Eltern drogenabhängiger Kinder Show
Von Horst Gross · 25.04.2019 Ein süchtiges Kind: Der Albtraum jeder Familie. Allein gelassen kämpfen die Eltern auch mit dem Stigma, versagt zu haben. Nicht selten wird das Drogenproblem des Kindes so zur existenziellen Krise. Professionelle Hilfe gibt es selten. "Wir haben unseren Kindern die Drogen nicht in die Hand gedrückt." In dieser verzweifelten Situation gründeten einige Betroffene eine Selbsthilfebewegung: die Elternkreise. Sebastian Roth gehört zum Berliner Team dieser Initiative. Ergreifende Geschichten werden hier erzählt. Sie handeln von der quälenden Hilflosigkeit, mit ansehen zu müssen, wie das eigene Kind sein Leben ruiniert – und unter Umständen die Ehe der Eltern gleich mit. Cannabis ruiniert so manche SchulkarriereBrigitte Schröders Story, sie will wie alle Eltern ihren echten Namen nicht im Radio nennen, ist typisch für ein Drogenproblem, das neuerdings im gutbürgerlichen Milieu der Großstädte immer weitere Kreise zieht. Cannabis erobert die Oberstufenzentren und ruiniert so manche Schulkarriere. Umfragen zeigen: Bereits mit 15 haben 20 Prozent aller Kinder "aus gutem Hause" Erfahrungen mit Cannabis. Im Familienalbum sieht ihr Sohn nun wirklich nicht nach Drogenproblemen aus. Ein
unbekümmerter Junge. Damals, als alles begann.
Wenn ihre Kinder Drogen konsumieren, suchen Eltern die Schuld meist bei sich.© picture alliance/dpa/Foto: Geisler-Fotopress "Und ich hatte auch immer so ein Problem: Ich, ich meinte immer, er hätte so große, weite Pupillen. Und ja dann habe ich ihn da manchmal angesprochen. Und er sagte, so ein Quatsch. Und dann sage ich: Jetzt gehen wir mal zum Augenarzt. Das gibt es doch nicht. Aber es war alles mehr auf der spaßigen Seite. Mami geht immer
gleich zum Arzt. Und die Kinder sagen: Ach Quatsch. Das braucht es nicht und so." Eltern suchen die Schuld meist bei sichDie Eltern waren geschockt. Ihr eigenes Kind und Cannabis! Wie war das möglich? Ein dunkler Schatten lag über der Familie. Hatten sie in der Erziehung versagt? Den Jungen überfordert? Eltern suchen die Schuld meist bei sich. Das ist typisch. Doch damit liegen sie in der Regel falsch, meint der Berliner Kinderpsychiater Ottmar Hummel von den DRK-Kliniken Westend. Er arbeitet eng mit den Elternkreisen zusammen. Und dann sind wir zusammen zum Urintest gegangen. Das war auch eine bittere, erniedrigende Erfahrung. Mit seinem Kind dahin zu fahren, um den praktisch zu zwingen, da Urin abzugeben. Und der war ja positiv. Er hat was im Urin gehabt. Und dann war auch ganz klar: Jetzt brauchen wir nicht mehr zu diskutieren. Er konsumiert das und wir wollen das nicht. Und jetzt ist der Konflikt da." Ihr Sohn hatte sich entschiedenAlle Maßnahmen blieben erfolglos. Ihr Sohn hatte sich entschieden: Kiffen war sein Ding und das ließ er sich nicht mehr nehmen. Das Problem sei sowieso Brigitte mit ihrer übertriebenen Fürsorge. Das
sind die Momente, in denen eine Mutter das Vertrauen in ihr Kind verliert. Hummel: "Und das ist für die Eltern sehr schmerzhaft. Sie sehen die Gefahr, sehen die Schule wird immer schlechter. Vielleicht schafft ihr Kind die Schule nicht mehr. Und der Jugendliche sagt: 'Uff. Du bist spießig, verstehst mich überhaupt nicht. Das ist alles kein Problem.' Und beleidigt die Mutter. Geht einfach los mit
Freunden. Und das ist für Eltern der Moment, wo sie ihre Hilflosigkeit spüren und merken: Sie können nichts tun. Obwohl sie das Elend eigentlich sehen. Ja! Das ist eigentlich das Hauptproblem. Dieses Gefühl, nicht handeln zu können." Eltern unterschätzen die Wucht von CannabisDass Eltern an
