Welche römische bedeutung hat das werte wort fides

Römische Wertvorstellungen
Gabriele Thome
 
Viele unserer Wertbegriffe sind als Wort lateinischen Ursprungs. Dies wird in den romanischen Sprachen und damit auch im Englischen unmittelbar deutlich. Aber auch die deutsche Begrifflichkeit ist über das Gelehrtenlatein (Juristen, Mediziner, Philosophen, Theologen) vom Lateinischen geprägt, so z.B. Ge-recht-ig-keit für ius-ti-tia. In den seltensten Fällen läßt sich aber eine völlige inhaltliche Gleichsetzung zwischen deutschem und lateinischem Begriff erreichen. So ist fides im ursprünglichen Sinn nicht 'Treue', pietas nicht 'Frömmigkeit' und pax nicht 'Frieden'. Das hängt damit zusammen, daß die lateinischen Begriffe ursprünglich keinen Zustand bezeichnen, sondern einen Akt bzw. das konkrete Verhalten in einer konkreten Situation. Aus dem Verhalten läßt sich die Haltung ablesen, auf die man setzen oder sogar einen Anspruch erheben kann: fides, pietas, pax und andere sogenannte römische Wertbegriffe sind grundsätzlich auf ein Gegenüber bezogen. Die Erfüllung der damit verbundenen Erwartungen ist zwar rechtlich nicht einzufordern, unterliegt aber der Kontrolle der öffentlichen Meinung. Man sollte daher statt von Wertbegriffen besser von Verhaltensnormen bzw. Postulaten sprechen. Erst in einem letzten Schritt, zugleich in Auseinandersetzung mit griechischen Vorstellungen, werden aus diesen Leitlinien ideelle, zunehmend auch reflektierte und definierte Werte. Dieser Umbruch vollzieht sich in der Endzeit der römischen Republik und ist insbesondere mit Cicero (106-43 v. Chr.) zu verbinden. Ein weiterer wesentlicher Schritt hin zu heutigen Vorstellungen ergibt sich aus der Begegnung zwischen lateinischer Begrifflichkeit und christlichem Denken. Dies sei am Beispiel des Wortes pax (pacis, f.) etwas näher illustriert.

PAX - Von den Anfängen eines europäischen Wortes

pax im Sinne von Frieden ist über die romanischen Sprachen nicht nur zum europäischen, sondern zum weltweiten Leitwort geworden (ital. pace, span. paz, franz. paix, vgl. engl. peace, u.a.m.). Den mit unserem Friedensbegriff verbundenen Inhalt bekommt pax im Lateinischen aber erst relativ spät, in der ersten Hälfte des letzten vorchristlichen Jahrhunderts, und zwar durch das Zusammengehen von römischen mit griechischen Vorstellungen.

Der ursprüngliche pax-Begriff: Abkommen, (Friedens-)Vertrag
   pax hängt etymologisch zusammen mit pangere: heften, zusammenfügen, und bedeutet ursprünglich: das Übereinkommen, der Vertrag, der Pakt. Diese pax bezieht sich sowohl auf private wie auf staatliche Übereinkommen zwischen zwei (streitenden) Parteien. Im privaten Bereich wird über ein 'Friedensabkommen' die Harmonie zwischen Gleichberechtigten wiederhergestellt; pax steht hier in der Nähe von concordia, der Eintracht (eigentlich: das Zusammen der Herzen, also 'ein Herz und eine Seele').
   Ein typisches Beispiel für den häuslichen, den innerfamiliären 'Frieden', aus einer Komödie des Plautus (ca. 250-184 v. Chr.): Im 'Mercator' (Der Kaufmann), hängt der Haussegen schief; der Sohn will zwischen seinen Eltern vermitteln, V.953ff.: Ich will 'Frieden' zustandebringen zwischen dem Vater und der Mutter, denn jetzt ist sie wütend (pacem componi volo meo patri cum matre, nam nunc est irata). Als er die Mutter besänftigt hat, geht er zum Vater, sagt ihm das und fordert beide auf, sich die Hand darauf zu geben: uxor tibi placida et placatast; cette (= date) dextras nunc iam. Der charakteristische Handschlag als Zeichen der pax ist rund 150 Jahre später auch auf der Rückseite der ersten pax-Münze zu sehen (Abb.1). In Krisen- und Bürgerkriegszeiten wird mit diesem Symbol die Wiederherstellung von pax, fides und concordia beschworen (so z.B. durch eine Münzprägung im Zusammenhang mit den Wirren nach Neros Freitod 68 n. Chr., Abb.2).
