Wer ist beteiligter im verfahren um maulkorbzwang

1. Ein Maulkorb- und Leinenzwang ist gerechtfertigt, wenn es in der Vergangenheit bereits zu einem Beißvorfall kam. Dabei kommt es nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität ausgeht oder ob es sich um hundetypisches Verhalten handelt. (Rn. 18 und 19) (redaktioneller Leitsatz)

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2. Ist es bereits zu einem Beißvorfall gekommen, sind an die Begründung des Ermessens keine hohen Anforderungen zu stellen. Ein Einschreiten zur Abwehr der bereits realisierten Gefahr ist regelmäßig geboten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

3. Die Beendigung eines Strafverfahrens durch staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung schließt Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nicht aus, wenn ein Restverdacht fortbesteht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung, Leinen- oder Maulkorbzwang innerorts (Wahlrecht für den Hundehalter), Staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung, Maulkorb- und Leinenzwang, Hundehaltung, gesteigerte Aggressivität, hundetypisches Verhalten, Einstellungsverfügung, Ermessen

VGH München, Beschluss vom 11.03.2022 – 10 ZB 21.3251

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die verheiratete Klägerin hält im Stadtgebiet der Beklagten (im … … … …) den im Jahr 2018 gewölften Australian Shepherd Rüden namens „…“.

Im Dezember 2020 erhielt die Beklagte Kenntnis von einer am 23. November 2020 bei der Polizeiinspektion … München gegen die Klägerin erstatteten Strafanzeige. Der Aussage des Anzeigeerstatters zufolge sei er am 11. November 2020 in den Isarauen Nord joggen gewesen und habe sich gegen 16:10 Uhr auf dem W* …weg … … … … * … befunden, als ihm die Klägerin, die er aus der Nachbarschaft kenne, mit ihrem nicht angeleinten Rüden entgegengekommen sei. Aus Vorsicht sei der Anzeigeerstatter bereits 30 Meter vorher ins Gehen übergegangen und erst, nachdem er an der Klägerin und ihrem Hund vorbeigegangen gewesen sei, wieder losgelaufen. Kurz darauf habe ihn der Rüde der Klägerin in die Rückseite des linken Oberschenkels gebissen. Als der Anzeigeerstatter die blutende Bissstelle der Klägerin gezeigt habe, habe sich diese entschuldigt und die Schnauze des Rüden mit der Hand zugehalten. Ausweislich eines bei der Beklagten am 18. Dezember 2021 eingereichten ärztlichen Attests (nebst Lichtbildern von einer Wunde am linken Oberschenkel) ließ sich der Anzeigeerstatter unmittelbar nach dem Vorfall (am selben Tag, um 17:50 Uhr) wegen eines Hundebisses in den linken Oberschenkel fachärztlich behandeln.

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2020 teilte die Beklagte der Klägerin unter Bezugnahme auf den Vorfall vom 11. November 2020 mit, dass beabsichtigt sei, eine Einzelfallanordnung zur Haltung des Rüden der Klägerin zu treffen. Um den Vorfall bewerten und einschätzen zu können, werde der Klägerin Gelegenheit gegeben, sich dazu zu äußern.

Am 13. Januar 2021 erhielt die Beklagte einen Abdruck der Stellungnahme der Klägerin gegenüber der Polizei vom 23. Dezember 2020, worin die Klägerin den Beißvorfall vom 11. November 2020 bestritt und eine (Gegen-)Anzeige gegen den betroffenen Jogger erstattete. Der angeleinte Rüde habe sich neben dem rechten Bein der Klägerin befunden, als der Jogger aus 15 Metern Entfernung plötzlich geschrien habe, der Hund habe ihn gebissen. Der Geschädigte habe weder einen Arzt noch die Polizei rufen wollen, sondern habe nur Entschädigung für seine beschädigten Laufhose verlangt. Eine Wunde habe die Klägerin jedoch nicht feststellen können. Als der Jogger am 20. Dezember 2020 den Ehemann der Klägerin in der Nachbarschaft getroffen habe, habe er auch von diesem Geld verlangt. Der Ehemann der Klägerin habe sich aber nicht erpressen lassen.

