Wie viele Wörter kennt ein Engländer?

200 Jahre lang hatten Gelehrte und Laien gerätselt, wie viele deutsche Wörter es wohl gebe. Den frühesten Versuch, sie zu zählen, unternahm Johann Christoph Adelung Ende des 18. Jahrhunderts. Er schrieb das erste wirklich umfassende Wörterbuch der deutschen Sprache. An ihm orientierten sich auch Goethe und Schiller. 58.500 Einträge hatte Adelungs „Grammatisch-kritisches Wörterbuch“ in der letzten Auflage, die 1811 nach dem Tod dieses Pioniers erschien.

Deutsch oder Englisch – wer hat mehr?

Als die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm 27 Jahre später mit der Niederschrift ihres „Deutschen Wörterbuchs“ begannen, ahnten sie nicht, dass das Werk erst 1961, 98 Jahre nach Wilhelms und 102 Jahre nach Jacobs Tod, vollendet würde – und dann, je nach Zählung, 320.000 bis 450.000 Stichwörter umfassen würde. Zum Vergleich: Das „Oxford English Dictionary“, das den gesamten Wortschatz der englischen Sprache in ihrer historischen Tiefe und ihren regionalen Varianten zu beschreiben versucht, weist derzeit etwa 620.000 Stichwörter auf.

In der soeben erschienenen siebenundzwanzigsten Auflage des Rechtschreibdudens stehen dagegen nur 145.000 Wörter, obwohl sie gegenüber der Vorgängerversion von 2013 um 5000 neue Einträge erweitert wurde – darunter tindern, Lügenpresse, Tikitaka, Fake News und das berlinische icke.

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Im zehnbändigen „Großen Wörterbuch der deutschen Sprache“ aus dem Duden-Verlag sind sogar 200.000 Lexeme registriert. Wörterbuchmacher gingen zuletzt davon aus, dass es etwa 300.000 bis 500.000 deutsche Wörter gibt. Auf etwa 70.000 wird der sogenannte Standardwortschatz geschätzt, der Rest gehört eher Fachsprachen, Jargons und regionalen Dialekten an.

Anfang 2013 kamen Linguisten der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften der realen Vielfalt des deutschen Wortschatzes schon deutlich näher: 5,3 Millionen deutsche Wörter hat ein Team um Wolfgang Klein, den Leiter des „Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache“, in Texten aus den Jahren 1994 bis 2004 ermittelt. Man kann sogar das Wachsen des Wortschatzes nachweisen: In den Texten aus dem Zeitraum 1948 bis 1957 wurden 5.045.000 Wörter gezählt, für die Zeit von 1905 bis 1914 waren es 3.715.000.

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Doch auch die gewaltige Zahl, die die Berliner Linguisten 2013 ermittelten, entspricht nicht annähernd der geradezu sternengleichen Masse deutscher Wörter, die tatsächlich außerhalb der Wörterbücher herumschwirren. Die Wahrheit steht jetzt erstmals im neuen Duden: „Das Dudenkorpus hat nach heutigem Stand (Frühjahr 2017) einen Umfang von knapp 23 Millionen Wörtern (Grundformen).“

Das Dudenkorpus ist eine elektronische Datenbank, die seit 1995 existiert, ständig erweitert wird und bis jetzt etwa vier Milliarden Wortbeispiele umfasst. Es enthält sehr große Mengen journalistischer Artikel, Literatur, aber auch Sach-, Fach- und Gebrauchstexte. Die Duden-Redakion durchkämmt es regelmäßig, um herauszufinden, welche neuen Wörter Kandidaten für die Aufnahme ins Wörterbuch sein könnten, wie sie geschrieben werden und welches grammatische Geschlecht sie haben.

Grundform sind bei Verben der Infinitiv, bei Substantiven der Nominativ Singular. Das heißt versprechen und versprach werden nicht als zwei Wörter gezählt und Hund und Hunde auch nicht.

Mitgezählt wurden aber von der Duden-Redaktion genauso wie von den Wissenschaftlern der Berliner Akademie auch Zusammensetzungen oder Ableitungen, die nur selten Eingang in Wörterbücher finden. Jedes Wort, das nach den Wortbildungsregeln der deutschen Sprache gebildet wird, ist ein deutsches Wort – auch dann, wenn es ein einziger Mensch nur einmal ein einziges Mal benutzt. „Gelegenheitsbildungen“ oder „Augenblicksbildungen“ nennen Fachleute solche Schöpfungen.

Wie ich einmal Kotzbrockenauffangbecken erfand

Ständig erfindet Deutschlands sprachlich kreative Klasse oder auch nur jeder halbwegs einfallsreiche Sprecher neue Wörter. Zwei Beispiele, die es nie in den Duden geschafft haben, sind aus Namen von Politikern abgeleitete Verben: In den Neunzigerjahren sprach man von gaucken, wenn anhand der Aktenlage in der Stasi-Unterlagenbehörde überprüft wurde, ob eine Person für das Staatssicherheitsministerium der DDR tätig war. Das Wort wurde von jedem verstanden, solange der spätere Bundespräsident die Behörde leitete. Und 2012 machte das Wort guttenbergen eine kurze Karriere. Schüler und Lehrer benutzten es als Synonym für abschreiben, nachdem der gewesene Verteidigungsminister sich in seiner Doktorarbeit großzügig bei anderen Autoren bedient hatte, ohne extra darauf hinzuweisen.

