.

»Charlie wollte auch kommen, aber er hat nicht freigekriegt. Er meinte, du hättest gegen diesen Hornschwanz einen unglaublichen Kampf hingelegt.«

Fleur Delacour, fiel Harry auf, musterte Bill über die Schulter ihrer Mutter mit unverhohlenem Interesse. Harry war sofort klar, daß sie überhaupt nichts gegen lange Haare oder Ohrringe mit Giftzähnen einzuwenden hatte.

»Das ist wirklich nett von euch«, murmelte Harry Mrs Weasley zu.»Ich dachte schon – die Dursleys -«

»Hmm«, sagte Mrs Weasley und spitzte die Lippen. Sie hatte sich vor Harry mit Kritik an den Dursleys immer zurückgehalten, doch ihre Augen blitzten jedes Mal auf, wenn er sie erwähnte.

»Toll, wieder mal hier zu sein«, sagte Bill und sah sich in der Kammer um. (Violet, die Freundin der fetten Dame, zwinkerte ihm aus ihrem Rahmen heraus zu.)»Hab Hogwarts seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Gibt es eigentlich noch dieses Gemälde von dem verrückten Ritter, Sir Cadogan?«

»Aber klar«, sagte Harry, der im letzten Jahr Bekanntschaft mit Sir Cadogan gemacht hatte.

»Und die fette Dame?«, fragte Bill.

»Die war schon zu meiner Zeit hier«, sagte Mrs Weasley.»Eines Nachts, ich bin um vier Uhr heimgekommen, hat sie mir eine solche Gardinenpredigt gehalten -«

»Was hattest du um vier Uhr morgens draußen zu suchen?«Bill schaute seine Mutter erstaunt an.

Mrs Weasley lächelte und ihre Augen funkelten.

»Dein Vater und ich hatten einen kleinen Nachtspaziergang unternommen«, sagte sie.»Ihn hat dann Apollyon Pringle erwischt – damals der Hausmeister – und die blauen Flecke hat dein Vater praktisch immer noch.«

»Hättest du Lust, uns ein wenig durchs Schloß zu führen, Harry?«, sagte Bill.

»Ja, gern«, erwiderte Harry, und sie wandten sich zum Gehen.

Amos Diggory blickte auf, als sie an ihm vorbeikamen.»Na, da bist du ja«, sagte er und sah Harry abschätzig an.»Wette, du fühlst dich nicht mehr ganz so wie 'n toller Hecht, jetzt, wo Cedric dich eingeholt hat?«

»Was?«, fragte Harry.

»Hör nicht auf ihn«, sagte Cedric mit leiser Stimme zu Harry und sah seinen Vater stirnrunzelnd an.»Er ist sauer, seit er diesen Kimmkorn-Artikel übers Turnier gelesen hat – du weißt doch, wo sie so tat, als wärst du der einzige Hogwarts- Champion.«

»Hat sich aber nicht die Mühe gemacht, ihr mal die Meinung zu sagen, oder?«, sagte Amos Diggory so laut, daß Harry, der mit Mrs Weasley und Bill zur Tür hinausging, es nicht überhören konnte.»Was soll's… du wirst es ihm zeigen, Ced. Hast ihn doch schon mal geschlagen!«

»Rita Kimmkorn tut alles, was sie kann, um Ärger zu provozieren, Amos!«, sagte Mrs Weasley aufgebracht.»Das müßtest du eigentlich wissen, wo du doch im Ministerium arbeitest!«

Mr Diggory öffnete entrüstet den Mund, doch seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm und er zuckte nur die Schultern und wandte sich ab.

Harry genoß es an diesem Morgen, mit Bill und Mrs Weasley über das Schloßgelände zu flanieren und ihnen die Beauxbatons-Kutsche und das Durmstrang-Schiff zu zeigen. Mrs Weasley war ganz begeistert von der Peitschenden Weide, die erst nach ihrer Schulzeit gepflanzt worden war, und schwelgte in Erinnerungen an Hagrids Vorgänger als Wildhüter, einen Mann namens Ogg.

»Wie geht's Percy?«, fragte Harry beim Gang durch die Gewächshäuser.

»Nicht gut«, sagte Bill.

»Er regt sich furchtbar auf«, sagte Mrs Weasley mit gedämpfter Stimme und sah sich argwöhnisch um.»Das Ministerium will Mr Crouchs Verschwinden vertraulich behandeln, aber Percy haben sie wegen der Anweisungen, die Mr Crouch geschickt hat, hart ins Gebet genommen. Sieht so aus, als hielten sie es für möglich, daß jemand seine Handschrift gefälscht hat. Percy steht ziemlich unter Druck. Heute Abend darf er nicht für Mr Crouch als fünfter Richter einspringen. Cornelius Fudge wird dabei sein.«

Sie kehrten zum Mittagessen ins Schloß zurück.

»Mum – Bill!«, sagte Ron vollkommen verdutzt, als er zum Gryffindor-Tisch kam.»Was macht ihr denn hier?«

»Wir schauen Harry bei der letzten Aufgabe zu!«, strahlte Mrs Weasley.»Und ich muß sagen, es ist zur Abwechslung mal ganz schön, nicht selbst kochen zu müssen. Wie war deine Prüfung?«

»Oh… es ging«, sagte Ron.»Mir sind nicht alle Namen von diesen Koboldrebellen eingefallen, also hab ich ein paar erfunden. Wird schon werden.«Mrs Weasley sah ihn spitz an, doch er tat sich eine Blätterteigpastete auf und fuhr fort:»Die heißen doch alle Bodrod der Bärtige oder Urg der Unsaubere oder so, war jedenfalls nicht schwierig.«

Auch Fred, George und Ginny kamen und setzten sich dazu, und Harry machte die Unterhaltung so viel Spaß, daß er sich beinahe fühlte, als wäre er wieder im Fuchsbau; er vergaß völlig, sich über die abendliche Aufgabe Sorgen zu machen, und erst als Hermine auftauchte, nachdem die anderen schon halb aufgegessen hatten, fiel ihm wieder ein, daß sie ja einen Geistesblitz gehabt hatte, mit dem sie das Rätsel um Rita Kimmkorn lösen wollte.

»Erzählst du uns jetzt -?«

Hermine warf Mrs Weasley einen Blick zu und schüttelte warnend den Kopf.

»Hallo, Hermine«, sagte Mrs Weasley, viel steifer, als es sonst ihre Art war.

»Hallo«, sagte Hermine und ihr Lächeln erstarb angesichts des kühlen Ausdrucks auf Mrs Weasleys Gesicht.

Harry sah die beiden abwechselnd an, dann sagte er:»Mrs Weasley, Sie glauben doch nicht etwa diesen Mist, den Rita Kimmkorn in der Hexenwoche geschrieben hat? Hermine und ich haben nämlich nichts miteinander.«

»Oh!«, sagte Mrs Weasley.»Nein – natürlich nicht!«

Und danach verhielt sie sich Hermine gegenüber um einiges herzlicher.

Harry, Bill und Mrs Weasley vertrieben sich den Nachmittag mit einem langen Spaziergang ums Schloß und kehrten erst zum abendlichen Festessen in die Große Halle zurück. Auch Ludo Bagman und Cornelius Fudge waren inzwischen eingetroffen und saßen am Lehrertisch. Bagman war offenbar in aufgeräumter Stimmung, doch Cornelius Fudge, der neben Madame Maxime saß, machte eine ernste Miene und sprach kein Wort. Madame Maxime, deren Augen Harry gerötet vorkamen, konzentrierte sich auf ihren Teller. Von der anderen Seite des Tisches warf Hagrid ihr immer wieder einen Blick zu. Es gab mehr Gänge als sonst, doch Harry, der sich allmählich wieder ausgesprochen nervös fühlte, aß nur wenig. Als das Blau der verzauberten Hallendecke einem dunklen Purpur wich, erhob sich Dumbledore, und Stille senkte sich über die Halle.

»Meine Damen und Herren, noch fünf Minuten, und ich werde Sie bitten, sich auf den Weg zum Quidditch-Feld zu begeben, zur dritten und letzten Aufgabe des Trimagischen Turniers. Die Champions folgen bitte jetzt schon Mr Bagman hinunter zum Stadion.«

Harry stand auf. Die Gryffindors tischauf, tischab klatschten ihm Beifall; die Weasleys und Hermine wünschten ihm viel Glück, und gemeinsam mit Cedric, Fleur und Krum verließ er die Große Halle.

»Wie steht's mit dir, Harry?«, fragte Bagman, während sie draußen die Steintreppe hinunterstiegen.»Traust du es dir zu?«

»Ich fühl mich ganz okay«, sagte Harry. Das stimmte auch halbwegs; er war nervös, doch er ging im Kopf noch einmal alle Hexereien und Zauberflüche durch, die er geübt hatte, und da er feststellte, daß er nichts vergessen hatte, war er recht zuversichtlich gestimmt.

Sie betraten das Quidditch-Feld, das inzwischen nicht mehr wiederzuerkennen war. Eine sieben Meter hohe Hecke war um das ganze Spielfeld herum gewachsen. Direkt vor ihnen lag eine Öffnung; der Eingang zu dem weitläufigen Irrgarten. Der Weg hinein verlor sich in beklemmender Dunkelheit.

Fünf Minuten später füllten sich die Ränge; die Luft war erfüllt vom aufgeregten Stimmengewirr ihrer Mitschüler und von dem Getrappel Hunderter von Füßen. Der Himmel hatte ein tiefes, klares Blau angenommen und jetzt erschienen auch die ersten Sterne. Hagrid, Professor Moody, Professor McGonagall und Professor Flitwick kamen ins Stadion und gingen auf Bagman und die Champions zu. Sie trugen große, leuchtend rote Sterne an den Hüten, nur Hagrids Stern prangte auf dem Rücken seiner Maulwurffell Weste.

»Wir werden um den Irrgarten herum Wache gehen«, sagte Professor McGonagall zu den Champions.»Wenn Sie in Schwierigkeiten stecken und gerettet werden wollen, sprühen Sie rote Funken in die Luft, und einer von uns wird Sie da rausholen, haben Sie verstanden?«

Die Champions nickten.

»Na dann mal los!«, sagte Bagman und strahlte die Labyrinthpatrouille an.

»Viel Glück, Harry«, flüsterte Hagrid, und die vier Lehrer trennten sich und gingen davon, um ihre Posten im Umkreis des Irrgartens einzunehmen.

Bagman richtete den Zauberstab auf seine Kehle, murmelte»Sonorus«, und seine magisch verstärkte Stimme hallte auf den Tribünen wider.

»Meine Damen und Herren, gleich beginnt die dritte und letzte Runde des Trimagischen Turniers! Zu Ihrer Erinnerung noch einmal der gegenwärtige Punktestand! Mit jeweils fünfundachtzig Punkten zusammen auf dem ersten Platz – Mr Cedric Diggory und Mr Harry Potter, beide von der Hogwarts-Schule!«Jubelschreie und Applaus ließen einige Vögel aus dem Verbotenen Wald in den abendlichen Himmel flattern.»Auf dem zweiten Platz, mit achtzig Punkten – Mr Viktor Krum vom Durmstrang-Institut!«Ebenfalls Applaus.»Und auf dem dritten Platz – Miss Fleur Delacour von der Beauxbatons-Akademie!«

Harry konnte gerade noch erkennen, wie Mrs Weasley, Bill, Ron und Hermine auf halber Höhe der Tribüne Fleur höflich Beifall spendeten. Er winkte zu ihnen hoch und sie winkten mit strahlenden Gesichtern zurück.

»Nun… auf meinen Pfiff, Harry und Cedric!«, sagte Bag-man.»Drei – zwei – eins -«

Er blies kurz und kräftig in seine Trillerpfeife und Harry und Cedric liefen in den Irrgarten hinein.

Die hoch aufragenden Hecken warfen schwarze Schatten über den Weg, und war es nun, weil sie so hoch und dicht gewachsen oder weil sie verzaubert waren, jedenfalls erstarb der Lärm der Menge, kaum hatten sie den Irrgarten betreten. Harry kam es fast so vor, als wäre er wieder unter Wasser. Er zog seinen Zauberstab, murmelte»Lumos«und hörte, wie Cedric dicht hinter ihm das Gleiche tat.

Nach gut vierzig Metern gelangten sie zu einer Gabelung. Sie sahen sich an.»Bis später«, sagte Harry und wandte sich nach links, während Cedric den rechten Weg nahm.

Harry hörte Bagman zum zweiten Mal pfeifen. Nun hatte Krum den Irrgarten betreten. Harry beschleunigte seine Schritte. Der Weg, den er gewählt hatte, schien völlig ausgestorben. Er wandte sich nach rechts, hastete weiter und hielt den Zauberstab hoch über seinem Kopf, um so weit wie möglich sehen zu können. Noch immer war nichts Bedrohliches zu entdecken.

In der Ferne gellte zum dritten Mal Bagmans Pfeife. Jetzt waren alle Champions im Irrgarten.

Harry warf immer wieder einen Blick zurück. Das altbekannte Gefühl, beobachtet zu werden, hatte erneut von ihm Besitz ergriffen. Der Himmel hoch oben färbte sich allmählich königsblau und mit jeder Minute wurde es dunkler im Irrgarten. Er stieß auf eine zweite Gabelung.

»Weise mir die Richtung«, flüsterte er seinem Zauberstab zu und legte ihn auf seine flache Hand.

Der Zauberstab drehte sich einmal im Kreis und wies dann mit der Spitze nach rechts in die undurchdringliche Hecke. Da war also Norden, und Harry wußte, daß er nach Nordwesten gehen mußte, um die Mitte des Irrgartens zu erreichen. Das Beste war, den linken Abzweig zu nehmen und so bald wie möglich wieder nach rechts zu gehen.

Auch dieser Weg lag wie ausgestorben da, und als Harry einer Biegung nach rechts gefolgt war, fand er den Weg wiederum frei. Er wußte nicht, warum, aber das Fehlen von Hindernissen ließ seine Nerven flattern. Er hätte inzwischen doch sicher auf irgend etwas stoßen müssen? Es war, als ob der Irrgarten ihn verführen wollte, sich in einem falschen Gefühl der Sicherheit zu wiegen. Dann hörte er, wie sich direkt hinter ihm etwas bewegte. Er streckte den Zauberstab aus, doch es war Cedric, der gerade von rechts her aus einem Pfad gestürzt kam. Er sah schwer mitgenommen aus. Ein Ärmel seines Umhangs rauchte.

»Hagrids Knallrümpfige Kröter!«, fauchte er.»Die sind riesig geworden – hätten mich fast umgebracht!«

Kopfschüttelnd tauchte er in die Dunkelheit eines anderen Pfades ein. Auch Harry war an einer Begegnung mit den Krötern überhaupt nicht interessiert und er hastete davon. Dann, nach einer Biegung -

Ein Dementor glitt auf ihn zu. Vier Meter groß, das Gesicht von der Kapuze verborgen, die verwesenden, schorfigen Hände ausgestreckt, drang er vor, blindlings den Weg zu Harry erspürend. Harry konnte seinen rasselnden Atem hören; klamme Kälte kroch ihm über die Haut, doch er wußte, was er zu tun hatte…

Er stellte sich das glücklichste Ereignis vor, das ihm einfiel, und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Vorstellung, aus dem Irrgarten zu kommen und mit Ron und Hermine zu feiern. Zugleich hob er den Zauberstab und schrie:»Expecto patronum!«

Ein silberner Hirsch brach aus der Spitze seines Zauberstabs hervor und galoppierte auf den Dementor zu, der überstürzt zurückwich und über den Saum seines Umhangs stolperte… Harry hatte einen Dementor noch nie stolpern sehen.

»Wart mal!«, rief er und drang im Schutz seines silbrigen Patronus vor,»du bist ein Irrwicht! Riddikulus!«

Es gab einen lauten Knall und der Gestaltwechsler verpuffte zu einem Rauchwölkchen. Der silbrige Hirsch verschwamm und löste sich auf. Harry wünschte, er wäre geblieben, einen Gefährten hätte er gut gebrauchen können… doch er ging, so schnell und leise er konnte, weiter, lauschte angestrengt und hielt den Zauberstab hoch über sich.

Links… rechts… wieder links… zweimal stand er vor der Heckenwand einer Sackgasse. Wieder holte er sich Rat beim Vier-Punkte-Zauber und stellte fest, daß er zu weit nach Osten gegangen war. Er drehte um, nahm eine Biegung nach rechts und sah einen merkwürdigen goldenen Nebelschleier vor sich schweben.

Harry näherte sich vorsichtig, die Spitze des Zauberstabs auf den Nebel gerichtet. Mit Sicherheit war er verwunschen. Vielleicht konnte er ihn ja aus dem Weg blasen.

»Reductio!«, sagte er.

Der Fluch schoß geradewegs durch den Nebel, ohne den kleinsten Wirbel zu hinterlassen. Das hätte er eigentlich wissen müssen, überlegte er; der Reduktor-Fluch wirkte nur bei festen Gegenständen. Was würde geschehen, wenn er durch den Nebel liefe? Sollte er es darauf ankommen lassen oder lieber kehrtmachen?

Er zögerte noch, als ein Schrei die Stille durchbrach.

»Fleur?«, rief Harry.

Wieder Stille. Er spähte umher. Was war ihr zugestoßen? Ihr Schrei schien von vorn gekommen zu sein. Er holte tief Luft und stürzte sich in den verwunschenen Nebel.

Die Welt kippte auf den Kopf. Harry hing vom Erdboden herab, mit gesträubten Haaren, die Brille am Ohr baumelnd, drauf und dran, in die unendliche Tiefe des Himmels zu stürzen. Er drückte sich die Brille auf die Nase. Starr vor Schreck hing er da, und es fühlte sich ganz so an, als wären seine Schuhsohlen an das Gras geklebt, das nun zur irdenen Decke geworden war. Unter ihm erstreckte sich die endlose Weite des dunklen, sternfunkelnden Himmels. Er fürchtete, wenn er auch nur einen Fuß bewegte, würde er für immer von der Erde fallen.

Denk nach, sagte er sich, und alles Blut rauschte ihm in den Kopf, denk… Doch keiner der Zauber, die er geübt hatte, taugte dazu, eine solche Verkehrung von Himmel und Erde zu bekämpfen. Sollte er es wagen, einen Fuß zu bewegen? Das Blut pochte ihm in den Ohren. Er hatte nur zwei Möglichkeiten – es doch versuchen und sich bewegen oder rote Funken sprühen; die Lehrer würden ihn retten und dann war das Turnier für ihn gelaufen.

Er schloß die Augen, weil er den endlosen Raum unter sich nicht sehen wollte, und zog seinen rechten Fuß mit aller Kraft vom Gras weg.

Sofort kippte die Welt wieder ins Lot. Harry fiel mit den Knien auf den wunderbar festen Boden. Einige Augenblicke war er gelähmt vor Schreck. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen, dann stand er auf und rannte weiter, hinaus aus dem goldenen Nebel, der ihn, als er einen Blick über die Schulter warf, im Mondlicht unschuldig anglitzerte.

An einer Wegkreuzung blieb er stehen und sah sich nach einem Zeichen von Fleur um. Er war sich sicher, daß sie es gewesen war, die geschrien hatte. Was war ihr begegnet? War sie verletzt? Rote Funken waren nirgends zu sehen – hatte sie sich nun aus der Gefahr befreit oder saß sie in der Falle und konnte ihren Zauberstab nicht erreichen? Mit einem Gefühl wachsenden Unbehagens nahm Harry den rechten Abzweig… doch zugleich wurde er den Gedanken nicht los, daß ein Champion raus war…

Der Pokal mußte jetzt irgendwo in der Nähe sein und offenbar war Fleur nicht mehr im Rennen. War er nicht doch ziemlich weit gekommen? Was, wenn er es tatsächlich schaffte zu gewinnen? Zum ersten Mal, seit er überraschend Champion geworden war, sah er sich selbst, ganz flüchtig, wie er vor der ganzen Schule den Trimagischen Pokal in die Höhe hielt.

Die nächsten zehn Minuten traf er auf nichts, außer auf die Heckenmauern von Sackgassen. Zweimal nahm er dieselbe falsche Abzweigung. Schließlich fand er eine neue Strecke, auf der er entlangtrabte, wobei der zittrige Lichtstrahl aus dem Zauberstab seinen Schatten in grotesken Gestalten über die Heckenwände huschen ließ. Wieder bog er um eine Ecke – und stand vor einem Knallrümpfigen Kröter.

Cedric hatte Recht – er war tatsächlich gigantisch. Über drei Meter lang, sah er am ehesten aus wie ein Riesenskorpion. Der lange Stachel war drohend über den Rücken gebogen. Der dicke Panzer schimmerte im Licht des Zauberstabs, den Harry auf ihn gerichtet hatte.

»Stupor!«

Der Fluch schlug gegen den Panzer des Kröters und prallte zurück; Harry duckte sich gerade noch rechtzeitig, doch schon roch es nach verbranntem Haar; der Fluch hatte ihm den Schöpf versengt. Der Kröter ließ einen Feuerstoß aus seinem Rumpf knallen und schleuderte auf Harry zu.

»Impedimenta!«, rief Harry. Wieder traf der Fluch den Panzer des Kröters und prallte schräg weg; Harry stolperte ein paar Schritte rückwärts und fiel rücklings zu Boden.»IMPEDIMENTA!«

Nur noch Zentimeter von Harry entfernt erstarrte der Kröter – Harry hatte es geschafft, ihn in den panzerlosen, fleischigen Bauch zu treffen. Keuchend stemmte er sich von dem Vieh weg und rannte, so schnell er konnte, in die andere Richtung – der Lähmzauber hielt nicht lange vor, der Kröter würde jeden Augenblick seine Beine wieder benutzen können.

Er nahm einen Weg nach links und stieß auf eine Heckenmauer, nach rechts, und wieder war es eine Sackgasse; mit hämmerndem Herzen zwang er sich stehen zu bleiben, ließ erneut den Vier-Punkte-Zauber sprechen, machte kehrt und wählte einen Pfad in nordwestliche Richtung.

Auf diesem neuen Weg war er ein paar Minuten lang gegangen, als er etwas auf dem parallel verlaufenden Pfad hörte, das ihn erstarren ließ.

»Was tust du da?«, hörte er Cedric schreien.»Was zum Teufel machst du da?«

Und dann hörte er Krums Stimme.

»Crucio!«

Die Luft war erfüllt von Cedrics Schreien. Entsetzt rannte Harry los, auf der Suche nach einer Lücke hinüber zu Cedric. Da er keine fand, versuchte er es noch einmal mit dem Reduktor-Fluch. Er war nicht sonderlich wirksam, doch er brannte ein kleines Loch in die Hecke; Harry steckte seinen Fuß hinein und stieß gegen das dichte Gestrüpp aus Zweigen und Dornen, bis er endlich zur anderen Seite durchgebrochen war; er zwängte sich durch das Loch, wobei ihm die Dornen den Umhang zerrissen. Nach rechts blickend sah er Cedric zuckend und zappelnd auf dem Boden liegen. Über ihm stand Krum.

Harry rappelte sich hoch und richtete seinen Zauberstab auf Krum, genau in dem Moment, da dieser aufblickte. Krum wirbelte herum und rannte davon.

»Stupor!«, rief Harry.

Der Fluch traf Krum in den Rücken; er erstarrte mitten im Lauf, fiel mit dem Gesicht ins Gras und blieb reglos liegen. Harry stürzte auf Cedric zu. Er zuckte nicht mehr und lag nur noch keuchend, mit den Händen auf dem Gesicht da.

»Bist du verletzt?«, fragte Harry hastig und packte Cedric am Arm.

»Nein«, keuchte Cedric.»Nein… ich glaub's einfach nicht… er hat sich hinter meinem Rücken angeschlichen… ich hab ihn gehört, hab mich umgedreht, und da hatte er schon den Zauberstab auf mich gerichtet…«

Cedric stand auf. Er zitterte immer noch. Die beiden sahen hinunter auf Krum.

»Ich kann's einfach nicht fassen… ich dachte, er wäre in Ordnung«, sagte Harry mit starrem Blick auf Krum.

»Ich auch«, sagte Cedric.

»Hast du vorhin Fleur schreien gehört?«, fragte Harry.

»Ja«, sagte Cedric.»Glaubst du, Krum hat auch sie überfallen?«

»Ich weiß nicht.«

»Sollen wir ihn hier lassen?«, murmelte Cedric.

»Nein«, sagte Harry.»Ich schätze, wir sollten rote Funken versprühen. Dann kommt jemand und holt ihn… andernfalls frißt ihn wahrscheinlich ein Kröter.«

»Verdient hätt er's ja«, murmelte Cedric, dennoch hob er den Zauberstab und ließ einen Schauer roter Funken in die Luft sprühen, die hoch über Krum schweben blieben und die Stelle markierten, wo er lag.

Harry und Cedric standen einen Moment lang in der Dunkelheit und sahen sich um. Dann sagte Cedric:»Tja… ich glaub, wir sollten besser weitergehen…«

»Wie?«, sagte Harry.»Ach… ja… stimmt…«

Es war ein merkwürdiger Moment. Er und Cedric waren gegen Krum für kurze Zeit verbündet gewesen – und nun fiel ihnen beiden wieder ein, daß sie eigentlich Gegner waren. Schweigend gingen sie den dunklen Pfad entlang, dann wandte sich Harry nach links und Cedric nach rechts. Seine Schritte erstarben bald in der Ferne.

Harry ging weiter und vergewisserte sich gelegentlich mit dem Vier-Punkte-Zauber, daß er die richtige Richtung eingeschlagen hatte. Nun würde der Kampf zwischen ihm und Cedric entschieden. Der Wunsch, den Pokal als Erster zu erreichen, brannte nun stärker denn je in ihm, doch noch immer konnte er nicht fassen, was er Krum soeben hatte tun sehen. Einen Unverzeihlichen Fluch gegen einen Mitmenschen zu richten, hieß, sich eine lebenslange Strafe in Askaban einzuhandeln, das hatte Moody ihnen erklärt. Das konnte Krum der Trimagische Pokal doch wohl nicht wert sein… Harry beschleunigte seine Schritte.

Immer wieder geriet er in Sackgassen, doch weil es um ihn zunehmend dunkel wurde, war er sich sicher, dem Herzen des Irrgartens ganz nahe zu sein. Dann, einen geraden Weg entlanggehend, sah er erneut, wie sich etwas bewegte, und der Strahl seines Zauberstabs traf ein erstaunliches Geschöpf, wie er es nur von einem Bild im Monsterbuch der Monster kannte. Es war eine Sphinx. Sie hatte den Körper eines übergroßen Löwen, mächtige, klauenbewehrte Tatzen und einen langen, gelblichen Schwanz, der in einem braunen Haarbüschel endete. Der Kopf jedoch war der einer Frau. Harry trat näher, und sie wandte den Kopf und ließ ihre langen Mandelaugen auf ihm ruhen. Er hob seinen Zauberstab, zögerte jedoch. Sie duckte sich nicht, als wolle sie zum Sprung ansetzen, sondern trottete quer über den Pfad und versperrte ihm so den Weg.

Dann sprach sie mit tiefer, heiserer Stimme:»Du bist deinem Ziel sehr nahe. Der schnellste Weg führt an mir vorbei.«

»Also… würdest du mich bitte vorbeilassen?«, sagte Harry und wußte doch schon die Antwort darauf.

»Nein«, sagte sie und trottete weiter hin und her.»Erst wenn du mein Rätsel gelöst hast. Antworte richtig beim ersten Versuch – und ich laß dich vorbei. Antworte falsch – und ich werde angreifen. Schweig – und ich werde dich unversehrt zurückweichen lassen.«

Harrys Magen versuchte es mit einem Salto. Das war eigentlich etwas für Hermine, nicht für ihn. Er wog seine Chancen ab. Wenn das Rätsel zu schwer war, konnte er immer noch schweigen, sich unverletzt zurückziehen und einen anderen Weg in die Mitte des Irrgartens suchen.

»Gut«, sagte er.»Kann ich das Rätsel hören?«

Die Sphinx ließ sich mitten auf dem Weg auf die Hinterbeine nieder und sprach:

»Erst denk an den Menschen, der immer lügt,

der Geheimnisse sucht und damit betrügt.

Doch um das Ganze nicht zu verwässern,

nimm von dem Wort nur die ersten drei Lettern.

Nun denk an das Doppelte des Gewinns,

den Anfang von nichts und die Mitte des Sinns.

Und schließlich ein Laut, ein Wörtchen nicht ganz,

das du auch jetzt von dir selbst hören kannst.

Nun füg sie zusammen, denn dann wirst du wissen,

welches Geschöpf du niemals willst küssen.«

Harry starrte sie mit offenem Mund an.

»Könnte ich es noch mal hören… ein wenig langsamer?«, fragte er zaghaft.

Sie blinzelte ihn an, lächelte und wiederholte das Gedicht.

»Wenn ich alles löse, bekomm ich am Schluß den Namen eines Geschöpfs, das ich niemals küssen will?«

Sie lächelte nur ihr geheimnisvolles Lächeln. Harry deutete es als»Ja«. Er überlegte hin und her. Es gab eine Menge Tiere, die er nicht küssen wollte; als Erstes fiel ihm ein Knallrümpfiger Kröter ein, aber irgend etwas ließ ihn ahnen, daß dies nicht die Lösung war. Er mußte es versuchen und die einzelnen Teile des Rätsels lösen…

»Ein Mensch, der immer lügt«, murmelte Harry und starrte die Sphinx an,»der Geheimnisse sucht… ähm… vielleicht ein Agent. Ne, wart mal! Ein Spion? Und nur die ersten drei Buchstaben? Ich komm darauf zurück… könntest du mir bitte noch einmal das nächste Rätsel aufsagen?«

Sie wiederholte den zweiten Teil des Gedichts.

»Das Doppelte des Gewinns«, murmelte Harry.»Hmh… keine Ahnung… der Anfang von nichts… ne… könnt ich den letzten Teil noch mal hören?«

Sie sagte ihm die letzten vier Verse auf.

»Ein Laut, ein Wörtchen nicht ganz, das du auch jetzt von dir selbst hören kannst«, sagte Harry.»Hmm… ne, das müßte… ne… wart mal – ›ne‹! ›Ne‹ ist ein Laut!«

Die Sphinx lächelte ihn an.