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 15. Februar 2021, zugestellt laut der Postzustellungsurkunde am 19. Februar 2021, verfügte die Beklagte gegenüber der Klägerin in Bezug auf die Haltung des Rüden „…“ Folgendes:

„1. Ihnen wird aufgegeben, Ihren Hund innerorts künftig nur noch an einer reißfesten, maximal zwei Meter langen Leine (keine FlexiLeine) und einem geeigneten durchschlupfsicheren Halsband angeleint oder mit abstreifsicher angelegtem beißsicheren Gittermaulkorb auszuführen oder entsprechend ausführen zu lassen. Dabei sind die Leine und das Halsband bzw. der Maulkorb bereits vor Verlassen Ihrer Wohnung, anderer Wohnungen oder umfriedeter (Privat-)Grundstücke anzulegen und dürfen erst nach Rückkehr wieder abgelegt werden. Bei Verwendung eines Kraftfahrzeuges oder anderer Transportmittel muss das Anleinen bzw. Anlegen des Maulkorbes im jeweiligen Transportmittel vor dessen Verlassen erfolgen. Außerorts darf der Hund uneingeschränkt ausgeführt werden.

2. Für den Fall eines Verstoßes gegen die Anordnung aus der Ziffer 1. dieses Bescheides wird ab Zustellung des Bescheides ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500,00 Euro fällig.

3. Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1. dieses Bescheides wird angeordnet.

4. Die Kosten des Verfahrens haben Sie zu tragen.

5. Die Gebühr für diesen Bescheid wird auf 150,00 Euro festgesetzt. Auslagen sind in Höhe von 2,96 Euro zu erstatten. Über den Gesamtbetrag von 152,96 Euro ergeht eine gesonderte Zahlungsaufforderung.“

In den Bescheidsgründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei zu dem Beißvorfall vom 11. November 2020 gekommen, weil der Rüde der Klägerin weder angeleint gewesen sei noch einen Maulkorb getragen habe. Der angeordnete alternative Leinen- bzw. Maulkorbzwang sei eine verhältnismäßige Maßnahme zur Vermeidung weiterer Beißvorfälle. Der geschädigte Jogger habe den Vorfall vom 11. November 2020 schlüssig, detailreich und ohne Anzeichen von Belastungseifer geschildert. Er habe am selben Tag einen Arzt aufgesucht, die Bissverletzung habe er durch ärztliches Attest und eindeutige Lichtbilder belegt. Der Einwand der Klägerin, ihr Rüde sei angeleint gewesen, werte die Beklagte insoweit als eine Schutzbehauptung. Die Stellungnahme der Klägerin gegenüber der Polizei erschöpfe sich in bloßem Bestreiten des Vortrags des Geschädigten und in reinen Mutmaßungen über dessen Unlauterkeit.

Mit Schreiben vom 10. März 2021, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 17. März 2021, erhob die Klägerin persönlich Klage. Sie beantragt (sinngemäß), den Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 aufzuheben.

Zur Begründung verwies der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 20. Mai 2021 im Wesentlichen auf deren Stellungnahme gegenüber der Polizei vom 23. Dezember 2020 und bestritt, dass eine Bissverletzung nachgewiesen sei. Aus dem ärztlichen Attest ergebe sich nicht eindeutig, dass ein Hundebiss behandelt worden sei. Die beschädigte Laufhose habe der Anzeigeerstatter nicht vorgelegt. Schließlich habe die Staatsanwaltschaft München I das Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin zum Vorfall vom 11. November 2020 aufgrund fehlender Beweise eingestellt.

Mit Schriftsatz vom 27. April 2021 beantragt die Beklagte,

Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft München I (aufgrund der unterschiedlichen Vorgehensweisen im Straf- und Sicherheitsrecht) wirke sich nicht auf das vorliegende verwaltungsgerichtliche Verfahren aus. Während das Strafrecht schuldhaftes Handeln in der Vergangenheit ahnde, diene das verschuldensunabhängige Sicherheitsrecht der Gefahrenabwehr bzw. der Prävention in der Zukunft.