Der Berliner Computerlinguist Lothar Lemnitzer fischt mit einem speziellen Algorithmus in ausgewählten Online-Medien nach solchen Neuwörtern und verzeichnet sie auf seiner Internetseite „Wortwarte“. In ertragreichen Monaten kann er dort fast jeden Tag fünf bis zehn Funde in der Art von Plussize-Frau, Pegidaversteher oder Vernunftsmobil präsentieren.

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Ein Schueler der Sankt Paulus Grundschule in Berlin Moabit steht bei einem Schreibtest am Donnerstag, 12. August 2004, an der Tafel. Die Fronten im Streit um die Rechtschreibreform sind verhaertet. Inzwischen bemueht sich die massgeblich fuer die Reform verantwortliche Kultusministerkonferenz (KMK) um eine Loesung. (AP Photo/Jockel Finck) |

Ich selbst habe mal das Wort Kotzbrockenauffangbecken für eine Sportexpertenrunde im Fernsehen, an der Paul Breitner teilnahm, geprägt und es seitdem mehrmals bei Postings in sozialen Netzwerken benutzt. Und in einer Filmkritik zu Lars von Triers Weltuntergangsfilm „Melancholia“ nannte ich die Mutter der Braut einen Selbstverwirklichungsdrachen. Beide Wörter sind nie in den Duden gelangt; die überwältigende Mehrheit der deutschen Muttersprachler hat sie nie gehört oder gelesen. Dennoch kann sie jeder auf Anhieb verstehen.

In der Literatur gibt es solche Gelegenheitsbildungen massenhaft. Auf einer ganz willkürlich aufgeschlagenen Seite der „Großen Frankfurter und Berliner Ausgabe“ der Werke von Bertolt Brecht stehen im Stück „Baal“ beispielsweise die Ausdrücke fruchttragende Ährenmeere, weißstaubige Straßen, ein maitoller Bursche. Weder Ährenmeer noch weißstaubig, noch maitoll stehen im Duden. Die letztgenannten finden sich noch nicht einmal im „Grimm“, während sich Ährenmeer dort immerhin bis zum Dichter Barthold Heinrich Brockes zurückverfolgen lässt, dessen Wirken mal dem Spätbarock und mal der Frühaufklärung zuzurechnen ist.

Warum fehlt das angekündigte Wort „Volksverräter“?

Der neue Duden ist da! 5000 neue Wörter wurden darin aufgenommen. Eines wurde zunächst angekündigt und ist am Ende doch nicht erschienen. Kolumnist Matthias Heine erklärt, was es damit auf sich haben könnte.

Quelle: N24

Bei Heinrich Heine finde man auf der ebenfalls ganz zufällig aufgeschlagenen Seite 72 des Reclamhefts vom „Buch Le Grand“ lotosgeblümte Pantalons und ein Paar Nankinghosen. Während der Duden überrascht, weil dort Pantalon verzeichnet und erklärt ist – „lange Männerhose mit röhrenförmigen Beinen” –, kennt er lotosgeblümt natürlich so wenig wie die Nankinghose. Aber da er immerhin Nanking („ein Baumwollgewebe”) und Lotos („eine Seerose”) erklärt, kann sich der kompetente Sprachnutzer den Sinn beider Komposita erschließen. Solche Wörter sind es, aus denen sich die Millionen-Legionen des deutschen Wortschatzes zusammensetzen.

Die Duden-Redaktion warnt deshalb: „Wenn ein Wort nicht im Duden verzeichnet ist, heißt das also nicht, dass dieses Wort gänzlich ungebräuchlich oder nicht korrekt ist.“ Nichts ist daher abseitiger als das oft auch von Menschen, die professionell mit Sprache arbeiten, zu hörende Argument, ein Wort gebe es nicht, weil es nicht im Duden steht.

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Wie viele Wörter kennt ein durchschnittlicher Engländer?

Wortschatz der englischen Sprache im Alltag deutlich geringer. Wer auf Muttersprachniveau Englisch spricht, verwendet durchschnittlich 7.000 verschiedene Begriffe am Tag. Mit dem Lingvist Kurs-Genie kann man einen solchen Wortschatz locker erreichen. Im Allgemeinkurs sind bereits bis zu 5.000 Wörter enthalten.

Wie viele Wörter kann ein Engländer?

(Einfache) englische Bücher solltest Du hier schon lesen – und verstehen – können. 5.000 Wörter: Entspricht dem AKTIVEN Wortschatz eines englischen Muttersprachlers mit niedrigem Bildungsniveau. 10.000 Wörter: Entspricht dem AKTIVEN Wortschatz eines englischen Muttersprachlers mit gehobenem Bildungsniveau.

Wie viele Wörter kennt ein englischer Muttersprachler?

So kann man davon ausgehen, dass ein englischer Muttersprachler (mit Universitätsabschluss) durchschnittlich 17.500 Wortfamilien (Lexeme) kennt.

Wie viele Wörter um fließend Englisch zu sprechen?

Die Englische Sprache hat derzeit etwa 1,019,729 Wörter, jedoch reichen 500 Wörter, um die Sprache auf einem Grundniveau fließend zu sprechen.