Einst angebetet nun ignoriert beobachtet es aus der ferne und wartet

The Project Gutenberg EBook of Die Kegelschnitte Gottes, by 
Bertha Eckstein-Diener and Sir Galahad and Helen Diner

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Title: Die Kegelschnitte Gottes
       Die Horus-Romane. Erster Roman.

Author: Bertha Eckstein-Diener
        Sir Galahad
        Helen Diner

Release Date: December 1, 2020 [EBook #63927]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KEGELSCHNITTE GOTTES ***




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Die Kegelschnitte Gottes

Die Horus-Romane
von
Sir Galahad

Erster Roman:
Die Kegelschnitte Gottes

Einst angebetet nun ignoriert beobachtet es aus der ferne und wartet

Albert Langen, M�nchen
1921

Roman
von
Sir Galahad

1. bis 10. Tausend

Einst angebetet nun ignoriert beobachtet es aus der ferne und wartet

Albert Langen, M�nchen
1921

Copyright 1920 by Albert Langen, Munich

Alle Rechte, einschlie�lich des �bersetzungsrechts,
auch f�r Ru�land, vorbehalten

Ein Verzeichnis
der fr�her
von

Sir Galahad

verfa�ten und herausgegebenen
Werke findet sich
am Schlu�
dieses Buches.

An das Publikum. Du f�hrst einen Namen und brauchst keinen Beweis deines Daseins, du findest Glauben und tust keine Zeichen, denselben zu verdienen. Du erh�ltst Ehre und hast weder Begriff noch Gef�hl davon. Wir wissen, da� es keine G�tzen in der Welt gibt. Ein Mensch bist du auch nicht; doch mu�t du ein menschlich Bild sein, das der Aberglaube verg�ttert hat. Es fehlt dir nicht an Augen und Ohren, die aber nicht sehen, nicht h�ren; und das k�nstliche Auge, das du machst, das k�nstliche Ohr, das du pflanzest, ist gleich den Deinigen blind und taub, du mu�t alles wissen und lernst nichts. Du mu�t alles richten und verstehst nichts. Du dichtest, hast zu schaffen, bist �ber Feld oder schl�fst vielleicht, wenn deine Priester laut rufen und du ihnen mit Feuer antworten solltest. Dir werden t�glich Opfer gebracht, die andre auf deine Rechnung verzehren, um aus deinen starken Mahlzeiten dein Leben wahrscheinlich zu machen. So ekel du bist, nimmst du doch mit allem f�rlieb, wenn man nur nicht leer vor dir erscheint ... weil du Z�ge menschlicher Unwissenheit und Neugierde an deinem Gesichte tr�gst ... was die Wirkungen deiner Mahlzeiten anbetrifft, so lernte bei einem �hnlichen Gef�hl derselben Vespasian zuerst das Gl�ck deines Namens kennen und soll auf einem Stuhl, der nicht sein Thron war, ausgerufen haben: Uti puto, deus fio.

Johann Georg Hamann

Erstes Buch

Der reife Schlaf flie�t auseinander.

Immer lichter schimmern selige Schichten dem Bewu�tsein zu. — Dort oben kreist, noch wolkig, das Dasein: Gr�nes und Gezwitscher. Hebt, was seinen Rand ber�hrt, herauf in gleitenden Erdentag und geordnetes Wegeneinander.

Doch auch der zeitlose Abgrund bleibt best�ndig — samtene N�chte tief unter den Wirbeln —, und hint�berst�rzend l��t sich’s nach Willen in ihn zur�cksterben: in lautlose Schw�rze.

Nach einem dunklen Klumpen Ewigkeit r�tet sich abermals die Zeit an den gew�lbten Lidern. Ein Niederpressen, und wieder ist der ganze Kopf voller Sterne da; geschl�ngelte Goldf�den dazwischen und Wirbel bunter Atome.

Doch bananenfarbne Glorie lockt und lockt in die sanfte Geburt des Erwachens. Etwas steigt auf — st��t durch letzte Schimmerschichten — ist ein Ich und ruht in einem wunderguten Eck; jedes Glied zum Besten und ganz still, ja nicht zu st�ren, was der Muskelgeist im Unbewu�ten pr�chtig geordnet. — Wonne l�uft von einem zum andern. Dort um das Ohr besonders, wo das Kissen eiderdaunig am Hals zergeht, staut sich ein kleines Privatparadies animalischer Seligkeit. Das Linnen ist eine laue Wolke �ber den Beinen und schwebt. — Unter ihm schwelen noch alle Wunder der Nacht: der Ichverl�scherin.

Aus lichten Geb�rden und dunklen Trieben wirkt sie das Zwiegespinst allen Erdengl�cks: verk��te Glieder jenseits von Ich und Du. Die Grenzen der K�rper zergangen, Bl�tenweiches ineinandergegossen, Muskelwellen und T�ler sich rhythmisch streifend; Duft — Hauch — Haar zu einem Fr�hling gemischt.

Allm�hlich aber in den Reigen blinder Sinne mengt es sich scheu, hei�, sehns�chtig auch, wie ein Kind, das andere nicht mitspielen lassen: Das Schauen will sein Teil:

Horus hat die goldenen Knabenaugen aufgeschlagen. Das Ich und Du f�llt auseinander. Unerbittlich nah, wie es nur Wesen in der Liebe sind, sieht er das holde Gespiel gleich einem Schleier leicht auf sich ruhen. Geisterhaft fein gebaut, vorweiblich edel in der Vollkommenheit ihrer dreizehn Jahre. —

Und er erschauerte ihrer Sch�ne.

Weise menschliche Br�uche des Tropenlandes, in denen der Knabe aufwuchs, hatten sie an den Grenzen der Kindheit zueinander gelegt. So bl�hten sie mit dem allm�hlichen Zentrieren der Sinne in die Ehe hinein; nach wonnig-langem Aneinanderhinbeben noch herbverschlossener Lust. Ohne Eheeinbruch: roh und frech. Horus Elcho l�ste sich tierweich von dem Liebesgespiel, hauchte hinknieend die Silberhalme der Schenkel hinauf zur noch verschlossenen Quelle des Lebens unter dem glatten jungen Fr�hlingsh�gel. Sie duftete nach den zartesten Harzen der Welt. Ein Falter aus atmendem Brokat, angelockt, lie� sich nieder mit gebreiteten Farben. Entrollte umst�ndlich eine br�nette, haard�nne Spirale und begann starren Auges zu saugen aus diesem ganz unbegreiflichen Kelch. Dann stieg er lautlos auf in seinen einzigen, gro�en Lichttag.

Des Knaben H�nde sehnten sich, das schlafende Kindergesicht wie einen Kelch zum Mund zu f�hren, mit den Lippen die befiederten Wimpern zu heben: dann schnitten sie fl�gelhaft weit in die Schl�fen, und man sah lebendige Kerne in wunderbar wagrechten Schalen voll fl�ssiger Magie. Oder es waren klare Bergseen in der Form eines Fisches, leicht gebogen ruhend, wo aus bl�ulichem Tal der durchsichtige Nasenfelsen unbegreiflich edel steigt. Und auf einmal warf man alle Bilder weg, um nur „Auge“ zu f�hlen — nichts als: Auge. Man sah auch, da� der Schwung der Braue verstr�mte und eigentlich etwas Unendliches war ... man sah ... man sah; der Segen des Sehens an diesem jungen Liebesk�rper war ohne Ende.

Doch feine Hemmung hielt: nie einen Schlaf zerbrechen — nie einen Traum ermorden und Jene vielleicht, die dr�ben in ihm sind.

Er ber�hrt einen Hebel an der Br�stung aus rosigem Granit, die das Halbrund der offenen Schlafterrasse uml�uft. Lautlos dreht sich eine Metallkuppel — wie der Sektor einer Sternwarte — schlie�t den Raum, auf da� die Sonne, der gelbe Tagesl�we, nicht ihren Schlaf bespringe, ruhiges Ausschwingen des Unbewu�ten in der Elfenschale st�re.

Dann steigt er hinab zu den B�derhallen. Nur an der Schwelle hat sich der Knabe noch einmal sanft zur�ckgewandt �ber seine Schulter, die hart ist und geschwungen wie eines Falken Fittich.

Torfl�gel aus lichtem Erz glitten in m�chtigen Angeln zur�ck, und zum Ausgehen bereit, schritt Horus die Terrasse des s�dlichen Parks hinab. Es war noch fr�h. Mit schleppenden Schleiern kam zarter Tag herauf, doch in den Palmen hingen noch streitlustige Sterne: Falmahaud, Sirra, Antares: der Gegenmars.

Es war die Fr�he vor den Morgennebeln und alles blasser Kristall. Da kamen durch die reine Weite her drei Wesen herangeflogen: Wettl�ufer. Strahlengrade Glieder, sprunggestreckt, schienen den Raum nach r�ckw�rts zu treiben; Wehen war um sie, Gefunkel von Spiel und Fr�he. Hellfarbig die Sarongs, blo� ihr Haar, das um der Mittleren Haupt als silbriger Schleierhelm stand.

„Agai — Sigiria“. — Doch sie flogen winkend weiter. Nur die L�uferin mit dem silbrigen Helm bog ab, Horus entgegen, der sie an der Treppe auffing. Es war seine Mutter. Er verbeugte sich. K��te ihre H�nde; erst deren R�cken, dann die Innengeburt jedes Fingers. Linde liefen seine Lippen die azurnen Aderf�den hinauf zum Ellenbogen. Dann lie� er ehrerbietig los — trat zur�ck — Licht im Blick, verneigte sich ein zweites Mal. Ganz tief.

Stets war es ein kleines Fest, Lady Elcho am Morgen zu treffen, oft blieb sie bis Mittag unsichtbar: nach sp�ten Stunden in Laboratorium und Bibliothek, klaren N�chten auf der Sternwarte oder vor der gro�en Orgel allein. Erschien sie aber, geh�rten alle Stunden ihm, bis der Mittagd�mon mit bleierner R�stung jedes Lebendige in den Schatten niederdr�ckt. Dann schweiften beide �ber die Tropeninsel, nach Laune den Tr�ger der Bewegung w�hlend: vom Rolls-Royce bis zu Rama-Krishna, dem alten Reitelefanten. War es sehr fr�h, die Stra�en blank, schien es dem Knaben Lust am Volant — als Herr des Raumes — Kokosplantagen an sich vorbei zu peitschen, Bl�cke blauer Lichtungen: alles, was Z�une hat, Grenze ist, und, sein Schicksal zwischen den Fingerspitzen, vorzust�rzen ins herzzersprengende Nichts. — Oder sie ritten auf Pferden durch alle Farben; �bergrellt vom phantastischen Gr�n der Reisfelder: dem zitternden Smaragd — durch Kakaopflanzungen, D�rfer. Und hier war es gerade, da� Begrenztes wieder, Enges, Einzelnes unerme�lich werden konnte: der Brunnenrand, ein lichtes Tier, Paradiesesaugen brauner Kinder.

Stand aber die Sonne hoch, trug Rama-Krishna sie auf schlingernden Pneumatiks�ulen in den D�mmer der Wildernis: Ceylons Reservat. Hoher Urwald, Freistatt aller Tiere; an Ausma� einem deutschen Bundesstaate gleich und dem Fu�g�nger undurchdringlich wie haushoher Filz.

Flach auf des Elefanten R�cken liegend, um von den Luftwurzeln nicht herabgefegt zu werden, get�rmten Pflanzenozean �ber sich, erz�hlten sie einander ihre Tr�ume, und das leiseste Tier, m�chtigster Besch�tzer zugleich, drang immer tiefer in das dumpfdunkle Abenteuer — den lautlosen Tumult — berstend vor Leben und duftend nach Brunst und Tod.

War es gar Fr�hling nach den Monsunen, dann brach wohl Rama-Krishna nach solchem Ritt aus dem Dschungl hervor, anzuschauen wie einer jener Elefantenf�rsten des Hitopad��a: „dahinst�rmend gleich einer Wetterwolke, schwefelgelb vom Staub der Banjanbl�ten, mit honigfarbnen Sto�z�hnen, und um den Duft des Brunstsaftes, der ihm aus den Schl�fenh�hlen quoll, kreiste ein Schwarm wilder Bienen.“

An diesem Morgen aber begab es sich anders. Der Sinn stand ihnen nach Weite und Ma� zugleich, nach beweglichem, mancherlei M�glichkeiten umspannendem Tun. So flirrten sie auf R�dern in die sch�nste Tropenstunde hinein, jene, die beide polare Klarheiten scheidet. Aus wei�er Seide war die Welt. Mit h�ngenden Flatterschl�gen strebten Schw�rme fliegender Hunde — schwer wie Hammel — den Dickichten zu, um in h�chsten Wipfeln zu zackichten S�cken gefaltet, an einer Kralle aufgeh�ngt, schlafend im Winde zu wehen.

Wallen und Brauen war es einer noch wolkig-fl�ssigen Welt. Wie wenn aus Gischt und Licht das Lebendige sich eben zeugte. Noch unbegrenzt. Unverloren. Fr�h, sanft und ungeheuer. Aus verdunsteten Opalen geb�ren sich haarige Sch�fte. Aus dem Nirgends kommen Luftwurzeln gehangen, saftgetr�nkt: Gelegenheitsorgane des Nichts. Durch niedre Regenbogen fahren beschweifte V�gel, leuchten auf — vergehen. Nebelgro� treibt ein B�ffelhaupt aus schwarzen N�stern seine Sonderwolken in den goldnen Dunst.

Und durch alles hindurch, �ber alles hinweg: Wissen um die Sonne. Da� sie wirkt, teilt, ordnet, die Luft d�nn und schlie�lich fein werden mu� wie Geist, und da� der letzte Rest des Chaos nur mehr als Tau-Franse in den Wimpern h�ngen wird.

Sie gleiten h�gelab durch steigerndes Licht in weichgewelltes Land. Ein Streifen L�wenozean zergeht am Horizont. Vom unb�ndigen Gr�n bis an den Stra�enrand gesp�lt, klammern sich dort braune D�rfer an dem leblosen Strich fest; verteidigen sich mit �xten und Spaten gegen den immer wieder anschwellenden Wald. Zahme Arbeitselefanten stehen als runzlige Ballons �berall herum, lassen uralte St�mme unter gespannten R�sseln knacken, schichten sie dann s�uberlich lotrecht und wagrecht, ganz allein, mit weisem Wiegen des Hauptes und vielem Flappen der Ohren. Dann tritt man hinter sich, pr�ft das Werk und reibt unterdes mit lieben kleinen Verlegenheitsbewegungen ein Hinterbein am andern, wo zwischendurch das pauvre Schweineschw�nzchen t�richt h�ngt. Man ist auch sonst genau: Schlag zw�lf die Mittagspause — und jeder der gro�en Professionisten l��t aus schon erhobnem R�ssel sein St�ck Holz wieder fallen, alles liegen und stehen l��t er, geht einfach weg zum Lunch aus Reis und Zuckerrohr.

Die Stra�e herauf wandeln neben gro��ugigen Tieren M�nner aus dem Blut der Sonne, schmale Frauenakte dazwischen — in einen einzigen farbigleuchtenden Schleier geschlagen. Kommen n�her — sind Greisinnen; das Antlitz verfurcht, eingewelkt die winzigen, weitgespannten Kinderbr�stchen, so zart aber blieben die Lineamente — oder sind es Glied gewordene Geb�rden? —, da� im wechselnden Sonnenstand der Lebensalter auch letzter, schr�ger Strahl reinen Kontur zeichnet, das Wunder geschieht und eine Greisin lieblich ist. �ber nackten M�nnerschultern schwanken an Stangen Messingeimer oder Bananenb�schel, grellgelb und schwer. Wagschalen an diesem h�chst edlen Menschenma�. Es scheint das Ma� zu sein „dieser ganzen in Namen und Gestalten auseinandergetretenen Welt, die der Brahman als Zauberer aus sich heraussetzt, wie der Tr�umer den Traum“.

An einer Stelle der Stra�e biegt der Wandelzug von Mensch und Tier in eine Kurve aus: B�ffelgespanne, Reitelefanten, Rikshaw-kulis, Bananentr�ger, alles d�mpft den Tritt. Es bildet sich eine stehende Welle von R�cksicht. Mitten im Weg liegt ein schlafender Hund.

Auf der feuchten Erde schweben viele Geisterspuren blo�er F��e; Zehenf�cher mit leichter Ferse, vom unsichtbaren Bogen �berspannt. Da und dort ein Blumenring, den Frauenfesseln abgestreift.

Unbeirrbar flirren die R�der hindurch.

Wei�e Zebus: Gazellenrinder. Sie springen ab und hin, die helle Tierstirn in die Arme zu nehmen, den haarigen Stern mit seinen zottigen Radien zu streicheln — wie ein lauer Champignon f�hlt sich der sanfte Schn�ffel an — sie versinken in herrliche Gesch�pfaugen. Dann f�hren Seitenpfade wieder leicht bergauf; grasbewachsene D�mme geleiten zwischen Wasserspiegeln der Reisfelder in das �berhangene der Haine.

Quer �ber Damm liegt ein alter schwarzer Wasserb�ffel. Mit ihm verhandeln ist nicht leicht. Von Argumenten h�lt er wenig in seinem ungeheuren Sch�del voll Wut. Doch volle zwanzig Sekunden braucht es, bevor er selber wei�, wie b�s er ist. Die beiden ducken sich zu schnellster Fahrt. Knapp hintereinander sausen sie �ber den basaltnen R�cken weg.

„Flohzeug — — damisches — — damisches — — damisches! Solchen Unfug mit einem ernsten und anst�ndigen Vieh treiben — — ich werd’ euch!“ Furchtbar steht er auf. Da flitzen schon die zwei blanken Insekten um eine Biegung ins Nichts.

Wo der Flu� im „Tal der nephritgr�nen Wolke“ sanft geworden, erwarteten sie die F�hre. Mit ihnen ein bunter Trupp; der wuchs an hennaroten Zehen als tiefe Farbeninsel vom Ufer verkehrt ins goldne Wasser hinab. In den dunklen Spiegel bl�hte es herunter: aus wei�em Lendentuch braunsamtne Muskelkelche, arisch klare Z�ge, �berz�chtet fast, und, feuchter als die Flut, Augen von der Farbe des Paradieses. Aus K�rben zittert es hell, Mangos, Ananas, safrangelbe Reiskuchen tropfen unten wehend ab ins Nichts wie Wasser von Riemen.

Ein d�nner Afghane hockte abseits. Splitternackt. F�delte sich seine Hose ein. Zwanzig Meter war sie weit. Ben�tzte statt der Nadel gleich einen jungen Bambussch��ling, in dessen Spalt das Durchzugsband geklemmt war. Die Hose selbst lag als gestrandeter Ballon �ber die Landschaft gebreitet. Seine goldne Spitzm�tze mit gr�nen Zauberzeichen auf Rabenlocken, sa� er: ein vazierender Magier im Neglig�.

Nun �ffnete sich der wartende Kreis den Ankommenden; in ohnegleicher Anmut. Tamils, Singalesen, Bengali, Rhajputen: es waren die �rmsten der Armen. Die Typen rein, dank der Kastentrennung unvermischt, unverk�tert. Standen da in golddunkler Allbegabung und feinstem Wissen um den Eros: wie der schmale Kopf �ber den glatten Haarknoten stieg, der Sarong das Antilopenhafte zeichnete, eine Spange, ein Nichts an Linie war von gepflegtester Sinnlichkeit. Und die dankbare Natur achtete im Alter ihre schlanke Anmut, weil ja auch sie S��e und Wert des Daseins zu achten vermocht. An diesem abgelegenen K�stenstrich des �stlichen Reservats hatten wohl noch die Wenigsten wei�e Menschen gesehen, oder gar einherreiten auf glimmernden Skeletten. Doch in unverlierbarer, blutgewordener Gesittung behielt Jedes die zuf�llige Stellung des Augenblicks bei, f�hrte in leichten Lauten die Wechselrede weiter, wandte nicht einmal, �ngstlich sich selbst z�gelnd, die Augen ab — ganz des eigenen Taktes sicher. Keine Geb�rde, kein Blick, nur unaussprechliche Freundlichkeit nahm die Andersartigen auf.

Horus stand neben einem hochgewachsenen Rhajputen. Sonderbar ziehender Rhythmus, von dem er sich klare Rechenschaft nicht gegeben, hatte ihn hingeleitet, wiewohl merkbarer Abstand diesen von den �brigen schied.

Er war glatt, faltenlos wie Diorit. Breit in den Schultern, aus schmalsten Lenden wuchs sein Torso zum Dreieck aus dunklem Stein.

Paramahansa nach den Sektenmalen: vier St�cke lachsfarbenen Tuches, das f�nfte um die Schl�fen, der Rudrakshabeere am Hals — das Auge aus Asche im Herzen der Stirn. Einer, der weder an Feuer, noch Geld, noch irgend Metall r�hrt — nichts genie�t, was aus Arbeit stammt.

L�ssig und doch strahlengerad an Haupt und R�cken stand er, das Profil dem Knaben zugekehrt. Da f�hlte Horus, wie der Rhythmus seiner Pulse sich zu ver�ndern — anders zu schwingen begann. Wu�te, es hing an dem wunderbar langen, doch unh�rbaren Atem des andern. Ihm war: H�nde aus Hauch griffen an sein Herz, stellten es nach einer andern Sternenstunde. Die Wellenl�nge seines Wesens schien sich zu wandeln — weiter schwang die Amplitude seines Ich, bis es ri� — die Zeit zerri� — bis es unbegreiflich stark, wehrlos und geborgen sich ausbl�hend in ein neues Ma� ergo�. Und ein silbern unirdisches Erinnern ward gro� in ihm, da� es schon immer so gewesen — heute — in der Freiheit des Tiefschlafs, als sie im Spiegelbilde eines Morgentraumes kindlich und sanft verzerrt zerging.

Dann begann der lange, wundersch�ne Atem ihn langsam wieder zur�ckzusp�len in sein eignes Ma�.

Als w�re er in eine Froschkehle gest�rzt, so zappelnd und klein tickte das jetzt. Dumpf, kurz. —

Sehr allm�hlich schmolz alles ins Gewohnte wieder. Der Rhajpute hatte sich ihm nun zugekehrt, unfa�baren, ortlosen Blicks. Nur das Aschenauge sah einen Augenblick auf ihn.

Er f�hlte: wie eine Flaumfeder herangesogen, hatte er einen Atemzug lang, solang ein einziger Ein- und Aushauch w�hrt, an einem Wesen andern Ranges teilgehabt. Wu�te zugleich: das blieb. Unverlierbar irgendwie. Lie� ihn stark — wehrlos und geborgen zur�ck.

Die F�hre legte an. Trug die Wartenden ans andre Ufer. Der Rhajpute aber ging zur�ck ins „Tal der nephritgr�nen Wolke“, ohne sich umzusehen.

Auf grasiger, leicht abfallender H�he, unter dem breiten Tempelbl�tenbaum — vor Weite und Meer — sprang ein Sonnenrausch sie an. Bet�ubung, Bezauberung des Lichts. Lachend fielen sie einander in die Arme. Begannen zu ringen; geballt, verschlungen, aufschnellend und gespannt. Ein Umeinandergleiten wie von Echsen, Aufgeb�umtes und Kauerndes auch, Raubzeug im Ansprung: gepflegte Kunst japanischer Samurais. Es endete wie immer: bis hart an den Sieg lie� der so viel St�rkere die Gegnerin kommen, glitt, fast am Boden schon, mit stets erneuten Varianten unter ihr durch, hob die Leichte auf, gab ihr einen Ku� — warf sie dann auf beide Schultern weit ins Gras.

Vor wenig Jahren noch, auf einer Reise in Japan, als sie auf dicken Kokosmatten bei dem gelben Lehrer Griff und Gegengriff ge�bt, wu�te er es anders. Dann eine Periode des Gleichgewichts — und jetzt! Ruchlos war der Siegestanz. Eine Schnur greiser Papageien, aus ihren Betrachtungen aufgest�bert und au�erdem in der Mauser, traten vor Ekel von Bein zu Bein. Mi�billigten alles �ber Hornbrillen herab, schimpften mit dicken Zungen in einer uralten heiligen Gaunersprache. Flatterten schlie�lich fluchend davon.

Horus warf sich neben seine Mutter in den Schatten des Riesenbaumes. Sanfte R�hrung dessen, der vom Besch�tzten zum Besch�tzer wird, allein durch die Magie der Zeit, griff an sein Herz.

Unheimlicher, verborgener ist nichts, als dies gespenstige Kontinuum, wenn es den Schwerpunkt unmerklich vom Sch�pfer hin�bersp�lt in das Geschaffene. Von der Geb�rerin in das Geborene. Zu geisterhaftem, unzerrei�barem System sie schlie�end, in dem das eine schwillt, steigt, strahlend wird, indes das andre langsam scheidend sich verdunkelt und schlie�lich, ganz erloschen, nur mehr von reflektiertem Leben nachgl�nzt. War der Tag auch nur zu denken, da er in anderm noch, als blo�em Muskelspiel: als Pers�nlichkeit, der M�chtigere bliebe?

Sie hatten von je eine Art stiller �bereinkunft geschlossen, den gro�en Unterschied, den Leben und ungemeines Schicksal der �lteren schuf, diesen ganzen Fond unendlich �berlegenen Wissens und Verstehens, in der Regel beiseite zu setzen. Den Knaben gleichsam „mit Vorgabe“ spielen zu lassen. Er wu�te es wohl, war sich’s aber nicht immer bewu�t. Doch kurze Trennung — noch so kleiner Anla� — Umkehr des Gewohnten, und wieder wirkte der ergreifende Zauber dieser wissenden G�te auf ihn wie ein Schauer von Gl�ck.

Als er vorhin die �berwundne von der Erde abgel�st, die Schleierschlanke �ber sich gehalten, das war ein Grenzenloses gewesen, einen Herzschlag lang. Jubelnd — tr�stend:

„Du bist ja in mir. Und aus meinem Blut will ich dich weitergeben, und im Fernsten, wo die Lebenskette in Unfa�bares m�ndet, soll noch dein liebes Wesen sein.“

In der Stille sang das Licht. Schmeichelte zwischen den wei�en Tempelbl�ten herab auf Schulter und Haar: ein hei�es H�ndchen am Ende des weltenlangen Strahls. Er h�tte das H�ndchen nehmen und k�ssen m�gen. In ihm war das dumpfe goldne Bienensummen des Gl�cks. Auf seinen nackten Armen schwankten schwerelose Bl�tterschatten: schwimmende Gespenster von Edelsteinen, unirdische Opale aus Aladins Fruchtschalen, und an ihrem Aberglanz schien sein eigner Leib durchleuchtend wie belebter Beryll.

Riesige Varane zickzackten umher: bekr�nte Drachenprinzen, Neurastheniker. Erschraken ma�los, standen still, steifen Hauptes, und w�hrend die Pigmentporen sich langsam �ffneten, bis alle Regenbogenfarben ihrer K�rper vor lauter Feigheit zu Erdbraun verebbt waren, tickten die butterweichen Kehlen wie die Unruhe in der Uhr. — Geraume Zeit verstrich. Da sagte er, ohne sich zu r�hren:

„Heut nacht hat sich ein gro�er Falke wirklich reizend gegen mich benommen.“

— — „?“ — —

„Er sah zu, wie ich mit einer Quadriga von Kolibris �ber unsrem Golfplatz aufzukreuzen versuchte, und bewies mir mit Hilfe kolossaler Differentialgleichungen, wie wenig Sinn das h�tte. Er selbst aber sei gern bereit, mich mitzunehmen. Nur, vorher — darauf m�sse er bestehen — sei ein Probeflug n�tig. Wom�glich auf einem Eisvogel.

Ein vermietbarer Eisvogel war sofort zur Stelle. Dort, wo das T�rkisblaue ist, legte ich mich auf die Fl�gel. Er scho� schr�g herab, ritzte den Weiher dann so steil an Bethelranken vorbei zu Arekapalmenh�he, da� mir das Licht ins Herz schnitt. Der Falke kommandierte. Das Weibchen des Eisvogels sa� neben ihm, und zwischendurch erkl�rte er ihr das Ganze.

„Aber es gibt Sie doch gar nicht hier,“ fuhr ich pl�tzlich mein Flugzeug an; „Eisv�gel auf Ceylon!“

Es war ein dummer Wortwitz, aber er schien sichtlich betreten. Ich lenkte ein:

„Aber von mir aus k�nnen Sie ruhig hier vorkommen.“

Er murmelte etwas von „verdammter Ornithologie“, versuchte es aber englisch auszusprechen, verwickelte sich rastlos im Akzent, wurde immer b�ser und schlie�lich so voll Trotz, da� er schwebend die Erde unter sich durchrotieren lie�, um an sein korrektes Vorkommen zu gelangen. Dreimal verpa�te er es, als es unter ihm durchsauste. Das wurde dem Falken zu dumm, und er nahm mich zu sich her�ber. Es war ein braunseidner Falke, wie er auf unsren chinesischen Holzschnitten in Rhododendronwipfeln spitzgefiedert steht.

Von dort schweifte er mit mir auf. Wie ich so gebreitet lag im staubigen Zimtduft der gro�en Federn, schlossen sich meine Schultern genau dem Schwung seiner Fl�gel an. Meine Arme begrenzten sie als lichte S�ume. In den gespreizten Federfingern war eine schwingende Kraft. Ich trug mich selbst durch die anst�rmende Bl�ue. Auch im Herzen war ich ihm und in den goldnen Augen. Nur die Gedanken blieben mein. Ich geno� den Raum wie eine Symphonie der Richtungen. Leer von Dingen, mit nichts als diesem unirdischen �thersturm unter den Fl�geln, lie� ich mich in einer wundervollen Kurve, die der Wille meines Blutes schrieb, in den oberen Lichttrichter hinaufsinken. Den Sonnenkern im Auge.

Was mir dort geschah, war so sch�n, da� ich es nicht mehr wei�.

Mir ist nur, als w�re die Spitze meines Herzens leuchtend geworden und mit ihm die Adern an meinem Haupt. Und von der hundertundersten Ader ging ein Strahl hinaus — bis in den Herzkern der Welt, um den alle Str�me und Wirbel treiben. Nach zeitlosen Wonnen kam ich mir zur�ck aus Ader und Strahl. Lag wieder als K�rper in braunseidenen Schwingen und sagte schwer von Abschied:

„Pardon, ich mu� jetzt aufwachen.“

„Schade,“ meinte der Falke, — „recht schade. Ich dachte, wir wollten im Westen landen, aber“ — er schien nachdenklich — „vielleicht w�re es Ihrer Mutter nicht recht gewesen.“

Ich wollte verneinen — ihn zum Weiterfliegen bewegen: da flo� der reife Schlaf auseinander.“

„Nicht recht gewesen.“ Sachte belustigt horchte er den Traumworten nach. War doch, so lange er denken konnte, jedes Sch�ne, jedes Geschenk seiner Mutter f�r ihn aus eben diesem geheimnisvollen Westen, �ber den L�wenozean, hergekommen.

Nur Gargi nicht: sein Liebesgespiel.

[Lebendiges nie.]

Aber all die glitzernden Zwitter aus Zweck und Zahl: R�der — Rolls-Royce — Jacht, jedes wieder bedient von einem Stab wundervoller Werkzeuge. Durch das ganze Haus pulste dann Jubel; Erasmus van Roy verlie� B�cher und Instrumente, er und der japanische Monteur des Hauses begannen zu zerlegen, zu erkl�ren, bis der junge Besitzer den neuen Ank�mmling wie seinen Leib beherrschte, im Gleiten der Achsen war wie in sich selbst: Lenker und in Wahrheit Herr.

Quer durch das Bilderspiel ging eine Stimme, sehr gepflegt, leicht gebrochen:

„W�rt ihr weitergeflogen, wir h�tten uns im Westen treffen k�nnen: Bei Tag wirft man mich zwar ins Gras; heut nacht aber hab’ ich im gr��ten Zirkus Londons einen Elefanten im Diu-Diuzu besiegt. Schon bei der Ankunft in Charing-cro� war alles voll Plakate. Peinlichst ber�hrt, sah ich an allen W�nden, in �berlebensgr��e den Elefanten und mich — mich und den Elefanten. Buchmacher liefen umher. Legten Wetten. Ich floh in ein geschlossenes Cab. Sauste ganz drau�en immer rund um London herum in der Hoffnung, sie f�nden mich nicht. Sie fanden mich aber. Kein Str�uben half.

Schwarz war alles vor Menschen, und inmitten der Arena stand schon der Elefant und krempelte sich die �rmel auf. — Es begann wie der XXII. Gesang der Ilias: Achilleus und Hektor. Doch wie ich das drittemal um den Zirkus lief, kam mir der „gro�e Drachengriff“ wieder, von dem doch Jamagata uns immer zu sagen pflegte: „And then you finish your man — dann beenden Sie Ihren Mann“. Nun, ich beendete meinen verbl�fften Elefanten. Packte seinen R�ssel und schlo� ihn im „gro�en Drachengriff“ wie in einem Schraubstock fest. F�hrte ihn geb�ndigt dreimal um die Arena unter dem Jubel der zehntausend entz�ckten Zuschauer.“

Auf einmal f�hlte Horus sich von r�ckw�rts sanft umarmt — hochgezogen und pl�tzlich im „gro�en Drachengriff“ zu seinem Rade geleitet.

Erheitert fuhren sie heimw�rts.

Das Haus der Elchos war von k�stlicher Gl�tte.

Zwischen diesen Menschen, ihrem Wohnen, allen Dingen, die sie ber�hrten, war jene adlig verwandte Lauterkeit, Reine und Noblesse, die aus der Knappheit aller Begrenzungslinien ersteht.

Wie sie selbst in jeder Geb�rde stets die eleganteste L�sung der Gleichung „Mensch“ darzustellen nicht m�de wurden, so mu�te auch der bescheidenste Gegenstand, der hier geduldet wurde, restlose L�sung seines Sinns verk�rpern — bis in die letzte Linie hinein.

Neue Formen waren lediglich neuen Bed�rfnissen entsprungen, wie die Kurve des T�rgriffs nachgegossen dem Druck der Hand.

Dieses Heim enthielt keinen l��lichen Gegenstand. Jeder unerl��liche aber hatte den Charme gewachsener, doch nicht unmittelbar gewachsener Dinge: als h�tte die Natur dies alles durch das Medium eines Lieblings schaffen lassen wollen, der aus reineren Gesetzen sch�pft als sie. Das Ding aus Zweck — Zahl — letzter Geisteszucht, hier ber�hrte es sich wieder, ein Lebendiges h�herer Ordnung, mit dem Organischen, das gleich ihm nie gewollt, nur geworden wirkt.

In diesem Heim gab es kein Kompromi�. Jedes Problem mu�te restlos, wenn auch einmalig und h�chst pers�nlich gel�st werden. Sonst v�lliger Verzicht. Und alles ward hier wieder zum Problem, denn jede Frage wurde neu gestellt.

Von den Fundamenten auf.

Schon in der begl�ckend reinen Kurve, mit der fugenlos die W�nde aus der Decke in den Marmorboden �bergingen, der nachzugleiten pausenlose k�rperliche Wonne schuf.

Jeder Raum, geschlossen durch die Synthesis von Einordnung und Eigenleben der Dinge, wirkte als ein Monolith. Kein Gegenstand griff, optisch zudringlich, hin�ber in das Gebiet der Bewohner, und die Reizf�lle, die Anmut, mit der das Leblose im Dienen ganz sich darbot, verlieh ihm etwas Genienhaftes, wie aus M�rchen her. Dinge, die ihren Herrn erraten — weiser sich benehmen, als er in seinem Alltag, sind sie doch Geisteskinder seiner h�chsten Stunde; aus Phantastisch-Sch�pferischem und dem Regulativ technischer Klarheit in w�gendem Gef�hl ans Licht getrieben. Wissen um die Struktur, um das Geheim- und Kristalleben der Materie; Marmor�derung, Holzflader, Reflex oder Biegsamkeit der Erze und Erden: dieser Komplex von Geist-Zucht-Wissen-K�nnen ...; die Gleichung all dieses: ein Torsturz — eine Fensterbank — ein Leuchtk�rper.

Etwas vom Stil der Atriden.

Von der m�chtigen bronzenen Milde Chinas auch.

Doch wiedergekehrt aus den Jahrtausenden in Abgeschliffenheit, Vertiefung, Beseeltheit und Pr�zision. Wie hindurchgegangen durch das Wesen der Newton, Lagrange, Helmholtz und Poncelet. Wiedergeboren aus einem h�chst geistigen �ther: aus der gleichen M�hsal, Tapferkeit und Kraft, die den Bug einer Jacht, Kurve des Kl�vers, der Wanten, einer Helice — Nieten am Dampfkessel — Drill des Rohres herausgeschliffen aus dem Amorphen.

�hnlich all diesem. Artverwandt. Mit dem geschwisterlichen Zug jener Elite der Dinge, deren Mutter die Echtheit ist.

Atridenstil an Gl�tte, Fugenlosigkeit und Gr��e. Ihm unendlich �berlegen an Problemstellung — L�sung — Erf�llung — auch an sp�ter Einfachheit, die letzte Verw�hntheit ist.

Horus geno� diesen idealen Wohnleib und die Continuit�t seiner Stimmung von je wie das vertraute Gef�ge eigner Glieder: nat�rlich und leicht erregt zugleich. Doch schien ihm vollkommene Gestaltung eines Wohnleibes zu den von selbst verst�ndlichen Formen abendl�ndischer Lebenshaltung zu geh�ren. In Struktur und Bestandteilen zum mindesten ebenso her�bergesandt vom Genius der wei�en Rasse wie reine Typen edler Mechanik: Werkzeug, Maschine, Instrument.

„Der Bau“. — Immer wieder war das Wort aufgestiegen dort im ganz Fr�hen, wo das Ich noch nicht recht zusammenh�ngt. Kein l�ckenloses Geschehen bleibt. Immer nur einzelnes aus dem Vagen ragt: eine rosa Torte — ein Klang, gro� wie die Welt — das Gesicht der Katze als furchtbarer Magnet.

Zwischendurch aber war immer das Wort „Bau“ gewesen. Im Bungalow Tische, auf Rei�bretter gespannt knisternde B�gen, gro� wie Leinent�cher, Mama mit wunderbar eckig-graden Ger�ten dran herabstreifend. L�rm, Leute, Lasten. Zu Wagen, zu Schiff. Dann geht man fort aus dem Bungalow in ein Gro�es, Lichtes, Liebes. Der „Bau“, was immer er gewesen sein mag, ist pl�tzlich weg, das Wort erloschen. Erst viel sp�ter wei� man langsam irgendwie, das Gro�e, Lichte, Liebe sei eben der verschwundene „Bau“.

Vieles kam wohl erst sp�ter hinzu. Hing mit g�nstigen Kopra- und Teeernten, oder steigendem Ertrag der Graphitminen zusammen: so der Riesenrefraktor f�r Erasmus van Roy, das Laboratorium, der Instrumentensaal. Vielleicht waren noch R�ume unvollendet. Er kannte nicht alle, hatte viele freiwillig nie betreten, wie manche Gem�cher der Meditation. Denn jedem Bewohner des Hauses, auch ihm, auch Gargi seinem Liebesgespiel, war, �stlicher Sitte gem��, ein Raum zu eigen, den niemand als nur er betrat. Mit seinen Strahlen ganz erf�llt, lebendig von dem Fluidum seiner tiefsten Stunde: dem „kef“ des Orientalen.

Die Gem�cher der Meditation hatten weder Schlo� noch Riegel.

Hoher Mittag. Nach seinem solit�ren indischen Lunch schritt Horus durch die Bibliothek. Der mannigfache Raum ging �ber in Terrassen aus durchscheinendem Onyx. Auf ihnen breitete Weiches sich rundum hin — vor Luft und Meer — bereit, ein Buch im Niedergleiten aufzufangen, denn: der diesen Raum ersonnen, hatte wohl gewu�t: im Freien liest man nicht, man hebt ein Sch�nes aus dem Buch und tr�umt ihm nach, bis es im Blauen gro� wird und zergeht.

Luftm�de kehrte er in den Zentralraum zur�ck, der von B�chern ganz umgrenzt war. Schr�g flo� aus hochgelegenem breiten Fenster das Goldne nieder; lie� die gestuften Tafeln der ungeheuren Mahagonitische aufduften wie Tiefland. Es leuchtete von Geist und Stille. Ihn aber zog es zu ganz beschatteter Versunkenheit. Aus dem Niedren tat es sich auf wie Grotten: taube Alkoven, wo tief in Pf�hlen die K�rper ausgel�scht sind und die Gedanken sich befruchten, indes ein klar und zartes Licht als Hochzeitsfackel leuchtet.

Ein kultivierter Europ�er h�tte gar bald in dieser erlesenen Bibliothek etwas h�chst Sonderbares entdeckt und in wachsender Betroffenheit die hartn�ckige, ja manische Konsequenz seiner Durchf�hrung bestaunt. L�ckenlos stand als seelisches Riesenwerk das Ethos Asiens da. Wie es, hochaufgerichtet in den lebendigen K�rpern seiner Rassen, noch in die Geb�rde seines letzten �rmsten Sohnes ein Unbeschreibliches an weiser Anmut gie�t.

Da waren die Veden, Upanishaden, Bhagavad-Gita, Gajatri und Upnekhad. Auch die Sutras mit dem Kama-Sutra. Die sieben gro�en Philosophensysteme Indiens, gekr�nt mit dem Vedanta, verstr�mend im Buddhismus. Chinas Religion des „guten B�rgers“: das Wu-king Con-fu-tses. Lao-Tsu, das Buch vom quellenden Urgrund, die unvergleichliche chinesische Lyrik. �berdies fast der gesamte Formen- und Geistesinhalt �gyptens, Kretas, Babylons, Persiens.

Auch Europas?

Hier begann das Sonderbare. W�hrend die Gro�en im Reich der Naturwissenschaften in Originalen und einer Vollst�ndigkeit, die jener des Britischen Museums wenig nachgab, vertreten waren; w�hrend Neues und Neuestes unaufh�rlich in Fachschriften zustr�mte, enthielt dieser offenbar tiefdurchdachte Geisterbau keine Zeile, aus der auf Geschichte, Religion, soziale Zust�nde Europas h�tte geschlossen werden k�nnen: auf Sexualbr�uche, Sitten, Jus. Die Unnaturwissenschaften fehlten g�nzlich.

Die Existenz des Christentums war ignoriert und aus den gro�en Philosophen jene Teile ausgeschieden, die es — wenn auch in antithetischer Form — streiften. Auch das meiste aus den Werken der Dichter entfiel: Faust, die historische Mordfolge Shakespeares; nur wo Oberon Herrscher, Ariel Diener, B�hmen eine Insel war, das blieb. Es blieben auch Schillers �sthetische Schriften, Lessings Laokoon, denn hier wurde Zeitlich-Gegenst�ndliches durch divine Behandlung aus passagerer Umwelt ins Durchscheinend-Verkl�rte gehoben.

Auch das S��este des Minnesanges blieb, als dem Weltwesen der Liebe zugeh�rig. Au�er Globen, Stern- und Weltatlanten gab es auch Spezialkarten Europas: Geographie, geologischen Aufbau, St�dte, Kanal- und Eisenbahnnetz erl�uternd. Da aber jegliche Historie fehlte, konnten die abgegrenzten Flecke: England, Deutschland, Frankreich, Spanien, ebensogut die vereinigten Republiken von Europa, die Provinzen des Gro�moguls der Schweiz: F�rsprech Br�stli, als den Aktienbesitz eines Wallstreettrusts bedeuten.

In die Bibliothek m�ndete der Orgelsaal, mit Fl�gel und Streichinstrumenten, enthielt auch die Musikliteratur, mit Ausnahme jener Opernausz�ge, deren Text in die ge�chtete Zone ragte.

Bildhafte Darstellungen h�rten mit dem �gyptisch-Griechischen auf. Auch in der Baukunst. Das Letzte: der Parthenon. Aus s�mtlichen europ�ischen B�chern waren die Portr�ts ihrer Verfasser sorgf�ltig entfernt.

Erwuchs hier ein begabtes junges Wesen, so war ihm eine Umwelt bereitet aus europ�ischer Wissenschaft, Technik und Musik, Asiens mystischem Ethos und allen freien, daher gepflegten Liebesformen des Gesamtorients als Morgengabe.

Tief in seinen B�cherschluf geschmiegt, rosenquarzged�mpftes Licht zu H�upten, griff Horus nach einem Band Pascal. Er war seltsam erregt heute. Alle Nerven lagen wehend wie in einem fl�ssigen Medium, das hinstrebte nach zwei Polen: dem Traum und dem Rhajputen. Wollte sich sammeln, beruhigen, oder falls das mi�lang, die Erregung, wie oft schon, zu einem Stachel machen, ihn ins Geistige zu treiben — dorthin, wo die gro�en Zusammenh�nge waren in dieser ganzen r�tselhaften Raum-Zeit-Welt, zu denen ihn seit fr�her Kindheit heilige Gier immer wieder unter Schauern trieb.

Erinnerte sich dabei eines Ausspruchs, den Erasmus unl�ngst halb im Scherz getan:

„Die meisten Menschen bleiben dumm, weil sie feig, nicht weil sie unintelligent sind; es fehlt ihnen einfach der Mut, so lange zu denken, bis es weh tut! Doch dort kommen erst die Einblicke und Ausblicke.“

Seine Jugend war der R�ude des Alltags fast ganz entr�ckt.

All den elenden K�terleiden, die in den schmierigen Augenblick herabzerren von einer Spanne zur andern. So blieb seine Seele feinh�utig und wach f�r die fruchtbare Qual der gro�en Fragen aller Kreatur, die ins Ewige ziehen. Denn nur zwei Wege tiefster Ersch�tterung gibt es, auf da� der Mensch au�er sich gerate und �ber sich hinaus: den Weg der Qual und den Weg der Freude. Qual aber ist, je nach der sensitiven Stufe des Gequ�lten: f�r einen Heloten auch hundert Peitschenhiebe am eigenen Leib noch kaum, — f�r Gotama Buddha war schon ferne Ahnung, da� es auf Erden etwas wie Alter und Siechtum g�be, Leids genug und ersch�tterte ihn in die Vollendung hinein.

Horus hatte l�ngst — nicht nur aus van Roys Worten — auch traumhaft erahnt: „das Wesen aller Dinge sei die Zahl.“

Wenn dann aus dem dreifachen Reich der Natur das Mannigfaltige hervorbrach, ihm die Sinne sprengen wollte, trat er zur�ck in die reinen Raumgebilde des Geistes: Schemata alles Erschaffenen und alles Erschaffbaren. Vor denen — wie ihn gelehrt worden war — der pauvre Klumpen dieses Kosmos ganz ohne Importanz wird, versinkt, sind sie doch tiefer und weiter als er. Denn die Gesetze der Mathematik gelten f�r jede m�gliche Natur, f�r alle physikalischen Universen, die Riemann s�mtlich vorausberechnet hat, und von denen das Eine — Unsre, nichts als ein Spezialfall ist. Nicht aber gelten die Gesetze der Physik f�r Gegenden der Mathematik, denn: wo immer in der Natur eine bestimmte Zahl erscheint, gleichsam als Ursaite angeschlagen wird, da mu� auch der gleiche Ton erklingen, mu� gleiche Farbe, Gestalt und chemisches Geschehen sie begleiten. Die Zahlen und ihre Beziehungen sind Traversen der Welt, jenseits der Erscheinungen; wer in ihnen, ist in geheimnisvoller Weise auch im Baumeister aller Welten. Und van Roys Worte kamen ihm wieder:

„Was sind die kindischen und kl�glichen Wunder aller Religionen, verglichen mit dem einen mathematischen Wunder der „harmonischen Teilung“, in Geometrie und Natur: dies Zueinanderstehen von Zahlen, aus dem die Proportionen der Musik und die Kegelschnitte sich gleicherweise erzeugen. — Das geisterhafte Schema, nach dem die Welt klingt und die Gestirne sich bewegen.“

„Wo sonst ist ein Erahnen so herzersch�tternd gro�artig f�r das Hereinragen eines Au�erweltlichen — geheimnisvoll Ordnenden. Wer da innen ist, durch den gehen die F�den der erschaffenden Gesetze, der h�ngt gleichsam im ewigen Fadenkreuz und r�hrt an Grenzen des Unzerst�rbaren.“

Da war es dem Knaben Horus oft, als ob ganz gro�e Gedanken, die im Unverg�nglichen dahinwehen, au�en am Rand seines Erfassens vor�berstrichen, knapp an der dunklen Monade vorbei. Nur ein Weniges noch an sehnender Kraft, und er m�sse ihrer m�chtig werden, sie hereinziehen in das passagere Ich. Doch dies Vor�berstreichen schon r�hrte mit einem klar und magischen Gl�ck an sein gro�pochendes Herz.

