Wie schnell ändert sich der harnsäurewert

Von Maria Pues und Annette Mende / Wer meint, Gicht bekommen nur beleibte ältere Herren und dann auch nur im Winter, der irrt. Auch ein gemütlicher Grillabend kann einen Gichtanfall auslösen. In den USA gibt es ein neues Medikament für Gicht­patienten, die auf die Standardtherapeutika nicht ansprechen.

Jahre bis Jahrzehnte kann es dauern, bis sich langsam, aber stetig steigende Harnsäurewerte im Blut als akuter Gichtanfall bemerkbar machen. Man nennt diese Phase Prägicht oder asymp­tomatische Hyperurikämie. Defini­tionsgemäß liegt dabei der Harnsäurespiegel über einer Grenze von 6,4 mg/dl (380 µmol/l). Sogar bis zu einem Wert von 7 mg/dl stellt sich nur selten ein Gichtanfall ein. Das ändert sich schlagartig, wenn der Wert 8 mg/dl übersteigt. Dann muss fast die Hälfte der bislang symptomlos Betroffenen mit einem akuten Gichtanfall rechnen.

Wie schnell ändert sich der harnsäurewert

Ein Grillabend mit großen Mengen Fleisch und Bier kann für Gicht­patienten schmerzhafte Folgen haben.

Foto: imago/Weiss

Männer trifft es rund zehnmal häufiger als Frauen, die oft erst nach der Menopause eine Hyperurikämie entwickeln. Auch vor dem Hintergrund der meist sehr langen symptomlosen Phase verwundert es nicht, dass der »typische Gichtpatient« dem Bild des wohlgenährten älteren Herren entspricht. Der Manifestationsgipfel liegt in der Altersspanne von 40 bis 60 Jahren. Dass mit einer Verjüngung der Patienten zu rechnen ist, darf nachdenklich stimmen. Auch ist es nicht immer ein Großzehgelenk, an dem mangels wärmender Decke zur Nacht das Löslichkeitsprodukt der Harnsäure überschritten wird – mit bekannten Folgen. Vor allem während der warmen Jahreszeit verdienen Patienten mit dem Wunsch nach Wärmesalben und -pflastern wegen schmerzender Schultern, Ellbogen oder Knie einen besonders prüfenden Blick. Heimwerker? Fußball gespielt? Fehlanzeige. Der Patient kann sich die Beschwerden beim besten Willen nicht erklären. Er habe nichts anders gemacht als sonst.

Gichtanfall nach Grillparty

Bierkasten zum Grillplatz getragen, gemütlich war’s und spät – diese Antwort lenkt den Blick gleich auf mehrere Risikofaktoren für eine Erhöhung der Harnsäurewerte. Zwar liegt einer Hyperurikämie fast immer eine genetische bedingte Verminderung der Harnsäureausscheidung zugrunde. Diese hat jedoch meist nur durch ein Übermaß an »Wohllebe« Folgen. Eine Grillparty erhöht die Harnsäurewerte über verschiedene Mechanismen. Durch die enterale Resorption von Purinen aus Bratwurst und (Bier-)Hefe erhöht sich der Harnsäurespiegel direkt. Purine werden enzymatisch über die Zwischenstufen Hypoxanthin und Xanthin in Harnsäure umgewandelt. Gleichzeitig vermindert der Alkohol die genetisch ohnehin schon reduzierte renale Ausscheidung. Aber auch, wer auf das Kotelett verzichtet und lieber Cuba Libre trinkt, kommt nicht besser weg. Denn auch Fruchtzucker in größeren Mengen, wie er beispielsweise zum Süßen von Softdrinks verwendet wird, vermehrt die Harnsäure im Blut. Eine kühle Abendbrise kann sie dann zum Kristallisieren bringen. Dies geschieht nicht immer im Großzehgrundgelenk, sondern auch in besagten Schultern, Ellbogen oder Knien.

Häufig kann man mit einigen Änderungen der Lebensgewohnheiten eine effektive Senkung der Harnsäurewerte erreichen (siehe Kasten). Gelingt dies nicht oder nicht in ausreichendem Maße, kommen Arzneimittel zum Einsatz. Diese greifen an verschiedenen Punkten an. Das Urikostatikum und Mittel der Wahl Allopurinol vermindert durch Hemmung des Enzyms Xanthinoxidase den Umbau der Purine zu Harnsäure. Da es selbst Gichtanfälle hervorrufen kann, sollte eine Behandlung erst ein bis zwei Wochen nach einem akuten Anfall einsetzen. So erklärt sich auch das scheinbare Paradox, mit umso niedrigeren Dosierungen zu beginnen, je höher die Harnsäurewerte im Blut sind.

