„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille“ (GMS IV, 393). Show Die Frage ist dann natürlich, wann und unter welchen Umständen ein Wille wirklich gut ist. Kant muss also den Willen bzw. das Vermögen zu wollen untersuchen. Unter dem „Willen“ versteht Kant nicht einen dunkeln Trieb des Menschen, sondern im Gegenteil etwas Rationales. Der Wille ist durchaus von Begierden, Lüsten und Neigungen affiziert, aber dadurch nicht determiniert, denn er ist als praktische Vernunft das Vermögen, seinem Handeln einen Zweck zu geben und sich von Regeln leiten zu lassen. „Die Allgemeinheit, die in jeder Maxime steckt, ist eine subjektive (relative) Allgemeinheit, nicht die objektive (absolute oder strenge) Allgemeinheit, die schlechthin für jedes Vernunftwesen Gültigkeit hat. Der zweite Gesichtspunkt im kategorischen Imperativ, die Verallgemeinerung, prüft, ob der in einer Maxime gesetzte subjektive Lebenshorizont auch als objektiver Lebenshorizont, als vernünftige Einheit einer Gemeinschaft von Personen, gedacht und gewollt werden kann. Aus der bunten Vielfalt subjektiver Grundsätze (Maximen) werden die moralischen von den nichtmoralischen ausgesondert, und der Handelnde ist aufgefordert, nur den moralischen Maximen zu verfolgen“ (Höffe 1996, S. 189). Der kategorische Imperativ fungiert als Maximenprüfungsprogramm. Kant gibt fünf Formulierungen des kategorischen Imperativs an (vgl. (Paton 1962, S. 152 ff.); (Wood 1999, S. 70 ff.)). In der Grundformulierung lautet der kategorische Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die zu zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde (GMS IV, 421).“ Es kommt also nach dem kategorischen Imperativ darauf an, ob sich die Universalisierung der Maxime widerspruchsfrei denken und wollen lässt. Die entscheidende Frage ist also die nach der Gesetzestauglichkeit der Maxime. Insofern handelt es sich um ein Gedankenexperiment. Kant formuliert das Gedankenexperiment am Beispiel des geliehenen Geldes so: „Ich verwandle also die Zumutung der Selbstliebe [TA: Gemeint ist hier die subjektive Vorstellung meines Wohlergehens, die sich in der Maxime ausdrückt] in ein allgemeines Gesetz, und richte die Frage so ein: wie es dann stehen würde, wenn meine Maxime ein allgemeines Gesetz würde. Da sehe ich nun sogleich, daß sie niemals als allgemeines Naturgesetz gelten und mit sich selbst zusammenstimmen könne, sondern sich notwendig widersprechen müsse. Denn die Allgemeinheit eines Gesetzes, daß jeder, nachdem er in Not zu sein glaubt, versprechen könne, was ihm einfällt, mit dem Vorsatz, es nicht zu halten, würde das Versprechen und den Zweck, den man damit haben mag, selbst unmöglich machen, indem niemand glauben würde, daß ihm was versprochen sei, sondern über alle solche Äußerung, als eitles Vorgehen, lachen würde“ (GMS IV, 422). Mit dem kategorischen Imperativ ist nach der widerspruchsfreien Verallgemeinerbarkeit der Maxime gefragt. Angewandt auf das Beispiel des Geldverleihens ist zu prüfen, ob sich die Folgen einer Verallgemeinerung der Maxime widerspruchsfrei denken lassen. Was wären die Folgen in diesem Fall? Wenn ich immer dann, wenn ich ein Vertragsversprechen abgebe, seinen Bruch mitbeabsichtige, dann würde man mit mir auf Dauer keine Verträge mehr schliessen. Ich kann also die Maxime – Gebundenheit durch Vertrag und Vorbehalt eigener Nichtbindung – nicht sinnvoll zusammen denken. Die genannte Maxime hat den Test des kategorischen Imperativs nicht bestanden. „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest“ (GMS IV, 429). Da diese Formulierung den kategorischen Imperativ auf interpersonale Verhältnisse anwendbar macht, bot sich diese Version