Alles essen schmeckt gleich

Ein beeinträchtigter Geruchs- und Geschmackssinn bedeutet für den betroffenen Patienten eine erhebliche Einschränkung seiner Lebensqualität. Der Hausarzt tut sich allerdings oft schwer, was die Einordnung der oft unscharf geschilderten Beschwerden und deren Behandlung angeht. Denn es gilt zunächst zu eruieren, ob der Geschmackssinn, der Geruchssinn oder der orale Tastsinn gestört ist. Der folgende Beitrag behandelt anhand eines konkreten Falls die Ätiologie dieser Störungen und liefert dem Hausarzt ein Konzept für seine Diagnostik.

Der Fall

Ein 14-jähriges Mädchen beklagt seit drei Jahren eine subjektiv stark empfundene Geruchs- und Geschmacksstörung. Sie gibt an, nur die hauptsächlichen Geschmacksrichtungen (süß, sauer, salzig, bitter), aber keine feineren Unterschiede oder Gewürze schmecken zu können. Als Kleinkind wurde sie wegen häufiger Infekte der oberen Atemwege symptomatisch oder antibiotisch behandelt, im Kindergartenalter mussten dann die Rachenmandeln und die Tonsillen entfernt werden. Vor zwei Jahren erfolgten eine Readenotomie und die Verkleinerung der Nasenmuscheln - leider ohne Einfluss auf die Beschwerden.

Eine kürzlich durchgeführte Kernspintomographie der Nasennebenhöhlen deckte eine chronische Sinusitis frontalis auf, die allergologische Abklärung war negativ. Nach einer Traumatisierung des Oberkiefers vor drei Jahren wurde jetzt entzündungsbedingt eine Wurzelbehandlung zweier Schneidezähne im rechten Oberkiefer durchgeführt. Die Nasennebenhöhlenentzündung wird derzeit mit einem steroidhaltigen Nasenspray behandelt. Alle Maßnahmen führten bislang zu keiner Normalisierung des gestörten Schmeckens.

Unsichere Patientenaussagen, aufwendige Diagnostik, unbefriedigende Therapieergebnisse: So etikettiert führen Schmeckstörungen nicht bloß im hausärztlichen Alltag, sondern auch in vielen Fachpraxen ein Mauerblümchendasein. Zu Unrecht aus der Sicht der Betroffenen, denn diese leiden oft schwer unter der spezifischen Einschränkung ihres Erlebens.

Für den Hausarzt beginnt das Problem schon mit der Beschwerdeschilderung: Veränderungen des Geruchs- und/oder des Geschmacksempfindens können wegen der Redundanz der entsprechenden Sinnesorgane von vielen Betroffenen oft nur unscharf beschrieben werden. Diesem subjektiven Wahrnehmungsproblem des Patienten stehen limitierte objektive Messverfahren gegenüber, die häufig nur in Spezialabteilungen verfügbar sind. Mindestens ebenso begrenzt sind die therapeutischen Optionen, die dann angeboten werden können. Anhand der eingangs geschilderten Kasuistik sollen hausarztrelevante Aspekte bei Schmeckstörungen dargestellt werden.

Das Problem

Im täglichen Sprachgebrauch ist Schmecken die Summe der Eindrücke beim Essen und Trinken. Exakt besehen werden damit aber drei Sinne [1] beschrieben: der Geschmackssinn, der Riechsinn und der orale Tastsinn. Nur etwa 5 % aller Patienten mit Schmeckstörungen leiden tatsächlich unter einer Geschmacksstörung [2]. Meist sind es Riechstörungen, die zu einer veränderten Aromawahrnehmung und so zum subjektiv gestörten Schmeckempfinden führen.

Der Feinschmecker ist vor allem ein Feinriecher

Das Riechepithel befindet sich im Dach der Nasenhaupthöhlen (Riechspalte), beidseitig etwa in Höhe der oberen Muschel und des korrespondierenden Nasenseptumbereichs. So erfolgt eine sinnvolle Zweiwegekontaktierung (Abb. 1). Bei der Einatmung werden die Riechstoffmoleküle vom Naseneingang her (orthonasales Riechen) zu den Geruchsrezeptoren transportiert. Bei der Ausatmung über die Nase gelangen Geruchsstoffe aus der Nahrung über Mundhöhle und Nasenrachenraum zur Riechspalte (retronasales Riechen). Die Geruchsstoffe werden dort detektiert und die Information über den Tractus olfactorius zum ipsilateralen Riechkortex geleitet.