Das Ermittlungsverfahren gegen Klägerin wegen fahrlässiger Körperverletzung zu Lasten des geschädigten Joggers stellte die Staatsanwaltschaft München I gemäß § 170 Abs. 2 StPO mit Einstellungsverfügung vom 14. Februar 2021 ein (Az. 261 Js 104636/21), weil sich der genaue Tathergang am 11. November 2020 aufgrund widersprechender Angaben der Beteiligten und mangels anderer objektiver Beweismittel nicht feststellen habe lassen.

Die Beteiligten stimmten dem Übergang ins schriftliche Verfahren zu (Erklärungen vom 24. bzw. 25 November 2021).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren entscheiden (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 15. Februar 2021 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

1. Es bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids. Insbesondere hat die Beklagte vorliegend als zuständige Sicherheitsbehörde gehandelt (Art. 6 Landesstraf- und Verordnungsgesetz - LStVG, Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz - BayVwVfG).

2. Auch in materieller Hinsicht erweist sich der Bescheid der Beklagten als rechtmäßig. Gegen die in Nummer 1 getroffene Regelung eines alternativen Leinen- bzw. Maulkorbzwangs bestehen keine rechtlichen Bedenken.

2.1. Die Rechtsgrundlage für sicherheitsrechtliche Anordnungen zur Hundehaltung ergibt sich aus Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG; nach dieser Vorschrift können Gemeinden zum Schutz von Leben, Gesundheit, Eigentum oder der öffentlichen Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Eine solche Anordnung darf jedoch nur verfügt werden, wenn im zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die genannten Schutzgüter vorliegt, d.h. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden kann, dass es in absehbarer Zeit zu einem Schaden - einer Verletzung der geschützten Rechtsgüter - kommt. Hierbei sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 21.12.2011 - 10 B 10.2806 - juris Rn. 18 m.w.N.; U.v. 6.4.2016 - 10 B 14.1054 - juris Rn. 19). Eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn es in der Vergangenheit bereits zu einem Beißvorfall gekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2012 - 10 CS 12.1791 - juris Rn. 24; B.v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 8).

2.1.1. Für die Bejahung einer konkreten Gefahr kommt es nach ständiger Rechtsprechung nicht darauf an, ob von dem Hund eine gesteigerte Aggressivität gegen Menschen oder andere Hunde ausgeht oder ob es sich um ein hundetypisches Verhalten handelt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 20.1.2011 - 10 B 09.2966 - juris 21 m.w.N.). Sinn der Ermächtigung des Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es, den Gemeinden die Befugnis zu geben, zur Verhütung jeglicher Gefahren für die in Art. 18 Abs. 1 Satz 1 LStVG genannten Rechtsgüter Anordnungen zur Haltung von Hunden zu treffen, unabhängig davon, in welcher Weise diese von Hunden verursacht werden. Die Mehrheit der von Hunden ausgehenden Gefahren beruht nämlich gerade auf hundetypischem Verhalten. Auch wenn ein Schaden durch den Hund dadurch herbeigeführt wird, dass er durch ein „Fehlverhalten“ oder eine „Fehlreaktion“ einer anderen Person entstanden ist, sind nach der obergerichtlichen Rechtsprechung solche Vorfälle dennoch dem Hund zuzurechnen, da die Gefahr ausschließlich von diesem ausgeht (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2005 - 24 BV 04.2755 - juris Rn. 34; B.v. 20.1.2011 - 10 B 09.2966 - juris Rn. 22; B.v. 31.7.2014 - 10 ZB 14.688 - juris Rn. 7 f.). Von Passanten wird kein hundegerechtes Verhalten erwartet, vielmehr steht der Hundehalter in der Pflicht, wenn er seinen Hund in der Öffentlichkeit ausführt. Nur das bewusste und gezielte Reizen eines Hundes stellt kein (Fehl-)Verhalten eines Passanten dar, mit dem der Hundehalter jederzeit hätte rechnen und die Reaktion seines Hundes hierauf hätte verhindern müssen (vgl. BayVGH, B.v. 31.7.2014 - 10 ZB 14.688 - juris Rn. 7).