besonders für juristische Versuche an, den Inhalt des Menschenwürdesatzes zu beschreiben. „Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde“ (GMS IV, 434; MdS 434 f., 462). Mit dem Preis, der noch nach materiellem „Marktpreis“ und immateriellem „Affektionspreis“ unterschieden wird, ist folglich ein relativer, mit der Würde hingegen ein absoluter, innerer Wert bezeichnet. Würde ist das Attribut „eines vernünftigen Wesens, das keinem Gesetze gehorcht als dem, das es zugleich selbst gibt“ (GMS IV, 434). Damit ist das Vermögen der praktischen Vernunft zur Autonomie gemeint. Die Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung bedingt also die Zweckhaftigkeit des Menschen an sich selbst und damit seine Würde. So heisst es bei Kant dann auch: „Autonomie ist also der Grund der Würde der menschlichen und jeder vernünftigen Natur“ (GMS IV, 436). Es ist also nicht das gute Handeln, die Wohltätigkeit, die den Grund der Würde ausmacht: „Selbst Menschen können sich durch Wohltun zwar Liebe, aber dadurch allein niemals Achtung erwerben, sodaß die größte Wohltätigkeit ihnen nur dadurch Ehre macht, daß sie nach Würdigkeit ausgeübt wird“ (KpV V, 131). Wie Matthias Mahlmann gezeigt hat, gibt Kant insgesamt vier Begründungen für die „Menschenwürde“ an (Mahlmann 2012, S. 318). Alle vier Begründungsstrategien rekurrieren auf den Wert bzw. die moralische Folgen von Autonomie. Der – wie Mahlmann darlegt – überzeugendste Ansatz argumentiert mit dem Erlebnis des Eigenwerts von Moralität (Mahlmann 2012, S. 319). Das Individuum erfährt den Wert seiner Autonomie unmittelbar in dem Moment, in dem es sich von der praktischen Vernunft und nicht seinen Neigungen bestimmen lässt. Kant beschreibt diesen Moment als ein Erlebnis eigener Art, für das er den Begriff der „Erhabenheit“ wählt: „Ich gestehe gern: daß ich dem Pflichtbegriffe gerade um seiner Würde willen keine Unmuth beigesellen kann. Denn er enthält unbedingte Nöthigung, womit Unmuth in geradem Widerspruch steht. Die Majestät des Gesetzes (gleich dem auf Sinai) flößt Ehrfurcht ein (nicht Scheu, welche zurückstößt, auch nicht Reiz, der zur Vertrautheit einlädt), welche Achtung des Untergebenen gegen seinen Gebieter, in diesem Fall aber, da dieser in uns selbst liegt, eine Gefühl des Erhabenen unserer eigenen Bestimmung erweckt, was uns mehr hinreißt als alles Schöne“ (GMS IV, 23 Fn.). Mit dieser Begründung reagiert Kant kritisch auf den Dichter Friedrich Schiller, der das Gefühl der „Achtung“ als etwas Unangenehmes abgetan hatte (Schiller, Über Anmut und Würde, 3. Stück). Eine zweite, bedenkenswerte Begründung der Menschenwürde, die sich auf Kant stützen kann, stellt auf die Bedeutung der Erfahrung von Freiheit ab. Mahlmann formuliert dies treffend: „Durch die Freiheit werde ein Menschsein jenseits des phänomenal Erfahrbaren erschlossen“ (Mahlmann 2012, S. 318). In der moralischen Freiheit geniesst der Mensch seine Unabhängigkeit von der Sinnenwelt und ihren Zwängen: Kant stellt sich die Frage, was die notwendige Bedingung des Werts sei, „den sich die Menschen allein selbst geben können“ [d.h. den der Würde, T.A] (KpV V, 86). „Es ist nichts anderes als die Persönlichkeit, d.i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanismus der ganzen Natur, doch zugleich als ein Vermögen eines Wesens betrachtet, welches eigentümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen reinen praktischen Gesetzen, die Person also zur Sinnenwelt gehörig ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen ist, sofern sie zugleich zur intelligiblen Welt gehört; da es denn nicht zu verwundern ist, wenn der Mensch, als zu beiden Welten gehörig, sein eigenes Wesen in Beziehung