FALSTAFF: Unser aller Leben steht jetzt seit mehr als einem Jahr unter dem Einfluss der Corona-Pandemie und der sich daraus ergebenden Einschränkungen – vor allem auch im Bereich der Gastronomie. Rundheraus gefragt: Wie steht es um Ihre Kochkünste? Da drängt sich natürlich die Frage auf, wie Sie in den vergangenen Monaten zurechtgekommen sind, nachdem fast alle Lokale covidbedingt geschlossen hatten … Weshalb das? © Nina Goldnagl / picturedesk Und wie ist das für Sie? Der
Schriftsteller Michael Köhlmeier sagte einmal sinngemäss: Wenn man es sich eines Tages erlaubt, seine Kaffeetasse direkt auf den Tisch und nicht mehr auf die Untertasse zu stellen, ist das der Beginn des Untergangs. Was sagen Sie jenen Menschen, die nun einwenden, dass es völlig egal sei, ob man den Schinken direkt aus der Verpackung oder von einem Teller isst, wenn man ohnehin alleine ist. Man darf nicht vergessen, dass viele Speiseordnungen einen religiösen Hintergrund haben. Dabei geht es nicht ums Essen an sich, sondern um die Frage, was das Essen für das Verhältnis der Menschen zueinander bedeutet, und vielmehr noch um das Verhältnis der Menschen zu ihren Göttern. Im Ritual des heiligen Abendmahls verzehren Christen den Leib ihres Erlösers. Satt wird davon niemand. Religionen schrieben auch vor, wann die Menschen zu fasten und wann sie zu feiern hatten. Aber auch im Gastrecht spielt das Essen eine zentrale Rolle. Wir wissen, wie beleidigend es in manchen Kulturen ist, wenn man als Gast Essen zurückweist. Kurzum: Essen ist, wie sonst vielleicht nur die Sexualität, umgeben von einem dichten Netz von Codes, Ritualen und politischen und gesellschaftlichen Bezügen. Und Essen war immer auch Demonstration und Zeugnis des sozialen Status. Ich bin noch in einer Zeit aufgewachsen, in der eine ganz zentrale Frage war, wie oft man sich Fleisch leisten kann. War das auch in Ihrer Familie ein
Thema? Wirklich? Ein schöner Gedanke. Dennoch: Das gemütliche Zusammensein im Kaffeehaus oder in einem Restaurant ist unersetzlich, es fehlt unglaublich. Wider Willen befanden und befinden wir uns noch in einer sozialen Askese. Was motiviert Menschen, freiwillig asketisch zu leben? Welchen Genuss kann Askese überhaupt bringen? Stimmt, wenngleich ja auch Genuss mit Lustgefühlen verbunden ist … Das Übermass hat etwas Abstossendes. Allerdings kann auch der Umgang mit Menschen, die sich alles versagen, die nichts geniessen können oder wollen, unglaublich mühsam sein … Wenn diese Pandemie endlich überwunden ist, wird nichts mehr so sein wie zuvor, sagen manche Zukunftsforscher. Andere behaupten hingegen, wir alle werden das Bedürfnis haben, möglichst alles nachzuholen, was wir durch die Pandemie versäumt haben. Was denken Sie? Demnach werden wir unser
nächstes Gespräch hoffentlich wieder in einem Kaffeehaus oder beim Heurigen im Grünen führen können? «Corona wird unser Sozial- und Konsumverhalten kaum ändern», sagt Liessmann. © Nina Goldnagl / picturedesk.com Zur PersonDer Pop-Philosoph Konrad Paul Liessmann wurde 1953 in Villach geboren. Er ist Professor für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Seit 1987 ist er zudem wissenschaftlicher Leiter des «Philosophicum Lech» und gilt als der bekannteste Philosoph Österreichs. 2004 erhielt er den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln, 2016 den Paul-Watzlawick-Ehrenring. Liessmann hat zahlreiche Bücher publiziert, zuletzt «Geisterstunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift» (2014), «Bildung als Provokation» (2017) und «Der werfe den ersten Stein» (2019). Am 19. April erscheint sein neuestes Buch, «Alle Lust will Ewigkeit» (Zsolnay Verlag). K.P.L. im Genuss-WordrapFast food: Hauben-Restaurants: Diätwahn: Schnaps: Mega-Erlöse bei Weinauktionen: Lieblingsspeise: |