Kind geht nicht zur Schule Konsequenzen

Recht-Informationsdienst Kinder und Jugendliche

Das geistige und seelische Wohl eines Kindes kann bei der Verletzung der Schulpflicht auch gefährdet sein, wenn es aufgrund von Heimunterricht auf einem altersgerechten Wissenstand ist. So urteilte das OLG Hamm im Juni 2013 in dem folgenden Fall.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 12.06.2013 - 8 UF 75/12

Der heute elfjährige Junge K wohnt bei seinen 49 und 51 Jahre alten Eltern im Kreis Warendorf. Er ist das 6. und jüngste Kind der Familie. Im Alter von 7 Jahren eingeschult, fehlte der Junge bereits im ersten Schuljahr an über 40 Tagen in der örtlichen Grundschule, von der ihn die Eltern im Jahre 2010 abmeldeten.

In den nächsten Jahren besuchte er zwei weitere Grundschulen, an denen er nur wenige Tage blieb. Ein im Jahre 2012 unternommener Versuch, das Kind durch Lehrkräfte zu Hause zu beschulen, um eine Wiedereingliederung in eine Schule vorzubereiten, scheiterte. Der Junge wird zurzeit durch seine Mutter, von Beruf Informatikerin, unterrichtet und verfügt über einen altersgerechten Wissenstand.

Ks gewöhnlicher Tagesablauf sieht so aus, dass er spätestens gegen 9.00 Uhr morgens aufsteht und sich mit PC-Spielen, Lesen, Handarbeit und dem Lernen von schulischen Inhalten beschäftigt. Oft läuft er aber auch nur den Eltern und den weiteren im gemeinsamen Haushalt lebenden Geschwistern hinterher. Nach dem Mittagessen spielt er zumeist am PC. Er sitzt täglich etwa 4 Stunden vor dem Computer. Die Eltern versuchen nach Angaben der Kindesmutter, die Computerspielzeit auf täglich 3 Stunden zu begrenzen.

Befreundet ist K mit einem Nachbarjungen, mit dem er sich etwa dreimal pro Woche trifft, um gemeinsam zu spielen, bevorzugt am PC. Seit kurzer Zeit hat er auch noch einen weiteren Freund.

Eine feste Zeit zum Schlafengehen wird K nicht gesetzt. Nach seinen eigenen Angaben geht er zwischen 21 Uhr und 21.30 Uhr ins Bett, allerdings nur, "wenn kein toller Film im Fernsehen kommt". Ansonsten geht er ins Bett, wenn der Film zu Ende ist.

In der Vergangenheit lehnten es die Eltern ab, den Jungen gegen seinen Willen auf eine öffentliche Schule zu schicken.

Die Kindesmutter war zum Jahreswechsel 2012/2013 49 Jahre alt. Sie ist Diplom-Informatikerin und geringfügig beschäftigt. Sie gibt Computerkurse an der Volkshochschule.

Zusammen mit dem Kindesvater hat sie neben K noch fünf weitere Kinder im Alter zwischen 16 und 28 Jahren, von denen vier ihr Abitur gemacht haben bzw. studieren oder das Studium abgeschlossen haben, während das fünfte, 16 Jahre alt und Schüler eines Gymnasiums, derzeit den Schulbesuch verweigert, weil er von anderen Kindern gemobbt worden sei.

Der Kindesvater war zum Jahreswechsel 2012/2013 51 Jahre alt. Er ist aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und einer Suchtproblematik seit dem Jahr 1998 von einer Amtsärztin als dauerhaft erwerbsunfähig eingestuft worden. Bereits als Jugendlicher war er tablettenabhängig. Auf wiederholte Suizidversuche folgten stationäre Behandlungen. Seit einer Entgiftung im Jahr 1988 erfolgte kein Tablettenmissbrauch oder Suizidversuch mehr. Nachfolgend entwickelte sich allerdings eine Alkoholproblematik in Phasen. Zwischen den Phasen ist er für mehrere Monate trocken.

Seit dem Jahr 2002 arbeitet er an zwei Büchern, die sich u. a. mit Nahtoderfahrungen, visionären Welten, halluzinatorischen Zuständen und Phänomenen, Kristallomantie und biochemischen Prozessen befassen.

Im Hinblick auf die Schulpflichtverletzung hat das Jugendamt des Kreises Warendorf im Oktober 2011 eine Anzeige gem. § 8a Abs. 3 SGB VIII wegen Kindeswohlgefährdung an das Amtsgericht W. gerichtet.

Das Amtsgericht - Familiengericht - hat darauf ein Verfahren eingeleitet und den Eltern mit Beschluss vom 09.03.2012 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten für das betroffene Kind K entzogen und auf den Kreis W. übertragen.

Gleichzeitig wurde den Eltern aufgegeben, das Kind an den Kreis herauszugeben, und der Gerichtsvollzieher ermächtigt, die Herausgabe des Kindes notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betretens und Durchsuchung der elterlichen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe der Polizei zu erzwingen.

