Kann man für die gleiche Tat zweimal angeklagt werden

Straf­verfolgung nach Freispruch: Kann man nach einem Freispruch für dieselbe Tat nochmal angeklagt werden?

Lässt sich einem Angeklagten im Rahmen des Straf­prozesses nicht sicher nachweisen, dass er der Täter war, muss er freigesprochen werden. Doch was ist, wenn später neue Beweis­mittel auftauchen, die eindeutig für die Täter­schaft des damals Angeklagten sprechen? Kann in diesem Fall erneut Anklage erhoben werden?

Kann man nach einem Freispruch für dieselbe Tat nochmal angeklagt werden?

Ist ein Angeklagter in einem Straf­verfahren freigesprochen worden, so kann er für dieselbe Tat nicht nochmal angeklagt werden. Man spricht in diesem Fall vom sogenannten Strafklage­verbrauch. Geregelt ist dieser Grundsatz in Art. 103 Abs. 3 des Grund­gesetzes. Er garantiert dem rechts­kräftig frei­gesprochenen Täter grund­sätzlich Schutz gegen erneute Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat (Bundes­verfassungs­gericht, Beschluss vom 17. Januar 1961 Az. 2 BvL 17/60).

Lesen Sie zu diesem Thema mehr hier: Was ist unter dem Begriff des Strafklage­verbrauchs zu verstehen?

Das Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) ist ein grundlegendes Prinzip eines rechtsstaatlichen Strafrechts. So heißt es diesbezüglich in Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.“ Das hier ausgesprochene Verbot der Doppelbestrafung gilt allerdings nur für innerstaatliche Urteile, d. h. deutsche Gerichte dürfen eine Person wegen derselben Tat nicht mehrfach bestrafen. Demgegenüber beansprucht der „ne bis in idem“- Grundsatz keine allgemeine Geltung im zwischenstaatlichen Rechtsverkehr, d. h. es gibt keinen im Völkerrecht allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, dass eine Person in einem Staat deshalb nicht bestraft werden darf, weil sie wegen derselben Tat bereits in einem anderen Staat bestraft wurde.

Kann man für die gleiche Tat zweimal angeklagt werden

Prof. Dr.
Hans Georg Fischer
em. Professor
Fachhochschule für öffentliche Verwaltung
Nordrhein-Westfalen

Die Gefahr mehrfacher Strafverfolgung wegen derselben Tat tritt in besonderer Schärfe auf, wenn Staaten sich derart zusammenschließen, dass sie im Verhältnis zueinander einen einheitlichen Rechtsraum bilden, der dem Territorium eines einzelnen Staates gleicht oder zumindest ähnliche Züge aufweist. Das ist bei den Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Fall. Die Europäische Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, wobei unter „Freiheit“ das Recht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten zu verstehen ist, sich im Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten prinzipiell frei bewegen und aufhalten zu dürfen. Dieses Recht auf Freizügigkeit könnte aber nicht uneingeschränkt in Anspruch genommen werden, wenn der Angehörige eines Mitgliedstaates befürchten müsste, wegen einer in einem Mitgliedstaat begangenen Straftat nicht nur in diesem, sondern auch in einem anderen Mitgliedstaat bestraft zu werden, so dass die Gefahr der Bestrafung in einem weiteren Mitgliedstaat ihn davon abhalten würde, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen.

Die Rechtsgrundlagen des Verbots der Doppelbestrafung im Unionsrecht

Der maßgebliche Schritt zur Einführung des Verbots der Doppelbestrafung im Verhältnis zwischen europäischen Staaten erfolgte im Rahmen des am 19. Juni 1990 unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen – SDÜ).1 Das SDÜ wurde von den genannten Vertragsstaaten außerhalb des Rechts der Europäischen Gemeinschaft als völkerrechtliches Abkommen geschlossen, um im Binnenmarkt als einem Raum ohne Binnengrenzen die Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen abzubauen. Weitere Mitgliedstaaten der EU haben sich dem SDÜ angeschlossen. Das SDÜ enthält in Titel III („Polizei und Sicherheit“) das Kapitel 3 unter der Überschrift „Verbot der Doppelbestrafung“, dessen maßgeblicher Artikel 54 lautet:

„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt
werden kann.“

Durch das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union2 im Rahmen des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (in Kraft seit dem 1. Januar 1999) wurde das SDÜ mitsamt allen im Zusammenhang mit ihm stehenden Rechtsakten (der sog. Schengen-Besitzstand) in den Geltungsbereich der damals existierenden europäischen Verträge einbezogen, dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). Die Einbeziehung bewirkte, dass die Artikel des SDÜ auf der Grundlage der vertraglichen Bestimmungen des EUV und des EGV als erlassen galten. Durch den Vertrag von Lissabon wurde die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in den Geltungsbereich des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) einbezogen.3 Somit hat Art. 54 SDÜ nunmehr die Eigenschaft von (sekundärem) Unionsrecht im Geltungsbereich des AEUV. Durch den Vertrag von Lissabon hat das Verbot der Doppelbestrafung im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Union noch eine weitere Rechtsgrundlage erhalten. Durch diesen Vertrag hat die Charta der Grundrechte der Europäischen Union – ursprünglich als rechtlich unverbindliche Erklärung der Unionsorgane proklamiert – rechtliche Verbindlichkeit erlangt, und zwar nach Art. 6 Abs. 1 EUV im Rang der Verträge. In Titel VI „Justizielle Rechte“ enthält die Charta den Art. 50 mit folgendem Wortlaut:

„Niemand darf wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen wurde, in einem Strafverfahren erneut verfolgt werden.“

Auffällig ist, dass im Unterschied zu Art. 54 SDÜ in Art. 50 der Charta das Verbot der Doppelbestrafung nicht an die Bedingung einer erfolgten, erfolgenden oder ausgeschlossenen Vollstreckung der Strafe im Urteilsstaat geknüpft ist. Das wirft die Frage nach dem Verhältnis beider Vorschriften auf (dazu unter IV). Bindungswirkung erzeugt die Charta, damit auch Art. 50, nach Art. 51 Abs. 1 für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie für die Mitgliedstaaten, sofern sie Unionsrecht durchführen. Die Beachtung von Art. 54 SDÜ durch einen Mitgliedstaat stellt eine solche Durchführung dar.

Was ist Doppelbestrafung?

Doppelbestrafung. Abs. 1: Niemand darf wegen einer Straftat, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

Wie häufig ist ein Freispruch?

In Deutschland enden etwa drei Prozent aller Strafverfahren mit einem Freispruch. Jährlich werden etwa 27.000 Angeklagte aus tatsächlichen Gründen oder aus Rechtsgründen freigesprochen.

Warum ne bis in idem?

Lateinisch für "nicht zweimal in derselben Sache". Nach diesem prozessualen Grundsatz darf über eine Rechtssache nur einmal rechtskräftig entschieden werden.

Wann liegt Strafklageverbrauch vor?

Der Strafklageverbrauch ist eine der wesentlichen (negativen) Prozessvoraussetzungen im Strafprozess. Sinngemäß bedeutet er, dass niemand wegen einer Tat mehrmals abgeurteilt werden darf. Dies gilt sowohl für die Verurteilung als auch im Wesentlichen für den Freispruch.