»Spi… ähm… ne«, sagte Harry, den Weg auf und ab schreitend.»Ein Geschöpf, das ich nicht küssen möchte… eine Spinne!«

Die Sphinx schenkte ihm ein breites Lächeln. Sie erhob sich, streckte die Vorderbeine aus und wich dann zur Seite, um ihn vorbeizulassen.

»Danke!«, sagte Harry und hastete weiter, noch immer verblüfft von seiner Glanzleistung.

Er mußte jetzt ganz nah dran sein, das war sicher… sein Zauberstab sagte ihm, daß er genau auf Kurs war; wenn er jetzt nicht auf irgend etwas allzu Schreckliches stieß, dann hatte er durchaus eine Chance…

Vor ihm gabelte sich der Weg erneut.»Weise mir die Richtung!«, flüsterte er seinem Zauberstab zu, und der Stab wirbelte herum und deutete mit der Spitze auf den rechten Abzweig. Er stürzte sich hinein und jetzt sah er vor sich ein Licht.

Keine hundert Meter entfernt, auf einer Säule, schimmerte ihm der Trimagische Pokal entgegen. Harry hatte gerade zum Spurt angesetzt, als eine dunkle Gestalt vor ihm auf den Weg sprang.

Cedric würde als Erster da sein. Cedric rannte, so schnell er konnte, auf den Pokal zu, und Harry wußte, er würde ihn nicht mehr einholen können, Cedric war viel größer als er und hatte längere Beine -

Dann sah er, über einer Hecke links von ihm, etwas ungeheuer Großes, das sich rasch auf einem Pfad bewegte, der den ihrigen kreuzte, und Cedric, der nur noch den Pokal im Auge hatte, würde blindlings in dieses Ungeheuer hineinlaufen -

.»Cedric!«, brüllte Harry.»Paß auf – da links!«

Cedric wandte gerade noch rechtzeitig den Kopf. Er hechtete an dem Wesen vorbei und konnte einen Zusammenprall vermeiden, doch in seiner Hast stolperte er. Harry sah, wie ihm der Zauberstab wegflog und er stürzte, und nun erschien eine gigantische Spinne auf dem Weg und richtete sich drohend über Cedric auf.

»Stupor!«, schrie Harry; der Fluch traf den riesigen, haarigen Körper der Spinne, doch er hätte sie genauso gut mit einem Stein bewerfen können, so wenig richtete er aus; die Spinne zuckte, drehte sich blitzschnell um und ging nun auf Harry los.

»Stupor! Impedimental! Stupor!«

Doch es nützte alles nichts – die Spinne war entweder zu groß oder so magisch, daß Flüche sie nur noch rasender machten – einen schrecklichen Augenblick lang sah Harry acht glimmende schwarze Augen und rasiermesserscharfe Greifscheren, dann war sie über ihm.

Sie zwängte ihn zwischen ihre Vorderbeine und hob ihn hoch; in verzweifelter Anstrengung schlug er mit den Füßen um sich; doch er stieß mit dem Bein gegen eine Greifschere, und ein unerträglicher, schneidender Schmerz durchdrang ihn – er hörte noch, wie auch Cedric»Stupor!«rief, doch sein Fluch richtete nicht mehr aus als der Harrys – die Spinne öffnete erneut ihre Greifzangen; Harry hob den Zauberstab und rief:»Expelliarmus!«

Der Entwaffnungszauber wirkte – die Spinne ließ ihn los, doch das hieß, daß er vier Meter tief auf sein schon verletztes Bein fiel und es unter sich begrub. Ohne weiter zu überlegen zielte er nach oben auf den Bauch der Spinne, wie schon bei dem Kröter, und rief»Stupor!«- im selben Augenblick wie Cedric.

Die beiden Flüche bewirkten zusammen, was mit einem allein nicht zu schaffen war – die Spinne knickte seitlich ein und rollte auf den Rücken, walzte dabei eine Hecke nieder und versperrte den Weg mit einem Gewirr haariger Beine.

»Harry!«, hörte er Cedric rufen.»Bist du verletzt? Ist das Vieh auf dich gefallen?«

»Nein«, japste Harry. Er besah sich sein Bein. Es blutete heftig. Sein zerfetzter Umhang war mit einem zähen, klebrigen Sekret verschmiert. Er versuchte aufzustehen, doch sein Bein zitterte fürchterlich und wollte seine Last nicht tragen. Nach Luft schnappend lehnte er sich gegen die Hecke und sah sich um.

Cedric stand keine paar Meter vom Trimagischen Pokal entfernt, der hinter ihm schimmerte.

»Nun nimm ihn schon«, keuchte Harry.»Los, beeil dich, nimm ihn. Du stehst doch davor.«

Doch Cedric rührte sich nicht. Er stand nur da und musterte Harry. Dann drehte er sich um und sah den Pokal an. Im goldenen Licht der Trophäe konnte Harry den sehnsüchtigen Ausdruck in Cedrics Gesicht erkennen. Er drehte sich wieder zu Harry um, der sich inzwischen an die Hecke klammerte, um nicht einzuknicken.

Cedric holte tief Luft.»Nimm du ihn. Du solltest gewinnen. Du hast mir hier drin zweimal den Hals gerettet.«

»Darum geht es hier aber nicht«, sagte Harry. Er spürte Zorn in sich hochkochen; die Wunde an seinem Bein schmerzte, und alle Knochen im Leib taten ihm weh von dem Versuch, sich der Spinne zu entwinden. Und nach all dieser Mühsal war ihm Cedric auch noch zuvorgekommen, wie schon bei Cho, die er als Erster zum Ball gebeten hatte.»Wer den Pokal zuerst erreicht, kriegt die Punkte. Und das bist du. Ich kann nur sagen, daß ich mit meinem Bein jedenfalls kein Wettrennen gewinnen kann.«

Cedric ging ein paar Schritte weg vom Pokal auf die gelähmte Spinne zu und schüttelte den Kopf.

»Nein«, sagte er.

»Hör auf, so verdammt edelmütig zu sein«, sagte Harry gereizt.»Nimm ihn einfach, dann kommen wir endlich hier raus.«

Cedric sah stumm zu, wie Harry sich verzweifelt an der Hecke festklammerte, um nicht hinzufallen.

»Du hast mir von den Drachen erzählt«, sagte Cedric.»Ich wär schon in der ersten Runde untergegangen, wenn du mir nicht gesagt hättest, was drankommt.«

»Da hat mir auch jemand geholfen«, fauchte Harry und mühte sich, sein blutüberströmtes Bein mit dem Umhang abzuwischen.»Du hast mir bei diesem Ei geholfen – wir sind quitt.«

»Bei diesem Ei hat mir zuallererst jemand geholfen«, sagte Cedric.

»Trotzdem sind wir quitt«, sagte Harry und versuchte behutsam sein Bein zu belasten; es zitterte heftig, als er damit auftrat; beim Sturz von der Spinne hatte er sich den Knöchel verstaucht.

»Du hättest für die zweite Aufgabe mehr Punkte bekommen sollen«, sagte Cedric störrisch.»Du bist da unten geblieben und wolltest alle Geiseln mitnehmen. Das hätte ich auch tun sollen.«

»Ich war der Einzige, der so blöd war, dieses Lied ernst zu nehmen!«, sagte Harry erbittert.»Jetzt nimm schon diesen Pokal!«

»Nein«, sagte Cedric.

Er stieg über das Gewirr der Spinnenbeine herüber zu Harry, der ihn sprachlos anstarrte. Cedric meinte es ernst. Er verzichtete auf eine Ruhmestat, wie sie seit Jahrhunderten keinem aus dem Haus Hufflepuff mehr gelungen war.

»Geh schon«, sagte Cedric. Er sah aus, als würde ihn dies alle Entschlußkraft kosten, die er aufbringen konnte, doch mit seiner festen Miene und den verschränkten Armen wirkte er unerschütterlich.

Harry ließ den Blick von Cedric zum Pokal wandern. Einen schimmernden Moment lang sah er sich, den Pokal in Händen, aus dem Irrgarten auftauchen. Er sah sich den Trimagischen Pokal in die Höhe halten, hörte das Toben der Menge, sah Chos leuchtendes Gesicht, voll Bewunderung ihm zugewandt, sah es deutlicher als je zuvor… und dann verblaßte das Bild und er starrte nur noch in Cedrics abgeschattetes, stures Gesicht.

»Wir beide?«, fragte Harry.

»Was?«

»Wir nehmen ihn gleichzeitig. Dann ist es auch ein Sieg für Hogwarts. Wir teilen ihn uns.«

Cedric starrte Harry an. Seine Arme lösten sich aus der Verschränkung.»Das – das meinst du ernst?«

»Ja«, sagte Harry.»Ja… wir haben uns gegenseitig geholfen, oder nicht? Wir sind beide so weit gekommen. Dann nehmen wir ihn eben gemeinsam.«

Einen Moment lang sah Cedric aus, als wolle er seinen Ohren nicht trauen; doch dann trat ein breites Lächeln auf sein Gesicht.

»Einverstanden«, sagte er.»Komm mit.«

Er packte Harry unter der Achsel und half ihm, auf die Säule mit dem Pokal zuzuhumpeln. Als sie davor standen, hielt jeder die Hand über einen der schimmernden Henkel des Pokals.

»Bei drei, ja?«, sagte Harry.»Eins – zwei – drei -«

Beide packten zu.

Im selben Moment spürte Harry irgendwo hinter seinem Nabel ein Reißen. Er verlor den Boden unter den Füßen. Er konnte seinen Griff um den Trimagischen Pokal nicht lockern, der ihn mit sich riß und Cedric an seiner Seite, hinein in einen zornig wirbelnden Sturm aus Farben.

Fleisch, Blut und Knochen

Harry spürte, wie seine Füße auf die Erde schlugen; sein verletztes Bein knickte ein und er stürzte zu Boden; endlich konnte er seine Hand vom Trimagischen Pokal lösen. Er hob den Kopf.

»Wo sind wir?«, fragte er.

Cedric schüttelte den Kopf. Er stand auf und zog Harry auf die Beine. Sie blickten sich um.

Hier mußten sie fern von Hogwarts sein; offenbar waren sie viele, vielleicht sogar Hunderte von Kilometern gereist, denn selbst die Berge der Umgebung von Hogwarts waren nicht mehr zu sehen. Sie standen auf einem dunklen, überwucherten Friedhof; hinter einer großen Eibe war der schwarze Umriß einer kleinen Kirche zu erkennen. Zu ihrer Linken ragte ein Hügel auf. Harry konnte eben noch die Umrisse eines stattlichen alten Hauses hoch oben auf der Kuppe erkennen.

Cedric warf einen Blick auf den Trimagischen Pokal am Boden und sah dann zu Harry auf.

»Hat dir jemand gesagt, daß der Pokal ein Portschlüssel ist?«, fragte er.

»Ne«, sagte Harry. Er ließ die Augen über den Friedhof wandern. Es war vollkommen still hier und ein wenig unheimlich.»Soll das hier vielleicht zur Aufgabe gehören?«

»Keine Ahnung«, antwortete Cedric. Er klang leicht nervös.»Zauberstäbe raus, meinst du nicht?«

»Ja«, sagte Harry, froh, daß Cedric den Vorschlag gemacht hatte und nicht er.

Sie zogen ihre Zauberstäbe. Harry schaute umher. Wieder einmal hatte er das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden.

»Da kommt jemand«, sagte er plötzlich.

Angestrengt durch die Dunkelheit spähend, sahen sie eine Gestalt, die zwischen den Gräbern hindurch geradewegs auf sie zukam. Harry konnte ihr Gesicht nicht erkennen; doch nach dem Gang und der Haltung der Arme zu schließen, mußte die Gestalt etwas mit sich tragen. Wer immer es war, er war klein und hatte die Kapuze des Umhangs tief über den Kopf gezogen, um das Gesicht zu verbergen. Die Gestalt war nun schon deutlicher zu erkennen und kam immer noch näher – und jetzt erkannte Harry, daß das, was die Gestalt in den Armen trug, wie ein Baby aussah… oder war es nur ein zusammengerollter Umhang?

Harry ließ den Zauberstab sinken und sah Cedric aus den Augenwinkeln an.

Cedric versetzte ihm einen kurzen, ratlosen Blick. Dann wandten sie sich wieder der näher kommenden Gestalt zu.

Sie blieb neben einem übermannshohen marmornen Grabstein stehen, nur zwei Meter von ihnen entfernt. Eine Sekunde lang sahen sich Harry, Cedric und die kleine Gestalt an.

Und dann, ohne Vorwarnung, loderte Harrys Narbe vor Schmerz auf. Eine solche Höllenqual hatte er noch nie durchlitten; der Zauberstab glitt Harry aus den Fingern und er schlug die Hände vors Gesicht; seine Knie gaben nach, er stürzte zu Boden, schwarze Nacht umhüllte ihn, und sein Kopf schien im nächsten Augenblick platzen zu wollen.

Von weit oben hörte er eine hohe, kalte Stimme:»Töte den Überflüssigen.«

Harry hörte ein Sirren, und eine zweite Stimme kreischte in die Nacht:»Avada Kedavra!«

Ein gleißender Strahl grünen Lichts drang durch Harrys Augenlider und er hörte etwas Schweres neben sich zu Boden stürzen; der Schmerz seiner Narbe wurde so unerträglich, daß er würgen mußte, und dann ließ er nach; es graute ihm vor dem, was er gleich sehen würde, und er öffnete seine schmerzenden Augen.

Cedric lag neben ihm auf der Erde, Arme und Beine von sich gestreckt. Er war tot.

Eine Sekunde, die eine Ewigkeit umfaßte, starrte Harry in Cedrics Gesicht, in seine offenen grauen Augen, leer und ausdruckslos wie die Fenster eines verlassenen Hauses, auf Cedrics wie in leichter Überraschung geöffneten Mund. Und dann, noch bevor Harry aufgenommen hatte, was er da sah, bevor er mehr fühlen konnte als dumpfes Erstaunen, spürte er, wie er auf die Beine gezogen wurde.

Der kleine Mann mit dem Kapuzenumhang hatte sein Stoffbündel auf die Erde gelegt, seinen Zauberstab erstrahlen lassen und schleifte Harry jetzt auf den marmornen Grabstein zu. Im flackernden Licht des Zauberstabs sah Harry den Namen auf dem Stein, dann wurde er herumgezerrt und mit dem Rücken gegen den Stein geschmettert.

TOM RIDDLE

Der Mann im Kapuzenmantel beschwor Seile herauf, die Harry vom Hals bis zu den Fußgelenken an den Grabstein zurrten. Harry hörte flache, schnelle Atemzüge aus der Tiefe der Kapuze; er zerrte und zog an seinen Fesseln, und der Mann schlug ihn – schlug ihn mit einer Hand, an der ein Finger fehlte. Jetzt wußte Harry, wer sich unter der Kapuze verbarg. Es war Wurmschwanz.

»Du!«, keuchte er.

Doch Wurmschwanz antwortete nicht; er prüfte jetzt, ob die Seile straff genug saßen. Mit fahrig zitternden Fingern betastete er die Knoten. Als er sich vergewissert hatte, daß Harry so straff an den Grabstein gefesselt war, daß er sich nicht mehr rühren konnte, zog er ein Stück schwarzen Stoffes aus dem Umhang und stopfte es grob in Harrys Mund; dann, ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich ab und eilte davon. Harry brachte keinen Laut hervor, noch konnte er sehen, wo Wurmschwanz hingegangen war; er konnte den Kopf nicht drehen und hinter den Grabstein blicken; er sah nur, was direkt vor ihm war.

Einige Meter von ihm entfernt lag Cedrics Leiche. Nicht weit dahinter leuchtete der Trimagische Pokal im Sternenlicht. Harrys Zauberstab lag auf der Erde zu seinen Füßen. Das Umhangbündel, das Harry für ein Baby gehalten hatte, lag ganz in der Nähe, am Fuß des Grabes. Etwas regte sich darin, gereizt und ungeduldig, wie es schien. Noch während Harry es beobachtete, jagte erneut der brennende Schmerz durch seine Narbe… und plötzlich wußte er: Er wollte nicht sehen, was in diesem Umhang war… er wollte nicht, daß sich das Bündel öffnete…

Zu seinen Füßen raschelte es. Er blickte hinunter und sah eine riesige Schlange durch das Gras gleiten und einen Kreis um den Grabstein ziehen, an den er gefesselt war. Wieder drang Wurmschwanz' hastiges, pfeifendes Atmen an seine Ohren. Es klang, als würde er etwas Schweres über den Boden schleifen. Er tauchte in Harrys Gesichtskreis auf, und nun sah Harry, daß er einen Kessel an den Fuß des Grabes schob. Er schien mit Wasser gefüllt zu sein – Harry konnte es schwappen hören – und war größer als irgendein Kessel, den Harry je benutzt hatte; das bauchig ausladende Gefäß war so groß, daß ein Mann darin sitzen konnte.

Das Etwas in dem Umhangbündel regte sich nun heftiger, als wollte es sich daraus befreien. Wurmschwanz machte sich jetzt mit dem Zauberstab am Fuß des Kessels zu schaffen. Plötzlich züngelten knisternde Flammen vom Kesselboden her auf. Die große Schlange glitt in die Dunkelheit davon.

Das Wasser im Kessel schien rasch heiß zu werden. An der Oberfläche begann es zu brodeln, und prasselnde Funken stoben in die Höhe, als ob der ganze Kessel in Flammen stünde. Dichter Dampf wallte auf und ließ Wurmschwanz' über das Feuer gebeugte Gestalt verschwimmen. Das Etwas unter dem Umhang schien erregt zu zappeln. Und wieder hörte Harry die hohe, kalte Stimme.

»Beeil dich!«

Das Wasser leuchtete im Licht der Funken, als wäre die ganze Oberfläche mit Diamanten gesprenkelt.

»Es ist bereit, Meister.«

»Nun…«, sagte die kalte Stimme.

Wurmschwanz bückte sich nach dem Bündel auf der Erde und begann es aufzuwickeln, enthüllte, was in ihm verborgen war. Harry stieß einen Schrei aus, der in dem Stoffetzen in seinem Mund erstickte.

Es war, als hätte Wurmschwanz einen Stein umgedreht; etwas Häßliches, Schleimiges und Blindes war zum Vorschein gekommen – doch schlimmer noch, hundertmal schlimmer. Was Wurmschwanz mit sich getragen hatte, hatte die Gestalt eines zusammengekauerten menschlichen Kindes, allerdings hatte er noch nie etwas gesehen, das einem Kind so Wenig ähnelte. Es hatte keine Haare und seine Haut schien geschuppt und von einem dunklen, schrundigen Rotschwarz. Die Arme und Beine waren dünn und zerbrechlich, und das Gesicht – kein lebendes Kind hatte je so ein Gesicht gehabt – war flach und schlangengleich, mit rot schimmernden Augen.

Das Wesen schien fast gänzlich hilflos; es hob seine dürren Arme, schlang sie um Wurmschwanz' Hals, und Wurmschwanz hob es hoch. Dabei rutschte ihm die Kapuze vom Kopf, und Harry sah im Licht des Feuers den Ausdruck des Abscheus in seinem schlaffen, bleichen Gesicht, als er das Geschöpf zum Kesselrand trug. Einen Moment lang sah Harry das böse, flache Gesicht des Wesens im Licht der Funken, die über dem Gebrodel tanzten. Und dann tauchte Wurmschwanz das Geschöpf in den Kessel ein; ein Zischen, und es versank; Harry hörte den zerbrechlichen Körper leise und dumpf auf dem Kesselboden aufschlagen.

Wenn es doch ersaufen würde, dachte Harry, und seine Narbe brannte fast unerträglich, bitte… wenn es doch ersaufen würde…

Wurmschwanz sprach. Seine Stimme bebte, die Angst schien ihn um den Verstand zu bringen. Er hob den Zauberstab, schloß die Augen und sprach in die Nacht hinein:»Knochen des Vaters, unwissentlich gegeben, Au wirst deinen Sohn erneuern!«

Die Grabplatte unter Harrys Füßen knackte. Von Grauen erfüllt sah Harry, wie ein schmaler Staubwirbel auf Wurmschwanz' Befehl hin aus dem Grab aufstieg und dann sanft in den Kessel fiel. Die diamantene Oberfläche des Wassers teilte sich unter scharfem Zischen; Funken stoben kreuz und quer aus dem Kessel und nahmen ein lebhaftes, giftig wirkendes Blau an.

Und jetzt konnte er Wurmschwanz wimmern hören. Er zog einen langen, silbern schimmernden Dolch aus seinem Mantel. Seine Stimme war ein abgehacktes, vor Angst versteinertes Schluchzen.»Fleisch – des Dieners – w-willentlich gegeben – du wirst – deinen Meister – wieder beleben.«

Er streckte die rechte Hand aus – die Hand mit dem fehlenden Finger. Er packte den Dolch fest mit der Linken und schwang ihn nach oben.

Harry wurde erst in letzter Sekunde klar, was Wurmschwanz da tat – er schloß die Augen, so fest er konnte, doch den Schrei, der die nächtliche Stille zerriß, mußte er hören, und er durchstach Harry, als ob der Dolch in ihn eingedrungen wäre. Er hörte etwas zu Boden fallen, hörte das angstgequälte Keuchen von Wurmschwanz, dann ein Brechreiz erregendes Platschen von etwas, das in den Kessel fiel. Harry konnte es nicht ertragen hinzusehen… doch das Gebräu hatte ein brennendes Rot angenommen, so hell, daß es durch Harrys geschlossene Augenlider leuchtete…

Wurmschwanz keuchte und stöhnte unter seinen Qualen. Erst als Harry seinen angsterfüllten Atem auf seinem Gesicht spürte, wurde ihm jäh bewußt, daß er direkt vor ihm stand.

»B-Blut des Feindes – mit Gewalt genommen – du wirst – deinen Gegner wieder erstarken lassen.«

Harry konnte nichts tun, um es zu verhindern, die Seile waren zu straff um ihn gespannt… er blickte hinunter, sträubte sich verzweifelt gegen die Fesseln, und dann sah er den silbernen Dolch in Wurmschwanz' verbliebener Hand zittern. Er spürte, wie sich die Spitze durch die Beuge seines rechten Armes bohrte und Blut den Ärmel seines zerrissenen Umhangs hinabsickerte. Wurmschwanz, vor Schmerz immer noch keuchend, stöberte in seiner Tasche nach einer Phiole und hielt sie unter Harrys Wunde; ein dünnes Blutrinnsal tröpfelte in das Glas.

Mit Harrys Blut stolperte Wurmschwanz zurück zum Kessel. Er schüttete es hinein. Sofort nahm das Gebräu im Kessel ein blendend helles Weiß an. Nun, da er seine Arbeit getan hatte, fiel Wurmschwanz neben dem Kessel auf die Knie, sackte zur Seite und blieb auf der Erde liegen, keuchend und schluchzend, und verbarg den blutenden Armstumpf unter seinem Körper.

Der Kessel brodelte und versprühte seine diamantenen Funken so blendend hell, daß alles andere in samtene Dunkelheit getaucht wurde. Nichts geschah…

Laß es ertrunken sein, dachte Harry, laß es mißlungen sein…

Und dann, ganz plötzlich, erlosch das Funkengestiebe über dem Kessel. Weißer Dampf quoll in dicken Schwaden aus dem Kessel und tauchte alles vor Harry in weißes Nichts, so daß er weder Wurmschwanz noch Cedric noch sonst etwas sehen konnte, nur den Dampf, der in der Luft hing… es ist fehlgeschlagen, dachte er… es ist ertrunken… bitte… bitte, laß es tot sein…

Doch dann – und eine eisige Woge des Grauens überkam ihn -, dann sah er durch den Nebel hindurch, wie der dunkle Umriß eines Mannes, groß und dürr wie ein Skelett, langsam aus dem Innern des Kessels aufstieg.

»Meinen Umhang«, sagte die hohe, kalte Stimme hinter der Nebelwand, und Wurmschwanz, schluchzend und wimmernd, den verstümmelten Arm noch immer schützend an den Leib gepreßt, stolperte hinüber und griff nach dem schwarzen Umhang auf der Erde, richtete sich auf, streckte seine verbliebene Hand aus und zog den Umhang über die Schultern seines Gebieters.

Der dürre Mann stieg langsam aus dem Kessel und starrte Harry an… und Harry starrte zurück in dieses Gesicht, das ihn drei Jahre lang in seinen Alpträumen verfolgt hatte. Weißer als ein Schädel, mit weiten, scharlachrot lodernden Augen und einer Nase, die so platt war wie die einer Schlange, mit Schlitzen als Nüstern…

Lord Voldemort war wieder erstanden.

Die Todesser

Voldemort wandte die Augen von Harry ab und begann seinen Körper zu untersuchen. Seine Hände waren wie große, bleiche Spinnen; mit den langen Fingern streichelte er seine Brust, die Arme, das Gesicht; die roten Pupillen, katzengleich zu Schlitzen verengt, glommen noch heller durch die Nacht. Er hob die Hände hoch und krümmte mit verzückt triumphierendem Blick die Finger. Von Wurmschwanz, der zuckend und blutend am Boden lag, nahm er nicht die geringste Notiz, noch von der großen Schlange, die herbeigeglitten war und erneut ihren zischelnden Kreis um Harry zog. Voldemort schob eine der unnatürlich langfingrigen Hände tief in die Tasche und zog einen Zauberstab hervor. Auch ihn streichelte er sanft; und dann richtete er ihn auf Wurmschwanz, der in die Höhe gerissen und gegen den Grabstein geschleudert wurde, an den Harry gefesselt war; Wurmschwanz fiel zurück auf die Erde und blieb zusammengekrümmt und weinend am Fuß des Grabsteins liegen. Voldemort wandte seine scharlachroten Augen wieder Harry zu und ließ sein hohes, kaltes, freudloses Lachen hören.

Wurmschwanz' Umhang glänzte vor Blut; er hatte seinen Armstumpf darin eingewickelt.»Herr…«, würgte er hervor,»Herr… Ihr habt versprochen… Ihr habt versprochen…«

»Streck deinen Arm aus«, sagte Voldemort träge.

»Oh, Herr… ich danke Euch, Herr…«

Er schob den blutigen Stumpf unter seinem Körper hervor, doch Voldemort lachte nur.»Den anderen Arm, Wurmschwanz.«

»Herr, bitte… bitte…«

Voldemort bückte sich und zog Wurmschwanz' linken Arm unter ihm hervor; dann schob er den Ärmel des Umhangs über Wurmschwanz' Ellbogen, und Harry konnte jetzt etwas auf der Haut des Unterarms erkennen, das aussah wie eine brennend rote Tätowierung – ein Totenschädel, aus dessen Mund eine Schlange drang -, das Zeichen, das bei der Quidditch-Weltmeisterschaft am Himmel erschienen war: das Dunkle Mal. Voldemort untersuchte es sorgfältig, ohne auf Wurmschwanz' krampfartiges Schluchzen zu achten.

»Es ist wieder da«, sagte er leise,»sie werden es alle bemerkt haben… und jetzt werden wir sehen… jetzt werden wir erfahren…«

Er drückte seinen langen weißen Zeigefinger auf das Brandmal an Wurmschwanz' Arm.

Erneut loderte ein brennender Schmerz durch Harrys Stirnnarbe, und Wurmschwanz stieß einen markerschütternden Schrei aus. Voldemort löste den Finger von Wurmschwanz' Mal, und Harry sah, daß es sich pechschwarz verfärbt hatte.

Mit einem Ausdruck grausamer Genugtuung richtete sich Voldemort auf, warf den Kopf zurück und blickte auf dem dunklen Friedhof umher.

»Wie viele werden wohl den Mut haben zurückzukehren, wenn sie es spüren?«, flüsterte er, die glimmenden roten Augen auf die Sterne gerichtet.»Und wie viele werden dumm genug sein, nicht zu kommen?«

Er begann vor Harry und Wurmschwanz auf und ab zu schreiten, während er mit den Augen wachsam den Friedhof absuchte. Nach etwa einer Minute sah er auf Harry hinab, und ein grausames Lächeln spielte über sein schlangenartiges Gesicht.

»Harry Potter, du stehst auf den sterblichen Überresten meines Vaters«, zischte er leise.»Ein Muggel und ein Tor… deiner lieben Mutter sehr ähnlich. Doch beide waren sie von Nutzen, nicht wahr? Deine Mutter starb, um dich, ihr Kind, zu schützen… und ich tötete meinen Vater, doch sieh nur, wie nützlich er sich noch im Tod erwiesen hat…«

Erneut lachte Voldemort auf. Er schritt auf und ab, wachsame Blicke über den Friedhof werfend, und die Schlange zog ihre Kreise im Gras.

»Siehst du das Haus dort oben auf dem Hügel, Potter? Dort lebte mein Vater. Meine Mutter, eine Hexe, die hier in diesem Dorf lebte, verliebte sich in ihn. Doch er verließ sie, als sie ihm sagte, was sie war… er mochte keine Zauberei, mein Vater…

Er ließ sie im Stich und kehrte zu seinen Muggeleltern zurück, noch bevor ich überhaupt geboren war, Potter, und sie starb bei meiner Geburt, so daß man mich in einem Waisenhaus der Muggel großzog… doch ich schwor mir, ihn zu finden… ich rächte mich an ihm, an diesem Dummkopf, der mir seinen Namen gab… Tom Riddle…«

Noch immer schritt er auf und ab und die roten Augen huschten von Grab zu Grab.

»Höre, wie ich noch einmal die Geschichte meiner Familie durchlebe…«, sagte er leise.»Aber ich werde nicht noch rührselig werden… Doch sieh, Harry! Meine wahre Familie kehrt zurück…«

Plötzlich war die Luft erfüllt vom Rascheln und Rauschen vieler Umhänge. Zwischen den Gräbern, hinter der Eibe, tief in den Schatten, apparierten Zauberer. Alle waren maskiert und trugen Kapuzen. Und einer nach dem anderen kam auf sie zu… langsam, vorsichtig, als würden sie ihren Augen kaumtrauen. Voldemort stand schweigend da und erwartete sie. Dann sank einer der Todesser auf die Knie, rutschte auf Voldemort zu und küßte den Saum seines schwarzen Umhangs.

»Herr… Herr…«, murmelte er.

Die Todesser hinter ihm taten es ihm nach; einer nach dem anderen näherte sich Voldemort auf Knien und küßte ihm den Umhang, wich dann zurück und erhob sich. Alle zusammen bildeten sie einen stummen Kreis um Tom Riddles Grab, um Harry, Voldemort und den schluchzenden und zuckenden Haufen, der Wurmschwanz war. Doch sie ließen Lücken im Kreis, als warteten sie auf noch Kommende. Voldemort jedoch schien keinen mehr zu erwarten. Er sah reihum in die maskierten Gesichter, und obwohl es windstill war, schien ein Rascheln durch den Kreis zu laufen, als ob er zitterte.