Tipps zur Vermeidung von Gichtanfällen

Eine purinarme Ernährung mit wenig Fleisch und Innereien vermindert die Menge an Harnsäure, die der Körper entsorgen muss.

Auch Getränke mit fruchtzuckerhaltigen Süßungsmitteln sollten die Patienten vermeiden.

Trinken sollten sie viel, dabei aber auf Alkoholisches verzichten. Wasser erhöht die Diurese und damit die Ausscheidung von Harnsäure.

Bier erhöht die Harnsäurewerte auf zweierlei Weise: Purine aus der Bierhefe erhöhen die Harnsäure­bildung, Alkohol senkt die renale Harnsäuresekretion.

Gichtpatienten sollten ihr Gewicht kontrollieren, aber keine Radikalkuren machen. Fasten kann die Harnsäurespiegel erhöhen.

Benzbromaron und Probenecid wirken als Urikosurika. Sie hemmen die tubuläre Rückresorption und erhöhen damit die Harnsäure-Ausscheidung. Als Reservemedikament für den akuten Gichtanfall steht Colchicin zur Verfügung. Es vermindert die Freisetzung lysosomaler Entzündungsmediatoren, indem es die Mitose und die Phagozytoseaktivität der Leukozyten hemmt. Allerdings lindert es nur die akuten Symptome und senkt nicht die erhöhten Harnsäurewerte, die somit einer gesonderten Behandlung bedürfen.

Neues Mittel in den USA

Gichtpatienten, die auf die Standardtherapeutika nicht ansprechen oder sie nicht vertragen, können von einer Behandlung mit dem rekombinanten modifizierten Enzym Pegloticase profitieren. In einer Studie, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal »JAMA« veröffentlichten wurden, senkte Pegloticase bei bis zu 42 Prozent der behandelten Patienten den Harnsäurespiegel von mindestens 8 mg/dl auf unter 6 mg/dl. Pegloticase ist in den USA seit September 2010 unter dem Handelsnamen KrystexxaTM zugelassen. Der Hersteller Savient Pharmaceuticals finanzierte die vorliegende Studie.

Wie schnell ändert sich der harnsäurewert

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Pegloticase ist eine pegylierte Form der Uricase. Dieses Enzym wandelt Harnsäure in das leicht wasserlösliche Allantoin um. Allerdings kann der Mensch es nicht selbst synthetisieren, und gegen rekombinant hergestellte Uricase (Rasburicase) bilden sich innerhalb kurzer Zeit Antikörper. Daher ist sie für eine Langzeitanwendung bei chronischer Gicht nicht geeignet. Die Pegylierung zu Pegloticase verlängert die Halbwertszeit des Enzyms auf zehn bis zwölf Tage, wodurch eine Therapie im Zweiwochenintervall möglich wird. Darüber hinaus dient sie dazu, das Molekül zu maskieren und so die rasche Bildung von Antikörpern zu verhindern.

In der aktuellen Studie zeigte sich jedoch, dass fast 90 Prozent der mit Pegloticase behandelten Patienten (134 von 150) gegen den Wirkstoff Antikörper bildeten. Allergische Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion bis hin zum anaphylaktischen Schock waren daher auch der häufigste Grund für einen Abbruch der Therapie. Daneben kam es bei Patienten mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems unter Pegloticase zu kardiovaskulären Ereignissen und sogar vier Todesfällen. Auch unter Placebo starben drei Patienten. Die Autoren empfehlen eine antiallergische Prämedikation mit Glucocorticoiden vor jeder Pegloticase-Infusion. Außerdem sollten Patienten mit kardiovaskulären Risikofaktoren besonders eng überwacht werden.