Da� er gerade heute Pascal zur Hand genommen? Vielleicht um des Wunders willen, da� dieser — ein Kind von sechs Jahren — mit einem St�bchen im Sande spielend, die ganze Euklidische Geometrie aus sich entwickelt hatte. Mit winziger Kinderfaust dies Wissen von zwei Jahrtausenden erspielte, wie andre Steinchen halten. Horus schlug jene weltber�hmte Abhandlung auf, von dem Halbw�chsigen — kaum �lter, als er selbst jetzt war — der Akademie von Paris �berreicht. Und er begann zu lesen:

„�ber die Kegelschnitte“.

Doch die leuchtende Geometrie, der �therische Glanzraum Pascals, schien ihm heute in eisige Phantastik seherhaft entr�ckt. Wo war in dieser Kristallwelt Durchdringung mit dem Warmen, das in ihm schlug: ein Vogelherz in harter Hand? Er lie� den Band sinken, blickte auf. Am andern Ende des Raumes war eine einfache Gestalt. Unnachahmliche Bescheidenheit lag als stiller Ring um sie.

Ein irgend Etwas an Haupt und Haltung lie� Horus f�hlen, er st�re nicht. Sei erwartet und willkommen. Dr�ben dann, in den weiten easy-chair hineingeschmiegt neben den alten Freund, erkannte er, da� dieser nicht, wie er zuerst geglaubt, ein Buch, sondern ein aufgeschlagenes Manuskript in den H�nden hielt. Und Horus las:

„Die Hyperbel hat mir von jeher etwas Gespenstiges gehabt, ohne da� ich mir einen Grund davon anzugeben wu�te. Ich fand ihn indes nachher in einer symbolischen Beziehung, die sich ihr unterlegen l��t, und ich bin �berzeugt, da� alle, die sich unterlegen lassen, in dem �hnlichen Charakter zusammentreffen. Man mu� sie aber gleich in bezug auf die �brigen Linien betrachten.

Der Kreis symbolisiert mir die Eigenliebe: den Egoismus.

Die Ellipse das Ideal der Liebesfreundschaft.

Die Parabel das der Liebe gegen das Unendliche, G�ttliche.

Die Hyperbel das Ideal des bittersten Hasses.

Der Brennpunkt in jeder der angef�hrten Linien stelle eine Seele vor; die Strahlen, die von da nach dem Umkreis gehen, die Bestrebungen dieser Seele, wiefern sie nach au�en (durch Handlungen) wirksam sind, und die Richtung der zur�ckgebrochenen Strahlen den Zweck, zu welchem die Bestrebungen auf das �u�ere gingen. — Ich kann z. B. nach au�en handeln, teils um meinetwillen, teils um eines andern willen. Wenn die Strahlen also, die von dem Brennpunkt ausgehen, die aktiven Bestrebungen der Seele vorstellen, so m�ssen umgekehrt — wenn wir das Symbol treu verfolgen wollen — die Strahlen, die von der Peripherie in den Brennpunkt fallen, die Gef�hle und Empfindungen vorstellen, welche die Seele passiv von au�en in sich aufnimmt. Wird daher ein Strahl, der von einem Brennpunkt an die Peripherie fiel, in einen andern Brennpunkt zur�ckgebrochen, so sind des letzteren Gef�hle — nach dem Symbol — durch Bestrebungen oder Handlungen des ersten Brennpunktes veranla�t worden.

Der absolute Egoist handelt nur um seinetwillen. Er l��t nur Strahlen gegen die Peripherie ausgehen, damit angemessne Gef�hle in seine Seele durch die R�ckwirkung kommen; er ist ganz in sich abgeschlossen. Was er auch tun mag, davon hat nichts auf eine Seele au�er ihm Bezug. Der Strahl, der aus dem Mittelpunkt des Kreises kommt, wird ewig wieder in ihn zur�ckgebrochen.

Die Ellipse l��t sich als ein Kreis mit in zwei Brennpunkten auseinandergetretenen Mittelpunkten betrachten.

Eine Seele hat sich in zwei gespalten, und beide existieren nur mit- und durcheinander; jeder ist die Seele eines Freundes; jede wirkt nur, um in der andern angemessene Gef�hle und Empfindungen zu erregen, denn welcher Strahl auch von dem einen Brennpunkt an die �u�ere Peripherie f�llt, der nimmt seine Richtung nach dem andern Brennpunkt zu. Was der eine nur denkt und hat, das gie�t er in des andern Seele aus. Um die Au�enwelt bek�mmern sich beide nur, insofern sie mittelst ihrer in bezug aufeinander wirken k�nnen; beider Gef�hle erg�nzen einander stets: alle gebrochenen Ellipsenradien sind gleich der gro�en Achse, die beide Brennpunkt-Seelen zun�chst verbindet. Sie k�nnen jede einzeln nichts denken, nichts f�hlen, was nicht mit des andern Gef�hlen und Bestrebungen zusammenstimmte, da� es dieses Band darstellte: das Ideal der Liebesfreundschaft hat viel sch�nere Symbole — wohl kaum ein wahreres.

Nehmt die Hyperbel: beide Liebende sind durch einen ungeheuren Ha� gespalten worden! Der eine hat sich von dem andern abgekehrt, jeder rei�t seinen Brennpunkt heraus, h�lt ihn f�r sich fest und mag mit dem andern nichts zu schaffen haben. Sie fliehen sich in Ewigkeit — Nein, sie sind noch aneinander gebunden, aber durch die Bande des feindseligsten Hasses. Ihre Gesinnungen beben divergierend vor einander zur�ck bis ins Unendliche, aber doch bleiben sie hadernd einander gegen�berstehen, und da� jedes Gedanken nur von des andern Seele zur�ckfahren, sieht man daraus, da� die Divergenz der Strahlen ihr Zentrum in dem gegen�berliegenden Brennpunkt findet. — Was in der Ellipse das Band war: die gro�e Achse ist in der Hyperbel in den Gegensatz �bergegangen, und alle Strahlen, die von einem Brennpunkt in den andern fallen k�nnten, sind sich nur in der Differenz gleich.

Die Parabel ist ein erhabenes Symbol der Liebe zu einem Ideal, zum �bersinnlichen, zu jedem Gro�en und Sch�nen, was nur in der Unendlichkeit erreichbar, der Seele vorschwebt: alle Strahlen, die der Brennpunkt der Parabel aussendet, laufen in gleichf�rmiger Richtung nach dem andern Brennpunkt, der in der Unendlichkeit liegt; alle Bestrebungen und Gedanken sind nur dahin gerichtet. Umgekehrt kann kein Strahl in die Seele fallen, der nicht vom Unendlichen ausgegangen w�re. Alle Gef�hle beziehen sich auf dieses.

Eine Liebe zum absolut Infernalischen — etwa im Gegensatz zur Parabel, dem absolut Idealen gibt es nicht: ja, das Symbol f�r sie ist sogar unm�glich! (y� = -px) Es m��te eine Parabel sein, die sich vom Brennpunkt, der in der Unendlichkeit l�ge, abkehrte und seinem Gegensatz zueilte, aber die Mathematik zeigt, da� es ein solches Symbol gar nicht geben kann.

Noch Schlimmeres als der absolute Egoismus ist also, soweit unsre Denkformen reichen, nicht vorstellbar. Er und sein Symbol: der Kreis, bilden den geometrisch gr��ten Gegensatz zur Parabel, den der Geist zu bilden vermag.

Wie die Selbstliebe alles auf sich zur�ckbezieht, so ist alles, was die Parabel tut, ohne allen Bezug auf sich, denn der Strahl hat erst in die Unendlichkeit zu laufen, ehe er zum Brennpunkt wiederkehren kann; daher ist die Parabel zugleich das Symbol der Tugend, welche nur dadurch, da� sie f�r das All gewirkt hat, f�r sich und auf sich zur�ckwirken will, und das Symbol der Tugend f�llt mit dem Symbol der Liebe gegen das Unendliche zusammen.

Denkt man sich einen unendlich gro�en Kreis, der das All befa�t, so ist — wie sich Extreme stets ber�hren und im Unendlich-Gro�en all unsre Symbole ineinander laufen — dieser Kreis zugleich das Symbol des absoluten Egoismus und der absolutesten Liebe gegen andre: ein G�ttliches als Mittelpunkt des Allkreises kann sich nur selbst lieben, insofern au�er ihm nichts ist, denn die Peripherie: die Welt geh�rt ihm wesentlich als K�rper zu. Aber indem er sich selbst liebt, liebt er zugleich alles, was es gibt. Die Liebe gegen seine Gesch�pfe ist ihm Selbsterhaltungstrieb und er mag nur sich erhalten, indem er alle seine Gesch�pfe: Teile des unendlichen K�rpers, erh�lt.“

Das Manuskript brach ab.

„La� es mir,“ bat Horus, und da er des andern Z�gern f�hlte: „es ist wohl sehr kostbar,“ — dann dringender: „Nur f�r kurze Zeit; nur das �ber die Parabel.“

In ihn brauste der Traum zur�ck und das Traumlicht in jede Ader seines Hauptes, doch das war nur wie leichtes Zerrbild und heller Hauch, herausgeatmet aus dem reinen Mund des Hochschlafs. Nun flo� es zusammen mit der Klarheit, in der sein Herz schwamm, als es der Rhajpute einen Pulsschlag lang nach einer andern Sternenstunde eingestellt.

Was jenseits jedes Wortes, jeder menschlichen Verst�ndigung geschienen, kam nun aus gespenstigen Tiefen, als geisterhafte Beziehung reiner Lineargebilde zur�ck. Das ranzige Wort „Symbol“ wurde stark und schrecklich neu. So blendend, als wenn man einen �therstrom durch beide Lungen breit in sich hineinrei�t, so steigernd ri� ein Dunkles jetzt in ihm entzwei.

„Behalte es ganz,“ sagte Erasmus; „vergi� auch die Ellipse nicht.“

Als der Tag sich schon leicht zu neigen begann, waren Horus und Gargi auf der Schillerfalterjagd. Nach den Monsunen, gegen Abend — im schr�gen Strahl ist das seltene Gesch�pf zu sehen, wo tief in tropischen Hainen Feuchtes spiegelnd steht.

Bei jedem Schritt bricht eine Wolke warmer Narden aus br�nstiger Erde. Stachlichte Fr�chte, schwer wie S�cke, hocken blattlos an St�mmen. Dr�ben schie�en Jukkapalmen hinauf in die Freiheit. Bersten als Raketen in B�scheln von Leuchtkugeln auseinander. Dann wird es dunkelgr�n, dicht, still. Tollgeformte V�gel auf behaarten �sten zieht ein ungeschlachtes Horn im Kopf vorn�ber. In wahnsinnige Stellungen verhext, stieren sie dann aus kahlen Augenkreisen �berquer ins Leere.

Auf hohen, sehnigen Beinen schleichen die beiden durch schlingerndes Gr�n: Bethel und Pfefferranken, dann l�ngs des Wassers eine Schlucht hinan, bis wo auf kreisrunder Lichtung Klares rieselnd auseinandertritt, um feuchte, schiefrige Platten. Kauern heran, fahren flach nieder wie ausgegossen vor der Sonne; kein Schatten darf auf das Braun-Graue fallen, das sich eben aus der Luft dort niederl��t.

K�pfe schief, Augen wie Phosphorb�nder, tasten sie nach richtigem Blickpunkt. Jetzt ein schr�ger Strahl, und das Braun-Graue geht in wei�em Feuer auf als brennender Brillant, bricht in blendendem �ther �ber seine R�nder, wird zu einem kleinen Strahlensee, der auf sechs abgeknickten Fadenbeinchen sitzt, und w�hrend die atmenden Fl�gel sich gl�tten, gehen Adern aus Juwelenfarben durch sie hin. Zwei Lichtketten rinnen �ber die spiraligen F�hler: Antennen der Liebe, endend in einem gro�en Tropfen Licht.

Es sitzt und zittert. Spannung in den Fl�geln steigt und steigt; zu tief erregendem Vibrieren ohne Pause: samtnem Elfenbrausen an. Da f�hrt ein zweiter kleiner Strahlensee im Gleitflug nieder zum ersten, und eine zarte Mythe hebt an: von Wesen, bei denen die Liebe zu einer Inkarnation f�r sich geworden. Wesen nur aus Organen der Wonne: ganz Auge, Fl�gel, Taster, Geschlecht. Keine Vorkehrungen mehr im K�rper f�r diffamierende Funktionen: Kampf — Fra�. In einem Krampf von Stille, um Gesch�pfe, die in der Liebe sind, ja nicht zu st�ren, schauen die Kinder das Weitergeben des Lebensfunkens in den atmenden Edelsteinen.

Unten im Tal sa�en sie dann am Rand eines winzigen Beckens. An einem jener kleinen, brunnentiefen Trichter, wie sie der Flu� aussp�lt zwischen Felsen, deren Spiegel glatt sind und wo im Glasigen die Fische flie�en. Gargis F��chen spielten mit Staubgef��en des rosenroten Lotos, der als Porzellan auf gr�nen Tafeln steht. Durchbrachen dann den lauen Smaragd und lie�en sich schwimmend vom Strom dem Hause zutreiben; lie�en sich flie�en — tauchten — bildeten, eins ins andre verschlungen, seltsame Doppelwesen oder formten, die Beine verspreizt, aus ihren fast br�derlichen K�rpern eine Art Kanu: Bug und Heck die K�pfe, Riemen die Arme.

Bei der „H�hle der wei�en Tr�ume“ suchten sie das Ufer, wateten durch Seichtes, Gargi voraus. Im schr�gen Strahl bl�hten die beispiellosen Farben ihres Sonnenblutes auf: �ber gr�nlichem Dunkel ein silbriger Samt. Glei�end von dem Gleichen wie Panther und Orchis: dem, was von tief innen heraus zu Leben verbrannt magisch aus Fellen und Kelchen bricht.

Das selige Silber rann an ihr nieder, die Lustfurche des R�ckens hinab, in der ein Wellchen sich brach. Lanzend�nn blitzten die geisterfeinen H�ften.

Halb Fee, halb Knabe schien sie im Schaumschleier aus Licht und Wasser, leicht wie Schaum. Sie k��te zum Abschied die abfallenden Wassergew�nder — das Verrieselnde von den Schultern, den glatten Kinderbr�stchen. Erschauerte einen Moment schmal und m�wenhaft, warf dem Wind die Arme um den Hals und flog den Strand entlang.

Gut war das: die aus sich selbst bewegten Sprunggelenke sp�ren, ein Lebendes, Laufendes sein, das gehoben von Blut zwischen Himmel und Gestein dahinfliegt, die sich nicht bewegen k�nnen. Und hinter sich das andre laufende Leben. — Gut war das.

Denn ein Entflammter flog ihr nach.

Lange vermag ein wohlgebornes junges Wesen ohne Sexualit�t zu sein, wenn es die Liebkosung hat. Nur in n�chtlich einsam eingesperrter Pubert�t schwillt der prim�re Trieb zu manisch-h�ndisch-h�mischer Besessenheit: armselig, eint�nig und roh. Ein Elend den Frauen, an denen er sich sp�ter vielleicht ehelich — jedenfalls weihelos entl�dt.

Horus, fr�hzeitig einem holden Bettgespiel gesellt, stillte seine warme, junge Sehnsucht von je in feinerer Mannigfaltigkeit.

Das Leben war ihm — auch abgesehen vom Nur-Erotischen — so angef�llt mit Sinnenwonnen, da� er sp�t zur Zentrierung der Einen kam. So verweilte sich Eros lange auf allen Gliedern. War im Ozean der Tastempfindungen, irisierte vielgestaltig �ber die kleinsten Muskeln hin, die — winzige Zentren der Wollust — sich in zarten Schauern erl�sten, und Liebe blieb ein s��er Grenzfall am Rande k�hner Z�rtlichkeiten.

Wird aber eines Tages der innre Lenker wach — wach �ber alles —, sieht er sich von der ersten Stunde Gebieter �ber ein erlesenes Heer von Wonnen: dem Gefolge im M�rchen, das lang vor seinem Herrn erwachen soll, den Traumbann abtun, sich schm�cken, festlich bereiten, dienend zur Stelle sein, wo es am Sch�nsten wird: bei seines Prinzen Auferstehen.

Als der Knabe Gargi den Strand hinauffliegen sah, in der jungen Herrlichkeit eines Pfeils, vom Bogen der Spannungen entsandt, trieb ihn erst reine Beutelust ihr nach, auch das Gl�ck, von ganz nah die Sprungsehnen in den langen Kniekehlen spielen zu sehen, dort wo die Haut fast unirdisch wird.

Doch Reiz ist Sch�nheit in Bewegung. Sein Blut ri� ihn �ber den Blick hinaus, begann nach den Flammen ihrer Anmut zu schwingen, wie am Morgen nach dem Atem des Rhajputen. Gro� und unruhig wurde die Luft. Schw�le strich ihm um die Flanken. Schwoll durchs Adernetz. Sie halten — umschlingen — tragen — bei�en, es war nichts, aus taumelndem Bewu�tsein schrak er auf mit dem manischen Drang, ihre Stimme zu k�ssen, ihr Fliehen, ihr Leben: dort ganz dort. Auch ihm nur mit der Essenz seines Lebens erreichbar.

Vor ihm her strahlte sein Begehren. Leckte hin�ber in ihr fliehendes Blut. Stahldunkel vor Gewalt, scho� es �ber sie hinaus. Da wurde sie zu einer einzigen flirrenden Linie der Flucht und geno� die H�rte ihres kindlichen Scho�es.

Die Frau will die Erwartung — der Mann die Erf�llung. Lief wie sie noch nie gelaufen. Sp�rte an der Best�rzung ihres Herzens seine wachsende N�he. Auf einem neuen Schauder kam er heran. Ihre Adern keuchten das weibliche: noch nicht — noch nicht. Ein manischer, wahndunkler Trieb: immer den gleichen Abstand zwischen sich und der Erf�llung wahren. Sei es um den Preis der Erf�llung selbst.

Nicht enden sollte die berauschende Angst.

Nie mehr enden die pulsende Not.

Und Freude an der Not.

�berhangen bleiben mit allen s��en M�glichkeiten.

Dauern in einem Weltenbrennpunkt unaufh�rlichen Begehrtseins.

Lief wie sie noch nie gelaufen. Konnte nicht mehr. Brach zusammen mit geschlossenen Augen. Klammerte sich an die Wonne ihrer Angst. Pre�te die spiegelnden Gazellenbeine herb aneinander — — zu einem langen Pfad der Verf�hrung.

Ein D�mon der Inbrunst, war er �ber ihr. Sekunden perlten wie Champagnertropfen auf.

Dann: hart, langsam, gnadelos stemmte sich sein Knie auf ihre bla�gepre�ten Schenkel. Der Block aus Bronze trieb die Zitternden ohne Schonung auseinander — so weit es ihm beliebte. Und gab sie frei. Leer, k�hl strich Luft um ihren versiegelten Scho�. Nur �ber dem Haupt duftete noch das Gl�ck seiner lebendigen N�he. War sie verschm�ht? Besiegt und dann verschm�ht? „Er will seinen Willen, nicht mich,“ fuhr es durch sie hin. Es war nicht mehr zu ertragen.

Das Herz schlug ihr die Augen auf. Sah ihn nah. Wimper an Wimper besprangen sie die goldbeschwingten Panther seiner Augen. Neigten ganz in sie hinein voll Verhei�ung und Geduld.

Da flog sie an ihm auf wie ein angewehtes Blatt. Barg das wunderbar junge Haupt im alten Mantel seiner Z�rtlichkeit. Er hatte ihr die letzte S��e geschenkt: Erleiden der Gewalt genie�en lassen ohne Dem�tigung.

Seine H�nde kamen. Widerstandslos nun, in wartendem Aufruhr, lie� sie sich an ihm entlangf�hren. �ber seine dr�hnend harte Violinenbrust langsam abgleiten, hineinrei�en in die H�hle seines Leibes — hineinsaugen in eine Schale von Kraft.

Sie st�rzen ineinander.

Horchend hingegeben dem geheimen Rhythmus, mit dem die Essenzen des Lebens in ihren tiefen Kelchen — kraft so vieler Liebkosungen — einander wunderbar entgegenfluten. Gesteilt — get�rmt.

Sie verstr�men in die verborgene Mond- und Sonnenspringflut: die Gezeiten des Eros.

Lang durch sie hin geht die selige Wehe.

Zur Stunde der Kr�he, Tau im Haar, waren sie heimgekehrt. In wonniger Ermattung entschlummert, hoch oben auf der Terrasse aus rosigem Granit.

Inmitten der Nacht tauchte Horus aus dem Tiefschlaf. Hei� vor Wirklichkeit, ganz gl�cklich, wach zu sein — da zu sein.

War auch Gargi wach? Trunken taumelte sein Gesicht dem ihren zu. Vor dem Lichtjubel seiner Seele kreisten die riesigen Opale ihrer Augen, deren Wimpern wagrecht in die Schl�fen schnitten, dem kindlichen Haupt etwas Durchleuchtetes gaben.

Sie erhoben sich vom weiten Lager, schritten — zu einem Wesen geschlossen — bis an die Br�stung, die das Halbrund der offenen Schlafterrasse umlief.

Dem Garten enthoben sich die Farben der Nacht. �ber Bl�ten und Wegen stand strahlende Materie der Finsternis. Griffen tastend in Blumen, lehnten sich weit hinaus in den veilchenhaften Samt des oberen Abgrunds, aus dem Gestirne gehangen kamen, gro�, frei schwebend: Kitalphar — Archanar — die Beteigeuze. Der Raum sog die Seelen an. Es war so sch�n, da� man nicht denken konnte — kaum f�hlen — nur schauen.

Ihre H�nde �ffneten sich dem Astralschein: magnetischem Puls kosmischer Zentren. Die schlanken Finger streckten sich — Antennen — feinste Sender und Empf�nger dem �ther und seinen namenlosen, unirdischen, alles lenkenden Wirbeln entgegen.

Fern aus dem Dschungl kamen, in Pausen, die Weltlaute rei�ender Liebe; schwimmend in einer Stummheit: Gepfauche auf Tatzen der Unrast — Brautgebr�ll — Zischen — aus dem Ganz-schwarzen ein Blutschrei, k�hn wie die Not.

Mitten inne zwischen Dschungl und Sternen stand, in machtvollem Aufri�, ruhend in seinen klaren Achsen, mit Toren aus lichtem Erz — das Haus der Elchos: Kristallform eines h�heren Lebens.

Freiheit der Wildnis stieg an ihm auf mit tausend gr�nen Adern, zerbarst in Kelche, ward oben Duft am reinen Raum aus Zucht und Zartheit: dem kindlichen Ehegemach in rosigem Granit, dessen Kuppel wie der Sektor einer Sternwarte sich auftat in die bodenlos selbstbl�henden Sterne.

Diana Elcho hatte an Gargis durchscheinendem K�rperchen seit dem Fr�hlingslauf zur „H�hle der wei�en Tr�ume“ neue, hei�ere Male entdeckt: „die getigerte Wolke“ — „das Korallenband“ — „zackichte Krone“ — „Perlmuschel“ gehei�en, in Indiens l�chelnder und g�nnender Sprache, die erlesene Liebkosungen in heiligen Schriften vermerkt.

Ohne Wort, ohne indiskrete Miene, wie von selbst und ganz einfach stellte sich alles auf die hohe Zeit der beiden Kinder ein. Frei von gierendem Wohlwollen. Auch das Haus: der Raumkristall wandte ihnen eine neue Facette zu.

Sie hatten bisher nicht alle R�ume gekannt. Au�er dem Halbrund aus rosigem Granit standen ihnen jetzt drei Schlafgem�cher offen. Zwei einsame: licht, frei, glatt, — fast leer. In der Mitte ein Gemeinsames, das ohne Fenster war; eckenlos zu einer Ellipse geschlossen. Ozonisierte und durchduftete Luft erneuerte sich unmerklich in ihm. Es war nichts als ein immenses, hingebreitetes Pf�hl — nur verschieden �berh�ht und durchtieft.

Linde Kurven aus dunkelgl�henden Samten, schr�ge Lichter und Spiegel, da und dort, klarer wie Tag, eine Pore im Kelch der Liane r�gend, oder mit einem Griff zu opalisierenden Nebeln verschleierbar — warteten. In Andacht. Ganz der Nacktheit und ihren Festen geweiht.

Denn Erotik des Auges: die feinste, holdeste, ist die verletzlichste auch. Immer echt unter Gr�sern und Sternen: im zartweiten Nebel von Leben als Liebesumschlingung sein geballterer Kern.

Doch im Alltagsraum: Schon an der schutzlosen Haut beginnt die Fremde. Kein sinnlicher Zauberkreis h�lt da dicht. Kalt schaut ein Fenster zu. M�bel leiern h�lzerne Litaneien taktlos weiter:

„Wasch dich,“ — „setz dich.“

Halbwesen, Unw�gbare, tasten sich liebeleer herein in einen tiefen Schauder, verzerren ein leidenschaftlich in sich Geschlossenes zu ungewollter Exhibition. Da� im Liebesraum kein Ding, von Alltagstun noch tr�chtig — niedertr�chtig, die hohe Tugend der Wollust beflecke, hat das Fundament aller menschlichen Lebenshaltung zu sein.

Vom Kopf bis zu den F��en in die „flie�enden Wasser von Bengalen“ eingeh�llt, betraten sie die samtne Tiefe, und die ber�hmten Musseline zitterten als plissierter Nebel um ihre K�rper und um die F��e als lockiger Schaum. Flie�en die „Wasser von Bengalen“ �ber ein schlagendes Herz, Beben einer Schulter, alles was pulst, verborgen schauert, nehmen sie da und tragen es herauf an den Schimmer ihrer Oberfl�che. Wie im geheimnisvollen, hellen Bad, beim roten Schein der Dunkelkammer, ein Bild aus blinder Platte gehoben wird und sichtbar. Ganz scheu steht es dann — r�hrend und gro� auf einmal.

Auch alle Liebesspiele kannte das Gewand und spielte mit. Warf seidne Arme um den Hals bei st�rmischem Nahen, floh weich in die Senkung einer Achsel, wehte dann wieder als Fl�gel dahin, listig mit entwendetem Duft beladen. Endlich gab es sich besiegt, hing vielleicht noch schmal an einem Knie, fiel auf einmal wie Asche in sich zusammen und war �berhaupt nicht mehr der Rede wert. Die befreiten klaren K�rper: Fr�hlings�ste im japanisch Leeren aber nahm der ganze Raum voll Inbrunst in seine samtnen Arme. Selbst das weite, g�nnende Hochzeitsgewand.

In ihm mei�elten sie ihre eignen Statuen unter dem anklingenden Rhythmus der gro�en Gewalt.

Dann, nach Stunden, aufschauernd aus Umarmungen an den Grenzen des Lebens, erblickten sie sich selbst, erblickten ehrf�rchtig, was Shiva, der Herr der Glieder, sich aus dem edelsten, dem lebenden Material herausgegl�ht, auf da� es — ungleich dem sparsamen Werk der Kunst — gleich wieder zu noch hei�erem Leben, noch wilderer Anmut zergehen m�ge.

„Das sind wir.“ — „So viel ist uns anvertraut.“

Gl�tte jedes Muskels, Feinheit jeder Phalanx, das Wunder des Knies, alles hatte pl�tzlich einen Wert ohnegleichen. Nur weil es so, gerade so, konnte der Gott es bespielen. Hoch �ber aller Eitelkeit beugten sie sich — hei� vor Verantwortung — H�ter zu sein von lauter Dingen ohne Preis. Dem Einmaligen, Heiligen, Unwiederbringlichen, das ein lebender K�rper ist: Statue, die nie erstarren darf, weichgl�hender Kelch von Murano, dem edler Atem Tag und Nacht, von innen heraus, die immer leise schwankende, feine Form bewahren mu�.

Jeder unreine Bissen, ein h��licher Gedanke, eine unvornehme Geste droht schon ihn zu mindern, seine Einzigkeit zu tr�ben. Denn Vollendung ist freigew�hlte, unaufh�rliche, l�ckenlose Zucht. So f�hlten sie. Und das Licht, das Gewissen des K�rpers, l�chelte ihnen dabei zu. Und es l�chelte sogar die Zeit, denn vom Anfang dieser Erkenntnis war sie noch einen weiten Weg mit ihnen, statt gegen sie.

Der Tag begann seine Form zu verlieren, weil die roten Wogen der N�chte �ber seine R�nder sp�lten, so da� letzter Schauer des Erinnerns mit dem ersten der Erwartung am hohen Mittag zusammenflo�. Noch viel zu viel Bedr�ngnis in der Entz�ckung. Hoch �ber dem Gl�ck laufen ihre unerh�rten Spannungen hin — zu Gl�ck werden sie erst in der Erinnerung verblassen.

Menschen schienen zu nah und grell. Sie gingen zu Tieren und Musik. Beide Begleiter des Dionysos, des Herrn der Wollust, dem die Fl�te heilig ist und der Astragalos: das Sprunggelenk des Panthers. Und das aus tiefen Gr�nden. Oft balgten sie sich stundenlang, wie gro�e junge Katzen, mit dem Pantherbaby herum, das, ein Findling vom Rand des Dschungls, von der Leonberger H�ndin ges�ugt wurde. Das setzte sich manchmal, mitten im Spiel — kein Mensch wu�te warum — pl�tzlich tiefernst geworden, auf seinen runden Schwanz und versuchte in den Zenith hineinzubei�en. Da mu�te man es auf die trocken glimmernde Granulierung der Nase k�ssen, trotz seines emp�rten Protestes. Um den moosigen Mund lag das Hold-Fremdweltliche noch: Verschlafenheit alles ganz Jungen. Durch die Wolke von Milch und Babytum aber strich schon fahler Dunst walddurchstreichender Flanken, und die wunderbar blauen Augen, in denen das k�nftige Gelb in Goldk�rnern schwamm, besprangen k�niglich alle Dinge, kraft ihres leuchtenden Rechts.

Solche Arme voll allersaftigsten Zuckerrohrs hatte Rama-Krishna in seiner hundertzwanzigj�hrigen Erfahrung noch nicht erlebt, als jetzt t�glich, von vier jungen H�nden gereicht, in seiner dummen S�uglingslefze verschwanden.

Er nahm es als karmische F�gung: man fr�gt nicht viel und lutscht. Leise schaukelnd. Seine beborsteten Augen, ge�derte Billardb�lle, weichen vorbei, immer ins Leere, nur die R�sselspitze, hellf�hlend, �ugt nach mehr.

Vor siebzig Jahren war er Buddhist geworden, damals, als das Malheur mit der Herde passierte. Die „Aff�re“ war zwar ohnehin verj�hrt, aber auch so — nein, er hatte sich durchaus nichts vorzuwerfen.

Wie etwa mit Benedek bei K�niggr�tz Anno 66 war es gewesen. Alle hatten das auch anerkannt und sich wirklich reizend benommen. Durchaus w�rdig. Keine Vorw�rfe: „w�ren Sie nicht“ ... „und h�tten Sie doch nicht“ ... „und sehen Sie, das kommt davon ...!“ — Nein, nicht einmal die K�he hatten gekeift. Wie h�tte er auch wissen sollen, da� der neue Vize-Roy, so einer von den fahlen Affen mit dem komischen Geruch, einen Kraal: Einfangen wilder Elefanten in heimt�ckisch kaschierter Umz�unung, anzusehen gew�nscht?

Monate der Qual waren das gewesen: immer gescheucht, abgetrieben vom Wasser; wo man nur eine Quelle roch, fielen Sch�sse, und Feuerbr�nde jagten die verdurstende Herde weiter. Die armen Babys, zum Schutze unter den M�ttern laufend, wie unter einem galoppierenden S�ulenportikus, waren schon ganz eingeschnurrt, mit verdorrenden R�sselchen die saftlosen Br�ste sehns�chtig dr�ckend. Da — endlich eine Nacht des Friedens, der Ruhe, auf dicht umhegter Lichtung Wasser. Einen Augenblick zauderte er: der F�hrer. Alles roch so verd�chtig nach fahlen Affen rundum. W�re er umgekehrt, die Herde h�tte vielleicht noch gehorcht. Aber so—o—o— viel Wasser! Bis zum Bauch. Man war schlie�lich auch nur ein Elefant. R�chelnd vor Gier st�rzte er sich hinein. Ihm nach die schwere, graugebuckelte Wolke.

Da schwang wie ein Tor der schmale Eingang der Lichtung zu, sie war nichts gewesen als umz�untes Gehege, und ein Kranz von Geschrei stand pl�tzlich um sie auf, von Fackeln und Raketen, da� man an die elenden, mit Lianen umschn�rten Pfl�cke nicht herank�nne, sie zu zersplittern.

Da hatte er noch einen R�ssel voll Wasser geschluckt — auf die f�nf Minuten kam es auch nicht mehr an —, dann alles hinaus ins Zentrum der Lichtung beordert. Babys und K�he in die Mitte, die Bullen ringsum: R�cken an R�cken, Sto�z�hne und R�ssel nach au�en geschlossen, zu einem verzweifelten Kreis. So erwarteten sie den letzten Kampf; in Disziplin und Selbstachtung. Die ganze Nacht stand man. Nichts geschah. Dann am Morgen geschah: eine Gemeinheit. Auf Gongs, Sch�sse, Feuer, war man gefa�t gewesen, doch es kamen — Elefanten. In hoff�rtigem Zug, und jeder trug auf seinem Haupt als Krone einen fahlen Affen mit Schlinge und Seil.

Sprachen durch die R�ssel in einem v�llig vertrottelten Slang von „Kulturfortstrom“ — „Gliedpers�nlichkeit“ — „individualistischer Irrlehre“. Schlie�lich blieben es aber die alten Hauer, mit denen sie erst die Schw�chsten gewaltsam aus der Phalanx dr�ngten, und die alte Hundsgemeinheit, mit der sie zulie�en, da� ehrlich K�mpfenden von dem fahlen Affen oben hinterr�cks eine Schlinge ums Bein geworfen wurde. Sofort packten die eignen Entartgenossen dann den Strick, schleppten den wehrlos Gewordenen zur Fesselung an den n�chsten Baum.

Qualvoll schnitten die Riemen ins Fleisch. Tag und Nacht. Nie mehr ganz heilten die Wunden. Nach vierundzwanzig Stunden waren erste Bestechungsversuche genaht: Ananas, Kokosn�sse, Zuckerrohr. Aber die Bande hatte alles wieder an den Sch�del retour gefeuert bekommen, da� es nur so krachte. Sp�ter freilich, wenn niemand hersah, hatte man wohl sachte — sachte mit dem R�ssel hinter sich getastet nach einer Ananas, sie im Kernschatten des gebl�hten Ohres zum Mund gef�hrt, dabei aber m�glichst umd�stert nach der andern Seite gestarrt. Ja — viel durchgemacht in diesen Tagen.

Sp�ter, als Rama-Krishna genug vom Leben verlernt hatte, um „gelehrig“ zu werden, trat er in den englischen Staatsdienst: ins Colonial Service mit Pensionsberechtigung nach dem hundertachtzigsten Jahr. Damit war es zwar wieder nichts, seitdem er zu Elchos gekommen, aber daf�r galt man hier mehr als Freund und Ratgeber des Hauses.

„Liebes, gro�es R�sselschwein, so sieh einem doch einmal in die Augen,“ und Gargi versuchte, durch Rama-Krishnas Sehfeld gleitend, seinen kurzsichtigen Blick zu fangen. Es schlug fehl. Da ber�hrte eine schwebende Spitze ihre Schulter: die zweifingrige R�sselmuschel, aus der es satt und lau duftete, wie aus einem Riesenfa� voll Met. Es war eine Liebkosung von �berraschend zarter Weisheit, verkl�rtem Hedonismus. Aus flaumiger N�he, die keusch das Ber�hren ins �therische hob, k��te er Arabesken aus Hauch �ber ihre Haut. Gargi verstand. Machte die Kinderarme knochenlos und muskelhaft geschmeidig, wie das Wunder des grauen Nasenarms vor ihr. Nun begann es in den L�ften: schwebendes Spiel dreier Schlangenkurven. Jede an jede funktionell gebunden, einander nie ber�hrend, schufen sie reizende Raumgebilde aus unw�gbarer, reueloser Lust.

Kurzsichtig oder nicht kurzsichtig, nein, mit so einem R�ssel ist niemand zu bedauern, und eine Elefantenkuh sein, mu� auch seine Meriten haben.

Es kam naturgem�� die Zeit, wo zwei K�rper der sch�pferischen Phantasie nicht mehr gen�gen konnten. Auf einem Eiland von Fr�hling, ineinandergeschlossen zu einem Block von Gl�ck, waren sie bisher gewesen. Unter ihnen trieb das Leben, da� sie wie auf Kelchen standen — bl�hte an ihren Gew�ndern hinauf bis zu verstreuten Sternen im Haar. Um sie keine Welt mehr, nur Gold.

Schritten sie jetzt Hand in Hand dahin, zuckte es allenthalben im �ther rundum auf. Frohe Flammen, die langhin durch ihre azurnen Adern gingen, leckten hin�ber in andre Wesen, und Freudenfeuer gr��ten zur�ck: liebe Helfer f�r die strahlenden Zwei. Ein k�rperlicher Liebeszauber ging von ihrem jungen Wandel aus, Entz�cken f�r Menschen, bef�higt, Empfinden sogleich in lebendige Anmut umzusetzen, und die, welcher Kaste immer zugeh�rig, der Essenz des Daseins mit so weisem Brauche zu huldigen gewohnt waren, da� vor jeder bindenden Vereinigung von Mann und Frau, Er — Ihr eine Banane, Sie — Ihm einen Mango sendet; als Ma� ihrer erotischen Wesenskerne. Ob sie zur Erfassung und Erf�llung f�r einander geschaffen.

In den westlichen Zimtg�rten begegnete ihnen einmal eine Stra�enkehrerin von solchem Wohllaut der Gliederung, da� sie trunken innehielten. Sonne fiel durch einen krokusgelben Sarong, in dem die Nahende als Docht in der Flamme stand. Sie schien fast ohne Schwere. Nur so viel der Last, als Kraft bedarf f�r ihre allerbesten Spiele. Unter den Sohlen ward ihr der Staub zu tragendem Sperlingsgefieder. Aus der Schmalheit ihrer Kniee ging sie auf Flaum dahin, im Klingen der Choorees: der Kupferspangen; nach rechts und links die Bl�tter von den Wegen fegend. Ihres F��chens Ferse hinterlie� keine sichtbare Spur; die erbsengro�en Mulden der vier Zehen — die kleinste ber�hrte den Boden nie — aber waren so r�hrend abgetieft, so vollkommen gerundet, da� Horus niederkniete, die Innigkeit des Abdrucks mit dem Finger zu umlaufen. Und ihrer immer mehr wurden es: bei jedem Schritt fiel wieder so ein Feenhusch auf den Sand. Aus ihren Abst�nden, in den Raum hinauf, ersann man dann des Dreiecks s��en Scheitel sich hinzu, aus dem der Schritt entsprang.

Eine zahme Antilope ging ihr nach, in geschwisterlichem Anstand. Der sternigen Stirn des zarten Tiers entstieg klirrendes Geh�rn. Messingamulette spielten um die M�nnlichkeit des sanften Hauptes, um eine T�nung h�her abgestimmt als der Herrin dumpfere Kupferfesseln.

Es wollte Abend werden. Inne hielt die junge Frau, breitete ein dunkel- und wei�geflecktes Fell der Axishindin, wie einen privaten, kleinen Sternenhimmel, neben dem Brunnen aus. Begann in der Haltung der Sandalenbinderin am Parthenon den Staub von sich zu baden. Dann — einen Fu� noch gesteilter auf dem Brunnenrand — lag der Schenkel als Sehne dem Abdomenbogen an, der edeleingew�lbt, sichelf�rmig hoch dar�ber hinging.

Und des Phidias selige Kore verplumpte, ward unm�glich daneben.

Tiefer beugte sich die Badende. Erfrischte eine Kette aus Tempelbl�ten, die lang vom Halse niederfiel, neben der hanfenen Schnur. Die Luft war von silbriger Feuchtigkeit. Steigernder Geruch lebendigen Zimtes, heraufgerissen durch Wurzel und Stamm, bis er lanzettscharf aus Blattspitzen brach, trieb k�hne Abkehr jeglicher Erdenschwere durchs Blut. Als brauchte man nur blaue Adern ausspannen, um vibrierend an dolden�berst�rzten Wipfeln sausend still zu stehen, wie die Honigv�gel dort oben, wenn sie mit langen, gekreuzten Nagelscheren aus Gold tief hineingriffen in flammichtes, grelles, malvenk�hles Geschlecht, da� duffer Fruchtstaub aufflog.

Nun wandte das Wesen am Brunnen auf sanftem Hals den diademgestirnten Kopf: aus ihrem Haarknoten, der auf dem langen Nacken schwamm, lockten sich winzige Flocken frei, umstanden als Fest und Feier die f�nfkantige Stirn. Nun hatte sie das kindliche Paar aus dem Hause der „Beleberin der Herzen“, wie Diana Elcho bei den Eingeborenen hie�, erkannt.

Wie um eine Kostbarkeit bat Gargi um den Besen. Ging denn das an, aus einem Ding niedrigster Verrichtung ein Instrument solcher Anmut zu machen, solcher Augenweide?

Und die Diademgestirnte zeigte es: von Schulter zu Fingerspitze m�sse es laufen, sei eigentlich nichts anderes als Freude, so fein f�hlen zu k�nnen, da� die Enden des Besens immer nur Bl�tter tr�fen — nie Sand. Kein K�rnchen d�rfe auffliegen. Wie der ganze K�rper mitschwingen m�sse und etwas an sich haben von der Kunst des Ruteng�ngers; auch sei es r�tlich, seine Besen selbst zu binden. Fertiggekaufte taugten nichts. Gargi ward einer versprochen aus Pisangrippen mit federndem Bambusstiel. Dann sei es viel leichter. Denn es ergab sich, da� es nichts weniger als leicht war. Freilich, einfach Schmutz fliegen machen, rechts und links, das konnte jeder. Das war Sklavenfrohn. Dann sah man aber auch anders aus dabei.

Sie ruhten am Brunnen. Nun wandte die Diademgestirnte dunkle Augenbl�ten in klaren Schalen Horus zu. Sah ihn zum ersten Mal an. Ganz gro�, ganz tief. G�nnenden Wissens voll. Er �berk��te sie: mit aufreizenden und wieder beruhigenden K�ssen. Pl�tzlich ganz neuen, niegewu�ten, w�hrend Gargi, die holden F��e der Fremden im Scho�, mit ihnen spielte, als w�re jede Zehe ein kleines Feenweibchen, auf Seidenkissen zur Liebkosung bereit. Nun legte er die Diademgestirnte auf seine Arme. Den linken ganz umsp�lt von ihren Sprunggelenken und Gargis Glieder wie Schleier �ber seinen R�cken flie�end, ri� es ihn nach vor; den Kopf in der Fremden Scho� gew�hlt, da� sein leichtes Haar wie eine Anemone auseinanderfiel, warfen seine Z�hne Anker in der ewigen Bucht. Wo aber dies sein Haar warm im Nacken auseinanderfiel, entstand zwischen zwei gebr�unten Sehnen aus bet�render M�nnlichkeit eine winzig harte Mulde. Flaum silberte in ihr. Dort trafen sich in einem kleinen Gru� die z�rtlich entr�ckten H�nde beider Frauen.

Als ein ungemeines Gl�ck empfanden sie die m�chtige Potenz dieser immediaten Ann�herung. Noch scheu, ganz steil heraufgerissen werden in Intimit�t mit �berspringung aller Zwischenstufen, nur der des Taktes nicht. Denn irgendwie blieb jene ehrf�rchtige, diskrete Distanz, mit der man Fremdheit ehrt — auf die sie Anspruch hat — die blieb bestehen. Auf unbegreifliche, nur dem Takt begreifliche Weise standen noch Formen und Schalen makellos. Nur war aus jeder dieser gesitteten Menschenschalen deren tiefster Kern unwiderstehlich hin�bergewallt in die geheimnisvolle Dimension der Wonne. Auch dort gesetzlos nicht — nur anders eben.

Dann nahmen sie die Diademgestirnte in ihre Mitte — Schwertlilien ihrer Schenkel spielten dahin — f�hrten sie dem Hause zu: den B�derhallen des Erdgeschosses, den Ruher�umen. Nur in die samtnen W�nde f�hrten sie auch diese nicht. Keinen von all den hei�en Knaben- und Frauenk�rpern, die durch ihre Arme gingen und die sie erkannten: im einzigen Sinn, da Erkenntnis zwischen Sterblichen f�r einen Augenblick m�glich ist oder — scheint.

Kamen oft in dieser Zeit zu Ganapati Sastriar: dem M�rchenerz�hler. Immer wieder gut, wie im Schatten der Weltesche, ruhte sich’s in seiner machtvoll-breiten Unz�chtigkeit.

Hockend am Fu� seiner Tr�ume, erz�hlte er. Verkaufte Fr�chte dazwischen. A�, was er nicht verkaufte, selber. Lebte doppelt: vom Erl�s und Nicht-Erl�s zugleich. War so dick, weil er immer im Schatten sa�. Kein Sonnenstrahl durfte ihm das Fruchtfleisch der Bananen wieder aus den Poren ziehen. Schien aus einem s��en, prallen Stoff gemacht. Manchmal blieb ein kleines, nacktes Kind stehen, steckte den Finger an ihn, meinend, er schwitze Zuckerharz gleich einer Palme; klimperte dann entt�uscht mit seinem Aramudhi, dem Lendenamulett, zwischen den Beinen davon. War Ganapatis Mehlsack: die Brotfrucht, weg — der Mango auch —, nicht die d�nnste Ananas f�r ihn �brig geblieben, pries sein Mund jene asketischen Br�uche, vor deren Macht alle G�tter zittern, dann spr�hten aus seinem Schlund ungeheuerliche Kasteiungen der Sadhus, wie Kraft aus einem Krater, bis die drei Reiche erbebten vor seinem Mangel an Obst ... Oder seine Lippen funkelten von Dhruva, dem Polarstern:

„Der K�nig Uttanapada hatte zwei Frauen, von jeder einen Sohn. Einst sa� der K�nig auf dem Throne, auf seinem einen Knie das Kind der Lieblingsk�nigin Suruchi. Das sah Dhruva, sein zweites Kind, und voll Sehnsucht nach gleicher Z�rtlichkeit, versuchte es des K�nigs andres Knie zu erklettern. Doch die Lieblingsfrau wies es mit h�hnischen Worten zur�ck. Scham schlug in sein kleines Herz gleich dem einsilbigen Blitz, stumm ging es hinaus, hielt die Tr�stungen seiner Mutter von sich ab und sprach in seiner gro�en Emp�rung:

‚Ich will aus mir selbst so hohen Rang erreichen, da� des K�nigs Thron und sein Knie und auf seinem Knie mein Bruder Uttama tief unter mir liegen sollen, und das f�r immer, nur erreichbar ihrem Gebet; ob ich gleich nicht von Suruchi, der Lieblingsfrau, geboren bin, sondern von dir, und du, meine Mutter, sollst meine Herrlichkeit schauen.‘

Dann ging dieses Kind von f�nf Jahren aus der Stadt bis in den Dschungl. Dort sa�en sieben Munis auf schwarzen Antilopenfellen; von ihnen erbat es Rat.

‚Prinz, die Kraft deines Willens ist �ber uns,‘ sprachen sie und neigten sich ihm. ‚Wir m�ssen dir den Weg zum Ziele zeigen: er ist in dir. Tue alle �u�eren Eindr�cke, tue Sonne, Mond und Sterne von dir ab, tue den jungen Fr�hling aus deinem Herzen, die �senden Antilopen aus deinen Augen, die s��en Gr�ser von deinen Lippen, die singenden Erze von deinen Ohren. L�sche alles aus und f�r immer. Die furchtbare Leere aber lege um dich wie einen G�rtel, bis du entworden. Dann versenke dich in das Eine Tag und Nacht: das „Seiende“, in dem die Welt ist. Presse dein Bewu�tsein des „Seienden“ hinab, bis wo am Grund der Wirbels�ule, dreieckig zusammengerollt, Kundalini wartet: die schlummernde Gottkraft in allen Wesen. Auf sie la� die nach innen gedrehten Sinne wie ein Brennglas gl�hen, versenkt jetzt alle in das Eine, das „Seiende“, bis Kundalini sich aufzurollen beginnt und durch die Wirbels�ule steigt und steigt ... Hat sie endlich den tausendbl�ttrigen Lotos im Haupt ber�hrt, so zwingst du das Seiende, du selbst zu sein, aus ihm heraus aufs neue zu werden, was immer du willst. A. U. M.‘

Dhruva zog sich an die Ufer des Jumna zur�ck, tat, wie ihm die Munis gehei�en. Tag und Nacht, ohne Nahrung, ohne Schlaf vibrierte sein ungeheurer Wille einw�rts gewandt in ihm, erweckte Kundalini, verwandelnd seinen Leib, da� er durchsichtig ward wie ein Schatten und Vishnu zwang, in ihm offenbar zu werden. Als aber das geschah, ward er auf einmal so schwer, da� die Erde das Gewicht des winzigen Asketenschattens nicht mehr zu tragen vermochte.