»Willkommen, Todesser«, sagte Voldemort leise.»Vierzehn Jahre… vierzehn Jahre seit unserer letzten Zusammenkunft… so sind wir denn noch immer vereint unter dem Dunklen Mal! Oder nicht?«

Er reckte sein schreckliches Gesicht in die Luft und schnüffelte und seine schlitzartigen Nüstern weiteten sich.

»Ich rieche Schuld«, sagte er.»Der Gestank von Schuld liegt in der Luft.«

Erneut lief ein Schaudern durch den Kreis, als ob jeder der Versammelten sich danach sehnte, doch es nicht wagte, vor ihm zurückzuweichen.

»Ich sehe euch hier versammelt, gesund und unversehrt, auf der Höhe eurer Zauberkraft – welch promptes Erscheinen! -, und ich frage mich… warum ist diese Bande von Zauberern ihrem Herrn, dem sie ewige Treue geschworen hatte, nie zu Hilfe geeilt?«

Keiner sprach. Keiner rührte sich außer Wurmschwanz, der schluchzend über seinen Arm gebeugt auf der Erde lag.

»Und ich antworte mir selbst«, flüsterte Voldemort.»Sie müssen geglaubt haben, ich sei gebrochen, sie glaubten, ich sei vernichtet. Sie schlichen sich wieder unter meine Feinde und verkündeten, sie seien unschuldig, sie hätten nichts gewußt, sie seien meinem Zauber unterworfen gewesen…

Und dann frage ich mich, weshalb nur konnten sie glauben, ich würde nicht wieder erstehen? Sie, die die Schritte kannten, die ich vor langer Zeit tat, um mich vor dem endgültigen Tod zu schützen? Sie, die mit eigenen Augen gesehen haben, wie weit meine Macht reichte in jener Zeit, da ich mächtiger war als jeder lebende Zauberer?

Und ich sage mir, vielleicht glaubten sie, eine noch größere Macht könne existieren, eine, die selbst Lord Voldemort besiegen könne… vielleicht huldigen sie nun einem anderen… vielleicht diesem Fürsprecher der Gewöhnlichen, der Schlammblüter und Muggel, Albus Dumbledore.«

Bei der Erwähnung von Dumbledores Namen lief ein nervöses Zittern durch den Kreis, einige begannen zu murmeln und schüttelten den Kopf.

Voldemort achtete nicht auf sie.»Es ist eine Enttäuschung für mich… ich bekenne, daß ich enttäuscht bin…«

Plötzlich brach einer der Männer aus dem Kreis aus und stürzte nach vorn. Am ganzen Leib zitternd brach er zu Voldemorts Füßen zusammen.

»Herr!«, kreischte er.»Herr, vergib mir! Vergib uns allen!«

Voldemort fing an zu lachen. Er richtete seinen Zauberstab auf ihn.»Crucio!«Der Todesser auf der Erde krümmte sich und schrie; Harry war sich sicher, daß der Lärm zu den Häusern in der Umgebung dringen würde… ruft die Polizei, dachte er verzweifelt… wen auch immer… tut irgendwas…

Voldemort hob des Zauberstab. Der gequälte Todesser lag ausgestreckt und nach Luft ringend auf der Erde.

»Steh auf, Avery«, sagte Voldemort leise.»Steh auf. Du bittest um Vergebung? Ich vergebe nicht. Ich vergesse nicht. Vierzehn lange Jahre… ich will vierzehn Jahre zurückbezahlt haben, bevor ich dir vergebe. Wurmschwanz hier hat bereits einen Teil seiner Schuld beglichen, nicht wahr, Wurmschwanz?«

Er sah auf Wurmschwanz hinab, der weiter schluchzte.

»Du bist zu mir zurückgekehrt, nicht aus Treue, sondern aus Angst vor deinen alten Freunden. Du verdienst diesen Schmerz, Wurmschwanz. Das weißt du doch?«

»Ja, Herr«, stöhnte Wurmschwanz,»bitte, Herr, bitte…«

»Doch hast du geholfen, mir meinen Körper wiederzugeben«, sagte Voldemort mit kaltem Blick auf den schluchzenden Wurmschwanz am Boden.»So wertlos und verräterisch du auch bist, du hast mir geholfen… und Lord Voldemort belohnt seine Helfer…«

Voldemort hob den Zauberstab und ließ ihn durch die Luft wirbeln. Es schien, als würde die Spitze eine leuchtende Schliere aus geschmolzenem Silber hinter sich lassen. Einen Moment lang noch formlos, verschlang sie sich und nahm dann Gestalt an, die schimmernde Nachbildung einer menschlichen Hand, hell wie das Mondlicht. Sie flog zur Erde und fügte sich an Wurmschwanz' blutendes Handgelenk an.

Wurmschwanz hörte schlagartig auf zu schluchzen. Rasselnd und stockend atmend hob er den Kopf und starrte ungläubig seine silberne Hand an, die sich jetzt nahtlos mit seinem Arm verbunden hatte, so daß es schien, als würde er einen silbern leuchtenden Handschuh tragen. Er krümmte die schimmernden Finger, dann hob er zitternd einen kleinen Zweig von der Erde und zerrieb ihn zu Holzmehl.

»Herr«, flüsterte er.»Herr… sie ist wunderbar… ich danke Euch… ich danke Euch…«

Er rutschte auf den Knien vor und küßte den Saum von Voldemorts Umhang.

»Auf daß du nie mehr wanken mögest in deiner Treue, Wurmschwanz«, sagte Voldemort.

»Nein, Herr… niemals, Herr…«

Wurmschwanz erhob sich und nahm seinen Platz in dem Kreis ein, den Blick unablässig auf seine kräftige neue Hand gerichtet, das Gesicht noch tränenverschmiert. Voldemort näherte sich jetzt dem Mann rechts neben Wurmschwanz.

»Lucius, mein aalglatter Freund«, flüsterte er und blieb vor ihm stehen.»Wie ich höre, hast du die alten Bräuche nicht aufgegeben, auch wenn du der Welt ein Achtung heischendes Gesicht zeigst. Du bist immer noch der Erste, wenn es darum geht, die Muggel ein wenig zu quälen? Doch hast du nie versucht, mich zu finden, Lucius… deine Großtaten bei der Quidditch-Weltmeisterschaft waren vergnüglich, zugestanden… doch hättest du deine Kräfte nicht besser darauf verwandt, deinen Herrn zu finden und ihm zu helfen?«

»Herr, ich war immer bereit«, drang Lucius Malfoys Stimme hastig unter der Kapuze hervor.»Hätte es irgendein Zeichen von Euch gegeben, irgendein Geflüster, wo Ihr seid, ich wäre sofort an Eurer Seite gewesen, nichts hätte mich aufhalten können -«

»Und doch flohst du vor meinem Dunklen Mal, als ein treuer Todesser es letzten Sommer gen Himmel schickte?«, sagte Voldemort träge, und Malfoy verstummte schlagartig.»Ja, ich weiß alles darüber, Lucius… du hast mich sehr enttäuscht… in Zukunft erwarte ich treuere Gefolgschaft.«

»Natürlich, Herr, natürlich… Ihr seid gnädig, ich danke Euch…«

Voldemort ging ein paar Schritte weiter, hielt dann inne und schaute auf den leeren Platz – breit genug für zwei -, der Malfoy und den nächsten Mann trennte.

»Die Lestranges sollten hier stehen«, sagte Voldemort leise.»Sie sind lebendig begraben in Askaban. Sie waren mir treu. Sie gingen lieber nach Askaban, als mir abzuschwören… wenn wir die Mauern von Askaban sprengen, werden wir die Lestranges ehren, wie sie es nie zu träumen wagten. Die Dementoren werden sich uns anschließen… wir werden die Riesen aus der Verbannung zurückrufen… ich werde all meine hingebungsvollen Diener wieder um mich scharen, und auch ein Heer von Kreaturen, das alle fürchten werden…«

Er schritt weiter. An einigen Todessern ging er schweigend vorbei, vor anderen blieb er stehen und sprach sie an.

»Macnair… wie mir Wurmschwanz mitteilt, vernichtest du jetzt gefährliche Biester im Dienst des Ministeriums? Du wirst bald bessere Opfer bekommen, Macnair. Lord Voldemort wird dafür sorgen…«

»Ich danke Euch, Herr… danke…«, murmelte Macnair.

»Und hier -«, Voldemort trat auf die beiden größten der vermummten Gestalten zu,»hier haben wir Crabbe… diesmal wirst du dich besser bewähren, nicht wahr, Crabbe? Auch du, Goyle?«

Beide verneigten sich linkisch und murmelten dumpfe Worte.

»Ja, Herr…«

»Das werden wir. Herr…«

»Dasselbe gilt für dich, Nott«, sagte Voldemort leise, als er an einer gedrungenen Gestalt in Goyles Schatten vorbeiging.

»Herr, ich werfe mich vor Euch in den Staub, ich bin Euer demütigster -«

»Das reicht«, sagte Voldemort.

Er kam zur größten Lücke zwischen den Gestalten und suchte sie mit seinen leeren roten Augen ab, als könne er dort jemanden stehen sehen.

»Und hier haben wir sechs fehlende Todesser… drei, getötet in meinen Diensten. Einer, zu feige, um zurückzukehren… er wird dafür bezahlen. Einer, von dem ich glaube, daß er mich für immer verlassen hat… dafür wird er natürlich sterben… und einer, der mein treuester Diener blieb und bereits jetzt wieder in meinem Dienst steht.«

Ein Rascheln lief durch den Kreis der Todesser; Harry sah, wie sie sich durch die Augenschlitze ihrer Masken verstohlene Blicke zuwarfen.

»Er ist in Hogwarts, dieser treue Diener, und seinen Mühen ist es zu verdanken, daß unser junger Freund heute Abend hier sein kann… Ja«, sagte Voldemort, und sein lippenloser Mund kräuselte sich zu einem Grinsen, während alle Augen des Kreises in Harrys Richtung blitzten.»Harry Potter war so freundlich, zu meiner Wiedergeburtsfeier zu kommen. Man könnte sogar so weit gehen und ihn als meinen Ehrengast bezeichnen.«

Alle schwiegen. Schließlich trat der Todesser rechts von Wurmschwanz ein paar Schritte vor und durch die Maske drang die Stimme von Lucius Malfoy.

»Herr, wir flehen Euch an… wir bitten Euch inständig… zu erklären, wie Ihr dieses… dieses Wunder vollbracht habt… wie Ihr es geschafft habt, zu uns zurückzukehren…«

»Aah, welch eine Geschichte, Lucius«, sagte Voldemort.»Und sie beginnt – und endet – mit unserem Freund hier.«

Er kam mit lässigen Schritten auf Harry zu und trat an seine Seite, und aller Augen im Rund richteten sich auf sie. Die Schlange zog weiter ihren Kreis.

»Ihr wißt natürlich, daß sie diesen Jungen als mein Schicksal bezeichnet haben?«, sagte Voldemort leise, die roten Augen auf Harry gerichtet, dessen Narbe so rasend zu brennen begann, daß er vor Qual fast geschrien hätte.

»Ihr alle wißt, daß ich in der Nacht, da ich meine Macht und meinen Körper verlor, versucht hatte, ihn zu töten. Seine Mutter starb, weil sie ihn retten wollte – und schützte ihn damit unwissentlich auf eine Weise, die ich, zugegeben, nicht vorausgesehen hatte… ich konnte den Jungen nicht berühren…«

Voldemort hob einen seiner langen weißen Finger und führte ihn ganz nahe an Harrys Wange heran.»Seine Mutter hat die Spuren ihres Opfers auf ihm hinterlassen… das ist uralte Magie, ich hätte es wissen sollen, wie dumm von mir, dies zu übersehen… doch nun ist es gleich. Ich kann ihn jetzt berühren.«

Harry spürte, wie ihn die Spitze des langen weißen Fingers berührte, und dachte, sein Kopf müsse bersten vor Schmerz.

Voldemort lachte ihm leise ins Ohr, dann nahm er den Finger weg und fuhr an die Todesser gewandt fort:»Ich hatte mich verschätzt, meine Freunde, zugegeben. Das törichte Opfer dieser Frau hat meinen Fluch abprallen lassen und er ist auf mich zurückgefallen. Aaah… Schmerz, unvorstellbarer Schmerz, meine Freunde; nichts hätte mich dagegen wappnen können. Ich wurde aus meinem Körper gerissen, ich war weniger als ein Geist, weniger als das kläglichste Gespenst… und doch, ich lebte. Was ich war – nicht einmal ich selbst weiß es… Ich, der ich weiter als alle anderen gegangen bin auf dem Weg, der zur Unsterblichkeit führt. Ihr kennt mein Ziel – den Tod zu besiegen. Und nun wurde ich geprüft, und es schien, als wäre das eine oder andere meiner Experimente gelungen… denn ich war nicht getötet worden, obwohl der Fluch dies hätte bewirken müssen. Dennoch war ich so kraftlos wie die schwächste lebende Kreatur und der Mittel beraubt, mir selbst zu helfen… denn ich hatte keinen Körper, und jeder Zauber, der mir hätte helfen können, verlangte einen Zauberstab…

Ich weiß nur noch, daß ich mich schlaflos, endlos, Sekunde um Sekunde dazu zwang, nur zu existieren… ich ließ mich in einem fernen Land nieder, in einem Wald, und ich wartete… gewiß würde einer meiner getreuen Todesser auf die Suche nach mir gehen… einer würde kommen und den Zauber über mich sprechen, den ich nicht sprechen konnte, und mir meinen Körper zurückgeben… doch ich wartete vergeblich…«

Erneut lief ein Schauder durch den Kreis der lauschenden Todesser.

Voldemort wartete, bis die Stille eine fürchterliche Spannung angenommen hatte, dann fuhr er fort:»Nur ein Vermögen war mir geblieben. Ich konnte mich der Körper anderer bemächtigen. Doch ich wagte es nicht, dort hinzugehen, wo sich viele Menschen aufhielten, denn ich wußte, daß die Auroren immer noch in fremde Länder ausschwärmten und mich suchten. Manchmal bewohnte ich Tiere – Schlangen mochte ich natürlich besonders -, doch erging es mir in ihnen kaum besser denn als bloßer Geist, da ihre Körper nicht dazu geeignet waren, Zauber auszuführen… und daß ich von ihnen Besitz ergriffen hatte, verkürzte ihr Leben; keines davon lebte lang…

Dann… vor vier Jahren… schien meine Rückkehr greifbar nahe zu sein. Ein Zauberer – jung, töricht und leichtgläubig – lief mir in dem Wald, in dem ich hauste, über den Weg. Oh, er schien genau die Chance zu bieten, von der ich geträumt hatte… denn er war ein Lehrer an Dumbledores Schule… es war ein Leichtes, ihn meinem Willen zu unterwerfen… er brachte mich zurück in dieses Land, und nach einiger Zeit nahm ich von seinem Körper Besitz, um ihn streng zu überwachen, wenn er meine Befehle ausführte. Doch mein Plan scheiterte. Es gelang mir nicht, den Stein der Weisen zu stehlen. Ich sollte mir nicht das ewige Lebensichern können. Mein Vorhaben wurde durchkreuzt… abermals durchkreuzt von Harry Potter…«

Wieder trat Stille ein; nichts regte sich, nicht einmal die Blätter der Eibe. Die Todesser standen vollkommen reglos da, die glitzernden Augen unter ihren Masken wie gebannt auf Voldemort und Harry gerichtet.

»Der Diener starb, als ich seinen Körper verließ, und ich blieb so schwach wie zuvor«, fuhr Voldemort fort.»Ich kehrte in mein fernes Versteck zurück, und ich will euch nicht verhehlen, daß ich damals fürchtete, meine Kräfte für immer verloren zu haben… ja, dies war meine dunkelste Stunde… ich konnte nicht hoffen, daß mir jemals wieder ein Zauberer begegnen würde, von dem ich Besitz ergreifen konnte… und ich hatte nun die Hoffnung aufgegeben, daß irgendeiner der Todesser sich darum kümmerte, was aus mir geworden war…«

Einige der maskierten Zauberer regten sich voll Unbehagen, doch Voldemort achtete nicht auf sie.

»Und dann, es ist noch kein Jahr her, als ich die Hoffnung fast aufgegeben hatte, geschah es endlich… ein Diener kehrte zu mir zurück: Wurmschwanz hier, der seinen eigenen Tod vorgetäuscht hatte, um einer Strafe zu entgehen, wurde aus seinem Versteck getrieben von jenen, die er einst zu seinen Freunden gezählt hatte, und er beschloß zu seinem Herrn zurückzukehren. Er suchte mich in dem Land, wo ich mich, wie das Gerücht schon lange ging, versteckt hatte… wobei ihm natürlich die Ratten, die er unterwegs traf, tatkräftig halfen. Wurmschwanz hat eine seltsame Neigung zu Ratten, nicht wahr, Wurmschwanz? Seine schmutzigen kleinen Freunde erzählten ihm, es gebe einen Ort, tief in einem Wald Albaniens, den sie mieden, wo kleine Tiere wie sie selbst den Tod gefunden hatten durch einen dunklen Schatten, der von ihnen Besitz ergriff…

Doch seine Reise zu mir verlief nicht so glatt, oder, Wurmschwanz? Denn eines Nachts, am Rande des Waldes, in dem er hoffte mich zu finden, betrat er, Dummkopf, der er war, mit knurrendem Magen ein Gasthaus, um etwas zu essen… und dort traf er ausgerechnet Bertha Jorkins, eine Hexe aus dem Zaubereiministerium!

Nun seht, wie das Schicksal Lord Voldemort begünstigt. Dies hätte durchaus das Ende von Wurmschwanz bedeuten können und meiner letzten Hoffnung, wieder zu erstarken. Doch Wurmschwanz – und hier bewies er eine Geistesgegenwart, die ich ihm nie zugetraut hätte – überredete Bertha Jorkins, ihn auf einem nächtlichen Spazier gang zu begleiten. Er überwältigte sie… er brachte sie zu mir. Und Bertha Jorkins, die alles hätte ruinieren können, erwies sich vielmehr als ein Geschenk, das ich mir nie erträumt hätte… denn sie wurde für mich – mit ein klein wenig Nachhilfe – eine wahre Goldgrube an nützlichem Wissen.

Sie sagte mir, daß in diesem Jahr das Trimagische Turnier in Hogwarts stattfinden solle. Sie kenne einen treuen Todesser, der bereit wäre, mir zu helfen, wenn ich nur Verbindung mit ihm aufnehmen könnte. Sie erzählte mir vieles… doch die Mittel, die ich gebrauchte, um den Gedächtnis-'zauber, dem sie unterlag, zu brechen, waren sehr drastisch, und als ich ihr alle nützlichen Informationen abgepreßt hatte, waren ihr Körper und ihr Geist unrettbar beschädigt. Sie hatte nun ihren Zweck erfüllt. Ich konnte nicht von ihr Besitz ergreifen. Ich beseitigte sie.«

Voldemort lächelte sein schreckliches Lächeln, die Augen rot und mitleidlos.

»Wurmschwanz' Körper war natürlich ebenfalls nicht geeignet, in Besitz genommen zu werden, da alle ihn für tot hielten und er zu viel Aufmerksamkeit erregen würde, wenn man ihn sähe. Jedoch war er der körperlich gesunde Diener, den ich brauchte, und obzwar ein schlechter Zauberer, doch in der Lage, meine Anweisungen auszuführen, die mir einen elementaren, ganz schwachen eigenen Körper verschaffen sollten, einen Körper, den ich bewohnen konnte, während ich auf die entscheidenden Zutaten für meine wahre Wiedergeburt wartete… ein oder zwei Zauber, die ich selbst erfunden habe… ein wenig Hilfe von meiner lieben Nagini«- Voldemorts rote Augen senkten sich auf die sich ständig im Kreis windende Schlange -»ein Elixier, gebraut aus Einhornblut und dem Schlangengift, das Nagini mir gab… bald gewann ich eine fast menschliche Gestalt zurück und war kräftig genug, um zu reisen.

Ich konnte nicht mehr hoffen, des Steins der Weisen habhaft zu werden, denn ich wußte, daß Dumbledore dafür gesorgt hatte, daß er zerstört wurde. Doch mir sollte zunächst einmal das sterbliche Leben genügen, bevor ich mich auf die Jagd nach dem unsterblichen begab. Ich wollte mich beschränken… ich wollte mich mit meinem alten Körper abfinden, und meiner alten Kraft.

Damit dies gelingen würde – dieses alte Kunststück schwarzer Magie, dies Elixier, das mich heute wieder belebt hat -, brauchte ich drei machtvolle Zutaten. Nun, eine davon war bereits zur Hand, nicht wahr, Wurmschwanz? Fleisch, dargeboten von einem Diener…

Knochen von meinem Vater bedeutete natürlich, daß wir hierher kommen mußten, wo er begraben war. Doch das Blut eines Feindes… Wurmschwanz wollte, daß ich irgendeinen Zauberer nehme, nicht wahr, Wurmschwanz? Irgendeinen Zauberer, der mich haßte… wie es noch immer so viele tun. Doch ich kannte jenen, den ich brauchte, wenn ich wieder aufsteigen wollte, mächtiger werden wollte als vor meinem Sturz. Ich wollte Harry Potters Blut. Ich wollte das Blut dessen, der mich vor vierzehn Jahren meiner Macht beraubt hatte, denn dann würde jener dauerhafte Schutz, den ihm seine Mutter geschenkt hatte, auch in meinen Adern fließen…

Doch wie an Harry Potter herankommen? Denn er war besser geschützt, als er selbst wohl wußte, geschützt auf vielerlei Weise, wie es Dumbledore vor langer Zeit schon geplant hatte, als ihm die Pflicht zufiel, für die Zukunft des Jungen zu sorgen. Dumbledore rief einen alten Zauber auf, um den Jungen zu schützen, solange er in der Obhut seiner Verwandten ist. Nicht einmal ich kann ihm dort etwas anhaben… dann, natürlich, gab es die Quidditch-Weltmeisterschaft… ich glaubte, sein Schutz wäre dort, fern von seinen Verwandten und Dumbledore, schwächer, doch ich war noch nicht stark genug, um eine Entführung aus der Mitte einer Horde von Ministeriumszauberern wagen zu können. Und danach würde der Junge nach Hogwarts zurückkehren, wo er sich von morgens bis nachts unter der krummen Nase dieses Muggel liebenden Narren befindet. Wie also konnte es mir gelingen?

Nun… natürlich indem ich nutzte, was Bertha Jorkins mir gesagt hatte. Ich mußte meinen getreuen Todesser, postiert in Hogwarts, in Dienst nehmen und dafür sorgen, daß der Name des Jungen in den Feuerkelch geworfen wurde. Mein Todesser mußte gewährleisten, daß der Junge das Turnier gewann – daß er als Erster den Trimagischen Pokal berührte – den Pokal, den mein Todesser in einen Portschlüssel verwandelt hatte. Der Portschlüssel würde ihn hierher bringen, wo Dumbledore ihm nicht mehr helfen, wo er ihn nicht mehr schützen könnte, hierher in meine wartenden Arme. Und hier ist er…«

Voldemort trat langsam vor und wandte das Gesicht Harry zu. Er hob den Zauberstab.»Crucio!«

Es war ein Schmerz, der alles übertraf, was Harry je erlitten hatte; seine Knochen standen buchstäblich in Flammen; sein Kopf, fürchtete er, würde jeden Moment entlang der Narbe aufplatzen; die Augen überschlugen sich in seinem Kopf, er wollte, daß es aufhörte… ohnmächtig werden… sterben…

Und dann war es vorbei. Er hing matt in den Seilen, die ihn an den Grabstein von Voldemorts Vater fesselten, und sah durch eine Art Nebel hoch in jene hellroten Augen. Das Gelächter der Todesser dröhnte durch die Nacht.

»Ihr seht, denke ich, wie töricht es war zu glauben, daß dieser Junge jemals stärker sein könnte als ich«, sagte Voldemort.»Doch ich möchte nicht, daß sich ein Irrtum in euren Köpfen festsetzt. Harry Potter entkam mir durch eine für ihn glückliche Fügung. Und ich werde nun meine Macht beweisen, indem ich ihn töte, hier und jetzt, vor euch allen, nun, da kein Dumbledore da ist, um ihm zu helfen, und keine Mutter, um für ihn zu sterben. Ich werde ihm seine Chance geben. Ich werde ihm erlauben zu kämpfen, und ihr werdet später keinen Zweifel haben, wer von uns der Stärkere war. Nur noch ein wenig Geduld, Nagini«, flüsterte er, und die Schlange glitt durchs Gras davon, hinüber zum Kreis der wartenden Todesser.

»Nun löse seine Fesseln, Wurmschwanz, und gib ihm seinen Zauberstab zurück.«

Priori Incantatem

Wurmschwanz kam auf Harry zu, der sich hastig mühte, auf die Beine zu kommen, bevor die Fesseln fielen. Wurmschwanz hob seine neue silberne Hand, zog den Knebel aus Harrys Mund und schnitt dann mit einem Hieb des Zauberstabs die Seile entzwei, die Harry an den Grabstein fesselten.

Den Bruchteil einer Sekunde lang mochte Harry überlegt haben, ob er nicht einfach losrennen sollte, doch nun, da er wieder auf dem überwucherten Grab stand, zitterte sein verletztes Bein unter der Last seines Körpers, und die Todesser rückten zusammen und zogen ihren Kreis um ihn und Voldemort enger, sie schlössen auch die Lücken, die sie vorhin noch offen gelassen hatten. Wurmschwanz verließ den Kreis und ging hinüber zu der Stelle, wo der tote Cedric lag; er kehrte mit Harrys Zauberstab zurück und drückte ihn Harry ohne aufzublicken in die Hand. Dann nahm er seinen Platz im Kreis der lauernden Todesser ein.

»Man hat dir das Duellieren beigebracht, Harry Potter?«, sagte Voldemort leise, und seine Augen schimmerten rot in der Dunkelheit.

Bei diesen Worten erinnerte sich Harry, als wäre es in einem früheren Leben gewesen, an den Duellierklub in Hogwarts, den er vor zwei Jahren für kurze Zeit besucht hatte… alles, was er dort gelernt hatte, war der Entwaffnungszauber, Expelliarmus… und selbst wenn es ihm gelingen sollte, Voldemort den Zauberstab zu entreißen, was würde es ihm nützen, wo er doch von Todessern umringt und dreißigfach unterlegen war? Nie hatte er etwas gelernt, das ihm in einer solchen Lage helfen konnte. Er wußte, daß ihm genau das bevorstand, wovor ihn Moody immer gewarnt hatte… der unabwehrbare Fluch Avada Kedavra – und Voldemort hatte Recht – diesmal war seine Mutter nicht da, um für ihn sterben zu können… er war völlig schutzlos…

»Wir verneigen uns voreinander, Harry«, sagte Voldemort und neigte sich leicht vor, das Schlangengesicht jedoch aufgerichtet und Harry zugewandt.»Komm, die Gepflogenheiten müssen beachtet werden… Dumbledore würde sicher wollen, daß du Manieren zeigst… verneige dich vor dem Tod, Harry…«

Die Todesser lachten. Voldemorts lippenloser Mund lächelte. Harry verneigte sich nicht. Er würde nicht zum Spielball Voldemorts werden, bevor Voldemort ihn tötete… diese Genugtuung wollte er ihm nicht verschaffen…

»Ich sagte, verneige dich«, sagte Voldemort und hob den Zauberstab – und Harry spürte, wie sich sein Rückgrat krümmte, als ob eine riesige unsichtbare Hand ihn gnadenlos zur Erde drückte, und jetzt lachten die Todesser noch lauter.

»Sehr gut«, flüsterte Voldemort und senkte den Zauberstab; der Druck auf Harrys Rücken ließ nach.»Jetzt tritt mir entgegen wie ein Mann… aufrecht und stolz, so wie dein Vater starb…

Und nun – duellieren wir uns.«

Voldemort hob den Zauberstab, und bevor Harry etwas tun konnte, um sich zu verteidigen, bevor er sich auch nur rühren konnte, hatte ihn der Cruciatus-Fluch erneut niedergeworfen. Der Schmerz war so stark, so allumfassend, daß er vergaß, wo er war… weiß glühende Messer durchbohrten jeden Zentimeter seiner Haut, sein Kopf würde vor Schmerz gleich platzen; er schrie lauter, als er je im Leben geschrien hatte -

Und dann hörte es auf. Harry drehte sich zur Seite und rappelte sich auf; es schüttelte ihn so heftig wie Wurmschwanz, als er sich die Hand abgeschnitten hatte; er stolperte zur Seite, hinein in die Mauer der lauernden Todesser, und sie stießen ihn weg, zurück zu Voldemort.

»Eine kleine Pause«, sagte Voldemort, und seine schlitzartigen Nüstern weiteten sich vor Erregung,»eine kleine Pause… das tat weh, nicht, Harry? Du willst nicht, daß ich das noch mal tue, oder?«

Harry antwortete nicht. Er würde sterben wie Cedric, diese erbarmungslosen roten Augen sagten es ihm… er würde sterben, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte… doch er würde nicht mitspielen. Er würde Voldemort nicht gehorchen… er würde nicht um sein Leben betteln…

»Ich hab dich gefragt, ob ich das noch einmal tun soll«, sagte Voldemort leise.»Antworte mir! Imperio!«

Und Harry hatte zum dritten Mal in seinem Leben das Gefühl, alle Gedanken würden aus seinem Kopf gefegt… ah, es war eine Wonne, nicht mehr denken zu müssen, es war, als ob er schwebte, träumte…»antworte einfach ›nein ‹… sag doch ›nein ‹, sag einfach ›nein ‹…«

»Ich will nicht«, sagte eine stärkere Stimme in seinem Hinterkopf,»ich werde nicht antworten…«

»Sag einfach ›nein ‹…«

»Ich will es nicht, ich will es nicht sagen…«

»Sag einfach ›nein ‹,…«

»DAS WERDE ICH NICHT!«

Und diese Worte platzten aus Harrys Mund; sie hallten auf dem Friedhof wider, und er wurde aus seinem Traum gerissen, als hätte ihn jemand mit kaltem Wasser bespritzt – zurück strömten die Schmerzen, die der Cruciatus-Fluch auf seinem ganzen Körper hinterlassen hatte – zurück strömte das Wissen, wo er war und wem er gegenüberstand…

»Du willst nicht?«, sagte Voldemort leise, und die Todesser lachten diesmal nicht.»Du willst nicht ›nein‹ sagen? Harry, Gehorsam ist eine Tugend, die ich dir beibringen muß, bevor du stirbst… wie war's mit einer weiteren kleinen Kostprobe Schmerz?«

Voldemort hob den Zauberstab, aber diesmal war Harry bereit; reflexartig, wie er es sich beim Quidditch antrainiert hatte, warf er sich seitlich zu Boden und rollte hinter den Grabstein von Voldemorts Vater; im selben Augenblick krachte der Fluch gegen den Grabstein.

