Künstliche Intelligenz: Die Befürchtung, dass eigensinnige Objekte die Menschheit vernichten könnten, hat tiefe Wurzeln | Foto (Detail): © Adobe Show Über unüberbrückbare Unterschiede zwischen Menschen und Maschinen – ein Essay. Von Peter Glaser 1997 ließ der britische Kybernetiker Kevin Warwick sein Buch „Der Marsch der Maschinen“ mit einem düsteren Zukunftsszenario beginnen. Warwick vertritt die Ansicht, dass die Erdbevölkerung bereits Mitte des 21. Jahrhunderts von vernetzter Künstlicher Intelligenz (KI) und überlegenen Robotern beherrscht werden wird, denen der Mensch bestenfalls noch als jemand dienen kann, der ein wenig Chaos ins System bringt. Die Verheißungen einer computerisierten Ausweitung der Intelligenz waren spektakulär. Schon bald sollten Probleme aller Art von Elektronengehirnen gelöst werden. Die meisten dieser Erwartungen wurden enttäuscht oder erst nach Jahrzehnten, und auf eng begrenzten Gebieten wie etwa dem Schachspiel oder der Mustererkennung, eingelöst. Technische Fortschritte der letzten Jahre haben der Entwicklung allerdings eine neue Dynamik verliehen. Neue Speichertechnologien, immer leistungsfähigere Supercomputer, neue Datenbankkonzepte für die Verarbeitung riesiger Datenmengen, Millioneninvestitionen großer Internetkonzerne und nun auch noch ein Wettlauf der Staaten um die Weltherrschaft durch „algorithmische Vorteile“ lassen auch die alten Ängste vor Künstlicher Intelligenz wieder aufleben. Die Vernichtung der Menschheit?Es fällt auf, dass die KI-Forschung von Männern dominiert wird, bei deren pathetischem Schöpfungswunsch vielleicht auch eine umgekehrte Form von Penisneid eine Rolle spielen könnte, nennen wir ihn Geburtsneid. Es ist der unbezähmbare Wunsch, einem lebenden Organismus, den die Evolution seit etwa 400 Millionen Jahren – seit der Entstehung des Lebens – in immer raffinierteren Erscheinungsformen durchs Gelände treibt, nicht einfach nur eine gleichrangige computerisierte Eigenentwicklung gegenüberzustellen, sondern eine, die den Menschen übertrifft und degradiert zu einem Übergangswesen zwischen dem Affen und der neuesten technischen Krone der Schöpfung. Wir würden das heute „dialogorientierte Benutzerführung“ nennen – und den Glauben daran, dass ein Zauberspruch ein Tonfigürchen zum Leben erwecken kann, einen Aberglauben. Dieser Aberglaube hat seinen Weg bis in die Gegenwart gefunden. Die Vertreter der harten KI sind davon überzeugt, dass sich in einem Computer irgendwann, irgendwie ein lebendiges Bewusstsein bilden wird. Sie folgen der Hypothese, dass Denken auf Informationsverarbeitung reduziert werden kann, die unabhängig von einem bestimmten Trägermaterial ist. Dass also das Gehirn nicht unbedingt notwendig ist und der menschliche Geist ebensogut in einen Computer geladen werden kann. Für Marvin Minsky, der im Januar 2016 starb, war KI der Versuch, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Die Illusion des maschinellen Ichs1965 schrieb der Informatiker Joseph Weizenbaum am Massachusetts Institute of Technology ein Programm namens ELIZA, mit dem man sich – schreibend – unterhalten konnte. Er ließ ELIZA die Rolle eines Psychotherapeuten spielen, der ein Gespräch mit einem Klienten führt. „Meine Mutter ist sonderbar“, tippt der Mensch ein. „Wie lange ist ihre Mutter schon sonderbar?“, fragt der Computer zurück. Sind nun die Maschinen erwacht? Was spricht da zu uns, das sich anfühlt, als könnten sich im Inneren von Computern eigene, den menschlichen zum Verwechseln ähnliche Wesenskerne entwickeln? Bei Vicarious, das 50 Millionen Dollar unter anderem von Mark Zuckerberg und Jeff Bezos eingesammelt hat, arbeitet man an einem Algorithmus, der wie das Wahrnehmungssystem des menschlichen Gehirns funktionieren soll – ein überaus ehrgeiziges Ziel. Die größten Künstlichen Neuronalen Netze, die heute in Computern in Betrieb sind, haben rund eine Milliarde Querverbindungen, das Tausendfache dessen, was noch vor ein paar Jahren möglich war. Im Vergleich zum Gehirn ist das aber immer noch verschwindend wenig: Es entspricht etwa einem Kubikmillimeter Hirngewebe. Auf einer Tomografie wäre das weniger als ein Voxel, die dreidimensionale Entsprechung eines Pixels.
Mehr auf Goethe.de Künstliche Intelligenz, vermeintlich mächtige Algorithmen, gesellschaftliche Folgen einer computerisierten Lebenswelt – auf Goethe.de finden sich weitere Texte, die diese Themen und Fragestellungen erläutern und diskutieren. AutorPeter Glaser ist Schriftsteller, Journalist und Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs. Copyright: Text: Goethe-Institut, Peter Glaser. Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz. März 2018 Haben Sie noch Fragen zu diesem Artikel? Schreiben Sie uns!
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