Bretter, die die Welt bedeuten Wedel

Vergewaltigung, Misshandlungen, Erpressung: Die Vorwürfe gegen Regisseur Dieter Wedel wechseln in eine neue Dimension

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Es werden immer mehr. Seit sich der Regisseur Dieter Wedel im Visier der Medien befindet – als Wüstling, als Despot, ja offenbar sogar als Verbrecher – wird nicht nur das nach außen so glamourös erscheinende Filmgeschäft Tag für Tag mehr entzaubert. Immer mehr Schauspieler, vor allem Frauen, aber auch Männer, die mit Wedel gearbeitet haben, und jede Menge sonstiger Personen aus der Branche berichten über Erlebnisse mit ihm, die nach kaum vorstellbaren Horrorgeschichten klingen – weniger nach erfundenen, sondern eher nach tatsächlich passierten. Einer der besten und erfolgreichsten Filmschaffenden Deutschlands legt gerade einen Absturz hin, wie er schlimmer kaum denkbar ist.

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Es geht um Geschichten, die ihre Gleichförmigkeit charakterisiert sowie der Umstand, dass sie alle lange zurückliegen, bis 1975 sogar: Dreharbeiten in Hamburg zu der NDR-Serie „Pariser Geschichten“, die angeblich mit einer Vergewaltigung geendet haben sollen. Meist spielen darin junge, unsichere Schauspielerinnen eine Rolle, die, auf den Durchbruch hoffend, von Wedel sexuell bedrängt wurden. Die ihren Widerstand aufgaben, um die Rolle nicht zu verlieren. Gaben sie seinen Avancen nicht nach, soll er entweder gewaltsam seinen Willen durchgesetzt oder sie fortan aufs Übelste schikaniert, gedemütigt, kurz: fertiggemacht haben. Ersteres ist strafbar, letzteres nicht. Glaubt man den albtraumhaften Horrorgeschichten, die mittlerweile von immer mehr Mitarbeitern und Branchenkennern bestätigt werden, fragt man sich, warum es Jahrzehnte gedauert hat, bis sie aus einem System herausdrangen, das sonst nicht gerade von Mauern des Schweigens umschlossen ist.

Einer der offenbar gut dokumentierten Fälle, in dem es um die heute 61 Jahre alte Schweizer Schauspielerin Esther Gemsch (damals Christinat) geht, reicht bis ins Jahr 1980 zurück, als sich die damals 24-Jährige bei Wedel in Hamburg vorstellte – wegen der Hauptrolle in einem Achtteiler, der ausgerechnet den Titel „Bretter, die die Welt bedeuten“ trug. Noch am selben Abend soll der Regisseur versucht haben, sie in ihrem Hotelzimmer zu küssen und anzufassen. Der Wochenzeitung „Die Zeit“ erzählte Esther Gemsch, sie habe die Chance auf eine große Karriere vor Augen gehabt, und auch die sie vermittelnde Agentur habe ihr geraten, den „großen Wedel“ nicht zu verärgern.

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Also habe sie die Zudringlichkeiten über sich ergehen lassen. Aus Scham habe sie niemandem etwas davon erzählt. Bei einem „Nachtessen“ in einem Hotel in Bad Kissingen unmittelbar vor Beginn der Dreharbeiten sei ihr dann rasch klar geworden, was Wedel von ihr wollte. Sie habe sich auf ihr Zimmer geflüchtet. Schon den ersten Tag der Dreharbeiten hat die junge Schauspielerin damals, wie sie berichtet, als „Beginn eines Albtraums“ empfunden. Nichts habe sie Wedel recht machen können. Er habe sie vor dem ganzen Team niedergemacht. Nacht für Nacht habe er sie angerufen und Sex verlangt, habe eingelassen werden wollen und so fort. Schließlich habe sie Angst vor jedem Drehtag gehabt. Die Kollegen, das ganze Team habe mitbekommen, wie sie behandelt worden sei, aber niemand habe gewagt, etwas dagegen zu unternehmen. Und dann schildert die Schweizerin den Versuch einer Vergewaltigung durch den Regisseur, der mit Verletzungen geendet haben soll, die der langjährige Mannschaftsarzt des FC Bayern, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, behandelt und als Folgen der Gewalttat eingestuft habe. Trotzdem sei sie drei Wochen später an den Drehort zurückgekehrt, weil sie sich vertraglich und dem Team gegenüber verpflichtet gefühlt habe. „Und natürlich wollte ich spielen“, sagte sie jetzt der „Zeit“.