»Wir spielen hier nicht Verstecken, Harry«, sagte Voldemort leise, und die kalte Stimme näherte sich, während die Todesser erneut auflachten.»Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Heißt das, du bist des Duellierens müde? Heißt das, du ziehst es vor, daß ich es auf der Stelle beende? Komm vor, Harry… komm vor und spiel mit… es wird schnell gehen… vielleicht sogar schmerzlos… ich kann es nicht wissen… ich bin nie gestorben…«

Harry kauerte hinter dem Grabstein und wußte, daß das Ende gekommen war. Alle Hoffnung war verloren… niemand würde ihm helfen können. Und während er lauschte, wie Voldemort immer näher kam, war er sich, weit jenseits von Angst oder Vernunft, in einem sicher – er wollte hier nicht sterben wie ein Kind, das Versteck spielte; er wollte nicht zu Voldemorts Füßen kniend sterben… er würde aufrecht sterben wie sein Vater, und er würde im Sterben versuchen, sich zu verteidigen, selbst wenn es aussichtslos war…

Noch bevor Voldemort mit seinem Schlangengesicht um den Grabstein schauen konnte, war Harry aufgestanden… er packte mit fester Hand seinen Zauberstab, hielt ihn vor sich und warf sich vor den Grabstein, Voldemort entgegen.

Voldemort war bereit. Harry rief:»Expelliarmus!«, Voldemort schrie:»Avada Kedavra!«

Ein grüner Lichtblitz schoß aus Voldemorts Zauberstab, und im selben Augenblick knallte ein roter Lichtblitz aus Harrys Zauberstab – sie trafen sich in der Luft – und plötzlich begann Harrys Zauberstab zu vibrieren, als stünde er unter elektrischer Spannung; seine Hand hatte sich eisern um den Stab geklammert; er hätte nicht loslassen können, auch wenn er gewollt hätte – und jetzt verband ein dünner Lichtstrahl die beiden Zauberstäbe, weder rot noch grün, sondern hell und sattgolden -, und Harry, der dem Strahl mit verblüfftem Blick folgte, sah, daß auch Voldemorts lange bleiche Finger einen zitternden und bebenden Zauberstab umklammerten.

Und dann geschah etwas, auf das ihn nichts hätte vorbereiten können: Harry spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Etwas hob ihn in die Luft, und Voldemort genauso, während ihre Zauberstäbe durch den schimmernden Faden aus goldenem Licht verbunden blieben. Sie schwebten weg von dem Grabstein und sanken dann wieder zu Boden, auf ein gräberloses, ebenes Stück Erde… Die Todesser riefen und schrien durcheinander und flehten Voldemort an, ihnen Befehle zu erteilen; jetzt kamen sie zu ihnen, die Schlange glitt ihnen nach, und sie bildeten erneut einen Kreis um Harry und Voldemort, und einige zückten den Zauberstab -

Der goldene Faden, der Harry und Voldemort verband, faserte sich jetzt auf: Zwar blieben die Zauberstäbe verbunden, doch tausend neue Lichtfäden entstanden und wölbten sich über Harry und Voldemort, schossen kreuz und quer über sie, bis sie unter einem goldenen, kuppelförmigen Netz eingeschlossen waren, einem Käfig aus Licht, jenseits dessen die Todesser, deren Schreie nun merkwürdig erstickt klangen, wie Schakale im Kreis herumhuschten…

»Tut nichts!«, kreischte Voldemort den Todessern zu, und Harry sah, wie sich seine roten Augen beim Anblick dessen, was um ihn her geschah, verblüfft weiteten, sah, wie er sich mühte, den Lichtfaden zu zerreißen, der immer noch seinen und Harrys Zauberstab verband; Harry packte den Zauberstab noch fester, umklammerte ihn nun mit beiden Händen, und der goldene Faden blieb unversehrt.»Tut nichts ohne meinen Befehl!«, schrie Voldemort den Todessern zu.

Und dann erfüllte ein überirdisch schöner Klang die Luft… er drang aus jedem Faden des Lichtgewebes über ihnen und ließ die Luft um Harry und Voldemort erzittern. Es war ein Klang, den Harry wieder erkannte, obwohl er ihn erst einmal im Leben gehört hatte… es war der Gesang des Phönix…

Für Harry war er die reine Hoffnung… das Schönste, das Willkommenste, das er je gehört hatte… er hatte das Gefühl, der Gesang sei nicht nur um ihn her, sondern in ihm… es war der Klang, den er mit Dumbledore verband, und es war fast, als würde ein Freund ihm ins Ohr sprechen…

»Löse die Verbindung nicht.«

Ich weiß, antwortete Harry der Musik, ich weiß, ich darf es nicht geschehen lassen… doch kaum hatte er es gedacht, wurde es viel schwerer, sein Zauberstab zitterte viel stärker als zuvor… und nun veränderte sich der Strahl zwischen ihm und Voldemort… es war, als ob große Lichtperlen an dem Faden zwischen den beiden Zauberstäben entlangglitten – Harry spürte den Zauberstab in seiner Hand erneut heftig zittern, während die Lichtperlen langsam und stetig auf ihn zuglitten… die Kraft des Lichtstrahls war nun gegen ihn gerichtet und ging von Voldemort aus, und Harry spürte, wie sein Zauberstab zornig bebte…

Die vordere Lichtperle kam der Spitze seines Zauberstabs immer näher, das Holz zwischen seinen Fingern wurde so heiß, daß er fürchtete, es würde entflammen. Je näher die Lichtperle kam, desto heftiger bebte Harrys Zauberstab; gewiß würde der Zauberstab die Berührung mit der Perle nicht überstehen; er fühlte sich an, als würde er im nächsten Moment zwischen seinen Fingern zerbersten -

Mit jeder Faser seines Gehirns konzentrierte er sich darauf, die Perle zu Voldemort zurückzudrängen, die Ohren erfüllt vom Gesang des Phönix, die Augen lodernd, gebannt auf die Perle blickend… und langsam, ganz langsam, kamen die Perlen zitternd zum Stillstand, und dann, ebenso langsam, begannen sie in die andere Richtung zu gleiten… und es war Voldemorts Zauberstab, der nun gefährlich zitterte… und es war Voldemort, dem das Erstaunen, ja, die Angst in den Augen stand…

Eine der Lichtperlen zitterte jetzt nur Zentimeter vor Voldemorts Zauberstab. Harry wußte nicht, warum er es tat, wußte nicht, was er damit erreichen könnte… doch er dachte mit allerletzter Kraft nur noch daran, daß er diese Lichtperle zurückzwingen mußte, hinein in Voldemorts Zauberstab… und langsam… sehr langsam… schwebte sie an dem goldenen Faden entlang… erbebte einen Moment lang… und dann berührte sie Voldemorts Zauberstab…

Im selben Augenblick drangen laut hallende Schmerzensschreie daraus hervor… und dann – Voldemorts rote Augen weiteten sich vor Schreck – flog eine Hand aus dickem Rauch aus der Spitze heraus und verschwand – der Geist der Hand, die er für Wurmschwanz erschaffen hatte… wieder Schmerzensschreie… und dann erblühte etwas viel Größeres aus der Spitze von Voldemorts Zauberstab, ein großes, graues Etwas, das aussah, als wäre es aus greifbar dickem Rauch… es war ein Kopf… nun eine Brust und Arme… der Oberkörper von Cedric.

Dieses eine Mal hätte Harry vor Schreck fast seinen Zauberstab losgelassen, doch instinktiv umklammerte er ihn weiter, und der goldene Lichtfaden blieb erhalten, während nun der rauchgraue Geist von Cedric Diggory (war es denn ein Geist? Er wirkte greifbar fest) zur Gänze aus Voldemorts Zauberstab drang, als ob er sich aus einem sehr engen Tunnel herauszwängte… und der Schatten von Cedric richtete sich auf, sah an dem goldenen Lichtfaden entlang und sprach:

»Halte aus, Harry.«

Seine Stimme hallte von fern her. Harry sah zu Voldemort… dessen rote Augen vor Schreck immer noch geweitet waren… was hier geschah, hatte er genauso wenig erwartet wie Harry… und nun hörte Harry, stark gedämpft, die angsterfüllten Rufe der Todesser, die lauernd um den Rand des goldenen Käfigs schlichen…

Wieder drangen Schmerzensschreie aus dem Zauberstab… und dann quoll erneut etwas aus der Spitze hervor… der dichte Schatten eines zweiten Kopfes, rasch gefolgt von Armen und Oberkörper… ein alter Mann, den Harry einmal im Traum gesehen hatte, stieß sich jetzt heraus, genau wie Cedric es getan hatte… und sein Geist oder sein Schatten, oder was immer es war, fiel neben den Cedrics, erhob sich und musterte auf seinen Gehstock gestützt Harry und Voldemort und das goldene Netz und die verbundenen Zauberstäbe…

»Er ist also ein echter Zauberer?«, sagte der alte Mann, die Augen auf Voldemort gerichtet.»Hat mich getötet, der hier… kämpfe gegen ihn, Junge…«

Doch schon tauchte ein weiterer Kopf auf… und dieser Kopf, grau wie eine Plastik aus Rauch, war der einer Frau… Harry, dem jetzt beide Arme zitterten vor Anstrengung, den Zauberstab ruhig zu halten, sah, wie sie den anderen gleich zu Boden fiel, sich aufrichtete und umherblickte…

Der Schatten Bertha Jorkins' bestaunte mit großen Augen den Kampf, der sich vor ihr abspielte.

»Laß jetzt bloß nicht los!«, schrie sie, und auch ihre Stimme hallte, wie die Cedrics, wie von fern her.»Er darf dich nicht kriegen, Harry – laß nicht los!«

Sie und die anderen beiden schattenhaften Gestalten begannen an der Innenwand des goldenen Netzes entlangzuschreiten, während die Todesser auf der anderen Seite umherhuschten… und Voldemorts tote Opfer flüsterten, während sie die Duellanten umkreisten, flüsterten ermutigende Worte für Harry und zischten Voldemort Worte zu, die Harry nicht verstand.

Und wieder erschien ein Kopf an der Spitze von Voldemorts Zauberstab… und Harry wußte auf den ersten Blick, wer es sein würde… er wußte es, als hätte er es von dem Moment an erwartet, als Cedric dort erschienen war… er wußte es, denn der Mensch, der jetzt erschien, war der, an den er an diesem Abend öfter als an jeden anderen gedacht hatte…

Der rauchige Schatten eines großen Mannes mit zerzaustem Haar fiel zu Boden, wie vor ihm Bertha, richtete sich auf und sah Harry an… und Harry, dessen Arme jetzt unbändig zitterten, erwiderte den Blick und sah in das geisterhafte Gesicht seines Vaters.

»Deine Mutter kommt…«, sagte er leise.»Sie will dich sehen… es wird gut gehen… halt durch…«

Und sie kam… erst ihr Kopf, dann ihr Körper… eine junge Frau mit langem Haar, die rauchig schattenhafte Gestalt Lily Potters, erblühte aus der Spitze von Voldemorts Zauberstab, fiel zu Boden und erhob sich. Sie ging auf Harry zu, sah auf ihn hinab und sprach mit derselben fernen, hallenden Stimme wie die anderen, doch leise, so daß Voldemort es nicht hören konnte, dessen Gesicht nun, da seine Opfer um ihn herumstreiften, vor Angst wild zuckte…

»Wenn die Verbindung abbricht, werden wir nur noch wenige Augenblicke bleiben können… doch wir werden dir Zeit verschaffen… du mußt den Portschlüssel erreichen, er wird dich nach Hogwarts zurückbringen… verstehst du mich, Harry?«

»Ja«, keuchte Harry, er mühte sich verzweifelt, den Zauberstab festzuhalten, der ihm jetzt durch die Finger rutschte und zu entgleiten drohte.

»Harry…«, flüsterte die Gestalt Cedrics,»bitte nimm meinen toten Körper mit zurück. Bring meine Leiche zurück zu meinen Eltern…«

»Das werde ich«, sagte Harry, und sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung, den Zauberstab zu halten.

»Tu es jetzt«, flüsterte die Stimme seines Vaters.»Mach dich bereit… tu es jetzt…«

»JETZT!«, schrie Harry; ich hätte ohnehin keine Sekunde länger durchhalten können, dachte er – und mit allerletzter Kraft zog er seinen Zauberstab in die Höhe und der goldene Faden riß; der Lichtkäfig löste sich auf, der Gesang des Phönix erstarb – doch die schattenhaften Gestalten der Opfer Voldemorts verschwanden nicht – sie gingen im Kreis auf Voldemort zu und schirmten Harry vor seinem Blick ab -

Und Harry rannte, wie er nie in seinem Leben gerannt war, warf zwei vor Schreck erstarrte Todesser um, lief im Zickzack zwischen den Gräbern hindurch, spürte schon, wie ihre Flüche ihm nachjagten, hörte, wie sie gegen Grabsteine prallten – er wich Flüchen und Gräbern aus, stürzte auf Cedrics Körper zu, den Schmerz in seinem Bein nicht mehr spürend, sein ganzes Sein auf das konzentriert, was er tun mußte -

»Schockt ihn!«, hörte er Voldemort schreien.

Noch drei Meter von Cedric entfernt tauchte Harry hinter einem Marmorengel ab, um den Blitzen aus rotem Licht zu entgehen, und sah, wie die Spitze des marmornen Flügels unter dem Aufprall der Flüche absplitterte. Er packte seinen Zauberstab noch fester und hechtete hinter dem Engel hervor -»Impedimenta!«, brüllte er und fuchtelte mit dem Zauberstab über die Schulter, den ihm folgenden Todessern entgegen.

Er hörte einen erstickten Schrei und glaubte, wenigstens einen von ihnen erwischt zu haben, doch er hatte keine Zeit, sich umzudrehen und nachzusehen; er sprang über den Pokal, hörte es hinter sich erneut prasseln und knallen und zog den Kopf ein; wieder flogen Lichtblitze über ihn hinweg, er ließ sich fallen, streckte die Hand aus und packte Cedrics Arm -

»Beiseite! Ich werde ihn töten! Er gehört mir!«, kreischte Voldemort.

Harrys Hand umschloß Cedrics Oberarm; ein Grabstein stand zwischen ihm und Voldemort, doch mit sich tragen konnte er Cedric nicht, und der Pokal war außer Reichweite -

Voldemorts rote Augen flammten in der Dunkelheit auf. Harry sah, wie sich sein Mund zu einem Grinsen verzerrte, sah, wie er den Zauberstab hob.

»Accio!«, rief Harry und deutete auf den Trimagischen Pokal.

Der Pokal flog hoch in die Luft und sirrte auf ihn zu – Harry packte ihn am Henkel -

Er hörte Voldemorts Wutschrei im selben Moment, da er das Reißen hinter seinem Nabel spürte, und er wußte, daß der Portschlüssel seine Arbeit tat – er flog mit ihm davon in einen Strudel aus Wind und Farben, und Cedric war bei ihm… sie kehrten zurück…

Veritaserum

Harry schlug bäuchlings auf, sein Gesicht drückte sich in die Erde; Grasgeruch stieg ihm in die Nase. Er hatte die Augen geschlossen gehalten, während der Portschlüssel ihn getragen hatte, und tat es auch weiterhin. Er rührte sich nicht. Alle Luft schien aus ihm herausgepreßt zu sein; der Kopf schwirrte ihm so heftig, als schwankte die Erde unter ihm wie das Deck eines Schiffes. Um den Schwindel zu lindern, umklammerte er das, was er in Händen hielt, noch fester – den glatten, kalten Henkel des Trimagischen Pokals und Cedrics leblosen Arm. Wenn er sie loslassen würde, so fürchtete er, würde er sofort wieder in die Dunkelheit hinabsinken, die vom Rand seines Bewußtseins her auf ihn zukroch. Schock und Erschöpfung hielten ihn am Boden, er atmete den Geruch des Grases ein und wartete… wartete darauf, daß jemand etwas unternahm… daß etwas geschah… und die ganze Zeit über spürte er noch dumpf die Narbe auf seiner Stirn brennen…

Eine Springflut aus ohrenbetäubendem Lärm verwirrte ihn, überall waren Stimmen, Fußgetrappel, Schreie… er blieb, wo er war, die Nase ins Gras gedrückt, als wäre dies ein Alptraum, der vorübergehen würde…

Ein Paar Hände packte ihn grob und drehte ihn um.

»Harry! Harry!«

Er öffnete die Augen.

Er sah den sternübersäten Himmel und Albus Dumbledore, der sich über ihn gebeugt hatte. Die dunklen Schatten einer vielköpfigen Menge schoben und drängten sich auf sie zu; Harry spürte im Nacken, wie die Erde unter ihrem Fußgetrappel erzitterte.

Er war am Rand des Irrgartens gelandet. Über sich sah er die Tribünen in die Höhe ragen, die menschlichen Gestalten, die sich auf ihnen bewegten, die Sterne am Himmel.

Harry ließ den Pokal los, doch Cedrics Arm klammerte er um so fester an sich. Er hob seine freie Hand und packte Dumbledore, dessen Gesicht vor seinen Augen immer wieder verschwamm, am Handgelenk.

»Er ist zurück«, flüsterte Harry.»Er ist zurück. Voldemort.«

»Was sagst du da? Was ist geschehen?«

Das Gesicht von Cornelius Fudge erschien verkehrt herum über Harry; es war weiß, starr vor Entsetzen.

»Mein Gott – Diggory!«, flüsterte er.»Dumbledore – er ist tot!«

Jemand wiederholte die Worte, die Schattengestalten, die auf sie zudrängten, keuchten sie den Umstehenden zu… und andere schließlich schrien – kreischten – die Worte in die Nacht hinaus -»Er ist tot! Er ist tot!«-»Cedric Diggory! Tot!«

»Laß ihn los, Harry«, hörte er Fudges Stimme sagen, und er spürte Finger, die versuchten, seine Hand von Cedrics leblosem Arm zu lösen, doch Harry umklammerte ihn nur noch fester.

Dumbledores Gesicht, noch immer verschwommen wie hinter einem Dunstschleier, kam jetzt näher.»Harry, du kannst ihm jetzt nicht mehr helfen. Es ist vorbei. Laß los.«

»Er wollte, daß ich ihn zurückbringe«, murmelte Harry – es schien ihm wichtig, dies zu erklären.»Er hat mich gebeten, ihn zu seinen Eltern zurückzubringen…«

»Das ist schon richtig, Harry… nun laß einfach los…«

Dumbledore bückte sich zu ihm hinunter, und mit einer für einen so alten und dünnen Mann erstaunlichen Kraft hob er Harry vom Boden und stellte ihn auf die Füße. Harry wankte. In seinem Kopf hämmerte es. Sein verletztes Bein wollte ihn nicht mehr tragen. Die Umstehenden rempelten sich an, drängten mit dunklen Mienen auf ihn zu -»Was ist passiert?«-»Was fehlt ihm?«

»Diggory ist tot!«

»Er muß in den Krankenflügel!«, verkündete Fudge laut.»Er ist krank, er ist verletzt – Dumbledore, Diggorys Eltern, sie sind hier, sie sind auf der Tribüne…«

»Ich nehme Harry mit, Dumbledore, ich nehm ihn schon -«

»Nein, es wäre besser -«

»Dumbledore, dort läuft Amos Diggory… er kommt hier rüber… meinen Sie nicht, Sie sollten es ihm sagen… bevor er ihn sieht -?«

»Harry, bleib hier -«

Mädchen schrien, schluchzten hysterisch… die Szenerie vor Harrys Augen begann merkwürdig zu flackern…

»Ist schon gut, Junge, ich bin bei dir… komm mit… Krankenflügel…«

»Nein, Dumbledore hat gesagt, ich soll bleiben«, nuschelte Harry, und in seiner Stirnnarbe hämmerte es so stark, daß er sich gleich übergeben würde; noch trüber wurde es ihm jetzt vor Augen.

»Du mußt dich hinlegen… komm jetzt mit…«

Eine Gestalt, größer und stärker als Harry, zog ihn halb, trug ihn halb durch die verängstigte Menge; Harry hörte die Leute keuchen, schreien und rufen, während der Mann, der ihn stützte, sich einen Weg durch das Gedränge bahnte und ihn hinüber zum Schloß führte, über den Rasen, vorbei am See und am Schiff der Durmstrangs; Harry hörte nichts als das schwere Atmen des Mannes, der ihm gehen half.

»Was ist passiert, Harry?«, fragte der Mann schließlich, während er Harry die Steintreppe hinauftrug. Klonk. Klonk. Klonk. Es war Mad-Eye Moody.

»Pokal war 'n Portschlüssel«, sagte Harry, als sie die Eingangshalle durchquerten.»Hat mich und Cedric auf einen Friedhof gebracht… und da war Voldemort… Lord Voldemort…«

Klonk. Klonk. Klonk. Die Marmortreppe hoch…

»Der dunkle Lord war da? Was ist dann passiert?«

»Cedric getötet… sie haben Cedric getötet…«

»Und dann?«

Klonk. Klonk. Klonk. Den Korridor entlang…

»Hat ein Elixier gebraut… hat seinen Körper wieder…«

»Der dunkle Lord hat seinen Körper wieder? Er ist zurückgekehrt?«

»Und die Todesser kamen… und dann haben wir uns duelliert…«

»Du hast dich mit dem dunklen Lord duelliert?«

»Bin davongekommen… mein Zauberstab… hat was Komisches gemacht… ich hab Mum und Dad gesehen… sie kamen aus dem Zauberstab…«

»Hier rein, Harry… hier rein, und dann setz dich… es geht dir gleich besser… trink das hier…«

Harry hörte einen Schlüssel in einem Schloß scharren und spürte, wie ihm eine Tasse in die Hände gedrückt wurde.

»Trink das… dann geht's dir besser… komm schon, Harry, ich muß ganz genau wissen, was passiert ist…«

Moody flößte ihm das Getränk ein; Harry hustete, etwas mit pfefferartigem Geschmack brannte ihm in der Kehle. Moodys Büro nahm nun klarere Umrisse an, und auch Moody selbst… er wirkte so weiß wie schon Fudge, und beide Augen waren starr und ohne Lidschlag auf Harry gerichtet.

»Voldemort ist zurückgekehrt, Harry? Bist du dir sicher? Wie hat er es geschafft?«

»Er hat etwas aus dem Grab seines Vaters genommen und etwas von Wurmschwanz – und von mir«, sagte Harry. Sein Kopf war jetzt klarer; seine Narbe schmerzte nicht mehr so stark; er konnte Moodys Gesicht deutlicher sehen, obwohl es im Büro dunkel war. Vom fernen Quidditch-Feld her hörte er immer noch Rufe und Schreie.

»Was hat der dunkle Lord von dir genommen?«, fragte Moody.

»Blut«, sagte Harry und hob den Arm. Wo Wurmschwanz' Dolch den Ärmel aufgeschlitzt hatte, war jetzt ein großer Riß.

Moody atmete mit lang anhaltendem, leisem Pfeifen aus.»Und die Todesser? Sind auch sie zurückgekehrt?«

»Ja«, sagte Harry.»Ungeheuer viele…«

»Wie hat er sie behandelt?«, fragte Moody leise.»Hat er ihnen verziehen?«

Doch jetzt fiel es Harry plötzlich wieder ein. Er hätte es Dumbledore sagen sollen, er hätte es ihm doch gleich sagen müssen -»In Hogwarts ist ein Todesser! Ein Todesser ist hier – er hat meinen Namen in den Feuerkelch getan, er hat dafür gesorgt, daß ich bis zum Schluß durchgehalten hab -«

Harry wollte aufstehen, doch Moody drückte ihn auf den Stuhl zurück.

»Ich weiß, wer dieser Todesser ist«, sagte er leise.

»Karkaroff?«, sagte Harry wild umherblickend.»Wo ist er? Haben Sie ihn gefaßt? Ist er eingesperrt?«

»Karkaroff?«, sagte Moody mit einem seltsamen Lachen.»Karkaroff ist heute Abend geflohen, als er das Dunkle Mal auf seinem Arm brennen spürte. Er hat zu viele treue Anhänger des dunklen Lords verraten und will ihm lieber nicht begegnen… aber er wird wohl nicht weit kommen. Der dunkle Lord hat Mittel und Wege, seine Feinde aufzuspüren.«

»Karkaroff ist fort? Er ist geflohen? Aber dann – dann hat er meinen Namen nicht in den Kelch geworfen?«

»Nein«, sagte Moody langsam.»Nein, er war es nicht. Ich habe es getan.«

Harry hörte es, doch er konnte es nicht glauben.

»Nein, das haben Sie nicht«, sagte er.»Nein, Sie waren es nicht… das können Sie nicht getan haben…«

»Ich versichere dir, ich habe es getan«, sagte Moody, und sein magisches Auge schwang herum und blieb auf der Tür ruhen, und Harry wußte, er vergewisserte sich, daß niemand draußen stand. Zugleich zückte Moody seinen Zauberstab und richtete ihn auf Harry.

»Er hat ihnen also verziehen?«, sagte er.»Den Todessern, die nicht bestraft wurden? Die Askaban entkommen sind?«

»Was?«, sagte Harry.

Er blickte auf den Zauberstab, den Moody auf ihn gerichtet hielt. Das war ein schlechter Scherz, unmöglich konnte es anders sein.

»Ich hab dich gefragt«, sagte Moody leise,»ob er diesem Abschaum verziehen hat, der nicht einmal versucht hat, ihn zu finden. Diesen verräterischen Feiglingen, die für ihn nicht einmal Askaban auf sich nehmen wollten. Diesen treulosen, wertlosen Dreckskerlen, die mutig genug waren, bei der Quidditch-Weltmeisterschaft maskiert durch die Gegend zu laufen, aber beim Anblick des Dunklen Mals, das ich an den Himmel schoß, schleunigst geflohen sind.«

»Sie haben… was reden Sie da…?«

»Ich hab's dir gesagt, Harry… ich hab's dir gesagt. Wenn es jemanden gibt, den ich mehr als alle anderen hasse, dann ist es ein Todesser, der davongekommen ist. Sie haben sich von meinem Herrn abgekehrt, als er sie am nötigsten brauchte. Ich hatte erwartet, daß er sie bestraft. Ich hatte erwartet, daß er sie foltert. Sag mir, daß er sie gequält hat, Harry…«

Plötzlich erschien ein irres Lächeln auf Moodys Gesicht.»Sag mir, daß er ihnen verkündet hat, daß ich allein ihm treu geblieben bin… daß ich bereit war, alles zu riskieren, um ihm den zu bringen, den er vor allen anderen wollte… dich.«

»Sie haben doch nicht… Sie – Sie können nicht sein…«

»Wer hat deinen Namen in den Feuerkelch geworfen, als Teilnehmer für eine andere Schule? Das war ich. Wer hat jedem Angst und Schrecken eingejagt, der dir womöglich etwas antun konnte oder dich daran gehindert hätte, das Turnier zu gewinnen? Das war ich. Wer hat Hagrid angestiftet, dir die Drachen zu zeigen? Das war ich. Wer hat dir geholfen herauszufinden, aufweiche Weise du den Drachen schlagen kannst? Das war ich.«

Moodys magisches Auge hatte sich nun von der Tür abgewandt. Es ruhte auf Harry. Sein schiefer Mund grinste schräger denn je.»Es war nicht einfach, Harry, dich durch diese Aufgaben zu führen, ohne Mißtrauen zu wecken. Ich mußte höllisch schlau sein, damit unter deinem Erfolg nicht meine Handschrift durchschimmerte. Dumbledore wäre schnell argwöhnisch geworden, wenn du die Aufgaben zu leicht gemeistert hättest. Ich mußte unbedingt erreichen, daß du in den Irrgarten kamst, am besten mit einem ordentlichen Vorsprung – dann, das wußte ich, hatte ich eine Chance, die anderen Champions loszuwerden und dir freie Bahn zu verschaffen. Aber ich mußte auch noch gegen deine Dummheit ankämpfen. Die zweite Aufgabe… da dachte ich schon, wir würden scheitern. Ich behielt dich im Auge, Potter. Ich wußte, du hattest dieses Eierrätsel nicht gelöst, also mußte ich dir einen weiteren Hinweis liefern -«

»Das haben Sie nicht«, sagte Harry mit heiserer Stimme.»Cedric hat mich auf die Spur gebracht -«

»Wer hat Cedric gesagt, er solle das Ei unter Wasser öffnen? Das war ich. Ich war mir ziemlich sicher, daß er dieses Wissen mit dir teilen würde. Anständige Leute sind so einfach hinters Licht zu führen, Potter. Ich war mir sicher, Cedric würde sich wegen der Drachen bei dir revanchieren wollen, und das hat er auch getan. Doch selbst dann noch, Potter, selbst dann noch wärst du um Haaresbreite gescheitert. Ich habe dich ständig beobachtet… all die Stunden, die du in der Bibliothek verbracht hast. Hast du nicht bemerkt, daß das Buch, das du brauchtest, die ganze Zeit über in deinem Schlafsaal war? Ich hab es früh genug dorthin verpflanzt, ich hab es diesem Longbottom gegeben, erinnerst du dich? Magische Wasserpflanzen des Mittelmeers und ihre Wirkungen. Das hätte dir alles Nötige über das Dianthuskraut verraten. Ich hätte erwartet, daß du die halbe Welt um Hilfe fragst. Longbottom hätte es dir sofort sagen können. Aber das hast du nicht… das hast du nicht… du hast einen stolzen Zug an dir, willst alles allein machen, und hättest fast alles ruiniert.

