Die beruflichen Gymnasien bieten mit ihrer dreijährigen Oberstufe vielen Schüler/innen mit einem mittleren Abschluss einen eigenen Weg zum begehrten Abitur. Reformen stehen an, die Bildungspläne und die Struktur der Oberstufe werden angepasst. 24.04.2018 - Michael Futterer, stellvertretender VorsitzenderEin junger Mensch steht vor einem auf Asphalt gezeichneten Pfeil, der in drei verschiedene Richtungen zeigt. (Foto: © fotolia)Im Jahr 2017 feierten die beruflichen Gymnasien ihr fünfzigjähriges Bestehen. In diesen Jahrzehnten entwickelten sich die beruflichen Gymnasien zu einer Erfolgsgeschichte, die aus dem Bildungssystem des Landes nicht mehr wegzudenken sind. 36 Prozent der Abiturient/innen erwarben 2016 ihren Abschluss an einem beruflichen Gymnasium. 42 Prozent aller Schüler/innen erwarben die Hochschulberechtigung. Damit erreicht Baden-Württemberg unter den Flächenländern Deutschlands einen Spitzenwert. Daran haben die beruflichen Gymnasien einen maßgeblichen Anteil. Sie leisten dabei zweierlei: Die beruflichen Gymnasien bieten eine dreijährige Oberstufe mit einer Profilierung, die in dieser Form von den allgemeinbildenden Gymnasien nicht geleistet werden kann. Mit insgesamt zwölf Profilfächern von den Wirtschaftswissenschaften über die Technik bis hin zu den Ernährungs-, Agrar-, Sozialwissenschaften und der Biotechnologie kommt die Nähe zur beruflichen Bildung zum Tragen. Die Schüler/innen müssen mit Eintritt in ein berufliches Gymnasium ein Profilfach wählen, das später Leistungsfach ist. Die beruflichen Gymnasien leisten außerdem einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit im baden-württembergischen Bildungssystem. Mit ihrer spezifischen Struktur, etwa der Möglichkeit, die zweite Fremdsprache in Klasse 11 zu beginnen, ermöglichen sie Schüler/innen mit einem mittleren Bildungsabschluss ein Abitur zu erlangen. Circa 85 Prozent der Schüler/innen kommen aus einem Bildungsgang, der mit einem mittleren Bildungsgang abschließt (Realschule, Werkrealschule, zweijährige Berufsfachschule, künftig auch Gemeinschaftsschule), nur circa 15 Prozent der Schüler/innen wechseln aus dem Gymnasium. Reform ist in ArbeitDas Kultusministerium (KM) arbeitet seit Sommer 2016 an einer Reform der beruflichen Gymnasien. Ziel ist es, einerseits die Bildungspläne, die teilweise mehr als zehn Jahre alt sind, zu überarbeiten und die Anschlussfähigkeit an die neuen Bildungspläne, die seit 2016 an den allgemeinbildenden Schulen eingeführt werden, sicherzustellen. Andererseits hat die Kultusministerkonferenz (KMK) 2016 Vereinbarungen über die Abiturprüfung der gymnasialen Oberstufe geändert, an die auch das Land Baden-Württemberg gebunden ist. Die Zielsetzung der geplanten Reform besteht darin, die Zahl der Leistungsfächer zu reduzieren, mehr Unterrichtszeit für Leistungsfächer zur Verfügung zu stellen und in den basalen Fächern wieder eine Differenzierungsmöglichkeit zu schaffen. Im Kern ist Folgendes geplant:
Zukünftig muss das Fach Wirtschaft nicht mehr durchgängig in der Jahrgangsstufe belegt werden. Da Wirtschaft in der Sekundarstufe I neu eingeführt wird, muss es in allen Beruflichen Gymnasien nur in der Eingangsklasse belegt werden. Das Fach Informatik muss überall in allen drei Jahren der Oberstufe belegt werden. Damit soll der wachsenden Bedeutung der Digitalisierung Rechnung getragen werden, ohne gleichzeitig die Gesamtstundenzahl für die Schüler/innen zu erhöhen. Sonst wird sich an der Struktur der Oberstufe des beruflichen Gymnasiums kaum etwas ändern. Die Regelungen zur zweiten Fremdsprache müssen selbstverständlich erhalten bleiben. Es wird auch weiterhin allgemeine und berufsbezogene Wahlfächer geben – hier soll es nur kleinere Anpassungen geben. ZeitplanDie neue Oberstufe wird an den beruflichen Gymnasien parallel zur Bildungsplanreform eingeführt. Die Bildungspläne bauen auf die reformierten Bildungspläne der allgemeinbildenden Schulen auf, die seit 2016 eingeführt werden. Daher starten die neuen Bildungspläne ab 2018 in Klassenstufe 8 der sechsjährigen beruflichen Gymnasien und wachsen dort auf. Ab 2021 beginnt die Einführung an den dreijährigen beruflichen Gymnasien (Oberstufe) und gleichzeitig wird die Oberstufe umgestaltet. 2024 kann das Abitur erstmals in der veränderten Form abgelegt werden. An den allgemeinbildenden Gymnasien gibt es ab 2021 das erste Abitur in der neuen Form. Positiv an den Reformen ist vor allem, dass endlich die Fehlentwicklung von 2004 korrigiert wird. Jetzt werden die Zahl der Fächer auf erhöhtem Niveau reduziert, klarer zwischen Grund- und Leistungsfächer unterschieden und in den basalen Fächern wieder Differenzierungsmöglichkeiten geschaffen. Die Reduktion der Leistungsfächer bei gleichzeitiger zusätzlicher Förderung in Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen kommt den Bedürfnissen der Schüler/innen an den beruflichen Gymnasien sicher mehr entgegen, als das Konzept des allgemeinbildenden Gymnasiums. Ressourcen für die EingangsklasseNicht gelöst ist allerdings das Problem der heterogenen Schülerschaft in der Eingangsklasse. Dort müssen die Schüler/ innen zusammengeführt werden. Dafür sind Vorlagen und Ressourcen notwendig, die es möglich machen, dass zum Beispiel pädagogische Konzepte der Gemeinschaftsschule im dreijährigen beruflichen Gymnasium weitergeführt werden. Die GEW fordert daher für jede Eingangsklasse zwei Poolstunden je Zug für individuelle Förderung. Die beruflichen Gymnasien würden damit den allgemeinbildenden Gymnasien gleichgestellt, die 2016 für Differenzierung in der 10. Klasse 111 Stellen erhalten haben. Welche genauen Auswirkungen die veränderte Struktur der Jahrgangsstufe auf den Stellenbedarf haben wird, ist derzeit noch nicht abzuschätzen. Das KM geht grundsätzlich davon aus, dass die Reform kostenneutral umzusetzen sei. Allerdings plant das KM für die Reform des allgemeinbildenden Gymnasiums bereits mit einem zusätzlichen Bedarf von 65 Stellen im Schuljahr 2019/20. Erste Modellrechnung für die beruflichen Gymnasien zeigen, dass es bei bestimmten Schüler/innenzahlen und Konstellationen schwierig werden wird, die Zahl der Pflichtkurse im notwendigen Umfang anzubieten. Der Organisationserlass geht davon aus, dass im Rahmen des Budgets von einer Höchstschüler/innenzahl von 23 ausgegangen werden kann. Auch wenn dies letztlich nur eine Empfehlung ist, fordert die GEW, dass die Schulen ausreichend Stellen zugewiesen bekommen, um dies einhalten zu können. Es darf nicht sein, dass Schulen Kurse groß machen müssen, weil das Budget nicht ausreicht. In jedem Fall müssen die beruflichen Gymnasien vergleichbar den allgemeinbildenden Gymnasien ausgestattet werden. |