Verst�rt suchten die unteren G�tter auf jegliche Art Dhruva aus seinen Devotionen zu rei�en. Umsonst. Da flehten sie zu Vishnu um Hilfe:

‚O Vasudeva,‘ klagten sie, ‚wie der Mond Tag um Tag an seiner Scheibe w�chst, so w�chst dieses unbezwingliche Kind, kraft seines Willens, in �bermenschliche Macht hinein. Wir wissen nicht, wonach er strebt: ist es der Thron Indras, die Herrschaft der Sonne, oder sind es die Sch�tze der Tiefe, die ihn reizen. Erbarme dich, Herr, nimm den Alp von uns, mache, da� der Sohn des Uttanapada abl��t von seinem Tun.‘ Da stieg Vishnu in Person herab, mit Dhruva zu verhandeln und gew�hrte des Asketenkindes Wunsch: f�r immer so hoch zu stehen, da� nur Gebete ihn erreichen, indem er Dhruva zum Polarstern des sichtbaren Universums erhob.“

Manchmal wieder ward Ganapati Sastriar flammicht ritterlich in seinen Fasten, erz�hlte den strahlenden Ha� der Prinzessin Amva von Benares:

„Um Bhishma zu vernichten, hatte sich die holde Tochter des K�nigs von Ka�i jahrelang den furchtbarsten Kasteiungen unterworfen, bis ihre Macht gro� genug geworden, um dem Gott Mahadeva das Versprechen abzuzwingen: nach ihrem Tode solle sie unges�umt als Krieger wiedergeboren werden, der den unbesiegbaren Bhishma schl�ge. Mit dem Wort des Gottes ging die Lotosf��ige an die Ufer des Yamuna, h�ufte und entz�ndete einen Holzsto�, bestieg ihn sodann im Angesicht aller gro�en Rishis mit dem Ruf: ‚Zu Bhishmas Vernichtung‘.

Doch die Flammen bogen rundum aus vor ihr, da� sie unversehrt im feurigen Kelche stand, und es kr�uselten sich die Lippen des Rauches und sprachen: ‚Oh, Lotosf��ige, wir wollen so Holdes nicht vernichten.‘

Da lie� die Prinzessin den reinen Ha� aus ihrem Herzen flammen, entz�ndete eins ihrer Glieder nach dem andern an ihm und verbrannte aschelos wie ein Diamant. St�rzte unges�umt ihre Seele in den h�rtesten Scho�, tauchte aus ihm als junger Kriegsheld, unter dessen gnadelosen H�nden der sterbende Bhishma noch einmal in das Auge der Amva von Benares sah.“

Keine Scheibe der Horcher heute. Sie waren entt�uscht. Dann getr�stet: „Oh, er macht ‚neti Karm‘, da wird abends seine Nase neu sein und seine Kehle freundlich.“ — Aus jedem Nasenloch hing dem M�rchenerz�hler ein gedrehtes Seil von ungesponnener Baumwolle; die andern gewachsten Enden, innen bis zur Nasenwurzel hinauf und hint�ber durch den Rachen gezogen, kamen wieder beim Mund heraus. Wie Z�gel hielt er alle vier in F�usten, zog sie ab und auf, her und hin. Stunden dauerte die Reinigung.

Abends erz�hlte er wieder, um ihn die Scheibe der Horcher wie das Blatt um den Lotos: „Die Episode der tausend Jahre“:

„Un�bersehbare Zeitr�ume schon hatte die Rivalenschaft in der Askese zwischen dem Kshatriyak�nig Vismavitra und dem Brahmanen Vasishta gew�hrt. Schlie�lich hatte der furchtbare Kshatriya elf unerh�rten Kasteiungen durch elf Jahrtausende obgelegen, aber immer noch hatte er die Brahmanenschaft, deren er zum Endsieg �ber Vasishta bedurfte, nicht zu erringen vermocht, seine Macht aber war bereits ins Unerme�liche gewachsen. So beschlo� er, seinem Gegner wenigstens zum Tort, einen gewissen Trisanka, den die Priesterschaft in Bann getan, wie er da war in seinem menschlichen Fleische, unter die Himmlischen zu erheben.

Diese verweigerten seine Aufnahme. Da drohte Vismavitra in seiner Wut einen zweiten Indra zu machen — oder die Welt ganz ohne Indra zu lassen — ja, er begann bereits vor den erstaunten G�ttern neue Gestirne und Sternkonstellationen aus sich herauszuschleudern. Da gaben die Entsetzten nach. Doch immer noch nicht zufrieden, kehrte der unerm�dliche K�nig auf den Himalaya zur�ck, um in der Triebkraft seiner furchtbaren Devotionen fortzufahren. Da erkannte Brahma, so k�nne das unm�glich weiter gehen, und er sandte nach Menaka, der allerbesten seiner Nymphen, sie m�ge den Meisterasketen ablenken und sein Karma zu beflecken suchen, auf da� der bedrohliche Berg seiner Verdienste dahinschmelze in Lust. Menaka erbat hundert Jahre Frist, um noch sch�ner zu werden, denn ob sie gleich allen ohne Fehl d�nkte, erwuchs ihr eben aus der eignen Vollendung auch wieder um so h�heres Wissen um neue Vollkommenheit.

Als die Goldgliedrige — endlich mit sich selbst zufrieden — vor Vismavitra erschien, verlie� er sogleich alles, um mit ihr der sechsundsiebzig Arten des Liebesgenusses zu pflegen. Bald war ihre Liebe die des Hengstes mit der Gazelle: jene die Sehnen der Knie von r�ckw�rts im Sprung Genie�ende. Oder es war die Bespringende des L�wen — die des Marders mit der Schlange — auch die der Schlingranken, V�gel und D�monen. Doch niemals des Hasen mit der Elefantenkuh, weil diese Art der Liebe unter allen Umst�nden zu vermeiden ist.“

An dieser Stelle legte sich Ganapati Sastriar breit in die Sielen der Erz�hlung. Er hatte ausschweifende Gebilde aus elastisch dehnbarem oder auch herb sto�kr�ftigem Stoff ersonnen — nur spannenlange Zauberwesen, mit denen er die Vorg�nge zwischen der Nymphe und dem K�nig zu erl�utern pflegte. Doch lie� er sie dazwischen oft lange ruhen, um von den wunderbaren Gespr�chen der beiden zwischen der Liebe zu berichten. Denn ist eine Frau weise, dann schmeckt ihre Weisheit s��er als die Brahmas, weil der Speise ihrer Weisheit noch die entflammende Drogue „Anmut“ beigemengt ist. Das wu�te auch der gro�e Sankara Acharya, denn er unterbrach eigens einmal seine Inkarnation, um auf kurze Zeit den toten K�rper des K�nigs Amru zu bewohnen und solcherma�en vor�bergehend der K�nigswitwe Gatte zu werden, damit er in den Stand gesetzt w�rde, aus eigner Erfahrung mit Madana, der Frau eines Brahmanen, Zwiesprache auch �ber Liebesdinge pflegen zu k�nnen, dem einzigen Wesen, das er an weiser Rede nie zu besiegen vermocht.

„Du warst vorhin bei der neunundsechzigsten Art der Nymphe Menaka, den Sonnenschirm des Liebesgottes aufzuspannen,“ sagte Gargi.

Und Ganapati ging �ber zur siebzigsten und einundsiebzigsten ... „Nach der sechsundsiebzigsten aber waren tausend Jahre in Liebesekstase vergangen. Da verabschiedete Vismavitra die Nymphe sehr freundlich und sprach zu ihr: ‚Sage Brahma, ich danke ihm, da� er mir nur vom Allerbesten, was er besa�, gesandt, wohl wissend, da� einzig du, Goldgliedrige, mich von meinem Ziele abzulenken die Macht besitzen k�nntest.‘

Dann gab er ihr noch bis zum Rand des Mondes das Geleit, empfahl sich ehrerbietig, kehrte um, setzte sich wieder auf den Himalaya und begann neue Reihen noch nicht dagewesener Kasteiungen, so da� die Berge anfingen, davon zu gl�hen. Hielt seinen Atem an die tausend Jahre lang. Da stieg Rauch aus seinem Haupt zur gro�en Konsternation der drei Welten, denn alle Regionen fingen an durcheinander zu st�rzen, kein Licht schien irgendwo mehr, und die G�tter flohen in Angst zum Herrn der drei Welten:

‚Hilf, Mahadeva! Denn es h�lt sonst der Entsetzliche den Atem an, bis dieser an L�nge gleich geworden dem Ein- und Aushauch Parabrahms, der die Sch�pfung ist. Dann vermag der Entsetzliche mit einem Einhauch die Sch�pfung und alle G�tter in sich zu saugen und eine neue Sch�pfung mit neuen G�ttern im Aushauch aus sich zu sto�en.‘“

Da aber drehte Ganapati Sastriar pl�tzlich auf dem Absatz der Erz�hlung wieder um, denn er hatte noch eine vortreffliche Z�rtlichkeit der Nymphe Menaka in der „Episode der tausend Jahre“ zu schildern vergessen.

Eines Tages zog Gargi sich von ihrem jungen Gatten zur�ck. Verlangte nach der Sitte indischer Damen von Stand an einer bestimmten Wende des Blutes nach abgesonderten Frauengem�chern, die der Herr des Hauses bei Tage nie und auch des Nachts unangemeldet nicht betritt. Wo sie in Ferne und Geheimnis sich jedesmal f�r den Entbehrten bereitet, wie f�r einen fremden Gott. Pfauen�ugiges Nachtgesch�pf am Zaubergewirk aus Trieben und Hemmungen: Bauherrin — Dichterin — Bildnerin am ohnegleichen Werk hoch �ber aller Wissenschaft und Kunst: Liebe. Des Nebeneinander entratend um des Ineinander willen. Sie durften sich ja jede steigernde und edle K�nstlichkeit gestatten, ohne Furcht vor Entfremdung, Dank ihrer Kinderehe, die lang vor dem Zentrieren der Sinne sie zu Nachtgeschwistern versiegelt.

Denn es ist gewi�, da� unabh�ngig vom Nur-Geschlechtlichen, durch Schlafvermischung allein, aus einem tieferen Eros her ein Etwas kommt: unerforscht, verhangen mit Geheimnis, und doch, gewaltiger wie Umarmung, m�chtiger wie Tag und Tat, die Wesenskerne der Bewu�tlosen ineinander zu ketten vermag zu einem dunklen Zwiegesch�pf. Hat sich dieses erst einmal gebildet und f�hrt das Schwert eines Schicksals dann hindurch: bis zum Tode gehen die Entzweiten herum, wie mit einem Schnitt durch die Pers�nlichkeit, ja aus dem Schnitt heraus blutet neue Bindung: ein Band aus hartem Blut, st�rker als Leidenschaft — l�nger als Gew�hnung.

Ohne d�rren Instanzenweg der �berlegung, von dem die k�stliche Gl�tte ihrer Stirn nichts wu�te, hatte Gargi die Zeit ihrer Entr�ckung gew�hlt. Sie, nicht Horus, auch Diana Elcho nicht. Denn sie war eine asiatische Dame, somit f�r die Essenz des Lebens gebildet — nur f�r sie.

Wenn man will, ein rein weibliches Dasein.

Verst�nde sich darunter:

Generationenlang nie einer Tr�gheit nachgegeben haben und nie einer Gier. Um der Anmut willen viel getan haben an zarter M�hsal. Viel gelassen, um des Geschmackes willen.

Vom f�nfzehnten Lebensjahre bis zum Tod nie zu-, nie abnehmen im Dienst geschmeidiger Gl�tte und nie eine derbe Speise ber�hren im Dienst des Duftes.

Mit einem durch Jahrhunderte gekl�rten und durchgl�hten Blut die Sehergabe des Scho�es erwerben. Als H�terin des k�stlichen Potentials zu entgleiten verstehen ohne Entfremdung, auf da� die s��en Wasser der Sehnsucht sich wieder sammeln.

Wissen, wie jener unentrinnbare Ha� der �bern�he zu l�sen, damit auch die Qual noch ihre Stelle unter den Seligkeiten finde. Die Abst�rze kennen, zwischen: Liebe — Erotik — Orgiasmus — Ehe. �ber sie alle hin mit fragilem Arm die k�hne, junge Br�cke schlagen, an deren Ende schon die Hand den Gef�hrten mit warmem Druck erwartet, und auf dem Fr�hlingszweig des Armes jubelt noch sein Ku�.

In den seltenen, vielgliedrigen Festen des Blutes nach Erg�nzungen suchen, die sie selbst nicht bieten kann. Mit und an ihnen sich abschatten oder entflammen. Die Liebe �ber den Geliebten stellen, damit das Weltenkunstwerk des Entz�ckens sich vollende. Und erkannt haben, da� ein Eros, der dieses Namens wert, auf jedem Instrumente anders spielt, und da� die Fl�te nichts der Geige raubt.

Ein rein weibliches Dasein: an der Feinheit der Polygamie frei — gro�artig — taktvoll — und weise geworden.

Im zweiten Jahr nach dem Fr�hlingslauf zur „H�hle der wei�en Tr�ume“ sah Horus nur einmal seine Frau bei Tag. Es kam so:

Diana Elcho lag flach auf dem Bauch in der Halle und spielte mit dem Spektrum.

Pendelte den Wasserspiegel im halbgef�llten Kelchglas linde vor sich auf und ab. In �therischen Kanten schlug die Sonnenpyramide hindurch, schlug ihre winzige Farbengarbe auf die Hand der Frau. Ein Cabochon am kleinen Finger daneben verschleimte — ward unm�glich. Nur ein Edelstein: Licht, schon verunreinigt durch Erden. Sie streifte ihn ab. Auch die Hand nicht hell genug. Sie suchte nach anderer Foliierung. Wollte den Sonnenbruch ins schmerzhaft Herrliche heben. Papier — Seide — Porzellan? Suchte passives Wei�, nicht spiegelnd, nicht k�rnig, nur gleich und rein. �ber Alabaster endlich wuchs — wie von fl�ssigen Brillanten getragen — das winzige Band zu solcher Intensit�t in einen Paroxysmus des Glanzes hinein, der bet�ubte. Sie sp�rte ihr Herz.

Die anderen kamen, kauerten herum, spielten schauend mit. Ein kleines Insekt aus der Luft knallte seine Chitindeckel zu, schlenderte zu Fu� verbl�fft durch die flimmernde Wandelbahn von Purpur nach Violett; an der unstofflichen Wonne des Gelb lutschte es ein wenig. Sie nickte ihm zu, sah auf:

„Gut haben’s die Ganzkleinen. Sch�nes ist immer so gro� f�r sie. Ihnen wachsen fugenlose H�user aus elastischem, leuchtendem, duftendem Stoff, mir sieben Jahre M�hen, bis sich nur das Furnier der Bibliothekslambris restlos schlo�. Der da aber geht gar in den sieben ersten ‚Taten des Lichts‘ spazieren. — Wir sind zu gro�. Reines reicht kaum f�r den kleinen Finger; der Rest tunkt schon wieder rundum in den Sudel.“

Und dann bekam Diana Elcho langsam ihr gro�gewordenes Kindergesicht.

Van Roy l�chelte Horus in die Augen:

„Das wird ein Nachspiel geben.“

Sechs Monate sp�ter lud sie beide in den neuen Annex am s�dlichen Park. Umplankt von freiwilliger Diskretion, war sein Inhalt Geheimnis geblieben. Passierten das Atrium, glitten auf eine Rundbank in der lichtlosen Apsis aus silbrig-finsterem Labrador. Die dreht sich mit ihnen langsam hinein in ein alabasternes Riesenei: nur Raum, strahlender Materie voll bis zum Rand. Wabernde Spektra, dick wie Wildb�che, st�rzen in ihn und lautlos zueinander, von �u�eren Spiegelreflektoren durch Prismenb�nder l�ngs der W�nde rundum hereingebrochen in das lebendigwei�e Ei. Eiskalter Staub von s��em Wasser f�ngt die Spektra in der Luft — h�lt sie schwebend im Raum. K�hlt zugleich.

Doch es ist zuviel. Die Blicke werden hart, erstarren in einer Lichttrance zu Stein. Der Reiz dieses leeren, beziehungslosen Glanzes steigt zum Bersten an; schreit nach Zentrum — nach Kern.

Da kommt aus dunkler Zwillingsapsis gegen�ber die Erl�sung. Durchsichtig wie Libellenschatten. Zittert vor Sonne. Legt opalisierende H�nde weich vor sich auf die Farben, wie trinkende V�gel. Kommt auf langen, zarten Schenkeln durch die flie�enden Edelsteine gewandelt bis in die Mitte des Raums: steht nacktklar im gewaltt�tigen Licht. Schr�g schlagen Flimmers�ulen von Purpur bis Violett hart durch den feinen K�rper, durch Hals — Herz — die fingerd�nnen Weichen hin: ein junger B��er steht gepf�hlt an ein geheimnisvolles, sehr wonniges Martyrium, das er auf wei�en Lidern tr�gt.

Dann weicht die Luststarre allm�hlich holder Ungeduld und magischem Sang der Glieder. Was rhythmisch wechselnd von Strahl zu Strahl durch die Farben gegangen, ist jetzt ein neues, ganz liebliches Gem�t — dem Licht nicht mehr entgegen. Es wiegt und spielt sich, l�st sich ganz, zu schwingen, heller wie Geist, in strahlendem �ther, wie die gleitende Welle im Leib eines diaphanen Meergesch�pfs: Sylph vom flie�enden Licht.

Es schaute der Knabe Adorant. Und die zerfallenen H�lften der Welt: die voll feurigen Atems unten — die zeitlos �therische oben, schlossen sich in ihm zu einer Vollendung. Denn was durch das Auge eingeht, wandert den Weg der Entz�ckung ins Geschlecht — den Weg der Entr�cktheit zu Geist. Im Auge aber sind sie eins.

Ein Etwas um Diana Elcho lie� Erasmus sich ihr zuneigen:

„Was ist, ‚Beleberin der Herzen‘?“

Ihre Wimpern wiesen vor sich, st�rmischer Sieg stand auf in dem j�nglinghaften Gesicht:

„Jugend soll unaufh�rlich Feste feiern! Jugend ist das Leben. Welcher Wahn, welche Torheit, sie in Vorbereitung auf das Leben verschwenden, also auf etwas, das mit ihr selbst erlischt. Alles den unl�dierten Wesen. Es lebe die Immatura.“

„Falls die Erziehung vor der Geburt vollendet war, dann“ — er verbeugte sich leicht gegen sie — „m�gen die Feste in Freiheit kommen.“

Sie nickte. „Wissenswertes l��t sich ja so nicht lehren, nur geb�ren, das ist: unbeirrbarer Sinn f�r das Echte. Er, aus dem die unbeweisbare, allm�chtige Pr�missenbildung aller Urteile erflie�t. Das geht nicht von Mund zu Ohr, nur von Blut zu Blut. Die wahre Alma mater aller Fakult�ten, F�higkeiten bleibt ewig die Plazenta.“

Ihr Auge weidete auf den Farbens�ulen, in die sie das Licht zerbrochen, so gro� sonst nur als unfa�lich freie Glorie �ber Wolkenr�ndern — hier von einer Frau in ihr Gemach verdichtet, gezwungen, es zu f�llen bis zum Rand.

„Bildung“ — eine Welle rann unbewu�t durch ihre Hand und wie eine Erhellung in die Luft hin�ber — „alles liegt schon im Wort — ‚gebildet‘: was von innen heraus ringsum ausgebl�ht, sich planm��ig Gestalt erzwang: Struktur. Im Gegensatz zu dem, was noch amorph ‚ungebildet‘: ein Haufen Schlauheiten — Meinungen — Instinkte — Urteile bestenfalls. Erbmassen, durcheinanderkollernd wie Schrotk�rner in einem schlaffen Beutel, an den Schwanz eines kopfscheuen Affen geh�ngt.

Nein, Bildung ist keine Angelegenheit des Gro�hirns, — ist Puls, Haar, Haut, Geschlecht — das — das.“

Und ehrf�rchtig, fast zaghaft, fast ein wenig err�tend, nahm sie, wie etwas �ber die Ma�en K�stliches, Gargi in ihre Arme, die lautlos in die halbdunkle Apsis zur�ckgeflogen kam und mit F��en — schmal wie Schwalben — durch die Fesselringe in ihre Sandalen aus wei�em Antilopenleder. B�ckte sich zugleich nach dem St�ck silberges�umter Seide am Boden; drei, vier unbegreifliche Griffe: ein Sarong. Vor Sekunden noch nacktklarer, halbdurchscheinender Sylph, stand Gargi nun: ganz Dame wieder und bekleidet ohne Fehl.

„Die Erziehung eines Kindes hat vor seiner Geburt vollendet zu sein.“ Diesem chinesischen Lieblingssprichwort treu, hatte Diana Elcho sich zwar stets bem�ht, ihrem Sohn die besten Lebensgelegenheiten zu schaffen, es aber v�llig ihm �berlassen, wie er sie verwende.

Stets erreichbar, wenn er sie brauchte, war es gerade ihr Stolz als Mutter, m�glichst wenig gebraucht zu werden, es sei denn in bewu�tlosem Wohlgef�hl organischer N�he. So genossen beide gesegneter Freiheit voreinander, die der �lteren erm�glichte, ihr schwieriges und vielf�ltiges Leben restlos auszuwirken.

„Denn,“ — hatte sie einmal zu Erasmus ge�u�ert, — „wer sich nur als Durchgangsglied empfinden will, wird auch nur Durchgangsglieder hervorbringen. Wer nicht den langen Atem hat, �ber die Elternschaft hinaus an der Linie eigener Vollendung fortzuwirken, wer sich unter irgendeinem Vorwand ‚aufgibt‘ — ‚aufgeht‘ in seinen Kindern, wie er das besch�nigend nennt, belastet mit verschleiertem Bankrott die eigne Nachkommenschaft. Wie der fette Alp auf Sindbads R�cken hocken seine ranzigen Tr�ume — sein fauliges Versagen — als ungetaner Lebensrest auf ihrem frischen Dasein: seiner Seele totes Gewicht, weil er sich ihnen ja ‚geopfert‘. Nein, diesen M�tter- und Weibertrick macht ein Mensch mit Selbstachtung nicht mit.“

Die besten Lebensbedingungen. Neben der Sch�pfung des Hauses Elcho war Gargi zu seiner ersten Frau zu gewinnen die schwierigste gewesen. Hatte Hilfe gesucht bei der Rani von Travankor, der jahrelange Freundschaft sie verband.

Die Rani zog die langen Augen schmal zu einem Phosphorband, dann mit fernem Lachen in der Stimme, auf alles gefa�t: „Eine Brahmanin?“ —

Die andre neigte „nein“. Wu�te: es war unm�glich. Und w�re es selbst denkbar gewesen, aus einer der vierundsechzig Stufen, in die — nach Reinheit des Blutes — die Kaste zerf�llt, Horus ein Wesen zu gatten, ihr eigenes Gewissen h�tte verwehrt, da� planvollere Bl�te des Menschentums, als ihrem Sohn zu sein verg�nnt, durch ihn gemindert werde an emotioneller Lebenshaltung; betrogen vielleicht um seine k�stlichsten Reaktionen: jenen nur an letzter Wechselwirkung entflammbaren, die nur der von Schauern ganz erf�llte Weg ans Licht zu treiben vermag. —

Da� eine Kette zerri� von solcher Verzartung, Verdichtung, Verglutung der Instinkte: Kette, der jede Generation in Selbstbezwingung bis in den Schlaf hinein, an Wahl der Nahrung, in Atmung, Gedanken, Gebr�uchen ein Glied hinzugef�gt, — da� so etwas zerri�; ihr einziger Sohn war es nicht wert. Sie hatte zuviel Ehrfurcht davor. Es war zu kostbar: hatte Jahrtausende gekostet.

Sagte leise: „Entsetzlich, zu denken, wieviel die Frau in der Liebe riskiert.“

Die Rani sah den Weg des Worts zur�ck, da� er frei von Anma�ung, sp�rte das Menschliche, wurde milder.

„Also eine Kshatriya? — Suchen Sie — als mein Gast —, man wird sehen.“

Sie suchte inbr�nstig und lang. Fand ein Wesen vom Typ der kindlichen Prinzen auf persischem Elfenbein: unter Agraffen Augen der Antilope, den gr�nlichen Libellenk�rper dem seidnen Galoppsprung ihres Hengstes unbegreiflich lind und k�hn verm�hlt. — Hingerissen, umf�hlte, umwitterte, verglich sie jetzt eignes Blut mit jenem. Erkannte, wie und wodurch in seltenen F�llen sich der Spitzentypus Europas: das Normannisch-Angels�chsische mit der Kshatriya-Kaste ber�hrt.

Hier erst schien Ehe m�glich: jene Anziehung, die sich aus den Wesenskernen zweier Menschen immer wieder erneut. Polare Wesen, parallel geboren, denen die „lendemains“ erspart sind, weil sie gleichen Ranges, und die purpurnen N�chte beschieden, weil sie Pole des Ausdrucks. Denn jedes Gesch�pf will ja soweit aus sich herauslieben wie nur m�glich, damit das Gef�lle der Lust — der Bogen der Spannungen wachse, dann hineinst�rzen in eine Erl�sung ohnegleichen. „Fall in love“: in die Liebe fallen; doch wer m�chte in die Ehe fallen? Das Wunder �ber allen Wundern; da� die ewigen Fremdlinge: Mann-Frau in pr�stabilierter Harmonie die gleiche Lebenslinie wandern; wie unverantwortlich, dieses fast perverse Wagnis einem schauerlichen, vielleicht versp�teten Zufall auszuliefern. Nur Menschen, die in ihrem Fr�hling sind — fremdartig — gleichkastig, mag vielleicht ein g�tiger Eros das Helle mit dem Hei�en, Tag und Traum, Licht und Blut in einer Schale reichen. Und wenn es mi�lang! Sie haben von der Morgenr�te im Aufgang getrunken — kein Gott kann ihnen das mehr rauben.

Entflammt jetzt, machte sie das Unm�gliche m�glich. Mutterrecht erleichterte. Das war in diesen kleinen, von Mohammedanismus verschonten Reichen S�dindiens nie ganz erloschen. In Travankor erbte sich sogar die Krone in weiblicher Linie fort, und lagen die Weltgesch�fte auch in des Rajah H�nden, Br�uche straffer wahren, oder leise lockern, einfach durch innere Haltung, das wehte von der Rani aus wie Schleier, Rauch der Harze aus ihren Gem�chern, aus ihren G�rten Staub der Font�nen. Endlich durften alle Abgr�nde als zur Not �berbr�ckt gelten. Nach Kautelen, Garantien aller Art: Br�uche, Erziehung, Lebenshaltung ordnend — eventuelle R�ckkehr auch. Als Gepr�nge und Zeremoniell der Scheinehe vorbei waren, brachte sie Gargi — zehnj�hrig — heim.

Ihren Scho� erzog Agai, ihre Glieder Sigiria, die Tempelt�nzerin, Erasmus ihren Geist, und alles Diana Elcho. Hatte sie durchdrungen, bis Seele durch jede Zelle wie Saft in Pflanzen stieg, jedes Gef�� geschmeidig zu Geschmeide, bis alles Anmut geworden, Takt und Licht. Hirn, Becken, Darm, Zehenn�gel, Atem, Stimme — ebenb�rtig eins dem andern; zusammen freie Diener jenes Unbegreiflichen, nie zu Erkl�renden, nur zu F�hlenden: Harmonie, Pers�nlichkeit.

Agai, „die Gewalt der Brandung“, hatte jetzt ausgesorgt. Hockte glei�end schwarz herum. Fletschte Wonne, beschenkt und stolz. Wartete auf ein Schiff in die Heimat, von einer ganzen M�dchengeneration zwischen neun und dreizehn dort im Schulhaus erwartet. Freute sich auf die M�nner — nach drei Jahren. Unter allen Tropenst�mmen verstehen die Suaheliweiber sich am besten auf die gl�hende Kunst: frei sein. Auf das Frauenrecht: Mutter aus Wahl — nicht Zwang, Herrin, nicht Sklavin der Generation. Und das durch �berh�hung, nicht Hemmung der Hingabe.

Atmen des Scho�es. Das Schlie�en und Spannen, Entgegenschwellen dem noch Unbekannten. Die verborgenen jungen Innenw�nde geschmeidig �bend so zu erstarken, da� zu den Gezeiten des Eros aus ihnen die Mondwelle sich der Sonnenflut entgegenwerfe, sie — fort- und �bersp�le an trunkener Kraft. Nach jedem Liebesstrahl wie mit inneren Zauberzangen den blumenglatten Ring zur�ckschlie�en in Unber�hrtheit.

Das alles hatte Agai, „die Gewalt der Brandung“, gelehrt.

Mit dem Fr�hlingslauf zur H�hle der wei�en Tr�ume endete ihr Amt. Sie heulte und grinste Abschied — leckte tierhaft hingegeben die Fersen ihrer jungen Herrin, kniete dann auf und �bergab einen erbsengro�en Mondstein dem inneren Griff der geschmeidigen Schlie�kraft:

„Agai denken — immer halten — bei Tag.“

Gargis Arme kamen um ihren Hals geflogen: „Agai“.

Doch die dunklen Handfl�chen hoben sich nach au�en gespreizt bis zur gesenkten Stirn, wehrten ab, wie ein verkehrtes Gebet.

So schritt sie voll W�rde in ihren Grenzen langsam hinter sich und durch das Tor der B�derhallen hinaus, �ber denen geschrieben stand:

„Welche Schmach, zu altern, zu sterben, ohne die ganze Herrlichkeit, deren unser K�rper f�hig ist, kennen gelernt zu haben.“

Dann bog der Rolls-Royce mit Agai aus dem Park. Der japanische Chauffeur brachte sie zwei Tage weit nach Trinkomali, der n�chsten Anlege.

Kraftanlagen wurden n�tig: eine Niederdruckturbine in die Mahaveliganga — eine Hochdruckturbine in den Wasserfall eingebaut. Gen�gten nicht. Man schlo� mit einer Firma in Jokohama ab. Gelbe Ingenieure kamen, redeten aus Notizb�chern in Differentialgleichungen, �berwachten sp�ter die Montagen. Horus lebte nur noch im Maschinenhaus. Zum ersten Mal vor dem Geh�use der Dampfturbine, stand er wie unter �therrausch. Ein Liniensturz, an Geschlossenheit unbekannt in der organischen Welt; von einem geraderen Willen erschaffen als h�here Ordnung der Dinge. Ein Liniensturz, erzwungen von dem Gaswesen in ihm und es bezwingend zugleich. Aus Hunderten haard�nner, metallner Schaufeln im Innern — jede einzeln, jede anders voll Genie in den Druck geneigt, erflo� hier ein neues Kurvengesch�pf; wie das Gesetz es befahl. Das Wort „Continuum“ kam aus dem Magischen herab — ward Grenzfall von Schaufel zu Schaufel, fast greifbar — unbegreiflich.

Eine Ader auf der Stirn, stand er im Ozon des stillen Kraftsaales: H�rselberg n�chterner Phantastik. Stummgeladne Weite, vibrierend von Spannung, lie� seinen Speichel metallisch zittern, hob ihn an den Nieren hoch — durch alle Isolierung hin. Ein Rund aus riesigem Tod, der drau�en — transformiert — das Dasein leicht machte, hell, M�hsal abnahm.

Ging dann wie abbittend hin�ber zur alten Dampfmaschine. Konnte ganz versinken in ihre achsenglatte Wucht — das Anschwellen einer Nabe — die Wunderform der Welle, wenn Reibung Fortbewegung ward.

Und wie sch�n, da� dies alles diente: dem Leben untergeordnet als Zweck, wiewohl �bergeordnet als Form.

Latentes brach jetzt aus, langhin vorbereitet durch Werkzeuge, Jacht, Rolls-Royce. Er fieberte nach Sch�pfung; nicht ohngef�hrlichem Wissen — saloppem Verstehen, wie bisher. Selbst Sch�pfer werden in dieser reineren Nebenwelt aus Zweck und Zahl.

„Gut — aber mindestens f�nf Jahre Arbeit.“ Van Roys Mund konnte sehr hart werden. „Keine Edelspielerei, keine Rosinen aus dem Kuchen.“ — „Intuition —? So, da ginge es vielleicht rascher. Meinst du? — Nun, man kann H�hen erfliegen oder ersteigen. Erflieger kennen vier Quadratfu� Gipfel. Ersteiger den ganzen Berg. Schritt um Schritt. Von jeder Spanne Rechenschaft ablegen k�nnen — den Weg besitzen — M�glichkeit, ihn immer wieder zu gehen, ist Wissenschaft. Gau� hat einmal gest�hnt: ‚Das Resultat hab ich, w��te ich nur schon, wie zu ihm gelangen‘. Kepler sah in einer Art Kristallvision sein drittes Gesetz: sah die ersten f�nf regelm��igen K�rper ineinander eingeschrieben als die mittleren Planetenabst�nde von der Sonne: eine kosmische Beziehung als Klumpen Stereometrie. Sehr sch�n, aber wertlos noch, ohne Beweis. Ein abgerissener Tropfen Genialit�t im Leeren.“

„Nein, ich werde dir nichts schenken. Denn: bleibt irgendwo unten, auf einem Seitenpfad, auch nur die kleinste L�cke, unvermutet aus der H�he wird eines Tages deine ganze Weisheit gerade in dieses Loch fallen, wann es dir am wenigsten pa�t; ja, dieses spezielle Loch wird pl�tzlich �berall vor dir sein, und du wirst aus allen Himmeln steigen m�ssen, es zu stopfen — oder ewig Dilettant bleiben.“

„Aber dann — nach f�nf Jahren — werde ich auch vor wei�en Meistern bestehen k�nnen?“ und erbleichte schon der eignen Ungerechtigkeit. Stand ja hier vor einem wei�en Meister. Gro�e Namen unter Widmungen — w��te er es sonst nicht — zeugten daf�r.

Erasmus schien belustigt. Dann, einen langen Weg in der Stimme: „Wenn ich dich einmal auslasse, kannst du getrost deinen Dr.-Ing. in Charlottenburg machen.“

Eines Tages stieg aus dem Drillbohrer eine Frage und wuchs in eine wundervolle Vision:

Wie m�gen Wesen aussehen, die das erdacht? Wenn bereits dies geringe Werkzeug hier: etwas, das nichts als ein Loch in ein St�ck Ding zu machen hat, mich so mit Entz�cken schl�gt, wie erst die Herren solcher Diener. Die wei�e Rasse: wohl Wesen, wie aus Schnee und Gold, k�hn, arglos, wahr und anmutig. Ganz frei geworden an den gleitenden Erzgesch�pfen ihres Haupts und ihrer H�nde in ein ohnegleiches Cherubtum hinein! Ihr Dasein eine ganze solche Welt. Arbeit: Sch�pfung — nicht Ersch�pfung mehr. Was ihn so hinausri� �ber sich, waren ja erst Abf�lle ihres Lebendigen — leeres Geh�use — das wie Muschelschalen kam, an seinen Strand gesp�lt.

Oder diese Gelben mit ihren Notizb�chern: gleich Gesandten aus Wunderl�ndern, M�rchenboten mit Kostbarkeit: da greift einer in die Tasche, etwa nach dem Taschentuch, streut dabei zuf�llig ein Vergessenes mit heraus, ein Dortiges, achtet’s gering. Und wie da ein Staunen anhebt, alles sich sammelt um das Niegesehene: so wenig wu�te er ja noch. Hatte allerdings damals ein bi�chen gehofft, auch europ�ische Ingenieure w�rden kommen. Das war wohl anma�end gewesen; gerade ihm, Horus Elcho, sollten wei�e Herrn der Welt h�chst pers�nlich ein Kraftwerk bauen! Dazu waren Hilfs- und Sch�lerv�lker da. Auch mochten ihrer wohl wenige sein. Der lebendigsten — adeligsten Gesch�pfe sind immer wenige. Nur Tr�ges wirft drauf los ohne Hemmung: Karnickel, Schweine. Ihr Wurf die Beute aller. Wer durch K�hnheit und Weisheit ungef�hrdet geworden im �u�eren, darf inneren Stimmen horchen, selten zeugen — in lebendigsten Augenblicken nur — aus feinster Wahl.

Nicht ganz unebenb�rtig f�hlte er sich hierin der wei�en Welt. In diesem ihr ferner Sohn, kein Fremder. Wenn sie alle auch gewi� weit sch�ner, an der hohen Luft ihres Lebens vollkommener geworden als er. Vielleicht war h�chste Sprosse hier unterste dort? Oder �berhaupt alles ganz anders. Anschauung fehlte eben.

Warum? wieso fehlte sie?

Stie� zum erstenmal gegen das Sonderbare in seiner Erziehung — blieb perplex.

Kannte nur Wissenschaft, Technik, Musik der wei�en Rasse. Nicht ihre K�rper, noch den Geist ihrer K�rper: Br�uche — Sitten. Also nichts. Warum? Schwieg dazu. Hatte zu oft die K�stlichkeit des Schweigens erfahren. Ihm schien, er h�tte durch die Unzartheit der Frage schon volle Befriedigung aus der Antwort vertan. Hier lag ja offenbar ein feiner, h�chst komplexer Plan zum grunde; fragloser Einweihung allein war volle Freiheit, Weite gesichert, nur sie befriedigte ganz, weil nicht von vornherein in den Engpa� einer Frage gezw�ngt.

Und dann wurde er langsam sehr gl�cklich, denn er meinte verstanden zu haben.

Hatte sich oft vor Gargis Augen, oder auch manchmal vor nichts Besonderem: einem Zweig, eines Zweiges blauem Schatten, was man so „nichts“ nennt, in einen jungen L�wenwurf hineingetr�umt, den eine d�nne Haut noch von der Lichtwelt trennt. Das saugt, tappt herum, atmet, glaubt sich schon ganz geboren, und dies sei nun eben alles. Da rei�t die Eihaut des Auges, in unerh�rte zweite Lichtgeburt. Und welche Chance, da� unter allen Europ�ern gerade ihm — als erwachtem Menschen — solch zweite Lichtgeburt in die wei�e Welt sollte vorbehalten sein. Durch seine Mutter. An allen Nerven �berflutet werden, wie nur ein Entblendeter �berflutet werden mag, in den erster Sonnenaufgang hereingebrochen kommt: diese ungeheure Freude hatte sie ihm g�nnen wollen, weise aufsparen f�r sein erwachtes Herz.

Wann? Bis er reif, w�rdig geworden. F�hig, es ganz zu genie�en.

Arbeitete von nun an so, da� Erasmus meinte: „Vier Jahre nur — vielleicht.“

Da suchte Horus nach einer Wendung, wiegte sich, funkelte in ihr — wagte es schlie�lich doch — sagte sch�chtern, etwas z�gernd, zum erstenmal: „Wir — wir Europ�er.“

Dies ungeheure wei�e Dasein, von ihm gebildet aus dem Hellsten, das er kannte: hohen Violinen — gleitendem Nickel; geisterhaft ging es immer mit, durch alles Tun, ragte �therisch herein; ihm straffte er sich entgegen, durch jeden Alltag hin. Doch gab es Lieblingsstunden, da nahm er es tr�umend vorweg, meinte sich ihm nah. Etwa an der Orgel als brausender Gott: Demiurgos in Person, wenn er mit einem Griff den Wald in der Hoboe erschuf, sumpfiges Grunzen der B�ffel im Kontrafagott, und zu diesen das schrille Silber stie� aus den flimmernden Registern. Eisblaue Knabenstimmen dazwischen aus mutierendem Metall. Nun trat sein Fu� mit dem Starrsinn seiner Ferse aus dem Tiefen wuchtendes Gesetz: jenes, nach dem die Gestirne und die gro�en Herzen wandeln. Das stampfte ins Silber hinauf, r�ttelte an waldigen Schultern, bis alles umschwang in die Doppelfuge seines Tierkreiswillens.

Jetzt durch alles hindurch, lie� er ein Wehen anheben auf der dritten Klaviatur, schlingerndes Pfeifen, das zum „grand jeu“ wuchs, Klanggischt an die W�nde warf, aus Ert�nen Ergreifen machte — den Raum ergriff, wie jene grenzenlose Hand aus Hauch sein Herz, um es nach einer andern Sternenstunde einzustellen. Ortlos, ein Scheinwerfer aus dem Unendlichen, stand es wieder als Blick auf ihm — brach ihn auf — bl�hte ihn auseinander. Da wu�te er sich im Sehfeld des Aschenauges — stark, wehrlos und geborgen. —

Durch geschlagenes Glas fiel die Oktave des Lichts in den ersch�tterten Raum, und nun vermeinte er Newton zu sehen — als Kind, wie es zum erstenmal in den Klang der gro�en Orgel tretend aufsah, glaubend, nur aus der Farbenrose oben k�nnten diese Stimmen kommen.

Da neigte er sich dem kindlichen Schemen tief. Schlo� die Orgel.

N�chterner gestimmt, zog er zuweilen Res�mees: was er wu�te, erschlo� Neues daraus. Nach eigner Meinung sachlich k�hl. Das war dann Reiz und leichte Qual. Wie Streichen um den verhangenen Geburtstagstisch fr�her Jahre. H�tte ja sogleich eine Ecke l�ften k�nnen, das Auto nehmen und in zwei Tagen Orte erreichen, wo — er wu�te es wohl — Europ�er lebten oder durchreisten. Als verstreute Fremde in fremder Umwelt. Nein, so nicht. Hatte vor einem Jahr noch wei�e Ingenieure erhofft, ehe er diese Feengabe seiner Mutter: diese lebenslang vorbereitete, k�stlich einzigartige Ersch�tterung, die seiner harrte, recht begriffen. Jetzt nicht mehr. Blind bis zum Sonnenaufgang. Nur Vorfreude tr�umen, aus Vorzeichen bauen, sich bereiten — f�r dort.

Mit den vier gro�en Sprachen Europas war er von Kind auf vertraut. Wundergef�ge, aus unbegreiflich schwebendem Geist, wie alle Sprachen. Doch Sch��linge nur, sogar weniger breit gewurzelt und fein in der Krone wie der Mutterbaum: Sanskrit. Er konstatierte das gerne; bewies sich Objektivit�t damit. Europ�er redeten eben au�erdem in neuen Sprachen — �ber dem Wort: in Gleichungen und Musik. Euler, Beethoven waren ihre Grammatiker. Auch er, Horus Elcho, sprach europ�isch: vor dem Rei�brett in der Gleichung der Lemniskate — vor dem Cello im Cis-Moll-Quartett.

Ging dann in den Abgu�saal. Blieb nicht mehr vor den �gyptern wie fr�her; blieb vor dem zeitlich Letzten dort: den Griechen. Wenn die wei�e Rasse schon vor zweieinhalb Tausend Jahren — in ihren Outsiders — so wohl geraten: in dieser kleinen hellenischen Provinz, die wie eine Seeanemone ganz unten vom Rand des eigentlichen Kontinents abwehte; von da in gerader Linie, ungehemmt, ansteigend, wie verfeinert, in Anmut ganz gel�st mochte sie heute schon sein? Sich zu jenen verhalten wie etwa eine Schwebekonstruktion zu einem Pfahlbau. Waren doch die blumen�ugigen jungen Rehmenschen Indiens an Linienbl�te, Adel des Aufrisses �ber den griechischen Kanon vielfach hinausgewachsen, besonders die Frauen, und lebten doch noch erdgebunden nach alter Art.

Eigentlich nur hellenische K�pfe — jene wenigen aus bester Zeit — begl�ckten ihn echt, durch Unzerrissenheit, Wohllaut, mit dem sie in den Leib hin�berlebten. — In dieser schwierigen S��e, heimgekehrten sp�ten Schlichtheit Lysippscher H�upter sah er sie gerne wandeln: seine lieben Herrn des gleitenden Erzes.

Konnten sie denn �berhaupt noch das Weltwesen vor Jahrtausenden auch nur begreifen, etwa ihrer homerischen Vorvettern, die noch Kriege gef�hrt, sich Spie�e in den Leib gerannt, sie, deren k�hne Not — Siege — Leiden in transzendenten Schlachten, auf Geisterpfaden sich erf�llten! Auf dem wundervollen Abenteurerweg der Physik, dem verwegensten Weg! Eroberer, die das Heranschleichen kannten, gespanntesten Sinns, zitternd und eisig zugleich, der Erscheinung den Lasso �berzuwerfen, um sie als Strahlen, Kr�fte, Elemente umzugie�en in Ungeheuer aus geb�ndigtem Geist.

Wie ihre Frauen wohl aussehen mochten? Gewi� Gargis Linien in den Farben Diana Elchos.

Ihr Wesen: aus dem der Pallas und Nausikaa gemischt.

Und das alles stand ihm noch bevor; das alles aber hatte er auch einer Frau zu bieten, die ihm angeh�rte. Dachte froh bei sich: „Und sie wei� noch gar nicht, was ihr da bl�ht.“ Sagte zeither auch zu Gargi: „Wir — wir Europ�er.“

Am Anfang seiner technischen Ekstase, verbohrt in Exzentergetriebe, Turbogenitoren, Ventilsteuerungen, konnte sich Horus oft erbosen, schlenderte er mit Erasmus durch die Pettah. Nicht �ber die edlen Ma�e ihrer epischen Menschen — das mochte hingehen. Auch war er mit ihnen allen in einer Art dauernder Liebeshellsichtigkeit, sorglos, ohne manischen Zwang der Lustvollendung, dank seiner Kinderehe. Der gleichsam genie�ende Gang des Schikari Aditja gefiel ihm in seinen Augen, wie das Geruhsame in Ganapati Sastriar, zu dem er immer noch gerne ging. Doch die Dinge — die Ger�te, das geh�rte sich nicht.

„Warum ist so ein dummer alter Brunnenrand so sch�n, wie kommt er dazu?“

„Nur weil er so alt ist,“ tr�stete Erasmus, der sofort wu�te, um was es ging. „Dinge, beschlafen von der Zeit, zerbrechen in ihren Armen oder geb�ren eine Art Vollendung.

Diese dunkle Gl�tte an Bolzen, alten Stallt�ren, an Tr�gen, Brunnenr�ndern: warme Griffe — Tierm�uler ohne Zahl haben sie ausgekurvt ins Endg�ltige. Vielleicht scheinen uns die wenigen antiken Torsi so edel, weil die Zeit — ein unbestechlicher Kritiker — unerbittlich entfernte, was gegen den Geist des Materials. Was daran �berhaupt abbrechen konnte, war eben falsch. Der verbesserte, endg�ltige Kontur: der Ewige ist, was wir bedauernd ‚nur‘ einen Torso nennen.“

„Dann vermag aber die Zeit doch lediglich weg zu nehmen?“

„Allerdings. Darum verm�chte sie allein wohl nie, durch blo�es Abschleifen, die Vollkommenheit einer Helice zu erzeugen, weil ihr hiezu das Konstruktive fehlt. Aktive Sch�nheit der blo� passiven gegen�ber. Diese wird prim�r von innen heraus vollendet, — sekund�r, von au�en hinein — jene. Echt aber sind sie beide. Und wie echt zu echt stets pa�t, so deiner Mutter Haus, bei aller Verschiedenheit im Konstruktiven, zu dieser Pettah — zu diesen Brunnen, Tr�gen, T�ren, Bolzen.“

Horus erstaunte. „Ja, gibt es denn auch auf der Welt ‚unechtes‘ Ger�t? — Wo? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Etwas eigens f�r etwas machen, zu dem es nicht taugt. Ungeratene Ger�te!“

Er lachte. War’s aber im �brigen zufrieden. Gab nun im Vor�bergehen Brunnenr�ndern ab und zu einen aufmunternden Klaps in die l�uternde Zeit hinein, sich ja flei�ig von ihr aussparen zu lassen, da ihnen nun einmal das Gl�ck versagt geblieben, aus dem Geist europ�ischer Technik entsprungen zu sein.

Erasmus aber sagte schnell etwas Falsches — etwas ganz und gar Banales; hatte schon zu viel besser gewu�t heute. War auch je und je auf der Hut gewesen, sein Axiom zu verraten, auf welche Art ein Mensch das H�chste aus sich zu ziehen verm�ge: mindestens zwei, von einander so weit wie m�glich abliegende Wissenschaften betreiben und dazwischen versuchen, in einem Sport der erste zu werden. Er lie� Horus selbst darauf verfallen.

