Wer ist navid kermani

„Ein Schriftsteller will keinen Ruck erzeugen, sondern sich langfristig in den Herzen und Köpfen der Leser verankern.“

Navid Kermanis Vater hat jahrzehntelang als Arzt im Krankenhaus in Siegen gearbeitet. Und auch seine drei älteren Brüder wurden allesamt Ärzte. Nicht so der jüngste, Navid, der bereits als 15jähriger bei der Lokalredaktion der Westfälischen Rundschau arbeitete und für 20 Pfennig pro geschriebener Zeile erste Erfahrungen als Journalist sammelte.

Er studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in den nahen Städten Köln und Bonn und entwickelte sich zu einer wissenschaftlichen Koryphäe.

Allein der Titel seiner Dissertation „Gott ist schön“ lässt erahnen, welchen lebensbejahenden Wert Kermani der sprachlichen Ästhetik zuschreibt.

Als Kind iranischer Einwanderer im Siegerland aufgewachsen war Navid gerade nicht fremd im eigenen Land, sondern absorbierte über seine Sprachfertigkeit die kulturelle Vielschichtigkeit, die seiner Migrationsgeschichte innewohnt.

Seine Romane, aber auch seine journalistischen Reportagen, zeitigen ein Bild Deutschlands und des Mittleren Ostens, das in dieser Form nur von einem Wandler, einem Mediator zwischen den Kulturkreisen entwickelt werden kann. Bezeichnender als einer seiner Buchtitel kann man seine Lebensgeschichte nicht auf den Punkt bringen: Zwischen Koran und Kafka.

Wer ist Navid Kermani?

Navid Kermani ist ein renommierter und vielfach ausgezeichneter deutsch-iranischer Schriftsteller, Publizist, Journalist und Geisteswissenschaftler.

Er wurde 1967 in Siegen als viertes Kind iranischer Einwanderer geboren und studierte Orientalistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in Köln, Kairo und Bonn.

1998 wurde er an der Universität Bonn promoviert sowie im Jahr 2006 habilitiert. Als Gastprofessor lehrte er an den Universitäten in Göttingen, Frankfurt am Main, Mainz sowie am Dartmouth College in den USA. Er lebt in Köln und ist Vater von zwei Töchtern.

Was macht Navid Kermani außergewöhnlich?

Als einer der großen Intellektuellen in der Mittlerrolle zwischen Okzident und Orient hat Navid Kermani als Journalist und als Schriftsteller über die letzten 20 Jahre hinweg eine schiere Unzahl von Auszeichnungen erhalten.

Für seine Romane, Essays, Reportagen und Monographien erhielt er unter anderem den Hessischen Kulturpreis 2009, die Buber-Rosenzweig-Medaille 2011, den Hannah-Arendt-Preis 2011, den Kleist-Preis 2012, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015, den Bürgerpreis der deutschen Zeitungen 2016 sowie den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen 2017.

Warum hat Navid Kermani eine GrandStory?

Im Mai 2014 hielt Navid Kermani eine aufsehenerregende und emotionale Rede zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes.

Gleich zu Beginn verwies er darauf, dass es in der Einzigartigkeit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland begründet liegt, dass „heute ein Kind von Einwanderern an die Verkündung des Grundgesetzes erinnert, das noch dazu einer anderen als der Mehrheitsreligion angehört“.

Kermani, in Siegen geboren und dort zur Schule gegangen, in Köln und Bonn studiert, promoviert und habilitiert, fungiert als Blaupause nicht nur für gelungene Integration, sondern als Stimme einer pluralen und kosmopolitischen Gesellschaft.

Kermani hat in einer Vielzahl von Romanen, Essays und Reportagen unter Beweis gestellt, dass er zu den intellektuellen Schwergewichten Deutschlands gehört. Aber ist er nun ein Belletrist oder ein Reporter, der die Geschichten der Menschen vor Ort hautnah erlebt und erzählt?

Ihm gelingt das große Kunststück, beide Schreibstile in Reinform zu beherrschen und das jeweils andere Ufer mit wissenschaftlicher Expertise oder geschliffener Ausdrucksweise zu ergänzen.

Als habilitierter Orientalist und Gastprofessor an mehreren deutschen und internationalen Universitäten gilt Kermani als großer Mittler zwischen Orient und Okzident, ähnlich wie unsere weitere GrandStory, Karim El-Gawhary, sowie als Botschafter zwischen den Kulturen und Religionen.

Gerade weil er bilingual aufgewachsen ist und als Muslim im protestantisch geprägten Siegen kulturelle Diversität von Kindesbeinen erfuhr, verleiht er in seinen Texten der vermeintlich harten deutschen Sprache eine schier unendliche melodische Tiefe.

In unserer Interviewkolumne fragen wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach ihrer aktuellen Lektüre. In dieser Folge: Navid Kermani.

Von Miryam Schellbach

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Der Orientalist und Schriftsteller Navid Kermani ist als Essayist, Romancier und Autor von Reisereportage bekannt geworden und wurde vielfach ausgezeichnet. Er veröffentlichte zuletzt "Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen. Fragen nach Gott", einen Vater-Kind-Dialog über den Islam.

SZ: Was lesen Sie gerade?

Navid Kermani: Mary Ruefle, "Mein Privatbesitz" (wie immer wunderbar übersetzt von Ester Kinsky, soweit ich das beurteilen kann). Das Buch selbst kommt mir sehr wechselhaft vor, manches oder sogar vieles erscheint mir banal, aber dann kommen so starke, auch überraschende und eigene Passagen, dass ich doch dranbleibe und beinah gegen meinen Willen nun auf den letzten Seiten bin.

Welches Buch kommentieren Besucher, die an Ihren Regalen vorbeigehen, am häufigsten?

Seltsamerweise Christian Kracht, dessen Bücher genau dort stehen, wo der Blick hinfällt, wenn man mein Büro betritt. Allerdings stehen Kafka, Kleist oder Kurzeck dort ebenfalls, und da sagt nie jemand etwas.

Ein Buch, das Ihnen wichtig ist, von dem die meisten anderen aber noch nie gehört haben?

Jetzt gerade: Anatoli Pristawkin, "Schlief ein goldnes Wölkchen", für dessen Neuübersetzung ich eigens das Nachwort schrieb. Hat leider nicht viel genützt: Soweit ich es übersehe, gab es keine einzige Rezension. Also wirklich keine. Dabei ist der Roman so unglaublich ergreifend und spannend und wichtig. Und zwar mit Blick auf Putins Krieg: gerade jetzt.

Wenn Sie vier Autorinnen und Autoren zum Essen einladen dürften, auch nicht mehr lebende, wer säße mit am Tisch?

Friedrich Hölderlin, Simone Weil, Sadeq Hedayat und Ibn Arabi.

In Ihrem aktuellen Buch erklären Sie Ihrer Tochter den Islam. Worüber sprechen Sie jetzt gerade mit ihr?

In dem Buch bemüht sich ein Vater, einer Tochter am Beispiel des Islams zu erklären, was Religion ist. Überschneidungen mit realen Personen sind möglich. Was ich mit meiner Tochter gerade bespreche, ist für Außenstehende nicht so interessant.

Was ist der beste Roman über Religion, den Sie je gelesen haben?

Mit Superlativen tue ich mich in der Literatur schwer. Aber ein sehr guter Roman über Religion bleibt für alle Zeiten natürlich Dostojewskis "Brüder Karamasow".

Weitere Folgen der Interview-Kolumne lesen Sie hier.

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