Viele unserer Wertbegriffe sind als Wort lateinischen Ursprungs. Dies wird in den romanischen Sprachen und damit auch im Englischen unmittelbar deutlich. Aber auch die deutsche Begrifflichkeit ist über das Gelehrtenlatein (Juristen, Mediziner, Philosophen, Theologen) vom Lateinischen geprägt, so z.B. Ge-recht-ig-keit für ius-ti-tia. In den seltensten Fällen läßt sich aber eine völlige inhaltliche Gleichsetzung zwischen deutschem und lateinischem Begriff erreichen. So ist fides im ursprünglichen Sinn nicht 'Treue', pietas nicht 'Frömmigkeit' und pax nicht 'Frieden'. Das hängt damit zusammen, daß die lateinischen Begriffe ursprünglich keinen Zustand bezeichnen, sondern einen Akt bzw. das konkrete Verhalten in einer konkreten Situation. Aus dem Verhalten läßt sich die Haltung ablesen, auf die man setzen oder sogar einen Anspruch erheben kann: fides, pietas, pax und andere sogenannte römische Wertbegriffe sind grundsätzlich auf ein Gegenüber bezogen. Die Erfüllung der damit verbundenen Erwartungen ist zwar rechtlich nicht einzufordern, unterliegt aber der Kontrolle der öffentlichen Meinung. Man sollte daher statt von Wertbegriffen besser von Verhaltensnormen bzw. Postulaten sprechen. Erst in einem letzten Schritt, zugleich in Auseinandersetzung mit griechischen Vorstellungen, werden aus diesen Leitlinien ideelle, zunehmend auch reflektierte und definierte Werte. Dieser Umbruch vollzieht sich in der Endzeit der römischen Republik und ist insbesondere mit Cicero (106-43 v. Chr.) zu verbinden. Ein weiterer wesentlicher Schritt hin zu heutigen Vorstellungen ergibt sich aus der Begegnung zwischen lateinischer Begrifflichkeit und christlichem Denken. Dies sei am Beispiel des Wortes pax (pacis, f.) etwas näher illustriert. PAX - Von den Anfängen eines europäischen Wortes Der ursprüngliche pax-Begriff: Abkommen, (Friedens-)Vertrag Auf dem Weg zum Frieden pax Christiana Friedensgruß und Friedenstaube Hierfür zwei ikonographische Beispiele: zuerst ein frühchristlicher Grabstein aus Rom, gestiftet von einem Sabinus für seine Frau Celerina
(Abb.13). Rechts haben wir ein Bild von Noa in seiner Kiste, wie er gerade die Taube mit dem Ölzweig empfängt, links eine Darstellung des guten Hirten mit seinen Schafen, ebenfalls ein beliebtes Symbol der Zeit; die Inschrift endet mit der Formel vixit in pace unter Angabe des Lebensalters nach Jahr, Monat und Tag. Irgendwann ist die Taube vom Grabstein entflogen (dort ist sie nämlich m.W. nicht mehr zu finden) und zum inzwischen weltweiten
Friedenssymbol geworden (stellvertretend für eine Fülle von Beispielen hier Picassos 'Blaue Taube' von 1961). Zur Homepage der Klassischen Philologie an der FU Berlin |