   Etwas anders geartet ist die offizielle, die zwischenstaatliche pax: Hier wird ein Abkommen geschlossen zwischen dem Verlierer, der pax erbitten muß (pacem petere), und dem Sieger, der - eventuell - pax gewährt (pacem dare) und die Bedingungen diktiert. Aus diesem Abkommen resultiert dann zwar ein Zustand, der aber im Falle des Vertragsbruchs jederzeit wieder aufgekündigt werden kann.
   Zwei Beispiele für pax in der Außenpolitik, das erste wieder aus Plautus, 'Persa' (Der Perser) V.753, in einem Botenbericht: Die Feinde sind besiegt, die Bürger gerettet, die Lage ist ruhig, die Friedensabkommen sind geschlossen (hostibus victis, civibus salvis, re placida, pacibus perfectis - im Plural!). Das zweite Beispiel ist den 'Annalen' des Ennius (239-169 v. Chr.) entnommen, dem römischen Nationalepos vor Vergils Aeneis, V.207: Der Unterhändler kehrt ohne Friedensvertrag zurück und erstattet dem König darüber Bericht (orator sine pace redit regique refert rem; orator ist hier ein alter Terminus für den Friedensunterhändler).
   Bei einem dritten frühen Anwendungsbereich des Wortes wird das Gefälle zwischen pax-Geber und pax-Nehmer noch deutlicher: bei der pax deorum, dem 'Frieden' mit den Göttern bzw. übermenschlichen Kräften. Als Grundlage des persönlichen Wohlergehens wie der Existenz des Staates muß sie um jeden Preis gewonnen bzw. wiederhergestellt werden, und zwar durch bestimmte Leistungen: Gebete, Opfer, Entsühnungsriten (die Römer haben hierfür ein umfassendes System, geradezu eine Technik entwickelt). Formulierungen wie 'Frieden von den Göttern erbitten' oder 'den Frieden der Götter erbitten' zeigen, daß man sich pax im Besitz der Götter vorstellt, als etwas, das von ihnen gewährt wird. Diese pax hat also fast die Bedeutung von Wohlwollen, Gnade. Auch hier ist der Ausgangspunkt jeweils ein bestimmter Anlaß: eine plötzliche Gefahr bzw. überhaupt eine neue Situation oder Anzeichen für die gestörte pax deorum (ungewöhnliche Himmelserscheinungen, Naturkatastrophen, Mißgeburten u.ä.). Von menschlicher Seite gilt es daraufhin, die Ursachen zu erforschen und geeignete Entsühnungsmaßnahmen zu finden, um die Götter zu besänftigen (deos placare).
   Die folgenden, noch einmal den plautinischen Komödien entnommenen Beispiele für die Vorstellung der pax deorum spiegeln Alltagssituationen wider: Im 'Curculio' (Gurgelmensch, d.h. Schlemmer) rät der Koch seinem Auftraggeber, dem im Traum der Gott Äskulap erschienen war, sich aber von ihm weggewandt hatte: Erbitte 'Frieden' von Äskulap, damit sich für dich daraus kein großes Unglück ergibt (V. 270 pacem ab Aesculapio petas, ne forte tibi eveniat magnum malum). In der 'Mostellaria' (Gespensterkomödie) hat der gerissene Sklave Tranio ein Gespenst erfunden, um seinen Herrn am Betreten des Hauses zu hindern, wo dessen Sohn gerade eine Orgie abhält. Als dieser trotzdem eintreten will, bricht drinnen ein Höllenlärm los: die Party ist auf ihrem Höhepunkt. Der Sklave interpretiert den Krach schlagfertig als Reaktion des erzürnten Gespenstes, fordert zur schleunigen Flucht und zum Bittgebet um göttlichen Beistand auf. Er selbst kann bleiben, denn er hat im Gegensatz zum Hausherrn nichts verbrochen, für ihn besteht weiter pax mit den Totengeistern (V. 514 pax mihi est cum mortuis). Doch auch er wird beten - um dem Alten die Pest an den Hals zu wünschen. (Die Sklaven, die im rechtlichen Sinn als Sache gelten, stehen damit außerhalb der römischen Gesellschaft und ihrer strengen Normen, und so kann es sich der Autor erlauben, sein Publikum über die Gestalt des 'sittenlosen' Sklaven lachen zu lassen und die Zuschauer damit für kurze Zeit von diesen Normen und dem Dauerdruck der sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu befreien).