Auf die Beschwerde der Kindeseltern und des betroffenen Kindes hat das Oberlandesgericht den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - teilweise abgeändert und neu gefasst:

  1. Den Kindeseltern wird das Recht zur Regelung schulischer Angelegenheiten, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Recht, Hilfen zur Erziehung zu beantragen, betreffend das Kind K entzogen und auf das Kreisjugendamt Warendorf als Ergänzungspfleger übertragen.
  2. Den Kindeseltern wird aufgegeben,
    1. K zum Schulbesuch zu motivieren und nach ihren Kräften dafür zu sorgen, dass K der Schulpflicht nachkommt,
    2. mit dem Ergänzungspfleger nach dessen Maßgaben zusammenzuarbeiten,
    3. dem Ergänzungspfleger und von diesem beauftragten Personen - insbesondere zur häuslichen Beschulung des Kindes - Zugang zum betroffenen Kind K zu gestatten.

Gründe

Das Oberlandesgericht hat das Gutachten eines Diplom-Psychologen eingeholt Seine rechtliche Begründung stützt sich auf das psychologische Gutachten:

Das geistige und seelische Wohl des Kindes ist trotz des altersgerechten Wissensstandes gefährdet. Im Hinblick auf die Weigerung des Kindes, zur Schule zu gehen, haben die Eltern in der Erziehung versagt. Zurzeit setzten die Eltern dem Kind keine Grenzen und Regeln, Pflichten seien diesem unbekannt.

Da die Eltern die Schulpflicht des Kindes nicht akzeptieren und es in seiner Schulunlust fördern, werden dem Jungen die Bildungsinhalte einer weiterführenden Schule vorenthalten. Die Mutter wird trotz ihrer Ausbildung nicht in der Lage sein, sämtliche Lerninhalte einer weiterführenden Schule adäquat zu vermitteln; denn ein Schulbesuch soll Kindern auch die Gelegenheit verschaffen, in das Gemeinschaftsleben hineinzuwachsen (OLG Hamm, Beschluss vom 20.02.2007 - 6 UF 53/06). Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass sich der staatliche Erziehungsauftrag nicht nur auf die Vermittlung von Wissen richtet, sondern auch auf die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit und die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben (BVerfG, Beschluss vom 31.05. 2006 2 BVR 1963/04). Soziale Kompetenz, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung könnten effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind (vgl. BVerfG a.a.O.).

Der in der Familie gut integrierte Junge kann zumindest vorerst im familiären Umfeld bleiben, deswegen wird den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr Kind belassen. Nach Auffassung des Sachverständigen stellt eine Fremdunterbringung keine geeignete Lösung der Problematik dar. Zwar sei davon auszugehen, dass K in einem außerfamiliären Umfeld regelmäßig die Schule besuchen würde, allerdings würde die Fremdunterbringung des in der Familie gut integrierten und an die Kindesmutter tragfähig gebundenen Jungen seiner Ansicht nach andere massive Defizite und Symptome nach sich ziehen. Diese Einschätzung des Sachverständigen stimmt auch mit der Auffassung der ehemaligen Schulamtsärztin Dr. S überein, die K am 13.04.2011 untersucht und in einem Vermerk u. a. ausgeführt hatte, dass bereits bei empfundenem Druck die Gefahr bestehe, dass K sich verschließe, verweigere, seelisch zerbreche oder sich etwas antue.

Zu entziehen ist den Eltern aber das Recht zur Regelung seiner schulischen Angelegenheiten, weil sie nicht Willens und in der Lage sind, die Schulpflicht durchzusetzen. Mit den erteilten Auflagen werden die Eltern angehalten, künftige Versuche, die Schulverweigerungshaltung des Jungen aufzulösen, zu unterstützen.

Was passiert mit Kindern die nicht zur Schule gehen wollen?

Das hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Die einzelnen Bundesländer können nämlich selbst festlegen, wie hoch die Bußgelder ausfallen. So sind in Berlin beispielsweise Geldbußen bis zu 2.500 Euro bei Schulverweigerung möglich. In Bayern sind zum Beispiel „nur“ maximal 1.000 Euro vorgesehen.

Was tun wenn mein Kind nicht in die Schule gehen will?

Geben Sie ihm das Gefühl, dass es jederzeit mit den Problemen in der Schule zu Ihnen kommen kann. In den meisten Schulen stehen auch Psychologen oder Sozialarbeiter zur Verfügung, bei denen Sie professionelle Hilfe finden können. Versuchen Sie auch, das Leben Ihres Kindes nicht durch die Schule bestimmen zu lassen.

Ist Schulverweigerung eine Kindeswohlgefährdung?

Eine Schulverweigerung begründe aber nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung. Es komme vielmehr auf den Einzelfall an. Durch die Schulverweigerung müsse eine gegenwärtige oder unmittelbar bevorstehende, erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes vorliegen.

Was steckt hinter Schulverweigerung?

So benennen die befragten Schulverweigerer und -verweigerinnen folgende Gründe für ihr schulaversives Verhalten: negatives Schulklima, welches durch Bedrohung, Erpressung und Gewalt geprägt ist; restriktives Erziehungsverhalten der Lehrer(innen), welches durch das Prinzip der Nicht-Annahme geprägt ist.