Der Verlust gesellschaftlicher und religiöser Traditionen zwingt heute den Einzelnen, seine Biographie und Identitätsbildung eigenständig zu verantworten. Überforderungen entladen sich nicht selten in Fundamentalismen und Fremdenfeindlichkeit. Ei-ne demokratische Gesellschaft braucht Bildungseinrichtungen, die dem Einzelnen helfen, mit biographischer Unsicherheit umzugehen. Christliche Erwachsenenbildung tut dies, wenn sie sich auf ihre jüdisch-christlichen Exilstraditionen besinnt und theologisch reflektiert, inwiefern die Spannung zwischen Fremdem und Eigenen religiöse Erfahrung birgt. Sie entdeckt moderne Literatur, die das Fremdheitsgefühl und die Sehnsucht der Menschen von heute nach Heimat in Inhalt und Form artikuliert und aushält, als Modell von religiöser Relevanz. Auf dem Weg zu einer authentischeren religiösen Sprache, welche die Erfahrung von Sinnverunsicherung des Einzelnen ernst nimmt, ist die Offenheit und Mehrdeutigkeit lyrischer Sprache besonders bedeutsam. Hilde Domin (geb. 1909) hat den Verlust und die Suche nach Heimat in ihrer Lyrik eindrucksvoll zur Sprache gebracht. Die Arbeit untersucht anhand detaillierter Interpretationen von 47 Gedichten, wie darin Fremdes und Eigenes in Beziehung gesetzt werden und spürt den Fragen nach Sinn, Vertrauen und dem Geheimnis der menschlichen Existenz nach. Dem Leser wird – methodisch nachvollziehbar und didaktisch einsetzbar – , ein vertiefter Zugang zu den Gedichten Hilde Domins angeboten, der zur eigenen existentiellen Auseinandersetzung einlädt. Die Gedichte erweisen sich auch als theologisch relevante Orientierungsmodelle der Einübung in die Balance zwischen Heimat und Fremde. Die Autorin Stephanie Lehr-Rosenberg (geb. 1956); Studium der kath. Theologie in Würzburg; 1983-1987 Aufenthalt in der Rep. Kongo. 1992 Promotion über kulturelle und religiöse Überfremdung durch Mission und Kolonialismus in Nordostkongo. 1993-1999 wiss. Ass. an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg (Religionspädagogik). 2001 habilitiert an der Universität Würzburg in Pastoraltheologie mit der vorliegenden Arbeit und dort seit 2001 Privatdozentin. An diesem Sabbat haben wir erneut die Möglichkeit von Zuhause aus Gottesdienst im Hope TV mitzufeiern, diesmal mit einer Predigt vom Pastor Reinhard Schwab mit dem Titel ‚Leiden das sich lohnt‘˜ und einer Gesprächsrunde zu dem Thema ‚Verlust und Trauer‘˜. Wie immer ab 09:30Uhr im Hop TV mitzuerleben: https://www.hopechannel.de/tv/live/ Von Friederike Cremer Ich setzte den Fuß in die Luft, / und sie trug. Als ich den Vorschlag der KDFB für den diesjährigen Gottesdienst für den Festtag der Maria Magdalena in der Hand hielt, sprang mir der Satz „Sie schwieg nicht“ als erstes ins Auge. Was für ein Satz. Sie schwieg nicht. Sie schwieg nicht. Sie schwieg nicht. Dazu fallen mir direkt – je nach Betonung – einige Fragen ein: Wäre es eigentlich ihre Art gewesen zu schweigen? Wurde von ihr erwartet, dass sie schwieg? Warum hat sie nicht geschwiegen? Wer hat denn geschwiegen? Welche Konsequenzen hatte ihr Nichtschweigen? Was hat sie denn gesagt? Was hat sie statt zu schweigen getan? Wenn besonders betont wird, dass Maria Magdalena nicht schwieg, kommt dieser Tatsache eine besondere Rolle zu. Im Johanesevangelium heißt es: „Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“ Sie schwieg nicht. Sicher ist, dass Maria Magdalena und noch einige andere Frauen im Gefolge von Jesus waren. Und sie waren bei ihm in der schwersten Stunde seines Lebens: bei der Kreuzigung, bei seinem Tod. Maria Magdalena ging am nächsten Tag zu seinem Grab, um den Leichnam Jesu einzubalsamieren. Das war nicht ohne Gefahr. Die Anhänger Jesu standen auch unter einem Druck, in der Gefahr, verhaftet und verurteilt zu werden. Aber sie tat es. Es wurde vermutlich von Maria Magdalena erwartet zu schweigen, aber sie hielt sich nicht an die Erwartungen, sie tat, was sie für richtig hielt. „Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und das hat er zu mir gesagt.“ Was kann mir Maria Magdalena heute mit auf den Weg geben? Aber dann lieber gar nicht beziehungsweise nicht so. Und setzen wir die Füße immer wieder in die Luft. Sie trägt. Friederike Cremer ist stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstands von St. Agnes
|