Auf dem Weg zum Frieden
   Rund 100 Jahre später läßt sich für pax eine weitere, neue Ausrichtung belegen: pax als genereller Zustand, Frieden im Sinne von allgemeiner Ruhe, im Gegensatz zu Krieg und Aufruhr. Erstmals findet sich diese pax in einem anonymen Lehrwerk für den angehenden Redner, der sich bei seiner Argumentation natürlich von ihrer Wirksamkeit beim Publikum leiten lassen muß. Die Schrift ist verfaßt in den 80er Jahren des 1.Jhs., der Zeit des Bundesgenossenkriegs, der ganz Italien verwüstet hat, und des anschließenden Bürgerkriegs zwischen Marius und Sulla um die Vormacht in Rom; die neue pax-Idee dürfte somit auf offene Ohren gestoßen sein. Ihr Entstehen ist also zeitbedingt und läßt sich zudem als Weiterentwicklung aus den bisherigen Geltungsbereichen erklären. Entscheidender dürfte aber der Einfluß des griechischen Friedensbegriffs gewesen sein, eirene. Mit eirene wird von Anfang an (d.h. seit Homer) anders als bei pax kein Vertrag, auch kein Verhältnis oder Verhalten bezeichnet, sondern ein Zustand. Durch diesen Zustand ist Ordnung, Wohlstand und Wohlergehen garantiert; eirene wird nicht von ihren Voraussetzungen her gesehen, sondern von ihren Wirkungen. Zum politischen Programm wird sie in der Zeit des Peloponnesischen Krieges (431-404). Das gleichnamige Stück des Aristophanes, das 422 uraufgeführt wurde, enthält einen Hymnus auf die Gottheit Eirene (entsprechend ihrer segensreichen Wirkung erscheint die personifizierte Friedensidee in der griechischen Dichtung schon seit Hesiod, um 700). Ihre ideale Verkörperung findet sie in der Statue des Kephisodot, um 370, die auf der Athener Agora aufgestellt war (erhalten sind nur Vasenbilder und römische Repliken). Die Göttin trug bezeichnenderweise den Plutos-Knaben im Arm, den personifizierten Reichtum (Abb.3). Wie Vasenbilder zeigen, hatte sie in der Hand zudem ein Füllhorn, das Symbol ländlichen Überflusses, in der Rechten einen Stab, den Heroldsstab oder - eher - ein Szepter.
   Im Sinne eines politischen Programms wurde ein solches statisches Friedens-Konzept in Rom wohl erstmals von Sulla entwickelt, der auf seinen Münzprägungen nach Beendigung des Bundesgenossen- und Bürgerkriegs das Füllhorn erscheinen läßt (Münzen werden in Rom zunehmend als ebenso einfaches wie schnelles Mittel zur Verbreitung von Propaganda genutzt). 20 Jahre später entwirft Cicero in seinem Konsulatsjahr (63 v.Chr.) ein, wie er sagt, volksnahes politisches Programm, bei dem der pax-Begriff eine zentrale Rolle spielt. pax wird dabei in Verbindung zu concordia gebracht, die alte innerfamiliäre pax also auf die Gemeinschaft der Bürger übertragen, sowie - und das ist neu - zu otium: Ruhe, Muße. Ciceros Programm richtet sich gegen den Gesetzesentwurf eines Volkstribunen zur Verteilung von Großgrundbesitz (bei finanzieller Entschädigung der Eigentümer). Die geplante Landverteilung würde das entworfene Bild innerer Harmonie aufs Spiel setzen, so Ciceros Argumentation: Die Staatskasse müßte zur Entschädigung der Großgrundbesitzer eingesetzt werden statt für staatliche Getreidespenden, also für 'Brot und Spiele'. Durch den Antrag des Volkstribunen, der zugleich die Einrichtung eines Exekutiv-Kollegiums mit umfassenden Vollmachten enthält, sieht Cicero außerdem die libertas, die Freiheit, gefährdet. Tatsächlich scheitert der Gesetzesvorschlag des Volksvertreters am Nein des Volks. Wie man auch immer zu Ciceros etwas sophistischem Vorgehen stehen mag: Auf alle Fälle entsprach die hier verkündete pax offenkundig einem allgemeinen, aus der Zeitsituation geborenen Wunsch. Die in griechischer Sprache und Denken Bewanderten gaben dem einen einprägsamen lateinischen Namen: pax. Als Parole, die Ruhe und Ordnung verhieß, wurde sie zum zentralen, auch durch Münzen propagierten Schlagwort der Parteien in der anschließenden Bürgerkriegsära. Die früheste pax-Münze (auf der Vorderseite ein Frauenkopf mit der Umschrift PAKS, also der personifizierte bzw. zur Gottheit erhobene Friedensgedanke, auf der Rückseite als Symbol der Händedruck, s. Abb.1) stammt aus dem Todesjahr Caesars (44) und war wohl noch von ihm initiiert: Caesar hatte nach seinem Sieg über Pompeius neben dem Kult der Clementia (Milde, Gnade) auch einen Pax-Kult einrichten wollen.