Angezeigt habe sie Wedel nicht, das habe sie nicht gewollt. Wie anscheinend so viele andere Schauspielerinnen auch nicht. Wie auch ihre männlichen Kollegen nicht, die angeblich alles mitbekamen. Wie die Produzenten, die Produktionsleiter nicht. Esther Gemsch wirft sich heute anscheinend vor, damals nicht sofort zur Polizei gegangen zu sein. Sie reagierte, wie viele Frauen in solchen Situationen zunächst reagieren: Sie fragte sich, ob es vielleicht an ihrem Verhalten gelegen habe, dass Wedel zudringlich geworden sei. Aber warum reagierten alle anderen nicht?

Die für die Produktion Verantwortlichen – der Saarländische Rundfunk, die Produktionsfirma Telefilm Saar und andere sollen von den Zuständen am Set gewusst und diese geduldet haben. Wahrscheinlich fürchtete man die Kosten, die Umbesetzungen oder gar der Abbruch der Dreharbeiten mit sich gebracht hätten. Der SR tritt nun die Flucht nach vorn an und verspricht Aufklärung. Es gibt noch Dokumente, die zu den Aussagen der Frauen zu passen scheinen. Doch vieles, was damals weitere Straftaten eines hemmungslosen Regisseurs, sollten sie stattgefunden haben, hätte verhindern können, wird vermutlich nicht mehr auffindbar oder nachweisbar sein.

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Inzwischen kursieren Geschichten wildester Art auch durch Berichte weiterer Frauen, über Wedels Einschüchterungsversuche, die Drohungen, er werde dafür sorgen, dass die betreffende Schauspielerin nirgends mehr einen Job bekäme, und seine Methode, die ihn Abweisenden gern als Nymphomaninnen hinzustellen, die ihn verfolgt hätten. Michael Mendl erinnert sich an Vorkommnisse während der Dreharbeiten zum Mehrteiler „Der Schattenmann“ Mitte der 1990er-Jahre im Steigenberger Hotel in Frankfurt am Main. Auch er unternahm nichts gegen den offenbar sadistischen Herrscher am Set.

Er habe die Kollegin nicht nach Details gefragt, um den Finger nicht auch noch in die Wunde zu legen, behauptete er in der „Zeit“. Die Szenarien ähneln sich: Wedel im Bademantel im Hotelzimmer, „blauäugige“ Schauspielerinnen, die zu ihm zum Casting aufs Hotelzimmer kamen, die er an die Wand presste, aufs Bett warf, misshandelte, bis er erreichte, was er wollte. Gewollt haben soll. Es passierte, wenn etwas passierte, hinter verschlossenen Türen. Dabei war niemand.

Die Vor-Urteile über Wedel, der inzwischen mit einer Herzattacke darniederliegt, haben sich längst verselbstständigt. Als Wedel vergangene Woche mit einem „Bild“-Reporter sprach, beschrieb er seine Situation mit dem Bild der Zahnpasta, die man auch nicht mehr in die Tube zurückbekomme. Mittlerweile führt eine Frau eine Fehlgeburt 1981 auf Wedels Wüten zurück, andere geben ihm die Schuld, nicht die geplante Karriere gemacht zu haben, und so fort. In einem Fall, der möglicherweise noch nicht verjährt ist, obwohl auch er weit in die Vergangenheit zurückreicht, ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft, und ein namhafter Münchner Strafverteidiger kümmert sich um die rechtlichen Belange.

Auf Wedel, sollte er sich von der Herzattacke erholen, warten zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Verfahren eingestellt, weil sich ein Verbrechen – nicht Mobbing am Set, Gebrüll oder cholerische Anfälle eines besessenen Regisseurs, sondern eine Vergewaltigung – nicht nachweisen lässt. Oder es kommt zu einem Strafverfahren. Das böte Wedel die Möglichkeit, sich von womöglich unwahrem Verdacht reinzuwaschen. Oder es kommt das Gegenteil heraus. Jedenfalls würden dann die dazu Berufenen, die Richter eines ordentlichen Gerichts, urteilen, und nicht die Medien. Die Rechtsprechung hat die Grenzen einer Verdachtsberichterstattung nämlich klar abgesteckt: Es bedarf nicht nur eines Mindestbestandes an Beweistatsachen, um eine Verdacht öffentlich zu machen. Sondern die Anforderungen richten sich danach, wie schwer und nachhaltig das Ansehen des Betroffenen beeinträchtigt wird. Dieses befindet sich im Fall Wedel gegenwärtig unter Null.