Die Patienten erhielten im Rahmen der Untersuchung entweder alle zwei Wochen oder monatlich 8 mg Pegloticase oder Placebo. Innerhalb von 24 Stunden nach der ersten Infusion normalisierten sich die Harnsäurespiegel aller mit Verum behandelten Patienten. Sie blieben aber nur bei 42 Prozent unter zweiwöchentlicher und bei 35 Prozent unter monatlicher Pegloticase-Gabe sechs Monate lang unter 6 mg/dl. Bei keinem der mit Placebo behandelten Patienten sanken die Harnsäurespiegel unter diese Marke.

Trotz der Risiken sieht Seniorautor Michael A. Becker von der Universität von Chicago in der Behandlung mit Pegloticase einen signifikanten Fortschritt für Gichtpatienten, die auf die Standardtherapie mit Harnsäure-senkenden Medikamenten nicht ansprechen oder sie nicht vertragen. Im Durchschnitt sind das etwa 3 Prozent aller Gichtpatienten. Weitere Forschung ist nötig, um die optimale Therapiedauer zu ermitteln und die Ansprechrate zu erhöhen. / 

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Wie gefährlich ist Harnsäure?

Durch das Ausscheiden von Harnsäure wird der Harnsäure-Spiegel ausgeglichen. Ist jedoch die Harnsäurekonzentration zu hoch, ist das schädlich und kann sich in kristalliner Form im Körper an Gelenken absetzen. Gicht und Nierensteine sind dann die Folge.

Was sind die Ursachen für erhöhte Werte von Harnsäure imblut?

Dies sind Bestandteile der DNA (Desoxyribonukleinsäure) und RNA (Ribonukleinsäure), den Trägern der Erbsubstanz. Erhöhte Werte von Harnsäure im Blut können auf eine Nierenerkrankung hinweisen oder treten im Zusammenhang mit Gicht auf. Was ist Harnsäure? Welche Bedeutung hat Harnsäure? Wann ist Harnsäure erhöht? Wann ist die Harnsäure erniedrigt?

Wie kann man die Harnsäure reduzieren?

Der Medizin stehen einige Medikamente zur Verfügung, um die Harnsäure zu reduzieren. Nicht jeder erhöhte Harnsäurewert im Blut muss dabei mit Tabletten behandelt werden. Dies kann am besten der*die Hausarzt*Hausärztin beurteilen. Die Medikamente werden normalerweise in der Prophylaxe für Gicht angewendet.

Was ist die Ursachen für veränderte Harnsäurewerte?

Ist die Einnahme von Medikamenten die Ursache für veränderte Harnsäurewerte, wird der Arzt je nach Schwere der Beschwerden und den weiteren Erkrankungen individuell entscheiden. Da der Körper Purine über die Nahrung aufnimmt, kann der Harnsäurespiegel über eine purinarme Ernährung gesenkt werden.

Wie kann ich die Harnsäure schnell senken?

Häufig lässt sich bei einer leichten Hyperurikämie durch die Ernährungsumstellung die Harnsäure natürlich senken, ganz ohne Medikamente..
Fleisch (insbesondere Innereien).
Fisch (zum Beispiel Lachs, Thunfisch, Sardinen).
Schalen- und Krustentiere..
Hülsenfrüchte (Linsen, Erbsen, Sojabohnen und andere).

Wie hoch kann Harnsäure steigen?

Der Normalwert im Blut liegt bei Männern zwischen 3,5 bis 7,0 mg/dl und bei Frauen zwischen 2,5 bis 5,7 mg/dl. Übersteigt die Harnsäure über einen längeren Zeitraum einen Wert von 7 mg/100 ml, kann das Blut die Harnsäure nicht mehr lösen.

Wann steigt der Harnsäurewert?

Zu hohe Harnsäure-Werte können bei einer Behandlung mit Zytostatika oder Bestrahlung auftreten. Sie können auch auf Gicht, Nierenschwäche sowie tubuläre Nierenerkrankungen oder Nierensteine hindeuten. Auch bei einer Therapie mit entwässernden Medikamenten (Diuretika) oder bei Alkoholkonsum können die Werte erhöht sein.

Kann man Harnsäure selbst testen?

Die Harnsäure lässt sich auch mit speziellen Geräten zu Hause bestimmen. Besonders für Menschen mit chronischen Erkrankungen ist die regelmäßige Selbstmessung zu empfehlen. Sie ähnelt der einer Blutzuckermessung und ist häufig auch als Kombi-Messgerät erhältlich und in Blutzuckermessgeräten integriert.