   Mit dieser Entwicklung ist allerdings zugleich der Rückzug der nominellen Staatsträger, der Bürger (cives), aus der politischen Verantwortung angelegt. Diese negative Komponente wird von Ciceros jüngerem Zeitgenossen Sallust (86 - ca.35) in seinen nach 40 v.Chr. verfaßten 'Historien' im Rückblick auf die sullanische Ära deutlich gemacht, und zwar aus dem Mund des popularen Konsuls Lepidus (78 v. Chr.): "Diese von vielen propagierte bequeme Ruhe in Verbindung mit politischer Freiheit (illa quies et otium cum libertate) statt Mühe, wie sie nun einmal mit ehrenvollen Ämtern verbunden ist, die gibt es überhaupt nicht", und etwas später: "Unter dem Decknamen 'Eintracht und Frieden' (specie concordiae et pacis) werdet ihr eurer Freiheit beraubt". Doch auch Cicero hatte schon einige Jahre früher im Hinblick auf die libertas Zweifel an der paxParole bekommen. Zur Rettung der Freiheit ruft er 44/43 zum entschlossenen Vorgehen gegen Antonius auf:
   Cicero, 'Philippica' 2,113: "Das Wort 'Frieden' hat einen süßen Klang und der dahinterstehende Sachverhalt gewährleistet Wohlergehen, doch zwischen Frieden und Knechtschaft ist ein gewaltiger Unterschied: Frieden bedeutet in Ruhe genossene Freiheit, Knechtschaft das schlimmste aller Übel" (nomen pacis dulce est et ipsa res salutaris, sed inter pacem et servitutem plurimum interest: pax est tranquilla libertas, servitus postremum omnium malorum), und 12,14: "Ein mit denen geschlossener Frieden ist kein Frieden, sondern ein Knechtschaftsabkommen" (cum iis facta pax non erit pax, sed pactio servitutis).
   Um die republikanische libertas bewahren bzw. wiederherzustellen, setzt Cicero auf den Caesarerben Oktavian, den er für lenkbar hält, ein für ihn fataler Irrtum: Antonius und Oktavian verbünden sich, und Cicero wird Opfer der Proskriptionen. Doch bald ist es mit der pax zwischen Antonius und Oktavian wieder vorbei; es kommt erneut zum Bürgerkrieg, aus dem Oktavian als uneingeschränkter Sieger hervorgeht. Der junge Caesar, seit 27 v.Chr. Träger des Ehrennamens 'der Erhabene' (Augustus), führt zwar die innenpolitische pax-Linie seines Adoptivvaters fort, verbindet sie aber klug mit dem libertas-Gedanken: Auf der Vorderseite seiner pax-Prägung vom Jahre 28 anläßlich der Beendigung der äußeren und inneren Kriege präsentiert er sich als vindex libertatis, als Rächer und Bürge der Freiheit (s. Abb.4). Die 'neue' innere pax, Frieden verbunden mit Wohlstand und Sicherheit, ist in Augustus' Programm gebunden an die 'alte' durch militärische Siege errungene pax. Stolz erklärt er rückblickend in seinem 'Tatenbericht' (Res gestae), daß unter ihm dreimal die Januspforte geschlossen werden konnte (ein symbolischer Akt dafür, daß das römische Territorium kriegsfrei war), und zwar "nachdem über das ganze Herrschaftsgebiet des römischen Volkes zu Land und zu Wasser durch Siege Frieden gewonnen worden war" (cum per totum imperium populi Romani terra marique esset parta victoriis pax; die terra-marique-Formel erscheint auch auf der Münze).