Abhängigkeitsproblemen ihrer Kinder verzweifeln, ist kein Zeichen von Inkompetenz: Sie unterschätzen schlicht die Wucht, mit der etwa Cannabis in die Entwicklung eines Heranwachsenden eingreift. Der Berliner Kinderpsychiater Ottmar Hummel. Die Cannabis-Substanz macht Menschen antriebslos.© clemens fait / photocase.de "Cannabis ist eine Droge mit einer sehr langen Halbwertszeit. Die Halbwertszeit ist bei drei bis fünf Tagen. Der Stoff reichert sich an. Die Patienten werden immer träger. Das Gedächtnis lässt nach und es tritt so eine Antriebsarmut, die dazu führt, dass sie morgens nicht mehr aus dem Bett kommen. Nicht mehr zur Schule gehen. Keine Hausaufgaben mehr machen. Keine Prüfungen vorbereiten und dann scheitern. Und weil sie durch den Stoff so abgedämmt sind, merken sie auch die sozialen Folgen nicht. Also ich habe häufig
Cannabiskonsumenten gehabt, die haben zweimal die Klasse wiederholt und fanden das vollkommen in Ordnung. Hatten gar kein Problem. Die hätten auch dreimal die Klasse wiederholt." Es geht darum, die Eltern zu stärkenRoth: "Beim Elternkreis geht's ja nicht
um den Süchtigen, sondern es geht darum, einfach die Eltern zu stärken. Dass sie auch wieder Spaß am Leben haben und Kraft haben, die Dinge Stück für Stück anzugehen. Aha! Ich muss mich mehr um mich kümmern und dadurch helfe ich meinem Kind. Wir sagen jedem Elternteil, dass sie nicht schuld sind. Weil derjenige bewegt sich in die Situation selber rein." Dass das eigentlich verboten ist, stört da kaum noch. Chillen und Kiffen ist heute Teil des jugendlichen Mainstreams. Sigrid Mohr, auch ihre Name wurde geändert, ist eine resolute Frau. Erziehungsprobleme geht sie offensiv an. Sechs
ihrer sieben Kinder hat sie so heil durch die Pubertät gebracht. Warum dann der eine Sohn komplett aus der Rolle fiel? Sie rätselt bis heute. Die Lage eskalierteUnd dann ging alles Schlag auf Schlag. Der Junge verlor schnell die Kontrolle über seinen Drogenkonsum. Die Lage eskalierte. Die ganze Palette der offiziellen Hilfsangebote hatte Sigrid Mohr durch. Alles umsonst. Ihr Sohn verweigerte jede Therapie. Wieso auch? Das Problem waren doch seine spießigen Eltern. Der Umgangston wurde rauer. Und da kommt es zu sehr unschönen Situationen, wo sie überlegen: Rufe ich jetzt die Polizei? Wie schütze ich das Kind? Wie schütze ich das Kind, dass es jetzt nicht rausgeht?" Keiner half den ElternAlle Verfahren verliefen im Sand. Denn für das eigentliche Problem ihres Jungen, seinen Drogenkonsum, war niemand zuständig. Keiner half den Eltern und die Lage spitzte sich zu. Sigrid Mohr liebt ihre Kinder und zeigt ihnen das auch. Doch gegen die Macht der Abhängigkeit hatte sie keine Chance. Und es war immer so: In diesen Momenten war er zugänglich und am nächsten Tag, wenn er wieder
Drogen genommen hatte oder wenn es ihm besser ging, spielte sich dieselbe Nummer weiter ab. Und er entglitt uns immer mehr." "Der hatte mich voll in der Hand. So ein Kind hat sie in der Hand. Und die setzen es ein. Wenn Sie Angst um das Leben ihres Kindes haben, setzen diese Kinder das ein. Die haben Macht über Sie. Und das loszuwerden… Ich musste mir selber Hilfe holen, dass ich das aushalten kann und dass ich mich vor meinen Sohn stelle und sage: Ich gehe jetzt und wenn du aus dem Fenster springen willst, dann wirst du es tun. Ich kann und will dich nicht 24 Stunden beaufsichtigen. Du musst das entscheiden. Es ist dein Leben. Und das machen Sie mal als Mutter. Das ist nicht einfach. Da stehen Sie dann schon an einer Grenze, wo Sie eben wirklich… Sie fangen an, sich um sich selbst kümmern zu müssen, weil Sie es sonst nicht aushalten, ja." Irgendetwas musste geschehenEine ausweglose Situation. Irgendetwas musste geschehen, aber was? Ihr abhängiges Kind war dabei, nicht nur sich selbst, sondern gleich die ganze Familie mit in den Abgrund zu stürzen. Reden mit Menschen, die ähnliches erfahren haben, hilft vielen