Neben der sensorischen („aromatische Geruchsanteile“), hedonisch belegten Identifizierungsleistung durch den Olfactoriusnerven findet in der Nase überdies eine Erkennung sensibler Qualitäten (das Stechen der Essigsäure, das Prickeln von Menthol, Kälte und Wärme des Essens) von Speisen und geruchshaltiger Atemluft statt. Diese Wächterfunktion wird von zwei Ästen des N. trigeminus überwiegend im vorderen Anteil der Nasenhaupthöhle erbracht und soll schon an der Pforte der Atemwege die Inhalation von Schadstoffen verhindern. Eine ähnliche Aufgabenverteilung kommt dem Rachen am Eingang des Verdauungstraktes zu. Das Geschmacksorgan entscheidet nicht nur über Schmackhaftigkeit unseres Essens, sondern warnt durch wichtige Reflexe (Ekel und Würgereiz) vor schädlichen oder unbekömmlichen Substanzen.

Der eigentliche Geschmackssinn umfasst nach aktuellem Wissensstand fünf Qualitäten: süß, sauer, bitter, salzig und umami. Umami könnte auch als „würzig“ bezeichnet werden und beschreibt eine Empfindung, wie sie durch den Geschmacksverstärker Glutamat ausgelöst wird. Als primäre Rezeptoren fungieren Geschmacksknospen, die beim Erwachsenen auf den weichen Gaumen und die Zunge beschränkt sind. Die Geschmacksleitung aus den vorderen zwei Dritteln der Zunge wird von afferenten Fasern der durch das Mittelohr verlaufenden Chorda tympani (aus N. facialis) übernommen. Der linguale Ast des N. trigeminus übermittelt Schmerzen, aber auch Temperaturen und Textur von Speisen aus derselben Region. Das hintere Zungendrittel wird vom N. glossopharyngeus innerviert, Zungengrund und Hypopharynx vom N. vagus. Gustatorische Empfindungen des Gaumens werden durch den N. pe­trosus superficialis (aus N. facialis) weitergeleitet.

Auch lokale Ursachen bedenken

Damit Geruchs- und Geschmacksstoffe an den Rezeptoren ankommen und entschlüsselt werden können, müssen mechanische sowie chemo-physikalische Voraussetzungen stimmen: Die Nase des Betroffenen muss im Bereich des oberen Nasenganges frei sein, damit die riechstoffhaltige Luft zum Riechepithel gelangt (Abb. 2 und 3). Da die Atemluft hauptsächlich durch den unteren und mittleren Nasengang strömt, ist eine subjektiv freie Nasenatmung noch keine Garantie, dass auch die Riechspalte frei ist. Erkrankungen der Nasenschleimhaut oder virale und medikamentöse Einflüsse können zudem eine lokale Schädigung der Riechrezeptoren verursachen.

Damit Aromastoffe freigesetzt werden können, muss Nahrung zerkleinert und aufbereitet werden. Dies setzt einen funktionierenden Kauapparat und ausreichenden Speichelfluss voraus. Doch die Zungenrezeptoren müssen intakt innerviert, frei und empfänglich für ihre Arbeit sein. Mundhöhlen- oder Zungenerkrankungen (Abb. 4) können ebenso zur Funktionseinschränkung führen wie mechanische Verletzungen der afferenten Nerven durch iatrogene Eingriffe (Tonsillektomie, Mittelohroperationen, zahnärztliche oder kieferchirur­gische Maßnahmen).

Was bedeutet das für unseren Fall?