Was also konnte ich tun? Dich mit Wissen aus einer anderen unverdächtigen Quelle füttern. Du hast mir beim Weihnachtsball gesagt, ein Hauselfnamens Dobby hätte dir etwas geschenkt. Ich rief den Elfen ins Lehrerzimmer, er solle ein paar Umhänge zum Waschen abholen. Als er da war, begann ich ein lautes Gespräch mit Professor McGonagall über die Geiseln und ob Potter wohl darauf kommen würde, Dianthuskraut zu benutzen. Und dein kleiner Elfenfreund ist schnurstracks zu Snapes Vorratsschrank gelaufen und dann eilends zu dir…«

Moodys Zauberstab war immer noch drohend auf Harrys Herz gerichtet. Über seiner Schulter bewegten sich nebelhafte Gestalten im Feindglas an der Wand.»Du warst so lange in diesem See, Potter, daß ich schon dachte, du wärst ertrunken. Doch zum Glück hat Dumbledore deine Dummheit mit Edelmut verwechselt und dir viele Punkte dafür verpaßt. Da konnte ich wieder aufatmen.

In diesem Irrgarten heute Abend hast du es natürlich viel einfacher gehabt als vorgesehen«, fuhr Moody fort.»Ich ging außen herum Wache und beobachtete euch durch die äußeren Hecken. So konnte ich dir viele Hindernisse aus dem Weg fluchen. Als dann Fleur Delacour vorbeikam, verpaßte ich ihr einen Schocker. Krum jagte ich den Imperius-Fluch auf den Hals, damit er Diggory erledigt und dir den Weg zum Pokal freiräumt.«

Harry starrte Moody ins Gesicht. Er begriff einfach nicht, wie das möglich war… Dumbledores Freund, der berühmte Auror… der Mann, der so viele Todesser gefangen hatte… es ergab keinen Sinn… überhaupt keinen Sinn… Die nebelhaften Gestalten im Feindglas nahmen schärfere Umrisse an und waren nun deutlicher zu unterscheiden. Über Moodys Schulter blickend konnte Harry drei Personen ausmachen, die immer näher kamen. Doch Moody achtete nicht auf sie. Sein magisches Auge ruhte auf Harry.

»Der dunkle Lord hat es nicht geschafft, dich zu töten, Potter, und er hat sich so sehr danach gesehnt«, flüsterte Moody.»Stell dir vor, wie er mich belohnen wird, wenn er erfährt, daß ich es für ihn getan habe. Zuerst liefere ich ihm Harry Potter aus – du warst es nämlich, den er unbedingt brauchte, um wieder zu Kräften zu kommen – und dann töte ich ihn auch noch für ihn. Er wird mich ehren, höher als alle anderen Todesser. Von all seinen Gefolgsleuten wird er mich am höchsten schätzen… ich werde ihm näher sein als ein Sohn…«

Moodys normales Auge quoll hervor, das magische Auge blieb auf Harry ruhen. Die Tür war verriegelt, und Harry wußte, daß er niemals schnell genug an seinen Zauberstab herankommen würde…

»Der dunkle Lord und ich«, sagte Moody, und wie er über Harry aufragte und schräg grinsend auf ihn hinabstarrte, nahm sein Gesicht die Züge abgrundtiefen Wahnsinns an,»der dunkle Lord und ich haben viel miteinander gemein. So hatten wir beide sehr enttäuschende Väter… wirklich sehr enttäuschend. Wir beide litten unter der Schmach, nach diesen Vätern benannt zu werden. Und wir beide hatten auch das Vergnügen… das ungeheure Vergnügen… unsere Väter zu töten, um den weiteren Aufstieg des Schwarzen Ordens zu sichern!«

»Sie sind wahnsinnig«, sagte Harry – und es brach aus ihm hervor -»Sie sind wahnsinnig!«

»Wahnsinnig bin ich?«, sagte Moody mit jähzornig lauter Stimme.»Wir werden ja sehen! Wir werden sehen, wer wahnsinnig ist, nun, da der dunkle Lord zurückgekehrt ist, mit mir an seiner Seite! Er ist zurück, Harry Potter, du hast ihn nicht besiegt – und nun – besiege ich dich!«

Moody hob den Zauberstab, öffnete den Mund, Harry schob rasch die Hand in den Umhang -

»Stupor!«Ein blendend roter Lichtblitz flammte durchs Zimmer und unter lautem Splittern und Krachen zerbarst die Tür von Moodys Büro -

Moody schmetterte es rücklings auf den Fußboden. Harry, der immer noch auf die Stelle starrte, wo Moodys Gesicht gewesen war, sah jetzt, daß ihm aus dem Feindglas heraus Albus Dumbledore, Professor Snape und Professor McGonagall entgegenblickten. Er wandte sich um und sah die drei im Türrahmen stehen, Dumbledore mit ausgestrecktem Zauberstab an der Spitze.

In diesem Augenblick verstand Harry zum ersten Mal wirklich, warum es hieß, Dumbledore sei der einzige Zauberer, den Voldemort je gefürchtet habe. Der Ausdruck auf Dumbledores Gesicht, als er auf die bewußtlose Gestalt Mad-Eye Moodys hinabblickte, war schrecklicher, als Harry es sich je hätte vorstellen können. Kein gütiges Lächeln war zu sehen, kein Funkeln in den Augen hinter der Brille. In jeder Furche seines alten Gesichts stand die kalte Wut geschrieben; die Macht, die von Dumbledore ausging, war körperlich zu spüren, als strahlte er sengende Hitze ab.

Er trat ins Büro, schob einen Fuß unter den wie leblos daliegenden Moody und stieß ihn auf den Rücken, so daß sein Gesicht zu sehen war. Snape folgte ihm und blickte in das Feindglas, wo er sein eigenes Antlitz sehen konnte, das finster ins Zimmer spähte.

Professor McGonagall ging geradewegs auf Harry zu.

»Kommen Sie mit, Potter«, flüsterte sie. Die schmale Linie ihres Mundes zuckte, als würde sie gleich losweinen.»Kommen Sie mit… Krankenflügel…«

»Nein«, sagte Dumbledore scharf.

»Dumbledore, er sollte – schauen Sie ihn doch an – er hat heute Abend genug durchgemacht -«

»Er bleibt hier, Minerva, weil er verstehen muß«, sagte Dumbledore knapp.»Verstehen ist der erste Schritt, um etwas anzunehmen, und nur wenn er es angenommen hat, kann er sich erholen. Er muß wissen, wer ihm diese Qualen auferlegt hat, die er heute durchlitten hat, und warum.«

»Moody«, sagte Harry. Noch immer konnte er es nicht glauben.»Wie kann es denn Moody gewesen sein?«

»Dies ist nicht Alastor Moody«, sagte Dumbledore leise.»Du hast Alastor Moody nie kennen gelernt. Der wahre Moody hätte dich nicht aus meiner Nähe verschleppt, nach allem, was heute Abend geschehen ist. In dem Moment, da er dich mitnahm, ging mir ein Licht auf – und ich bin ihm gefolgt.«

Dumbledore beugte sich über den erschlafft daliegenden Moody und schob die Hand in seinen Umhang. Er zog Moodys Flachmann und ein Schlüsselbund hervor. Dann wandte er sich an Professor McGonagall und Snape.

»Severus, bitte besorgen Sie mir das stärkste Wahrheitselixier, das Sie haben, und dann gehen Sie hinunter in die Küche und bringen eine Hauselfe namens Winky hier hoch. Minerva, seien Sie so freundlich und gehen Sie hinunter zu Hagrids Haus, wo Sie einen großen schwarzen Hund im Kürbisbeet sitzen sehen werden. Bringen Sie den Hund hoch in mein Büro, sagen Sie ihm, ich werde in Kürze bei ihm sein, und dann kommen Sie zurück.«

Snape oder McGonagall mochten diese Anweisungen merkwürdig finden, sie verbargen ihre Verwunderung jedenfalls gut. Sie wandten sich unverzüglich um und verließen das Büro. Dumbledore ging hinüber zu dem großen Koffer mit den sieben Schlössern, steckte den ersten Schlüssel in eines der Schlüssellöcher und öffnete den Deckel. Der Koffer enthielt einen Haufen Zauberbücher. Dumbledore schloß den Deckel, steckte den zweiten Schlüssel ins zweite Loch und öffnete den Koffer erneut. Die Zauberbücher waren verschwunden; diesmal kamen eine Reihe kaputter Spickoskope zum Vorschein, ein paar Pergamentblätter und Federkiele und etwas, das ganz nach einem silbrig schimmernden Tarnurnhang aussah. Harry sah verdutzt zu, wie Dumbledore den dritten, vierten, fünften und sechsten Schlüssel in die zugehörigen Schlösser steckte, den Koffer jedes Mal erneut öffnete und immer etwas anderes zum Vorschein brachte. Dann steckte er den siebten Schlüssel ins Schloß, schlug den Deckel auf, und Harry schrie vor Entsetzen.

Er sah hinunter in eine Art Grube, einen unterirdischen Raum, und dort, drei Meter tief unten, offenbar tief schlafend, dürr und ausgemergelt, lag der wahre Mad-Eye Moody. Sein Holzbein war verschwunden, die Augenhöhle, in der sich das magische Auge hätte befinden sollen, wirkte leer unter dem eingefallenen Lid, und ganze Büschel seines grauweißen Haars waren abgeschnitten. Halb gelähmt vor Schreck musterte Harry abwechselnd den schlafenden Moody im Koffer und den ohnmächtigen Moody auf dem Fußboden.

Dumbledore kletterte in den Koffer, ließ sich in die Grube hinabfallen und landete leichtfüßig auf dem Boden neben dem schlafenden Moody. Er beugte sich über ihn.

»Unter Schock – und in der Gewalt des Imperius-Fluchs – sehr schwach«, sagte er.»Natürlich mußte er ihn am Leben halten. Harry, wirf mir den Mantel dieses Doppelgängers herunter, Alastor fühlt sich eiskalt an. Madam Pomfrey wird sich um ihn kümmern müssen, aber er scheint nicht unmittelbar in Gefahr zu sein.«

Harry tat, wie ihm geheißen; Dumbledore deckte Moody mit dem Mantel zu und kletterte aus dem Koffer. Dann griff er nach dem Flachmann, schraubte den Deckel auf und kippte die Flasche um. Eine dicke, klebrige Flüssigkeit ergoß sich auf den Fußboden.

»Vielsaft-Trank, Harry«, sagte Dumbledore.»Du siehst, wie einfach es war, und zugleich genial. Denn Moody trinkt tatsächlich immer nur aus seinem Flachmann, dafür ist er bekannt. Der Doppelgänger mußte den echten Moody natürlich in der Nähe behalten, damit er den Trank nachbrauen konnte. Du siehst ja sein Haar…«

Dumbledore blickte hinunter auf den Moody im Koffer.»Der Doppelgänger hat das ganze Jahr über immer wieder etwas davon abgeschnitten, du siehst, wo die Büschel fehlen. Aber ich würde vermuten, bei all der Aufregung heute Abend hat unser falscher Moody womöglich vergessen, den Trank so regelmäßig wie nötig zu schlucken… stündlich… und zur vollen Stunde… wir werden sehen.«

Dumbledore zog den Stuhl unter dem Schreibtisch hervor und setzte sich, die Augen auf den bewußtlosen Moody auf dem Boden gerichtet. Auch Harry starrte ihn an. Minutenlang sprachen sie kein Wort…

Dann begann sich das Gesicht des Mannes auf dem Boden vor Harrys Augen zu verändern. Die Narben verschwanden, die Haut glättete sich; die verstümmelte Nase heilte aus und begann zu schrumpfen. Die lange Mähne weißgrauen Haares zog sich in die Kopfhaut zurück und nahm die Farbe von Stroh an. Plötzlich und mit einem lauten Klonk fiel das Holzbein vom Körper ab und an seiner Stelle wuchs ein normales Bein unter dem Umhang hervor; und schon war auch der magische Augapfel aus dem Gesicht des Mannes gehüpft und ein echtes Auge war an seine Stelle getreten; das magische Auge kullerte wild kreiselnd über den Fußboden davon.

Harry sah einen Mann vor sich liegen, mit bleicher Haut, einigen Sommersprossen und einem Schöpf hellen Haares. Er wußte, wer dies war. Er hatte den Mann in Dumbledores Denkarium gesehen, hatte beobachtet, wie die Dementoren ihn aus dem Gerichtssaal geführt hatten, während er sich noch verzweifelt bemüht hatte, Mr Crouch davon zu überzeugen, daß er unschuldig sei… jetzt lagen dunkle Schatten um seine Augen und er sah viel älter aus…

Draußen auf dem Korridor ertönten hastige Schritte. Snape kam zurück, mit Winky auf den Fersen. Professor McGonagall folgte ihm einen Augenblick später.

»Crouch!«, sagte Snape und blieb wie angewurzelt im Türrahmen stehen.»Barty Crouch!«

»Du meine Güte«, sagte Professor McGonagall, und auch sie erstarrte und sah hinunter zu dem Mann auf dem Fußboden.

Winky, schmutzig und zerzaust, lugte hinter Snapes Beinen hervor. Ihr Mund öffnete sich weit und sie stieß einen spitzen Schrei aus.»Meister Barty, Meister Barty, was machen Sie denn hier?«

Sie stürzte vor und warf sich auf die Brust des jungen Mannes.»Ihr habt ihn totgemacht! Ihr habt ihn totgemacht. Ihr habt den Sohn vom Meister totgemacht!«

»Er ist nur geschockt, Winky«, sagte Dumbledore.»Bitte tritt zur Seite. Severus, haben Sie das Elixier?«

Snape reichte Dumbledore ein Glasfläschchen mit einer vollkommen klaren Flüssigkeit: das Veritaserum, mit dem er Harry im Unterricht gedroht hatte. Dumbledore stand auf, beugte sich über den Mann auf dem Boden, schleifte ihn hinüber zur Wand unter dem Feindglas, aus dem heraus die Spiegelbilder von Dumbledore, Snape und McGonagall immer noch finster auf sie alle herabsahen, und lehnte ihn mit dem Rücken aufrecht an die Mauer. Winky blieb zitternd, das Gesicht in den Händen, auf ihren Knien sitzen. Dumbledore zwängte den Mund des Mannes auf und träufelte ihm drei Tropfen ein. Dann richtete er den Zauberstab auf die Brust des Mannes und sagte:»Enervate.«Crouchs Sohn öffnete die Augen. Sein Gesicht war schlaff und er schielte. Dumbledore kniete sich vor ihm nieder, so daß ihre Gesichter auf gleicher Höhe waren.

»Können Sie mich hören?«, fragte Dumbledore ruhig.

Die Lider des Mannes zuckten.

»Ja«, murmelte er.

»Ich möchte, daß Sie uns erzählen, wie Sie hierher gekommen sind«, sagte Dumbledore leise.»Wie sind Sie aus Askaban entkommen?«

Crouch holte tief und bebend Luft, dann begann er mit matter, ausdrucksloser Stimme zu sprechen.»Meine Mutter hat mich gerettet. Sie wußte, daß sie todkrank war. Sie hat meinen Vater überredet, ihr einen letzten Wunsch zu erfüllen und mich zu retten. Er liebte sie, wie er mich nie geliebt hatte. Er willigte ein. Sie kamen mich besuchen. Sie gaben mir einen Schluck Vielsaft-Trank, der ein Haar meiner Mutter enthielt. Sie nahm einen Schluck Vielsaft-Trank mit einem Haar von mir. Und so nahmen wir die Gestalt des jeweils anderen an.«

Die zitternde Winky schüttelte den Kopf.»Reden Sie nicht weiter, Meister Barty, reden Sie nicht weiter, Sie machen Ihrem Vater noch Ärger!«

Doch Crouch holte erneut tief Luft und fuhr mit derselben matten Stimme fort:»Die Dementoren sind blind. Sie spürten, wie ein gesunder und ein sterbender Mensch in die Mauern von Askaban kamen. Und sie spürten, daß ein gesunder und ein sterbender Mensch Askaban wieder verließen. Mein Vater schmuggelte mich hinaus, ich hatte die Gestalt meiner Mutter angenommen für den Fall, daß uns ein Gefangener durch die Gitter seiner Zellentür beobachtete.

Meine Mutter starb kurz danach in Askaban. Sie achtete sorgfältig darauf, bis zum Ende regelmäßig den Vielsaft-Trank einzunehmen. Sie wurde unter meinem Namen und in meiner Gestalt begraben. Alle glaubten, sie sei ich.«

Die Lider des Mannes zuckten.

»Und was tat Ihr Vater mit Ihnen, als er Sie bei sich zu Hause hatte?«, fragte Dumbledore leise.

»Er tat so, als wäre meine Mutter gestorben. Ein stilles Begräbnis im kleinsten Kreis. Das Grab ist leer. Die Hauselfe hatte mich wieder aufgepäppelt. Dann mußte mein Vater mich verstecken. Er mußte mich überwachen. Er mußte mich mit einigen Flüchen belegen, um mich gefügig zu machen. Als ich meine Kräfte wiedergewonnen hatte, dachte ich nur noch daran, meinen Herrn zu suchen… und wieder in seine Dienste zu treten.«

»Wie hat Ihr Vater Sie gefügig gemacht?«, fragte Dumbledore weiter.

»Mit dem Imperius-Fluch«, sagte Crouch.»Ich stand unter der Herrschaft meines Vaters. Er zwang mich, Tag und Nacht den Tarnurnhang zu tragen. Ich war immer mit der Hauselfe zusammen. Sie war meine Wärterin und meine Pflegerin. Sie hatte Mitleid mit mir. Sie überredete meinen Vater, mir hin und wieder etwas Gutes zu tun. Als Belohnung für mein gutes Betragen.«

»Meister Barty, Meister Barty«, schluchzte die Hauselfe durch ihre Hände.»Sie dürfen es denen nie nicht sagen, wir kriegen Ärger…«

»Hat irgend jemand einmal entdeckt, daß Sie noch am Leben waren?«, fragte Dumbledore leise.»Wußte es jemand, außer Ihrem Vater und der Hauselfe?«

»Ja«, sagte Crouch und wieder zuckten seine Augenlider.»Eine Hexe im Büro meines Vaters. Bertha Jorkins. Sie kam eines Tages mit Papieren zu uns, die mein Vater unterschreiben sollte. Er war noch nicht zu Hause. Winky ließ sie eintreten und kam dann zu mir in die Küche zurück. Aber Bertha Jorkins hörte, daß Winky mit mir redete. Sie lauschte an der Tür und hörte genug, um zu erraten, wer sich unter dem Tarnurnhang verbarg. Dann kam mein Vater heim. Sie sagte ihm freimütig, was sie entdeckt hatte. Er belegte sie mit einem sehr starken Gedächtniszauber, damit sie es vergaß. Der Zauber war zu stark. Mein Vater glaubte, er habe ihr Gedächtnis auf Dauer geschädigt.«

»Warum kommt sie auch und schnüffelt bei meinem Meister rum?«, schluchzte Winky.»Warum läßt sie uns nicht in Ruhe?«

»Erzählen Sie mir, was sich bei der Quidditch-Weltmeister-schaft abgespielt hat«, sagte Dumbledore.

»Winky hatte meinen Vater dazu überredet«, sagte Crouch, weiterhin mit gleichförmiger Stimme.»Dazu hatte sie Monate gebraucht. Ich hatte das Haus jahrelang nicht verlassen. Quidditch hatte ich immer geliebt. ›Lassen Sie ihn gehen‹, sagte sie. ›Er ist ja unter dem Tarnurnhang. Er kann doch zusehen. Lassen Sie ihn doch einmal frische Luft schnappen.‹ Sie sagte, meine Mutter hätte es so gewollt. Meine Mutter sei gestorben, um mir die Freiheit zu schenken. Sie habe mich nicht gerettet, damit ich für den Rest meines Lebens eingesperrt bleiben müßte. Schließlich sagte er ja.

Alles war sorgfältig geplant. Mein Vater führte mich und Winky schon früh am Morgen nach oben in die Ehrenloge. Winky sollte sagen, sie würde einen Platz für meinen Vater besetzen. Ich sollte neben ihr sitzen, unsichtbar. Wir sollten warten, bis alle fort waren, und dann das Stadion verlassen. Keiner würde es je erfahren.

Aber Winky wußte nicht, daß ich allmählich stärker wurde. Ich begann gegen den Imperius-Fluch meines Vaters anzukämpfen. Es gab Zeiten, in denen ich fast wieder der Alte war. Manchmal spürte ich, daß ich mich seiner Herrschaft vollkommen entzogen hatte. Und so war es auch dort, in der Ehrenloge. Es war, als würde ich aus einem tiefen Schlaf erwachen. Ich fand mich draußen in der Öffentlichkeit, es war mitten im Spiel, und ich sah einen Zauberstab aus der Tasche eines Jungen vor mir ragen. Seit der Zeit vor Askaban hatte ich keinen Zauberstab mehr in die Hand nehmen dürfen. Ich stahl ihn. Winky hat es nicht mitbekommen. Winky hat Höhenangst. Sie hatte ihr Gesicht verborgen.«

»Meister Barty, böser Junge!«, wisperte Winky, und Tränen sickerten durch ihre Finger.

»Sie haben also den Zauberstab genommen«, sagte Dumbledore,»und was haben Sie damit gemacht?«

»Wir gingen zurück in unser Zelt«, sagte Crouch.»Dann hörten wir sie. Wir hörten die Todesser. Jene, die nie in Askaban saßen. Jene, die nie für meinen Herrn gelitten haben. Sie hatten sich von ihm abgewandt. Sie waren nicht versklavt, wie ich es war. Sie waren frei, ihn zu suchen, doch sie taten es nicht. Sie trieben nur ihre Spaße mit den Muggeln. Ihr Geschrei weckte mich. Mein Kopf war seit Jahren nicht mehr so klar gewesen. Ich war zornig. Ich hatte den Zauberstab. Ich wollte sie angreifen, weil sie meinem Herrn untreu waren. Mein Vater war aus dem Zelt gegangen, um die Muggel zu befreien. Winky bekam Angst, als sie mich so zornig sah. Sie benutzte ihre eigene Art von Zauber, um mich an sie zu fesseln. Sie zog mich aus dem Zelt, hinein in den Wald, weg von den Todessern. Ich versuchte sie aufzuhalten. Ich wollte zurück zum Zeltplatz. Ich wollte diesen Todessern zeigen, was Treue zum dunklen Lord bedeutet, und sie für ihre Treulosigkeit bestrafen. Ich nahm den gestohlenen Zauberstab und brannte das Dunkle Mal an den Himmel.

Dann kamen die Ministeriumszauberer. Sie schossen durch den Wald. Einer der Schockzauber kam durch die Bäume geflogen, unter denen Winky und ich standen. Das Band, das uns verknüpfte, zerriß. Wir beide wurden geschockt. Als sie Winky entdeckt hatten, wußte mein Vater, daß ich in der Nähe sein mußte. Er durchstöberte das Gebüsch, in dem man Winky gefunden hatte, und ertastete mich, der ich dort lag. Er wartete, bis die anderen Ministeriumsleute den Wald verlassen hatten. Dann belegte er mich erneut mit dem Imperius-Fluch und nahm mich mit nach Hause. Er verstieß Winky. Sie hatte ihn enttäuscht. Sie hatte es zugelassen, daß ich mir einen Zauberstab verschaffte. Sie hatte mich beinahe entkommen lassen.«

Winky stieß einen verzweifelten Klageschrei aus.

»Nun waren nur noch Vater und ich da, allein in unserem Haus. Und dann… und dann…«Crouch wiegte seinen Kopf hin und her und das Grinsen eines Irren breitete sich auf seinem Gesicht aus.»Dann kam mein Meister, um mich zu holen.

Er kam eines Nachts, sehr spät, in unser Haus, in den Armen seines Dieners Wurmschwanz. Mein Meister hatte herausgefunden, daß ich noch am Leben war. Er hatte Bertha Jorkins in Albanien entführt. Er hatte sie gefoltert. Sie berichtete ihm eine Menge. Sie erzählte ihm vom Trimagischen Turnier. Sie sagte ihm, der alte Auror Moody werde bald in Hogwarts unterrichten. Er folterte sie, bis er durch den Gedächtniszauber brach, mit dem mein Vater sie belegt hatte. Sie sagte ihm, ich sei aus Askaban entkommen. Mein Vater halte mich gefangen, damit ich mich nicht auf die Suche nach meinem Herrn machen könne. Und so erfuhr mein Herr, daß ich immer noch sein treuer Diener war – vielleicht der treueste von allen. Mein Herr entwarf einen Plan, der auf dem Wissen beruhte, das er Bertha abgepreßt hatte. Er brauchte mich. Er kam gegen Mitternacht zu unserem Haus. Mein Vater öffnete die Tür.«

Das Lächeln auf Crouchs Gesicht wurde noch breiter, als würde er sich an die schönste Begebenheit seines Lebens erinnern. Winkys angsterfüllte braune Augen lugten zwischen ihren Fingern hindurch. Sie schien zu entsetzt, um sprechen zu können.

»Es ging sehr schnell. Mein Herr unterwarf meinen Vater mit dem Imperius-Fluch. Nun war es mein Vater, der gefangen war und gehorchen mußte. Mein Herr zwang ihn, wie üblich seiner Arbeit nachzugehen, so zu tun, als wäre nichts geschehen. Und ich wurde befreit. Ich erwachte. Ich war wieder ich selbst, ich lebte, wie ich seit Jahren nicht mehr gelebt hatte.«

»Und was hat Lord Voldemort von Ihnen verlangt?«, wollte Dumbledore wissen.

»Er fragte mich, ob ich bereit sei, alles für ihn aufs Spiel zu setzen. Ich war bereit. Es war mein Traum, mein höchstes Ziel, ihm zu dienen, mich ihm zu beweisen. Er sagte, er müsse einen treuen Diener nach Hogwarts einschleusen. Einen Diener, der Harry Potter ganz unauffällig durch das Trimagische Turnier geleiten sollte. Einen Diener, der Harry Potter bewachen sollte. Der dafür sorgen müsse, daß er den Trimagischen Pokal erreicht. Der den Pokal in einen Portschlüssel verwandelt, welcher den Ersten, der ihn berührt, zu meinem Herrn bringen würde. Doch zuerst -«

»Brauchten Sie Alastor Moody«, unterbrach ihn Dumbledore. In seinen blauen Augen loderte es, doch seine Stimme blieb ruhig.

»Das waren Wurmschwanz und ich. Wir hatten den Vielsaft-Trank schon vorbereitet. Wir reisten zu seinem Haus. Moody wehrte sich mit Zähnen und Klauen. Es gab ein Durcheinander. Wir schafften es gerade noch rechtzeitig, ihn zu bändigen. Wir zwängten ihn in ein Fach seines eigenen magischen Koffers. Nahmen ein paar von seinen Haaren und fügten sie dem Gebräu hinzu. Ich trank davon und wurde Moodys Doppelgänger. Ich nahm ihm das Bein und das Auge. Ich war bereit, Arthur Weasley entgegenzutreten, als er kam, um das Gedächtnis der Muggel zu bearbeiten, die Lärm gehört hatten. Ich ließ die Mülleimer im ganzen Hof herumrollen. Ich sagte Arthur Weasley, ich hätte Eindringlinge auf meinem Hof gehört, und ihretwegen seien auch die Mülleimer losgegangen. Dann packte ich Moodys Kleider zusammen und machte mich auf den Weg nach Hogwarts. Ich hielt ihn am Leben, dem Imperius-Fluch unterworfen. Ich wollte ihn noch ausfragen. Wollte von seiner Vergangenheit erfahren, seine Gewohnheiten erlernen, damit ich sogar Dumbledore täuschen konnte. Ich brauchte auch sein Haar, um den Vielsaft-Trank zu brauen. Die anderen Zutaten waren einfach zu beschaffen. Die Baumschlangenhaut stahl ich aus dem Kerker. Als der Lehrer für Zaubertränke mich in seinem Büro ertappte, sagte ich, ich hätte Anweisung, es zu durchsuchen.«

»Und was wurde aus Wurmschwanz, nachdem Sie Moody angegriffen hatten?«, fragte Dumbledore.

»Wurmschwanz kehrte ins Haus meines Vaters zurück, um für meinen Herrn zu sorgen und meinen Vater zu bewachen.«

»Aber Ihr Vater ist entkommen«, sagte Dumbledore.

»Ja. Nach einer Weile begann er gegen den Imperius-Fluch anzukämpfen, genau wie ich es getan hatte. Es gab Zeiten, in denen er wußte, was vor sich ging. Mein Herr befand, es wäre nicht mehr sicher, wenn mein Vater das Haus verließe. Statt dessen zwang er ihn, Briefe an das Ministerium zu schreiben. Er gebot ihm zu schreiben, er sei krank. Aber Wurmschwanz vernachlässigte seine Pflichten. Er war nicht wachsam genug. Mein Vater entkam. Mein Herr vermutete, daß er sich nach Hogwarts durchschlagen würde. Mein Vater würde Dumbledore alles sagen, ihm alles gestehen. Er würde zugeben, daß er mich aus Askaban herausgeschmuggelt hatte.

Mein Herr benachrichtigte mich von der Flucht meines Vaters. Er wies mich an, ihn um jeden Preis aufzuhalten. So wartete ich und hielt Ausschau. Ich benutzte die Karte, die ich Harry Potter abgenommen hatte. Die Karte, die fast alles ruiniert hätte.«

»Karte?«, warf Dumbledore ein.»Welche Karte denn?«

»Potters Karte von Hogwarts. Potter hatte mich darauf gesehen. Er sah mich, als ich eines Nachts weitere Zutaten aus Snapes Büro stahl. Er dachte, ich wäre mein Vater, da wir denselben Vornamen tragen. Noch in dieser Nacht nahm ich Potter die Karte ab. Ich sagte ihm, mein Vater hasse schwarze Magier. Potter glaubte, mein Vater sei hinter Snape her.

Eine Woche lang wartete ich darauf, daß mein Vater in Hogwarts ankam. Endlich, eines Abends, zeigte mir die Karte, daß er das Gelände betreten hatte. Ich warf mir den Tarnumhang über und ging hinunter, um ihn zu stellen. Er lief am Waldrand entlang. Dann kamen Potter und Krum. Ich wartete. Ich konnte Potter nichts antun, mein Herr brauchte ihn. Potter rannte davon, um Dumbledore zu holen. Ich schockte Krum. Ich tötete meinen Vater.«

»Neeiiiin!«, jammerte Winky.»Meister Barty, Meister Barty, was sagen Sie da?«

»Sie töteten Ihren Vater«, sagte Dumbledore immer noch mit ruhiger Stimme.»Was haben Sie mit der Leiche getan?«

»Ich trug sie in den Wald. Bedeckte sie mit dem Tarnurnhang. Ich hatte die Karte bei mir. Ich verfolgte, wie Potter ins Schloß rannte. Er traf auf Snape. Dumbledore kam hinzu. Ich sah, daß Potter Dumbledore aus dem Schloß mitbrachte. Ich verließ den Wald, schlug einen Bogen und ließ sie vorbeigehen, dann kam ich hinzu. Ich sagte Dumbledore, Snape hätte mir gesagt, wohin ich gehen solle.

