Janina Urban Show
Im Angesicht der Klimakrise und der Fridays-for-Future-Proteste hat das Netzwerk Plurale Ökonomik unter #Economists4Future dazu aufgerufen, Impulse für neues ökonomisches Denken zu setzen und bislang wenig beachtete Aspekte der Klimaschutzdebatte in den Fokus zu rücken. Dabei geht es beispielsweise um den Umgang mit Unsicherheiten und Komplexität sowie um Existenzgrundlagen und soziale Konflikte. Außerdem werden vielfältige Wege hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise diskutiert – unter anderem Konzepte eines europäischen Green New Deals oder Ansätze einer Postwachstumsökonomie. Hier finden Sie alle Beiträge, die im Rahmen der Serie erschienen sind. Erfahre mehr Offener Brief Spenden Ein echter Green New Deal sollte auch die Demokratie stärkenJanina Urban Erstveröffentlichung im Makronom Bei der Klimafrage müssen nicht nur ökologische, sondern auch gesellschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Denn ein dauerhaftes Makromanagement, das die Natur zwar preislich abbilden kann, dessen Richtungsbestimmung aber privatisiert bleibt, wird weder das Klima noch die Demokratie retten. Man darf wohl behaupten, dass die Idee eines „Green New Deal“, also einer Investitionsoffensive, die den ökologischen Umbau der Wirtschaft zum Ziel hat, lange Zeit vor allem vom progressiven Spektrum vorangetrieben wurde. Doch je wärmer das Weltklima wird, desto mehr können sich offenbar auch eher konservative Wähler*innen und Parteien für diese Idee erwärmen. Der Green Deal der EU-KommissionUrsula von der Leyen präsentierte in ihrer Antrittsrede mit dem „Green Deal” eine große Zahl und einige Regulierungsvorstöße: Eine Billion Euro soll in den kommenden zehn Jahren in den ökologischen Umbau fließen, die Emissionsfreiheit bis 2050 erreicht, der Flugverkehr höher besteuert und Importe an der Grenze der EU nach ihren Emissionen belastet werden (die sogenannte CO2- Grenzsteuer). Die eine Billion Euro soll wiederum nicht aus Steuern finanziert werden, sondern über die sich im öffentlichen Besitz befindliche Europäische Investitionsbank (EIB), die Kredite vergeben und Anlagemöglichkeiten schaffen soll. Der Grundgedanke hinter dieser Finanzierungsvariante ist, dass Unternehmen und öffentliche Träger durch ihre Kreditaufnahme neue, umweltfreundlichere Infrastrukturen schaffen sowie alte überholen können, was ihnen ohne die Kredite nicht in diesem Maße möglich wäre. So ließe sich auch vermeiden, dass die Privatwirtschaft nicht einfach nur eine günstigere Finanzierung erhält, als dies bei einer normalen Finanzierung über Geschäftsbanken der Fall wäre (Crowding Out) – jedenfalls unter der Voraussetzung, dass ihre Investitionen einem umweltfreundlichen und gegebenenfalls auch demokratiefördernden Zweck dienen und das Ganze in einen längerfristigen politischen Plan eingefasst ist. Mit diesen Investitionen könnten also neue Standards gesetzt und Regulierungen getestet werden. Der Investitionsplan zielt zudem darauf an, Finanzmittel anders und gesellschaftsdienlicher zu kanalisieren. So kritisieren nicht wenige Ökonom*innen, dass der Finanzsektor momentan dazu beiträgt, dass in bestimmte wenig nachhaltige Bereiche investiert wird und dort die Preise nach oben getrieben werden, z. B. im Wohnungssektors, den fossilen Energien und der Rüstung. In all diesen Bereichen hat diese Spekulation negative Auswirkungen: teils drastisch steigende Mieten, an fossilen Energieträgern wird festgehalten oder internationalen Konflikte befördert, während das Geld für eine zielstrebige und sozial gerechte Klimapolitik fehlt. Ist der vorgeschlagene Green Deal der Kommission nun wirklich ein Plan, bei dem alle gewinnen? Dazu müssen wir auf die aktuelle