„Du hast immer einen so wunderbar durchbluteten Geist,“ meinte dieser eines Tages. Er war ins Laboratorium gekommen, Erasmus zum Bade abzuholen. „Woher das kommen mag?“ Er hatte ihn in vorz�glicher Stimmung getroffen.

„Wei� nicht. Vielleicht, weil ich faul bin. Ich ruhe mich immer so sch�n frisch aus: vom einen beim andern.“ Sie liebten beide, wo es anging, kindliche Diktion. Sch�tzten den Charme gepflegten Vorsichhinbl�delns zuweilen.

„Und dazwischen schwimmst du wie toll, besser sogar wie Aditja — so gut wie die allerbesten Krokodile. Aber das wird es eben sein: erst da denken — dann ganz wo anders und dazwischen gar nicht — nur leben, die Nerven entlang das letzte herausholen f�r etwas, das so vornehm ist, keinen Zweck mehr zu brauchen.“

Eifervoll entwickelte er nun alle Vorz�ge polarer Interessen rechts und links von einem Sport. Da Erasmus zu zweifeln schien: „Du glaubst mir nicht — an mir selbst will ich es dir beweisen.“

Nach einem halben Jahre kam er dann und klagte ein wenig:

„Es scheint mir manchmal, als gebe es gar keine ‚weit auseinanderliegenden‘ Gebiete. Ich wenigstens kann keine finden. Immer dort, wo es wirklich interessant wird oder wichtig, scheinen sie zu konvergieren, und im Ganzaufregenden, da schneiden sie sich sogar.“

„Schade,“ meinte Erasmus, „also ist der Kosmos zu pauvre geraten, als da� man im Auf und Ab an ihm einen — wie hie� es — ‚gutdurchbluteten Geist‘ bekommen k�nnte. Somit f�llt die ganze sch�ne Theorie dahin.“

„Aber du selbst bist doch gegen deinen Willen mein lebender Beweis, und ich werde noch der deine werden. „Diesen senilen Starrsinn aber,“ — — er kniff ein Auge ein, — „mu� man brechen.“

Unentstellt — wie ein k�hnes Tier, eine Gazelle aufkniet hinter der entgleitenden Geburt — so schlo� sich Gargi hinter ihrem Sohn. Jetzt achtzehnj�hrig. Doch schon am Morgen ihrer M�dchenschaft hatte sie zu ringen begonnen um diese neue Jungfr�ulichkeit, jenseits des Kindes.

Ihr und aller indischen Damen scheinendes Ziel: jene Sultana Mumtaz i mahal, die ihrem Gatten mit jedem Knaben sich selbst als M�dchen wiederschenkte. Und Schah Dschehan wertet es weit h�her als eine gewonnene Schlacht, denn hier ward durch Zucht, List, M�hsal, Mut, Hingabe das Gl�ck zur�ck erobert, — enthauptet sogar die Zeit, von dem zarten und z�hen Willen, der aus jeder Geburt sich eine neue Unber�hrtheit f�r seinen Herrn erzwang. Sieben. Die Achte wurde ihr Grab — und: der Tadj-mahal. Denn in seinen Kuppeln standen leuchtend die sieben harten Marmorkelche ihrer Jungfrauschaften wieder auf. Nicht als Bauwerk zu werten, noch Kunst: der Tadj-mahal ist die Sehnsucht des Mannes nach dem Kelch des Gl�cks.

Und so gro� war Schah Dschehans Sehnsucht nach der Heimat dieses Kelches, da� er durch Blumen und Flammen seines immer erneuten Harems hindurch ging wie ein Schwert, dreiundzwanzig Jahre lang, und nicht m�de wurde, die Wei�e des wei�esten Marmors zu pr�fen, gegen das Gold und Gr�n der Lasuren, ob sie seine Wei�e erh�hten. Lie� pl�tzlich die Flanke eines Berges auseinanderrei�en in der Hoffnung, seine Tiefe sei heller noch, �hnlicher im Adergang.

Die eckigen Wasser aber, in denen alle Wei�e sich spiegeln sollte, lie� er noch auf ihrem Grund mit geschmolzenem Silber ausgie�en, und aus seiner unzerst�rbaren Sehnsucht pre�te er die Erinnerung an ihren Duft, lie� das Geheimste aus den Korollen und die Dr�sen aus den feurigsten Tieren rei�en, und manchmal meinte er, das Laue in der Luft sei es und warf die Arme darum, bis endlich — endlich die Alchymisten Arabiens, die Sanjassins Hindostans aus dem Fruchtfleisch der ganzen Welt es ihm erpre�ten.

Da stieg die Essenz des Duftes als sieben Quellen aus dem Spiegelbild des Marmorkelches in den eckigen Silberwassern. Wei�e Nachtigallenm�nnchen, deren Fl�gel in Netzen aus Rubinen lagen, tranken Trunkenheit daraus, da� ihnen der flie�ende Duft klingend aus den hei�en Herzchen barst zum Preis der sieben Jungfrauschaften, die sieben s��e Kinder waren.

Das ist zu Agra das Grab der Mumtaz i mahal: das Grab der Krondame. Als es vollendet war, ging Schah Dschehan noch einmal ein in ihren tiefsten Kelch, und das f�r immer. Seine Asche ergo� sich ihr.

Im siebenten Jahr nach dem Fr�hlingslauf zur „H�hle der wei�en Tr�ume“ brachte Horus aus China eine zweite Gattin mit, als seine erste legitime Nebenfrau. Seine Mutter, Gargi und er hatten die Regenzeit zu einem Besuch jener s�dchinesischen Provinz benutzt, deren Statthalter damals vor�bergehend Lady Dianas alter Freund Li-Hung-Tschang war.

Wieder ostw�rts, auch diesmal, statt nach Westen! Seit der wei�e Kult von Horus Besitz ergriffen, war es schier zum Staunen, wie Hindernisse f�rmlich aus dem Nirgends her sich niederschlugen wider seinen Wunsch. Nicht von Menschen kommend. Warum auch? Wo alles ihm so wohl wollte — insonderheit seiner Mutter keine M�he je zu gro�, kein Preis zu hoch erschienen, galt es etwa Beschaffung eines neuen Instruments f�r ihn aus Glasgow, aus Jena. Wie edler, k�rperhafter Gru� der wei�en Rasse, war jedes durch das Medium ihrer gro�en Liebe in seine ehrf�rchtigen H�nde �berliefert worden. Nun aber, als Sch�ler von Erasmus l�ngst entlassen, als Mitarbeiter — Ebenb�rtiger, f�hlte auch er sich w�rdig, nach dieser weisen, planvoll steigernden Gew�hnung, die Klarheit solch einer ganzen Welt zu atmen.

Stillschweigend schien all das ja l�ngst geordnet — beschlossen. Einmal aber hatten technische Verbesserungen am Graphitwerk: seine Erfindung, die halbe Regenzeit verschlungen — andre Jahreszeiten kamen wegen der wichtigen Kopra- und Teeernte nicht in Betracht — dann wieder war unbegreiflicherweise fast in letzter Stunde ein schwerer Schraubendefekt an der Jacht entstanden. Jetzt diese Einladung Lis!

Gargi hatten die T�nze der K�nigsfrauen erst nach Siam gezogen: zartschultriger Kult perverser Cherubim mit Schlangen und Ranken. Die �u�ern Behelfe: Stachelhelm, rieselnde Schn�re, irre klirrendes Metall, von Silberfl�ten durchk��t, wurden ihr Gastgeschenk. Dann verlie�en sie das Land der gr�nlichen Frauenbl�ten; nicht zum wenigsten bereichert um je ein P�rchen Tempel- und Palastkatzen: den zweierlei siamesischen Spielarten; silberbraun beide mit saphirblauen Augen, Tiere, die sich halten wie �gyptische G�tter und einfach sind wie ein ganz gro�es Kunstwerk.

Wie immer auf Diana Elchos Reisen, wurden alle Hafenst�dte gemieden, in denen ein entra�tes Esperanto des Vordergrundlebens den Lack h�tte zerkreischen k�nnen um diese Porzellan- und Seidenwelt. In entlegener Bucht warf die Jacht Anker. Riksha-Kulis, Reit- und Tragtiere geleiteten die bald Vertrauten in das schwerf�llig-milde Reich des Mitten-Innestehens, und seines Herzens Spruch!

„Mach s�� ihre Speise

Und sch�n ihre Kleidung,

Freundlich ihre Wohnung

Und fr�hlich ihre Sitten.“

Gern als G�ste in H�usern, die Lis Empfehlungsbriefe auf langen Seidenbl�ttern ihnen �ffneten, lernten sie die Verschlingungen des treuherzigen Drachens: H�flichkeit. Er sperrt sein Maul auf, und die Zeit f�llt hinein — gar nicht abzusehen, bis wohin.

So �bten sie die Zeremonie des Reichens und Empfangens — Kult des Gru�es, des Dankes und des Abschieds. Versuchten sich auch bald in den Lauten der gro�gewordnen Herzenssprache: glattgeschliffene Jade- und Onyxkugeln rollen lose ihre Silben, jede eine runde Anschauung: gr��ten Inhalts, bei geringster Oberfl�che; ebenso reibungslos gegen einander verschiebbar und sich verschiebend, wie die wimmelnden blauen Menschen selbst, von deren Lippen sie fallen. Da� diese Menschen glattrasiert an K�rper und K�pfen sind, bis in Nase und Ohren hinein, scheint irgendwie auch seelisch keinerlei Widerborstigkeit aufkommen zu lassen. Gibt ihnen etwas Keglig-Spiegelndes, l��t eben noch freies Durcheinandergleiten zu. Stellte dagegen einer dem andern ein Bein, w�rde irgendwo etwas verfahren, verspreizt, verquert — China m��te sofort zu einem kompakten Leuteblock verfilzen. So aber gleitet das fast ha�los umeinander, in starken Bahnen einer Zivilisation der �berv�lkerung:

„Sie scheint nur zwei Imperative zu kennen“ — meinte eines Tages Diana Elcho — „diskret sein und ausweichen. Dieses verb�rgt ein friedlich wechselndes Geschehen �berhaupt. Wichtiger aber scheint mir jenes: Diskretion allein garantiert da dem Einzelnen die unerl��liche Einsamkeit, mu� wenigstens versuchen, ihm Ersatz zu sein f�r kostbare Raumtiefe, gefressen von der Art.“

Noch nie hatte Horus so ein Gewimmel gesehen. Menschen, wie sie im flie�enden Wasser warmer Quellen schliefen, einen Stein als Kissen unter dem Kopf, einen zweiten auf dem Bauch, um nicht bewu�tlos ins Tiefe gesp�lt zu werden; Menschen, die nicht wagten, mit ihren schlafenden Leibern Erde brachzulegen, auf der Reis wachsen konnte.

Hatte beobachtet, wie im Morgengrauen unbegreiflich arme Menschen aus Kan�len herausgekrochen waren, rotblinzelnd ins Licht, eine halbzerkaute Ratte zwischen den Z�hnen. Die gleichen rattenblutigen Lippen aber klangen bald von einem reinen, kindlich frohen, �beraus gepflegten Gru�, weil auch sie von dem duftenden Geist des Li-tai-po und Thu-fu geschmeckt hatten und skandierend seine edlen Ma�e �ber regengelbe Str�me hinsangen, wo halbnackte, vor K�lte zitternde Kulis, den kupfernen Fahrlohn ins Ohr geklemmt, Antwort gaben in Perlmutterworten sehns�chtiger Kaiserinnen, wenn sie F�cherd�fte dem Sohn des Himmels in den Thronsaal senden. —

Und immer noch schossen Melonenk�pfchen in allen Gr��en — blanke Mausaugen drin — in die kargen Spatien zwischen den sanften Gro�en — ihre M�hsal zu mehren — die Welt zuzuleben, alle Natur in sprossende Chinesen umzusetzen. Horus h�tte abwinken m�gen: „Schon gut — genug. Dem Ahnenkult ein einziger Sohn.“ Warum �bte diese sinnenreiche Rasse, im Sexuellen vielerfahren, nicht, was primitiven St�mmen Afrikas weder Geheimnis noch Problem? Warum speiste nicht auch hier das lebendige Wasser im uralten Zier- und Wundergarten des Geschlechts samenlose Feuerlilien, die seinen Strahl zu gl�hendem Duft verbrennen?

Doch eines Abends unterlag auch er dem Charme der Paganinis: der Kinder.

Tief im Innern des „s�dlichen Bl�tenlandes“ war ein Fest: Teebuden, B�cherst�nde, Shuo-Shu-Tis: Geschichtenerz�hler. Massen stauten sich, Sandalenklappern verstummte, Feuerwerk begann. Horus �berragte fast um Kopfesh�he die k�rzeren S�dchinesen. Da stahlen sich ger�uschlos von Frauenh�ften, M�nnerh�nden, eins nach dem andern kleine Wesen, schlossen um den Fremden lautlos einen Kreis. Ber�hrten ihn nicht. Bel�stigten ihn in keiner Weise. Die M�ndchen, klein wie Knopfl�cher, blieben geschlossen. Doch eine freundlich unentrinnbare Suggestion ging von dem Babykranz aus: etwas, weit zwingender, weil taktvoller als Worte. Etwas, das unmittelbar zeigte, wie dunkel und ganz zugemauert von Hosen es da unten bei einem selbst war, w�hrend um den Kopf des �lteren Bruders oben Feuerr�der schnurrten, Leuchtkugeln ihm nur so aus beiden Ohren spritzten: violett aus dem linken — golden aus dem rechten; Preis dem gro�en �lteren Bruder.

Der �ltere Bruder hielt sich wacker, nach eigner Wertung erstaunlich gut sogar. Dann mit eins zog es ihn — Gegner oder nicht Gegner der �berv�lkerung — zu seinem heiteren Erstaunen tief herab, wie man zu einem z�rtlichen K�tzchen sich niederbeugen mu�, und er hob den k�rzesten dieser komischen Kegel sich auf den Kopf, einen zweiten auf die rechte Schulter, einen dritten auf den rechten Arm. Freiwillig trat der erste — nach einigen Minuten H�henrausch — den Abstieg vom Gipfelkopf, diesmal �ber linke Schulter und H�fte an, damit andre von rechts nachr�cken k�nnten. Und es begann ein Continuum von Paganinis pyramidenf�rmig �ber den gro�en Bruder hinzuziehen. Eirunde, immer wechselnde K�pfchen s�umten ihm den Kontur. Eine Bergprozession gelblicher Lampions, jeder mit zwei schwarzen Lichtern drin und einem Knopfloch. Das kr�nende Paganini oben aber hielt stets die seidenglatten Beinchen so, da� dem gastfreundlichen Kopf ja nichts von dem gro�en Funkel im Himmel verdeckt w�rde; sah auch manchmal selbst nach dem Rechten, umspannte das fremde Lotosgesicht mit seinen kleinen H�nden, um es besonders gr�nen unter den st�rzenden Leuchtkugeln zart entlang zu f�hren.

Eine Art ged�mpfter Vertraulichkeit begann sich aus der ganzen Situation zu entwickeln. Aus Knopfl�chern h�pften Kugelsilben, um vieles heller, komischerweise um die H�lfte kleiner als bei Erwachsenen, doch her�bergelebt aus gleicher H�flichkeit des Herzens. Liebes und Tiefes: weltg�ltiger Anstand in der Freiheit stand um diese Babypyramide wie ein junges, bezauberndes Fluidum. Versuchten die Frauen sp�ter aus ihm herauszuschmeicheln, was die Kleinen zu dem gro�en Kopf gesprochen, wurde er nur ausgelassen, spitzb�bisch und unb�ndig heiter; schwur, einzig Rama-Krishna — weil er so schon alles wisse — d�rfe auch das noch erfahren.

Sprache, Schriftzeichen, Schmuck: zu diesen dreien vermochte Horus vom ersten Tag ehrf�rchtig das gro�e Du zu sagen. Nicht da� er an Bauten, Bronzen, Keramik deren Echtheit verkannt h�tte, ihren Anspruch auf Stil — das ist: die Dinge aus ihrem Herzen heraus mit neuen Namen nennen.

Doch seelisch an den Pythagor�ern, geistig an Newton und Lagrange, optisch am Haus Elcho erzogen, sah er in jeder planlosen Weitschweifigkeit, Gew�lle von Zufall an den Dingen mit Recht einen Mangel an kritischem Ideal: jenem, so hei�, so ernst vor Leben, da� es nicht Ruhe finden kann, bis auch der letzte Gegenstand, den es erschafft, zu einer neuen Reduktion der ganzen Welt auf wenige, gerade f�r ihn entscheidende Linien und Fl�chen geworden. So war er es gewohnt: jeden T�rgriff, jede Sohlbank, jeden Leuchtk�rper werten zu d�rfen mit der H�rte ganz gro�er Liebe — von heimlicher Surrogatempfindung frei, in jubelnder Sicherheit restlos begl�ckt zu bleiben. Bis zu den kritischen Spazierg�ngen mit Erasmus in der Pettah hatte er all das unbewu�t in seinen wachsenden Organismus aufgenommen, an solchem Ma� nat�rlich sich geformt. Von da ab geno� er seinen Wohnleib auch geistig, wie etwan ein Mensch durch anatomisches Studium seinen K�rper ein zweites Mal zum Geschenk erh�lt.

Am besten besprachen solche Dinge sich immer mit Lady Diana. Beider Wesenskerne waren so verwandt, und doch lag, durch Altersunterschied, auch wieder genug sch�pferische Zeit zwischen ihnen, da� sie hoffen durften, fast aus jeder Diskussion irgendwie belebt hervorzugehen. Hat es doch stets nur Sinn und Zweck, mit jemandem, der gleicher Ansicht ist, zu diskutieren; auch da ergeben sich antagonistischer Kanten noch �bergenug, aus ihnen lebendige Funken zu schlagen. Polemiken aber aus unharmonischer Empfindung heraus oder gar verschiedener Unterscheidungskraft f�r Echtheit degenerieren, werden bitter, lang und steril.

Er res�mierte: „Chinesische Gegenst�nde sind mir zu geschw�tzig. Dinge des Gebrauchs haben nur gefragt und in ihrer Fachsprache zu antworten. Da ruhe ich in einem Kissennest. Nicht da� es vom „ruhen machen“ nichts verst�nde, aber statt vollauf damit besch�ftigt zu sein, mir das Sitzen zum Nirvana zu machen, erz�hlt so ein Polster nebenher meiner rechten Schulter eine lange Geschichte in Blau und Gelb von einem Fuchsd�mon und einer Drachentochter; mag ich dazu aufgelegt sein oder nicht. Schon um acht Uhr fr�h. Schon beim Fr�hst�ck. Form ist hier oft nur versteinerte Laune und Sch�pfung: phantastisch-tr�ges Hinzuf�gen.“

„Weglassen ist aber auch noch nicht Vollendung,“ meinte Diana Elcho, „da hat Erasmus recht. Das w�re leere Einfachheit, nicht jene aus verdichtetem Leben, deren Anblick allein, wie mir scheinen will, Beruhigung im Endg�ltigen gibt. Es ist, als habe diese schwierige Schlichtheit etwas von den ewigen Ideen auf sich herabzuzwingen vermocht, weil sie erst einmal unbeirrbar, phrasenlos und rein den Zweck zum Grund sich gab. Der war ihr Fundament: Isolator gegen schlammige Saloppheit — versandetes Ohngef�hr. Erst auf dieses reinliche Piedestal kann ein Geheimnisvolles, das wir ‚Sch�nheit‘ nennen, sich dann senken.“

Li-Hung-Tschangs gro�es, glattes Gesicht hatte h�flich aufmerksam zugeh�rt. Nun lie� er — in graue Seide geh�llt, mit Mandarinenketten umschn�rt — zwei gew�lbte Bronzegef��e aus der T’ang-Dynastie hereintragen, Lady Elcho zum Geschenk.

Sie zitterte vor Freude. Etwas von der Leere des t�nenden Erzes aus der neunten Symphonie war an ihnen. Einem schauend Entr�ckten mochte scheinen, als k�nnten hier — nur hier — aus dem dunklen Adel dieser Mulden die tauben, unfa�bar au�erweltlichen Nebenger�usche des ersten Satzes fahl heraufgezuckt sein, aus einem verhangenen Dr�ben.

Horus war hingerissen wie nur vor den wenigen Sienit- und Liparit-Gef��en der Pyramidenk�nige, deren Abbilder er kannte. Nun erst fiel ihm auf, wie sehr der gro�artige alte Chinesenkopf vor ihm eigentlich selbst dem eines Pharao glich. Dasselbe fl�chenhafte L�cheln, breitabrollend von dem Monolithgesicht. Einfach wie ein Dioritgott sa� er da, flache H�nde auf den Knien, freute sich der Freude seiner G�ste.

„Heute abend wird er mir die Hand reichen,“ dachte Horus.

Es war einer der sichern, t�glich wiederkehrenden Gen�sse, die fernrassige gro�e Hand ebenb�rtig auf die seine zukommen zu sehen, nach europ�ischer Sitte, Horus zu Ehren, — Lis Finger zu sp�ren und die �bertriebene W�lbung seiner vollkommen geschliffenen N�gel mit den halbkreisf�rmig gez�chteten Perlmuttermonden, deren Bett das ungebrochene wei�e H�utchen elastisch, losgel�st und rein umlief.

Dieser sichern, t�glich wiederkehrenden Gen�sse aber gab es noch mehr. Zur Stunde der Kr�he klangen jenseits der Kamelbuckelbr�cke, im Pavillon aus Fl�tenholz und aus Lasur, des Vorhangs gl�serne Falten auseinander, und Lis j�ngste Nebenfrau erschien, f�r ihn und die G�ste den Tee zu bereiten.

Hie� J�-Chuan: „gefl�gelte Perle“. War erst vor wenigen Monaten an die Stelle einer Dame getreten, die Li mit unerbittlicher H�flichkeit zur�ckgeschickt, weil sie nicht nur absichtlich den Tee verdorben, sondern — es waren seine eignen Worte —: „ihn behandelt hatte, als w�re er der Schwanz des Hauses statt sein Kopf“. Die Teebereitung ging stets mit dem ganzen Zeremoniell der Meister aus der Sung-Schule vor sich. „Gefl�gelte Perle“ brachte in den Pavillon eine Privatregion mit, in der nichts zu Boden fallen konnte, das Menschenohr geborgen war vor Scherben und Gekreisch. Ein Zaubervogel mit wohlfrisiertem Damenkopf in Perlengeh�ngen, schl�pfte sie, zutraulich getragen durch ein Dickicht von Hin und Her, machte sich schmal wie eine Meise oder spannte auf einmal feierliche Fl�gel im Teeduft; erf�llte den Raum mit Wehen und Weiche.

Sprach die Vogelfee, fielen aus ihrer Kehle Silben als Regen von Pfirsichbl�tenbl�ttern — jedes mit einem Jaspistropfen beschwert — in Herzen hinein. An sie wandte sich stets der Hausherr, kam die Rede auf Dichter und Philosophen, und mit kleinen fl�chenhaften Bewegungen, ohne je aus unsichtbarem Rahmen zu treten, begleitete sie dann ihre Worte, den zitronenblassen Kopf ein wenig schief. Wenn aber die hei�e Blume vollendet vor jedem in einem Doppelt��chen stand, jeder, die blaulazurnen R�nder gegen einander verschiebend, aus dem Spalt den ersten Schluck getan, verbeugte sich die Vogelfee dreimal, sank in sich selbst nieder, wie in ein Nest von Seide, und sang.

Lie� dabei �beraus vorsichtig von den Libellenfl�geln ihrer N�gel zehn Goldh�lsen gleiten — barg sie in der Schale von Prasem. Nun erst begann mit gebl�hter Kehle in ihrem Arm ein dickes braunes Instrument zu singen wie ein Nachtigallenm�nnchen. Eine Grille — ihr winziger Bambusk�fig hing an einer Scharlachschnur in den Nebel von Teeduft — geigte mit. �berz�chtete Tiere, pagodenhaft hochgestellte Fische mit goldenen Kr�tengesichtern zogen inde� lange rote F�den hinter sich durch Wasser, das sich kuglig aus dem Kristall der Schalen bog, m�ndeten, naiv und weise lasterhaft, irgendwo wieder in den Dienst des Geschlechts.

Menschenh�upter und Tr�ume aber schwebten �ber den ruhenden K�rpern in einer zweiten, verkl�rten Heimatwolke, gewoben aus dem Arom von Quitten, Opium, Sandelholz und Ingwer.

Immer h�ufiger baute die Vogelfee ihr Seidennest inmitten des fremden jungen Paares. Als die Zeit der Abreise gekommen war, hatte Li seine Ehe bereits in aller Ruhe gel�st, und J�-Chuan war, nach Erf�llung der Br�uche, Horus Elchos legitime Nebenfrau geworden. Aus einer weiten Milde her waren nur wenige, wohltuend menschliche Verst�ndigungen zwischen den Beteiligten getauscht worden. Dieser gro�e chinesische Herr war Verschwender in allem Glanz des Menschentums, doch sparsam an �berfl�ssigem Weh.

„Meine �rmel w�ren mir nicht mehr getrocknet in meinem Leid, h�tte das erhabene Lotosgesicht das s�dliche Bl�tenland verlassen ohne J�-Chuan,“ sagte die Vogelfee zu ihrem neuen Gatten.

Er war erregt in seiner tiefsten Lebensneugierde. Beugte sich ger�hrt zu der lieblichen Form, die ihm die Essenz des Seltsamen der gro�en Rasse bieten wollte, — so berauschend fremd von einem Liebeswirbel ihm in den Scho� geflogen kam, mit kleinen Z�gen, eingeritzt in die Schale eines Taubeneis, nur mit hellen Wimpern zu bestreicheln.

„Bangt dir nicht, mit einem Fremden so in die Ferne zu gehen, seidnes Wesen? Was wei�t du denn von mir?“

Ihr ganzer junger K�rper war sanftes Erstaunen. Vor Erstaunen fielen die Schleppen ihrer �rmel in Trichtern zur�ck von Vorderarmen: rund und durchsichtig, als w�ren es R�hrenkn�chelchen ganz leichter V�gel.

„Da mein �lterer Bruder sch�n, klug und gebildet ist, wie sollte er da nicht auch g�tig, gerecht und vertrauensw�rdig sein? — J�-Chuans Dank —“ sie wurde ernst und bebte ein wenig; dann mit geheimnisvoll woll�stiger Verw�hntheit ohnegleichen:

„Ich will meinen �lteren Bruder das ‚Geheimnis des Fu�es‘ lehren und meine �ltere Schwester ‚das Geheimnis der Blume Lan‘.“

So kam „gefl�gelte Perle“ in das Haus der Elchos.

Wie jede chinesische Dame mit Dichtern und Philosophen aus drei Jahrtausenden ihrer Rasse blutvertraut, zeigte sie sich begl�ckt, all diese in der Bibliothek des neuen Heims wieder zu finden. Neben �bersetzungen auch in der Ursprache.

Horus und Gargi kannten nur erstere. Sie baten:

„Lehr’ uns die Kugelsprache. Doch nicht nur die h�lzernen der Kulis, auch die aus Onyx und Elfenbein reihe auf f�r uns.“

Nun hob J�-Chuans Vogelkehle aus jeder Silbe den inneren Lautwert, bestimmt, die Schwebungen des Herzens aufzufangen, und aus der Tusche ihres Pinsels kroch �ber Seide zugleich wie ein Gesch�pf das Schriftbild aus, halb Raupe halb Kristall, in breiten Kurven, doch unsichtbar umeckt von solch konziser Kraft, da� sich das Leere rundum an ihm kantig st��t und wie ein W�rfel steht. Nicht Urnen, D�monen und Drachen, Chinas Plastik ist die Schrift. Erst Bild und Klang, verzweigt mit Rhythmus und Grammatik, fa�t diese Sprache ganz; man mu� sie sehen, um sie ganz zu h�ren, weil in ihr alle K�nste sind und Geist geworden.

Wenn solcherma�en die seidne Vogelfee aufflog in einen t�nenden M�rchenbaum und aus der Krone seiner Weisheit sang, dann, nicht wie ein Gatte und Liebender nur, gern wie ein Sch�ler auch, wie ein Vater und Bruder, empfand Horus zu ihr.

�beraus leicht fa�lich erschien J�-Chuan, an chinesischem Ma� gemessen, was die beiden andern als Tausch und Dank zu bieten hatten, doch etwas primitiv, um nicht zu sagen t�lpicht auch. Nur die Ch�re der griechischen Tragiker fanden Gunst vor ihrem winzigen Ohr, das als Quittenbl�te am Lack der Haare sa�. Nur hier war das Biegsame, das, zart und aderreich wie Geist, in unirdischen Lungen flutet, rot von Leben und stark nach Gesetz.

Gern verglichen sie die „Religion des guten B�rgers“ oder das „Tao“ mit Gotama Buddhas achtfachem Pfad und dem Vedanta.

Hier gab J�-Chuan meist neidlos zu, da� „Sanskrita“ mit Recht „die Vollendete“ hei�e, denn wo andre Zungen immer nur wieder hilflos das Wort „Seele“ vor sich hin zu stammeln verm�gen, steigt hier aus tieferer Versunkenheit die F�lle.

„Es ist an dem,“ meinte Horus, „da� die Inder sich als eine lebendige Siebenfaltigkeit zu empfinden gelernt haben, an der jede Stufe fast kontinuierlich in die andre �berleitet, wenn auch nur Ahnungen zu ihren drei letzten f�hren, mehr als Richtlinien, in denen die innere Entwicklung zu gehen hat.

Au�en und zuerst ist nur ein aus Nahrung bestehendes Selbst. In diesem steckt wie in einer Kapsel das „Odemartige“, in diesem das Emotionelle: Liebe und Ha� erzeugende, dann das manas- oder erkenntnisartige Selbst. In diesem endlich als Innerstes die drei Stufen des wonneartigen Selbst, von dem es hei�t: „F�rwahr, dies ist die Essenz. Denn wer die Essenz erlangt hat, den erf�llet Wonne. Wer m�chte atmen und wer leben, wenn in dem Weltenraum nicht diese Wonne w�re. Denn wann einer in diesem Unsichtbaren, Unk�rperlichen, Unaussprechlichen, Unergr�ndlichen den Standort findet, dann ist er zum Frieden eingegangen. Wenn er hingegen in ihm — wie in den vier ersten noch eine H�hlung — ein andres annimmt, dann hat er den Unfrieden. Es ist der Unfriede, der sich weise d�nkt.“

„Ist dieses ‚wonneartige Selbst‘ ein Teil der Weltseele?“

Er stand auf, nahm ein Buch. Oft gebraucht, schlug es an rechter Stelle auseinander.

„Nein, gefl�gelte Perle, es hei�t, das Innerste jedes Menschen sei nicht eine Emanation, ein Teil des ‚Brahman‘: der Weltseele, sondern voll und ganz dieses selbst. Wer das erkannt hat, f�r den gibt es weder mehr eine Wanderung der Seele, noch eine Erl�sung. Er ist schon erl�st, wenn Erl�stsein bedeutet: Befreiung von der Notwendigkeit des Wahns, immer und immer wieder zu sterben.“ Und er las weiter: „Das Fortbestehen der Welt und des eignen Leibes erscheint ihm nur noch als eine Illusion, deren Schein er nicht heben, die ihn aber auch nicht weiter t�uschen kann ...“

Des Lesenden Stimme wurde tief und ganz ruhig: „... bis nach Dahinfallen des Leibes er nicht wie die andern auszieht, sondern bleibt, wo er ist, was er ist und ewig war: das gestaltlose Prinzip alles Gestalteten, das seiner Natur nach ewige, reine, freie Brahman.“

„Dann haben eure Saddhus und B��er,“ meinte J�-Chuan, „wiewohl sie Beherrscher innerer Kr�fte zu sein vorgeben, das ‚wonneartige‘ Selbst noch nicht gefunden, denn die Sage geht, ‚sie strebten ihren Leib zu vertausendfachen, um in den einen Gestalten die Sinnendinge zu genie�en und zugleich in den andern ungeheuern Kasteiungen obzuliegen‘?“

„Gewi�, der Jogi erstrebt das ‚tat twam asi‘: das bist du, die Befreiung vom Kerker des Ich, nicht in der Essenz, sondern noch in der �u�ern Illusion. Dieses Ringen der Meisterasketen mit den G�ttern um Macht, da� Vismavitra droht, einen neuen Indra zu schaffen, es spielt sich alles noch im Schein ab. Sich vertausendfachend, will der Jogi das ganze Weltgespinst der Maja zugleich sein, leiden und genie�en, alle Dus in seinem Ich vereinen. Versucht auch den schmerzlichen Druck jener Kette, die Karma hei�t, dadurch zu verteilen.“

„Was ist Karma?“

„Von jedem Gesch�pf sei wohl anzunehmen, meint hier der Vedanta, da� es in einem fr�heren Dasein viele Werke angeh�uft habe, die zu erw�nschten und unerw�nschten Fr�chten gereift. Der ganzen Welt Geschehen in jedem Augenblick sind eben diese Fr�chte. Das ist Karma. Da nun der Jogi in die machtvoll erweiterte Schale seines Ich die Herben und die S��en vieler Leben zugleich pre�t, stumpft er mit der S��e der einen bittres Gift der andern, das sonst vielleicht unvermischt auf ein blindes, kleines Einzelleben gefallen w�re und es ganz zerfressen h�tte, wie ein Tropfen S�ure eine Ameise. ‚Joga‘ scheint mir in manchem ein mystisches Dju-Djuzu: Jongleur-Trick, sich den karmischen Druck zu erleichtern. Vom wahren Wissen aber steht: ‚es verbrennt die Werke und den Samen der Werke‘.“

„Welches sind die Vorbedingungen f�r das Studium des Vedanta?“

Etwas befremdet sah er sie an: „Nat�rlich die gleichen wie beim ‚Tao‘ eures Lao-Tsu, oder dem achtfachen Pfad des Gotama Buddha: Verzicht auf Genu� des Lohnes hier und im Jenseits.“

Sie schwiegen. Dann bekam er sein glitzerndes, ganz junges Spitzbubengesicht. Neigte sich zur winzigen Quittenbl�te im Lack:

„Die gefl�gelte Perle m�chte nichts �bereilen. Erst wer sich v�llig ausgeliebt — ausgeha�t, ausgeglaubt — ausgezweifelt, kann den Weg des Vedanta beschreiten.“ — Dann mit einem fast v�terlichen Wohlmeinen: „den Morgen seiner Inkarnationen genie�en, dann als Grihasdha das Amt der Generation auf sich nehmen, erst das letzte Drittel des Lebens dem eignen ‚Brahman‘ weihen: mit Mantel und Schale in den Wald gehen, ein golden Geschlechtsloser, vollkommen Erwachter, Leidverl�schter. So befiehlt der Vedanta.“

„Befiehlt?“ — Aus dem Lotossitz, in dem sie wie ein zarter Buddha gekauert, erhob sich Gargi, die H�nde im Scho�. Erhob sich aus sich selbst, wie ein wachsender Halm. Stand vor ihm. Sie hatte manchmal eine Art, vor Menschen zu stehen, das Haupt zu neigen oder ein klein wenig zu sch�tteln, wenn sie nicht ganz einverstanden war, mit geschlossenen Lidern, die l�chelten. Um das zu sehen, widersprach er ihr bisweilen.

„Der Vedanta befiehlt nie, er belehrt nur.“ Sie z�gerte. „Seine Worte sind wohl viel zu gro� f�r meinen Mund, doch m�chte ich ihren Sinn nicht meinem kleinen Zufallsausdruck �berliefert sehen. Ich glaube, es hei�t dort: ‚Der Vedanta befiehlt nicht, er belehrt nur: �hnlich wie bei Belehrung �ber eine Sache dadurch, da� man sie dem Auge nahebringt. Darum werden alle Imperative, auf die Erkenntnis des Brahman angewendet, ebenso stumpf wie ein Messer, mit dem man Steine schneiden will. Denn das ist unser Schmuck und Stolz, da� nach Erkenntnis des Brahman alles Tun-Sollen aufh�rt, sowie alles Getan-Haben‘.

Wer in sein wahres Selbst einziehen will: das Seiende, Unzerst�rbare, mu� seine guten und b�sen Taten drau�en lassen.“

„Seine guten und b�sen Taten drau�en lassen, wie sch�n. Meine �ltere Schwester soll weiter sprechen,“ bat J�-Chuan.

Und Gargi fuhr fort; so einfach, als k�men ihr eigne Worte, doch in jener unnachahmlichen Haltung wie zuvor.

„Weise und ohne Falsch und frei von Begier in dem Gewoge steht er als Schauender und ohne Zweiten, er, dessen Welt das Brahman ist.

Wahrlich, dieses gro�e, ungeborne Selbst, das ist unter den Lebensorganen jener aus Erkenntnis bestehende selbstleuchtende Geist. Hier im Herzen inwendig ist ein Raum, darin liegt er, der Herr des Weltalls — der Gebieter des Weltalls — er wird nicht h�her durch gute Werke, er wird nicht geringer durch b�se Werke; er ist der Herr des Weltalls, er ist der Gebieter der Wesen, er ist der H�ter der Wesen, er ist die Br�cke, welche diese Welten auseinanderh�lt, da� sie nicht verflie�en.

Wer solches wei�, den �berw�ltigt beides nicht, ob er darum, weil er im Leibe war, das B�se getan hat, oder ob er das Gute getan hat.

Ihn brennet nicht, was er getan und nicht getan hat.“

„Wie aber verbreitet sich das Gute in der Welt der Sinne: des Scheins, die doch seiner noch bedarf, haben die Erleuchteten es l�ngst vergessen?“ frug J�-Chuan.

„Dadurch, da� sie sind. Wie beim Mangobaum, den man der Fr�chte wegen pflanzt, Schatten und Wohlgeruch daneben herauskommen, so kommen bei Entfaltung der Seele die n�tzlichen Zwecke in der K�rperwelt daneben heraus.“

Die jungen Frauen hatten die Bibliothek verlassen. Horus z�gerte noch. Ihn dr�ngte, ein paar B�cher an ihren Ort zur�ckzustellen. Wie barbarisch abgehackte kleine Glieder kamen sie ihm vor, so quer und verloren hingestreut, und der lebendige Leib der Wand verst�mmelt ohne sie.

Wie er so lieb mit ihnen hantierte, �ber das Korn des Leders, die braunen R�cken, gew�lbt vor Klugheit, strich: getastetes Plaudern, bis jedes wieder in seinem H�uschen stand, fiel ihm von ohngef�hr an entlegener Stelle ein unbekanntes Buch in die H�nde. Verwunderlich schien das keineswegs. Erasmusens und seiner Mutter Interessen waren zahlreich und verschieden genug, um ihn selbst noch kaum ber�hrt zu haben. Er �ffnete es eigentlich auch nur, weil es so schwarz, dick und auf dem R�cken ohne Titel war. Durchbl�tterte mechanisch lange, d�nne, engbedruckte Seiten. Erstaunlich b�sartige, ja flegelhafte Sentenzen stie�en allerorten wie unsaubre F�uste nach ihm: „Der Herr wird dich schlagen mit Feigwarzen, mit Grind und Kr�tze, da� du nicht kannst heil werden.“

Er staunte: „Ich wei� zwar nicht, was Feigwarzen sind, aber es wird schon danach sein.“

„Der Herr wird dir die Pestilenz ...“ nein, weiter —

„Der Herr wird dich schlagen mit Darre, Fieber, Hitze, Brand, D�rre, hitziger Luft und Gelbsucht und wird dich verfolgen, bis er dich umbringe ...“

Instinktiv hielt er das Buch weiter von sich ab, als zum Lesen unbedingt erforderlich.

„Verflucht wird sein die Frucht deines Leibes, die Frucht deines Rindes, die Frucht deiner Schafe verflucht ...“ Eine ganze Seite lang. Aber wozu der ganze Gallenergu�? — „Der Herr wird unter dich senden Unfall, Unruhe, Ungl�ck, bis du vertilget werdest und bald untergehest, um deines b�sen Wesens willen und da� du mich verlassen hast.“ —

Ja, h�rte denn dieses offenbar senile Keifen nicht mehr auf? Wer war �berhaupt dieser dubiose „Herr?“

„Und des Herrn Zorn ergrimmte zur selbigen Zeit, und er schwur und sprach: ‚... ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifriger Gott‘.“

Wie? — Ein Gott? — Mit schlechten Manieren, der fluchte — bad language gebrauchte? — Es gab also einmal irgendwo eine Barbarenhorde, die sich ihren Gott so vorgestellt? — Wie aber war es denn, wenn sie ihn nicht „verlie�en“, ihm „folgten“? Das mu�te doch auch bisweilen vorkommen. Er suchte und fand. Nun ward es ethisch aber noch bedeutend anr�chiger:

„Wenn dich der Herr, dein Gott, bringen wird in das Land und geschworen hat, dir zu geben: gro�e und feine St�dte, die du nicht gebauet und H�user alles Guten voll, die du nicht gef�llet hast, und ausgehauene Brunnen, die du nicht ausgehauen hast, und Weinberge und �lberge, die du nicht gepflanzt hast ...“

„Ah — da staun’ ich,“ dachte Horus belustigt.

„Und sie f�hreten das Heer wie der ‚Herr‘ geboten und erw�rgeten alles, was m�nnlich war. Dazu die K�nige der Midianiter erw�rgeten sie samt ihren Erschlagenen und nahmen gefangen die Weiber der Midianiter und ihre Kinder. All ihr Vieh, all ihre Habe, all ihre G�ter raubeten sie und verbrannten ihre St�dte, all ihrer Wohnung und alle Zeltd�rfer. Und nahmen allen Raub und alles, was zu nehmen war: Mensch und Vieh. Darum bringen wir dem ‚Herrn‘ Geschenke, was ein jeglicher gefunden hat an goldnem Ger�t, Spangen, Ohrringen ... Denn die Kriegsleute hatten geraubet ein jeglicher f�r sich ... und brachten’s zur H�tte des Stiftes zum Ged�chtnis ... vor dem ‚Herrn‘.“

So?

V�lker aber, die ihre sch�nen St�dte selber bauen konnten, belegte diese kleine Zuchth�usler-Tribus regelm��ig in wegwerfender Weise mit einer Art ver�chtlichem Sammelnamen: „Heiden“. — Horus am�sierte sich. Also dann waren Con-fu-tse, Pythagoras, Buddha alles „Heiden“, von denen es da hie�: „Also sollt ihr an ihnen tun: Ihre Alt�re sollt ihr zerrei�en, ihre S�ulen zerbrechen, ihre Haine abhauen ...“

Welch gewaltt�tige Borniertheit, Anma�ung, Bosheit und Intoleranz!

Gelegentlich schien der „Herr“ wieder eitel einen guten Eindruck auf diese „Heiden“ zu machen. Als er — zum wievielten Mal, war nicht ersichtlich — drohte, sein Volk um den versprochenen L�nderraub endg�ltig zu prellen, �berlistete ihn einer durch die Erw�gung, es w�re doch blamabel vor den „Heiden“; die w�rden sich am Ende darob mokieren. Das leuchtete dem Gott ein. Horus las nur so mit den Blickspitzen, machte Stichproben. War denn hier keine Spur von Natursinn? Entz�cken an edlen Tieren und der beseelten Landschaft? Darum diese d�rre, kl�gliche Angst; das Sich-als-lebendige-Welle-f�hlen, das fehlte eben. Nie wurde hier die Sch�nheit der Welt zum Gottesbeweis, immer nur Kr�tze oder wie hie� das andre? Richtig: Feigwarzen.

Da war ein auserw�hlter K�nig: David. Von dem stand: „Er f�hrete aus der Stadt sehr viel Raubes, und das Volk drinnen f�hrete er heraus und zerteilete sie mit S�gen und eisernen Dreschwagen und Keilen.“ Als er sp�ter eine Volksz�hlung vornahm, schien das dem Gott aus r�tselhaften Gr�nden nicht recht, wiewohl er selbst dergleichen doch wiederholt selbst anbefohlen. Zur ‚Strafe‘ sollte nun der K�nig w�hlen: Teuerung, Flucht vor dem Schwert seiner Feinde oder Pestilenz im Volk.

Traun, er m�chte gehorsamst um Pestilenz f�r sein Volk gebeten haben. „Da lie� der ‚Herr‘ Pestilenz in Israel kommen, da� siebenzigtausend Mann fielen.“ — V�llig Unschuldige also, an der Sache Unbeteiligte. Gleich darauf sahen Gott wie K�nig auch ein, das Ganze habe keinen rechten Sinn gehabt. �ber den Mord an den siebenzigtausend regte sich aber keiner der beiden weiter auf.

Da ekelte es Horus zwar, aber lachen mu�te er doch.

Gegen Ende des Buches machten die Leute einen ziemlich reduzierten Eindruck. Ein einziger kleiner Anf�hrer schien ausschlie�lich das Wort zu haben. Auch die Diktion hatte sich erheblich vermindert, die alte Barbarei, doch quasi um ein Stockwerk tiefer. Kleineres Keifen hub an:

„Und des Menschen Sohn wird seine Engel senden und die B�sen von den Gerechten scheiden und werden sie in den Feuerofen werfen, da wird sein Heulen und Z�hneklappern.“ — Dann wieder: „Ihr Schlangen und Ottergez�cht, wie wollt ihr der ewigen Verdammnis entrinnen.“ — Ja, eigentlich wo immer man es aufschlug: „Wer aber �rgert einen dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem w�re besser, da� ein M�hlstein an seinen Hals geh�nget und er ers�ufet w�rde im Meer, wo es am tiefsten ist.“

Komisch. Der junge Mann behauptete von sich, er sei „sanftm�tig und von Herzen dem�tig!“ — Dann umbl�tternd: „Und wird sagen zu denen zur Linken: gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist den Teufeln und seinen Engeln ... und sie werden in die ewige Pein gehen, aber die Gerechten in das ewige Leben.“ — Er schlug ein paar Seiten zur�ck. Schon wieder: „Da wird sein Heulen und Z�hneklappern.“ Jetzt zum f�nften Mal. Er g�hnte.

Ein Welterl�ser, ein Gottessohn mit dem Leitmotiv: „Na wartet, ich werd’s dem Vater sagen!“ Eben immer noch die gleiche, schlechte Kinderstube. „Es scheint in der Familie zu liegen,“ dachte Horus.

„Wehe dir, Bethsaida. W�ren solche Taten zu Tyrus und Sidon geschehen, als bei euch, sie h�tten vorzeiten im Sack und in der Asche Bu�e getan. Doch ich sage euch: es wird Tyrus und Sidon ertr�glicher gehen am J�ngsten Gerichte, denn euch ... und du, Kapernaum, die du bist erhoben an den Himmel, du wirst bis in die H�lle hinuntergesto�en werden ... Und wo euch jemand nicht annehmen wird ... so gehet heraus von demselben Hause oder Stadt ... wahrlich, ich sage euch, dem Land der Sodomer wird es ertr�glicher gehen am J�ngsten Gericht, denn solcher Stadt.“

Nicht annehmen — warum? Ja richtig: gerade vorhin hatten sich ja alle gesitteten Leute mit Recht beschwert, da� diese Rowdies sich nicht einmal vor dem Essen die H�nde wuschen.

„Strafe — Verdammnis — S�hne — S�nde — ewige Pein.“ — Er griff sich an den Kopf. Dieser ganze pauvre-brutale Vorstellungskomplex war ihm bisher an Religionen g�nzlich unbekannt. Als Symbol gewertet aber schien das alles ausschlie�lich dem Niveau kretinisierter Sechsj�hriger angemessen, wobei noch sehr zu fragen war, ob nicht gerade Kindern solche Zuchth�uslersymbolik unter allen Umst�nden fernzuhalten w�re. „Steinzeitbarbaren eben.“ Das tr�stete. Mitten inne diesem kindischen Gekeif stand ab und zu etwas wie ein Druckfehler: „Liebe“. Ja, wahrhaftig. Liebe wie Geifer vor dem Mund.

„Ich aber sage euch: liebet eure Feinde ... denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr f�r Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Z�llner?“

— — Also auch hier — selbst hier noch das ehrw�rdige Wort! Alt und s�� wie die Welt! Allen S�hnen der Sonne eingeboren mit dem ersten Hauch. Da stand es: Sturmbock in Vorders�tzen — als Kontraimitation der Z�llner — oder gar prostituiert mit „Lohn“? War das noch Liebe? Alles Warmbl�hende, Taumelnde, Sternenk�hne dahin, als w�re das ewige Wort in einen M�lleimer gefallen, aus dem Bucklige mit schiefen Fingern einander damit bew�rfen. Seine klare Keuschheit war irgendwie dahin, das von selbst Verst�ndliche: somit Anmut — Weite — W�rde. Selbstgef�llig, aufgeblasen, mit Protzerei, ja Schadenfreude fletschte es seine Z�hne, dieses: „Liebet eure Feinde“. Ausschlie�lich um strahlende Sieger zu bel�stigen, wie es schien: „So — jetzt habt ihr auch nichts davon.“ — Liebe als Antithese: aggressiv statt sch�pferisch.