Dumbledore gab mir den Auftrag, nach meinem Vater zu suchen. Ich ging zurück zur Leiche meines Vaters. Beobachtete die Karte. Als alle fort waren, verwandelte ich die Leiche meines Vaters. Er wurde ein Knochen… ich zog den Tarnurnhang über und begrub den Knochen in der frisch umgegrabenen Erde vor Hagrids Hütte.«

Vollkommene Stille trat ein, durchbrochen nur von Winkys Schluchzern.

Dann sagte Dumbledore:»Und heute Abend…«

»Vor dem Abendessen erbot ich mich, den Trimagischen Pokal in den Irrgarten zu tragen«, wisperte Barty Crouch.»Verwandelte ihn in einen Portschlüssel. Der Plan meines Meisters gelang. Er ist wieder an die Macht gekommen und er wird mich ehren, wie es ein Zauberer nie zu träumen wagte.«

Das irrsinnige Lächeln erhellte noch einmal seine Züge, dann sank ihm unter dem Wehklagen und Schluchzen Winkys der Kopf auf die Schulter.

Die Wege trennen sich

Dumbledore stand auf. Einen Moment lang sah er mit angewidertem Gesicht auf Barty Crouch hinunter. Dann hob er den Zauberstab. Seile flogen aus der Spitze des Stabs hervor, schlangen sich um Barty Crouch und fesselten ihn straff.

Er wandte sich an Professor McGonagall.»Minerva, würden Sie bitte Crouch bewachen, während ich Harry nach oben bringe?«

»Natürlich«, sagte Professor McGonagall. Ihr schien ein wenig übel zu sein, als hätte sie gerade gesehen, wie sich jemand erbrach. Doch als sie den Zauberstab herauszog und ihn auf Barty Crouch richtete, war ihre Hand vollkommen ruhig.

»Severus«, sagte Dumbledore zu Snape gewandt,»weisen Sie bitte Madam Pomfrey an, nach oben zu kommen. Wir müssen Alastor Moody in den Krankenflügel schaffen. Dann gehen Sie hinunter aufs Gelände, suchen Cornelius Fudge und bringen ihn ebenfalls hoch in dieses Büro. Zweifellos wird er Crouch persönlich verhören wollen. Sagen Sie ihm, er kann mich in einer halben Stunde im Krankenflügel finden, falls er mich braucht.«

Snape nickte stumm und rauschte hinaus.

»Harry?«, sagte Dumbledore freundlich.

Harry stand auf und geriet erneut ins Wanken; der Schmerz in seinem Bein, den er, während er Crouch zugehört hatte, überhaupt nicht mehr wahrgenommen hatte, kehrte jetzt mit aller Macht zurück. Er merkte auch, daß er am ganzen Leib zitterte. Dumbledore nahm ihn am Armund half ihm hinaus auf den dunklen Korridor.

»Ich möchte, daß du zunächst einmal mit in mein Büro kommst«, flüsterte er, während sie über den Gang liefen.»Sirius erwartet uns dort.«

Harry nickte. Eine Art Benommenheit und das Gefühl, dies alles sei ganz unwirklich, hatten von ihm Besitz ergriffen, doch es kümmerte ihn nicht; er war sogar froh darüber. Er wollte nicht über irgend etwas nachdenken müssen, das passiert war, seit er den Trimagischen Pokal zum ersten Mal berührt hatte. Er wollte sich nicht in die Erinnerungen vertiefen, die frisch und scharf wie Fotos ständig an seinem geistigen Auge vorbeizogen. Mad-Eye Moody in diesem großen Koffer. Wurmschwanz, auf der Erde kauernd, schützend über seinen Armstumpf gebeugt. Voldemort, der dem dampfenden Kessel entstieg. Cedric… tot… Cedric, der ihn bat, ihn zu seinen Eltern zurückzubringen…

»Professor«, murmelte Harry,»wo sind Mr und Mrs Diggory?«

»Sie sind bei Professor Sprout«, sagte Dumbledore. Seine Stimme, die während der Befragung von Barty Crouch so ruhig gewesen war, zitterte jetzt erstmals ein wenig.»Sie ist die Leiterin von Cedrics Haus und sie kannte ihn am besten.«

Sie hatten den steinernen Wasserspeier erreicht. Dumbledore nannte das Paßwort, der Wasserspeier sprang beiseite, und Harry folgte Dumbledore die Wendeltreppe hoch bis vor die Eichentür. Dumbledore stieß sie auf.

Drinnen stand Sirius. Sein Gesicht war weiß und ausgemergelt, wie damals, als er Askaban entkommen war. Er brauchte nur einen Moment, um das Zimmer zu durchqueren.»Harry, wie geht es dir? Ich wußte es – ich wußte, so etwas würde – was ist geschehen?«

Mit zitternden Händen half er Harry auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.

»Was ist geschehen?«, fragt er nun drängender.

Dumbledore begann ihm alles zu berichten, was Barty Crouch gesagt hatte. Harry hörte nur mit halbem Ohr zu. Er war so müde und jeder Knochen im Leib tat ihm weh, daß er nichts weiter wollte, als hier zu sitzen, ungestört, Stunde um Stunde, bis er einschlief und nicht mehr denken und fühlen mußte.

Er hörte ein leises Flügelschlagen. Fawkes, der Phönix, hatte seine Vogelstange verlassen, war durchs Büro geflogen und hatte sich auf Harrys Knie niedergelassen.

»'lo, Fawkes«, sagte Harry leise. Er streichelte das wunderschöne scharlachrote und goldene Federkleid des Phönix. Fawkes blinzelte ihn freundlich an. Etwas Tröstliches ging von diesem warmen Vogelleib aus.

Dumbledore hatte aufgehört zu sprechen. Er saß hinter seinem Schreibtisch, Harry gegenüber. Er sah Harry an, doch Harry mied seinen Blick. Dumbledore würde ihn befragen. Dann würde er alles noch einmal durchleben müssen.

»Ich muß wissen, was geschehen ist, nachdem du den Portschlüssel im Irrgarten berührt hattest, Harry«, sagte Dumbledore.

»Können wir das nicht auf morgen verschieben, Dumbledore?«, fragte Sirius schroff. Er hatte eine Hand auf Harrys Schulter gelegt.»Laß ihn die Nacht darüber schlafen. Laß ihn ausruhen.«

Harry spürte eine jähe Anwandlung von Dankbarkeit für Sirius, doch Dumbledore achtete nicht auf dessen Worte. Er beugte sich zu Harry vor. Widerwillig hob Harry den Kopf und sah in diese blauen Augen.

»Wenn ich glaubte, ich könnte dir helfen«, sagte Dumbledore sanft,»indem ich dich in einen Zauberschlaf versetze und es dir erlaube, den Zeitpunkt zu verschieben, an dem du daran denken mußt, was heute Abend geschehen ist – dann würde ich es tun. Aber ich weiß, es hilft nicht. Den Schmerz für eine Weile zu betäuben, heißt nur, daß er noch schlimmer ist, wenn du ihn schließlich doch spürst. Du hast mehr Tapferkeit bewiesen, als ich je von dir hätte erwarten können. Ich bitte dich, deinen Mut noch einmal zu beweisen. Ich bitte dich, uns zu schildern, was geschehen ist.«

Der Phönix gab einen leisen, tremolierenden Ton von sich. Der Ton schwebte durch die Luft, und Harry hatte das Gefühl, ein Tropfen heißer Flüssigkeit wäre ihm die Kehle hinunter in den Magen geflossen und wärmte und kräftigte ihn.

Er holte tief Luft und begann zu erzählen. Beim Sprechen stiegen Bilder all dessen, was an diesem Abend geschehen war, vor seinen Augen auf; er sah die funkelnde Oberfläche des Elixiers, das Voldemort wieder belebt hatte; er sah die Todesser zwischen den Gräbern im Umkreis apparieren; und er sah Cedrics Leiche auf der Erde neben dem Pokal liegen.

Das eine oder andere Mal machte Sirius, dessen Hand immer noch auf Harrys Schulter ruhte, ein Geräusch, als wolle er etwas sagen, doch Dumbledore hob die Hand und ließ ihn verstummen, und Harry war froh darüber, denn nun, da er einmal angefangen hatte, war es einfacher, ohne Unterbrechung weiterzuerzählen. Er fühlte sich sogar erleichtert; fast war es, als würde etwas Giftiges aus ihm herausgesogen; es kostete ihn alle Willensstärke weiterzureden, doch er spürte, am Ende würde er sich besser fühlen.

Als Harry jedoch berichtete, wie Wurmschwanz ihm den Arm mit einem Dolch aufgeritzt hatte, stieß Sirius einen entsetzten Schrei aus, und Dumbledore sprang so schnell auf, daß Harry zusammenzuckte. Er kam um den Schreibtisch herum und bat Harry, den Arm auszustrecken. Harry zeigte den beiden die Stelle, an der sein Umhang aufgeschlitzt war, und den Schnitt in der Haut darunter.

»Er sagte, mein Blut würde ihn stärker machen als das Blut irgendeines anderen«, berichtete Harry.»Er sagte, der Schutz, den – den meine Mutter mir hinterlassen hat – er würde ihn nun auch besitzen. Und er hatte Recht – er konnte mich anfassen, ohne sich zu verletzen, er hat mein Gesicht berührt.«

Einen flüchtigen Moment lang glaubte Harry, etwas wie Triumph in Dumbledores Augen aufglimmen zu sehen. Doch im nächsten Augenblick war er sich gewiß, daß er sich das nur eingebildet hatte, denn als Dumbledore zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch zurückgekehrt war, wirkte er erneut ungewohnt alt und müde.

»Nun denn«, sagte er und setzte sich.»Voldemort hat dieses eigentümliche Hindernis überwunden. Fahr bitte fort, Harry.«

Harry erzählte weiter; er schilderte, wie Voldemort dem Kessel entstiegen war, und alles, was er von Voldemorts Rede an die Todesser noch im Kopf hatte. Dann berichtete er, daß Wurmschwanz ihm die Fesseln gelöst und den Zauberstab zurückgegeben und Voldemort ihn zum Duell aufgefordert hatte. Doch als es dann daranging zu erzählen, wie der goldene Lichtstrahl die beiden Zauberstäbe verbunden hatte, schnürte es ihm die Kehle zu. Er versuchte weiterzureden, doch die Erinnerungen an das, was aus Voldemorts Zauberstab gedrungen war, überfluteten sein Denken. Ganz deutlich sah er vor sich, wie Cedric erschien, der alte Mann, Bertha Jorkins… seine Mutter… sein Vater…

Er war froh, daß Sirius die Stille durchbrach.

»Die Zauberstäbe verbanden sich miteinander?«, sagte er und ließ den Blick von Harry zu Dumbledore wandern.»Warum?«

Harry sah zu Dumbledore auf, dessen Gesichtszüge starr geworden waren.

»Priori Incantatem«, murmelte er.

Seine Augen blickten unverwandt in die Harrys, und fast war es, als verbänden sie sich plötzlich durch einen unsichtbaren Strahl des Verstehens.

»Der Fluchumkehr-Effekt?«, fragte Sirius scharf.

»Genau«, sagte Dumbledore.»Harrys und Voldemorts Zauberstäbe sind im Kern gleich. Jeder enthält eine Feder vom Schweif desselben Phönix. Von diesem Phönix, um es klar zu sagen«, fügte er hinzu und deutete auf den rotgoldenen Vogel, der friedlich in Harrys Schoß kauerte.

»Die Feder meines Zauberstabs stammt von Fawkes?«, fragte Harry verblüfft.

»Ja«, sagte Dumbledore.»Sobald du vor vier Jahren den Laden verlassen hattest, schrieb mir Mr Ollivander, du hättest den zweiten Zauberstab gekauft.«

»Und was geschieht, wenn ein Zauberstab auf seinen Bruder trifft?«, fragte Sirius.

»Gegeneinander wirken sie nicht wie sonst«, sagte Dumbledore.»Wenn die Besitzer jedoch ihre Zauberstäbe zwingen, gegeneinander zu kämpfen… dann kommt es zu einer sehr seltenen Erscheinung.

Einer der Zauberstäbe zwingt den anderen, die Flüche, die er ausgeübt hat, noch einmal gleichsam auszuspeien -. und zwar in umgekehrter Reihenfolge. Den letzten Fluch zuerst… und dann die anderen, die ihm vorausgingen…«

Er sah Harry fragend an und Harry nickte.

»Das heißt«, fuhr Dumbledore langsam und mit unverwandtem Blick auf Harry fort,»Cedric muß in irgendeiner Gestalt wieder erschienen sein.«

Harry nickte erneut.

»Diggory ist also ins Leben zurückgekehrt?«, sagte Sirius scharf.

»Kein Zauber kann die Toten wieder erwecken«, sagte Dumbledore mit belegter Stimme.»Alles, was geschehen konnte, war eine Art Echo des Vergangenen. Ein Schatten des lebenden Cedric muß aus dem Zauberstab ausgetreten sein… stimmt das, Harry?«

»Er hat zu mir gesprochen«, sagte Harry. Plötzlich zitterte er wieder.»Der… der Geist von Cedric oder was es war, hat gesprochen.«

»Ein Echo«, sagte Dumbledore,»das Cedrics Erscheinung und Wesen in sich barg. Ich vermute, es sind noch mehr derartige Gestalten erschienen… frühere Opfer von Voldemorts Zauberstab…«

»Ein alter Mann«, sagte Harry, und immer noch war ihm die Kehle wie zugeschnürt.»Bertha Jorkins. Und…«

»Deine Eltern?«, sagte Dumbledore leise.

»Ja«, sagte Harry.

Sirius' Finger klammerten sich in diesem Moment so fest in Harrys Schulter, daß es weh tat.

»Die letzten Morde des Zauberstabs«, sagte Dumbledore kopfnickend.»In umgekehrter Reihenfolge. Natürlich wären noch mehr erschienen, wenn du die Verbindung gehalten hättest. Nun gut, Harry, diese Echos, diese Schatten… was taten sie?«

Harry erzählte, daß die Gestalten aus dem Zauberstab am Rand des goldenen Netzes entlang Wache gegangen waren, daß Voldemort offensichtlich Angst vor ihnen gehabt hatte, daß der Schatten seines Vaters ihm gesagt hatte, was er tun solle, und Cedric seine letzte Bitte ausgesprochen hatte.

An diesem Punkt angelangt, konnte Harry nicht mehr weitersprechen. Er wandte sich zu Sirius um, der das Gesicht in den Händen verborgen hatte. Dann bemerkte Harry plötzlich, daß Fawkes nicht mehr auf seinem Schoß saß. Der Phönix war zu Boden geflattert. Er schmiegte seinen schönen Kopf an Harrys verletztes Bein, und dicke, perlene Tränen fielen aus seinen Augen auf die Wunde vom Kampf mit der Spinne. Der Schmerz ließ nach. Die Haut heilte zu. Sein Bein war wieder gesund.

»Ich muß es noch einmal wiederholen«, sagte Dumbledore, während der Phönix in die Luft stieg und sich wieder auf der Stange neben der Tür niederließ.»Du hast heute Abend mehr Tapferkeit bewiesen, als ich je von dir hätte erwarten können, Harry. Du hast die gleiche Tapferkeit bewiesen wie jene, die im Kampf gegen Voldemort auf dem Höhepunkt seiner Macht gestorben sind. Du hast die Last eines erwachsenen Zauberers geschultert und bewiesen, daß du sie tragen kannst – und nun hast du uns auch alles gegeben, was wir zu Recht von dir erwarten konnten. Wir gehen jetzt zusammen in den Krankenflügel. Ich möchte nicht, daß du heute Nacht in den Schlafsaal gehst. Ein Schlaftrunk, ein wenig Ruhe… Sirius, würdest du gerne bei ihm bleiben?«

Sirius nickte und stand auf. Er verwandelte sich in den großen schwarzen Hund zurück, verließ mit Harry und Dumbledore das Büro und begleitete sie eine Treppenflucht hinunter in den Krankenflügel.

Als Dumbledore die Tür aufstieß, sah Harry, daß sich Mrs Weasley, Bill, Ron und Hermine um die zermürbt wirkende Madam Pomfrey geschart hatten. Offenbar bestürmten sie sie mit Fragen, wo Harry stecke und was ihm passiert sei.

Sie alle wirbelten herum, als Harry, Dumbledore und der schwarze Hund eintraten, und Mrs Weasley stieß einen erstickten Schrei aus.»Harry! O Harry!«

Sie wollte schon auf ihn loshasten, doch Dumbledore trat zwischen die beiden.

»Molly«, sagte er und hob die Hand,»bitte hören Sie mir einen Augenblick zu. Harry hat heute Abend Schreckliches durchlitten. Und er mußte es eben für mich noch einmal in allen Einzelheiten schildern. Was er jetzt braucht, ist Schlaf, Ruhe und Frieden. Wenn er möchte, daß ihr alle bei ihm bleibt«, fügte er mit Blick auf Ron, Hermine und Bill hinzu,»dann tut es. Aber ich will, daß ihr ihm erst Fragen stellt, wenn er bereit ist zu reden, und gewiß nicht mehr heute Abend.«

Mrs Weasley nickte. Sie war schneeweiß.

Sie wandte sich Ron, Hermine und Bill zu und zischte, als würden sie einen Höllenlärm machen:»Habt ihr nicht gehört? Er braucht Ruhe!«

»Direktor«, sagte Madam Pomfrey mit starrem Blick auf den großen schwarzen Hund,»darf ich fragen, was -?«

»Dieser Hund wird eine Weile bei Harry bleiben«, sagte Dumbledore knapp.»Ich versichere Ihnen, er ist sehr gut erzogen. Harry – ich warte so lange, bis du im Bett bist.«

Harry empfand Dumbledore gegenüber ein unaussprechliches Gefühl der Dankbarkeit, weil er die anderen gebeten hatte, ihm keine Fragen zu stellen. Gewiß, er wollte sie um sich haben, doch die Vorstellung, alles noch einmal erklären, alles noch einmal durchleben zu müssen, war einfach unerträglich.

»Ich komme noch einmal zurück, Harry, sobald ich mit Fudge gesprochen habe«, sagte Dumbledore.»Morgen werde ich ein Wort an alle Schüler von Hogwarts richten, und bis dahin möchte ich, daß du hier bleibst.«Er ging hinaus.

Madam Pomfrey führte Harry zu einem in der Nähe stehenden Bett, und dabei erhaschte er einen Blick auf den wahren Moody, der reglos in einem Bett am anderen Ende des Saals lag. Sein Holzbein und sein magisches Auge lagen auf dem Nachttisch.

»Wie geht es ihm?«, fragte Harry.

»Er wird schon wieder zu Kräften kommen«, sagte Madam Pomfrey, reichte Harry einen Pyjama und zog einen Wandschirm um sein Bett. Er entkleidete sich, zog den Pyjama an und legte sich hin. Ron, Hermine, Bill, Mrs Weasley und der schwarze Hund kamen um den Wandschirm herum und setzten sich auf Stühle zu beiden Seiten seines Bettes. Ron und Hermine sahen ihn fast argwöhnisch an, als hätten sie Angst vor ihm.

»Mir geht's schon besser«, sagte er.»Bin nur müde.«

Mrs Weasley strich völlig überflüssigerweise die Bettdecke glatt und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Madam Pomfrey, die hinüber in ihr Büro gewackelt war, kam mit einer Schale und einer kleinen Flasche mit einem purpurnen Trank zurück.

»Das mußt du ganz austrinken, Harry«, sagte sie.»Es ist ein Trank für einen traumlosen Schlaf.«

Harry ergriff die Schale und nahm ein paar Schlucke. Sofort wurde ihm schläfrig zumute. Alles um ihn her versank in Nebel; die Lampen im Krankensaal schienen ihm durch den Wandschirm um sein Bett freundlich zuzublinken; ihm war, als würde er immer tiefer in die Wärme des Federbettes sinken. Bevor er das Elixier ganz ausgetrunken hatte, bevor er noch ein Wort sagen konnte, hatte ihn die Erschöpfung in den Schlaf gleiten lassen.

* * *

Harry wachte auf, und ihm war so behaglich, er war so schlaftrunken, daß er die Augen nicht öffnete und lieber in den Schlaf zurücksinken wollte. Der Saal war immer noch schwach beleuchtet; er war sich sicher, daß es noch Nacht war, und hatte den Eindruck, nicht lange geschlafen zu haben.

Dann hörte er Geflüster um sich her.

»Die wecken ihn noch auf, wenn sie nicht endlich still sind!«

»Was gibt es denn da zu schreien? Es kann doch nicht schon wieder was passiert sein!«

Schlaftrunken öffnete Harry die Augen. Jemand hatte ihm die Brille abgenommen. Er konnte die verschwommenen Gestalten von Mrs Weasley und Bill neben sich erkennen. Mrs Weasley hatte sich erhoben.

»Das ist die Stimme von Fudge«, wisperte sie.»Und das ist Minerva McGonagall, nicht wahr? Aber worüber streiten die sich?«

Jetzt konnte auch Harry es hören: aufgebrachte Stimmen und das Geräusch von Schritten, die sich dem Krankensaal näherten.

»Bedauerlich zwar, gleichwohl, Minerva -«, sagte Cornelius Fudge laut.

»Sie hätten es niemals ins Schloß bringen dürfen!«, rief Professor McGonagall.»Wenn Dumbledore das erfährt -«

Harry hörte, wie die Tür zum Krankensaal aufschlug. Bill hatte den Wandschirm beiseite geschoben, und alle, die um Harrys Bett saßen, starrten jetzt zur Tür. Harry setzte sich unbemerkt auf und nahm seine Brille vom Nachttisch.

Fudge kam zügig durch den Saal geschritten. Die Professoren McGonagall und Snape folgten ihm auf den Fersen.

»Wo ist Dumbledore?«, fragte Fudge Mrs Weasley.

»Er ist nicht hier«, antwortete Mrs Weasley erzürnt.»Dies ist ein Krankensaal, Minister, denken Sie nicht, es wäre besser -«

Doch jetzt ging die Tür auf und Dumbledore kam hereingerauscht.

»Was ist passiert?«, fragte er in scharfem Ton und blickte abwechselnd Fudge und Professor McGonagall an.»Warum stören Sie die Ruhe? Minerva, ich bin überrascht, Sie hier zu sehen – ich hatte Sie gebeten, Barty Crouch zu bewachen -«

»Es ist nicht mehr nötig, ihn zu bewachen, Dumbledore!«, entgegnete sie schrill.»Dafür hat der Minister gesorgt!«

Harry hatte Professor McGonagall noch nie so außer sich gesehen. Flammend rote Flecken traten auf ihre Wangen, sie ballte die Hände zu Fäusten und bebte vor Zorn.

»Als wir Mr Fudge mitteilten, wir hätten den Todesser gefangen, der für die Geschehnisse dieser Nacht verantwortlich war«, sagte Snape in gedämpftem Ton,»da glaubte er offenbar, seine eigene Sicherheit sei gefährdet. Er bestand darauf, einen Dementor zu rufen, der ihn zum Schloß begleitete. Er brachte ihn mit in das Büro, in dem Barty Crouch -«

»Ich hatte ihm laut und deutlich gesagt, daß Sie nicht damit einverstanden seien, Dumbledore!«, brauste Professor McGonagall auf.»Ich hatte ihm gesagt, Sie würden es niemals erlauben, daß Dementoren das Schloß betreten, aber -«

»Meine Verehrteste!«, dröhnte Fudge, der ebenfalls zorniger wirkte, als Harry ihn je erlebt hatte.»Als Zaubereiminister steht mir allein die Entscheidung zu, ob ich jemanden zu meinem Schutz mitbringe, wenn ich einen möglicherweise gefährlichen -«

Doch Professor McGonagalls Stimme ließ die von Fudge untergehen.»Kaum hatte dieses – dieses Etwas das Büro betreten«, schrie sie und deutete am ganzen Leib bebend auf Fudge,»da stürzte es sich auf Crouch und – und -«

Harry spürte, wie ihm die Eingeweide gefroren, während Professor McGonagall nach Worten rang, um zu beschreiben, was geschehen war. Seinetwegen brauchte sie ihren Satz jedenfalls nicht zu beenden. Ihm war klar, was der Dementor getan haben mußte. Er hatte Barty Crouch einen tödlichen Kuß gegeben. Er hatte ihm die Seele durch den Mund ausgesogen. Crouch erging es jetzt schlimmer, als wenn er gestorben wäre.

»Nach allem, was wir wissen, ist er sicher kein großer Verlust!«, polterte Fudge.»Offenbar war er für mehrere Morde verantwortlich!«

»Aber jetzt kann er nicht mehr aussagen, Cornelius«, sagte Dumbledore. Er sah Fudge scharf an, als könne er ihn zum ersten Mal klar erkennen.»Er kann uns jetzt nicht mehr sagen, warum er diese Menschen getötet hat.«

»Warum er sie getötet hat? Da braucht man doch nicht lange zu rätseln!«, polterte Fudge.»Er war ein durchgeknallter Irrer! Laut Minerva und Severus glaubte er offenbar, er hätte das alles auf Anweisung von Du-weißt-schon-wem getan!«

»Lord Voldemort hat ihm tatsächlich Anweisungen erteilt, Cornelius«, sagte Dumbledore.»All diese Morde geschahen im Zuge eines Plans, Voldemort seine alten Kräfte zurückzugeben. Dieses Vorhaben ist gelungen. Voldemort hat seinen Körper wieder.«

Fudge sah aus, als hätte ihm soeben jemand einen Faustschlag verpaßt. Benommen und mit glasigem Blick stierte er Dumbledore an, als könne er einfach nicht glauben, was er gerade gehört hatte.

»Du-weiß-schon-wer… ist zurück?«, stammelte er schließlich und starrte Dumbledore unverwandt an.»Lächerlich. Nun hören Sie, Dumbledore…«

»Wie Minerva und Severus Ihnen zweifellos gesagt haben«, entgegnete Dumbledore,»hat Crouch vor uns ein Geständnis abgelegt. Unter dem Einfluss von Veritaserum schilderte er uns, wie er aus Askaban herausgeschmuggelt wurde und wie Voldemort – der über Bertha Jorkins von Crouchs Fortleben erfahren hatte – kam, um ihn aus den Händen seines Vaters zu befreien, und ihn dann einsetzte, um Harry in die Fänge zu bekommen. Und dieser Plan ist gelungen, muß ich Ihnen sagen. Crouch hat Voldemort geholfen zurückzukehren.«

»Hören Sie, Dumbledore«, sagte Fudge, und zu Harrys Erstaunen regte sich ein mildes Lächeln auf seinem Gesicht,»Sie – Sie können das doch nicht im Ernst glauben. Du-weißt-schon-wer – ist zurück? Kommen Sie, kommen Sie… gewiß, Crouch selbst hat womöglich geglaubt, er würde auf Befehl des Unnennbaren handeln – aber das Wort eines solchen Verrückten auch für bare Münze zu nehmen, Dumbledore…«

»Als Harry vor einigen Stunden den Trimagischen Pokal berührte, hat er ihn direkt zu Voldemort transportiert«, fuhr Dumbledore unbeeindruckt fort.»Er hat die Wiedergeburt Lord Voldemorts mit eigenen Augen gesehen. Ich erkläre Ihnen alles, wenn Sie in mein Büro hochkommen.«

Dumbledore wandte sich Harry zu und sah, daß er wach war, doch dann schüttelte er den Kopf und sagte:»Ich fürchte, ich kann es Ihnen nicht gestatten, Harry heute Nacht noch zu befragen.«

Fudges eigenartiges Lächeln blieb auf seinem Gesicht haften.

Auch er warf einen Blick zu Harry hinüber, dann wandte er sich wieder an Dumbledore:»Sie sind – ähm – bereit, Harrys Wort in dieser Sache zu glauben, nicht wahr, Dumbledore?«

Für kurze Zeit trat Stille ein, doch dann meldete sich Sirius. Zähnefletschend und mit gesträubten Rückenhaaren begann er Fudge anzuknurren.

»Natürlich glaube ich Harry«, sagte Dumbledore. In seinen Augen loderte es.»Ich habe Crouchs Geständnis gehört und Harrys Schilderung dessen, was geschah, nachdem er den Trimagischen Pokal berührt hatte; die beiden Geschichten passen zusammen und erklären alles, was seit Bertha Jorkins' Verschwinden letzten Sommer passiert ist.«

Das merkwürdige Lächeln auf Fudges Gesicht wollte nicht verschwinden. Erneut versetzte er Harry einen Blick, bevor er antwortete:»Sie sind bereit zu glauben, daß Lord Voldemort zurückgekehrt ist, aufgrund der Aussage eines irren Mörders und eines Jungen, der… nun…«

Wieder blickte Fudge zu Harry hinüber und plötzlich begriff Harry.

»Sie haben Rita Kimmkorn gelesen, Mr Fudge«, sagte er leise.

Ron, Hermine, Mrs Weasley und Bill zuckten zusammen. Keiner von ihnen hatte bemerkt, daß Harry wach war.

Fudge errötete leicht, doch ein sturer, widerwilliger Zug trat nun auf sein Gesicht.

»Und wenn schon«, sagte er mit Blick auf Dumbledore.»Was, wenn ich herausgefunden habe, daß Sie gewisse Tatsachen über den Jungen unter der Decke halten? Ein Parselmund, ja? Und ständig irgendwelche merkwürdigen Anfälle -«

»Ich nehme an, Sie meinen die Narbenschmerzen Harrys?«, entgegnete Dumbledore kühl.