sozial-ökologische Bilanz der Europäischen Union schauen. In der EU beträgt der durchschnittliche CO2-Ausstoß pro Kopf 8,7 Tonnen (Deutschland liegt mit 11,4 Tonnen an der Spitze dieses Rankings). Der durchschnittliche Anteil Erneuerbarer Energien liegt bei 17%, variiert aber stark: von 6% in den Niederlanden und 9% in Großbritannien bis hin zu 54% in Schweden und 37% in Finnland. Deutschland liegt mit 15% im hinteren Feld.* Um die angestrebte Emissionsfreiheit im Jahr 2050 zu erreichen, müssten die aktuellen CO2-Reduktionspläne in der simpelsten Rechnung eine Verdreifachung der Anstrengungen beinhalten und die Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren beibehalten werden – allerdings verläuft ein solcher Umbau nicht linear, sondern erfordert an vielen Stellen eine völlig neue Infrastruktur an Netzen, Speichermöglichkeiten, Steuerung etc. Dabei sind letztere nicht nur technische Fragen, sondern könnten beispielsweise die Erkrankungsrate durch Luftverschmutzung deutlich senken oder die Akzeptanz von Erneuerbaren durch Formen der ökonomischen und politischen Beteiligung erhöhen. Während die Regierungen bei der Emissionsfreiheit und dem Anteil der Erneuerbaren auf das Jahr 2050 bestehen, drängen Fridays for Future und internationale Organisationen in Anbetracht der schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels auf das Zieljahr 2035. Hieraus sollte deutlich werden, was nun die von von der Leyen vorgeschlagene eine Billion Euro auf zehn Jahre bewirken würde: gerade einmal 0,63% des Bruttoinlandsprodukts jährlich würde in den ökologischen Umbau investiert. Dies klingt wiederum nicht nach einem Green New Deal, der diesen Namen verdient hätte. Große Pläne in Zeiten des Rechtspopulismus„Wir machen nichts Ideologisches, wir machen etwas, für das es massive Evidenzen gibt.“ Diese Aussage von Bundeskanzlerin Angela
Merkel bei der Präsentation des deutschen Klimapaktes am 20. September sorgte für Aufsehen, während der Pakt in weiten Teilen der Bevölkerung große Enttäuschung auslöste – nicht wenige hatten den Eindruck, dass sich die Regierung eher an den von Rechtspopulisten geschürten Ängsten als an den Forderungen von Millionen von Demonstranten orientiert hatte.
Mounk erklärt das aktuelle Dilemma der liberalen Demokratie damit, dass sie auf einem Kompromiss beruht, der die Interessen des Volkes eher bändigen als vertreten soll, und dass die Demokratie sich in den letzten Jahrzehnten kaum weiterentwickelt hat, um die Veränderungen in der Wirtschaft und die gestiegene Mobilität der Menschen abzubilden –
wir leben zwar in multiethnischen Gesellschaften und können überall arbeiten, aber nur schwerlich überall demokratisch mitbestimmen. Zentralbanken, Gerichte und internationale Verträge haben an Bedeutung gegenüber nationalen Parlamenten gewonnen, während Parlamentsentscheiden wie im Falle Griechenlands in der Eurokrise nicht gefolgt oder die Einschränkung von Grundrechten in Ungarn nicht geahndet werden. #NotAnotherJuncker – ein anderer Green New Deal ist möglichDer von Ursula von der Leyen verkündete Green Deal würde wohl nicht mit solch gesteigerten Erwartungen diskutiert werden, wenn er nicht in die Zeit größerer sozialer Bewegungen und der Bilanz des vorherigen europäischen Investitionsprogramms, dem „Juncker-Plan“, fallen würde. Der Juncker-Plan wurde 2015 mit der Motivation gestartet, den Investitionsstau infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU abzumildern. Nach heutigem Stand (September 2019) wurden 433 Milliarden Euro über die Europäische Investitionsbank mobilisiert und faktisch 80 Milliarden Euro an Förderungen und Garantien ausgegeben. 30% der Kredite wurde von kleinen und mittelständischen Unternehmen sowie Aktiengesellschaften mit mittelhohem Börsenwert genutzt, 26% gingen in Forschung und Entwicklung, 18% in den Energiesektor, 7% in den Transport und 4% in Umwelt- und Ressourceneffizienz. Der Juncker-Plan hatte wenige Elemente, die mit einer Veränderung der bisherigen Marktregeln experimentieren, um bessere ökologische und soziale Ergebnisse zu befördern. Das Crowding Out wird dabei auf ein ganzes Drittel der Investitionen geschätzt. Die Investitionssumme des geplanten Green Deals kann hierdurch wiederum ins Verhältnis gesetzt werden: Er entspricht der Höhe der mobilisierten Ressourcen des Juncker-Plans auf eine Laufzeit von zehn Jahren. Dass die Klimakrise die Menschheit vor bisher ungekannte Herausforderungen stellt, hat der Idee Schubkraft verliehen, dass das Ausprobieren und Verändern von unterschiedlichen institutionellen Designs erforderlich ist. Eine Allianz zivilgesellschaftlicher Akteure, darunter unter anderem Democracy in Europe Movement 2025, European Alternatives und die New Economics Foundation, wirbt daher für einen Green New Deal for Europe. Dieser setzt ebenfalls auf die Mobilisierung von Investitionen über die EIB. Angestrebt wird