   Außenpolitische pax muß also jeweils geschaffen werden, zumindest in der offiziellen Proklamation durch erfolgreiche Kriegsführung: So wird die durch Verhandlungen erreichte Rückgabe römischer Feldzeichen seitens der Parther und das damit verbundene gegenseitige Stillhalteabkommen vom Jahre 23 als militärischer Sieg gefeiert.
   Der Gedanke der pax victoria parta bleibt auch für die Folgezeit bestimmend: Sozusagen ganz augusteisch gibt sich Nero mit seinen pax-Prägungen nach Erfolgen im Orient (s. Abb.5). Die als Motiv später mehrfach wiederholte Prägung Vespasians bezieht sich auf die Eroberung Jerusalems 71 v.Chr. (Abb.6); nachdem der jüdische Widerstand völlig erstickt ist, wird mit dem Bau des Forum Pacis begonnen, das auf einen prächtigen Pax-Tempel zentriert war.
   Doch selbst bei der außenpolitischen pax ist der 'Eirene-Einfluß' spürbar: Die so zustandegekommene pax Augusta garantiert für alle friedenswilligen Bewohner des Imperiums Sicherheit und Wohlstand. Sie wird programmatisch-plastisch Stadtrömern wie Besuchern verlockend vor Augen geführt im Altar des Augustus-Friedens: Anläßlich der 'Befriedung' der spanischen Provinzen wird im Jahre 13 v.Chr. auf Senatsbeschluß mit dem Bau der Ara Pacis Augustae begonnen, deren Relieftafeln uns großteils erhalten oder rekonstruierbar sind. Die linke Frontseite zeigt eine Muttergottheit (die Erdgöttin Tellus, Italia oder Pax? - die Meinungen gehen auseinander), umgeben von Symbolen ländlichen Wohlstands (Abb.7 und Abb.8).
   Auch der mit dem pax-Gedanken zusammenhängende, von Caesar gegen innere wie äußere Gegner proklamierte Gedanke der clementia findet Eingang in das Programm des ersten Augustus. Als Ideal wird dies formuliert von seinen Dichtern, so von Vergil in der Bestimmung der römischen Aufgabe im 6. Buch der 'Aeneis': Sie beginnt mit dem Auftrag, die Völker kraft ihrer Macht zu lenken und dem Frieden Gesittung aufzuerlegen, und endet mit dem Aufruf zur Schonung der Besiegten, doch Unterwerfung der Trotzigen (851ff. regere imperio populos .... pacique imponere morem, parcere subiectis et debellare superbos); ähnlich Horaz in seinem anläßlich der 'Jahrhundertfeier' im Jahre 17 komponierten Festlied direkt bezogen auf Augustus, 'Carmen saeculare' 51f.: dem Kriegsgegner überlegen, mild gegen den am Boden liegenden Feind bellante prior, iacentem lenis in hostem). Augustus selbst sagt in seinem Tatenbericht etwas pragmatischer, 'Res Gestae' 3: Nach dem Sieg habe ich alle Bürger, die mich um Gnade baten, geschont. Was die auswärtigen Nationen betrifft, so wollte ich die, denen man ohne Gefährdung der Sicherheit verzeihen konnte, lieber bewahren als ausrotten (victor omnibus veniam petentibus civibus peperci. Externas gentes, quibus tuto ignosci potuit, conservare quam excidere malui).
   Die pax Augusta (bzw. unter den Nachfolgern des ersten Augustus auch selbstbewußt pax Augusti), für die außenpolitische pax als Ausdruck römischen Selbstbewußtseins auch pax populi Romani bzw. Romana, schafft in der offiziellen Darstellung eine Konstellation der Ruhe, die durch das imperium Romanum und seinen Herrscher gesichert und verbürgt ist. Für den 'Frieden' im Inneren tritt jedoch immer häufiger securitas als neuer Wertbegriff ein, Sicherheit, was bezeichnend ist für die Entwicklung vom civis zum Untertan - und von vielen Angehörigen der ehemals herrschenden Senatorenschicht auch entsprechend empfunden und angeprangert wurde. Aus der Sicht des Normalbürgers dürfte die durch den Augustus verbürgte und durch Münzprägungen bewußt gemachte Ruhe und Sicherheit dagegen ein dankbar registrierter Wert gewesen sein.