Louche,“ — f�hlte er, „schlechthin louche.“ Und wie kam es, da� hier immer nur vom „N�chsten“ — vom „Feind“ als Objekt der Liebe die Rede war? Wo blieben Tiere als Ebenb�rtige? Wo Blumen, Wellen, Sonnen? Wenn Erkenntnis das Ich aus seinen R�ndern rei�t ins grenzenlose Tat-twam-asi; wenn in die wogende Fl�che des Geistes: den Tr�ger der ganzen Erscheinungswelt, die Iche st�rzen und sich erkennend zergehen: was soll da klein und futil herausgeeinzelt der „N�chste“, der „Feind“? Das Wort ist sinnlos geworden. Welche Pr�potenz dieses kleinen Volkslehrers, dauernd so zu tun, als habe er die Liebe erfunden. �berdies: Kein Wort vermeidet doch ein Mensch von Feingef�hl so sehr wie eben dieses. Er spricht es nicht — schweigt es aus. An ihm wird die Zunge ein dunkler Vorhang voll Scheu. Doch hie� es nicht irgendwo in einem grotesken Sprichwort: „Wer keinen Schnaps hat, spricht wenigstens von ihm.“

„Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden.“

„Heiden“. Also immer noch die alte Arroganz aus Ignoranz. —

Nun, der Mann schien selbst nicht eben wenig zu sprechen. Da waren Dutzende der erm�dendsten Tautologien: Gleichnisse, unanschaulich aus dem ewigen Mangel an Natursinn, einige dezidiert verungl�ckt: „Das Himmelreich als das Gr��te unter dem Kohl ...“ — Auch eine Predigt war da: gegen die Bildung, wie es schien. �berhaupt komisch, diese Wut gegen alles Wohlgeratene; dieser Hang zur Kontraimitation mit geh�ssiger Tendenz: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erh�het werden. Viele werden die Letzten sein, die die Ersten sind, und die Ersten sein, die die Letzten sind.“ Keine sch�pferische Idee. Nur aggressiv: „Ihr sollt nicht glauben, da� ich kommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht kommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.“

„Und weiter sage ich euch: es ist leichter, da� ein Kamel durch ein Nadel�hr gehe, denn da� ein Reicher ins Reich Gottes komme.“

Was hatte denn Armut oder Reichtum: �u�ere Zust�nde mit dem mystischen Aufbrechen der Lotusse in den Ganglien zu tun? Diese allein durften doch das „Reich Gottes“ hei�en, sofern es f�r Erwachsene Sinn haben sollte.

Doch genug. Noch immer peinlichen Befremdens voll, schob er das Buch an seinen alten Platz. Schlo� dann die Augen — hob das Haupt zur�ck in die goldne Wolke des Vedanta:

„Hier im Herzen inwendig ist ein Raum, darin liegt er, der Herr des Weltalls, der Gebieter des Weltalls: er wird nicht h�her durch gute Werke, er wird nicht geringer durch b�se Werke. Denn das ist unser Schmuck und Stolz, da� nach Erkenntnis der Seele als Brahman alles Tun-Sollen aufh�rt, sowie alles Getan-Haben.“

„Wer in sein wahres Selbst einziehen will das ‚Seiende‘, Unzerst�rbare, mu� seine guten und b�sen Taten drau�en lassen.“

„Weise und ohne Falsch und frei von Begier in dem Gewoge, steht er als Schauender und ohne Zweiten, er, dessen Welt das Brahman ist.“

„Ihn brennet nicht, was er getan und nicht getan.“

Die lange Welle des gro�en Atems — wie so oft — ging wieder durch ihn, und rein, als etwas, das irdisch nur dem lebendigen Glockenbrausen in einem Bienenschwarme sich vergleicht: unantastbares, gefl�geltes Gl�ck aus Glocken und duftendem Gold.

Wusch die H�nde. W�hrend der Strahl �ber seine gl�nzenden N�gel spr�hte, kam noch einmal unangenehm das Staunen zur�ck:

„Ethnographie in Ehren. Aber ist es denn wirklich n�tig, den Privatfetischismus jeder kleinen Barbarenrotte, die je gelebt, zu registrieren und zu bewahren?“

Und dann verga� er es. Denn er wollte mit den Frauen noch unter die Fr�hlingsgestirne in den Garten spielen gehen.

Vor dem letzten Rasthaus schwingen im Mondlicht die schlafenden Elefanten.

Durch den Silbernebel der vier ragenden Massen geht lautlos ein Riesenrhythmus lebendigen Traums. Schwereloses Schlingern und Rollen vor und zur�ck, die Tonnenflanken und das geh�ckerte Haupt hinauf; von Kautschuks�ulen elastisch aufgefangen — wieder r�ckgeleitet zu dem stillen Herzen, das voller Sanftmut mitten inne steht.

Jenseits der kleinen Lichtung schwingen noch leise die Luftwurzeln der Banjanb�ume mit, aufgeweht vom Wind der F�cher-Ohren, wenn sie um die geschlossenen Augen streichen. Ewig wache R�ssel aber umtasten wie in leiser Orgiastik die silberne Schwerelosigkeit der Nacht. Da reckt Rama-Krishna den seinen weit — mit dem sch�nen Schwung eines weisenden Frauenarms. Steht still. Hat tr�umend die Herrin erf�hlt. Und die zu Tragende erwartend, bricht er lautlos in ein m�chtiges Knie — das andre zart gespreizt und vorgeneigter Schulter —: leichte Leiter f�r die leichte Last, die er so manche Tage nun schon �ber Land getragen; und endlich hier herauf die duftenden Terrassen bis unter den Gipfelkopf des heiligen Bergs.

Da� es jetzt zu steil w�rde f�r ihn, zu schmal f�r seinen Bauch, da� er und die andern Reitelefanten bei dem Mahaut mit dem Ankus zur�ckbleiben sollten, das konnte er nicht wissen, wiewohl er ein Weiser war unter den Weisen.

Gargi, die ihn so dienen — knien sah, schlang die Arme um seinen Hals, steckte ihm ein Lianenstr�u�chen hinter den Ohrenf�cher, ein langes Zuckerrohr aber in die ganz und gar dumme S�uglingslefze. —

Dankend schmeichelt die R�sselspitze — wie eine Hand voll Geist — um ihre unbegreiflich edeln Arme. Ein Wink hei�t Rama-Krishna sich in die H�he richten, dann nimmt der Banjanschleier die Herrin auf; Luftwurzeln rinnen hinter der Diaphanen zusammen. Nur vom Zuckerrohr, dem safts��en, ist noch ein St�ckchen da. Und wie es zergeht, zergeht auch die Pers�nlichkeit, an der die Welle des gro�en grauen Traums sich brach. Wieder einfallend in den Riesenrhythmus lebendigen Schlafes, schwingen im Mondlicht die vier wartenden Elefanten.

Zwischen drei Fackeln steht der Schikari Aditja. Zwei brodeln gr�n aufw�rts in die Mangroven. Drunter h�ngt sein wei�er Turban: eine phantastische Ampel im Schwarzen �ber schwebenden Elfenbein�pfeln: den Augen. Der dritten schr�ggesenkter Schein beleckt einen Klumpen metallner Eheringe an den Wurzeln seiner ausdrucksvollen Zehen. Jeder Ring ein ineinandergeflochtenes winziges Paar: das M�nnchen Messing, das Weibchen Silber. Jedes eine neue Liebesverschlingung; alle von grandioser, �bermenschlicher Unanst�ndigkeit. Zwischen Turbanampel oben, Zehenringen unten ahnt man, als Schweifendes, den sehnigen J�gerk�rper aus verdichteter Nacht.

Sie steigen ins Steile — jeder mit seiner Leuchte; der Schikari voraus auf trocken schmalen Sohlen, fegt Flammen ins obere Dunkel, aus dem, treibt Hunger sein Eingeweide, der Panther sich zuweilen auch auf Menschen niedertropfen l��t. In Pausen st��t aus Aditjas Kehle etwas wie gezischter Vogelschrei: verwildertes, gleichsam bewaldetes: heiii — — heiiiiii! Damit die Giftwesen unten rechtzeitig zur Seite schmelzen k�nnen, was durchaus in ihrem eignen Interesse gelegen ist. Denn wozu schwer nachzuschaffenden Betriebsstoff an Beute verschwenden, bei der ein so dickes Ende nachkommt, da� an gedeihliches Verdauen doch nicht zu denken ist. Kein realer Fond in der Unternehmung. Mit steigender H�he wird der Boden h�rter, Aditjas „heiiii“ sch�tterer, bis es ganz erlischt.

Stille h�ngt — ein schwarzer Kessel — �ber den Dschungl gest�lpt. Lautloses Schicksal geht suchend durch die Finsternis mit phosphoreszierenden Lichtern. Niemand schl�ft, niemand gibt Laut. Nur dumme Papageien d�sen irgendwo oben vor sich hin. Manchmal ratscht ein Halbw�chsiger aus seinem Angsttraum eine Formel herunter, oder ein ganz Alter, der es an der Leber hat, versucht mit dem Nachbar unzeitgem��e Betrachtungen: dann ein Hacken Horn auf Horn. Und immer mu� er recht behalten. Auch gegen die Wildkatze. Unten r�umt man ihm schon den Bauch aus, und oben spricht er noch. Endlich ist sie im Men� so weit, bei�t ihm das letzte Argument in die Kehle zur�ck, und alles atmet auf.

Wieder steigt Stille im Dschungl bis zum Bersten. Schweifende Formen entsch�len sich dem Dunkel, schmelzen zur�ck, treten ins Blut; einbezogen, zugeh�rig wird der Mensch auf g�ttlichem Umweg Tier.

Kleine, harte, vielgestaltete Herzen klopfen nach innen hinauf in die gesteigerte Stunde des Lebens vor dem Tod. Woll�stiger Irrsinn der Angst, Seherschaft der Angst, seidne Pracht des Sprunges und der Flucht: Ku�, Bi�, Hunger, Mord, Liebe, geballt wieder zu einziger, zitternder Intensit�t. T�ter und Leider: Genie�er beide. Worte erhalten Ursinn zur�ck als wilde Krone: Gegen—stand, Hingerissenheit — Besessenheit.

Es lauert aus den Nieren der Dinge.

Unter dem Gipfelkopf rasten sie, vogelhaft eingeh�llt in Gr�n. Pflanzen lecken ihre H�nde mit fleischigen Zungen. Irgendwo aus einem Felseninnern kommt dunkles Dr�hnen, vage Erregung vieler K�rper. Als zitterten Metalle und Menschen im Berg. Aditjas spitze Ohren zucken auf, wie bei einem tr�umenden Schakal. Dann, sein flimmerndes Gebi� entbl��end:

„Rhodias Sahib. Es ist die Nacht der Shivat�nze.“

Horus erhob sich, angesogen von ziehendem Tumult. F�hlte sich nicht gehen, eher gleiten als Nadel ins magnetische Feld. — Lie� es geschehen. Denn es lag im Gef�ge seines Karma, an nichts vorbei, durch alles hindurch zu streben aus einer hochgemuten Art heraus, denn: Gargi und das Haus Elcho hielten ihn, zwei Polen gleich, blanker Sohle zu schlendern durch die Willk�r jedes Sudels.

Bog Schlingranken vom Eingang. Ihre Laternenbl�ten, weich wie Kinderhaut, best�ubten ihm Schulter und Brust. Trat ein. Die Gongwelle schlug ihn fast um. Fackeln in Ringen atmeten gelbwehendes Messing �ber die Felsenw�nde. Doch blieben dort und da quecksilberne Lachen von Nacht, in die des Jasmins w�chserne Ketten als Senkblei verschwanden. Ihr Duft �berredete gleich einer Frau. Mit den Armen schwamm er hindurch.

Fiebrig M�nnliches aus ger�stetem Hanf traf seinen Atem. Bl�ulicher Aasgestank stie� von irgendwo in den Ritus. Auch das Saure von Metall, anliegend Menschenk�rpern. Wie Meer gekr�mmte R�cken wogten ringf�rmig um ein Piedestal. Ring in Ring, Welle hinter Welle: �lig — nackt. Die Gesichter unsichtbar, bodenw�rts zugekehrt einem Zentrum: Shiva. Schneewei�, entr�ckt, asche�bergossen hockte der Gott. Neben ihm sein Stier Nandi. Vorn, aufgereckt aus Palmenmark: Durga, die fisch�ugige Gattin. Durch ihren herrlichen Tigermund geht querhin ein wagrechtes Schwert voll Blut.

Horus f�hlte einen Atem aufrecht neben sich. Mit hochausgeschnittenen Z�gen, ein sch�ner Ephebe, wohl Fremdling so wie er in dieser H�hle, sah auf die gierbereiten R�cken aus Augen, blauschwarzer Gedanken voll. In Sehnsucht und Verachtung. Jetzt stiegen die Gongs zu einem Taifun. Auf seiner Spitze brach ein Ri� durch die R�ckenwellen, als wirbelten Trichter aus Fleisch: jeder zweite konzentrische Ring warf sich um seine Achse herum. R�cken sog sich nun an R�cken fest, zu einem obsz�nen Bogen. Obsz�n, denn es war kein w�hlendes Auge an ihm. Jeder Mund verbi� sich in einen Mund, der nicht zum Leibe geh�rte, mit dem er in blinde Vermischung fiel. Hanf, Jasmin, Aasgestank trieben durch die N�stern Unzucht miteinander. Eine Pause, und aufgetrieben von metallenem Geheul, warfen die verfleischten Ringe sich aufs neue blind herum. — Aus dem Schweif des Auges erkannte Horus, da� der sch�ne Knabe mit den hochausgeschnittenen Z�gen nicht mehr an seiner Seite war. — Jetzt, inmitten der Orgie, sah er auch die K�pfe der outcasts: der kastenlosen Rhodias. In rassigen Tierk�rpern allerhand rasselose Menschengesichter, schlechte Nasen, schief, flach — noch von keinem edlen Atem hochgew�lbt. Outcasts eben, die das z�chtende Joch der Kaste auf sich zu nehmen unf�hig geblieben.

Mit kalter Schulter drehte er dem Ausgang zu. Unerregt, kaum angeekelt, so fern diesen in seinem klaren Blut. Ein Queres vor dem Eingang lie� ihn stocken. Da lag der sch�ne, leidend stolze Knabe der Schlingranke verm�hlt. Erl�ste sich in einen ihrer fleischig zarten Kelche, indes sie: eine androgyn Geliebte, aus drei Bl�ten sich ihm in Mund und H�nde als golden-mildes Mehl ergo�. Sanft — fast and�chtig stieg er �ber ihn hinweg.

Feiner Schauder der Fr�he erhob sich gipfelw�rts. Kleiner, intensiver wurden alle Dinge hier oben. Greller, herber. Gerannen zu Klumpen Herzblut an den Rhododendren. Nur Deodar-Zedern stiegen noch hoch auf, und abgeplattet im Himmel lagen die ringf�rmigen Federsterne der Araukarien.

Es roch nach der Essenz Gottes.

Leichte Schritte lebten auf, verdichteten sich aus allen Richtungen der Pyramidenspitze des heiligen Berges zu. Ein Pilgertag. Stimmen silberten in Lachen, das ein t�nendes L�cheln war. Aus B�schen streifte ein Nachtpfauenauge hervor oder das Samtgesicht einer Frau. Von �berall feine Wesen, ein Kind auf der H�fte, waren die ganze Nacht gestiegen und doch wie unbeschwert auf ihrem Sandalenf�cher, der nach den Zehen wunderbar abgestuft, die erste �bertrieben von den �brigen schied, so da� Spitze, Ballen und Innengeburt der Ferse eine Gerade zu bilden gezwungen waren. Neben Schm�le von Schenkel und Knie das Geheimnis tropischen Frauengangs.

Noch ein paar Spr�nge aus dem Moosigen ins Kahle und in den Tag. Denn schon trug hier oben die s��e Brust der kleinen V�gel des Nestes Rundung entbunden durch die Luft.

Da erschuf sich mit Eins riesenhaft aus dem Leeren ein saphirner Kegel — hing durchsichtig: wie geisterhafter, tiefblauer Kristall, an zwanzig Vollmonde gro�, frei im Raum; den ganzen westlichen Himmel erf�llend. Blendend, be�ngstigend und unbegreiflich, als h�tte ein sehr aparter und eigenholder Djinn geruht, sich einen Leib aus �ther und aus Stahl zu bauen. Schwebte ohne Ort — hart, doch unirdisch, fast mit H�nden greifbar und auch wieder an den Grenzen der Erdatmosph�re zugleich; stahlblauer aus-sich-selber-seiender Gott.

Bis, wie von Glanz befiedert, ein B�schel goldner Pfeile von der schwirrenden Sonnensehne her quer durch die Welt brach — und in seinen Leib. Da, nach r�ckw�rts auseinander weichend in immer weiteren, eisgraueren, durchsichtigeren Kegeln, schwand er, bis der letzte so gro� war wie das Nichts.

Leicht aufschauernd sah Horus in das zerplatzte Juwel. Es war nur der Schatten des Gipfels gewesen, auf dem er selber stand, von der �stlichen Sonne in seinem R�cken auf eine tr�be Dunstbank geworfen, die jetzt zerrann. Nicht mehr fasziniert von dem westlichen Ph�nomen, merkte er sich auf einmal abgekehrt, arrhythmisch, in seiner Blickrichtung allein, denn alle andern neigten dem Lichte zu.

Da wandte sich auch er. Und im Augenblick des Querstands sah er die Menschen, alle flimmernd vor Aufgang, wie noch nie. Sah die �therischen Lichtb�ndel von dr�ben in ihnen endend als Figur. F�hlte: so stehen k�nnen in freier Ehrfurcht ist alles. Ununterjocht von seinen Gliedern, in Gew�ndern edel und belebt. Begriff die R�nder der Dinge, begriff: wie sich etwas gegen alles andere, gegen das Gestaltlose abgrenzt, macht seine Berechtigung aus, da liegen Wert und Unwert der Pers�nlichkeit; und zu dem der Kontur jedes Wesens redet, der ist lebendig geworden an seinen Augen, der geht den Weg des Auges in das ewige Licht.

Sah M�nner — Frauen — Kinder: jedes in geheimnisvoller Sonnenschrift mit dem Ende des Strahls auf ein Stirnblatt von Stoff geschrieben. — In freier W�rde, nobler Folgsamkeit gegen ein hoch �ber seine Einsicht hinausragendes Kr�ftespiel, glitt jedes an die gewiesene Stelle: reiner Buchstabe, gehorsam seinem Ort, auf da� mit seinem Leib das verborgene Wort aus unersch�pflicher Tiefe her sich bilde; auch jederzeit bereit, weggel�scht zu werden von der Tafel jener gro�en Sonnenschrift.

Ohne w�rdeloses Zappeln. Denn er hatte sie sterben sehen, diese Wesen aus dem Blut der Sonne — wie oft: in Pest und Hungersnot. Wie sie die edelbewahrte Pers�nlichkeit, den wundervollen Kontur verlie�en, um l�chelnd im Tod alles andre wieder werden zu k�nnen, und doch wuchsen ihnen k�hne Paradiese hinter den schmalen Stirnen, und aus ihrer Mitte traten Gewaltige heraus, auf deren Wink die Zeit gerann — zitternd stand — oder zerfiel.

Er sah in diesem Sonnenaufgang an ihnen das tropisch schwerelose M�hen und Sterben als untrennbares Kontinuum gelebt. Sah in das wallende Gespinst aus Laubkronen, Vogelflug, Sonne, K�ssen, Quellen, Atem den leuchtenden Todesfaden geschlungen: Ariadnefaden in die Freiheit; jederzeit wieder alles sein zu k�nnen: Blume, Tier, Licht. — — —

Wahn des Tuns fiel ab von ihm:

„Vielleicht ist Arbeit S�nde.“ — Der mit dem Aschenauge: sein verborgner F�hrer, wu�te es gut: nichts ber�hren, was aus Arbeit stammt. Nur dort leben, wo die sch�pferischen Wellen vieles Lebendigen durch uns gehen, das magische Fluidum aller freien Gesch�pfe uns erf�llt und tr�gt wie zeugender �ther. Verwoben all diesen war er mit dem Blutnetz seiner ganzen wundervollen Jugend. Wu�te es wie noch nie in diesen Tagen des Abschieds, da er reif und frei, auf festlich erh�htem Deck, endlich hin�bergleiten sollte zu den Wesen wie aus Schnee und Gold, in ihre wei�e Welt.

Einen Augenblick sprang sein Herz an das Gitter des Entschlusses. Doch er hielt. W�rde — mu�te halten, auch bei anderm Abschied noch: Erasmus.

Die Elefanten drehten heim. Da warf er sich aus dem Palankin von Gargis Seite flach nach vor — nichts mehr vom Abschied sehen — pre�te das Gesicht zwischen die Stirnbuckel Rama-Krishnas, verging dort im Geruch von Met und Sand. Wie Tafft rauschten die zerfransten Ohren auf. Im luftigen Wiegen des Elefantenganges kamen und fielen rhythmisch in ihn die Jahre vor seiner Mutter Tod. Waren ein unaufh�rliches Fest gewesen, als f�hle jede Stunde sich gedrungen, ihre ganze Wahrheit auszujubeln. Flie�ende Steigerung, klarer Rausch schien auszugehen von den silbrig erweiterten Augen — dem Schatten verhohlenen Drogengeruchs um die Nasenfl�gel der Nicht-Kranken, Nichts-Leidenden, nur immer Zarteren, als verwehe sie in Dekoktionen von Halmen und Gr�sern, zwischen Ausbr�chen ihrer kindlich frohen, burschikosen, purzelb�umigen Lustigkeit. Es war etwas so Menschliches: dies �ber-allem-Stehen, gab ihr den zeitlos-alterlosen Charme: — hatte ihn gegeben. Nun lag ihre Asche im Fundament des Riesenrefraktors eingeurnt.

Langsam stieg er zum Kuppelraum und seinem Fl�gel auf, den Erasmus selten mehr verlie�, seit dort, �ber Diana Elchos zerfallenem Herzen, das gro�e Auge in den Raum wuchs.

Wie lang so eine Wendeltreppe war: ein ganzes Leben lang. Er stieg sehr still, denn viel kam er zu bitten. Ihm war, als zertrete er Geist mit jedem Schritt.

Kam, den gro�en Freund niederzuzerren aus dem Reich, wo man, der niedren Sorgen frei, „vermittelst eines unzerst�rbaren Erzgef��es aus den f�nf Brunnen sch�pft.“ — Auch hemmte ihn Erinnerung an etwas in van Roys Gesicht vor seiner Mutter Tod. So, als w�ge ihn dieser mit den Augenschalen, ob er „es“ wert. Irgendeinen verborgenen Preis wert, — vielleicht war es Einbildung gewesen? Die Herzlichkeit im Geistigen hatte niemals nachgelassen — Erasmus zog sich nur auf ein gro�es, jahrelanges Werk zur�ck. Duldete au�er Gargi niemanden um sich. —

Horus trat ein. Etwas wie Glas und Schnee lag in dem stillen Kopf �ber der elastischen Gestalt. Sterngraue Augen sahen in seine goldnen. Sahen den Abschied. Er frug nicht, wie lang.

„Sei meinem Kind, was du mir warst. Solange ich fort bin.“

Erasmus wies um sich: „Ich habe noch so viel zu tun und vielleicht nicht mehr viel Zeit.“

„Sei Gargis Sohn, sei meiner Mutter Enkel, was du mir warst.“

„Geht Gargi mit dir?“ — Sah die Augenbrauen des Erstaunens, winkte lachend ab. Dann resigniert: „Es soll geschehen — ich werde alles tun, so gut ich es nur irgend wei� und kann.“

Noch hatte er an Gargi nicht die Zumutung gestellt, um seinetwillen ihr Kind so lange allein zu lassen. Besonders, da J�-Chuan, von der er Liebe, doch niemals Kinder so fremder Rasse sich gew�nscht, nach China heimgekehrt war, um eines Jugendfreundes erste Frau und Mutter seiner Erben zu werden. —

Da nahm sie die Pein des Wortes von ihm. Dem ungeheuren wei�en Dasein endlich so nah, war er in seliger Versunkenheit zu den Kraftanlagen, dann durchs Haus der Elchos gewandert, vom Orgel- bis zum Statuensaal. Blieb, das Wesen der Pallas und Nausikaa im Blute, wie gr��end vor einer Kore stehen: „Bald werde ich dich leben sp�ren.“

Da r�hrte ihn eine Stimme an — ganz zart:

„Darf ich sie suchen helfen?“

Er beugte sich �ber ihre lange Hand: „Meine liebe Gazelle.“

Zweites Buch

Europa nahte.

Durch schweren Nebel pfl�gte sich die Jacht Marseille entgegen. Nur drau�en vor Aden hatte sie Kohlen eingenommen. Orient zum letztenmal.

Wie losgel�ste St�cke rotbr�nstiger Klippen, waren ihr von der Steilk�ste nubische Knaben entgegengesprungen in eine kobaltblaue See; zwischen den Lippen Dolche und auf ihre feuerfarbnen Sch�pfe festgebunden Amphoren aus buntem Strohgeflecht, gef�llt mit lieblich freien Dingen handwerklichen Spiels. — Man hatte die Knaben beschenkt, doch nicht j�h entlassen, so dankten ihre K�rper durch Tanz auf der Violinenbrust des Decks; warfen aus blanken Gliedern empfangene Freude den Spendern zur�ck.

In der Reeling spiegelten sich, metallisch ins Messing gew�lbt, breite Nilaugen, wie nasse Kastanien braun und wei�, und Hennarot schroffer Sch�pfe.

Ganz nah um das Schiff st�rzen pausenlos, in goldbraunen Ellipsen die Falken von Aden. Ihre schr�gen, j�hen, stets geschlossenen Kurven scheinen ein neuer, rotierender, geisterhafter K�rper im Raum, als dessen milchwei�es Herz die Jacht steht. Geruch durchsonnten Gefieders steigt und sinkt mit ihnen: paradiesisches Zimt, verbrannt auf Fl�gelalt�ren hundertfach.

Schwingt am Seil des Lichts einer der gro�en K�rper schr�g um den Bug, dann — auf Armesabstand — wendet der Blau-Bekr�nte aus g�ttlichen Schultern heraus ruhevoll das Haupt. Sieht lidlosen Auges golden in das Auge der Menschen.

Dann steht sein Flug und in ihm die Zeit. An einem Faden Licht h�ngt er vom Scheitelpunkt der Ewigkeit herab, mit gebreiteten Schwingen aus stillem, schwerelosem Stein.

So also: hellges�umt, sich myrtenbl�ttrig �berlappend steigt das Gefieder auf von Hals zu Haube. Zweihundert Federchen — dreihundert — dreihundertvierzig. Nein, nur genau. Noch einmal z�hlen. — Da schl�gt ein Augenlid die Zeit. Schw�chlich, menschlich.

Hochm�tig und befremdet ab kehrt sich der starke Vogelblick. Schr�g ins Geschehen schlagen wieder Schwingen und verschwinden.

Die Flugbahn eines m�chtigen Sperbers war immer wieder vor dem Bugspriet knapp an Gargi vorbeigestrichen, die, von mondsteinfarbnen Schleiern umweht, ungeblendet im flie�enden Licht stand. Jedesmal in Herzn�he wandte sich der gro�e Vogel, sah grell in den unbegreiflich sanften Samt ihrer Augen. Sie rief ihn an. Bog das n�chste Mal ganz sich ihm entgegen; warf ihren Schleier nach seinem Hals. Das erschrockene Tier hackte zu, durchstie� mit Schnabel und Kopf das d�nne Gespinst, und so, umwallt von dem Schleier der Frau, stieg es und trug ihn, sich steiler und steiler schraubend, immer neue Sph�ren aufrei�end, in einen lotrechten Trichter von Licht.

Sie sah ihm nach, verz�ckt zur�ckgeworfen. Hochgereckt zum Flug: auf federndem Zehenf�cher ein befiederter Pfeil.

Da griffen gewaltt�tige H�nde von r�ckw�rts um sie.

„Man streut Mythen aus!“

Hart und geschickt senkten sich z�rtliche Fangz�hne um die Kn�chelchen ihres langen Nackens. Dann — sanft schnurrend — eine Pranke auf der Beute, l�ste Horus seinen Bi� aus dem Schmelz von Gargis Haut. Dort blieb die zweiunddrei�igzackige „Perlmuschel“: sein Privatsiegel.

Im Roten Meer lie� er sich den Kapit�n kommen:

„Sie vertreten mich, bis der Kanal passiert ist. Port-Said, Suez, nur den n�tigsten Aufenthalt. Sind wir im offenen Mittelmeer, so melden Sie es in meine Kaj�te. Dann t�glich das Logbuch, sonst nichts bis Marseille.“

Der Japaner nahm die Papiere, verbeugte sich. Er aber schritt — ehrf�rchtig fast — die leichtgedrehte Treppe abw�rts. — Der Geburtsweg! Treibt es mich das n�chste Mal aus diesem milchwei�en Bauch, ist es in unerh�rtes zweites Leben hinein, wie es wenig Sterblichen verg�nnt. Dann rei�t mir die Eihaut des Auges vor der wei�en Welt. Ganz und auf einmal. Kein gottverbotenes: „allm�hlich“ f�r mich — — ho ho, nicht f�r mich.

Er schlug den Blick zur�ck: jugendw�rts; k��te mit den Wimpern die Erinnerung, Diana Elcho. Wand sich genie�end langsam die Treppe hinein, wie in eine Schraubenmutter. Von Holz zu Holz, dem starken, reinen, messingges�umten, sank er; aus seinem Herzen aber stieg es noch immer wie ein Faden Licht, hing ihn an den innersten Trichter Gold, den unbeirrbar aufkreisend der Sperber, von Gargis Schleier umwallt, lotrecht �ber ihm in den Scheitelpunkt der Bl�ue eingekerbt. Als letztes Bild aus dem fr�heren Dasein wollte er dies hin�bernehmen mit sich in die neue Verk�rperung.

Versiegelte dann seine Sinne f�r alles Droben und Drau�en, sammelte sich in Ehrerbietung der ungeheuren, wei�en Freude entgegen. Das Werk f�r diese �u�ersten Tage lag l�ngst bereit. Er schlug es auf: A. Einstein, „Zur Elektrodynamik bewegter K�rper.“

Die Maschine stand.

�chzen der Taue von einem starren Dr�ben. Die Eingeweide der Jacht schoben sich schief. Noch ein paar Schraubenwirbel nach r�ckw�rts. Sie lag Europa an. Die Schenkel hatte er sich auf den Stuhl niedergepre�t, mit Griffen wie Klammern, diese letzte halbe Stunde, jetzt flog er hinauf, sprang hin�ber: alles zu erleben mit ausgebreiteten Armen.

Stand in Europa.

F�hlte sich an diesen liebeer�ffneten Armen beiderseits gepackt. Fahler Gestank nach toter Haut unter schweren Stoffen traf ihn aus den �rmeln zweier Gesch�pfe heraus. Sonst staken sie bis zum Kleinhirn fest in hartem, schmutzigdunklem Gewebe und vielen Metallkn�pfen an der Leber. Auf dem Kopf stand ihnen ein zweiter Kopf aus finsterem Blech mit Schild und einer Nummer.

„Halt — verboten. Erst die Hafenpolizei, — zur�ck!“

Irgendwo schlug es Mittag. Da barst �ber der Erde ein Geheul, johlend vor b�ser L�nge — klagender Wut. Es war wie das hoffnungslose, tote Geheul, mit dem ein Unding sich selbst bejammert.

Ganze Beete von Sirenen vomierten ihre schrillen Trichter in eine Wunde aus widerwilliger Luft. Die Arme sanken ihm. Er blickte auf. Dunkle Schwaden schwimmenden Kotes hingen in der Atmosph�re. Die Technik ben�tzte den Himmel als Kloake der Zivilisation. Kanalisierte ihre Exkremente verkehrt in ihn hinauf — reduzierte sein Blau zur Latrine.

Zur�ck eskortiert, stieg er noch einmal in den reinen Leib seiner Jacht hinab, hinter den zwei Blechk�pfigen drein. Jetzt nur kein Nachgr�beln, was denn diese beiden unter Europ�ern zu suchen hatten, deren Rasse sie doch nicht angeh�ren konnten; lieber gut anschauen. Eigentlich war da nur ein Streifen Haut im Nacken �brig; wo der harte Stoffring dran rieb, hatte der eine ein aufbrechendes, der andre ein abheilendes Furunkel. Sonst war r�ckw�rts nichts Lebendiges an ihnen frei sichtbar.

Der Japaner hatte alles geordnet, man durfte da sein.

Diesmal schob sich drau�en an Land ein amorpher Lebenshaufen umher.

Stumme Klumpen hatten sich von ihm gel�st und vor der neuen Jacht mit ihrer rein asiatischen Bemannung gestaut — in merkw�rdig vag geballter Mi�gunst.

All diese Wesen schienen es noch zu keinem einheitlichen K�rper gebracht zu haben. Sahen irgendwie aus, als tr�ge jeder die ausrangierten Gliedma�en eines andern auf: fremde Beine in eignen Hosen, und diese wieder unpaar. Sammler von Organteilen ebenso gemischter als einwandvoller Provenienz. Auch an Kolorit: br�unlich, gelblich oft, manchmal violettgesprenkelt, meist aber wie mit fahlem Eiter statt Blut gef�llt, erschien die Haut.

Wer mochten diese mi�farbigen Barbaren sein?

Sie schienen sich ihres tr�ben Baues jedoch keineswegs bescheidentlich bewu�t, zergafften vielmehr mit h�mischer �berheblichkeit das rhythmische Arbeiten der gelben Matrosen. Als jetzt die beiden morgenl�ndischen Gestalten auf dem Landungssteg erschienen, brach der Haufe, ohne ersichtlichen Grund, in ungezogenes Gebaren aus. Der Japaner n�herte sich, und hinter dem gelben Tarnhelm seiner Gesittung hervor:

„In Port-Said mir erlaubt, N�tiges f�r erhabene Ankunft besorgen. Sir und Lady zu sch�nes Gewand. Risken Insult. Wenn aber insultiert worden, Sir und Lady daf�r eingesperrt.“

Dann mit kaum merkbarer Ironie vor des andern blanker Miene, die zu fragen schien: „Was geht es Menschen an, wenn andere Menschen anders gekleidet gehen?“

„In der erhabenen Heimat von Mob mi�handelt werden verboten — f�r Mi�handelten. In der erhabenen Heimat das hei�en: �ffentliches �rgernis erregen.“

Jetzt war er endlich ebenso t�richt, kl�glich und schmerzhaft gekleidet, wie der amorphe Haufe dr�ben. Nun, im Inneren der wei�en Welt konnte man das ja alles wieder abtun. Um viele Weihest�tten gab es �ble Gasg�rtel von unbegreiflicher Pest; in unmenschlicher Vermummung mu�te der Sucher: der Zu-Pr�fende, hindurch.

Unbeirrbar im Wohllaut seiner Pulse — unangreifbar in seinem eignen Kraftfeld schritt er — Gargi auf den Armen seiner Seele — in den Ring aus fahler Mi�zucht hinein.

Nur einmal zuckte es doch in ihm auf: irgendein Kerl, F�uste in Hosentaschen, hob auf gespreizten Fersen, mit vagem Hohn Gargi seinen Geschlechtsteil entgegen, pfiff durch Lippen, an denen jeder r�udige Hund genagt:

Oh la la — les petites fesses!

Die wei�e Glorie lie� ihren Saum auf grauenhaft raffinierte Art beh�ten.

Hinter dem gestauten Haufen l�ngs des Kais zappelten oder trollten andre Massen aufgel�st nach allen Richtungen in gem�rtelte Zeilen hinein, deren einzelne Bauglieder nicht organisch — nur durch eine Art z�her R�ude — endlos aneinanderklebten.

Gegen das Zentrum der Stadt ri� diese z�he R�ude �fter zu Pl�tzen auf, und dazwischen ragte gro� aufgedonnertes Ger�mpel, rattenhaft angeknabbert von allerhand Stilen, und an ihm irgendwo ganz drau�en stand meist: libert� — fraternit� — �galit�. Auch ein Gasometer mit Apollo kam. Den Eingeweiden des Geb�udes entquoll es figural. Bruchb�nder aus Marmor hielten das dann alles wieder leidlich um seinen Bauch zusammen fest. Oft vor solchen Bauhaufen — wohl an gro�en Kreuzungen auch — standen bekleidete M�nner aus Bronze, denen unbekleidete Frauen Kr�nze, Partituren, Pinsel und Wagen hinstreckten. Oder das Auge erwischte, gerade noch, ehe sie auf dem Pflaster zerschellen w�rden, �ber Postamenten metallne G�ule, sich ein Eisenst�bchen in den Huf tretend und hinten auf etwas, halb St�tzschwanz, halb Kaskade, geb�umt. Von ihren R�cken herab schwangen Wilde in Affenjacken S�bel gegen die elektrische Stra�enbahn.

Nicht Luft, nicht Landschaft, noch gem�rtelten Zeilen, Bauhaufen, noch Verkehrsmitteln lebendig verm�hlt, lagen diese Bildwerke: Tr�mmer von Stilen, als unverdaute Bronzebrocken im Stra�endarm umher.

Und nirgends Europ�er. Immer noch trollte es sich am Fu� der aneinanderklebenden R�ude in dieser sonderbar geballten Mi�gunst, keuchenden Freudlosigkeit. Immer noch staken Wesen bis zum Kleinhirn in falschen H�lsen von der Farbe verwesenden Schmutzes, hatten, wenn auch ohne Schild und Nummer, den doppelten Kopf: senkrecht �ber dem Kopf noch einen. Daf�r keine Zehen, keine F��e — und darum keinen Gang; ja, sie gingen ohne Gang in harten schwarzen Lederklumpen: Einhufer, doch unecht auch als solche.

Das — �berall dazwischen — sollte wohl „Frauen“ vorstellen? Aber es kam so verschieden vom Manne, wie von einem andern Ende der S�ugetierreihe, daher. Schien aus den verreckten �berresten aller Reiche zusammengestoppelt, als h�tte es sich auf dem Schindanger der Natur ausstaffiert: tote Hinterteile zerfetzter V�gel staken auf dem Doppelkopf, um den Hals hingen gegerbte Raubtiere mit Glasaugen und Schnauzen aus Pappe. Kleidung behauptete Organe, die es doch zum Gl�ck gar nicht gab, oder nur ganz wo anders, und auch dort viel unauff�lliger. Ein h�lzern �bertriebener Versuch, niedre Lebensstufen zu imitieren, auf denen das Weibchen derart unget�m, verkehrt, unwahrscheinlich und auffallend wirkt, wie einer andern Art zugeh�rig. F�r die M�nnchen h�herer Organismen ist das dann nicht mehr n�tig — die merken’s schon so.

All diesen �berkleideten, ob M�nner ob Frauen, war eins gemein: ihre K�rperteile schienen nicht recht ineinandergeschmolzen vermittelst jener feinsten �berg�nge, als welche allein das Ebenma� zu wirken verm�gen: anmutbewegtes Leben. Jedes Glied hatte etwas an sich, als w�re es nach einem doppelten Bruch irgendwo ein wenig verkehrt zusammengeheilt, wisse nicht mehr in seligem Flu� durch Gew�nder hindurchzuschwingen.

Doch auch zum Herdenrhythmus hatten diese Wesen es noch nicht gebracht. Das �berstie� sich unaufh�rlich oder zuckte zur�ck vor Stra�enbahnen, Autobussen, Elektromobilen. Dieses anders bewegte Tote trieb seine Rhythmen als Keile quer in den Puls der Menge hinein, streckte — staute — zerri� ihn. Alle atmeten ja wie verst�rte Fr�sche.

Zu Hause im gro�en �ther war das nie gewesen, doch hier schien Lebendiges in seinem Kreislauf so verarmt, da� es sich masochistisch duckte und wand, vergewaltigen lie�, oder floh vor dem fremden Tempo der zugleich untoten und unlebendigen Zwitter. Da� Benzin dem Blut befahl!

Und da war etwas im Blick. In diesen verknoteten oder zerronnenen Gesichtern war ein Blick: sauer und h�lzern, der nicht sah. Als w�rde die ganze Umwelt absichtlich in den gelben Fleck der Netzhaut ger�ckt. Vielleicht um die Bauhaufen nicht sehen zu m�ssen, die r�udigen Zeilen, die verwickelten Bronzekl�tze im Stra�endarm, die trippelnden Schindanger, sich selbst, oder die Kilometer unbegreiflich aggressiven Krams, mit dem das gl�serne Unterteil der H�user ausgestopft war. Warum das auch noch hinter Durchsichtiges r�cken, statt in die Dunkelkammer?

Und dann l�chelte er doch wieder durch Unbehagen hindurch, wie ein Geburtstagskind, wenn es regnet.

Das war ja alles noch der �ble Gasring — die Schranke der Schrecken —, nur unbeirrt weiter im eignen Kraftfeld schreiten, durch alles hindurch, �ber alles hinweg, bis man zur wei�en Rasse kam.

Es konnte nicht den ganzen gro�en Geburtstag verregnen. Und dann zuckte er doch zusammen — zum zweitenmal heute. Er hatte die Stellung der Europ�erin gesehen: F�uste in die H�ften gestemmt, mit vorgetriebenem Birnenbauch, Gekeif vomierend — hemmungslos. Und der begeiferte Mann, wiewohl furchtbar von Gebi�, mit von Saublut beschmiertem Schurz und breitem Messer, schlich eingezogenen Ges��es vom Gr�nkramladen weg. Selbst seinem harten Ohr ward �bel.

F�uste in den H�ften: diese Meg�ren-Stellung der Frau war Indien und China unbekannt. Zorn erfand dort andere Geb�rden.

�ber das zerhackte Gezappel des Lebenshaufens flo� es pl�tzlich als gro�er Bronzeton Asiens hin — Chinas. Oh, Glocken. Wie warm. Er sog die t�nende Welle tief in seinen Leib, ging ihr nach �ber einen Platz — �ber Stufen — durch ein braunes T�r-Kissen in den Duft von erkaltetem Orient hinein und einen gro��berkuppelten, menschenleeren Raum. Flammicht verschroben war alles an ihm: schraubenf�rmige S�ulen, als wollten sie jeden Moment, wahnsinnig rotierend, sich in den Boden einbohren und verschwinden, entlie�en oben Wolken aus steinigem Eiter; aus allen Ecken quoll es, bauschte sich grau, mit grellen Papier-Rosen beh�ngt.

Gewesene Menschen schlurften die Nischen entlang, knicksten vor einem schlechten, angenagelten Akt. Reste von Weibern waren in trief�ugiges, klangloses Pl�rren vor ihm versunken. Nein, versunken nicht: ihre Rattenaugen funkelten dabei aus dem Halbdunkel ganz n�chtern gegen die beiden freien und stillen Fremden. Er wischte sich die Schleimspur dieser Blicke vom Gesicht.

Aus graumarmornem Schaum und winselnden Geb�rden, aus schr�gem Gehimmel gemalter Posen, von �berall kroch es flammicht um den schlechten, angenagelten Akt.

Um ihn schienen die versteinerten Unluststoffe einer ganzen siechen Welt zu Prunk geballt. Als h�tte ein riesiger und bleicher Buckliger mit schiefen Leichenfingern sich eine �berladene Apotheose eigner Dekrepidit�t an diesem Raum geschaffen. Doch warum waren die wonnigen Glocken und Asias Duft gerade an diesen welken, eigensinnig verschrobenen Ort f�r erloschene Menschen gebunden?

Am Tore suchte er nach einem Anhalt, wo er eigentlich gewesen, fand �ber dem Portal etwas von „Jesu“ oder „Jesuiten“. Es klang ihm wie fernes Befremden ums Ohr. Hing das nicht mit dem Privatfetischismus jener kleinen Barbarenhorde, den entlaufenen Sklaven der �gypter und ihrem seltsamen „Herrn“, zusammen, in deren Chronik er einmal gebl�ttert? Hatte so �hnlich nicht der kleine Volksf�hrer mit seiner Predigt gegen die Bildung, der so viel sprach und den „Heiden“ Plappern vorwarf, gehei�en, jener, der sich auch noch ger�hmt, Sohn des polternden „Herrn“ mit den schlechten Manieren zu sein.

Ach ja, wie hatte das doch gehei�en: „Denen w�re besser ... M�hlstein um den Hals, wo es am tiefsten ist ... ers�ufen.“ — „Da wird sein Heulen und Z�hneklappern“ ... „Und werden sie in den Feuerofen werfen“ ... „Denn ich bin sanftm�tig und von Herzen dem�tig“.

Ja, ja, richtig. Also das gab es auch noch; nicht nur in historischen Fachbibliotheken f�r ethnographische Kuriosa? Die aggressive kleine Horde lebte demnach bis heute, hatte hier auf europ�ischem Boden sogar eine Zweigniederlassung ihres barbarischen Fetischismus mit seiner Saat von Bosheit, Anma�ung und Intoleranz.

Drau�en auf der Treppe schwankte ein sto�ender Klumpen Kinder hin und her, hieb und spie gegen eine aufheulende rosa Masche. Unter der rosa Masche kratzte und bi� es zur�ck. Umsonst. Aus dem Zopf gerissen, verschwand der grelle Fetzen in einer Schmutzlache. Aus viereckigen M�ulern pfiff die Gemeinheit. Dann ri� ein Bengel aus der Rotte ein Holzgewehr an seinen grindigen Sch�del, und sie spielten „totschie�en“.

Vor einem Haus lehnte ein gro�er Wagen, leinenumspannt, „M�beltransport“ stand darauf. Er war durch eine Nabelschnur von Dingen mit dem Leib des Hauses verbunden. Wacklig, schief, freudlos und irrsinnig hing es aus ihm heraus, stand noch: k�nstlicher Unrat, auf der Stra�e, bis unter das Tor und eine falschgebogene Treppe hinauf.

Bis unter das Dach h�rte man Schleppen und Poltern schwerer Gegenst�nde. Damit ward nun die schiefe R�ude vollgestopft. So sah es also da drinnen aus — und da drinnen lebten wirklich Leute mit solchen Sachen den ganzen Tag zusammen.

Das Haus Elcho enthielt nicht den zehnten Teil Ger�t, denn es war erf�llt mit dem Wohllaut des dreifachen Raumes.

Und pl�tzlich verga�en sie alles, st�rzten zu dem Wagen hin, und Gargi hing am Hals eines lebenden Wesens. Ein Pferd — endlich ein Tier, etwas Lebendiges; welche Erl�sung! Xbeinig wie eine alte Kuh, aber das machte gar nichts. Es war ein Gesch�pf mit Gesch�pfaugen, trug seine eignen Glieder in edler Folgsamkeit und war sch�n in ihnen wie ein Gott. Und dieser Wiesen- und Steppengott mu�te gesch�ndet werden, nur um solchen Narrenkram von Ort zu Ort zu zerren? Eine grenzenlose Verlassenheit lag um das einsame Pferd mitten in dem gemachten Wust, der mitsamt dem angenagelten Akt, den Bronzekl�tzen, Bauhaufen, und inklusive „fraternit� — �galit� — libert�“, kein einziges Haar aus seinem Schweife wert war.

Zucker — Brot mit Salz! Vielleicht war das irgendwo aufzutreiben. Sie suchten noch den Laden, da hieb schon eine Mi�geburt mit einem Peitschenstiel dem Gott auf die Augen, schr�g sprang der M�belwagen �ber das Pflaster los, verlor dabei hinterw�rts ein kastenartiges Ding mit Aufsatz, mehrfach profiliert, auf vier gedrechselten Beinen; auch dieses Ding verlor wieder etwas aus seinem Innern; als es auf das Pflaster schlug, schwang eine T�r an elenden Scharnieren, und ein topfartiges Henkelgef��, unbekannten Gebrauchs, doch unsagbar kl�glich anzusehen, zerbarst am Stein.

Die Mi�geburt zerri� deshalb dem Gott den Mund, da� er sich beinahe �berschlug und der Wagen ihm ans Kreuz fuhr, dann torkelte sie vom Bock herab, holte langsam genie�end weit aus und stie� ihren k�nstlichen schwarzen Huf mit aller Kraft dem zitternden Gott in den Scho�.

