Welche Vorteile habe ich mit dem Merkzeichen aG?

Besteht ein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung), wenn kein mobilitätsbezogener Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 80 besteht und das Merkzeichen aus präventiven Gründen gewünscht ist? Das hatte das Sozialgericht Osnabrück zu entscheiden.

Die 1939 geborene Klägerin leidet unter Verschleißveränderungen im Bereich der Wirbelsäule, der Hüft-, Knie- und Fußgelenke. Das beklagte Land Niedersachsen hatte auf Antrag der Klägerin hierfür zunächst einen GdB von 50 und später – da zusätzlich eine Schwerhörigkeit geltend gemacht wurde – insgesamt einen GdB von 80 anerkannt. 

Merkzeichen „aG“ abgelehnt

Zudem erkannte das Land die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) sowie „B“ (Notwendigkeit einer Begleitperson) an; das Merkzeichen „aG“ lehnte der Beklagte jedoch ab.

Sozialgericht bestätigt Entscheidung des Landes

Mit ihrer wegen dieses Merkzeichens erhobenen Klage machte die Klägerin weiter geltend, dass ihr die Fortbewegung im öffentlichen Raum ohne Hilfe nicht möglich sei. Sie sei auf fremde Hilfe durch eine Begleitperson und einen Rollstuhl angewiesen. Das Sozialgericht Osnabrück hat sich jedoch der Einschätzung des beklagten Landes angeschlossen und die Klage abgewiesen.

Voraussetzungen für Merkzeichen „aG“ 

Nach § 229 Abs. 3 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) muss für das Merkzeichen „aG“ eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von mindestens 80 bestehen. Dabei setzt das Merkzeichen nicht voraus, dass der schwerbehinderte Mensch nahezu unfähig sein muss, sich auf seinen Beinen fortzubewegen. Vielmehr ist weiterhin erforderlich, aber auch ausreichend, dass der schwerbehinderte Mensch – selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel – praktisch von den ersten Schritten außerhalb eines Kraftfahrzeuges an nur mit fremder Hilfe oder nur mit äußerster Anstrengung gehen kann oder sein Restgehvermögen so unbedeutend ist, dass er schon nach kürzester Strecke schmerz- und/oder erschöpfungsbedingt eine Pause einlegen muss, bevor er weitergehen kann. 

Sozialgericht bezieht sich auf BSG Rechtsprechung

Das Sozialgericht hat Bezug genommen auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil v. 16.3.2016, B 9 SB 1/15 R), wonach aufgrund der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, an die Vergabe des Merkzeichens „aG“ hohe Anforderungen zu stellen sind, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten. Bei der Klägerin besteht zwar ein GdB von 80, dieser ist jedoch nicht nur mobilitätsbezogen. Die Funktionseinschränkungen, die sich auf ihre Mobilität auswirken, bedingen insgesamt nur einen GdB von 50.

Kein Merkzeichen „aG“ aus präventiven Gründen

Das Gericht hat ferner darauf hingewiesen, dass auch aus präventiven Gründen (beispielsweise zur Vermeidung eines Sturzes) das Merkzeichen „aG“ nicht festgestellt werden kann. Der Klägerin ist wegen der Gangunsicherheit das Merkzeichen „B“ zuerkannt worden. Sinn und Zweck des Merkzeichens „aG“ ist es nicht, der Begleitperson, deren Erforderlichkeit bereits durch die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens „B“ Rechnung getragen worden ist, eine weitere Erleichterung zu verschaffen.

Hinweis: Sozialgericht Osnabrück, Gerichtsbescheid v. 27.11.2019, S 30 SB 543/17
 

Sozialgericht Osnabrück

Im Schwerbehindertenausweis können unterschiedliche Buchstabenkürzel, die sogenannten Merkzeichen, eingetragen werden. Was bedeuten die Merkzeichen im Einzelnen?

Welche Vorteile habe ich mit dem Merkzeichen aG?