   Die pax-Parole engt sich nun wieder auf die Außenlage ein. Sie beinhaltet zudem für die auswärtigen Nationen erneut, nach Wiederaufnahme der vom ersten Augustus abgeschlossenen römischen Expansionspolitik, weniger werbendes Versprechen als vielmehr Drohung und mit allen Mitteln durchgesetzten Machtanspruch, gegen den sich immer wieder erbitterter Widerstand erhebt. Die deutlichste Äußerung zum römischen Imperialismus und pax-Gedanken ist die Warnung des britannischen Häuptlings Calgacus an seine Landsleute, formuliert allerdings von dem römischen Historiker Tacitus (ca. 55-116/20 n. Chr.), 'Agricola' 30,4: "Wo sie eine Einöde schaffen, nennen sie das 'Frieden'" (ubi solitudinem faciunt, pacem appellant). Wie andere Stellen zeigen, ist auch in Tacitus' Augen etwas Wahres an dieser Deklaration, was allerdings keine Kritik an der römischen pax-Praxis bedeutet. Denn während er die innenpolitische pax unter einem Herrscher wie Domitian als Friedhofsruhe anprangert, bejaht er die auf Nichtbürger und Barbaren gerichtete Außen=Eroberungspolitik und die auf militärischem Sieg begründete pax vorbehaltlos. Im übrigen wurde auch von vielen pax-Betroffenen die römische Herrschaft und der damit verbundene Prozeß der Romanisierung als Vorteil gegenüber den früheren Zuständen gesehen, zumal die in diesem Punkt offene römische Gesellschaft die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg bot, ungeachtet von Herkunft und Rasse, im Extremfall bis hin zum Kaiserthron (s. das halbafrikanische Kaiserhaus der Severer, deren Mitglied Caracalla 212 allen freien Bewohnern des Imperiums das Bürgerrecht verlieh).
   Ernsthafte Kritik üben jedenfalls erst die Christen. Zunächst geschieht dies aus einer aggressiven Verteidigungsstellung heraus in völliger Ablehnung der auf erfolgreichen Kriegen begründeten pax Romana, doch bald, nach Ende der Verfolgungszeit, im Versuch, aus der römischen pax-Praxis ein pax-Ideal abzuleiten, zugleich in werbender Absicht. Man identifizierte sich zwar nicht mit dem Rom, das real gegeben war, sondern mit dem, was es sein könnte: ein christlicher Staat. So zeigt sich der Kirchenvater Augustin (354-430) durchaus aufgeschlossen gegenüber den Errungenschaften der pax Romana. Die Schattenseiten werden bei ihm durch Verallgemeinerung relativiert, umgekehrt die Lichtseiten hervorgehoben, im 'Gottesstaat' (De civitate Dei) 19,7f.: Anders als andere haben die Römer den besiegten Völkern nicht nur das Joch auferlegt, sondern durch das Friedensabkommen (per pacem societis) auch die lateinische Sprache, und damit ein Reich, verbunden durch die gemeinsame Sprache und Kultur, geschaffen. Trotzdem hält Augustin mit aller Klarheit fest: Die Basis des römischen pax-Gedankens ist falsch und hat zu schrecklichen Resultaten geführt. Es gibt keinen gerechten Krieg, und pax sollte nicht das Ziel des Krieges sein, sondern der pax-Gedanke sollte Kriege von vornherein verhindern.
   Damit ist erstmals die uns geläufige Friedensidee formuliert, erwachsen aus der Verbindung von christlichem mit griechisch-römischem Denken, freilich immer noch mehr Wunschdenken als Wirklichkeit. Um das Utopische seiner Zielvorstellung weiß auch Augustin; der wahre Friede liegt allein bei Gott und ist als pax aeterna, als ewiger Frieden, erst im Gottesstaat am Ende aller Zeit gegeben. Das heißt aber nicht, daß alle menschlichen pax-Bemühungen vergeblich sind, im Gegenteil, zur pax aeterna kommt man nur über eine Art Leiter: In der sich an die Überlegungen zur pax Romana anschließenden sog. 'pax-Tafel' stellt Augustin in aufsteigender Linie die Facetten der pax-Vorstellung seiner Zeit dar, civ.19,13: Am Anfang steht die pax corporis, die körperliche pax: Gesundheit. Es folgen die pax animi, der innere, seelische Frieden: der Friedensbegriff der Philosophen, der zuvor mit anderen Wörtern gefaßt worden war. Diese Reihe schließt mit der pax corporis et animae, also dem Ausgleich zwischen Körper und Geist. Dann folgt die pax hominis et dei, von Mensch und Gott, die von menschlicher Seite durch fides, Glauben, und Gehorsam getragen wird; hier verbindet sich römisches mit christlichem Denken zu neuer Einheit. Die anschließende Definition der pax hominum könnte ebenso eine Definition des alten pax-Begriffes sein: pax hominum ordinata concordia, der Friede unter den Menschen bedeutet eine auf Ordnung gegründete Eintracht, also die alte Verbindung mit dem concordia-Begriff, gelenkt von ordo, einer Auffassung von Ordnung, die jedem nach seinem Rang den rechten Platz zuweist. Die häusliche pax gründet sich auf eine Art Pakt in Bezug auf Befehlen und Gehorchen, ebenso die innerstaatliche pax. Es folgen als Höhepunkt die pax caelestis civitatis, ein spezifisch christlicher Gedanke, der hier aber doch aus der römischen Vorstellung der pax bzw. concordia zwischen den Bürgern entwickelt wird, und schließlich die kosmische pax, pax omnium rerum tranquillitas ordinis, ein auf Ordnung beruhender Ruhezustand des Ganzen: Hier spielt der stoische Gedanke des Weltfriedens mit hinein.