Doch selbst das schien bei den �brigen in den gelben Fleck des Auges zu fallen, w�hrend sie in diesem ewig verflie�enden finstern Zustand vorbeizogen, ausschlie�lich besch�ftigt, einander vage zu st�ren. Das dazwischen — was „Frauen“ vorstellen sollte — hatte au�erdem immer mit dem doppelten Kopf zu tun: da� er stets in einem bestimmten Winkel �ber dem ersten bleibe und so, denn das Wetter hatte sich verschlechtert, war st�rmisch geworden vor Morast. Nun setzte gar Schneeregen ein, und der doppelte Kopf ward v�llig ambulant. Die indischen Fremdlinge hatten erst gemeint, er diene zum Schutz jenes Wellblechs, das statt Haar unter ihm lag, nun aber spannte sich erst recht zum Schutz �ber den Sch�tzer ein Schirm. Der stand nun schon als vierter Wahnsinn �ber dem ersten im Urkopf selber.

Jetzt endlich, nach Stunden, gab er alles auf, warf sich wund in den harten Fu�schachteln, voll leidenschaftlicher M�digkeit, mit ganz ausgeweidetem Herzen, in ein Auto, nannte sein Rasthaus. Dort war eitel Beutelust im Frack. Die F�rstenappartements bereit, wie f�r einen Rhadja. Funkspruch, Jacht, Dienerschaft hatten gewirkt. Der Rasthaush�lter schmolz herbei, gerann aber s�uerlich, als Mr. Elcho erkl�rte, den Nachtexpre� nach Paris nehmen zu wollen. — Nein, danke, er brauche nichts — jetzt nur ein Bad, und, da sie schon bereitet waren, die F�rstenappartements, bis der Zug ging.

Ganz still sa� er sp�ter in dem grellerleuchteten Bazar des Irrsinns — stundenlang still. Er hatte noch nie ein Tapetenmuster gesehen. Und dann geschah es, da� er aufsprang, und es kam diese, eigentlich ganz nebens�chliche Entladung. Er begann n�mlich an all den verklemmten Schubf�chern zu zerren, die unter Spiegeln und �berall rechts und links in allem M�glichen staken, r�ttelte wie ein Besessener an ihnen, wie ein Berserker, bis sie es aufgaben — aufgingen — Inhalt vomierten: lauter St�ckchen. Abgebrochenes. Leisten, Ecken, Aufs�tze vom Leib des Mutterm�bels waren in ihnen aufbewahrt. — Da klopfte es — die Rechnung. Eine Uhr schlug irgendwo Mitternacht. Der gro�e Geburtstag war eigentlich soeben aus.

Lange Illusionen aber kennen nicht Geburts-, nicht Sterbetag — nur Sterbejahre.

Den Sonnenaufgang feierten also auch die Europ�er mit einer Devotion, leiteten mit ihr den eignen Tag ein. Es wunderte ihn nicht, beruhigte ihn vielmehr wieder.

Gleich am Morgen im Ritz sah er jeden einem m�chtigen wei�en Blatt voll Schrift sich neigen und — noch ehe er Tee eingo� — ganz darin versinken, wie in Gebet. Die Devotionalien selbst aber mu�ten — das gefiel ihm besonders — immer leuchtend frisch gereicht werden. Abgen�tztere wiesen alle jedesmal mit Zeichen des Abscheus weit von sich. Zweimal t�glich, so um Sonnenauf- und Untergang herum, spielte sich dieser Vorgang ab. Auch auf Stra�en, in Caf�s; war also wohl ein verwandelter, dem Stadtleben angepa�ter Naturkult: die gro�en Bl�tter Sonnenhymnen, Gebete zum Seelenaufgang gleich dem: o mani padme A. U. M., mit dem der Hindu seinen Tag beginnt. Sie lauteten in allen gro�en Sprachen, wie es schien. Eine allgemein europ�ische Andacht somit.

Auch er lie� sich andern Tags im Ritz eine Morgenhymne reichen. Sie war franz�sisch: „Le Matin“. So hatte er denn richtig vermutet.

Und hub an:

„Von g�nstigen Winden gebl�ht, segelte das Ministerium munter von dannen ... doch ungeheure Erregung hat sich seit gestern des ritterlichen franz�sischen Volkes bem�chtigt und droht ... falls nicht Frankreichs berechtigte Interessen im nahen Orient ...

Der deutsche Harn:

Dem eminenten franz�sischen Forscher M. Forest ist es gelungen, die seelische Minderwertigkeit der deutschen Rasse auch chemisch nachzuweisen. Der Deutsche, der n�mlich dem subdiaphragmatischen Typus angeh�rt, einen Quadratsch�del, kurze, grobe H�nde und Plattf��e hat, f�hrt auch in seinem Blut mehr wei�e und weniger rote Blutk�rperchen als der Franzose. Derart ist es kein Beispiel zivilisierter Nationen, das ihn �ndern kann, denn wie sollte dieses auf Hyperchesie und Bromhydrose, die ihn kennzeichnen, und auf seinen au�erordentlich toxinhaltigen Urin Einflu� haben?“

Er �berschlug ein paar Spalten.

„Gerichtssaal: Exbr�utigam klagt auf R�ckgabe des Hochzeitsgeschenkes: eines neuen Gebisses f�r die Braut, weil diese die Verlobung gel�st. Die Beklagte verweigert die R�ckgabe mit dem Hinweis, das Gebi� sei ein Geburtstagsgeschenk aus der Zeit vor der Verlobung. Letztere habe sie aufgel�st, weil der Kl�ger mit der f�nfzehnj�hrigen Nichte der Beklagten ... Das Gericht beschlie�t ... neue Zeugen ...

Bridge-Tee am Dienstag bei Mrs. Payn-Whitney ...

In dem reizenden Appartement der Rue X ... anwesend waren ...

Der Doppelmord in der Rue Cambon.

Grauenhafter Fall von Kindermi�handlung.

Kasseneinbruch ... Vergiftet aufgefunden ... Die Prostituierte Madeleine B. ... Explosionskatastrophe.“

Er griff nach einem deutschen Blatt:

„Wenn auch das Ruder des Staatsschiffes in allzu nachgiebigen H�nden ... so wird doch der deutsche Aar ... wehe ... mit der tiefgehenden Erregung des deutschen Volkes zu rechnen ... falls nicht die berechtigten Interessen des Reiches im nahen Orient ... Schwere Degenerationserscheinungen in der franz�sischen Rasse ... Geburtenr�ckgang.

Der Raubmord in Moabit ... Das Martyrium der kleinen Luise. Kasseneinbruch ... Erh�ngt aufgefunden ... Die ledige Dienstmagd ... Magazin in die Luft geflogen ...“

Er nahm ein Italienisches:

„Endlich mu�te das Ministerium die Segel streichen ... die noble lateinische Rasse ... in heiligem Egoismus ... tiefe Erregung ... falls nicht Italiens berechtigte Interessen im nahen Orient ...

Wegen Urkundenf�lschung verurteilt: Ein �sterreichischer Staatsangeh�riger. Der Fetth�ndler Kovacs mit zwei italienischen Gesch�ftsfreunden forderte in einem Champagnerlokal der Galleria Vittorio Emanuele weibliche Gesellschaft. Sie lie�en die junge Artistin Gilda Degrassi aus der Wohnung ihrer Mutter holen und verfielen w�hrend des Gelages darauf, die Jungfr�ulichkeit des M�dchens zu versteigern. Der Fetth�ndler Kovacs trug schlie�lich den Sieg mit 5000 Lire davon. Er stellte auch gleich den Scheck aus und �bergab ihn dem M�dchen. Damit dieses aber „nachher“ das Geld nicht beheben k�nne, f�gte er dem Datum eine falsche Jahreszahl bei. Das M�dchen bemerkte dies am n�chsten Morgen, korrigierte selbst die Zahl und behob das Geld, worauf Herr Kovacs gegen sie die Anzeige wegen Urkundenf�lschung erstattete ...

Vater, Mutter und vier Geschwister erstochen! ... Lustmord an der sechsj�hrigen Emilia O. ... Bankraub per Automobil ... Mit aufgeschnittenen Pulsadern fand man.

Kesselexplosion! ...“

Jetzt das gro�e Englische:

The government’s position ... unable ... great nation ...

Der australische Tennischampion in London ... Prime minister’s Golf ... Beethoven II, die Bl�te englischen Pferdefleisches ... versagte ... allen Freunden des edlen Rennsports ...

King’s bench division: Lady Sarah Sackville gelingt es, zwei Ohrfeigen ihrem Gatten nachzuweisen ... Zeugen sagen aus ... his Lordship ... decree nisi ...

An einem Schweinsdarm im Hofe erh�ngt aufgefunden: Aus Furcht vor Z�chtigung versteckte sich der vierzehnj�hrige Schl�chterssohn Harry S. hinter einem Fa� voll D�rmen, und als Entdeckung drohte, griff er, in Ermanglung eines Strickes, nach einem Darm und erh�ngte sich an einem Nagel. Er h�tte an diesem Morgen sein erstes Kalb schlachten sollen, zeigte aber von je eine ganz krankhafte Abneigung gegen seinen k�nftigen Beruf. Durch vern�nftige Strenge hoffte der bedauernswerte Vater dieser kindischen Verstocktheit (stubbornness) und Schw�che Herr zu werden. ‚Ich wollte eben einen Mann aus ihm machen,‘ sagte er unserem Berichterstatter, ‚wo k�me die Nation hin ...‘

Der Raubmord in Sussex.

Im Hydepark verhungert aufgefunden: ein alter Mann mit einem Zylinder ...

Deutsche Greuel an afrikanischen Eingebornen vor dem Reichstag ... stock exchange ... liver pills ... beecham’s pills ...

In die Luft geflogen ...“

— — — — — — — — — — — — — — —

Sir Osmond Cadogan reichte ihm das „Echo de Paris“ her�ber.

„Vielleicht interessiert Sie dieser Artikel anl��lich der heutigen Reprise in der ‚Renaissance‘ ... falls Sie die gro�e Trag�din in dieser Rolle noch nicht gesehen haben. Oh, es ist sehr wunderbar“ ...

Dann versteifte sich der rosa Greis, stand steil und fassungslos. Was war denn diesem gold�ugigen Exoten auf einmal geschehen, dessen All�ren, ihn gestern so getroffen, da� er eine Ankn�pfung gesucht? Gr�ner Ekel sah ihn ja da an, doch wieder viel zu gro�, um noch pers�nliche Beleidigung zu sein. Solche Leute von �bersee, trugen sie auch, wie dieser, einen noch so guten Namen, letzte Kultur und Gesittung lie�en doch immer ein wenig zu w�nschen �brig. Zur Beruhigung griff er seinerseits nach der „Morning Post“, die jenem entfallen war. Bald kehrte ihm altes Behagen zur�ck:

„Lady Sarah Sackville gelingt es, zwei Ohrfeigen ... An einem Schweinsdarm im Hofe erh�ngt ... deutsche Greuel ... Golf ... liver pills ... In die Luft geflogen ...“

Abends fuhr er allein zur Vorstellung. Place Vend�merue de la paixrue des petits champsavenueboulevard — schiefes Zick-Zack — wieder boulevard: stra�enlang aneinandergelehnte hilflose Unf�higkeit, mit ihren Kilometern unben�tzbar angequetschter Balk�nchen, holperte gesimseschief die Autoscheiben entlang. Der Tr�umer seines wei�en Traumes umformte — hinter gesenkten Lidern — mit seinem Raumsinn indessen das Problem: Theater.

Er kannte bislang nur die antike, von S�den vereinfachte L�sung: ein Ring aus kristallinischem Stein, geschlossen gegen das br�cklige, pf�tzenweiche, amorphe „Drau�en“ und was dort sich abzappelte, abschmatzte, anspie und verreckte, noch ohne Stern — Achse — Pers�nlichkeit — Schicksal. Drinnen: konzentrische Marmorrillen, glatt, nur schauender Augen voll, in einem Eierstab lebendiger K�pfe. Dr�ber: offener Zenith, querdurch zuweilen Vogelflug, sich abbildend im Inneren des Ringes als springender Schattenball oder dunkler Strich von nichts zu nichts. Im innersten Ring ein kleiner Marmormond f�r sich: der Chor — Mittler zwischen Menge und Mensch. Auf der B�hne, durch Maske und Kothurn entr�ckt, die dramatische Person: Verdichtung ins Ungemeine von zehntausend Einzelleben, wie Blutwasser aus zehntausend roten Rosen �ber Feuer erst zu einem Tropfen Essenz gerinnt. Und das Drama: da ballt sich aus dem Leeren, in dem der Nichtige ungef�hrdet treibt, gegen den starken Ungemeinen das Trikymion auf: die dreifachen Brecher des Geschehens steilen sich ihm lautlos, wie einem Mond, entgegen.

Schon schwebt er �ber dem Ersten und in ein tr�gerisch gl�sernes Tal. Dann siegend �ber den Zweiten — glatte Weite blaut auf einmal vor ihm auf mit Glanz von Paradiesen; die Welt scheint auszusetzen, atemlos. Nur Pers�nlichkeit und Schicksal bleiben br�tend gegen einander �berhangen. Durch diese Pause im dramatischen Geschehen rast jetzt, als Satyr-Zwischenspiel, das Chaos; metallne Phallusse klirren, aus rotem Tieratem tauchen: elfenbeinerne Triangel, die leichten Schultern der Fl�tenspieler. Mit Huf und Horn galoppiert es, noch leerer Trieb, vor�ber ins Leere.

Und abermals hebt das Drama an. Sammelt sich in seiner letzten Schw�rze. Des Trikymions dritter Becher steigt auf, gleichsam herangesogen von dem Ungemeinen, das ihm entgegensteht, wird ein Turm — ein Trichter — ein glasig verdauender Mund — und der geheimnisvolle Spiegel, den eine wundervolle Pers�nlichkeit durchbrochen, schlie�t sich wieder �ber ihr.

Das wu�te er vom Drama, vom Haus des Dramas. Wie mochte es in Europa sein? Bruchst�cke von Werken, die er kannte, lie�en Au�erordentliches hoffen. Doch vor allem: wie war das Raumproblem nordisch erfa�t, seine Vielfalt von Zweck und Geist; schon die trivialen Erfordernisse: �berkleider ablegen — dann gleichsam die Glieder ablegen: jedes st�rende K�rpergef�hl. Die L�sung all dieses mu�te — das eben ist ja Architektonik — gleich aus solcher Tiefe herkommen, da� sie sich wie ein Monolith �ber alle Mannigfaltigkeit der Bed�rfnisse zusammenschlo� zu organischer Einheit.

Der Wagen hielt. Nachher, in einen Bock aus gepre�tem Samt geklemmt, sah er aber immer nur den Eisenhaken, eigentlich nichts als die beispiellose Niedertracht dieses Eisenhakens vor sich, an dem, mit schmutzigem Strick zusammengeb�ndelt, sein Pelz jetzt drau�en hing. Zwischen schiefen Goldleisten aus Holz, rotem Papier als Damast, T�nche als Marmor, Marmor als Schlagsahne hatten sich armselige H�hlungen aufgetan voll Eisenhaken und abortfrau�hnlichen Weibern. Letztere rissen �ngstlich gestauten M�nnerhaufen ringsum Kleidungsst�cke aus den Armen. Frauen wimmerten leise um einen geknickten Vogelstei� auf durcheinandergeworfenen H�ten.

Dieser Haken aber verst�rte, ja �ngstigte ihn bis zur �belkeit. Das andere hatte doch reichlich Stoff zu Mi�brauch und Verderb gegeben. Mit Holz, Marmor, Farbe, Stuck, Stein — falsch verwendet — lie� sich ja immerhin etwas ausrichten. Aber dieser Haken: ein gebogenes St�ck Eisen mit einem Porzellanknopf, sonst nichts. Wie mit so wenig so viel Gemeinheit erringen?

Vielleicht zerging der Haken, wenn man um sich sah. Das vorne schien ein verwachsenes Rudiment antiken Chors: aus zwei ungel�sten Eckproblemen heraus wand sich ein mannsdicker Wurm und versuchte unter Kr�mmungen seine eigenen Warzen aus rotem Pl�sch zu verdauen. Hinter ihm, in geschwungener Stuckbadewanne, sa�en bekleidete Leute im Gehrock vor Geigen. Faustdicke Symbole klatschten im Abstand von Froschspr�ngen durch alle R�nge bis zum Boden, wo sie sich in zwei formidablen Haufen von Harfen, Masken, Schw�nen und Fehlgeburten gestaut hatten. — Ein Musentempel. Merks, Cretin.

S�ulen trugen nichts, der Logenring �ber ihnen war ja schon in sich selbst geschlossen. Zum erstenmal im Leben sah er eine — Halbs�ule. Welcher Plumpsinn, die nicht luftumsp�lte Kurve in eine Wand hineinzupappen, mit deren Ecke sie zu einer �blen Figur zusammenflie�en mu�te, wie ein grades Bein mit einem krummen. Ja, sahen denn die Leute hier nicht? Sahen nicht, da�, wo Ma�e nicht stimmten, Bauglieder fehlten, Fugen klafften, sich nur irrsinnig gewordener Dreck beschwichtigend dar�ber pappte. Kein Quadratmeter Ruhe. Zum Schlu� geriet er auch noch ins Tapetenmuster der Logen, sprang �ber kopfstehende Rhomben, immer hin und her, schlie�lich heraus, um beinahe, am Fu�boden, sich doch noch in einer pl�tzlichen Darmschlinge aus Lorbeer zu fangen.

Langsam stieg leiser Wahnsinn in seine reinen Nerven.

Etwas mu�te geschehen. Er warf den Kopf nach r�ckw�rts und hinauf. Oben war ein gro�es Loch gemalt: Sommerhimmel und Wolken. An einem Haken mitten aus der blauen Luft kam ein viele Zentner schwerer Metall-L�ster gehangen, als Strafgericht �ber alles.

Nun sausten mit einemmal die neun Musen in die H�he, welche, bisher straffgespannt, die B�hne verhangen hatten.

Hub das Drama an? Auf wei�er Fl�che — gro� wie der B�hnenrahmen — hockte an Stelle der Mythologie jetzt ein etwa sieben Meter hoher Affe und scheuerte sich mit gewaltiger Zahnb�rste das Maul aus; der Schwanz schrieb: monkey puzzle toothbrush unequalled. Blieb f�nfzig Sekunden. Flitzte ab, und es erschuf sich: „van Houtens Cacao is de beeste gekoopste“. Flitzte ab und es ward Frankreichs Pr�sident: ein erweiterter �picier, krummen Bratenrocks, mit Knien in den Hosen: „regardez cet homme“ — stand vor seinem Bauch — „pas n�cessaire d’avoir l’air comme cela — habits �l�gants complets depuis 49 frs chez Gaston Mandelstamm.“ Flitzte ab und es erschuf sich ...

Ganz witzig, aber dazu war er ja nicht hergekommen. Er schlo� die Augen. Jetzt roch er den Europ�er um sich her, seinen Porendunst: gestaute Sch�rfe nach �bel verdautem Fleisch; seit Marseille Grund f�r ihn, Ansammlungen Wei�er vorsichtig zu meiden. Daneben roch es noch auf zwanzigerlei Art falsch nach Chemie, die Blume sein wollte. Trockenharte Ger�che, im Laboratorium gezwungen, auf kurze Zeit zusammen Duft zu sein, doch mit heimlichem Hang alsbald wieder in feindliche Einzelgest�nke auseinanderzufallen. Gleichsam durchzuriechen war das.

Jetzt verschlang — aus dem Boden getrampelt — eine Wolke morschen Staubes alles, und Handschuhe knallten wie Ohrfeigen.

Horus schlug die goldenen Sperberaugen auf.

Im B�hnenrahmen stand eine Greisin in wei�en Lederhosen, den Kopf voll roter Wolle. Fingerdicker Ru� hing um die kahlen Augen, ein Klumpen Saccharin zerging im Mund zu L�cheln, w�hrend sie K�sse um sich streute mit verwesender Hand. Kokett schleifte das linke Bein nach.

Was war das?

Er erinnerte sich des erl�uternden „Echo de Paris“ in seiner Tasche, entfaltete es. Richtig, die gefeierte Trag�din verf�gte �ber ein neues Kunstbein. Hier war es abgebildet, neben dem Abgeschnittenen, und dort war der Stumpf; erst f�r sich, dann mit der Prothese, Bild des gro�en Operateurs, wie er gerade operiert, Bild des gro�en Dichters, wie er gerade dichtet. Es stand, wieviel die Operation gekostet, wieviel dadurch der ber�hmten Trag�din an Spielhonorar pro Minute entgangen, wieviel hinwiederum (pro Minute) die amerikanische Tournee eingebracht. Dann kam der Genius Frankreichs. „Gloire“ stand in den vier Ecken, und eine Trikolore flatterte �ber alles mit Stumpf und Stiel.

Das Drama selbst handelte aber gar nicht von Kunstbeinen, sondern hie� „L’aiglon“: der junge Adler. Die grauenhafte Greisin war der junge Adler. Nun kr�hte sie gebrochen auf.

Oh les cloches d’or“, und an drei verschiedenen Stellen des Parketts rissen auf einen Wink kurze M�nnchen mit schwarzen B�rten begeistert an ihren Adamsknorpeln; wieder knallten Handschuhe, und ganze Wolken wei�en Schmutzes stoben aus den Frauen. Man snobte Tobsucht und starrte einander dabei, mit b�sem Eis �bergossen, roh und hart in die Kleider.

Nach einer Weile versuchte die grauenhafte Greisin schlimm zu sein — so recht bubenhaft und ein wenig pervers schlimm: spannte Glac�h�schen in den Augpunkt, sa� rittlings auf St�hlen herum, kapriolte schlie�lich rasselnd �ber ein Sofa. Die Prothese knarrte, und das Publikum schrie: „vive la France“.

Zum erstenmal drang ein Gef�hl durch die Augen in ihn — oder war es ein Zustand — etwas, f�r das er noch keinen Namen hatte, das, durch die Augen eingeschlichen, ihn von innen w�rgte, das er h�tte herausspeien m�gen aus diesen seinen Augen. Ekel vor dem Alter? Er f�hlte sich doch frei von jenem M�nnchend�nkel, Wirkungen, weil sie von einer Frau kommen sollten, ausschlie�lich nur mit einem K�rperende werten zu wollen und h�hnisch gestimmt zu sein, blieb dieses stumpf; wu�te: was begreift ein Gl�cklicher vom Gl�ck — ein Gequ�lter schon von der Qual? Liegt ihre funkelnde Essenz nicht vielmehr erst im Alter und auf der andern Seite des Vergessens, bereit f�r eine welke Auserw�hlung, eine, die, �ber ein langes Leben gebeugt, aus ihm erst den Rhythmus nachzusch�pfen verm�chte etwa einer Kassandra, wenn sie vom geschleiften Ilion herab — bekr�nzt und fackelschwingend — mit jauchzenden Fl�chen in die Sch�ndung getanzt kommt; orphisch entr�ckt die Wirbel des Untergangs in das verha�te K�nigshaus hineintanzt.

Nein, am Alter lag es nicht.

Das eine Ohr der Trag�din begann jetzt zu tropfen. Ihre Kapriolen �ber das Sofa nebst den restlichen Leibes�bungen machten, da� R�tliches und Fettiges von ihm absickerte. Unter dem abgemagerten Kopf hing ihr ein Kuheuter zwischen Vaterm�rdern herab. Gut. Doch was war mit dem fettgewordenen Leib geschehen, das ihm dies Unmenschliche geben konnte?

Einen Kontur, wie ihn kein Gebrest, kein Geschw�r, keine organische Entartung je zustande br�chte, denn diesem Leutnant wuchs — stahlhart — eine schiefe Ebene vom Abdomen in den Raum hinaus, so, als h�tte er eine gespaltene Pyramide verschluckt, ohne sie richtig verdauen zu k�nnen. In dies schr�g abstehende Korsettger�st vor dem Magen hatte man nun von oben die Br�ste hineinversenkt und verteilt, von unten hinwiederum die Eingeweide hinaufgeschraubt; beides wohl um des Knabenhaften willen.

Aber auch daran lag es nicht, das Namenlose.

Das dramatische Geschehen selbst wurde von Sekunde zu Sekunde alberner — jetzt war es neun, Ende vor zw�lf stand auf dem Programm — doch man konnte ja wegh�ren; schlie�lich blieb auch das futil.

Nein, es mu�te wohl aus dieser Art kommen, wie sie sich vergaichten alle auf der B�hne, aus dem, was sie da begingen mit ihren Gliedern, R�mpfen, M�ndern, Mienen. Anfangs hatte es ihn eine utrierte Zeichensprache f�r taubstumme Idioten ged�nkt, ehe er schlie�lich darauf verfallen, das alles solle Empfindung vorstellen — Bewegung gewordene Empfindung; wirklich das, was auf andern Kontinenten atmende Gesch�pfe tun, wenn sie leben.

Hastig, passiv, unbeh�tet, hatte er es ohne Widerstand in sich hineingeschaut, tief hineingelassen in seine klaren Nerven und ihres mahnenden Unbehagens zu wenig geachtet. Herausbrechen h�tte er es sollen aus seinen unbefleckten Augen zu rechter Zeit. Jetzt begann in ihm leise angespanntes Verschrobensein, dessen er sich nicht mehr recht zu entledigen vermochte: wie wenn sonst manchmal eine Zehe in Krampf verf�llt, sich verkehrt nach unten durchbiegt wie eine geb�umte Raupe — am ganzen K�rper war das jetzt so.

�bel verstellt schien sein Herz. Atmen, wie machte man das — Atmen? Steifes Grauen kam langsam herauf, und Zelle um Zelle gerann an ihm zu infernalisch ungekanntem Eis.

Schutzsuchend warf er seine fliehenden Augen in den halbdunklen Menschenraum. Hier aber hing das Namenlose ganz — im B�hnenspiel war nur sein Abbild gewesen — hier lauerte es herein, hier war dieses, was schluckte, immer schluckte: Leben, Glieder, Haare, Steine, ganze Marmorw�nde schluckte es — alles was echt war, wirklich war.

Und dann: wie durch einen b�sen Doppelspat gebrochen, verzerrt, k�ndete sich wieder aus diesem Lauernden, Namenlosen heraus eine Art infernalische Wandlung alles Seins an. Diese Wandlung selbst war noch nicht da — nur ihre Vorzeichen: Vorzeichen, dieses Vergaichte, das einmal Rhythmus gewesen, dieses Zerbrochene mit abbr�selnden Enden auf Frauenk�pfen, durch Brillantine wieder zu einem Scheinleben mesmerisiert, dieses planlos Zerst�ckelte auf allen K�rpern, das einst edler Samt, holde Seide gewesen, nun aufgeh�rt hatte als flie�ender Stoff zu leben, ohne Gewand geworden zu sein. Aus all diesem: eisernen Haken, Abortfrauen, verkritzeltem Marmor, der Greisin in Lederhosen, den Blumen aus Chemie lauerte es her�ber.

Ihm war auf einmal, als k�nne es nie wieder f�r ihn einen Wald geben — Schwalben. Vogelflug!

In einem der ungel�sten Eckprobleme war der Rest eines halb weggefegten Spinnennetzes h�ngengeblieben und in ihm ein ausgesogner Fliegenbalg. An diesen klammerte er das Bewu�tsein. Uns�glich liebenswert schien ihm auf einmal diese winzige Leiche; wie unverdiente Gnade traf ihn die Wahrheit ihrer kleinen Form. Sie war das Einzige. Zerfiel sie jetzt, blieb er fast ganz allein.

Er und die Prothese: weises, ehrliches Stahlgesch�pf, verdeckt zwar durch alberne Maskerade, aber er wu�te es doch da. Kunstbein und Fliegenleiche, die beiden einzig Echten hier, sch�tzten ihn vor dem Namenlosen, wenn es durch den �blen Doppelspat entleibter, entherzter, entseelter Dinge hereingebrochen kam, und vor dem in ein platzendes Aas sich hineinzuretten Reinheit schien, reinliche F�ulnis.

Eine fahle, lange Angst begann ihn zu drosseln, jede Blutader einzeln in ihm abzudrosseln wie einen Wasserhahn. Ersticken d�rfen — wie einem wirklichen lebendigen Wesen zu ersticken verg�nnt — Wohltat mu�te das sein. Er betastete seinen Fu�: fremd, hart und so weit weg.

Doch h�tte er nicht zu sagen vermocht, was es denn war, das Namenlose; h�chstens, was es nicht war: nicht Hohlform, ist sie doch Abdruck noch eines Leibhaftigen, nicht Negativ, dem zum Grunde Positives liegt, auch keine aufgeblasene Nichtigkeit, denn auch ihr, selbst ihr noch lebt ja im Innersten verquollener Anma�ung ein Korn Sein.

Er schauerte zur�ck, wich hinter sein erschrockenes Herz, wich weg von dem verjauchten Jetzt, wieder in die reine Fr�he seines Morgentraumes �ber dem nachtblauen Reich mit den kristallnen Achsen.

War damals unter den „Kegelschnitten Gottes“ — in dem Manuskript, das ihm Erasmus gezeigt — nicht etwas gewesen, ein von sich selbst Abgekehrtes, aus sich Verst�lptes F�nftes, bisher Unvorstellbares, weil es im Gegensatz zur g�ttlichen Sucherin: Parabel, sich vom Brennpunkt alles Seins abzukehren h�tte, um seinem Gegensatze zuzueilen? Ein schlichthin Infernalisches, dem selbst die Mathematik — die �ber allem Stehende — das Symbol verweigert?

Ein Unsein. Dieses Unsein.

Da brach er aus, zerbrach das �ble Joch der Hoffnungslosigkeit, trat, stie�, ri� wie ein s�perbes Tier sich einen Weg durch keifende Reihen, an schiefen Goldleisten vorbei, hinaus unter die Sterne. Mit freiem Haar, ohne �berrock ging er nach Hause. Noch einmal umkehren, seinen Pelz, vom Eisenhaken herunter und mit schmierigem Strick umschn�rt, wieder aus den H�nden der Abortfrau empfangen — nein. Ri� sich im Ritz auch noch die restlichen Kleider herab, ballte alles zu einem B�ndel, warf es aus dem Fenster auf das ru�ige Glasdach des „Wintergartens“, b�rstete unter dem brennhei�en Strahl im Badezimmer sich fast die Haut vom Fleisch — reinigte Kehle und Mundh�hle — sog Unreines zu tiefst aus den Lungen herauf — stie� Frische hinab; in vier Spiegeln stand sein blendender K�rper.

Aber es wich nicht. Und ihm fiel ein: durch die Augen war er vergiftet worden. Lehnte seinen Kopf an Gargis T�r — lange. Ri� sich zusammen, klopfte, trat ein. In einem fernen, zarten Gewand des Ostens sah er sie wie durch kannelierten Rauch. Sie kauerte auf Kissen und spielte ein wundersch�nes Spiel mit ihren Armen. Der Hals, weich auf die Luft gelegt, trug �ber sich im Haupt eine Wage voll K�stlichkeit. Unter der Stirnagraffe: dem Z�nglein aus Rubinen, schwebten weit und wagrecht Augenschalen voll fl�ssiger Magie.

Sein zerr�tteter Kontur lie� sie aufgleiten, ihm zu.

„Geh auf und ab. — So. Nimm ein Glas. — Stell es wieder hin. — Schlag ein Buch auf. — Bl�ttre um.“

Auf dem Diwan sitzend, die Ellenbogen auf den Knien, die Schl�fen in den F�usten, trank er jede Bewegung mit den Augen aus, bis zur Neige. Wie ein Vergifteter Milch durch seine arme Kehle rinnen l��t, so schluckten seine Lider. Und sein Blut ward s��er, denn ihr Verstehen war bei ihm; erriet im voraus den Durst seiner armen Augen. Bald wurde sie �rztin und Arznei zugleich, verlie� seine planlosen, aus hilfloser Angst in der Irre tastenden Befehle, und nun sah er sie auf sich zukommen wie die Genesung im M�rz, mit der edlen Entschiedenheit eines Tieres und �ber allem der Blumenmensch mit durchleuchtetem Haupt, und die Wahrheit ihrer Geb�rde ging durch ihn hindurch wie ein Schwert.

Vorsichtig zwischen seinen F��en kauerte sie auf den Teppich nieder — r�hrte ihn nicht an — seine Haut und hinab die gewaltigen lichtlosen Sinne brauchten sie jetzt nicht; am h�chsten Sinn, aus dem die Welt erflie�t und die Vision, war er verunreinigt worden. Sie ruhte im Lotossitz der arischen Asiaten in erl�ster Ruhe, die alle Bewegung erfahren hat, und das als Herr.

Etwas von Musik, Akrobatik, vegetativer Verkl�rung! Es war die Essenz magischer Kraft. Langsam f�llten sich die Augen des Mannes mit ihr. Tr�nen kamen ihm, als er seine Hand erkannte — wieder eine liebe Hand haben und sie r�hren k�nnen wie ein lebendiges Wesen. Das angespannte Verschrobensein am ganzen K�rper wich, ausgetrieben �ber die R�nder seiner Glieder, wie �ber den Brunnenrand �lig Gestautes aus schmierigen Lefzen verspritzt unter starkem Strahl. Sch�n wu�te er sich wieder, wie ein Marmorbecken, klaren Wassers voll.

Bis zum Morgengrauen blieb sein zarter Arzt zu seinen F��en. Eine beispiellose, eine unerh�rte Sinnenkraft stand als unsichtbare Glocke um die aufrecht kauernde Gestalt. In ihr waren die Knospen und Fr�chte aller Bewegungen und das Magische ganz freier Tiere, das Rieseln der Gr�ser und der Str�me, das war doch alles, alles nur f�r diese Mulde zwischen Weiche und Schenkel da. Tausend Spannungen liefen an ihr hinab und tausend Entz�ckungen st�rzten �ber die jungfr�ulichen Schultern und den Flaum der Wirbel. Endlich schlossen sich seine z�gernden Augen, ganz zaghaft, wie zur Probe. Er blieb rein. Da hob er den hammerschmalen Kopf aus den F�usten langsam hoch und weit zur�ck. Hell lagen die breiten Lider in der gebr�unten Haut, wie von innen durchlichtet, und langsam flo� wieder die alte Sonnigkeit in das starke Gesicht voll Geist.

Aus einem durchsichtigen Schlummer heraus, mit der lindgebrochenen Stimme des Wunden, wenn k�nigliches Morphium �ber seine Qual streicht, bis sie zu schrumpfen beginnt — schrumpft — noch mehr — jetzt nur noch ein Stecknadelkopf ist — dann — fort, und wie er �ber diesem „fort“ erst ganz flach nur zu atmen wagt: mit der lindgebrochenen Stimme solch eines Eben-Erl�sten fl�sterte er: „Wohl, wohltun.“

Das kunstlose Wort, unbeholfen und lauwarm wie der K�rper eines ganz kleinen Kindes, schien ihr die erlesenste Liebkosung, die sie je in ihm erweckt.

Sie kamen wieder einmal von den beiden Vitrinen mit �gyptischer Kleinkunst im Erdgescho� des Louvre. Nach allen Leichenfeldern des Ungeschmacks, inbr�nstiger Barbarei, Monomanie oder Geziertheit befreiten sie sich andachtvoll vor den zwei Dutzend Schalen, Salbgef��en, Schmuckst�cken. Diese zeigten der Natur, k�hn und lieb zugleich, wie sie es etwa zu machen h�tte, f�hlte sie je das Bed�rfnis nach Schalen, Salbgef��en, Schmuckst�cken, denn sie waren vollkommen ohne die Banalit�t des Nur-Sch�nen, k�hn ohne die Kurzlebigkeit des Originellen.

Heute hatten Horus und Gargi den Louvre durch ein anderes Tor verlassen als sonst und gerieten da schon wieder in eine weitl�ufige Masse gemischten Stils, die: „Louvre“ hie� und erst von ihnen f�r einen neueren Trakt gehalten worden war. Dieser schien sich jedoch eines viel regeren Interesses zu erfreuen als die anderen. Er sog vor allem Frauen aus den Stra�en heraus und in seinen Leib, dem wieder bepapptes, totes, schiefes, gemeines Ger�mpel zu allen Poren herausbrach, hing und flatterte.

Die Damen in seinem Bauch aber rissen einander beh�ngte, bestickte, verkritzelte Lappen aller Art mit verglasten Augen aus den H�nden, wenn bestimmte Zahlen darauf standen: etwa 29 Frs. 95. Also Frauen, gerade Frauen: Tr�gerinnen des Lebens trugen diese toten Fehlgeburten gesch�ndeter Maschinen aus, in lauter Paketen hinaus, infizierten die Welt damit. Und Maschinen: seine Halbg�tter, dazu wurden hier die herrlichen Stahlwesen mit den dampfenden R�sseln mi�braucht? Statt das Leben zu befreien, zwang man sie, unaufh�rlich lebensfeindlichen Mist aus sich herauszuschleudern, das Leben mit toten Mi�geburten einzumauern, deren es nicht bedarf, die es hemmen, ersticken, eindorren, vergaichen.

Er fiel von einer Abteilung, einem Bazar des Irrsinns in den andern: Orf�vrerie, Galanterie, Bijouterie. „Aus was f�r Knollen im Hirn eitern solche Sachen?“ sann der Erschrockene.

„Wer ersinnt — wer entwirft — wer macht — wer bestellt sie?“

Und leiser Verdacht durchschauerte ihn, eine allm�chtige Horde unsichtbarer Irrer unterjoche einen blinden Kontinent.

B�sartige Irre — es gab keine andere Erkl�rung. Vor den ersten Klavierbeinen und Kleiderst�ndern hatte er gemeint, die Usurpatoren seien irrsinnige Drechsler, die alle Drehb�nke Europas an sich gerissen, dann gewaltsame Glaser, Vergolder, Weber! Doch nein, das alles hatte nichts Menschliches mehr, war von der �berpers�nlichen Infamie dieses aus sich selbst verst�lpten, unfa�lichen Unseins.

Sie suchten den Ausgang, gerieten in eine Abteilung: Wandschmuck. Wozu ein sich selbst Erf�llendes, wie es die edlen Ma�e einer Wand sein sollen „schm�cken“? Die noblen, weiten, notwendigen Fl�chen verkleinern, durch Ornament unterbrechen, immer wieder verkleinern — man unterbricht doch auch einen Sprechenden nicht, wozu den Wohllaut des dreifachen Raumes unterbrechen, dessen Ganzheit eben ist, was er zu sagen hat. Und ist er fehlerhaft, warum ihn mit einem zweiten Fehler bekleistern, statt das Geld zur Ausmerzung des Ersten verwenden: Doppelschund statt einfachen Anstandes. Warum immer das Pferd beim Schwanz aufz�umen? Warum?

Am Anfang der Zeiten, schien es, hatten die Menschen nur das Allern�tigste — jetzt, am Ende, nur das Allerunn�tigste.

„Wie kommt es,“ sann er, „da� jedes Ding in Europa, das f�r Luft, Wasser, Eis, Dampf, Stein geh�rt, herrlich ger�t, wie noch nie, alles aber, was f�r diesen allm�chtigen Herrn �ber Luft, Eis, Dampf, Stein selbst geh�rt — kl�glich — ‚unherrlich‘ wie noch nie?

Wie kommt es, da�, seit die Welt steht, die Leute es sich nicht so freudlos, teuer, verkehrt und schlecht eingerichtet haben, wie diese Europ�er im goldenen Zeitalter der Technik?“

Auf die gro�artige Einseitigkeit einer mechanistischen Formenwelt w�re er noch eher gefa�t gewesen, leichter bereit, auf sie resigniert sich einzustellen, wiewohl auch die reinlichsten Einfamilienst�lle vor ihm wie nichts gewesen, w�ren sie nicht von einer Seele f�r eine Seele erbaut, darin sich zu entfalten. Doch nicht einmal das. Daf�r dieses zusammengelogene, heterogene, r�udige oder aufgeblasene Ger�mpel: europ�isches Stadtbild genannt! Keine S�ule untadelig, kein Eckproblem reinlich gel�st, ja das Problem nicht einmal empfunden, eine optische Saloppheit an diesen hingesudelten Palastbuden, und hier — das hier: einer der tausend Speicher, mit dem sich das Drau�en anf�llte.

Wenn er nur an diesen Schlafwagen von Marseille nach Paris dachte: der Samt des Sitzes l�ngsgestreift, die gepre�te Ledertapete in Darmverschlingungen, braun gold, gr�n, am Vorhang eingewebt stehende Rhomben, die Bodenbespannung innen in Karos, au�en mit Blumenbord�re; sinnlos alles, ruhelos wie ein Affenhinterteil.

Sahen denn die Menschen nicht, da� die Dinge alle nichts taugten, das, worin sie wohnten, womit sie bekleidet waren, was sie a�en?

Jetzt war nur noch die Parf�merieabteilung zu �berstehen, da hielt Winifred Cadogan sie an:

„Oh bitte, Mr. Elcho, wie sagt man: Eau de Cologne auf franz�sisch?“

Ach, man sagte auch auf franz�sisch so. Wie, sie gingen schon. Ob sie nicht einen Augenblick warten, dann mit ihr und mommo zu Callot, Cheruit, D’Oeillet fahren wollten? Um dort Geld ausgeben zu k�nnen, m�sse man eben manchmal hierher und sparen. Sie erlegte dabei tugendstolz an der Hauptkasse 400 Frs. f�r einen �blen Turm von Dingen, die weder Mensch noch Vieh zur Lust.

Ja richtig, eine Gesichtscreme brauche sie noch.

Die Verk�uferin frug, welche.

„Irgendeine, von einer guten Firma. Ja, auch einen Puder dazu. Ja, auch ein Toilettewasser, ganz gleich welches, nur nach sweet-pea m�sse es riechen. Ja, einen Lippenstift. Ja, Haarwasser, aber ein gutes, sie verlasse sich da ganz auf die Verk�uferin.“

�ber seinen ganzen K�rper hin sp�rte er jetzt Gargis Erstaunen, dieses Verschweben der wissenden Dame in mitleidige Ferne, und �rgerte sich, da� er �ber die fremde Europ�erin sich �rgerte. Was ging das schlie�lich ihn an, wenn hier die mehresten Frauen faniert aussahen, mit einer zersetzten Haut, von Metallen und S�uren schwammig angefressen?

Was ging das ihn an, da� sie nicht einmal die chemische Zusammensetzung kannten von dem, was sie hineinrieben in das k�stlichste, verletzlichste, pers�nlichste Gebilde: die Haut. Zu faul, fahrig und unwissend, die ihr allein wohlt�tigen Dekoktionen aus Harzen und Bl�ten sorgf�ltig zu erproben, deren Bereitung selbst zu �berwachen?

Was ging es ihn an, wenn sie, statt die Anmut aller Tiere, aller Ranken und Wellen in sich zu bilden, auf da� der Mann an ihnen die ganze Sch�pfung auf einmal streicheln k�nne, vermeinten, den Liebreiz eines Tieres zu ergattern, indem sie ihm das Fell �ber die Ohren zogen? Ja, es ging ihn an:

„Pallas und Nausikaa“ im Warenhause.

Die n�chsten drei Wochen waren Gargis europ�ischer Ausstattung bei den gro�en Cout�riers gewidmet, und er lernte mancherlei: da� die eine H�lfte der Frauen immer die andere H�lfte verachtet, weil sie entweder zu viel oder zu wenig tote V�gel auf dem Kopf hat. Da� eigener Wahn und fremde Aktiengesellschaften mit ihrem ungeheuren Apparat die Europ�erin zwangen, jedes halbe Jahr Milliarden auszugeben, damit ja kein Stil an ihr sich bilden k�nne, denn Stil braucht, wie alles Organische, zum Entstehen — Zeit. Mode: Todfeindin des Organischen, aber hatte zu wechseln als das, was sie sein sollte: anregender Fausthieb auf die Netzhaut f�r den optisch Impotenten, dem man alle drei Monate ganz verdreht den Frauenk�rper um die Sinne klatschen mu�, auf da� er merke: das sind Frauen. Fausthiebe aber bed�rfen steter Erneuerung, um gesp�rt zu werden.

Und er erkannte: au�erhalb Europas, wo eigener Kontur gestattet, vermag auch die �rmste als Dame zu wirken, in Europa die Reichste — kaum, denn man kann wohl modelos — uneingekleidet —, doch niemals schlechtgekleidet eine Dame sein, die Eleganz Europas aber blieb stets ein ungeheuer kostspieliges „trotzdem“: trotz Reiherstei� auf der Stirn, — immer irgendwo zu lang, irgendwo zu kurz, nicht allzu grotesk zu wirken.

F�r f�nf, sechs erlesene Frauen hie� „elegant“ sein, sich jeden schiefen und toten Wahn gestatten k�nnen, wie ein Hindernis ihn nehmen, immer noch scheu�licher, immer noch h�her! Alles �berwinden durch unzerst�rbare Rassigkeit der Anlage. Wenigen Frauen — Zufallstreffern aus Blutmischungen — gelang es halbwegs. Sie balanzierten dann auf einem schmalen Streifen Seligkeit ihre labile Auserw�hlung zwischen Abst�rzen ins L�cherliche dahin. Die aber in Europa solcherart elegant sein wollten, konnten au�erdem nichts anderes sein.

Lachend meinte er einmal zu Gargi: „Die H�lfte an Energie w�rde gen�gen, einen neuen Indra zu machen, wie es der K�nig Vismavitra konnte, hier wird ein neuer Hut draus.“

Nein, er wunderte sich nicht mehr, da� Winifred Cadogan nie Mu�e und Kraft gefunden, zu erkennen, „Eau de Cologne“ sei franz�sisch und wirklich das, was sie ja immer schon „Eau de Cologne“ genannt.

Er verdachte es ihr nicht. War zu sehr Mann dazu, orientalisch empfindender Mann, wu�te: jeder Defekt an der Frau ist nur Gradmesser des erotischen Tiefstandes ihrer m�nnlichen Umwelt.

Als Gargis Trousseau vollendet war, zogen sie sich fast ganz auf ihre Zimmer zur�ck.

Es war ja alles voll gemeiner und irgendwie unreiner Personen und voller Gen�sse f�r Str�flinge auf Urlaub — f�r zu fr�h Freigelassene oder zu lange Eingesperrte. Das Ganze ein bengalisch beleuchtetes h�ndisches Hinliebeln an jeden weiblichen Prellstein mit Tam-Tam-Begleitung; von allem zu viel, nur von einem zu wenig: Takt.

„Sie scheinen extrem anspruchsvoll,“ sagte Sir Osmond verwundert, „Paris ist ja allerdings nicht mehr, was es war ... diese vielen S�damerikaner. — Kommen Sie doch lieber nach St. M., da finden Sie jetzt die besten Leute von hier und dr�ben.“

Der 1912te Jahrestag der Geburt Christi: des europ�ischen Heilands.

Somit waren heute wieder die Trabrennen auf dem tiefgefrorenen See des sehr mond�nen Winterkurorts 1800 Meter �ber dem Meere er�ffnet worden.

Horus hatte sich, seiner heimischen Gewohnheit treu, auf seinem Appartement allein servieren lassen: Brot, Reis, Honig, Fr�chte und Milch. Gargi, erregt, fast entz�ckt von dem milden Eis dieser neuen Luft und hingegeben der ganzen, ihr so fremden Wei�e der Welt, blieb in einen Chinchillamantel gewickelt auf dem offenen Balkon allein. Ihr Gef�hrte ging, sie nicht zu st�ren. Er wu�te: nun w�rde sie zum erstenmal in Europa die tiefen und heiligen Spiele ihres wundervollen Atems in der Firnenstille erproben, sich mit der Kraft aller Sehnsucht bis ins Innerste zu reinigen versuchen von der Minderung an Kaste, an der sie, seit der Ankunft in Marseille, stumm litt.

Die Welt war wie ein Negativ. Alle Helle stieg aus dem Boden. Die Erde erleuchtete sich selbst und das Firmament.

Er wanderte an dem schneegebeugten Campanile vorbei und immer auf flaumigen Kristallen hinauf einen gl�sernen Berg. Ihm fielen die sch�nen Namen der neuentdeckten Metalle und seltenen Edelgase ein: Ytterbium, Palladium, Thorium, Argon, Neon, Tantal, Praseodym. Praseodym; stumm h�rte er es sich noch einmal an, zwischen Mund und Ohr: das K�rnig-K�hne.

Manchmal l�ste sich eine wei�e Last schwer aus den gebeugten L�rchen, st�ubte lautlos nieder in das ganz gro�e Wei�, und der befreite Zweig schwankte leise die Sternenbilder auf und ab.