Bei der Aufklärung des Sachverhalts darf die Sicherheitsbehörde grundsätzlich von der Richtigkeit von Zeugenaussagen ausgehen, insbesondere dann, wenn die Aussage den Vorfall detailliert und nachvollziehbar schildert und wenn mehrere Aussagen verschiedener Zeugen übereinstimmen. Sie darf auch polizeiliche Erkenntnisse heranziehen, ist allerdings an die im Ermittlungsverfahren getroffene Beurteilung nicht gebunden (Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18 Rn. 35, 39). Insbesondere schließt die Beendigung eines Strafverfahrens durch staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügung Maßnahmen zur präventiven Gefahrenabwehr nicht aus (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2013 - 10 C 13.62 - juris Rn. 4; B.v. 24.2.2015 - 10 C 14.1180 - juris Rn. 19), jedenfalls dann nicht, wenn ein Restverdacht fortbesteht (VGH Hessen, U.v. 23.4.2002 - 10 UE 4135/98 - juris Rn. 51; BayVGH, B.v. 16.11.2018 - 10 C 18.2094 - juris Rn. 11).

2.1.2. Vorliegend bestehen zur Überzeugung des Gerichts hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme einer für die Anordnung in Nummer 1 des Bescheids vom 15. Februar 2021 erforderlichen konkreten Gefahr für die Gesundheit von Menschen.

Die gerichtlich voll überprüfbare Gefahrenprognose der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass sich der Vorfall vom 11. November 2020 in der vom Anzeigeerstatter geschilderten Weise zugetragen hat, d.h. dass es zu einem Beißvorfall unter Beteiligung des Rüden der Klägerin gekommen ist.

Zwar bestreitet die Klägerin unter Berufung auf die Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens, dass ihr Rüde „…“ den Jogger gebissen habe, als Sicherheitsbehörde ist die Beklagte - wie auch das Gericht - allerdings nicht an Beurteilungen der Staatsanwaltschaft gebunden. Sicherheitsrechtliches und strafrechtliches Verfahren haben unterschiedliche Zielsetzungen und unterschiedliche Verfahrensgrundsätze. Im Sicherheitsrecht geht es nicht um die Sanktion in der Vergangenheit geschehenen, vorwerfbaren Verhaltens, sondern um Prävention. Das Ziel einer effizienten Gefahrenabwehr wäre kaum erreichbar, forderte man den Vollbeweis prognosestützender Tatsachen.

Darüber hinaus ergibt sich aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 14. Februar 2021 (nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung - StPO) lediglich, dass ein Tatnachweis gegen die Klägerin nicht mit der für die Anklageerhebung notwendigen Sicherheit geführt werden könne, da der genaue Hergang des Vorfalls vom 11. November 2021 nicht aufklärbar sei. Dazu, wie sich der Vorfall zugetragen hat, verhält sich die staatsanwaltschaftliche Verfügung nicht. Insofern bestanden im Zeitpunkt des Bescheiderlasses weiterhin Verdachtsmomente gegen die Klägerin.

Zweifel an der Vorfallschilderung des Anzeigeerstatters ergeben sich nicht. Seine Angaben zur Begegnung am 11. November 2020 stimmen - abgesehen von der Frage, ob der Rüde angeleint war und gebissen hat - mit denen der Klägerin überein. Der Geschädigte hat ein ärztliches Attest mit der Diagnose „Hundebiss“ vorgelegt, wonach bei ihm am 11. November 2020, gegen 17:30 Uhr - und damit unmittelbar nach dem bestrittenen Beißvorfall - eine Schürfwunde am linken Oberschenkel aufgrund einer Bissverletzung behandelt worden ist. Die Behördenakte enthält zudem Lichtbilder von einer eindeutigen Bissverletzung am linken Oberschenkel. Die Kammer hält es - und schließt sich insoweit den Ausführungen der Beklagten an - für höchst unwahrscheinlich, dass der Anzeigeerstatter durch einen anderen Hund gebissen wurde und die vorliegenden Beweise dafür einsetzt, um einen nicht stattgefundenen Beißvorfall durch den Rüden der Klägerin geltend zu machen. Insoweit überzeugt der Einwand der Klägerin, der Anzeigeerstatter wolle sie bzw. ihren Ehemann nur erpressen, nicht. Umstände, aufgrund derer weitere Maßnahmen zur Sachaufklärung hätten veranlasst sein können, sind nicht ersichtlich.