»Sie geben also zu, daß er Schmerzen hat?«, sagte Fudge rasch.»Kopfschmerzen? Alpträume? Womöglich auch – Halluzinationen?«

»Hören Sie, Cornelius«, sagte. Dumbledore und tat einen Schritt auf Fudge zu; wieder schien er jene unbestimmbare Aura der Macht auszustrahlen, die Harry gespürt hatte, nachdem Dumbledore den jungen Crouch in den Schockschlaf versetzt hatte.»Harry ist so gesund wie Sie und ich. Diese Narbe auf seiner Stirn hat ihm nicht den Verstand verwirrt. Ich vermute, sie schmerzt, wenn Lord Voldemort in der Nähe ist oder sich besonders mordlustig fühlt.«

Fudge war einen halben Schritt vor Dumbledore zurückgewichen, doch er wirkte nicht minder stur.»Sie werden mir verzeihen, Dumbledore, auch ich habe schon von Fällen gehört, bei denen eine Fluchnarbe als Alarmglocke gewirkt hat…«

»Hören Sie doch, ich habe gesehen, daß Voldemort zurückkam!«, rief Harry. Wieder versuchte er aus dem Bett zu steigen, doch Mrs Weasley hielt ihn mit sanfter Gewalt zurück.»Ich habe die Todesser gesehen! Ich kann Ihnen die Namen nennen! Lucius Malfoy -«

Snape machte eine jähe Bewegung, doch als Harry ihn ansah, huschten Snapes Augen zurück zu Fudge.

»Malfoy wurde entlastet!«, sagte Fudge sichtlich entrüstet.»Eine hoch angesehene Familie – Spenden für wohltätige Zwecke -«

»Mcnair!«, fuhr Harry fort.

»Ebenfalls entlastet! Arbeitet jetzt für das Ministerium!«

»Avery – Nott – Crabbe – Goyle -«

»Du wiederholst nur die Namen jener, die vor vierzehn Jahren von der Anklage, Todesser zu sein, freigesprochen wurden!«, sagte Fudge zornig.»Du hättest diese Namen in alten Berichten über die Prozesse finden können! Um Himmels willen, Dumbledore – Ende letzten Jahres hat der Junge auch ständig irgendeine wahnwitzige Geschichte zum Besten gegeben – seine Fabeln werden allmählich immer dreister, und Sie schlucken sie immer noch – der Junge kann mit Schlangen sprechen, Dumbledore, und Sie halten ihn dennoch für glaubwürdig?«

»Sie Dummkopf!«, schrie Professor McGonagall.»Cedric Diggory! Mr Crouch! Diese Morde sind nicht die zufälligen Taten eines Verrückten!«

»Ich sehe keinen Beweis für das Gegenteil!«, rief Fudge nicht weniger zornig und mit scharlachrot angelaufenem Gesicht.»Mir scheint, als wären Sie alle entschlossen, eine Panik auszulösen, die all das ins Wanken bringen soll, was wir in den letzten vierzehn Jahren aufgebaut haben!«

Harry konnte nicht glauben, was er da hörte. Er hatte Fudge immer für einen liebenswürdigen Kerl gehalten, ein wenig aufbrausend, ein bißchen wichtigtuerisch, doch im Grunde gutmütig. Doch nun stand ein kleiner zorniger Zauberer vor ihm, der sich schlichtweg weigerte, dem drohenden Zusammenbruch seiner gemütlichen und wohl geordneten Welt ins Auge zu sehen – der nicht glauben wollte, daß Voldemort wieder zu Kräften gekommen war.

»Voldemort ist zurück«, wiederholte Dumbledore.»Wenn Sie diese Tatsache unverzüglich zur Kenntnis nähmen, Fudge, und die notwendigen Schritte einleiteten, könnten wir die Lage immer noch meistern. Der erste und wichtigste Schritt ist, Askaban der Kontrolle der Dementoren zu entziehen -«

»Lächerlich!«, rief Fudge erneut.»Die Dementoren abziehen! Man würde mich aus dem Amt werfen, wenn ich so etwas vorschlagen würde! Viele von uns können nachts doch nur deshalb ruhig schlafen, weil sie wissen, daß die Dementoren in Askaban Wache halten!«

»Wir anderen schlafen nicht so ruhig, Cornelius«, entgegnete Dumbledore,»denn wir wissen, daß Sie die gefährlichsten Anhänger Lord Voldemorts unter die Obhut von Kreaturen gestellt haben, die sich ihm anschließen werden, sobald er sie dazu auffordert! Die Dementoren werden Ihnen nicht treu bleiben, Fudge! Voldemort kann diesen Kreaturen mehr Bewegungsfreiheit für ihre Kräfte und Gelüste bieten als Sie! Sobald er die Dementoren für sich gewonnen und seine alten Anhänger um sich geschart hat, werden Sie die größte Mühe haben, ihn auf seinem Eroberungsfeldzug zurück zu ebenjener Macht aufzuhalten, die er zuletzt vor vierzehn Jahren innegehabt hat!«

Fudge öffnete und schloß den Mund, als gäbe es keine Worte, die seinem Zorn Ausdruck verleihen könnten.

»Der zweite Schritt, den Sie tun müßten – und zwar sofort«, drängte Dumbledore weiter,»bestünde darin, Gesandte zu den Riesen zu schicken.«

»Gesandte zu den Riesen?«, kreischte Fudge, der nun offenbar seine Sprache wiedergefunden hatte.»Was soll dieser Irrsinn?«

»Bieten Sie ihnen die Hand der Freundschaft an, und zwar jetzt, bevor es zu spät ist«, sagte Dumbledore,»oder Voldemort wird ihnen wie damals einreden, er sei der einzige Zauberer, der ihnen ihre Rechte und Freiheiten geben würde!«

»Sie – Sie können das doch nicht ernst meinen?«, keuchte Fudge kopfschüttelnd und wich ein paar Schritte weiter vor Dumbledore zurück.»Wenn die magische Gemeinschaft davon Wind bekommt, daß ich auf die Riesen zugehe – die Leute hassen sie, Dumbledore – Ende meiner Karriere -«

»Sie sind mit Blindheit geschlagen«, sagte Dumbledore mit erhobener Stimme und glühenden Augen, und die Aura der Macht, die ihn umgab, war nun fast greifbar.»Geblendet durch Ihren Ehrgeiz, Cornelius! Wie immer legen Sie zu viel Wert auf die so genannte Reinheit des Blutes! Sie sehen einfach nicht, daß es nicht darauf ankommt, als was jemand geboren ist, sondern darauf, was aus ihm wird! Ihr Dementor hat soeben den letzten Sproß einer unserer ältesten reinblütigen Familien zerstört – und sehen Sie doch, was er willentlich aus seinem Leben gemacht hat! Ich sage es Ihnen noch einmal – tun Sie, was ich Ihnen vorgeschlagen habe, und in Ihrem Ministerium und draußen in der Zaubererwelt wird man Sie als einen unserer kühnsten und größten Zaubereiminister in Erinnerung behalten. Legen Sie die Hände in den Schoß – dann werden Sie in die Geschichte eingehenals der Mann, der beiseite trat und Voldemort eine zweite Möglichkeit bot, die Welt zu vernichten, die wir wieder aufzubauen versuchten!«

»Verrückt«, flüsterte Fudge und wich zurück.»Wahnsinnig…«

Und dann trat Stille ein. Madam Pomfrey stand erstarrt, die Hände auf den Mund gepreßt, am Fußende von Harrys Bett. Mrs Weasley war immer noch über Harry gebeugt und hatte die Hände auf seine Schultern gelegt, um ihn zu beschwichtigen. Bill, Ron und Hermine starrten Fudge an.

»Wenn Ihr Wille, die Augen zu verschließen, Sie so weit bringt, Cornelius«, sagte Dumbledore,»dann trennen sich nun unsere Wege. Sie müssen tun, was Sie für richtig halten. Und ich – ich werde tun, was ich für richtig halte.«

In Dumbledores Stimme lag nicht die Spur einer Drohung; was er sagte, klang eher wie eine Feststellung, doch Fudge brauste auf, als wäre Dumbledore mit dem Zauberstab auf ihn losgegangen.

»Jetzt reicht es aber, Dumbledore«, sagte er und fuchtelte drohend mit dem Zeigefinger,»ich habe Ihnen immer freie Hand gelassen. Ich hatte eine Menge Hochachtung vor Ihnen. Ich war vielleicht mit einigen Ihrer Entscheidungen nicht einverstanden, doch ich habe den Mund gehalten. So ohne weiteres hätte kein anderer Ihnen erlaubt, Werwölfe einzustellen oder Hagrid zu behalten oder selbst zu entscheiden, was Sie Ihren Schülern beibringen, ohne Rücksprache mit dem Ministerium. Doch wenn Sie jetzt gegen mich arbeiten wollen -«

»Der Einzige, gegen den ich zu arbeiten gedenke«, entgegnete Dumbledore,»ist Lord Voldemort. Wenn Sie gegen ihn sind, Cornelius, dann bleiben wir auf derselben Seite.«

Offenbar fiel Fudge darauf keine Antwort ein. Er wippte eine Weile auf seinen kleinen Füßen und drehte den Bowler in den Händen.

Als er schließlich den Mund aufmachte, lag etwas Flehendes in seiner Stimme:»Er kann nicht zurück sein, Dumbledore, das ist unmöglich…«

Snape trat vor, ging an Dumbledore vorbei und krempelte seinen rechten Ärmel hoch. Er streckte seinen Unterarm aus und zeigte ihn dem zurückschreckenden Fudge.

»Hier, sehen Sie«, sagte Snape barsch.»Hier. Das Dunkle Mal. Es ist nicht mehr so deutlich, wie es vor gut einer Stunde war, als es dunkelrot glühte, aber Sie können es noch immer sehen. Der dunkle Lord hatte jedem Todesser dieses Zeichen eingebrannt. Es diente uns als Erkennungszeichen und er benutzte es auch, um uns zu sich zu rufen. Wenn er das Mal irgendeines Todessers berührte, mußten wir sofort an seiner Seite apparieren. Dieses Zeichen hier ist das ganze Jahr über deutlicher geworden. Wie auch das von Karkaroff. Warum, glauben Sie, ist Karkaroff heute Nacht geflohen? Wir beide spürten das Mal brennen. Wir beide wußten, daß er zurückgekehrt war. Karkaroff fürchtet die Rache des dunklen Lords. Er hat zu viele seiner Gefolgsleute verraten und weiß, daß sie ihn nicht mit offenen Armen empfangen werden.«

Fudge wich jetzt auch vor Snape zurück. Er schüttelte den Kopf. Offenbar hatte er kein Wort dessen, was Snape gesagt hatte, wirklich aufgenommen. Er starrte sichtlich angewidert das häßliche Mal auf Snapes Arm an, dann sah er zu Dumbledore hoch und flüsterte:»Ich weiß nicht, worauf Sie und Ihre Lehrer es angelegt haben, Dumbledore, aber ich habe genug gehört. Meinen Worten habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Morgen werde ich Verbindung mit Ihnen aufnehmen, Dumbledore, und mit Ihnen über die künftige Führung dieser Schule sprechen. Ich muß zurück ins Ministerium.«

Er war schon fast an der Tür, als er innehielt. Er wandte sich um, kam wieder durch den Saal geschritten und blieb vor Harrys Bett stehen.

»Dein Gewinn«, sagte er knapp, zog einen großen Goldbeutel aus der Tasche und ließ ihn auf Harrys Nachttisch fallen.»Eintausend Galleonen. Eine feierliche Preisverleihung war vorgesehen, aber unter diesen Umständen…«

Er drückte sich den Bowler auf den Kopf, marschierte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Sobald er verschwunden war, wandte sich Dumbledore der Gruppe um Harrys Bett zu.

»Es gibt einiges zu tun«, sagte er.»Molly… ich glaube wohl zu Recht, daß ich auf Sie und Arthur zählen kann?«

»Natürlich können Sie das«, sagte Mrs Weasley. Sie war kreidebleich, wirkte jedoch entschlossen.»Er weiß, was Fudge für einer ist. Weil Arthur so viel für die Muggel übrig hat, legen sie ihm im Ministerium seit Jahren schon Steine in den Weg. Fudge meint, es fehle ihm an Zaubererstolz.«

»Dann muß ich Arthur eine Botschaft schicken«, sagte Dumbledore.»Alle, die wir von der Wahrheit überzeugen können, müssen sofort benachrichtigt werden, und Arthur hat den richtigen Posten, um mit den Leuten im Ministerium Verbindung aufzunehmen, die nicht so kurzsichtig sind wie Cornelius.«

»Ich gehe zu Dad«, sagte Bill und stand auf.»Und zwar sofort.«

»Bestens«, sagte Dumbledore.»Sagen Sie ihm, was geschehen ist. Sagen Sie, ich werde bald direkt mit ihm Kontakt aufnehmen. Wir müssen allerdings verschwiegen sein. Wenn Fudge denkt, ich würde mich im Ministerium einmischen -«

»Überlassen Sie das mir«, sagte Bill.

Er gab Harry einen Klaps auf die Schulter, küßte seine Mutter auf die Wange, zog den Umhang über und ging mit raschen Schritten hinaus.

»Minerva«, sagte Dumbledore und wandte sich an Professor McGonagall,»ich möchte, daß Hagrid so schnell wie möglich in meinem Büro erscheint. Und auch – sofern sie einverstanden ist – Madame Maxime.«

Professor McGonagall nickte und ging ohne ein Wort zu verlieren hinaus.

»Poppy«, sagte er zu Madam Pomfrey,»seien Sie so nett und gehen Sie hinunter in Professor Moodys Büro, wo Sie, wie ich vermute, eine recht aufgelöste Hauselfe namens Winky finden. Tun Sie für die Elfe, was in Ihren Kräften steht, und geleiten Sie sie dann zurück in die Küche. Ich denke, Dobby wird uns den Gefallen tun und sich um sie kümmern.«

»Ja – natürlich«, sagte Madam Pomfrey verdutzt, und auch sie ging hinaus.

Dumbledore vergewisserte sich, daß die Tür geschlossen war und Madam Pomfreys Schritte sich entfernt hatten, dann erst hob er erneut die Stimme.

»Und nun«, sagte er,»ist es an der Zeit, daß zwei der hier Anwesenden erfahren, wer der jeweils andere ist. Sirius… bitte nimm deine gewöhnliche Gestalt an.«

Der große schwarze Hund sah zu Dumbledore auf, dann verwandelte er sich in Sekundenschnelle in einen ausgewachsenen Mann.

Mrs Weasley schrie auf und sprang vom Bett zurück.

»Sirius Black!«, kreischte sie und deutete mit dem Finger auf ihn.

»Mum, beruhige dich!«, rief Ron.»Es ist alles in Ordnung!«

Snape hatte nicht geschrien und war auch nicht zurückgewichen, aber auf seinem Gesicht war eine Mischung aus Zorn und Entsetzen zu sehen.

»Der!«, raunzte er und starrte Sirius an, dem nicht weniger Abscheu im Gesicht geschrieben stand.»Was tut der hier!«

»Er ist meiner Einladung gefolgt«, sagte Dumbledore und sah die beiden abwechselnd an,»wie auch Sie, Severus. Ich vertraue euch beiden. Es ist an der Zeit, daß ihr die alten Streitigkeiten begrabt und euch gegenseitig vertraut.«

Harry fand, daß Dumbledore fast ein Wunder verlangte. Sirius und Snape beäugten sich mit allergrößtem Abscheu.

»Fürs Erste«, sagte Dumbledore mit einer Spur Ungeduld in der Stimme,»gebe ich mich auch mit dem Verzicht auf offene Feindseligkeiten zufrieden. Ihr werdet euch jetzt die Hände reichen. Ihr seid jetzt auf derselben Seite. Die Zeit ist knapp, und wenn die wenigen von uns, die die Wahrheit kennen, nicht zusammenhalten, gibt es für keinen von uns Hoffnung.«

Ganz langsam – doch immer noch mit bösen Blicken, als ob jeder dem anderen das Schlimmste an den Hals wünschte – bewegten Sirius und Snape die Hände aufeinander zu und überwanden sich zu einem Händedruck. Wie von der Tarantel gestochen ließen sie gleich wieder los.

»Das wird fürs Erste genügen«, sagte Dumbledore und trat erneut zwischen sie.»Nun habe ich Aufträge für euch beide. Fudges Haltung, wiewohl nicht unerwartet, ändert alles. Sirius, ich muß dich bitten, sofort abzureisen. Du mußt Remus Lupin, Arabella Figg und Mundungus Fletcher alarmieren – die alten Kämpfer. Tauch eine Weile bei Lupin unter, ich werde dort Verbindung mit dir aufnehmen.«

»Aber -«, sagte Harry.

Er wollte nicht, daß Sirius ging. Er mochte sich nicht schon wieder so schnell von ihm trennen.

»Wir werden uns sehr bald wieder sehen«, sagte Sirius zu Harry gewandt.»Das versprech ich dir. Aber ich muß tun, was in meinen Kräften steht, das verstehst du doch?«

»Jaah«, sagte Harry.»Jaah… natürlich.«

Sirius nahm kurz seine Hand, nickte Dumbledore zu, verwandelte sich wieder in den schwarzen Hund und rannte durch den Saal zur Tür, deren Klinke er mit der Pfote hinunterdrückte. Dann war er verschwunden.

»Severus«, sagte Dumbledore an Snape gewandt,»Sie wissen, was ich von Ihnen verlangen muß. Wenn Sie willens sind… wenn Sie bereit sind…«

»Das bin ich«, sagte Snape.

Er sah ein wenig bleicher aus als sonst und seine kalten schwarzen Augen glitzerten eigenartig.

»Viel Glück«, sagte Dumbledore. Mit einem Anflug von Besorgnis auf dem Gesicht sah er Snape nach, der ohne ein weiteres Wort Sirius hinaus zur Tür folgte.

Es vergingen einige Minuten, bis Dumbledore wieder sprach.

»Ich muß nach unten«, sagte er endlich.»Ich muß mit den Diggorys reden. Harry – nimm den Rest deines Schlaftranks. Wir treffen uns alle später.«

Dumbledore verschwand und Harry ließ sich in die Kissen zurücksinken. Hermine, Ron und Mrs Weasley sahen ihn an. Lange Zeit sprach niemand ein Wort.

»Du mußt den Rest deines Tranks nehmen, Harry«, sagte Mrs Weasley schließlich. Als sie nach der Flasche und der Trinkschale langte, stieß sie mit der Hand an den Goldbeutel auf dem Nachttisch.»Du brauchst jetzt einen schönen langen Schlaf. Versuch mal eine Zeit lang an etwas anderes zu denken… denk daran, was du dir mit deinem Gewinn kaufen kannst!«

»Ich will dieses Gold nicht«, sagte Harry mit ausdrucksloser Stimme.»Nehmen Sie es. Oder irgendwer. Ich hätte es nicht gewinnen dürfen. Es stand eigentlich Cedric zu.«

Das, wogegen er immer wieder angekämpft hatte, seit er aus dem Irrgarten aufgetaucht war, drohte ihn nun zu überwältigen. An seinen inneren Augenwinkeln spürte er ein Stechen und Brennen. Blinzelnd starrte er zur Decke hoch.

»Es war nicht deine Schuld, Harry«, flüsterte Mrs Weasley sanft.

»Ich wollte, daß wir den Pokal zusammen gewinnen«, sagte Harry.

Nun war das Brennen auch in seiner Kehle. Er wünschte sich, Ron würde wegsehen.

Mrs Weasley stellte den Trank zurück auf den Nachttisch, beugte sich über Harry und nahm ihn in die Arme. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so umarmt worden zu sein, umarmt wie von einer Mutter. Nun, da ihn Mrs Weasley so fest hielt, schien all das, was er gesehen hatte, mit Macht auf ihn einzudringen. Das Gesicht seiner Mutter, die Stimme seines Vaters, der Anblick Cedrics, tot auf der Erde liegend, all das begann nun in seinem Kopf zu wirbeln, bis er es kaum noch ertragen konnte und sein Gesicht verzerrte wider den Verzweiflungsschrei, der sich aus ihm herauskämpfte.

Es tat einen lauten Schlag und Mrs Weasley richtete sich erschrocken auf. Hermine stand am Fenster. Sie hielt etwas in der geschlossenen Hand.

»Verzeihung«, flüsterte sie.

»Dein Trank, Harry«, sagte Mrs Weasley rasch und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

Harry nahm ihn in einem Zug. Die Wirkung trat augenblicklich ein. Schwere, mächtige Wellen traumlosen Schlafes brachen sich über ihm, er fiel zurück in die Kissen und dachte an nichts mehr.

Der Anfang

Im Rückblick stellte Harry fest, daß er sich auch einen Monat später kaum an die Tage erinnern konnte, die auf diese Nacht folgten. Vielleicht hatte er nach allem, was er durchgemacht hatte, einfach nichts mehr aufnehmen können. Und die wenigen Erinnerungen, die er hatte, waren sehr bittere. Das Schlimmste war wohl das Treffen mit den Diggorys am nächsten Morgen gewesen.

Sie gaben ihm keine Schuld für das, was geschehen war; im Gegenteil, beide dankten ihm, daß er ihren toten Sohn zurückgebracht hatte. Mr Diggory schluchzte während des Gesprächs immer wieder auf, während Mrs Diggory ihrer Trauer offenbar nicht einmal mehr mit Tränen Ausdruck verleihen konnte.

»Dann hat er nicht lange gelitten«, sagte sie, nachdem Harry geschildert hatte, wie Cedric gestorben war.»Und überleg mal, Amos, er starb in dem Moment, als er das Turnier gewonnen hatte. Er muß glücklich gewesen sein.«

Als die beiden sich schon erhoben hatten, wandte sich Mrs Diggory noch einmal Harry zu.»Paß jetzt gut auf dich auf«, sagte sie.

Harry nahm den Beutel mit Gold vom Nachttisch.

»Nehmen Sie das«, murmelte er.»Cedric hätte es verdient, er war vor mir da, nehmen Sie es -«

Doch Mrs Diggory wich hastig zurück.»O nein, es ist deins, mein Junge, wir könnten es nicht… behalt du es.«

Am Abend noch kehrte Harry in den Gryffindor-Turm zurück. Hermine und Ron hatten ihm erzählt, daß Dumbledore beim Frühstück ein paar Worte an alle Schüler gerichtet hatte. Er hatte sie nur um eines gebeten, nämlich Harry in Ruhe zu lassen und ihn nicht mit Fragen darüber zu löchern, was im Irrgarten geschehen war. Auf den Korridoren, so fiel ihm auf, gingen ihm die meisten seiner Mitschüler aus dem Weg und mieden seinen Blick. Manche flüsterten hinter vorgehaltener Hand miteinander, wenn er vorbeiging. Sicher schenkten viele von ihnen Rita Kimmkorns Behauptungen Glauben, er sei gestört und womöglich auch gefährlich. Vielleicht stoppelten sie sich auch ihre eigenen Vermutungen über den Tod Cedrics zusammen. Harry scherte sich wenig darum. Ohnehin war er am liebsten mit Ron und Hermine zusammen, und dann redeten sie über andere Dinge, oder die beiden ließen ihn schweigend dabeisitzen, während sie Schach spielten. Er hatte das Gefühl, sie alle drei waren zu einem stillschweigenden Einverständnis gelangt; sie warteten jeder für sich auf einen Hinweis, ein Wort darüber, was außerhalb von Hogwarts vor sich ging – und es war sinnlos, lange hin und her zu überlegen, was in nächster Zeit geschehen würde, solange sie nichts Genaues erfuhren. Nur einmal streiften sie das Thema, als Ron Harry von einem Treffen Mrs Weasleys mit Dumbledore vor ihrer Heimreise erzählte.

»Sie wollte ihn fragen, ob du diesen Sommer gleich zu uns kommen könntest«, erklärte Ron.»Aber Dumbledore möchte, daß du zu den Dursleys zurückgehst, wenigstens für die erste Zeit.«

»Warum?«, fragte Harry.

»Sie meinte, Dumbledore hätte seine Gründe«, sagte Ron und schüttelte mit düsterer Miene den Kopf.»Bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als ihm zu vertrauen.«

Der Einzige außer Ron und Hermine, mit dem Harry, sich überhaupt in der Lage fühlte zu sprechen, war Hagrid. Da es keinen Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste mehr gab, hatten sie in diesen Stunden frei. Am Donnerstagnachmittag nutzten sie die Gelegenheit und gingen hinunter, um ihn in seiner Hütte zu besuchen. Es war ein heller, sonniger Tag; Fang kam aus der offenen Tür gejagt und nahm sie bellend und wie verrückt mit dem Schwanz wedelnd in Empfang.

»Wer da?«, rief Hagrid und kam zur Tür.»Harry!«

Mit großen Schritten kam er ihnen entgegen, drückte Harry mit einem Arm an sich, zerzauste sich mit der anderen Hand das Haar noch mehr und sagte:»Läßt dich endlich wieder blicken, Kumpel. Schön dich zu sehn.«

Sie betraten die Hütte. Auf dem Holztisch vor dem Kamin standen ein paar eimergroße Tassen und Teller.

»Hab mit Olympe 'n Täßchen Tee getrunken«, sagte Hagrid.»Ist eben gegangen.«

»Mit wem?«, fragte Ron verwundert.

»Madame Maxime natürlich!«, sagte Hagrid.

»Habt euch wohl wieder versöhnt, ihr beiden?«, sagte Ron.

»Keine Ahnung, was du meinst«, sagte Hagrid lässig und holte frische Tassen aus dem Geschirrschrank. Als er Tee gekocht und ihnen einen Teller teigiger Kekse angeboten hatte, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und nahm Harry mit seinen käferschwarzen Augen scharf unter die Lupe.

»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er ruppig.

»Jaah«, sagte Harry.

»Nein, ist es nicht«, sagte Hagrid.»Natürlich nicht. Aber wird schon.«

Harry schwieg.

»Wußte, daß er eines Tages zurückkommt«, sagte Hagrid, und alle drei sahen erschrocken zu ihm auf.»Wußte es seit Jahren, Harry. Wußte, daß er irgendwo da draußen war und gewartet hat, bis seine Zeit kam. Mußte passieren. Und jetzt ist es passiert, und wir müssen damit klarkommen. Wir werden kämpfen. Vielleicht können wir ihn stoppen, bevor er richtig Fuß faßt. Das jedenfalls hat Dumbledore vor. Großartiger Mann, Dumbledore. Solange wir ihn haben, mach ich mir nicht allzu viel Sorgen.«

Hagrid sah die ungläubigen Mienen der drei und hob seine buschigen Augenbrauen.

»Hat kein Zweck, dazuhocken und sich Sorgen zu machen«, sagte er.»Was kommen muß, wird kommen, und wenn es da ist, nehmen wir den Kampf auf. Dumbledore hat mir gesagt, was du getan hast, Harry.«

Hagrid schwoll die Brust, während er Harry ansah.»Du hast so viel getan, wie dein Vater getan hätte, und das ist das größte Lob, das ich für dich hab.«

Harry lächelte. Es war das erste Mal seit Tagen, daß er lächelte.

»Worum hat dich Dumbledore gebeten, Hagrid?«, fragte er.»Er hat Professor McGonagall geschickt, um dich und Madame Maxime zu sich zu holen… noch in der Nacht.«

»Hatte 'nen kleinen Auftrag für mich übern Sommer«, sagte Hagrid.»Ist aber geheim. Darf nich drüber reden, nich mal mit euch Rasselbande. Olympe – für euch Madame Maxime – kommt vielleicht mit. Denk eigentlich schon. Glaub, ich hab sie überredet.«

»Hat es mit Voldemort zu tun?«

Hagrid zuckte beim Klang dieses Namens zusammen.

»Könnt sein«, wich er aus.»Aber… wie war's, wenn wir zusammen den letzten Kröter besuchen? War nur 'n Witz – nur 'n Witz!«, setzte er beim Anblick ihrer Gesichter hastig hinzu.

* * *

Am Abend vor der Rückreise in den Ligusterweg packte Harry oben im Schlafsaal schweren Herzens seinen Koffer. Ihm graute vor dem Abschiedsessen, das sonst immer ein richtiges Fest war, bei dem der Sieger des Hauswettbewerbs ausgerufen wurde. Seit er aus dem Krankenflügel entlassen war, hatte er, um den neugierigen Blicken seiner Mitschüler zu entgehen, einen Bogen um die Große Halle gemacht, wenn sie voll besetzt war, und lieber dann gegessen, wenn kaum noch jemand da war.

Als sie die Halle betraten, fiel den dreien als Erstes auf, daß sie nicht wie sonst festlich geschmückt war. Normalerweise prangte die Halle beim Abschiedsessen in den Farben des siegreichen Hauses. Heute Abend jedoch hingen schwarze Tücher an der Wand hinter dem Lehrertisch. Harry wußte, daß dies zu Ehren Cedrics geschehen war.

Der wirkliche Mad-Eye Moody saß am Lehrertisch, mitsamt Holzbein und magischem Auge. Äußerst schreckhaft zuckte er jedes Mal zusammen, wenn ihn jemand ansprach. Harry konnte es ihm nicht verdenken; Moodys Angst vor Angriffen war nach der zehnmonatigen Gefangenschaft in seinem eigenen Koffer natürlich noch gewachsen. Professor Karkaroffs Stuhl war leer. Als Harry sich zu den anderen Gryffindors setzte, fragte er sich, wo Karkaroff jetzt wohl steckte; hatte ihn Voldemort vielleicht schon aufgespürt?

Madame Maxime war noch da. Sie saß neben Hagrid und unterhielt sich leise mit ihm. Ein paar Plätze weiter, neben Professor McGonagall, saß Snape. Ihre Blicke trafen sich kurz. Snapes Miene war schwer zu entziffern. Er wirkte so verbittert und abweisend wie eh und je. Harry beobachtete ihn noch lange, nachdem Snape wieder weggeschaut hatte.

Was genau hatte Snape auf Dumbledores Anweisung hin in der Nacht getan, als Voldemort zurückkam? Und warum… warum… war Dumbledore so überzeugt, daß Snape auf seiner Seite war? Er war ihr Spion gewesen, Dumbledore hatte es im Denkarium gesagt. Snape hatte sich als Spion gegen Voldemort gewandt,»unter größter Gefahr für sein eigenes Leben«. Hatte er erneut einen solchen Auftrag übernommen? Hatte er vielleicht schon Verbindung mit den Todessern aufgenommen? Hatte er so getan, als wäre er nie wirklich zu Dumbledore übergelaufen und hätte wie Voldemort selbst nur den richtigen Augenblick abgewartet?

Am Lehrertisch erhob sich Professor Dumbledore und beendete Harrys Grübeleien. In der Großen Halle, wo es ohnehin schon viel leiser war als sonst beim Abschiedsessen, wurde es sehr still.