Endlich kehrte er ins Astoria zur�ck. Das Gedr�nge in den Gesellschaftsr�umen lie� das Vestib�l von G�sten leer, nur eine kostspielig aussehende Dame schritt ruhig und ahnungslos zum Lift. Hinter ihr drein, mit einverst�ndlichem Gaunergegrinse gegen die Portiersloge, macht der Zimmerkellner blitzhaft eine Geste von geradezu infernalischer Gemeinheit, die jene Dame gesch�ndet zur�ckl��t. Ein Tritt mit den Augen gibt ihr den Rest. Seine gr�ndreckige Fratze voll Gier, Hohn, Schadenfreude bemerkt jetzt eine fremde Gegenwart, und alles ebbt ins �lig-t�ckische zur�ck. War es �berhaupt gewesen?

Er ging lautlos auf seinen Schneeschuhen weiter in die Garderobe. Einer der Lungerknaben vertauscht mit affenartigem Geschick B�rsenauftr�ge und Rendezvous-Billets aus verschiedenen �berziehertaschen miteinander, zwei gemauste Habannazigarren zwischen den vorderen Zahnl�cken. Der Gast. In einem Augenaufschlag die gleiche Wandlung wie vorhin: ein devotes gedunsenes Kind aus Messingkn�pfen hilft dem Herrn Pelz und �berschuhe ablegen. Er ordnet die Frackkrawatte — hinter seinem R�cken erscheint im Spiegel phantomhaft wieder der andere Aspekt: angefressene Finger pr�fen, zynisch bis in jede Phalanx hinein, die Qualit�t seines Mantelfutters.

Die gleichen Finger flechten ihn mit sadistischer Beschleunigung in die Dreht�r, als w�rs aufs Rad, und er steht in der Hall. Aus ihr schl�gt die Grellh�lle. 1500 Gl�hbirnen 75 Kerzen, alle just in Augenh�he. �berdies l�uft noch jeder der imitierten Marmors�ulen um die falsche Entasis ein metallener Serviettenring aus geschn�rkelten Lichtspritzen. Alle schie�en sie mitten ins Gesicht.

Keiner der oberen Vierhundert scheint das zu sehen, wiewohl die meisten blutige Fasern in Aug�pfeln haben, die tr�nen.

Drei Orchester durchfetzen gleichzeitig die Luft. Hier in der Hall bei dem gro�en Rotbefrackten zerrt eben das Fagott in der einen — die Geigen in der andern Ecke — mit viel Tremolo oben und unten heftig an je einem Bein des Themas, so da� es in der Mitte, gerade �ber dem Kopf des Dirigenten mit einem Knall in den eigentlichen Puccini zerplatzt. Da ertrinkt f�r einen Moment sogar das Arrageschrei der Amerikanerinnen. Rechts hinein johlt ein pfiffig schleifender Foxtrott aus dem Tanzsaal nebenan; was von links die Zigeunerkapelle aus dem Restaurant winselt, ahnt keiner. Sie hat — gleich den Stymphaliden — schlichthin ins Essen hineinzu ... musizieren.

Dem Entsetzten beginnt das Herz zu hinken in diesem hahnentrittigen Trippelrhythmus, w�hrend lange Kakophonief�den quer durchs Gehirn fatal von Ohr zu Ohr ziehen.

Keiner der oberen Vierhundert scheint es zu h�ren.

Aus den Fr�cken italienischer Kellner, aus ihren Manschetten, wenn sie Whisky-Soda servieren oder theatralische Viktualien, steigt der faulige Geruch muffelnder Schlafkammern, in denen ihre ungepflegten K�rper die Servierdre� �ber verwesende Wolleibchen ziehen.

Keiner der oberen Vierhundert scheint es zu riechen.

Horus hatte innerhalb der Aura eines Mittelmeerkulis den Atem angehalten und versuchte nun wieder an anderer Stelle Luft zu sch�pfen, sie war jedoch in diesem gegen die �u�ere Reinheit mit allen Machtmitteln der Mechanik abgedichteten Raum schon v�llig verbraucht. Rotierende Windmotore fegten nur immer die Lungenexkremente der einen den andern in den Schlund.

Keiner der oberen Vierhundert scheint es zu f�hlen.

Es war nach dem gemeinsamen X-mas-dinner zur Feier der „geistigen Wiedergeburt des Menschen“, wie europ�ische Schriften behaupten:

Royal natives
Consomm� des rois �toil�s
Mignonettes de chez elles � la Nazareth
Entrec�tes � la Sainte Vierge
D�lices de fois gras Gets�maneh
Chapons � la Broche St. Jean
Parfait des Mages

Frivolit�s.
— — — — —

Besonders Johannes der Evangelist war als Kapaun �beraus fett gewesen.

In kleineren S�len, f�r Privatgesellschaften reserviert, ging die Theophagie noch weiter. Jemand, mit einem Banalit�tstumor im Gehirn, sprach irgendwo rastlos Toaste. Im Spielzimmer sa�en gewesene Menschen seit vorigem Mittwoch beim Bridge. Die gro�e Hall aber f�llten die eigentlichen Ortswechsler von Beruf — „die Auslagenarrangeure ihrer selbst“ — krampfhaft bem�ht, immer im Lichtkegel des Scheinwerfers zu bleiben, von Florida bis Kairo. Eine irrende Horde, ewig im Umkleiden begriffen; mit hundert Kilometer Stundengeschwindigkeit eilend von einem Ort, wo sie nichts verloren — zu dem andern, wo sie nichts zu suchen hat.

Horus w�re gerne ganz in das wabernde Schmalz des Puccini gefl�chtet, als Schutz gegen die Qual der Triplekakophonie. Es stand aber eine Phalanx dazwischen. Nicht zur eigentlichen Gesellschaft geh�rig, heraufgespien von den Trabrennen: aus allen Angeln gedrehte Lebekommis, muskul�se Herren auf „esku“ aus der Pariser Affenoase mitten in der wilden Walachei, denen sehr schwarze Haare aus sehr wei�en Manschetten stachen, ethisch v�llig ausgeweidete Semiten aller Gegenden und Zonen, erfolgreiche balkanische Bandenf�hrer im Smoking — das Nationalkost�m, gr��tenteils aus einem Nachthemd und zwei Pistolen bestehend, trugen nur mehr ihre K�nige bei Photographen, junge B�rsenbrut, von Angesicht, als habe eine Hausse in Trebern sie eben auf den Lebensmarkt geworfen, und der Kaufherr aus Braila, dessen gerundete Handbewegungen immer noch die Qualit�t der Schweinsbohnen liebevoll abzuw�gen schienen, w�hrend seine �uglein wie L�use �ber alles hinkrochen.

Da vorbei schien unm�glich. Wenn sie in ihrem kabbalistischen Jobberslang von „Abstammung und geleistete Arbeit“ sprechen f�r gutes Abschneiden, und von „satteltief“ sich unterhielten, ohne da� man je sicher war: meinten sie ihre Rosse oder ihre Weiber — das vertrug er noch nicht. Lieber an den amerikanischen M�ttern vorbei, um die ganze Hall herum.

Wie er so stand, versank ihm die Menge im Raum. Er f�hlte f�r den Augenblick nur dessen zudringliche Saloppheit, die noch so unbeherrschten Machtmittel des Architektonischen am „Wohnleib“ Hotel, und sich darin als Transvestiten.

Der ganze bedrohliche Kasten war, wie alles „neueste“, im Gegensatz zum r�udigen Tragantstiel kleinerer B�rsencoups der achtziger Jahre, ganz auf S�damerika berechnet, somit auf den nat�rlichen Ungeschmack des Romanen, zum Exze� gesteigert durch Reichtum und Hitze: Stil des Tropenkollers ausgebrochener Str�flinge und nachmaliger Pr�sidenten von Republiken.

Gleich rechts vom Eingang sa� schon einer: der alte Porphyrio P�es. Sauer war es ihm geworden, endlich seine drei�ig Millionen ins Trockene zu bringen. Einmal war er der „Rebell“ gewesen, dann wieder der andre; ewig wechselnd. Oft auf der Flucht, hatte er sich schlie�lich aber doch darauf verstanden, da� im kritischen Moment immer seine Gegner von ihm abgeschnitten wurden „in Bezug auf die K�pfe“, wie es im spanischen Satzbau gebr�uchlich ist.

Neben ihm hingen Sir Osmond Cadogans Beine als Schwebebr�cken �ber die Hall zum fernen Kamin; der Verkehr wickelte sich unter ihnen klaglos ab. Seine schimmernden Pumps, offenbar heliotropisch, suchten so automatisch das Feuer, wie die Bl�te das Licht. Er sa� — die Schultern auf dem Sessel — nur der rechtwinklig abgebogene Kopf stand einsam in die Lehne hinauf und gab ihm das Aussehen eines sehr soignierten Jahrmarktautomaten — gleich w�rde er Lotterienummern zu spucken anfangen. Der ganze Sitzvorgang war bei ihm gleichsam um ein Stockwerk verlegt.

Die Hall barst von Stimmen. Unwillk�rlich horchte Horus hin.

„Genia, waren wir schon in Rom?“

„Rom? — Oh mommo, das war doch dort, wo wir die h�bschen seidnen Str�mpfe zu 14 Frs. 75 gekauft haben,“ und Genia Waanebeeker wechselte zum Kamin, das k�hle Gelee ihres Temperaments erzitterte leise, denn dort zerflo� schon allzulange Linda Bordone neben dem sch�nen Archangelo Cavadini.

14 Frs. 75, das ist doch 3 Dollar 5 Cent, oder verwechsle ich es wieder mit Fahrenheit — aber meine Liebe — bei Debenham und Freebody bekommen Sie doch first class hosiery f�r eleven six pence, das ist nur 13 Frs. 90! — �berhaupt London: da haben Sie Harrod’s und Jay’s und Selfridge — und ... Aber ein Gegenchor stand auf: nein, es gibt nur ein place for shopping: die Galeries Lafayette — die Transformationen dort, die „blouses“ und alles versank endg�ltig in dem Rachen des gro�en Pofels.

Er war sehr begehrenswert, sehr anders, wie er im makellosen Abendanzug durch den Saal schritt, sogar die M�tter tauchten einen Moment aus den „Galeries Lafayette“, wo es am tiefsten ist, und berieselten ihn gierig mit ihren Lorgnons.

Er f�hlte: eine stilisierte Sehst�rung in Brillanten an einer byzantinischen Nabelschnur. Wie kann man etwas f�r jedes halbwegs gesunde Empfinden so Besch�mendes, wie einen Defekt am edelsten Sinn: dem Auge, noch durch Edelmetalle und Steine unterstreichen — wie kann man sich mit einem K�rperfehler schm�cken? Da bemerkte er, angewidert und belustigt zugleich, da� ja auch manche Lorgnons in Fingern ruhten, die Ringe an Gichtknoten trugen.

„Warum h�ngen sich die alten Frauen in Europa nicht lieber einen Scheck in gleicher H�he um den Hals, w�re das nicht optisch erfreulicher, als Perlen �ber h�utige H�lse holpern zu lassen?“ Und die traurige Frage ward gro� in ihm: „Werden die Menschen im Alter um so viel h��licher hier, weil sie sich selbst �hnlicher werden?“

Getrennt von der kompakten Trabrennhorde trieb sich ein scheinbar wildlebender Jobber: Drilling aus Ro�t�uscher, Schmierenkom�diant und Galopin st�ndig in der N�he der Separ�es herum. Tr�ufelten dann Privatgesellschaften heraus und zerflossen in die Hall, vers�umte es die Gastgeberin fast nie, gerade diesen etwas von oben herab — und doch wieder �ngstlich — in ein Gespr�ch zu verwickeln. Als Horus vorbeiging, stand eben eine Dame, nach dem Kanon des �ltanks gebaut, bei ihm:

„Prinz Strasyboulos Argyropoulos f�hrte die Hoste� Mrs. Beermann aus Chicago, die in einer h�chst kleidsamen Kreation von Cheruit besonders faszinierend aussah. — Nein, schreiben Sie lieber: Der Marque� of Kar and Kinstone f�hrte die Gastgeberin Mrs. Beermann aus Chicago, die ...“ Ganz am Ende kam noch eine Reihe wohlklingender G�ste.

„Kein Mr. Beermann — keine Mi� Beermann anwesend?“ Der Drilling frug es mit sardonischem Grinsen.

Sie zauderte. Sollte diese makellose Dinnerfassade durch weitere Beermanns Abbruch leiden? „Nein,“ entschied sie, „die Liste ist vollst�ndig; aber da� es sicher morgen im Herald erscheint.“

Und die so j�h dem Scho� ihrer Familie Entbundene versuchte sich mit gn�digem Nicken zu entfernen.

Da sagte der Ro�t�uscher von der andern Fakult�t, dort wo sie schon an Kunst und Literatur grenzt: „Bedaure, wir sind mit Notizen ‚aus der Gesellschaft‘ f�r eine Woche komplett. Wir mu�ten schon Lady Cadogan zur�ckstellen. ‚Lady Eveline,‘ sagte ich zu ihr, ‚es ist mir nicht m�glich, selbst einer so alten Freundin ...‘.

„Ich werde Ihnen sofort Mr. Beermann schicken, um das zu regeln.“

Und Mrs. Beermann jagte ihren �ber das ganze Hotel ausgeronnenen G�sten nach. Nur Mr. Beermann stand noch da und schielte zum Erschrecken in seine eigene Brieftasche hinein. Mit Bedauern und Geringsch�tzung sah Lizzie Beermann zu ihrem eisblonden Tischherrn hin, nun sa� er wieder, sichtlich befreit, bei seiner eigenen „set“. Wie eine verpflanzte Blume war Lizzie zwischen den bleckenden Stiefeln, den Schlachth�usern und goldenen Gebissen Chicagos syrisch ausgebl�ht, litt und zersehnte sich nach dem, „dessen Kehle s�� und der ganz lieblich ist.“

Am Ende des Abends ergab sich aus dem Notizbuch des Drillings, da� der Marque� of Kar and Kinstone im ganzen acht Hostesses und Prinz Strasyboulos Argyropoulos deren sieben heute zu Tisch gef�hrt hatte.

Horus glitt an lungernden Baronen, an Epheben von den Aasfeldern der Zivilisation vorbei, quer durch den Raum zum Kamin, wo Linda Bordone wie hingeweht sa�, neben dem sch�nen Archangelo Cavadini.

Die gebauschte Gaze ihres Kleides strebte in Flatterschl�gen eines jungen Huhnes an ihm hinauf:

„450000 Tausend bar, mehr kann ich von Onkel Barnabas nicht herauspressen,“ und sie versuchte in der trockenen Spannung dieses eisigen Schlu�schachers nach vier verp�rschten Saisons ihrem armen Stimmchen das arglose Zwitschernde zu wahren, zu dem jungfr�uliches Dahinbl�hen, eine noch aufrechte Forderung aus der verflossenen Generation her, sie verpflichtete.

„Die Differenz ist ja nur 50000,“ ihre h�bsche zitternde Hand ber�hrte leicht seinen Arm.

Wie eine gereizte Maus lie� er seinen Bizeps unter ihren Fingern aufschnellen. Dann fiel ihm ein, wie er das hier doch eigentlich gar nicht mehr n�tig gehabt h�tte. Verschwendung. Aber er konnte es nun einmal nicht lassen.

„500000 bar,“ und seine Stimme war um so k�lter und h�rter.

„Als angehender Politiker,“ fuhr er fort, „w�re es �berhaupt f�r mich vorteilhafter, noch nicht gebunden zu sein — aber sollte ich mich entschlie�en — wir, die wir f�r ein gr��eres Italien k�mpfen, f�r den Genius der Rasse ...“

„Ist denn Genia der Genius der Rasse,“ zischte sie pl�tzlich kalt wie Metall.

„O, wie t�richt sind unsre M�nner, immer auf diese Fremden hereinzufallen. All ihr Geld brauchen sie f�r sich allein, der Mann darf nicht einmal das Auto mitben�tzen, und raucht er im Schlafzimmer eine Zigarette, so lassen sie ihn verhaften.“

„Quadrupedescu hat gestern nacht beim Bakkarat Monseigneur 200000 Frs. abgenommen,“ meldete Genia Waanebeeker. Von den Raeburngirls lange aufgehalten, denen ihre Eile verd�chtig gewesen, hatte sie erst jetzt den Kamin zu erreichen vermocht.

„Welch bezauberndes Kleid — wo ist es her?“ Und sie verschob dabei mit z�rtlicher Hand ein ganz klein wenig die Garnierung, die in Lindas R�cken ein Feuermal verdecken sollte.

„Callot sœurs,“ und Linda erhob sich, um in die Garderobe zu gehen. Ohne Doppelspiegel konnte sie das im R�cken nicht richten, und ihr L�cheln war auch schon ganz durchgewetzt. Einen Augenblick zischten sie maskenlos gegeneinander an; das latent Meg�renhafte, heraufgespien in ihre jungen Gesichter: zwei fletschende Gorillaweibchen mit schleifenden Vordergliedern unter Talkumpuder — bekleidet von Callot sœurs.

Wie Linda hinausschritt, betrachtete Horus die ger�hmte Toilette. Sie schien ihm eine �beraus verzwickte Angelegenheit: vorne schief, r�ckw�rts gewickelt, mit der halben linken Brust auf der rechten Schulter und einer gestickten Geschwulst ohne ersichtliche Existenzberechtigung um den Nabel; es sei denn, das Ganze stilisiere einen verwachsenen Knaben im f�nften Monat einer Gravidit�t.

„O, Callot“ — Genia sprach es K�llo — „ich gebe meinen untersten Dollar bei K�llo aus!“ Da� auch Europ�erinnen in Paris arbeiten lie�en, fand sie eigentlich anma�end.

Sie trug den Kopf sehr hoch. Teils als B�rgerin der „grandest nation of the world“, teils der leisen Drohung des m�tterlichen Doppelkinns sich bewu�t. Sie mu�te sich beeilen, ehe Linda zur�ckkam:

„Eine Rente; Kapital zahlt dad nicht heraus, aber er ist eine Million Dollar wert, und da mommo sich sicher scheiden l��t, bin ich einzige Erbin. Dads Leber ist auch gar nicht in Ordnung.“

Archangelo wandte langsam die schweren Spiegeleieraugen nach der Richtung, wo Josua Washington Waanebeeker, rosa und springlebendig, Ohren und H�nde vital behaart, nicht einmal Whisky, sondern das bek�mmliche Selters trank.

„600000 bar,“ sagte er. „Wir, die Nachkommen des alten Rom — die wir f�r ein gr��eres Italien k�mpfen — f�r den Genius der Rasse ...“

Ihr Stolz bockte auf — „Von einem Mann ohne Titel verlangen wir Amerikanerinnen mit Recht, da� er sich selbst erhalten k�nne, �brigens entspricht meine Rente kapitalisiert ...“

Horus ging weiter. Tief herauf aus der Gegend der Privatkomptoirs: Apisgr�bern mit Safes, drang „machtvoll dreischl�ndiges Bellen“. Sch�chtern schienen Beteuerungen, Beschwichtigungen ihren Diplomatenschleim dr�ber streichen zu wollen. Elihu Lincoln Rosenbusch, einer der gef�hrlichsten Aasgeier von Wallstreet, mit einem kalten Cherubkopf, hatte eine Flasche Gingerale im Werte von sechzig Centimes zu viel auf seiner Wochenrechnung gefunden.

Alle vier Direktoren hatte er sich daraufhin kommen lassen, sein eigener Privatsekret�r — er hatte den Irrtum �bersehen — zerflo� in Schlotterschwei�, und nun ging der Alte daran, gewaltige Abz�ge herauszuschinden. Daf�r war er ber�hmt. Einer der wenigen so Reichen, da� sein Name nur mehr in Anfangsbuchstaben in den head lines der Zeitungen zu erscheinen brauchte, gab sein als Sport betriebener Geiz in pers�nlichen Ausgaben fast jede Woche den Journalisten Stoff zu �berschriften:

„E. L. R. erwirbt eine rosa Unterhose bei Giles und Smallweed um zwei Dollar 5 cent. Findet einen Webfehler, fordert Schadenersatz, gleicht sich aus, indem er das Warenhaus �bernimmt, verkauft die rosa Unterhose in eigener Regie weiter, tr�gt nun wieder seine alte Gelbe auf.“ Oder:

„E. L. R. verdient an der Instandhaltung seines Golfplatzes j�hrlich 7680 Pfund Hammelspeck! Schickt G�rtner und M�hmaschinen fort, l��t die greens von Schafherden kurzfressen.“

Pausierte denn der Schacherkrampf nie und nirgends? Und wo er nicht in den Worten, da zog er sich unter der Haut hin, durch Blut, Herz, Hirn und Traum. Dabei war ihm vieles aus diesen Gespr�chen, noch mehr an den Sprechern, unverst�ndlich geblieben. Welchem Kulturkreis, Kasten gab es ja nicht, wie er erfahren, konnten etwa diese beiden M�dchen angeh�ren? Er begriff es nicht. In Joshivara, der Luststra�e Tokios, war er gewesen, in den Freudenh�usern Ispahans — kannte die Courtisanen von Madura und Travankor. Aber die letzte Pariafrau des letzten Hafenbordells Ostasiens h�tte ihr erotisches Niveau nicht so gedr�ckt, selbst um ihren Preis zu feilschen. Bei den freien Prostituierten ordnete der Mittler oder eine Dienerin die pekuni�re Frage; in den �ffentlichen H�usern wurde gleich beim Eintritt schweigend ein Betrag erhoben, dann erst erschien, unter Wahrung jeder Illusion, das Objekt der Liebe selbst: ein h�flicher, sanfter, zwitschernder Traum. Anders h�tte es die erotische Verw�hntheit eines Kuli nie ertragen.

War vielleicht das ganze Hotel ...? Doch nein, er erinnerte sich nicht, auf seiner Wochenrechnung einen derartigen Posten gefunden zu haben. Auch h�tte es ja, den Reden nach, ein �ffentliches M�nnerhaus sein m�ssen, wie jenes, das er in Paris besucht.

Er f�hlte wohl, da� da, r�tselhaft noch in ihren letzten Ursachen, eine Sexualnot ohne Gleichen schrie aus solcher Depravation. Die beiden Frauen aber hatten auf alle F�lle aufgeh�rt, es f�r ihn zu sein: Erreger seiner sch�pferischen Phantasie. Und dieser romanische Ephebe: wodurch wurde dieses M�nnchen mit seinem eisig l�mmelnden Gockeltum, das jede asiatische Dame abgesto�en h�tte, zu einem Wertgegenstand?

Er lief mit den Augen �ber Hall, Salons, Bar. Endlich in soviel Geiz, Grelle und Gier das erste gl�ckliche Gesicht. Der frohe Mann ruhte, einem friedlichen Engerling gleich, hell und fett mit dem Ausdruck verkl�rter Dankbarkeit gegen Gott und die Welt in einem easy-chair. Sein einziges Kind war hier im See ertrunken, und so war es auch der einzige Ort, den seine Gattin mied. Hier war er sicher. �berall anders hin reiste sie nach, nahm mit st�rmender Hand Freudenh�user, in denen sie seine Anwesenheit vermutete, �bersch�ttete ihn dann mit t�tlichen Insulten, Ehebruchsklagen; scheiden lie� sie sich nicht. „Bis zum Tod“ war die Devise ihrer z�hnefletschenden Treue.

„Margot — Margot.“

Widerwillig l�ste sich ein leuchtendes M�dchen aus der Gruppe College boys auf Weihnachtsferien. Wie Enden des j�h abgerissenen Flirts wehte es hinter ihr her. Die Knaben wachten auf aus ihrer Freude, empfanden wieder die eigenen Bernhardinerpfoten �berall um sich im Weg und wurden knurrig.

„Jeder ein Shiva mit siebzehn Ellenbogen,“ dachte Horus erheitert, dem Plumpheit — ungeschlachtes Wesen — an Jugend etwas ganz Neues war.

„Margot — Margot,“ die wenig elegante Frauensperson in seiner N�he winkte das leuchtende M�dchen immer energischer zu sich. Dieses erlosch. Man sah f�rmlich, wie das Gl�ck in ihren Nerven stockte.

„Was ist denn wieder — was st�rst du uns?“

„Sind das vielleicht Epouseure? Was treibst du dich mit solchen Buben herum? Sind das Aussichten?“

Sie hatte, gereizt wie sie war, so wenig leise gesprochen, da� Horus erst jetzt aus dem Bereich ihrer Worte herauskam. Daf�r sah er Margot Chenal mit ihrer ganz verzerrten Miene die Antwort nicht schuldig bleiben.

In seinem Hotel zu Paris war ihm die auffallend rassige S�dfranz�sin �fter mit dieser Frau, einer Tante aus Rouen, wie er erfuhr, auf der Treppe begegnet oder im Lift, ohne da� die beiden jedoch G�ste des Hotels gewesen w�ren. Sie verschwanden immer entweder in den Zimmern der Mrs. Ralph Waldo Cushing, einer der T�chter Rosenbuschs, oder anderer, sehr reicher Amerikanerinnen.

An dem M�dchen, dessen Temperament ihm imponierte und angenehm auffiel, trotz etwas hilfloser Direktheit, war ihm zweierlei nicht entgangen: das pauvre, schlechtgeschnittene Tailormade und die au�erordentlich eleganten Lackschuhe mit ihren kostbaren Schnallen. Immer das gleiche Kost�m, immer verschiedene neue Schuhe. Nur m�hsam schien dem Kind das Gehen, und eine Falte des Unbehagens rann ihr dabei zum Kinn, und doch stieg sie oft und oft die Treppen auf und ab, oder lief rund um die Place Vend�me. Einmal erkannte er ein Paar besonders falsch gebauter S�misch-Leder-Pumps, die gro�e Zehe lag in der Mitte des Schuhes, an Mrs. Cushings F��en wieder. Sie machte gar kein Hehl daraus. Es sei in Newyork Sitte, sich diese immer etwas schmerzhafte Schuhpremiere zu ersparen, die Chauss�re von jungen Personen, die man daf�r bezahlte, erst ein paarmal weichtragen zu lassen, es schonte doch sehr.

Hier war Margot Chenal ebenso kostspielig, reizlos und irrsinnig gekleidet wie die �brigen, nur trug sie am Abend ausnahmslos das gleiche, offenbar durch Alter reichlich geweitete Paar weicher Seidenschuhe.

Bei Porphyrio P�es und Sir Osmond sa� nun auch Dr. Hafis. Horus mochte alle drei nicht ungern um ihres trockenen Witzes willen, und weil sie — in Pausen — von Geld sprachen. In der Hoffnung auf solch eine Pause gesellte er sich ihnen zu.

Von Porphyrios Hals schlich eine br�chige Vene den kahlen Sch�del hinauf, bog rechtwinklig am Ohr ab und m�ndete auf dem Scheitel in eine �berh�ngende beerenschwere Warze. Beim Kauen oder Sprechen geriet die Vene jedesmal in Bewegung wie eine Klingelschnur, und oben bei der Warze entstand ein Moment atemloser Spannung: wird sie l�uten?

Er sprach: „Peru hat Peruaner. Japan hat Japaner. Warum hat die Schweiz keine Schweizer?“

„Es mu� doch welche geben,“ meinte Sir Osmond, „existiert da nicht ein Pr�sident?“

„Wie hei�t er?“ Niemand wu�te es. Der erste Nachtportier, der Barkeeper, f�nf Lungerknaben, der Manager, alles wurde gerufen. Keiner wu�te, wie der Pr�sident der Schweiz hie�.

„Sehen Sie wohl,“ triumphierte Porphyrio, „es gibt so wenig einen Pr�sidenten als ein Schweizervolk; dies haltlose Ger�cht wird aus Reklame oder Gott wei� weshalb von der ‚International Alpengl�hen limited‘ ausgestreut.“

Dr. Hafis meinte:

„In grauer Vorzeit mu� es aber doch welche gegeben haben. Es werden eben jene zwei fremden Leute aus Bronze sein, die in jeder Stadt des Landes stehen. Entweder: ein Lackel im Nachthemd mit Eispickel in Kreuzform und drunter liest man: Zwingli; oder: ein Greis mit Basedow bel�stigt ein Kind: Pestalozzi. Welchen Zweck k�nnte es f�r die ‚International Alpengl�hen limited‘ haben, einen Lackel im Nachthemd und einen Greis mit Basedow �ber das Land zu streuen? Sie erh�hen seinen Liebreiz nicht und verzinsen sich nur ungen�gend.“

Aber mit greisenhafter Starrk�pfigkeit ritt Porphyrio seinen ersten Einfall tot:

„�berhaupt ein europ�ischer Pr�sident,“ knurrte er, „das hat ja blo� drei Funktionen. Erstens: alle verb�ndeten Kaiser-, K�nigs- und F�rstenkinder zu Weihnachten mit Puppen zu versorgen. Zweitens: in allen zeitgen�ssischen Monstreskandalprozessen restlos verwickelt und auf das Schwerste kompromittiert zu sein. Endlich mindestens einmal in der Woche f�r das Kino bei str�mendem Regen, mit triefendem Schirm und Zylinder, hinter einem ber�hmten Leichenwagen herzustapfen. Das ist ein Pr�sident — in Europa,“ f�gte er mit der Miene eines Tigers, der ein Kipfel ausspuckt, hinzu.

Archie Payne schlurfte, F�uste in den Hosentaschen, herbei. Glatt hinausgestrichen war das albinobleiche Haar aus dem eiskalten Hexengesicht des Neunzehnj�hrigen. Er w�re der erfolgreichste Snob Newyorks, also der Welt, geworden, h�tte ihn seine explosive Frechheit nicht zuweilen wieder betr�blich zur�ckgeworfen — den restlos Bedientenhaften, den Geist ihrer Umgebung stets mit der Gewissenhaftigkeit von Cham�leons Widerspiegelnden, zum Gewinn.

Mit geheimnisvollem Sphinxl�cheln raunte er den andern zu:

„Es gibt sogar noch heute lebende Schweizer, aber verraten Sie die armen Dinger nicht.“

Er schien mit Bardenh�nden in eine imagin�re Leier zu greifen und machte M�rchenaugen:

„Hark! In seltenen hellen N�chten — um die Mitternachtsstunde — da kommt es bisweilen im Mondlicht hervorgeh�pft und hei�t etwas, das klingt wie ‚R�dis�tli‘. Doch schon st�rzt sich die lauernde Horde der Weltkommis mit Blitzlicht, B�chse und Selbstknipser, ‚hurra‘ aus dem Hinterhalt br�llend, drauflos, und mit einem Pfeifen der Angst verschwindet es, gleich dem Murmeltier, wieder hurtig im Gestein.“

„Nun versuchen Sie’s doch einmal mit einem Schmetterlingsnetz oder einer Zauberformel, Archie,“ meinte Sir Osmond. „Ich zahle jeden Preis und den doppelten f�r das lebende Exemplar.“

Der Marchese Strondoli wartete. Er wartete seit sieben. Jetzt war es halb elf. Seit vier Uhr machten die beiden Friseure Schichtarbeit, desgleichen die erste und die zweite Kammerfrau. Die strategische Leitung lag in den behaarten H�nden des zahmen Russen vom Moskauer Ballett; Entwerfers der Kost�me und Garderobiers.

Im kleinen Drawingroom nebenan wartete auch die Gastgeberin: her grace of D. mit den �brigen G�sten. Strondoli aber hatte jene Dame, auf die alle warteten, in der Hall zu empfangen, als der erkorene Begleiter. — Vermutete man mehr, so lehnte er geschmeichelt und kraftlos ab. So einfach aber lagen die Dinge durchaus nicht.

Vor einer halben Stunde war gemeldet worden, sie stehe schon auf dem Korridor. Auch daraufhin blieb er innerlich noch immer mit untergeschlagenen Beinen sitzen — wu�te: force majeure, was einer Dame im letzten Moment noch alles an Kosmetik einzufallen vermag.

Da bemerkte er im Spiegel das Fr�ulein Erika Unbehagen, Erzieherin im Hause Beermann, eine Faust im Mund, sich k�sewei� in die Wand des Foyers einkrallen: nun war es Zeit.

Der gl�sernen Keimzelle des Lift entstieg die Principessa Dango: „la princesse macabre“. Der zahme Russe streute noch knieend den riesigen Dogaressamantel aus Kolibrifedern hinter ihr aus; von viertausend Vogelb�lgen waren nur die rostgoldenen und rosigen Federchen eingestickt in ihn. Einen schr�gen F�cher aus denselben leuchtenden Leichen hielt ihr starrer Arm hinter dem Haupt hoch, aus dem waberndes Henna hervorbrach, zu einem Adlerhorst auseinander toupiert.

Sie schien ein Wesen aus zitterndem Silberdraht.

Blutige Binden von Rubinen lagen ihr um den bl�ulich harten Totenkopf, und in Rubinen blutete es immer weiter �ber karfiolfarbene Windelgew�nder herab und bleiche Arme — Herztropfen all der Kolibris — bis nieder zu den H�nden, an denen lilablasse gew�lbte N�gel gleich Magnolienbl�ten gro� an kahlen Fingerzweigen ragten.

Sie wand sich vorw�rts, als w�re sie erblindet von dem kobaltblauen Pulver in den m�chtigen Augenh�hlen. Prachtvoll schnitt in den fahlen Kopf das Schwert ihres langen Mundes — querhin durch Taubenblut gezogen: der Hy�nenprinzessin Mund, wie er ein viergeteiltes Reiskorn bei Tag — bei Nacht Leichen aus Juwelengew�ndern fri�t.

Der Marchese war gezwungen, ihr den falschen Arm zu reichen, denn hochaufgerichtet hielt sie noch immer mit der Linken den schr�gen Kolibrif�cher �ber das wabernde Henna. Die Vision von B��ern stieg auf — den lebenslang Bewegungslosen an den Ufern des Ganges, und von verdorrten Gliedern, in denen die V�gel nisten.

Sie wand sich in den Fesseln ihrer Exklusivit�t dahin zwischen Inseln von gezischtem Schweigen; ein Kielwasser von Entsetzen, Bewunderung und Mi�gunst hinter sich lassend. Lorgnons beschlugen sich mit Rauhreif vom todkalten Ha� der Blicke, aber hier hie� es, sich ducken. Sie war eine zu hohe und weltbekannte Mond�ne. Europas Spie�er, noch feucht vom Brodem des Beisels, w�ren wohl nicht zu b�ndigen gewesen — h�tten eine solche Erscheinung unter veitstanz�hnlichen Symptomen niederzujohlen versucht. Diese hier waren immerhin wenigstens schon Snobs.

„Hohe Rasse,“ dachte Horus, „edel im Aufri� — schade, da� der letzte adelige Fl�gelschlag hinauf in sch�pferische Vereinfachung offenbar versagt hat. So bleibt es raffinierte Barbarei. Immerhin, ich will sie kennen lernen.“

Sie interessierte ihn zu wenig, als da� seine Willk�r hier ehrf�rchtig beiseite getreten w�re, die geheimnisvolle Bahn ja nicht zu kreuzen, in der, nach tieferem Gesetz, jene sich begegnen sollen, die bestimmt sind, einander bis zu einem bedeutsamen Grade Schicksal zu werden.

Ein button-boy grinste eine Botschaft. Spuckte dabei die ihm unverst�ndlichen Fremdworte unter Ekelerscheinungen aus, nachdem er ihnen den Sinn abgebissen — alles zwischen T�r und Angel von Dummheit und Frechheit — bereit, bei strafferem Zugriff sofort in unzug�ngliche Verbl�dung, gest�tzt auf einen nat�rlichen Kropf, zu versinken.

Endlich verstand Horus. Es handelte sich um eine spiritistische S�ance bei Lady Cadogan mit ganz erstaunlichen Resultaten unter strengster wissenschaftlicher Kontrolle. Man bat ihn, hinaufzukommen, zur Verst�rkung des Kreises.

Oben, in einem zu Tode langweiligen Zimmer, war es hell und leer. Aus dem geschlossenen Nebenraum — er schien schwer von Menschen — erschollen ged�mpfte Fragen — tropfende Buchstaben antworteten endlos. Manchmal schienen die Fragen mit den Buchstaben unzufrieden, dann begann es wieder von vorn. Schlie�lich schlich sich eine Stimme auf den Zehen bis zur T�r und meldete breitgequetscht vor R�hrung:

„Neieschte Nachricht aus der Hell: Der Nero fangt ebe aan zu bereie.“

Friedolin Eisele, Pr�sident der Theosophischen Gesellschaft zu Bopfingen, stand im Salon und zog Horus durch einen Spalt ins verdunkelte Sitzungszimmer, aber auch dort flammte es jetzt auf; die Herren verlangten eine Pause. Man rief nach Whisky-Soda.

Um den ovalen h�lzernen Tisch des kleinen Raumes, Lady Cadogans Ankleidezimmer, von dessen Fu�boden der Teppich zur�ckgerollt worden war, sa�en Knie an Knie etwa acht bis zehn Personen. Eben fiel die geschlossene Kette ihrer H�nde, die bisher wie Polypen die Platte umspannt gehalten, auseinander.

„Wir haben heute Tiefergreifendes erlebt,“ begr��te ihn die Hausfrau, „es war direkt eine Eingebung von mir, after dinner den heiligen Abend noch der Geisterwelt zu widmen. Das mit Nero haben Sie ja schon von unsrem lieben Adepten Eisele erfahren, aber auch ganze Schw�rme andrer Seelen verdr�ngen einander heute f�rmlich aus dem Tisch. Einer sprach so komisch, wir dachten schon, es sei vielleicht Buddha. Darum lie� ich Sie heraufbitten, uns sein Sanskrit oder Pali zu �bersetzen — denn,“ f�gte sie z�gernd hinzu, „vielleicht f�llt ihm das Englische schwer.“

„Unsinn, Eveline,“ verwies sie Muriel Hitchcock, sich die Nase pudernd.

„Wenn es doch Nero konnte und ohne einen einzigen orthographischen Fehler zu klopfen, the darling, so r�hrend zerknirscht er auch war. Habe ich nicht recht, Monseigneur?“ wandte sie sich an den zwergischen Franzosen ihr gegen�ber.

Monseigneur aber hatte nicht zugeh�rt; er versuchte so angestrengt, mit Gloria Rawlinson, die gleich einer wundersch�nen, nie angez�ndeten Lampe, wei� und golden dastand, ein Gespr�ch in Flu� zu bringen, da� ihm der Schwei� ausbrach. Er war vom Typ jener kleinen, instinktschwachen Rattler; �berall, wo es mond�n zugeht, wandern auch sie von Scho� zu Scho�, ohne da� man w��te, wem eigentlich zur Lust sie gez�chtet werden. Sein Adjutant: Aquetil du Perron, von Sch�del halb Birne, halb Schaf, massierte still seine wei�verkrampften Finger und lie� sich von Winifred Cadogan mit petit Fours f�ttern. Madame Bavarowska, voll und wild, siebenarmige Leuchter in den Ohren unter der Carmenfrisur, erz�hlte unterdessen von einem sensitiven Kind, das sie einmal in der society of psychical research in London zur Beobachtung gehabt.

Sonst ein liebes Kind, aber — wie Kinder schon einmal sind — nachl�ssig eben, immer lie� es beim Spazierengehen seinen Astralk�rper hinten hinaush�ngen. Ununterbrochen hie� es da aufpassen und hinterdrein sein, um ihn, wenn n�tig, zur�ckstopfen zu k�nnen. In Oxfordstreet sei es einmal deshalb fast zu einem Skandal gekommen, denn das Publikum — in Astralk�rpern wenig erfahren — vermutete etwas Unsittliches und bohrte die Regenschirme hinein.

Man beklagte den noch vielfach herrschenden Skeptizismus der Zeit, wo es doch jedem Gebildeten offen st�nde, durch Auflegen der H�nde auf den Tisch sich von dem pers�nlichen Fortleben nach dem Tode einwandfrei zu �berzeugen.

Friedolin Eisele widersprach, lobte gerade die wachsende Beseelung der Zeit, und wie sie dem Wunder immer zug�nglicher werde. Erschlug schlie�lich jeden Widerspruch mit dem jubelnden Argument:

„Mer havve schogar scho myschtische Bankdirektore.“

Er glich dem freundlichen Seepapagei: ein kugelrunder Anfang, und dann war es gleich ganz aus mit ihm — gar der Rede nicht mehr wert. Ein mystisches Furunkel aus gestanztem Blech wuchs in seiner Krawatte, und auf dem Zeigefinger der Rechten trug er den Siegelring der Blavatzky als einer der sechsundsiebzig, die sich r�hmen, den echten von der gro�en Adeptin eigenh�ndig auf dem Totenbett erhalten zu haben. Auf der Reise zu einem Kongre� nach Bern war er — Lady Cadogans Gast — auf ein paar Tage in dieses ihm fremde mond�ne Milieu verschlagen worden.

Verkl�rt hingen der Gastgeberin waschblaue Seheraugen an ihm. Da er geendet, wandte sie sich Horus zu:

„Und ist auch Ihnen, Mr. Elcho, der Sie zum erstenmal in Europa sind, diese mystische Atmosph�re, diese wachsende Macht der Magie an unsrem Kontinent aufgefallen?!“

„Bisher, offen gestanden, nur an Kellnern,“ l�chelte dieser, „die mir als einzige in Europa �ber au�ernat�rliche Kr�fte zu verf�gen scheinen, verm�gen sie doch, wie durch Fernwirkung, Messer, L�ffel und Teller von scheinbar ganz entfernten Tischen auf den Boden schmettern zu lassen.“

Man lachte oder entr�stete sich, beschlo� aber, nun endlich die unterbrochene S�ance wieder aufzunehmen und r�umte den Schnaps weg. Die Lichter wurden gel�scht, alles r�ckte zusammen und umschlo� aufs neue mit gespreizten H�nden von oben die Tischplatte, wobei die kleinen Finger sich ber�hren mu�ten, um, wie Horus staunend erfuhr, jedem die wissenschaftliche Kontrolle �ber den andern zu sichern, und somit einwandfrei die Echtheit der Ph�nomene.

Und das alles im Zeitalter des „Nicholsonschen Versuchs“ — des „Raumgitters“ — der „Berechnung des Strahlendrucks“! dachte der Befremdete.

„In demselben Europa, dem meine ganze Sehnsucht und Begeisterung galt, um seiner wissenschaftlichen Gewissenskraft willen; das unaufh�rlich in Tausenden von Publikationen, die seine Adelsbriefe sind, �ber die Erde hin k�ndet von Genialit�t und g�ttlicher Verbissenheit ohnegleichen, k�ndet von Hilfskonstruktionen, Pr�zisionsapparaten, Sicherungen und Gegensicherungen, damit ein einziger Nebenversuch um ein weniges verfeinert werde und sich einordne jenem lauteren, herben, l�ckenlosen Geisterbau, der selbst nichts soll als einen neuen Ann�herungswert an das Geschehen erm�glichen — und gerade durch diese Beschr�nkung an Gewalt und Tiefe des Einblicks alle Intuition andrer Kulturen weit hinter sich gelassen hat?“

Wie war solcher Abstand im Kritisch-Geistigen unter Menschen der gleichen Rasse, der gleichen Zeit �berhaupt erkl�rbar?

Durch das Fenster kam blaues Schneelicht und zeichnete jedes Einzelnen Kontur mit einem Me�band aus vergastem Metall. Einige Minuten herrschte erwartungsvolles Schweigen. Nun wollte jemand eine wandernde Flamme unter dem Tisch bemerkt haben. Sie erwies sich jedoch als silbernes Zigarettenetui, das du Perron mit den F��en Monseigneur auf den Scho� hin�ber zu praktizieren versuchte. Diese triviale Auslegung des Ph�nomens fand wenig Anklang. Man solle sich nie durch solch scheinbar einfache Erkl�rungen beirren lassen.

Urspr�nglich sei es doch eine Flamme gewesen. Der magische Kreis ermangle eben noch der n�tigen Kraft zu dauernden Materialisationen. Das h�tte das Flammengespenst gerade noch rechtzeitig gemerkt, um seinen R�ckzug auf scheinbar nat�rliche Weise durch das Zigarettenetui zu decken, dessen �berreichung in diesem Moment durch magische Einwirkung auf du Perrons Unterbewu�tsein erfolgt sei. Nichts schien einfacher.

They are sooo smart“ — sie sind ja so gerieben, best�tigte Lady Eveline.

Also den Kreis verst�rken: Monseigneur und Quadrupedescu, Glorias Nachbarn, vertraten die Ansicht, intensiverer physischer Kontakt zwischen den Teilnehmern w�rde die Ph�nomene wesentlich f�rdern. Doch man heischte Ruhe, wartete wieder. — Nun knackte die Platte deutlich. Alles glimmerte vor Erregung, nur Muriel Hitchcock blieb ruhig, das graue Papiergesicht voll Herablassung seitw�rts einem Unsichtbaren zugelehnt.

„Es ist Alastair. Ich sp�re ihn schon die ganze Zeit hinter meinem Sessel. Nie vers�umt er eine Gelegenheit, mir nahe zu sein.“

Sie war aus Philadelphia, trotz wurmiger Haut h�bsch, hypersmart, und gab sich, da sie ein wenig hinkte, gern f�r eine etwas beschleunigte Reinkarnation der Lavalli�re aus. Das mit Alastair aber ging, wie man nun erfuhr, schon viel l�nger; seit sie eine wundersch�ne griechische Het�re zu Alexandrien gewesen und er, als S�ulenheiliger, aus Leidenschaft zu ihr sein Gel�bde gebrochen hatte und f�r sie gestorben war. Durch diesen gewaltsam fr�hen Tod waren sie seitdem immer um eine Drittel-Inkarnation auseinander — very trying indeed — und konnten sich nur mehr oder weniger durch Tischplatten hindurch angeh�ren. Jetzt wollte keine der Damen in Astralflirts zur�ckstehen. Eine Art makabren Erotelns hub an, und es ergab sich, da� alle schon einmal wundersch�ne griechische Het�ren gewesen. Madame Bavarowska aber scho� den Vogel ab mit einer extra Flei�inkarnation als Pharaonentochter. Es bedarf wohl der Erw�hnung nicht, da� sie auch in dieser Gestalt von einem Liebreiz war, der vielen zum Verh�ngnis werden sollte. Nun begannen die Damen zu er�rtern, was sie jedesmal angehabt, und die Sitzung drohte in einer Modediskussion zu verenden; die Weiber zerschnatterten alles, als der Tisch deutliche Zeichen von Ungeduld gab, Friedolin Eisele um Ruhe bat und die Leitung der S�ance wieder �bernahm.

Es wurde mit dem Tisch vereinbart, ein Klopflaut bedeute — „ja“, zwei — „nein“, damit man in zweifelhaften F�llen wisse, ob richtig buchstabiert worden sei. Nun begann Eisele langsam immer wieder das Alphabet herunterzusagen, wie Horus es schon vom Salon aus vernommen. Der Buchstabe, bei dem es klopfte, galt, und so setzten sich mit der Zeit Worte zusammen. Der Tisch war gerade bis Mia gelangt und wollte flie�end weiterreden, da warf sich Madame Bavarowska mit einem Aufschrei �ber ihn.

„Mia — c’est pour moi — f�r mich, so hei�e ich!“

„Sie hei�en doch Natalie,“ widersprach es aus grollender Runde.

„Aber Mia ist mein Kindername. Maman, bist du’s? ... Sag, soll ich Rio Tinto kaufen?“

Der Geist der Mutter bejahte.

„Zu welchem Kurs?“ Der Geist der Mutter nannte einen exorbitant hohen. Dann verschwand er. Der Tisch fing etwas Neues an. Bis dais kam er. Da sprang wieder Madame Bavarowska vor und verteidigte ihn, wie eine greise Leopardin ihr letztes Junges.

„Daisy — c’est pour moi! der Kosename meines ersten Gatten f�r mich. Bogumil, was hast du deiner Daisy zu sagen?“

Bogumil sagte einiges. Sp�ter, als es „pip“ klopfte — die Dame zum drittenmal aufzuspringen und auch so zu hei�en Miene machte, wurde es Winifred Cadogan zu bunt. Sie gab dem Tisch mit dem Knie einen Sto�, da� er gegen die Namenreiche flog, und nur das au�erordentlich starke straight-front Mieder verhinderte ernstlicheren Schaden.

Madame Bavarowska war ganz entz�ckt:

�a p�se — �a p�se ... welche Kraft der Materialisationen, welch eine Sitzung.“

Winifred platzte aus.

„Und da k�nnt ihr scherzen, mais mes enfants, nie wieder werdet ihr so eine S�ance erleben“ ...

Der Tisch puffte weiter in sie hinein, bis endlich du Perron und Quadrupedescu Winifreds Knie geb�ndigt hatten.

Der Beobachtungsgabe der �brigen schienen diese Vorg�nge andauernd zu entgehen.