Im Schwerbehindertenausweis werden anerkannte Merkzeichen eingetragen. Hier im Beispiel "B" für "Begleitperson". | © imago/Becker&Bredel

Im Schwerbehindertenausweis, den man ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr erhalten kann, werden spezifische Behinderungen und bestimmte gesundheitliche Einschränkungen durch Merkzeichen kenntlich gemacht. Viele Nachteilsausgleiche für schwerbehinderte Menschen sind an bestimmte Merkzeichen gekoppelt. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die unterschiedlichen Merkzeichen.

Merkzeichen G - erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit

Das Merkzeichen G bedeutet: Der schwerbehinderte Mensch ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt. Umgangssprachlich wird manchmal für G einfach "gehbehindert" gesagt, tatsächlich muss es sich bei der Einschränkung nicht zwingend um eine Gehbehinderung handeln - auch innere Leiden können die Ursache für die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit sein.

Was "erheblich beeinträchtigt in der Bewegungsfähigkeit" bedeutet und wer betroffen ist, findet sich in der Anlage Teil D, Punkt 1 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV):

"In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein - d. h. altersunabhängig von nicht behinderten Menschen - noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird."

Merkzeichen aG - außergewöhnliche Gehbehinderung

Das Merkzeichen aG im Schwerbehindertenausweis steht für "außergewöhnliche Gehbehinderung". Im Neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) steht dazu in § 229 Persönliche Voraussetzungen unter anderem:

"Schwerbehinderte Menschen mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem Grad der Behinderung von mindestens 80 entspricht. Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die auf Grund der Beeinträchtigung der Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf die Verwendung eines Rollstuhls angewiesen sind." Weiterlesen

Merkzeichen H - Hilfslosigkeit

Das Merkzeichen "H" bedeutet "Hilflos". Es wird im Schwerbehindertenausweis eingetragen, wenn "der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33b des Einkommensteuergesetzes (Absatz 6) oder entsprechender Vorschriften ist".

In der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) heißt es unter Punkt 4. b) zu "Hilfslosigkeit":

"Hilflos sind diejenigen, die infolge von Gesundheitsstörungen - nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB I X) und dem Einkommensteuergesetz 'nicht nur vorübergehend' - für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist."

Merkzeichen Bl - Blindheit

Das Merkzeichen "Bl" steht für "blind". Es wird im Schwerbehindertenausweis eingetragen, wenn "wenn der schwerbehinderte Mensch blind im Sinne des § 72 Absatz 5 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder entsprechender Vorschriften ist".

Wer betroffen ist, findet sich in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordung (VersMedV), Teil A, Abschnitt 6 unter "Blindheit und hochgradige Sehbehinderung".

Merkzeichen "Gl" - Gehörlosigkeit

"Gl" steht als Merkzeichen für "Gehörlos". Gehörlos sind laut Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV), Teil D, nicht nur Hörbehinderte, bei denen Taubheit beiderseits vorliegt, sondern auch Hörbehinderte mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, wenn daneben schwere Sprachstörungen (schwer verständliche Lautsprache, geringer Sprachschatz) vorliegen. Das sind in der Regel Hörbehinderte, bei denen die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit angeboren oder in der Kindheit erworben worden ist.

Merkzeichen "TBl" - Taubblindheit

Das Merkzeichen "TBl" als Abkürzung für "Taubblind" wurde erst am 30.12.2016 eingeführt. Es wird eingetragen, "wenn der schwerbehinderte Mensch wegen einer Störung der Hörfunktion mindestens einen Grad der Behinderung von 70 und wegen einer Störung des Sehvermögens einen Grad der Behinderung von 100 hat".

Merkzeichen "B" - Begleitperson

Das Merkzeichen "B" steht für "Begleitperson". Wenn ein schwerbehinderer Mensch zur Mitnahme einer Begleitperson im Sinne des Sozialgesetzbuch berechtigt ist, wird im Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen B eingetragen, außerdem der Satz "Die Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson ist nachgewiesen". Übrigens bedeutet dies nicht, dass eine Begleitperson ständig dabei sein muss, der schwerbehinderte Mensch also zum Beispiel nicht allein Bahn fahren darf. Er ist aber berechtigt, eine Begleitperson dabei zu haben.