   Pax itaque corporis est ordinata temperatura partium, pax animae inrationalis ordinata requies appetitionum, pax animae rationalis ordinata cognitionis actionisque consensio, pax corporis et animae ordinata vita et salus animantis, pax hominis mortalis et Dei ordinata in fide sub aeterna lege oboedientia, pax hominum ordinata concordia, pax domus ordinata imperandi atque oboediendi concordia cohabitantium, pax civitatis ordinata imperandi et oboediendi concordia civium, pax caelestis civitatis ordinatissima et concordissima societas fruendi Deo et invicem in Deo, pax omnium rerum tranquillitas ordinis. Ordo est parium dispariumque rerum sua cuique loca tribuens dispositio.
   Die christlichen (bzw. von ihrer Geschichte her jüdisch-christlichen) Momente in Augustins Konzeption sollen im folgenden in einem knappen, auf wenige Grundzüge beschränkten Überblick verdeutlicht werden:

pax Christiana
   1. Frieden ist zunächst eine Gabe Gottes an den Menschen: Der Ursprung liegt im alttestamentlichen Friedensbund, den Gott gewährt. Dieser Gedanke wird während und nach dem babylonischen Exil um eine eschatologische Komponente erweitert: der endzeitliche Friedenszustand (s. Isaia), was dann zum zentralen Gedanken im Christentum wird.
   2. Davon ausgehend ist im christlichen Denken Christus über sein Selbstopfer am Kreuz der Mittler dieses Friedens, so erstmals im Kolosserbrief des Paulus (1,20).
   3. Durch Christus findet der Mensch inneren Frieden (pax interna, pax animi), s. Augustin. Hier verbindet sich christliches mit heidnisch-philosophischem Denken.
   4. Gottes Frieden offenbart sich in Natur und Kosmos, Vorform des ewigen Friedens (pax aeterna), der in der himmlischen Welt am Ende der Zeiten sein wird, s. wieder Augustin. Auch hier fließen heidnisch-philosophische Gedanken ein.

Friedensgruß und Friedenstaube
   Zwei aus der Vorstellung vom Friedensbund Gottes mit den Menschen entwickelte spezielle Bedeutungen bzw. Anwendungsbereiche haben sich bis heute erhalten: der liturgische Friedensgruß und der Friedenswunsch für den Toten:
   Beim rituellen Friedensgruß wird der in der alttestamentlichen (Alltags-)Grußformel shalom implizierte Gedanke des gottgesandten Friedens noch verstärkt bzw. explizit gemacht: pax vobiscum - der Friede (des Herrn) sei mit euch.
   Der Ursprung der in-pace-Formel auf Grabinschriften (vixit in pace, obiit in pace, requiescit in pace u.ä.) liegt in der hebräischen be-shalom-Formel, die man auf jüdischen Grabsteinen der frühchristlichen Zeit in großer Zahl gefunden hat, vor allem in Spanien. Jedenfalls haben sich für die pax des Toten bisher weder lateinisch noch griechisch außerjüdische bzw. vorchristliche Grundlagen gefunden.
   Ein glücklicher Zufall hat uns sogar eine trilingue jüdische Grabinschrift bewahrt (Abb.9): Der hebräischen be-schalom-Formel Z.6 entspricht im lateinischen Text Z.13 cum pace; die eirene-Formel im griechischen Text Z.20/21 ist eine Konjektur.