jedoch ein deutlich höheres Volumen von 5% des BIP der EU (800 Milliarden Euro) pro Jahr. Zudem soll es eine Absicherung über die Europäische Zentralbank geben, um unter anderem sichere Anleihen für die Rentenversicherungen emittieren zu können. Der wesentliche Unterschied zwischen den Vorschlägen liegt aber in der Art und Weise, wie über die Vergabe und Nutzung der Investitionen abgestimmt werden soll. Der alternative Green New Deal sieht die Maßgabe als ausschlaggebend an, dass mit dem Investitionsschub neue Wege der Mitbestimmung und der Förderung nachhaltiger Unternehmens- und öffentlichen Trägerstrukturen gefunden werden können. Neben einer Reihe finanzmarktpolitischer Steuerungselemente, die auch eine Des-Investition aus den fossilen und braunen Energiebereichen vorsehen, wird in Anlehnung an Roosevelts New Deal die Einrichtung einer Green Public Works vorgeschlagen. Diese öffentliche Einrichtung soll auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene gegründet werden, um Projekte für sinnvolle Investitionen auszumachen. Mit besonderen Kreditlinien soll dann erprobt werden, wie Investitionsentscheidungen auf kommunaler Ebene ausgehandelt und die Antragsverfahren so vereinfacht werden können, dass allen Bürger*innen der Zugang möglich wird. Die kommunale, regionale und nationale Politik soll sich dazu verpflichten können, Leitlinien der demokratischen, transparenten und nachhaltigen Praxis zu
unterzeichnen und umzusetzen, während eine europaweite Plattform für den Austausch von Bürger*innen und Kommunen geschaffen wird. Neben diesen neuen Formen der Entscheidungsfindung zielt der Plan darauf ab, Unternehmensformen wie etwa Genossenschaften oder public-commons partnerships sowie Unternehmen mit einer konsequenten Mitarbeiterbeteiligung zu fördern. Als Alternative zum Energiebinnenmarkt bringt der Green New Deal for Europe die Einrichtung einer Umweltunion ins Spiel. Dieser Rahmen soll das vordergründige Wettbewerbsparadigma ablösen, welches aktuell vorteilig für große Konzerne ist, und vermehrt regionale Wirtschaftsstrukturen fördern. Dies gilt sowohl für den Bereich der Energiegewinnung als auch für die Agrarwirtschaft. Der Deal schlägt vor, durch die Erklärung des Klima- und Umweltnotstands die bestehenden und sich in Arbeit befindlichen europäischen Gesetze auf Nachhaltigkeit zu überprüfen. Anstelle eines Emissionshandels, der aktuell auf der europäischen Ebene geringe Erfolge erzielt, soll eine Malus- und Bonusregelung in einer ersten Testschleife auf bessere Wirksamkeit überprüft werden. Finanzmarktpolitische Steuerungen, wie sie etwa Claudia Kemfert vorschlägt, sollen ebenfalls zum Einsatz kommen. Zuletzt soll eine zivilgesellschaftlich breit besetzte Kommission für Umweltgerechtigkeit die Umsetzung des Deals überprüfen. ResümeeEine Binsenweisheit besagt, dass man nicht auf die gleiche Art und Weise aus einer Krise herauskommt, wie man in sie hinein geraten ist. Die Art und Weise, wie man aktuell politisch auf die Forderungen der Klimabewegungen reagiert, scheint jedoch der Versuch zu sein, mit den gleichen, alten Rezepten den berechtigten Unmut der Bürger*innen zu besänftigen. So läuft auch der Green Deal der neuen EU-Kommission Gefahr, die soziale Komponente zu vernachlässigen. Einen Green New Deal in einem Umfeld auszurufen, in dem Manche die Forderung nach mehr Demokratie für den Ausschluss bestimmter Gruppen nutzen, bedeutet auch, Formen demokratischer Mitbestimmung und Grundrechte zu stärken anstatt diese abzubauen (z.B. durch Polizeigesetze, Verstoße gegen das Seenotrettungsgebot, Ausweisung Asylberechtigter oder Beibehaltung und bestimmte Auslegung der Abtreibungsparagraphen). In Bezug auf den Green New Deal for Europe, wie ihn die obigen Initiativen vorschlagen, bedeutet dies, dass das aktuelle Möglichkeitsfenster – so klein es auch sein mag – konsequent für die Bestimmung demokratischer und wirtschaftlicher Formen genutzt werden muss. Denn ein dauerhaftes Makromanagement, das die Natur zwar preislich abbilden kann, dessen Richtungsbestimmung aber privatisiert bleibt, wird voraussichtlich weder das Klima noch die aktuelle unfertige Demokratie retten. Dieser politischen Rahmung sollten sich gerade auch Ökonom*innen bewusst werden. Zur Autorin: Schlagwörter: Keine Schlagwörter zugeordnet. |