Wer berechtigt für die ständige Begleitung ist, steht, steht in der Anlage Teil D der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV).

Merkzeichen "RF" - Rundfunk/Fernsehen

Das Merkzeichen RF bedeutet, dass eine Rundfunkbeitragsermäßigung und Telefongebührenermäßigung möglich sind. Wenn der schwerbehinderte Mensch "die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt", wird das Merkzeichen RF im Schwerbehindertenausweis eingetragen.

Merkzeichen "1. Kl" - 1. Klasse

Das Merkzeichen "1. Kl" steht für "1. Klasse" und berechtigt zur Nutzung der 1. Klasse der Deutschen Bahn mit Fahrkarte für die 2. Klasse (nur bei Versorgungsempfängern nach Bundesversorgungsgesetz oder Bundesentschädigungsgesetz).

Merkzeichen "EB" - Entschädigungsberechtigt

Bei schwerbehinderten Menschen, die Entschädigung nach § 28 des Bundesentschädigungsgesetzes erhalten und die einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 haben, wird das Merkzeichen EB in den Schwerbehindertenausweis eingetragen.

Merkzeichen "VB" - Versorgungsberechtigt

Das Merkzeichen VB steht für "Versorgungsberechtigt" und wird in den Schwerbehindertenausweis eingetragen, wenn Anspruch auf Versorgung nach anderen Bundesgesetzen als nach dem Bundesversorgungsgesetz besteht und wenn ein Grad der Schädigung (GdS) von mindestens 50 vorliegt.

"Kriegsbeschädigt"

Hat eine schwerbehinderte Person Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz und einen Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50, wird die Bezeichnung "Kriegsbeschädigt" im Ausweis eingetragen.

Mit welchen Merkzeichen darf man auf Behindertenparkplätzen parken?

Der Schwerbehindertenausweis allein reicht nicht aus, um auf Behindertenparkplätzen parken zu dürfen. Ein spezieller EU-Parkausweis ist Pflicht.

Diesen Ausweis können nur schwerbehinderte Menschen mit den Merkzeichen aG (außergewöhnlich gehbehindert) und Bl (blind) erhalten.

Wer kann mich zum Thema Merkzeichen beraten?

Der Sozialverband VdK berät seine Mitglieder zum Thema Schwerbehindertenausweis und zu den Merkzeichen sowie zu den Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen.

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VdK-TV: Rund um den Schwerbehindertenausweis

Welche Vorteile habe ich mit dem Merkzeichen aG?

Der VdK informiert über die wichtigsten Fragen zum Schwerbehindertenausweis und klärt: Was ist ein GdB? Wie lange ist ein Schwerbehindertenausweis gültig und was bringt er überhaupt? Hinweis: Die jeweils aktuell gültigen Preise für die Wertmarke im ÖPNV finden Sie hier: https://www.vdk.de/permalink/73592

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Was bedeutet aG bei der Schwerbehinderung?

Merkzeichen aG- außergewöhnlich Gehbehinderte Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Wann bekommt man aG?

Voraussetzung für das Merkzeichen aG ist eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die mindestens einem Grad der Behinderung (Gdb) von 80 entspricht.

Wie erhalte ich Merkzeichen aG?

Voraussetzungen für MerkzeichenaG“ Nach § 229 Abs. 3 S. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) muss für das MerkzeichenaG“ eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von mindestens 80 bestehen.

Welches Merkzeichen bei Rollator?

klar kann man bei Nutzung eines Rollators das Merkzeichen AG im Schwerbehindertenausweis vom Versorgungsamt bekommen: "Die Zuerkennung des Merkzeichens aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) verlangt nach neuer Rechtslage nach § 146 Abs. 3 SGB IX (gültig vom 30.12.2016 bis zum 31.12.2017) bzw. § 229 Abs.