Bald jährt sich das Karfreitagsabkommen zum 25. Mal. Der Kompromiss beendete den Bürgerkrieg zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten. Seit dem Brexit nehmen die Spannungen aber wieder zu. Show 13. Oktober 2022 Graffitis in Belfast erinnern an den schwelenden Konflikt zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Loyalisten (Matthias Graben / Keystone) Vor 25 Jahren trafen sich der damalige britische Premierminister Tony Blair und Gerry Adams, der ehemalige Chef der Partei Sinn Fein, zu einem historischen Handschlag in Belfast. Die kurze Begegnung war umstritten. Die protestantischen Anhänger der Union mit Grossbritannien waren empört, dass Blair den «Terroristen» Adams mit einem Handschlag legitimierte. Sinn Fein galt als politischer Arm der katholischen Untergrundorganisation IRA, die für eine Wiedervereinigung mit Irland kämpfte. Auf der Gegenseite standen protestantische Loyalisten und britische Soldaten. Tausende starben während des 30-jährigen Bürgerkriegs. Das Treffen zwischen Blair und Adams läutete das Ende der Gewalt in Nordirland mit ein. Am 10. April 1998 unterzeichneten Irlands Regierungschef Bertie Ahern und Blair das Karfreitagsabkommen, das mit einer komplizierten Regelung den Frieden auf der irischen Insel sicherte. So explosiv wie damals, als sich Blair und Adams trafen, ist die Lage längst nicht mehr. Die Gewalt flammt zwar regelmässig wieder auf, ist derzeit aber keine grosse Sorge, wie die nordirische Politologin Katy Hayward bestätigt. Dennoch sind wenige Monate vor dem 25. Jahrestag des Friedensschlusses die Probleme immens. Grund ist der Brexit. Brexit als DamoklesschwertDer Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union hat für Nordirland weitreichende Folgen. Als Teil Grossbritanniens müsste der Staat seine Grenzen zum Nachbarn und EU-Mitglied Irland wieder kontrollieren. Personenfreizügigkeit und der freie Warenverkehr gelten nicht mehr. Damit würden alte Wunden aufgerissen. Nach langen Verhandlungen hatten sich Grossbritannien und die EU deshalb auf das Nordirland-Protokoll geeinigt, das eine harte Grenze zwischen der Provinz und dem EU-Mitglied Irland verhindert. Doch damit entstand auch eine Zollgrenze zum Rest des Vereinigten Königreichs. Anhänger der Union fürchten, die Regelung befördere eine Loslösung von London. Die wichtigste protestantische Partei DUP fordert das Ende des Protokolls. Ansonsten will sie sich nicht an einer Gemeinschaftsregierung mit Sinn Fein beteiligen – obwohl dies vom Karfreitagsabkommen so vorgegeben ist. Die Fronten verhärten sich, auch weil mit Sinn Fein seit der Wahl im Mai erstmals überhaupt eine katholische Partei in Nordirland stärkste Kraft ist. Der Trend dürfte sich zementieren: Wie kürzlich bekannt wurde, leben erstmals mehr Katholiken in der Region als Protestanten. Schwierige RegierungsbildungSchon seit Monaten steht Nordirland ohne funktionierende Exekutive da, die britische Provinz ist politisch gelähmt. Am 28. Oktober endet eine Frist zur Regierungsbildung. Doch auch die dann nötige Neuwahl wird wohl keine Lösung bringen, wie Expertin Hayward sagt. Umfragen sehen Zugewinne für DUP und Sinn Fein. «Die Wahl würde nicht viel ändern, ausser dass die Parteien in der Mitte angesichts der Polarisierung zwischen Sinn Fein und der DUP unter Druck geraten», sagt Hayward. Das würde auch die Feiern zum Jubiläum des Karfreitagsabkommens im April belasten, zu denen – so wird allgemein erwartet – auch US-Präsident Joe Biden anreisen will. Biden ist stolz auf seine irischen Wurzeln und hat London wiederholt für die harte Linie im Brexit-Streit kritisiert. Auch deshalb will Premierministerin Liz Truss nun Fortschritte sehen. Das Vertrauen der EU in ihre Regierung bleibt aber gering, wie EU-Diplomaten bestätigen. Denn Truss hält an einem Gesetzesvorhaben fest, das London erlauben würde, die Brexit-Regelung einseitig aufzuheben. Wenn es so verabschiedet werden würde, dürfte die Folge ein Handelskrieg mit der EU sein. Versöhnliche TöneZuletzt sprach der irische Aussenminister Simon Coveney jedoch von einer «neuen Ära der Positivität». Auch aus London kommen ermutigende Töne. Der britische Nordirland-Staatssekretär Steve Baker, ein Hardcore-Brexiteer, entschuldigte sich kürzlich beim Nachbarland Irland und der EU für sein Verhalten und das anderer Politiker während des Brexit-Streits. Der Wechsel auf der Tonspur deutet darauf hin, dass London und Brüssel das Abkommen abändern. So räumte der irische Vizeregierungschef Leo Varadkar ein, das Protokoll sei «ein bisschen zu streng». Ob ein Kompromiss aber ausreicht, dass die DUP ihre Erpressung beendet, wird bezweifelt. Eine dauerhafte Lösung für Nordirland ist noch in weiter Ferne. (sda/pef) Das könnte Sie ebenfalls interessieren
|