   Auch die Grußformel auf Grabsteinen hat ihren alttestamentlichen Hintergrund, vgl. u.a. Genesis 15,15: Du aber sollst in Frieden zu deinen Vätern eingehen (be-shalom, in der Septuaginta met´ eirenes, in der Vulgata, der Übersetzung des Hieronymus, in pace). Das bezieht sich freilich kaum auf ein ewiges Leben, sondern auf die Geborgenheit in Gottes Frieden im Augenblick des Todes; die Grabinschriften sind dagegen wohl mit den eschatologischen Vorstellungen, die sich im Spätjudentum entwickelt haben, in Zusammenhang zu bringen.
   Ich komme abschließend zum bekannten Symbol der Friedenstaube: Darstellungen einer Taube mit einem Ölzweig finden sich in Verbindung mit der in-pace-Formel sehr häufig auf christlichen Grabsteinen. Das Motiv hat seine Wurzeln in zwei Bibelgeschichten, einer alt- und einer neutestamentlichen:
   1. Die Geschichte von der Arche Noa: Noa hatte zuerst einen Raben ausgesandt, der melden sollte, ob die Sintflut zu Ende sei. Doch der Rabe kehrte nicht mehr zurück, und so sandte Noa eine Taube, die mit einem Ölzweig im Schnabel zurückkehrte und somit das Ende der Sintflut anzeigte (Genesis 8,11). Darstellungen von dieser Szene sind in großer Zahl auf Katakombenwänden zu sehen (Abb.10 und Abb.11, die Arche ist hier wirklich eine arca: Kiste).
   2. Die Taufe Christi am Jordan, bei der der heilige Geist wie eine Taube über ihm erscheint (Matthäus 3,16). Auch dieses Motiv findet sich häufig in den Katakomben (s. Abb.12). Bereits bei Tertullian (ca. 150 - nach 220) werden die Geschichten miteinander verbunden und die Taube als göttliche Friedensbringerin bezeichnet, wobei die alttestamentarische Erzählung als Vorbote der Taufgeschichte erscheint.
   Was ist der Grund für dieses auffällige Interesse an Noa, Arche und Taube im frühen Christentum? Eine Art Erklärung enthält ein Hexameter, der Ambrosius zugeschrieben wird, wohl ursprünglich unter einem Bild der Arche Noa in seiner prächtigen Mailänder Basilika: Die Arche Noa ist ein Symbol unserer selbst, und der Vogel der Geist, der den Völkern mit dem Ölzweig den Frieden darreicht (arca Noe nostri typus est, et spiritus ales/ qui pacem populis ramo praetendit olivae); der Ölzweig ist ebenso wie der Heroldsstab das alte Friedenszeichen des Gesandten. Bei Ambrosius handelt es sich freilich um Frieden in übertragenem Sinn, um spirituellen Frieden. Und dieser spirituelle Frieden ist auch gemeint mit den Taubenbildern, die in großer Zahl auf frühchristlichen Grabsteinen zu finden sind, zusammen mit den obengenannten in-pace-Inschriften in Bezug auf den Frieden des Toten.

   Hierfür zwei ikonographische Beispiele: zuerst ein frühchristlicher Grabstein aus Rom, gestiftet von einem Sabinus für seine Frau Celerina (Abb.13). Rechts haben wir ein Bild von Noa in seiner Kiste, wie er gerade die Taube mit dem Ölzweig empfängt, links eine Darstellung des guten Hirten mit seinen Schafen, ebenfalls ein beliebtes Symbol der Zeit; die Inschrift endet mit der Formel vixit in pace unter Angabe des Lebensalters nach Jahr, Monat und Tag.
   Das zweite Beispiel stammt aus der Umgebung von Trier, wo man eine Fülle von entsprechenden Grabsteinen aus dem 3./4.Jh. gefunden hat. Die Grabinschrift eines jungen Mädchens beginnt mit: hic quiescit in pace, unten stehen zwei Tauben um einen Ölbaum (Abb.14).

Irgendwann ist die Taube vom Grabstein entflogen (dort ist sie nämlich m.W. nicht mehr zu finden) und zum inzwischen weltweiten Friedenssymbol geworden (stellvertretend für eine Fülle von Beispielen hier Picassos 'Blaue Taube' von 1961).
Dagegen findet sich die Friedensformel, nun in der jeweiligen Landessprache, bis heute auf Grabsteinen bei uns und in anderen europäischen Ländern.


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