Betroffenen. © imago/Ikon Images Eher zufällig hat Sigrid Mohr die Elternkreise für sich entdeckt. Der Beistand und der Rat, den sie hier durch die anderen Eltern erfahren hat, hat ihr Leben grundlegend geändert. Denn die Lage war gar nicht so aussichtslos, wie es schien. Allerdings war konsequentes Handeln gefragt. "Ich habe mit ihm zum Beispiel an seinem 18. Geburtstag telefoniert. Und ich hab vorher jahrelang von ihm nicht den Satz gehört, der mich sehr gerührt hat. Er hat gesagt: Pass gut auf dich auf, Mama, und komm gesund wieder! Das war schon besonders, ja. Ein Kind, wo Sie immer ganz viel Sorgen haben, dass sich plötzlich einmal Sorgen um Sie macht. Und jetzt habe ich zum Beispiel eine Situation, wo er mir nicht mehr guten Tag sagt. Weil ich ganz klare Position beziehe. Und ich merke, dass er in so einem… Er braucht uns, er will diesen Kontakt und andererseits kommt er noch nicht zurecht, dass wir sozusagen wirklich auch akzeptieren, dass er sich für ein Leben mit Drogen entschieden hat." Zwei Millionen Mütter und Väter sind betroffenStatistisch gesehen müssen in Deutschland bis zu zwei Millionen Mütter und Väter mit den Drogenproblemen ihres Kindes zurechtkommen. Das Hilfsangebot der Elternkreise bleibt da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Begrenzt auf einige Großstädte. Auch die Drogenberatungsstellen sind für das Leid der Eltern prinzipiell nicht zuständig. Wie alleine man dann ist, hat Anja Stein aus Solingen leidvoll erfahren. In ihrer Not geht Anja Stein einen ungewöhnlichen Weg. Unter dem Titel "bittere-traenen.de" startet sie ein Internettagebuch mit Diskussionsforum. Ungeschminkt protokolliert sie ihren verzweifelten Kampf. "Ich habe auch gekämpft mit mir, weil ich konnte über meine Gefühle bei anderen nicht
reden. Sie haben’s nicht verstanden. Sie waren nicht in der Situation, wie ich. Aber ich wollte reden. Und dann habe ich angefangen: Das setzt du mal selber ins Netz. Und je mehr Eltern ich erreicht habe, umso weniger habe ich mich auch allein gefühlt. Für mich war es auch eine Art Selbsthilfe." "Er wohnt jetzt in einem Obdachlosenheim. Das ist das Letzte, was man seinem Kind wünscht. Wir sind in einer Nacht und Nebelaktion hingefahren. Wollten ihn nach Hause holen. Aber er hatte offenbar Halluzinationen und fühlte sich bedroht. Helfen lassen wollte er sich nicht. Wir waren machtlos. Ich hab dann mit der Sozialarbeiterin im Obdachlosenheim gesprochen. Er hat wohl eine schizophrene Psychose, meinte die. Ausgelöst durch den Drogenmissbrauch." Ihr Sohn widersetzte sich vehement jedem Hilfsangebot. Eine Zwangseinweisung lehnte die Psychiatrie ab. Angeblich stellt er in seinem Zustand keine Gefahr dar. Weder für sich, noch für andere. Ohnmächtig muss Anja Stein mit ansehen, wie ihr Junge durch halb Deutschland vagabundierte. "Ich weiß mittlerweile nicht mehr, was mit ihm los ist. Sind es die Drogen oder ist es die Psychose. Der Junge ist einfach nur durchgeknallt. Er hat einfach keine Krankheitseinsicht, nimmt weiter Drogen. Er ist ein ganz armes Schwein, zu krank, um sich selbst zu helfen, zu krank, um einzusehen, dass er krank ist." Die Mutter ist am Ende. Die Angst um ihr Kind, wird übermächtig. Nachts das stundenlange Grübeln, tagsüber die Panik bei jedem Anruf. Wieder eine neue Hiobsbotschaft? "Heute bin ich dann zur Arbeit gegangen. Ich habe wirklich gedacht, es lenkt mich vielleicht ein bisschen ab. Da bekam ich dann einen Weinkrampf. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Man fuhr mich zum Arzt. Im Wartezimmer: Weinkrämpfe. Beim Arzt: Weinkrämpfe. Jetzt bin ich erst mal krankgeschrieben. Ich glaube, jetzt muss ich nach mir und dem Rest der Familie gucken. Wir müssen alle zur Ruhe kommen. Endlich wieder versuchen zu leben." Ihr Kind wohnt jetzt nicht mehr zu Hause, sondern irgendwo. Die Schule abgebrochen. Der Kontakt zu den Eltern: nur sporadisch. So gerne würde Anja ihrem Jungen helfen, aber sie weiß nicht wie. Und auch ihr hilft niemand. "Die Arbeit fällt mir heute besonders schwer. Ich arbeite im Einzelhandel. Da wird von mir intensive und freundliche Beratung verlangt. Aber es gibt Tage, da habe ich richtig Panik, meinen Job nicht mehr zu schaffen. Ich habe einfach nur noch Angst um mein Kind." So gerne hätte sie mit jemanden über all das geredet. Ihr Herz ausgeschüttet. Doch da war niemand. Nur der Chat mit anderen Betroffenen. "Viele Menschen, selbst in der eigenen Verwandtschaft, verstehen seine Krankheit nicht. Sie können damit nicht umgehen. Man sieht ihm ja körperlich nichts an. Es gab da so einige blöde Bemerkungen, die mir sehr wehgetan haben. Aber vielleicht hätte ich ja früher selbst so reagiert." Dann endlich gelingt die Einweisung in die Psychiatrie. Wahrscheinlich zu spät. "Wie oft habe ich mir gewünscht, dieses Internet-Tagebuch irgendwann einmal beenden zu können, vielleicht sogar mit etwas Positivem. Eben auch, um anderen Eltern, die das hier lesen, Mut zu machen. Mut, den man braucht, um nicht aufzugeben. Stattdessen sehe ich, wie mein Sohn immer mehr von seiner Persönlichkeit verliert. Er ist nicht mehr der Junge, der er mal war… Und ich,… ich bin einfach zu müde. Es ist halt leicht gesagt: Ich soll mich von meinem Kind trennen. Ich kann es nicht. Er ist ja mein eigen Fleisch und Blut. Für mich steht fest: Ich gebe mein Kind nicht einfach so auf!" Cannabis verdoppelt das Psychose-Risiko bei JugendlichenLeider gibt es für Anja Stein und ihren Sohn kein Happy End. Ihr mittlerweile erwachsenes Kind bleibt dauerhaft in der Psychiatrie: der bittere Preis für seine frühe Bekanntschaft mit der Welt der Drogen. Ein Preis, den immer mehr Jugendliche bezahlen müssen. Denn Cannabis beeinträchtigt nicht nur die Pubertät, sondern verdoppelt bei Jugendlichen das Risiko, an einer Psychose zu erkranken. Zudem konsumieren immer mehr Jugendliche synthetische Cannabisabkömmlinge. Deren Gefahrenpotenzial ist noch weitgehend unbekannt. Stimmt eben nicht immer. Vielleicht steckt hinter diesen Argument auch immer ein Stück Verdrängung? Aber stände es einer Gesellschaft, in der so heftig und emotional für die Legalisierung von Cannabis gestritten wird, nicht ganz gut an, sich um die Probleme zu kümmern, die man damit in die Welt setzt? Die betroffenen Eltern warten schließlich auf angemessene Hilfe. Und die käme auch ihren abhängigen Kindern zu Gute. Erstsendedatum: 30.08.2018 In welchem Alter werden die meisten Drogen konsumiert?ILLEGALE DROGEN
Von den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren hat fast die Hälfte (47,2 %) schon einmal eine illegale Droge konsumiert.
Was passiert nach jahrelangem Drogenkonsum?Zahnverfall, schwere Schädigungen der Atemwege und der Lunge, Leber- und Hirnschäden, körperliche und psychische Auszehrung, Paranoia, Psychosen, psychische, körperliche und soziale Verelendung, süchtige Abhängigkeit, Beschaffungskriminalität, Prostitution.
Was kann man tun wenn jemand Drogen nimmt?Einige Tipps, die dir helfen können:
Rede mit ihm/ihr im nüchternen Zustand. Sprich offen über deine Sorgen und Ängste. Zeige dem anderen Interesse an seiner Person und nicht nur an seinen Problemen. Mache deutlich, wie wichtig dir die Freundschaft ist - aber nicht um jeden Preis.
Was für Drogen machen aggressiv?Crystal und neue psychoaktive Substanzen fördern Gewalt
Bei Aufputschmitteln wie Crystal Meth mit dem Wirkstoff Methamphetamin ist der Zusammenhang zwischen Aggression und Konsum deutlicher ausgeprägt als bei Cannabis.
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