auf seine zweite und höchste Bestimmung nicht anders als mit Verehrung und die Gesetze derselben mit der höchsten Achtung betrachten muß“ (KpV V, 87). Kant beschreibt die mit der moralischen Freiheit verbundene Erfahrung genauer: „Diese Achtung erweckende Idee der Persönlichkeit, welche uns die Erhabenheit unserer Natur (ihrer Bestimmung nach) vor Augen stellt, indem sie uns zugleich den Mangel der Angemessenheit unseres Verhaltens in Ansehung derselben bemerken läßt und dadurch den Eigendünkel niederschlägt, ist selbst der gemeinsten Menschenvernunft natürlich und leicht bemerklich. Hat nicht jeder auch nur mittelmäßig ehrliche Mann bisweilen gefunden, daß er eine sonst unschädliche Läge, dadurch er sich entweder selbst aus einem verdrießlichen Handel ziehen oder wohl gar einem geliebten und verdienstvollen Freunde Nutzen schaffen konnte, bloß darum unterließ, um sich insgeheim in seinen eigenen Augen nicht verachten zu dürfen“ (KpV V, 87 f.) Die weiteren Begründungen, weswegen dem Menschen „Würde“ zukommen solle, enthalten eine petitio principii, d.h. das zu Begründende wird als wahr vorausgesetzt (vgl. näher (Mahlmann 2012, S. 319)). So lautet eine andere Begründung, dass nur unter der Voraussetzung eines Unbedingten, gleichsam eines „letzten Wortes“ im Bereich des Moralischen, ein infiniter Regress vermieden werden kann, „(...) weil ohne dieses [Dinge, deren Dasein an sich selbst Zweck ist, T.A.] überall gar nichts von absolutem Werte würde angetroffen werden; wenn aber aller Wert bedingt, mithin zufällig wäre, so könnte für die Vernunft überall kein oberstes Prinzip angetroffen werden“ (GMS IV, 428). Dieses Argument setzt aber voraus, dass es im Moralischen gerade keinen infiniten Regress geben soll. Warum das so sein muss, wird an dieser Stelle aber nicht begründet. Eine weitere Begründung stützt sich auf den Gedanken, dass das Individuum nur aufgrund seiner Moralität, d.h. seiner Bestimmung durch praktische Vernunft, am Reich der Zwecke teilhat: „(...) vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle anderen niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objektive Gesetze, d.i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen aufeinander als Zwecke und Mittel zur Absicht haben, ein Reich der Zweck (freilich nur ein Ideal) heißen kann“ (GMS IV, 433). Auch dieses Argument gibt nicht an, weswegen es für das Individuum von unbedingtem Wert ist, am Reich der Zwecke teilzuhaben. Frage 34: Was meint „Letztbegründung“ der Moralphilosophie bei Kant? Frage 35: Was bedeuten folgende Begriffe im Kontext der Kantischen Moralphilosophie: a) Willensethik, b) Pflichtenethik, c) Maxime, d) Imperativ? Was versteht Kant unter Moralität?Das pflichtgemässe Handeln, das Kant „Legalität“ nennt, wird unterschieden vom „Handeln aus Pflicht“, das er „Moralität“ nennt. Hier handelt der Akteur aus einer bestimmten Motivation heraus. Bei dieser Motivation handelt es sich nicht um eine Neigung oder ein Gefühl (etwa Mitgefühl oder Mitleid).
Wie begründet Kant die Moral?Kants Begründung orientiert sich an seiner Werttheorie, wonach in Bezug auf die Moral „nichts ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille“ (GMS 393), der immer nach dem Prinzip des reinen Willens - also dem kategorischen Imperativ - verfährt.
Was formulierte Kant?Es gibt, laut Kant, nur einen einzigen kategorischen Imperativ, nach dem man handeln soll, den bekannten Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde! “.
Was kann ohne Einschränkung für moralisch gut gehalten werden?Man kann, wenn die Frage ist, was ohne Einschränkung für gut gehalten wird, überhaupt nur an eine Sache in der Welt denken: den guten Willen.
|