Bei Patienten mit Schmeckstörung geht der Hausarzt am besten dreistufig vor:

  • Am Anfang steht der Versuch, das führende Defizit aufgrund subjektiver Patientenangaben einzugrenzen. Beurteilungen des Geschmacksempfindens sind einfacher, da die meisten Betroffenen gut angeben können, ob sie die klassischen Geschmacksqualitäten und weitere Temperatur- oder Tastsinnempfindungen (kalt, warm, rau, hart) auf der Zunge und in der Mundhöhle spüren. Wesentlich schwieriger verhält es sich bei dem komplexeren Geruchsempfinden. Dabei muss gezielt nach dem Eindruck bestimmter, aus dem Alltag gut bekannter Riechstoffe gefragt werden. Diese erste Analyse sollte dann durch eine olfaktorische und gustatorische Prüfung beim Facharzt objektiviert werden. Bei der Patientin aus unserer Fallgeschichte liegt wahrscheinlich eine überwiegende Riechstörung vor, da die Hauptgeschmacksqualitäten (Leistung der Zunge) erkannt werden, nicht aber feinere Aromen (Leistung der Nase).
  • Bei einer Riechstörung schließt sich die konsequente Abklärung der olfaktorischen Pfade (Abb. 1) an: Mittels bildgebender Diagnostik und/oder Endoskopie muss nicht nur die Umgebungsregion der Riechspalte (oberer Nasengang, Siebbeinregion), sondern auch der Nasenrachenraum dargestellt werden. Entsprechende Ursachen (z. B. Nasenpolypen, adenoides Gewebe im Nasenrachenraum, Entzündungen der Nasennebenhöhlen) sollten dann Schritt für Schritt kausal therapiert werden.
  • Nicht unwichtig ist der Aspekt der „Mundgesundheit“: Die angemessene Zerkleinerung der Speisen und der orale Tastsinn sind für sensibles Schmecken unerlässlich. Deswegen müssen Patienten mit Schmeckstörungen zum Ausschluss von Erkrankungen der Zähne, des Zahnhalteapparates oder des Kauens beim Zahnarzt vorgestellt werden. Dies gilt umso mehr, wenn eingreifende zahnärztliche Maßnahmen in der Vorgeschichte (siehe unser Fall) stattgefunden haben.

Literatur

1. Landis BN, Just T. Was steckt hinter Schmeckstörungen? CME 2011; 3(1): 7-14

2. Hummel Th, Landis BN, Hüttenbrink K-B. Störungen des Riechens und Schmeckens. Laryngo-Rhino-Otol 2011; 90 (Supplement 1): S44-S55

Interessenkonflikte:

keine deklariert

Alles essen schmeckt gleich

Dr. Fritz Meyer

Kontakt:

Dr. Fritz Meyer

Facharzt für Allgemeinmedizin - Sportmedizin

Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde

86732 Oettingen/Bayern

Warum schmeckt bei mir alles gleich?

Ageusie: Ursachen und mögliche Erkrankungen. Eine Ageusie kann epithelial, nerval und/oder zentral bedingt sein. Das heißt: Das Geschmacksempfinden der Betroffenen ist in mindestens einer der drei Stationen der Geschmackswahrnehmung (Geschmacksknospen in der Mundschleimhaut – Hirnnerven – Gehirn) gestört.

Bei welchen Krankheiten verändert sich der Geschmack?

Störung der Geschmacksknospen Infektionen im Mund und Rachenraum, zum Beispiel Scharlach oder grippale Infekte. Autoimmunerkrankungen, wie das Sjögren-Syndrom. Erkrankungen der Mundschleimhaut oder der Zunge, zum Beispiel durch Vitamin B12- oder Eisenmangel. schädigende Wirkung von Zellgiften wie Nicotin oder Alkohol.

Warum schmeckt jedem was anderes?

Die Kombination aktiver Gene, die für die Bildung bestimmter Rezeptoren in der Nase zuständig ist, ist bei jedem Menschen individuell verschieden. Deshalb nimmt jeder Geschmack und Geruch anders wahr.

Was bedeutet Hypergeusie?

Als Hypergeusie bezeichnet man einen pathologisch gesteigerten Geschmackssinns bzw. eine erhöhte gustatorische Sensitivität. Sie gehört zu den so genannten Schmeckstörungen. Ist der Geschmackssinn herabgesetzt, spricht man von einer Hypogeusie.