2.2. Die Anordnungen in Nummer 1 des Bescheids vom 15. Februar 2021 lassen auch keine Ermessensfehler erkennen und erweisen sich darüber hinaus bei Abwägung der gegenläufigen Interessen als verhältnismäßig (Art. 8 LStVG).

Liegt eine konkrete Gefahr vor, sind also die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG erfüllt, steht der Erlass einer Einzelfallanordnung zur Hundehaltung grundsätzlich im Ermessen der Sicherheitsbehörde. Die zu treffende Entscheidung erfasst dabei sowohl die Frage, ob sie handelt (Entschließungsermessen), als auch die Frage, wie sie handelt (Auswahlermessen). Dabei hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (Art. 40 BayVwVfG).

Ist es bereits - wovon vorliegend auszugehen ist - zu einem Beißvorfall oder sonstigen Zwischenfällen gekommen, sind an die Begründung des Entschließungsermessens regelmäßig keine hohen Anforderungen zu stellen. Ein sicherheitsrechtliches Einschreiten zur Abwehr der bereits realisierten Gefahr ist nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig nicht nur zulässig, sondern sogar geboten (vgl. BayVGH, B.v. 18.11.2011 - 10 ZB 11.1837 - juris Rn. 19; U.v. 25.11.2014 - 10 BV 13.1151 - juris Rn. 46; B.v. 25.8.2014 - 10 ZB 12.2673 - juris Rn. 8; Schenk in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 1.5.2018, Art. 18, Rn. 61).

Auch ihr Auswahlermessen hat die Beklagte ordnungsgemäß ausgeübt. Ihre Erwägungen sind weder im Hinblick auf die Geeignetheit und die Erforderlichkeit der Anordnung noch im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn rechtlich zu beanstanden. Durch die Anordnung eines alternativen Leinen- bzw. Maulkorbzwangs innerorts wird sichergestellt, dass in Gebieten, in denen üblicherweise mit relevantem Publikumsverkehr zu rechnen ist, die von dem Rüden ausgehende Gefahr zuverlässig beseitigt wird.

Das der Klägerin eingeräumte Wahlrecht zwischen Leine und Maulkorb stellt ein milderes Mittel gegenüber dem ebenfalls denkbaren generellen Leinenzwang mit Freiauslauf auf übersichtlichen Freiflächen dar. Durch die Anordnung der Beklagten wird die Klägerin insgesamt nur geringfügig belastet, insbesondere wenn man bedenkt, dass bei Zugrundelegung der Angaben der Klägerin, wonach der Rüde im Zeitpunkt des Beißvorfalls angeleint gewesen sei, ein genereller Maulkorbzwang (ggf. kombiniert mit einem Leinenzwang) in Betracht gekommen wäre und dass ein erhebliches öffentliches Interesse an einer Unterbindung der von dem Rüden ausgehenden Gefahr besteht. Indem der Klägerin weiterhin gestattet ist, den Rüden außerorts ohne Einschränkungen auszuführen, werden auch die Belange des Tierwohls angemessen berücksichtigt.

3. Die Klägerin ist als Halterin des Rüden Zustandsstörerin und daher gemäß Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG richtige Adressatin der sicherheitsrechtlichen Maßnahme.

4. Der Bescheid erweist sich auch im Übrigen als rechtmäßig, insbesondere begegnet die Androhung von Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro in Nummer 2 des Bescheids keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der Art. 19 Abs. 1 Nr. 3, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und Art. 36 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz - VwZVG sind eingehalten, die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes liegt mit 500,00 Euro im unteren Bereich des gesetzlich vorgegebenen Rahmens des Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG und ist unter Bezugnahme auf die davon erhoffte Beugewirkung auch ausreichend begründet.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 Zivilprozessordnung - ZPO.