»Wieder einmal«, sagte Dumbledore und sah in die Gesichter rundum,»wieder einmal geht ein Jahr zu Ende.«

Er hielt inne und sein Blick fiel auf den Tisch der Hufflepuffs. Bevor er aufgestanden war, hatte dort die gedrückteste Stimmung geherrscht, und dort sah man auch die blassesten und traurigsten Gesichter in der Halle.

»Es gibt viel, was ich euch heute Abend sagen möchte«, fuhr Dumbledore fort,»doch will ich zuerst daran erinnern, daß wir einen großartigen Menschen verloren haben, der hier unter uns sitzen und das Essen mit uns genießen sollte.«Er wies zu den Hufflepuffs hinüber.»Ich möchte euch bitten, aufzustehen und die Gläser zu Ehren Cedric Diggorys zu erheben.«

Sie taten es, ohne Ausnahme; Stuhlbeine kratzten über den Boden, dann hatten sich alle erhoben, und eine Stimme, laut und tief wie fernes Donnerrollen, erklang in der Halle:»Cedric Diggory.«

Durch eine Lücke in der Menge erhaschte Harry einen Blick auf Cho. Stumme Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie setzten sich wieder und Harry senkte den Blick.

»Cedric war ein Mensch, der viele der Tugenden, welche das Haus Hufflepuff auszeichnen, in sich vereinte«, fuhr Dumbledore fort.»Er war ein guter und treuer Freund, ein fleißiger Schüler, ein Mensch, der das Fairplay schätzte. Sein Tod hat euch alle berührt, ob ihr ihn gut kanntet oder nicht. Deshalb glaube ich, daß ihr das Recht habt, genau zu erfahren, wie es dazu kam.«

Harry hob den Kopf und starrte Dumbledore an.

»Cedric Diggory wurde von Lord Voldemort ermordet.«

Ein panisches Flüstern erhob sich in der Großen Halle. Viele starrten Dumbledore ungläubig, ja entsetzt an. Er schien jedoch vollkommen ruhig und wartete geduldig, bis sich das Gemurmel wieder gelegt hatte.

»Das Zaubereiministerium wünscht nicht«, erklärte Dumbledore,»daß ich euch dies sage. Vielleicht werden manche eurer Eltern entsetzt darüber sein – entweder weil sie nicht glauben wollen, daß Lord Voldemort zurückgekehrt ist, oder weil sie meinen, ich sollte es euch nicht sagen, weil ihr noch zu jung seid. Es ist jedoch meine Überzeugung, daß die Wahrheit immer der Lüge vorzuziehen ist und daß jeder Versuch, so zu tun, als wäre Cedric durch einen Unfall gestorben oder durch einen eigenen Fehler, eine Beleidigung seines Andenkens ist.«

Bestürzt und verängstigt war nun jedes Gesicht in der Halle Dumbledore zugewandt… fast jedes. Drüben am Slytherin-Tisch sah Harry Draco Malfoy mit Crabbe und Goyle flüstern. Ein heißer, Brechreiz erregender Wutschwall stieg ihm die Kehle hoch. Er zwang sich, den Blick erneut auf Dumbledore zu richten.

»Und noch jemand muß im Zusammenhang mit Cedrics Tod erwähnt werden«, sagte Dumbledore.»Ich spreche natürlich von Harry Potter.«

Eine Welle durchlief die Halle, es waren die Köpfe, die sich zu Harry umdrehten, um sich dann rasch wieder Dumbledore zuzuwenden.

»Harry Potter ist es gelungen, Lord Voldemort zu entkommen«, sagte Dumbledore.»Er hat sein Leben aufs Spiel gesetzt, um den toten Cedric nach Hogwarts zurückzubringen. Er hat Tapferkeit in jeder Hinsicht bewiesen, wie sie bislang nur wenige Zauberer im Angesicht von Lord Voldemort gezeigt haben, und dafür ehre ich ihn.«

Dumbledore wandte sich mit ernstem Gesicht Harry zu und hob erneut seinen Trinkkelch. Fast alle taten es ihm nach. Sie murmelten seinen Namen, wie zuvor den Cedrics, und tranken auf sein Wohl. Durch eine Lücke in der Menge sah Harry jedoch, daß Malfoy, Crabbe, Goyle und viele andere Slytherins trotzig sitzen geblieben waren und ihre Kelche nicht angerührt hatten. Dumbledore, der schließlich kein magisches Auge hatte, konnte sie nicht sehen.

Sie nahmen ihre Plätze wieder ein und Dumbledore fuhr fort:»Ziel des Trimagischen Turniers war es, das gegenseitige Verständnis unter den Magiern verschiedener Länder zu fördern. Im Lichte dessen, was geschehen ist – der Rückkehr Lord Voldemorts -, sind partnerschaftliche Bande wichtiger denn je.«

Dumbledore sah zu Madame Maxime und Hagrid hinüber, zu Fleur Delacour und ihren Mitschülern aus Beauxbatons, und zu Viktor Krum und den Durmstrangs am Tisch der Slytherins. Krum, so stellte Harry fest, wirkte argwöhnisch, fast verängstigt, als fürchtete er, Dumbledore würde gleich etwas sehr Harsches sagen.

»Jeder Gast in der Halle«, sagte Dumbledore, und sein Blick verweilte auf den Durmstrang-Schülern,»sollte er oder sie uns wieder einmal besuchen wollen, ist hier jederzeit willkommen. Ich sage es euch noch einmal – angesichts der Rückkehr Lord Voldemorts sind wir so stark, wie wir einig, und so schwach, wie wir gespalten sind.

Lord Voldemort besitzt ein großes Talent, Zwietracht und Feindseligkeit zu verbreiten. Dem können wir nur entgegentreten, wenn wir ein nicht minder starkes Band der Freundschaft und des Vertrauens knüpfen. Unterschiede in Lebensweise und Sprache werden uns nicht im Geringsten stören, wenn unsere Ziele die gleichen sind und wir den anderen mit offenen Herzen begegnen.

Es ist meine Überzeugung – und noch nie habe ich so sehr gehofft, mich zu irren -, daß auf uns alle dunkle und schwere Zeiten zukommen. Manche von euch hier haben bereits spürbar unter der Hand Lord Voldemorts gelitten. Viele eurer Familien wurden entzweigerissen. Vor einer Woche wurde ein Schüler aus unserer Mitte genommen.

Denkt an Cedric. Erinnert euch an ihn, wenn einmal die Zeit kommt, da ihr euch entscheiden müßt zwischen dem, was richtig ist, und dem, was bequem ist. Denkt daran, was einem Jungen, der gut und freundlich und mutig war, geschah, nur weil er Lord Voldemort in die Quere kam. Erinnert euch an Cedric Diggory.«

* * *

Harrys Koffer war gepackt, obenauf thronte Hedwig in ihrem Käfig.

Zusammen mit den anderen Viertkläßlern warteten Harry, Ron und Hermine in der überfüllten Eingangshalle auf die Kutschen, die sie zum Bahnhof Hogsmeade bringen sollten. Wieder war es ein herrlicher Sommertag. Wenn er am Abend ankam, überlegte Harry, würde es heiß sein im Ligusterweg, die Gärten üppig grün, die Blumenbeete ein Rausch von Farben. Doch der Gedanke machte ihm überhaupt keine Freude.

»'Arry!«

Er wandte sich um. Fleur Delacour kam die Steintreppe zum Schloß hochgerannt. Hinter ihr, in weiter Entfernung, konnte er erkennen, wie Hagrid Madame Maxime behilflich war, zwei ihrer Riesenpferde anzuschirren. Die Beaux-batons-Kutsche würde bald in die Lüfte steigen.

»Wir se'en uns wieder, 'offe isch«, sagte Fleur, als sie vor ihm stand und ihm die Hand darbot.»Isch 'offe, isch bekomme einen Job 'ier, damit isch mein Englisch aufbessern kann.«

»Es ist doch schon sehr gut«, sagte Ron mit merkwürdig erstickter Stimme.

Fleur schenkte ihm ein Lächeln; Hermine blickte finster drein.

»Auf Wiedersehen, 'Arry«, sagte Fleur und wandte sich zum Gehen.»Es war mir ein Vergnügen, disch kennen zu lernen!«

Harrys Laune konnte einfach nicht anders, als sich ein wenig zu bessern; er sah Fleur nach, wie sie mit wehendem Haar ins Sonnenlicht tauchte und zu Madame Maxime hinübereilte.

»Wie kommen eigentlich die Durmstrangs zurück?«, fragte Ron.»Glaubst du, die können dieses Schiff ohne Karkaroff steuern?«

»Karkaroff hat nicht gesteuert«, sagte eine ruppige Stimme.»Er lag die ganze Zeit in seine Kabine und hat uns die Arbeit mache lasse.«Krum war gekommen, um sich von Hermine zu verabschieden.»Kann ich kurz mit dir sprecke?«, fragte er.

»Oh… ja… natürlich«, sagte Hermine, offensichtlich ein wenig geschmeichelt, und verschwand mit Krum in der Menge.

»Beeil dich aber!«, rief ihr Ron nach.»Die Kutschen sind bestimmt gleich da!«

Allerdings ließ er Harry nach den Kutschen Ausschau halten und reckte minutenlang den Kopf über die Menge, um zu sehen, was Krum und Hermine wohl miteinander trieben. Sie kehrten jedoch bald zurück. Ron starrte Hermine an, doch ihre Miene blieb unbewegt.

»Ich mochte Diggory«, sagte Krum unvermittelt zu Harry.»Er war immer höflich zu mir. Immer. Obwohl ich aus Durmstrang kam – mit Karkaroff«, fügte er mit finsterem Blick hinzu.

»Habt ihr schon einen neuen Schulleiter?«, fragte Harry.

Krum zuckte die Achseln. Wie schon Fleur bot er ihnen die Hand an und verabschiedete sich erst von Harry, dann von Ron.

Ron sah ganz danach aus, als würde er unter Qualen mit sich selbst ringen. Schon hatte sich Krum ein paar Schritte entfernt, als es aus ihm herausplatzte:»Kann ich ein Autogramm von dir haben?«

Hermine wandte sich ab und sah mit einem Lächeln zu, wie die pferdelosen Kutschen die Zufahrt heraufrollten, während Krum, überrascht zwar, doch nicht ohne Genugtuung, für Ron seinen Namen auf einen Fetzen Pergament schrieb.

* * *

Das Wetter auf ihrer Rückreise nach King's Cross war um Welten besser als bei ihrer Fahrt nach Hogwarts im vorigen September. Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Harry, Ron und Hermine hatten es geschafft, ein Abteil für sich zu ergattern. Pigwidgeon war wieder einmal unter Rons Festumhang verborgen, damit er nicht endlos schu-huhte; Hedwig hatte den Kopf unter einen Flügel gesteckt und war am Dösen, und Krummbein hatte sich auf einem freien Sitz eingekringelt und sah wie ein großes, rötlich gelbes Pelzkissen aus. Während der Zug sie schnell nach Süden trug, unterhielten sich die drei so ausgiebig und freimütig wie seit einer Woche nicht mehr. Harry hatte das Gefühl, Dumbledores Worte beim Abschiedsessen hätten etwas in ihm gelöst. Es war keine solche Qual mehr, darüber zu reden, was geschehen war. Sie überlegten hin und her, was Dumbledore wohl gerade unternahm, um Voldemorts Marsch aufzuhalten, und verstummten erst, als der Imbißwagen kam.

Als Hermine mit ihrem Essen ins Abteil zurückkehrte und ihren Geldbeutel wieder in die Schultasche steckte, zog sie eine Ausgabe des Tagespropheten heraus, die sie mitgenommen hatte.

Harry warf einen Blick darauf, nicht sicher, ob er wirklich wissen wollte, was sie wohl geschrieben hatten, doch Hermine folgte seinem Blick und sagte leise:»Da steht nichts drin. Du kannst selber nachsehen, aber sie bringen überhaupt nichts. Ich hab jeden Tag geschaut. Nur eine kleine Meldung am Tag nach der dritten Runde, daß du das Turnier gewonnen hättest. Cedric haben sie nicht einmal erwähnt. Nichts von der ganzen Geschichte. Wenn du mich fragst, zwingt Fudge sie dazu, Stillschweigen zu bewahren.«

»Der wird doch Rita nie zum Schweigen bringen«, sagte Harry.»Nicht, wenn es um eine solche Geschichte geht.«

»Oh, Rita hat seit der dritten Runde nichts mehr geschrieben«, sagte Hermine in merkwürdig verhaltenem Ton.»Es ist nämlich so«, fügte sie mit leisem Zittern in der Stimme hinzu,»daß Rita Kimmkorn eine ganze Weile lang gar nichts mehr schreiben wird. Außer sie will, daß ich über sie auspacke.«

»Wovon redest du überhaupt?«, sagte Ron.

»Ich hab rausgefunden, wie sie unsere privaten Gespräche belauscht hat, obwohl sie eigentlich nicht aufs Schloßgelände durfte«, kam es hastig aus Hermines Mund.

Harry hatte den Eindruck, daß Hermine ihnen das schon tagelang unbedingt hatte erzählen wollen, es sich aber wegen all der anderen Geschehnisse verkniffen hatte.

»Und wie hat sie es angestellt?«, fragte Harry rasch.

»Wie hast du es rausgefunden?«, setzte Ron hinzu und starrte sie an.

»Na ja, eigentlich warst du es, der mich auf die Idee gebracht hat, Harry«, sagte sie.

»Tatsächlich?«, entgegnete Harry verdutzt.»Wie denn?«

»Wanzen«, sagte Hermine ausgelassen.

»Aber du hast doch gesagt, sie funktionieren nicht -«

»O nein, keine elektronischen Wanzen«, sagte Hermine.»Nein, wißt ihr… Rita Kimmkorn«- in Hermines Stimme zitterte verhaltener Triumph -»ist ein nicht gemeldeter Animagus. Sie kann sich -«, Hermine zog ein kleines versiegeltes Einmachglas aus ihrer Tasche,»- in einen Käfer verwandeln.«

»Du machst Witze«, sagte Ron.»Du hast doch nicht… sie ist nicht etwa…«

»O doch, genau das ist sie«, juchzte Hermine und fuchtelte mit dem Glas vor ihren Augen herum.

Drin waren ein paar Zweige und Blätter und ein großer, fetter Käfer.

»Das ist doch nie und nimmer – du willst uns auf den Arm nehmen -«, flüsterte Ron und hob das Glas an die Augen.

»Nein, will ich nicht«, strahlte Hermine.»Ich hab sie auf der Fensterbank im Krankensaal gefangen. Schaut euch den Käfer genau an, dann seht ihr, die Muster auf ihrem Fühler sind genau die gleichen wie auf dieser bescheuerten Brille, die sie immer trägt.«

Harry nahm den Käfer unter die Lupe und stellte fest, daß sie vollkommen Recht hatte. Und jetzt fiel ihm auch etwas ein.»An dem Abend, als wir hörten, wie Hagrid Madame Maxime von seiner Mutter erzählte – da war ein Käfer auf dieser Statue!«

»Genau«, sagte Hermine.»Und Viktor hat einen Käfer aus meinen Haaren gezogen, nachdem wir am See miteinander gesprochen hatten. Und wenn ich mich nicht gewaltig irre, hockte Rita Kimmkorn genau an dem Tag bei Wahrsagen auf dem Fenstersims, als deine Narbe geschmerzt hat. Das ganze Jahr über ist sie auf der Suche nach irgendwelchen Geschichten herumgeschwirrt.«

»Als wir Malfoy unter diesem Baum gesehen haben…«, sagte Ron langsam.

»Er hat mit ihr gesprochen, sie war auf seiner Hand«, sagte Hermine.»Natürlich hat er es gewußt. So hat sie all diese netten kleinen Interviews mit den Slytherins bekommen. Denen war egal, daß sie etwas Ungesetzliches tat, solange sie ihr diese fürchterlichen Geschichten über uns und Hagrid verbraten konnten.«

Hermine nahm das Glas aus Rons Hand und sah lächelnd zu, wie der Käfer zornig gegen das Glas brummte.

»Ich hab ihr gesagt, ich laß sie raus, wenn wir in London sind«, sagte sie.»Das Glas hab ich unzerbrechlich gehext, deshalb kann sie sich nicht verwandeln. Und ich hab ihr gesagt, sie solle ihre flotte Feder ein Jahr lang stecken lassen. Mal sehen, ob sie von dieser Gewohnheit runterkommt, schreckliche Lügen über die Leute zu verbreiten.«

Erhaben lächelnd steckte Hermine das Glas zurück in ihre Schultasche.

Die Abteiltür glitt auf.

»Oberschlau, Granger«, sagte Draco Malfoy.

Crabbe und Goyle standen hinter ihm. Alle drei sahen selbstzufriedener, arroganter und bedrohlicher aus, als Harry sie je erlebt hatte.

»Schön«, sagte Malfoy langsam, tat einen Schritt ins Abteil und sah sie mit hämisch gekräuselten Lippen an.»Ihr habt eine erbärmliche Reporterin gefangen, und Potter ist wieder mal Dumbledores Liebling. Ganz toll.«

Sein Grinsen verbreiterte sich. Crabbe und Goyle standen da und schielten.

»Wollt euch ein wenig ablenken, oder?«, sagte Malfoy leise und sah alle drei abwechselnd an.»Versucht so zu tun, als ob es nicht passiert wäre?«

»Raus hier«, sagte Harry.

Er war nicht mehr in Malfoys Nähe gewesen, seit er beobachtet hatte, wie er während Dumbledores Rede mit Crabbe und Goyle getuschelt hatte. Ihm war, als klingelte ihm etwas in den Ohren. Unter dem Umhang packte er seinen Zauberstab.

»Du hast dich für die Verlierer entschieden, Potter! Ich hab dich gewarnt! Ich hab dir gesagt, du solltest besser darauf achten, mit wem du dich abgibst. Erinnerst du dich? Als wir uns im Zug trafen, auf der ersten Fahrt nach Hogwarts? Ich hab dir gesagt, du sollst dich nicht mit so einem Pack abgeben!«Sein Kopf zuckte in Richtung Ron und Hermine.»Zu spät, Potter! Die sind die Ersten, die verschwinden, jetzt, wo der dunkle Lord zurück ist! Schlammblüter und Muggelfreunde zuerst! Und – zweitens – Diggory war der ver-«

Es war, als würde eine Kiste Feuerwerkskracher im Abteil explodieren. Geblendet von gleißenden Flüchen aus allen Richtungen, betäubt von einer Serie lauter Schläge, sah Harry blinzelnd zu Boden.

Malfoy, Crabbe und Goyle lagen bewußtlos da, halb auf dem Gang, halb im Abteil. Harry, Ron und Hermine waren aufgesprungen, und alle drei hatten sie verschiedene Flüche losgelassen. Und sie waren nicht die Einzigen.

»Dachten, wir schauen mal nach, was diese drei so vorhaben«, sagte Fred lässig und stieg über Goyle hinweg ins Abteil. Er hatte den Zauberstab gezückt, wie auch George, der mit großer Umsicht auf Malfoy trat, als er Fred folgte.

»Interessante Wirkung«, sagte George und sah auf Crabbe hinunter.»Wer hat den Furunkulus-Fluch genommen?«

»Ich«, sagte Harry.

»Seltsam«, schmunzelte George.»Ich hab Wabbelbein genommen. Sieht aus, als sollte man die beiden nicht mischen. Dem sprießen ja kleine Tentakel aus dem Gesicht. Und hört mal, wir wollen sie nicht hier drinlassen, die passen doch nicht zum Ambiente.«

Ron, Harry und George kickten, schoben und wälzten Malfoy, Crabbe und Goyle – der Fluchwirrwarr hatte ihrem Teint gar nicht gut getan – hinaus auf den Gang, kehrten zurück ins Abteil und schoben die Tür zu.

»Jemand Lust auf Snape explodiert?«, fragte Fred und zog einen Packen Spielkarten aus der Tasche.

Sie waren mitten im fünften Spiel, als Harry beschloß, die beiden zu fragen.

»Wie steht's, George, rückst du endlich mit der Sprache raus?«, sagte er.»Wen habt ihr erpreßt?«

»Ooh«, murmelte George.»Das.«

»Vergiß es«, sagte Fred und schüttelte ungeduldig den Kopf.»Es war nichts Wichtiges. Vielleicht später mal.«

»Wir haben's ohnehin aufgegeben«, sagte George achselzuckend.

Doch Harry, Ron und Hermine ließen nicht locker und endlich meinte Fred:

»Schon gut, schon gut, wenn ihr's unbedingt wissen wollt… es war Ludo Bagman.«

»Bagman?«, sagte Harry überrascht.»Willst du sagen, er hatte mit -«

»Nöh«, sagte George mit umwölkter Miene.»Damit hatte er nichts zu tun. Ist 'n Dummbeutel. Hätte nicht den Grips dazu gehabt.«

»Na und, um was ging's dann?«, fragte Ron.

Fred zögerte, dann sagte er:»Ihr wißt doch noch, daß wir bei ihm eine Wette plaziert hatten, bei der Quidditch-Weltmeisterschaft? Daß Irland gewinnen, aber Krum den Schnatz fangen würde?«

»Jaah«, sagten Harry und Ron langsam.

»Na ja, der Schlaumeier hat uns mit dem Leprechan-Gold bezahlt, das diese irischen Maskottchen vor dem Spiel runterregnen ließen.«

»Und?«

»Und?«, sagte Fred ungeduldig.»Es hat sich natürlich aufgelöst! Am nächsten Morgen war es weg!«

»Aber – das muß doch ein Versehen gewesen sein?«, warf Hermine ein.

George lachte bitter.»Ja, das haben wir zuerst auch geglaubt. Wir dachten, wenn wir ihm einfach schreiben, daß er einen Fehler gemacht hat, würde er die Kohle rausrücken. Aber denkste. Hat unseren Brief einfach ignoriert. In Hogwarts dann haben wir andauernd versucht mit ihm zu reden, aber er hat immer irgendeine Ausrede gefunden, um uns zu entwischen.«

»Schließlich ist er ziemlich fies geworden«, sagte Fred.»Meinte, wir seien zu jung zum Spielen, und er würde uns überhaupt nichts geben.«

»Also haben wir unser Geld eben zurückverlangt«, sagte George mit finsterem Blick.

»Er hat doch nicht etwa abgelehnt!«, keuchte Hermine.

»Volltreffer«, sagte Fred.

»Aber das waren eure ganzen Ersparnisse!«, rief Ron.

»Wem sagst du das«, erwiderte George.»Natürlich haben wir irgendwann rausgefunden, was eigentlich los war. Auch Lee Jordans Vater hatte einige Schwierigkeiten, sein Geld von Bagman zu kriegen. Wie sich rausgestellt hat, hat er großen Ärger mit den Kobolden. Hat sich Unmengen Gold von ihnen geliehen. Eine Bande von denen ist ihm nach der Weltmeisterschaft im Wald auf die Pelle gerückt und hat ihm alles Gold abgenommen, das er bei sich hatte, und es war immer noch nicht genug, um die Schulden zu begleichen. Dann sind sie ihm bis nach Hogwarts gefolgt, um ihn im Auge zu behalten. Er hat alles beim Glücksspiel verloren. Kann sich nicht mal mehr 'ne Tasse Tee leisten. Und wißt ihr, wie der Idiot die Kobolde bezahlen wollte?«

»Wie?«, sagte Harry.

»Er hat auf dich gewettet, Alter«, sagte Fred.»Hat 'nen großen Betrag darauf gesetzt, daß du das Turnier gewinnst. Und die Kobolde haben dagegengehalten.«

»Darum also wollte er mir ständig gewinnen helfen!«, sagte Harry.»Aber – ich hab doch gewonnen. Also kann er euch das Gold zurückzahlen!«

»Von wegen«, sagte George kopfschüttelnd.»Die Kobolde spielen genauso 'n dreckiges Spiel wie er. Die sagen jetzt, du hättest dir den ersten Platz mit Diggory geteilt, und Bagman hat ja gewettet, daß du allein gewinnst. Also mußte Bagman abhauen. Und das hat er gleich nach der dritten Runde getan.«

George seufzte tief und begann die Karten neu auszuteilen.

Die restliche Reise war ein wahres Vergnügen; Harry wünschte sich sogar, sie würde den ganzen Sommer dauern, ohne daß sie je in King's Cross ankämen… doch wie er dieses Jahr auf die harte Tour hatte lernen müssen, verlangsamt sich der Lauf der Zeit nicht, wenn etwas Unangenehmes auf einen zukommt, und allzu schnell war es so weit und der Hogwarts-Express lief auf Gleis neundreiviertel ein. Wie üblich machte sich beim Aussteigen ein lärmiges Durcheinander auf den Gängen breit. Ron und Hermine kämpften sich mit ihren schweren Koffern an Malfoy, Crabbe und Goyle vorbei.

Harry jedoch blieb sitzen.»Fred – George – einen Moment noch.«

Die Zwillinge kamen zurück. Harry öffnete den Koffer und holte seinen Trimagischen Gewinn hervor.

»Für euch«, sagte er und drückte George den Goldbeutel in die Hand.

»Wie bitte?«Fred war völlig perplex.

»Für euch«, wiederholte Harry bestimmt.»Ich will es nicht.«

»Du bist verrückt geworden«, sagte George und versuchte den Beutel Harry wieder aufzudrängen.

»Nein, bin ich nicht«, sagte Harry.»Nehmt das Gold und macht euch ans Erfinden. Es ist für den Scherzladen.«

»Er ist tatsächlich verrückt geworden«, sagte Fred mit beinahe furchtsamer Stimme.

»Hört zu«, sagte Harry entschlossen.»Wenn ihr's nicht nehmt, werf ich's in den Gully. Ich will es nicht und ich brauch es nicht. Aber ich könnte ein paar Lacher vertragen. Wir alle könnten ein paar Lacher vertragen. Und ich hab da so 'ne Ahnung, daß wir sie bald mehr als sonst brauchen werden.«

»Harry«, sagte George matt und wog den Geldsack in den Händen,»dadrin müssen mindestens tausend Galleonen sein.«

»Jaah«, grinste Harry.»Überlegt mal, wie viel Kanarien-krem das gibt.«

Die Zwillinge starrten ihn an.

»Aber sagt eurer Mum nicht, woher ihr es habt… obwohl, wenn man's bedenkt, sie ist jetzt sicher nicht mehr so scharf darauf, daß ihr im Ministerium anfangt…«

»Harry«, setzte Fred an, doch Harry zückte seinen Zauberstab.

»Paßt auf«, sagte er kurz angebunden,»nehmt es oder ich jag euch einen Fluch auf den Hals. Ich kenn inzwischen ein paar gute. Aber tut mir einen Gefallen, ja? Kauft Ron einen anderen Festumhang und sagt, er sei von euch.«

Er verließ das Abteil, bevor sie den Mund aufmachen konnten, und stieg über Malfoy, Crabbe und Goyle hinweg, die immer noch mit Fluchmalen überwuchert auf dem Gang lagen.

Onkel Vernon wartete auf der anderen Seite der Absperrung. Mrs Weasley stand ganz in seiner Nähe. Sie kam Harry entgegen, umarmte ihn herzlich und flüsterte ihm ins Ohr:»Ich glaube, Dumbledore läßt dich später im Sommer zu uns kommen. Laß was von dir hören, Harry.«

»Bis dann, Harry«, sagte Ron und gab ihm einen Klaps auf den Rücken.

»Ciao, Harry!«, sagte Hermine und tat etwas, das sie noch nie getan hatte: Sie küßte ihn auf die Wange.

»Harry – danke«, murmelte George, und Fred an seiner Seite nickte eifrig.

Harry zwinkerte ihnen zu, wandte sich zu Onkel Vernon um und folgte ihm schweigend aus dem Bahnhof. Noch hat es keinen Sinn, sich Sorgen zu machen, dachte er, als er hinten in den Wagen der Dursleys stieg. Wie Hagrid gesagt hatte, was kommen mußte, würde kommen… und wenn es da war, würde er den Kampf aufnehmen müssen.

Wie heißt die vierte Buchreihe von Harry Potter?

Harry Potter und der Feuerkelch (Originaltitel: Harry Potter and the Goblet of Fire) ist der vierte Band der Harry-Potter-Buchreihe von Joanne K. Rowling. Die englische Ausgabe erschien am 8.

Wie heißt das Buch von Harry Potter und der Feuerkelch?

Harry Potter und der Feuerkelch (im Original: Harry Potter and the Goblet of Fire) ist der Titel von Band 4 der Harry-Potter-Romanserie. Die Originalausgabe des bereits weltweit von Millionen von Fans ungeduldig erwarteten Buches erschien am 8. Juli 2000 im Bloomsbury Verlag.

Welche Flüche gibt es in Hogwarts?

Er war früher ein erfolgreicher Auror, gilt als absoluter Gegner Voldemorts und kommt auf Bitten Dumbledores nach Hogwarts. Mad-Eye erklärt den Schülern in seiner ersten Unterrichtsstunde die drei sogenannten „Unverzeihlichen Flüche“, darunter der „Avada Kedavra“ -Fluch, der das Opfer tötet und für den es keinen Gegenfluch gibt.

Was passiert mit dem Niffler?

Dem Niffler gelingt es zweimal im Dezember 1926 in New York, aus dem Koffer zu entkommen. Der Ausreißer stiftet zunächst Chaos in einer Bank. Nach seinem zweiten Ausbruch findet Newt den Niffler in einem Juweliergeschäft und kann ihn dort wieder einfangen.

Sind Draco Malfoy und Pansy Parkinson zusammen?

Pansy baute sich im Laufe der Schulzeit eine Art Liebesbeziehung zu Draco Malfoy auf, doch diese könnte zum Schluss vernichtet worden sein, da sie Harry, der Malfoy das Leben gerettet hatte, ausliefern wollte.

Welches Sternzeichen ist Pansy Parkinson?

Genevieve Gaunt.

Kann Dumbledore in die Zukunft sehen?

Weil der in die Zukunft sehen kann, darf keiner der Widerstandskämpfer:innen wissen, wie der komplette Plan aussieht. Angeblich. Eigentlich muss man aber nur einmal in Dumbledores schelmisch blitzende Augen blicken, um zu wissen: Der Großteil der Missionen erfüllt keinen erkennbaren Zweck.

Wer ist die Freundin von Draco Malfoy?

Er heiratete dann Astoria Greengrass, die jüngere Schwester seiner Mitschülerin Daphne Greengrass. Die beiden bekamen einen gemeinsamen Sohn, den sie Scorpius Hyperion Malfoy nannten.