Schlie�lich war man ja auch nur der Klopfph�nomene: der harten kleinen Schl�ge im Inneren der Platte, wegen da, die niemand mit Knieen und Beinen hervorbringen konnte. Auf der Oberfl�che des boxenden Tisches aber spannten sich, weithin sichtbar, von kleinem Finger zu kleinem Finger, immer noch die H�nde aller Teilnehmer im blauen Schneelicht.

Mit der Zeit meldeten sich auch Goethe und Napoleon zu Wort. Ersterer unterhielt sich auf das Angeregteste mit Lady Eveline �ber die Verwerflichkeit des Dumpingsystems neudeutschen Handelsbrauchs, und so wickelte sich der Verkehr zwischen Lebenden und Toten klaglos ab, bis urpl�tzlich Verwirrung entstand — geradezu heilloser Unfug. Viertelstundenlang wurden immer tollere, sinnlosere Worte geklopft, Fragen in einem bejaht und verneint, bis Eisele die Geduld verlor:

„Saum��ig schw�tzet se daher,“ fuhr er Napoleon an, den er heimlich im Verdacht hatte. Es half. Die Antworten ebbten wieder ins Verst�ndige zur�ck. Was hatte sich ereignet? Horus war es bei dieser seiner ersten S�ance schon nach drei Minuten klar geworden, die Klopflaute m��ten sich durch Spannungen im Holze der Platte willk�rlich erzeugen lassen: gleichm��iger, dauernder, geschickt verteilter Druck ruhender Fingerspitzen den Flader entlang und dann wieder pl�tzliches Nachlassen dieses Druckes, w�rden wohl gen�gen, um bei dem gew�nschten Buchstaben ein leises, kurzes Krachen zu erzwingen.

Nach einer Weile riskierte er diskret den Versuch. Der gelang sofort. Nun war es ihm eine Erheiterung, dem Ph�nomen konstant die Pose zu verpatzen; in jedes Wort irreparable Buchstaben hineinzuklopfen. Nach Eiseles Zuruf h�rte er auf. — Die Methode war ergr�ndet, jetzt hie� es nur noch den eigentlichen Klopfer herausfinden, und ob sein Ziel schlichthin idiotisches Gesellschaftsspiel in after dinner Mystik bedeutete oder Zweckhafteres vielleicht.

Die Damen — sie hatten wohl in ihrem Leben noch nie einen Flader am Holz bemerkt — schieden allesamt von vornherein wegen geistiger und manueller Minderwertigkeit aus, desgleichen Monseigneur. — Friedolin Eisele? Nein — ein Rindvieh voll Lauterkeit. Es war eben ganz einfach nicht mehr zu leugnen, Horus hatte eine Schw�che f�r ihn gefa�t, seit Eisele nach der lauten Auseinandersetzung mit Napoleon noch leise leise, nur Luchsohren vernehmbar, auf den Korsen den gro�en Fluch seiner Tribus geschleudert:

„Da� di’s Meisle beischt.“

Es d�nkte ihn der herzigste Fluch, den er je geh�rt: das �rgste, was ja �berhaupt passieren konnte, war, da� er eben in Erf�llung ging ... schlie�lich schien das Malheur dann noch immer nicht gar so gro�.

In die engere Wahl kamen somit du Perron, das Birnenschaf und Quadrupedescu: Deponens von Clubmann und Hundedresseur.

Sensation! Im Tisch erschien Moltke, nannte den Namen eines osmanischen Prinzen und prominenten Heerf�hrers, der eben jetzt im Balkankriege gegen Bulgarien im Felde stand. Aller Augen wandten sich Lady Cadogan zu. Man wu�te, da� sie, seine langj�hrige Freundin, auch ihn durch fast unbegrenzten Einflu� zum Spiritismus zu bekehren vermocht. Totwei� �ber den Tisch gelehnt, ganz benommen vor Stolz �ber die eigene Bedeutung, harrte sie weiterer Botschaft. Warnung kam: wenn bestimmte Armeekorps, ihre Nummern wurden genannt, die gegenw�rtig f�r den soundsovielten bestimmten Bewegungen ausf�hren w�rden, fiele Adrianopel in Feindeshand.

Ungeheure Erregung. Lady Eveline nahm jedem Teilnehmer das Wort unverbr�chlichen Schweigens ab, ehe sie nach einem Telegrammformular hinausst�rzte, in der nur ihr und dem Prinzen bekannten Chiffrenschrift das vom Geiste Moltkes ergangene Verbot unverz�glich zu drahten. Die Sitzung fortzusetzen, fiel niemandem mehr ein.

Madame Bavarowska stie� pl�tzlich aus allen K�rper�ffnungen schwarze Schleier aus, hatte ein St�ck schwarzes Flie�papier — kein Mensch wu�te woher — vor sich auf den Tisch gebreitet und zog aus ihrer juwelenbesetzten Goldtasche ein Paket Spielkarten von geradezu phantastischem Schmutz.

Ob man sich weissagen lassen wolle? Den ekelerregenden Zustand der Karten begr�ndete sie durchaus plausibel damit, jene stammten aus einer Kaperbeute ihrer Vorfahren m�tterlicherseits, die alle ber�hmte Seer�uber im Schwarzen Meer gewesen. Andre Familien behaupteten solches zwar auch, von der ihren sei es aber dokumentarisch nachweisbar.

Horus entkam im allgemeinen Wirrwarr. Schon einen Augenblick vorher hatte Quadrupedescu, sein blaurasiertes L�cheln wie mit Schmier�l �bergossen, den Clowntorso aus der T�r gedreht.

Horus beutelte sich: ein Gl�ck f�r euch, da� Geistergrenzen fester versiegelt sind, als after-dinner Mystik sich tr�umen l��t. Welche Astralhaie m��ten im Kielwasser solchen Seelen folgen. Was m��te aus dem Unsichtbaren her, solchem Ruf gehorchend, an der Schwelle einer Horde lauern, die blind, taub, flirtend, gierend, gerade ihren christlichen Schlangenfra� mit Whisky-Soda wieder aus allen Poren dampfen l��t? Hielte die Schranke nicht, in die H�nde welch ultravioletter Fallotten w�rden diese Nekromanten nach dem Gesetz der Korrespondenz wohl fallen?

Und gedachte der vornehmen indischen Dame, deren Gatte zu sein er die Ehre hatte, dort oben auf ihrem bestirnten Altan. Sein Herz ging aus zu ihr und strebte zur�ckzukehren in die Heimat ihres Kusses, denn „es dr�ngt zum geliebten Wesen die Begierde, ger�hrt zu sein“.

Unten im Foyer bestieg eben die Principessa Dango wieder die gl�serne Keimzelle des Lift. Noch immer hielt ihr gereckter Arm den F�cher aus leuchtenden Leichen �ber das wabernde Henna. Strondoli vervielf�ltigte sich um sie in Brunstbewegungen. Alle Facetten seines M�nnchentums waren in Rotation — ganz schwindlig konnte einem dabei werden.

Sie sagte nichts als: „Impossible“.

„Um elf Ski-kj�ring nach Sils. Bleiben kaum zwei Stunden Schlaf. Impossible.

Strondoli ri� die Uhr heraus. Beteuerte mit Blicken, Lippen, Haut, Haar, wie fr�h es noch sei, indes sein markiger Arm das „elf Uhr“, ganz weit drau�en, platt an den Rand der Ewigkeit gestemmt hielt.

Vergebens. Rundum abgedichtet mit Durchsichtigem, entglitt sie am Draht des Lift, der lose in seinem Nabel kreiste, durch den Plafond nach oben.

Der Marchese zog seinen edlen Leib ein — wurde konkav vor Entt�uschung; pfiff dem Boy und frug nach Mademoiselle Fifi.

Bei der Loge des Nachtportiers stand Quadrupedescu, �bergab ein dichtbeschriebenes Formular als dringend zu drahten. Auch diese Depesche war, gleich der Lady Cadogans, chiffriert, bis auf zwei Worte: Bestimmungsort und Adressat. Berne und irgend etwas ... de B�lgarie. Also darum, nach verh�llenden M�tzchen, Pr�liminarien: Moltkes Geist samt „Warnung“. Es hatte sich eben darum gehandelt, eine f�r Bulgarien gef�hrliche Operation des t�rkischen Heeres zu verhindern, und das hatte dieser geriebene Agent auf so primitive Weise erreicht, da� kaum ein Botokudenpaar darauf hereingefallen w�re. Von solchen Vorg�ngen also hingen europ�ischer V�lker Schicksale im zwanzigsten Jahrhundert ab.

Morgen hie� es, bei Lady Eveline Moltkes Ansehen sanft untergraben, nicht etwa sein Erscheinen leugnen, das h�tte ihre Eitelkeit nie zugegeben, nur einfach ihren Jingoismus gegen sein Deutschtum aufstacheln. Vernunft: wenn zwei entgegengesetzte Dummheiten gerade gleich stark sind. Ja, er hatte in diesen wenigen Wochen im dunkelsten Europa schon viel gelernt.

Einen Blick noch warf er in die Grellh�lle, wo die ruhelosen Barbaren, von drei Orchestern durchbohrt, violettgesprenkelt vor Schnaps und schon v�llig verwildert, immer noch in ihrer eigenen Kohlens�ure fatal herumwateten.

Hier, von oben gesehen und durch die Rauchschichten hindurch, war das Ganze einem infernalischen Aquarium nicht un�hnlich.

Er dachte: vielleicht ist es hier wie mit den niederen Tiefseetieren: n�hme man pl�tzlich den ganzen ungeheuren Druck von ihren Sinnen, unter dem sie zu leben gewohnt sind, h�be sie ins Leichte, Freie, in h�heres Element — ob sie sich dann auch selber zu vomieren beg�nnen ... auf einmal die Gallenblase nach au�en, und �berhaupt alles vorn�ber gest�lpt?

Aber wozu leben sie unter diesem, alle Empfindung erschlagenden Sinnendruck?

Warum verwechselt der Europ�er Grelle, L�rm und Gestank mit Freude?

Ja warum?

Er hatte damit zum erstenmal an ein Grundproblem ger�hrt — aber er wu�te es noch nicht.

Pl�tzlich war Europa herrlich.

Dieses „ausgefranste Hundeohr am Kontur Asiens“ hatte eben die beispiellose Chance, da� Schnee drauf fiel — auf Barbarei und Irrsinn �ber Nacht bestirnte Reinheit wuchs.

Horus, von Pitz Nair kommend, lag in seinem brennhei�en japanischen Bad — neben sich Tee und knusprig nachbrodelnde Muffins — in H�nden ein edles Buch, mit dem man durch tausend Reiche fliegen konnte — vor sich Schlaf, eine runde Nacht voll, ausgeflaumt wie ein Vogelnest — die Wand hinauf aber lehnte, ganz nah im Schmeichelkreis seiner Finger, die neue grande Passion: Skier.

So ruhte er, ein k�stlich zerbrochener Sieger am Fest des blauen Raumes, und geno�: auf der Haut sch�umende Nadeln — im Herzen Ozon — im Blut Eis und Gefunkel. L�chelte ger�hrt den beiden gestreckten Schneefl�geln aus schwingendem Hickoryholz zu: schwarzes Schneeschilf, wei� gerippt, tr�umte an ihm seinen tiefen Tag zur�ck. Gr��te erst das entz�ckend linsenf�rmige Anschwellen der Spitzen, durchlocht wie Ohrl�ppchen, nahm jene klare, von der Bindung gekr�nte Kantengruppe mit dem Finger in seinem Organismus auf: Verschneidungskurve zwischen dem mechanisch wirksamen Profil und der idealen Oberfl�che des Skik�rpers; so vollkommen fast wie jene, die an der Helice der Nabe zuschwillt. Vom Schneekiel, der Rinne an der Unterseite, in einem Myrtenblatt verstrahlend, mochte man gar nicht erst sprechen, direkt einen neuen Raumsinn schuf er in den Sohlen und war �ber Lob schlechtweg erhaben.

Jetzt fuhr er mit den Augen den Ski entlang, bis wo dies einfachste und freieste Ger�t sich aufb�umt und aus dem Planen l�st nach oben. — Sein Herz schlug — er glitt los zum Sprung; immer rascher hinein in ein Vorw�rts ohne jede Wahl. Hinein ins Ducken, Abschnellen, dann Hinausgerissenwerden in den Raum. — Dort endlos im Nichts h�ngen, im Nichts Richtung halten m�ssen — die Arme zu Propellern geworden — das Bewu�tsein in den Sprunggelenken, ganz dem Aufprall entgegengespannt und dem hirnwirbelnden Schu�. Das Unbegreifliche dieses Aufpralls, dieses Schusses trieb dem Entr�ckten das Herz ins Hirn vor Blut und Eislust. Seine H�nde fand er an den Rand der Wanne wie an einen Starkstrom hingekreuzigt, und kalte Sterne spr�hten hinter seiner Stirn.

Erst in den mildernden Wellen des Gel�ndes, als schon bremsende H�gel dem Schu� in sein Rasen gefallen, vermochte er die duffen Finger der Rundung des Emails abzurei�en. — Atem st�rzte wieder in ihn, doch er wu�te noch nichts Rechtes mit ihm anzufangen; es donnerte sein Herz.

Bei Auto, Flugzeug, Motorboot — immer ist noch etwas eingekeilt zwischen Mensch und Schnelligkeit. Auf diesem Zwischengliede hockt er dann: ein beherzter und recht lobenswerter Affe. Einzig auf Schneeschuhen: veredelten Sohlen, sind sie endlich ganz allein miteinander, die Geschwindigkeit und er. Schr�g �ber sanfte Kristalle st�rzend, wird der Mensch da selbst zum Alpha und Omega der Bewegung — auf diesen seinen zwei federnden Sohlen hinausschwingend �ber sich und in ein neues Ma�.

„Und da sagen die Leute so schlichthin: ‚Bretter‘,“ dachte Horus, „f�r ihre verrotteten Klim-Bim-Gasometer und hingehudelten Prunkbaracken aber erfinden sie Ehrfurchtnamen: ‚Musentempel‘ etwa oder ‚Palais‘.“

Und Leute — Leute trifft man da oben. Angeschossen kommen sie mit verglasten Augen aus dem Nirgendwo: wasserdichte Fl�gelwesen, prachtvoll ruppig, mit ungeheuren Eiszapfen an der Nase, und k�nden von firnen Ruhepl�tzen, wo sie das kristallne Huhn mit dem Hammer gegessen und die Suppe als Biskuit.

Geht man ihnen dann in ihre Passantenhotels nach, trifft man sie meist schon aufgetaut zu kleinen Philistern vor einem Schweinsbraten sitzen, die Seele nikotinisiert und dreier Vorstellungen nur m�chtig: Windharsch — Pulverschnee — feucht-salzig ... oder sie sto�en �ber Daumenknorpel rechteckige L�cher in bandenlahme Billards und wollen es dann nicht gewesen sein.

Da sind sie tr�be wie Lachen zerschmelzenden Schnees. Null Grad ist ihre kritische Temperatur — eher etwas darunter.

Halben Weges wuchs dann diese W�chte dem Berg aus gl�serner Flanke, war aber unschwer zu umfahren gewesen. Schweizer Offiziere, die hier ihre �bungen abhielten, hatten es soeben getan. Nur als Letzter — der junge Leutnant tauchte grade �ber ihr auf, unschl�ssig-l�stern und vorgeneigter Silhouette, bis auf das reglementm��ige Rhomboid aus grauem Filz auf seinem Kopf; das bockte schr�g nach hinten in den �ther und war offenbar dagegen. — Die andern Offiziere lachten und winkten ab. Von hier unten, gegen der W�chte �berstehend, sah man deutlich, sie hing ein St�ck frei in den Raum.

„Ischt ja wie’s Schterbe,“ sagte der junge Leutnant, dann glitt er los.

Das Rhomboid aus grauem Filz sollte aber recht behalten. Drei Sekunden sp�ter sa� es irgendwo — — schr�g wie immer, doch ganz allein auf dem Schnee, indem sein Besitzer sich einem Kopff��ler gleich geb�rdete.

Doch oben �ber der Schneebr�cke aus gestirnten Kristallen zuckte jetzt eine zweite Silhouette aus dem Nirgends her: die Ganz-Wei�e, Lanzenkeusche, neigte sich langsam wie eine Rakete vom Zenith ihres lichten Stiels.

Horus hielt den Atem des Erinnerns an. — Nein, noch nicht, immer noch nicht. Doch allzulange, allzu k�nstlich schon hatte er der Erscheinung gewehrt; Berge, Leute, blaue Fr�hlichkeit dazwischen geh�uft, damit ihr Kommen daure — denn ihr Dasein war nur ein Augenblick.

Nun brach sie — ein D�mon der Anmut — durch den s�chtigen Geiz seiner Vorfreude, hing �ber dem Sturzweg, halb Luft, halb Eis, stand niederfahrend einen Augenblick als Sturm an seiner Schl�fe, go� sich in eine Kurve hinein — war ganz unten auf dem Schneefeld, nur eine blanke Nadel noch am Faden einer feinen Spur.

Hinter ihr nach gl�nzte der Weg.

Gargi aber hatte in auffliegendem Entz�cken, in jenem lieblichen Sich-Ausl�schen an einer reinen Freude, die sie ganz enthielt, feierlich — fast priesterlich gesagt:

„Ein Elf von einem gro�en Stern.“

Unter den Schweizer Offizieren hie� es m�rrisch anerkennend: „Die fremde Dame“.

„Ein Elf von einem gro�en Stern.“

Gargi — Gargi hatte das Wort gefunden. Er sprang auf ins Nebengemach zu ihr, alles ihr mitzuteilen — mit ihr zu teilen. Ein L�ufer in dampfenden Nebeln. Sein Torso glei�te. Lachend fielen sie einander in die Arme. Tropfen stoben.

In dieser Nacht ward Gargi ganz zur Fee Peribanu. Das Orchis- und Perihafte sch�pfte sie ihm aus ihrer Duft gewordenen Tiefe. Jaspisgesch�pfe mit Teebl�tenfingern — G�tzen mit goldenen N�geln der Wollust — umstanden sein Herz die ganze Nacht.

Wie, was androgyn-vollkommen, ausschwingt in weiterer Amplitude der Anmut, so h�tte Gargi hinschwingen k�nnen in dieser Nacht bis hin�ber in das Lanzenkeusche, Unumarmte: auch dort noch sie — sie selbst auch dort noch: des eignen Iches andrer, silberner Rand. Doch war es noch nicht an der Zeit.

H�terin des k�stlichen Potentials, wahrte sie der Phantasie des Mannes — aufduftend als Asien in seinen Armen — die Weite eines ganzen Kontinents zum Reiz, an dessen Ende nicht mehr stand — noch nicht mehr stand — als auf Kristallen eine blanke Nadel am Faden einer feinen Spur.

Son Altesse Imperial le grand duc Wladimir Michailovics
et suite

La Princesse Helena Petrowna Karachan
et suite

las er in der Liste des Astoria als neue G�ste. So sollte er Helena Karachan begegnen, seiner Mutter Gespiel, jener einzigen Europ�erin, von der sie je gesprochen. Tochter aus der morganatischen Ehe eines Gro�f�rsten mit einer kaukasischen Prinzessin, hatte ein wilder und prachtvoller Ernst einen Teil ihres Wesens zur Medizin hingerissen, sie schon damals — ganz jung — zu einer der ersten �rztinnen gemacht. Eine Hobby, die man der gro�en Dame gerne nachsah, schr�nkte sie doch hochdero Zeit f�r noch Best�rzenderes ein, denn gefa�t war man auf alles.

Fr�h verwaist, galt sie von je als Lieblingsnichte eben jenes Gro�f�rsten Wladimir Michailovics, ihres Vaters einzigen Bruders. Vordergrundsdaten. Eigentliches wu�te er um sie aus einer Klangfarbe in seiner Mutter Stimme: dem gl�cklichen, tief�bergoldeten Gong, der nur Ebenb�rtiges einzuschwingen pflegte — so lebendig seinem Ohr, da� auf diesen fast k�rperlichen Wellen die entbl�tterten, toten Z�ge zur�ckkamen, sich aufrichten durften — faserfein — als ganzes Antlitz wieder um diesen Kern von Klang, als Glockengesicht — das silberz�ngige Orgelgesicht, wie er es im stillen f�r sich nannte.

Nun war Helena Karachan da, ein Wesen aus Diana Elchos ihm unbekannter, fr�her Welt, und er sollte sie sehen. Eine kaukasische Prinzessin: geschmeidedurchrieselte Flechten langniederfallend auf milchwei�e Fesseln, azurne Schleier und klare Knaben, die T�rkise ihrem Weg streuen.

Zum dinner kam er ausnahmsweise in den Grillroom, schmeichelte f�r diesmal sogar Gargis Widerstand, solchen gemeinsamen Anf�ngen der Verdauungst�tigkeit auch nur als Zuschauerin beizuwohnen, hinweg, lie� sich ein Tischchen anweisen, an dem die F�rstin vor�ber mu�te, das auch den Blick durch Glast�ren in einen ihr reservierten kleinen Saal frei lie�.

Nein, der Gro�f�rst sei noch nicht eingetroffen, berichtete der ma�tre d’h�tel, vorerst die Prinzessin et suite.

Nun kam, zwischen aufgerissenen Fl�gelt�ren, sie selbst.

Der schwabbelige schwarze Kaftan, durch den sich wilde Formen w�lzten, war glitschig von Bratensauce und Eigelb; dar�ber hing, bis zu den Knien, eine M�rchenkette nu�gro�er Perlen von kaum abzusch�tzendem Wert. Die F��e staken in karierten Schlapfen.

Sie schob sich in merkw�rdigen Kreissegmenten sehr schnell vorw�rts, offenbar hatte man die ungeheuren Schenkel bandagiert, um ein Wundreiben zu verhindern. Von den Armen hingen ihr zwei Reticuls — schwer wie Rucks�cke — der eine mit Konfekt, der andere mit Tabak gef�llt. Die gro�en l�ngsgerunzelten Ohren waren mit Antiphonen abgedichtet gegen jeden L�rm, vor den Augen trug sie eine Autobrille mit gelben Scheuklappen.

In ehrerbietigem Abstand folgte ein flohbraunes Lemurenm�nnchen, das diese �u�erlich erzwungene Distanz durch eine keineswegs fundierte Familiarit�t den �brigen Anwesenden gegen�ber ins betulich Zirkusm��ige zu zerwitzeln offenkundig bestrebt war. Ein zweites M�nnchen, ebenfalls von polnisch-semitischem Typ, begleitete seine Herrin nur bis zu ihrem Separ�e und erhielt seinen Platz unter den �brigen Hotelg�sten angewiesen.

Doch auch an den Flohbraunen richtete die F�rstin w�hrend der Mahlzeit kaum das Wort — f�llte die Pausen der G�nge, indem sie aus dem Rucksack zur Rechten Bonbons verschlang, dem Rucksack zur Linken unaufh�rlich Tabak entnahm und zu Zigaretten drehte, die kaum angerauchten aber spie sie sofort wieder weg.

A� dann wie ein Oger. Mit tadellosen Bewegungen der langen, edel gebliebenen H�nde. Das Embonpoint der F�rstin schien nicht an ihrem Kaftan enden zu wollen, war irgendwie ein respektloses — ein anarchisches Fett, evaporierte vielleicht heimlich, um sich, ganz weit weg, pl�tzlich auf einer firnen angels�chsischen Hemdbrust mit einem Klatsch niederzuschlagen; ganz gut zuzutrauen war ihm so etwas. Lag dergleichen in der Luft? — Bis zum vierten Tisch in der Runde, und trotz Glast�ren, begann der ma�tre d’h�tel immer wieder nerv�s �ber Gabel und Messer zu fahren, als kr�chen dort �lflecke aus.

Nach dem dinner, unausgesetzt kauend und rauchend, ging sie ins Spielzimmer. Der kleine polnische Jude wartete bereits vor einem Schachbrett. Unterdessen war im gro�en Musiksaal ein Wohlt�tigkeitskonzert ausgebrochen — die Neujahresrechnungen der Couturiers drohten. Irgend jemand pl�rrte bereits Patschuligebete von Gounod.

Eine Lady Patrone� n�herte sich mit dem irrsinnigen Pferdegrinsen europ�ischer Gesittung dem Schachtisch: „Wollen Sie nicht zu unserem Konzert kommen, F�rstin?“

„Ja, es ist entsetzlich, wieviel Dreck einem unaufh�rlich in die Ohren getutet wird.“

Und ohne auch nur aufzusehen, schob die Karachan mit h�rbarem Knall ihr Antiphon wieder in das Runzelohr:

„Manasse, Sie sind am Zug.“

Es waren ihre einzigen Worte an diesem Abend.

Wie man einem bockenden Nilpferd achselzuckend ausweicht: „It’s the nature of the beast,“ so entfernte sich die Lady Patrone�.

An einem der n�chsten Tage kam Manasse und forderte Horus zu einer Partie Schach auf, wie er durchblicken lie�, auf Gehei� der F�rstin. Im �brigen ignorierte sie ihn genau wie den Rest der Gesellschaft. Nur zu markanten Pers�nlichkeiten — Menschen mit etwas wie K�pfen: dem vercherubten Aasgeier Elihu Lincoln Rosenbusch, auch Archie Payne, kam regelm��ig Manasse, um sie dem Schach zu gewinnen, denn er war ein faszinierender und au�erordentlicher Lehrer.

Horus, der all seine Zeit auf Skiern verbrachte, hatte nach einigen Partien weiteres Spiel abgelehnt. Da lie� sie ihn sich vorstellen.

„Ich habe die Fre�sucht,“ und auf den kleinen Lemur deutend, „das ist mein Darmlakai — oder hei�t es Internist, kurz einer, der eine Lebensrente dem einmaligen ‚gro�en Schnitt‘ am Patienten vorzieht.“

Der also Eingef�hrte rutschte nerv�s hin und her — warf �berquer allerhand Angelhaken nach Einverst�ndnis.

„So hat Manasse versagt, Sie einzufangen,“ fuhr die F�rstin fort, „schade, Sie sehen begabt aus. Wissen Sie denn noch nicht, da� bei dieser heillosen Rasse eben alles zum Unheil ausschlagen mu� — auch die Intelligenz — vielmehr gerade diese. Da sperrt man sie noch am sichersten ins Schach. Dort ist sie wenigstens unsch�dlich; eingekapselt wie eine Trichine.“

Und Horus sah zum erstenmal, da� dies Gesicht als schmaler Docht in seinem eigenen Talg stand, da� da vielleicht eine hohe Seele sich hinter einem Sack voll Eingeweide verschanze, hinter Autobrillen und Antiphonen, Tabak, Zynismus und Fra�.

Ihm schien, als w�re er hier zum erstenmal in Europa auf einen Menschen gesto�en, zum mindesten auf menschliche �berreste. Doch woher solcher Verfall — solcher Ruin? Er f�hlte: diese blutigen Fleischst�cke, diese Fisch- und Fettgerichte ohne Zahl — eigentlich fra� sie an ihnen immer nur wieder ihren Harm in sich hinein, wurde daran noch gelber, fetter und b�ser. Manchmal schien sie am Ziel: alles in pausenlosem Speisebrei breit animalisch zu ersticken. Litt dann augenscheinlich nicht mehr, verdaute ihr Leid, nur die beispiellose Brutalit�t des Ausdrucks — die auserw�hlten Gemeinheiten der Worte bei dieser wahrhaft gro�en Dame — lagen als erstarrte Schlacken einer einst feurig-fl�ssigen Qual immer noch im stumpfen Heute herum.

Mit offener Verachtung gegen die ganze Gesellschaft einzelte sie nur Horus heraus und Gargi, die sie Peribanu nannte, sprach aber auch mit diesen beiden manchmal tagelang kein Wort. Nie war Diana Elchos erw�hnt worden, als wolle sie an nichts aus der Zeit ihrer jungen H�he erinnert werden. Doch wu�te sie, wessen Sohn er war. Er sah es deutlich am gierig gequ�lten Blick, der die Bewegungen entlangfuhr, in denen er seiner Mutter glich. Einmal, bei einer weiten, impulsiven Wendung aus den Schultern heraus, hatte die F�rstin, eine von Lorgnons starrende Umwelt v�llig ignorierend, j�h seinen Kopf gepackt und ihm z�rtlich, zornig in die Augen gesprochen:

„Nicht, Baby, nicht.“

Was sie, aus deren Herz das gro�e Auge in den Raum wuchs, wohl empfunden h�tte bei diesem Wiedersehen. Verse kamen ihm von einem, der ihr an Wort und Art wie ein fr�her kindlicher Bruder glich:

„Die meine Gespielen waren, die sind tr�ge und alt.“

Oft, nach tagelangem Schweigen, wieder ein Strom von Hohn: „Ich stehe n�mlich unter Kuratel: Fre�sucht — verminderte Zurechnungsf�higkeit. Das bedeutet: zwei rechtskr�ftig bestellte Konsortien von Dieben, eins in Petersburg, eins in Tiflis, mit den dazugeh�rigen Paragraphenfallotten, versuchen, jedes gleich heftig, mein Geld auf die Seite ... auf seine Seite zu bringen, so da� es gerade �ber mir schweben bleibt. Krepieren darf ich nicht, sonst f�llt das Verm�gen aus ihren vormundschaftlichen Klauen heraus, darum ist der Darmlakai offiziell bestellt, die Di�t zu �berwachen — verkauft mir das Pfund Konfekt zu hundert Rubel und l��t sich mit der gleichen Summe bestechen f�r jeden Extragang.“

Doch auch der Flohbraune, er hie� Sobelsohn, suchte Vertrauen:

„Was soll ich Ihnen sagen! Unausbleibliche Folgeerscheinungen eines vor f�nfzehn Jahren vorgenommenen operativen Eingriffs,“ erl�uterte er sachlich anerkennend. „Totalexstirpation. Nu, Sie begreifen — keine Libido mehr, keine innere Sekretion — der Gesamtausfall an Leben bei einer so temperamentvollen“ — er grinste — „so hochgespannten Pers�nlichkeit, bei andern Frauen merkt mans oft kaum ... Unsere Wissenschaft jedoch,“ ein gockelhafter Rausch lie� seine Stimme sich �berkollern, „schreitet selbstredend so gl�nzend — nu, so ph�nomenal gl�nzend vorw�rts, da� heute kein Fachmann mehr daran denken w�rde, im Fall der F�rstin — es handelte sich um eine relativ geringf�gige Sache — gerade diesen Eingriff auch nur vorzuschlagen! Von Stufe zu Stufe eilend, in rastlosem Forscherdrang, auf jeder gleich lichtvoll, gleich bewundernswert ...“

Er schrak ein wenig zusammen, unter dem Taumel der Fachbalz war die F�rstin unbemerkt herzugetreten.

„Pariser Hutmoden? Ach so, die chirurgischen. Unm�glich eine andere als die momentan moderne Operation zu bekommen, lieber Elcho. Wie bei der ‚Modiste‘ mit den H�ten. Wer den Schwachsinn des Augenblicks nicht mitmachen will, wird von der Clique der Interessenten mit dem Bannstrahl belegt.

„Nur da� man den vorj�hrigen Hut heuer nicht mehr zu tragen braucht, die vorj�hrige Operation leider stets. So tr�gt die Weiberherde immer eingeschnitten Marke und Datum des jeweiligen gyn�kologischen Pferchs. In jedem Dampfbad k�nnen sie an Art und Lagerung der Schnitte die �rztlichen Moden der letzten Generationen studieren.

„Jahresringe der Wissenschaft am Bauch der Frau.

„Wir Alten tragen die machtvollen Spuren der Totalexstirpation, aus Zeitl�uften, wo man das fr�hlich machte, ohne s��es Ahnen, da� Gesamtverbl�dung, Schwund der Pers�nlichkeit erfolgen m�ssen. Kurz, was jeder Vollsinnige sich eigentlich ohne Experiment h�tte sagen k�nnen, da�, wenn man einem Sexualwesen, wie der Frau, ihr zweites Ich, ihr gro�es Ur-Ich ausrei�t, dies ihr immerhin schaden d�rfte. Darauf waren sie aber dann besonders stolz, feierten es als h�chsten wissenschaftlichen Triumph, herausgefunden zu haben, ihre Operation trage Ursach am Zugrundegehen des Patienten.“

Eine Zigarette nach der andern drehend, sprach sie wie im Fieber fort:

„Der vorletzte Wurf weist als Uniform der Verunstaltung den queren Blinddarmschnitt auf, die ganz jungen Frauen aber erkennt man an der Marke: Eierstockzisten. Da wird es wieder so zwanzig Jahre dauern, bis an den feineren Karnickelreaktionen, Versuchen an temperamentvollen Lurchen sich die desastr�sen Folgen erweisen und Frauen in der Zeitung lesen k�nnen, welche Sinne ihnen damals eigentlich wegges�belt wurden.

„Die ganze Chirurgie lebt ja von Verstumpfung, Vergr�berung, sinnlicher Verarmung einer Menschheit, die gar nicht mehr von selber draufkommt, da� eine Reaktion entf�llt, schneidet man ihr Organteile heraus. So haben es die Leute jahrzehntelang nicht gemerkt, wie sie zu Kretins werden, entfernt man ihnen die ganze Schilddr�se, wie sie vergreisen, wo die Generationsdr�sen fehlen. Begreifen Sie, Elcho: einfach nicht gemerkt, welche Edelrasse! Erst an den Ratten hat sich dann der ganze Betrieb als unhaltbar erwiesen; die dr�ben von der Biologie haben das Gesch�ft verpatzt, eine Verlegung der Finanzoperationen n�tig gemacht.

„Und ihr Internisten,“ sie fauchte gegen Sobelsohn, „ihr seid die Lanzettfischchen dieser Schwerthaie im Ozean der Verstumpfung. Da hat man Eisen, Phosphor, Schwefel, organisierte Minerale, Verbindungen und Aberverbindungen aller chemischen Elemente in einer Feinheit und Variation im K�rper, die organische Chemie noch lange nicht darzustellen vermocht.

„In diesen zartesten Chemismus der Welt — fein, da� an ihm subtilste Reaktionsmethoden noch versagen, sch�ttet ihr nun — damit ja nichts auf dem Kehrichthaufen der Farbfabriken verkomme, deren Aktion�re ihr seid — eure Medikamente relativ tonnenweise hinein, wo die Natur nur in hom�opathischen Dosen regulieren kann und soll. Da wird mit Hilfe eurer scheinbar harmlosen Hydrogauner in B�dern und Sommerfrischen dem Publikum erst einmal der Unfug der Unselbst�ndigkeit angez�chtet. Da� einer erst einen Arzt fragen mu�, was er essen soll — der es ebensowenig wei� — noch als Erwachsener seinen Leib: den Kern der Sinne so wenig empfinden gelernt hat; so etwas war ja seit Anbeginn der Kreatur noch nicht da — au�er vielleicht bei einigen Arten degenerierter Raubameisen, die sich im Bau eigenes Geziefer halten m�ssen, weil sie ihr Futter nicht mehr allein zu finden imstande sind.

„Hier m�rtelt sich der Sonderschwindler, pardon: Spezialist, dem Gef�ge ein. Hier kommen die Alchimisten der Medizin zu Wort. Eigene Lehrst�hle werden errichtet zur �berleitung eines Gebrestes ins andere — da� nur nichts verloren gehe. Man mu� es ihnen lassen: die Transmutation der Krankheiten ist l�ckenlos gelungen. Fundament aber bleibt stets die nat�rliche Schlechtrassigkeit; auf dieser wird durch falsche Pubert�tshygiene zuv�rderst Bleichsucht gez�chtet, aus dieser durch �berf�tterung Fettsucht — aus dieser im reifen Alter durch Sarkomdi�t: Diabetes. Dann sagen sie: Koma — und kommen sich weise vor.

„Sterben aber darf einer noch lange nicht — oh, das kostet noch Tausende. Adrenalin, Theobromin, noch ein Stich in die arme z�he Haut und noch eine Injektion.

„Schon will der letzte Atemzug in die Erl�sung schl�pfen, da spie�t ihn wieder eine neue Spritze irgendwo auf.

„Da� die Leute einmal in Frieden sterben durften, wie vergessenes Paradies klingt es ums Ohr. Aber auch in ihrer Krankheit d�rfen sie nicht Ruhe finden. Da� der gleiche Mensch sein Leben lang nur ein Leiden habe — es wird nicht gern gesehen. Verpatzt die Statistik. So treibt man eine Krankheit mit einer andern aus, l��t ein Organ durch das andere einschweinzen, und aus jeder Abteilung wird der Patient geheilt entlassen.“

„Nu, was soll man denn tun mit ihm? Man mu� doch lernen. An wem soll man lernen? — Die freie Wissenschaft wird doch noch probieren d�rfen,“ ereiferte sich Sobelsohn.

„Gewi� — was aber mich, die in eine falsche ‚Fr�hlingsmode‘ Gekommene, emp�rt, ist diese Bonzen- und Unfehlbarkeitspose f�r jeden Humbug des Augenblicks. Muckt aber einer aus dem Pferch auf, habt ihr so Abrakadabra-Worte wie: Eiwei�zerfall — und schlotternd bricht der entsprungene Laie wieder ins Knie.“

Sie wurde infernalisch suav:

„Im �brigen verschlie�e auch ich mich den mancherlei Vorteilen des Wechsels nicht: wer sich zum Beispiel eines Kindes entledigen will, braucht nur ein ihm passendes Jahr abzuwarten, dann einen Kinderarzt extremer Moderichtung — irgendeinen rabiaten Eiwei�ianer oder Blinddarmentz�nder beliebiger Observanz — kommen zu lassen und — wirklich zu tun, was er vorschreibt.“

„Wie bringen Durchlaucht dann den immerhin vorhandenen Prozentsatz lebender Kinder mit der Vorschrift, �rztliche Hilfe anzurufen, in Einklang?“

„Durch die rettende Fahrl�ssigkeit des Dienst- und Pflegepersonals, Sobelsohn. Sie vergessen, ich sagte ausdr�cklich: tun — tun m�sse man, was er vorschreibt. Ich, die in den Spit�lern halb Europas gearbeitet habe, kann Ihnen sagen, da� noch nie eine Anordnung genau so ausgef�hrt wurde, wie der behandelnde Arzt geglaubt. Darum sind eure Statistiken falsch. Fachbehandlung, gemildert durch Schlamperei.“

„Nu, und die Asepsis, F�rstin — wollen Sie auch n�rgeln an unsrer Asepsis?“

„Nein, denn sie ersetzt den Juden den Katholizismus. Man mu� das nur gesehen haben, was ihr da treibt, ihr profanen Pfaffen des Leibes — bei einem der hohen Infektionsfeste: etwa Scharlach. Was da f�r ein hieratisches Zeremoniell entfaltet wird: die wei�en Weiberr�cke der zelebrierenden �rzte — das Lysolopfer — der Bakterienexorzismus — die symbolischen Waschungen. Wie Ostern in Rom.“

„Ist Ihnen sonst noch was nicht recht an uns, Durchlaucht?“

„An euch.“ — Die Drehung ihrer Schulter war ver�chtlicher als je ein Wort. —

„�ber Mi�brauch und Verzerrung eines Amtes, euch zu Unrecht verliehen, wer m�chte da richten, wiewohl ihr’s etwas reichlich treibt. Doch eine Menschheit richtet sich selbst, die, instinkt-irr und salopp, das oberste Amt der Art: das Amt des Arztes, so wenig achtet, da� sie wahllos �ber ihr Schicksal hinwimmeln l��t, was Gesch�ft oder Drang oder Zufall eben erst heraufgespien aus jeder Tiefe, hin zu Jus, oder Schmier�l, oder Medizin oder Knoppernhandel: ungereinigt — unerprobt. Das oberste Amt der Art: das Amt des Arztes:

Aus Sinnenzartheit und Sinnensch�rfe, aus Kraft, Anmut und Vitalit�t den Erzengel der Erde erziehen, pflegen, h�ten helfen, das d�rfte nur nach Proben, furchtbar und herrlich, in die H�nde jener �berantwortet werden, die ringsum ausgebl�ht in langen, edlen M�hen — weisere, feinere, lichtere Organe sich selbst errungen, als uns Armen verg�nnt.“

Helena Karachan hatte die letzten S�tze fast ausschlie�lich an Horus gerichtet, der, wie benommen von ihrem Schicksal, wie er es nun begriff, ersch�ttert und schweigend allem weiteren gefolgt war. Nun schien es ihm Zeit, in Leichteres unbemerkt zur�ckzulenken.

„In China,“ l�chelte er, „ist es Sitte, den Arzt nur so lange zu honorieren, als man gesund bleibt.“

„Wie entz�ckend,“ rief die F�rstin, „wie weise auch. So lernt er etwas von Gesundheit verstehen — bei uns versteht der Arzt im besten Fall etwas von Krankheit.“

Sobelsohn aber h�rte schon lange nicht mehr; vergn�gt bis zu den Weisheitsz�hnen, memorierte er das mit dem „Erzengel der Erde“ und den „lichteren Organen“. —

Spa� w�rde das geben mit den Kollegen bei der n�chsten Naturforscherversammlung. F�r die „zwanglosen Zusammenk�nfte“ war es gut, immer so Geschichtchen auf Lager zu haben, die gro�en Tiere lachten dann — wurden aufmerksam auf einen.

Was war das f�r ein Hallo gewesen das letztemal, als der kleine Fekete Attila aus Budapest pl�tzlich gefragt hatte:

„Wollen Sie meinen Sohn sehen?“

Und aus der rechten Rocktasche ein kleines Einsiedeglas mit einem Embryo in Spiritus hervorgezogen hatte.

Kaum schien das Gel�chter abgeflaut:

„Wollen Sie meine Tochter sehen?“

Und nun war aus der linken Rocktasche die gleiche reizende �berraschung gekommen. — „Ein emsiges B�rschel.“

Es hatte schwer geschneit — fast grau. F�hn �ber den H�hen w�hlte b�se blaue Trichter in einen l�wengelben Dunst: danger of avalanches stand auf breiten Tafeln in den Hallen der Hotels.

Genia Waanebeeker hatte die Scheidung ihrer Eltern flotter betrieben, seit Linda Bordone durch Dem�tigungen aller Art dem Onkel in Bologna doch noch die fehlenden 50000 zur Mitgift zu entwinden vermocht und nun mit Archangelo Cavadini verlobt war. Genia st�rte das wenig. Er hatte eine verrottete Art, die Hand zu geben, und eine perfide, sie um eine Reitpeitsche zu ballen.

„Ich kaufe den Gauner,“ entschied sie.

Eine b�se W�rme war an ihr herabgehaucht aus der Haut dieses der Amerikanerin neuen Typs: s�dliches M�nnchen, das auf Weibern lebt. Ihre eminent praktischen Nerven — wiewohl noch unerfahren — rieten zum Gesch�ft. Und Genia war f�nfundzwanzig Jahre alt. — Die up-town und down-town clerks zu Hause: — das wurde automatisch am week-end aus einem city-block: so einem Kubus dummer Kraft, herausgeschossen, selbst ein kleinerer Kubus aus Homespun, endend in Stiefelkuben aus Leder; gab die Pfote kunstlos wie ein Bernhardiner und nahm die Reitpeitsche zum Reiten.

Heiratete man, blieb eigentlich alles gleich: Kleider, H�te, der j�hrliche „trip to Paris“, Haufen von Geld. Genia kam sich sehr ins Ideale gehoben vor, da� ihr das nicht gen�ge. Nein, zum Geldverdienen waren die Eltern da — nicht nur dad, auch mommo hatte noch Verpflichtungen. Da war ein Jugendfreund in Minnesota. Gen�gend alt jetzt und verm�gend ... auch hatte sich der Gyn�kologe ihrer Mutter, auf Genias Erkundigung, durchaus beruhigend hinsichtlich etwa drohender Geschwister ge�u�ert. Selbst wenn mommo so perfid h�tte sein wollen. Da� dad nicht mehr heiratete, daf�r mu�te nat�rlich gesorgt werden; Archangelo aber w�rde bei der einzigen Erbin zweier Verm�gen sich schon vorl�ufig mit einer Rente begn�gen.

So hatte sie spielend, es war vor vier Tagen, eine Szene zwischen den Eltern in Gang gebracht. Hoffentlich die letzte. Mit blutgesprenkeltem Blick war dad zum Telephon gest�rzt — hatte aus dem Dorf Giuseppe Piatti bestellt — sich in Skidre� geworfen, und war fort mit ihm. Erst zur H�tte, dann irgendwo hinauf; sein Gep�ck solle man nach Z�rich an die Adresse seines Anwalts schicken; direkt f�hre er nach der Tour hinunter.

Heute war Tango-Tee im Palace. In der Fr�he des Nachmittags stoben Ger�chte auf, vor drei Tagen sei in der Suvrettagruppe eine Lawine niedergegangen, Spuren f�hrten in sie, aber nicht mehr heraus. Man depeschierte an den Z�richer Anwalt, bis jetzt war keine Antwort eingetroffen, noch konnte man also zum Tango-Tee. Abends lastete dann allerdings die ganze Verantwortung der Situation auf den beiden Frauen. Genia war tief erregt:

„Du kannst doch nicht Cr�pe tragen, solange die Leiche nicht gefunden ist — eine Woche kann man versch�ttet in einer Lawine leben.“

„Ich will doch nur das Korrekte tun.“ Mrs. Waanebeeker entr�stete sich — „aber man hat ja kein Beispiel. Nie noch war jemand aus unsrer „set“ versch�ttet.“

„Dunkel, aber nicht Cr�pe,“ entschied Genia.

Bis tief in die Nacht hinein war ein Hin und Wieder auf den Korridoren. Waanebeekers verhandelten mit der Rettungsexpedition. 30 Frs. pro Tag und Mann? — Das war ja horrend. Gut, f�nf Mann sollten gehen.

Die Leute lachten. Die Lawine war durch die Talsohle gegangen, die andere Bergseite hinauf — hatte die Verungl�ckten vielleicht weit mitgerissen — auf zwei Kilometer, wenn nicht auf vier, mu�te gegraben werden.

„Also dann sieben Mann. Aber um Himmels willen, es gab doch noch Piattis — der Andrea w�rde sich doch nicht bezahlen lassen, feilschen, wo es die Rettung seines Bruders galt. Piatti m�sse noch gratis mit. Also mit Piatti acht.“

Der n�chste, ein kalter und klarer Tag, klang voll Schellen. Archie Payne hatte zwanzig Schlitten bestellt zu einem Champagnerpicknick nach der Ungl�cksstelle. Man w�rde auf der Lawine selbst fr�hst�cken.

Es war eben eine jener Eingebungen, die ihn so popul�r machten. The right man in the right place. Er triumphierte. Die Principessa Dango fuhr in seinem Schlitten, sie, die ihm bisher kaum den Fu� gegeben — geschweige die Hand. Zwei Schneeleoparden hatten sich um ihren Hals verbissen, das Gesicht war ihr mit einer k�stlichen, handgekl�ppelten Kr�tze aus Brabant bedeckt. Rankenwerk stieg aus der Nase, und Gruppen kleinerer Tiere aus feinstem Zwirn �berliefen die Wangen. Ein Leopardenembryo sa� als Toque im Henna. Archie f�rchtete sich ein wenig, er hatte sie noch nie so nahe gesehen, der Snob im Herzk�stlein aber strahlte ihm licht, denn Strondoli mu�te ganz r�ckw�rts zu Madame Bavarowska steigen.

Gloria Rawlinson, wundersch�n in weinroter Affenhaut, wie es dann im „Herald“ hie�, fuhr mit her grace of D. und Monseigneur. Auch die Cadogans waren dabei, du Perron, die liebliche Margot, Quadrupedescu, Muriel Hitchcock, die Raeburn-Girls. — Horus war nicht dabei, wu�te nichts von dem Picknick, hatte sich in der Nacht der Rettungsexpedition angeschlossen.

Die Damen Waanebeeker — dunkel, doch nicht in Cr�pe — erwarteten unterdes auf ihren Zimmern die Ankunft des Anwalts aus Z�rich.

What a beautiful boy,“ sagte die Principessa Dango — als Italienerin von Rang sprach sie meist englisch, hob das neronische Einglas aus Smaragd in die Richtung des pauvren Fadens der Rettungsmannschaft, die, jetzt ganz nah, sich mit ihren Schaufeln in den Lawinenkegel einzuw�hlen versuchte; so aussichtslos f�r diese Wenigen, denn zerrissene B�ume und Ger�ll mischten sich �berdies den Schneemassen.

What a beautiful boy,“ wiederholte die Princesse macabre.

„O, Elcho — — hallo, Elcho!“ und Archie winkte mit der Serviette —

„Principessa kennen ihn noch nicht? Ber�chtigter Sklavenh�ndler aus dem dunkelsten Osten oder so was. Eigne Jacht — first rate. Gar nicht so jung, wie er sich macht. Steht mit seiner Schwester oder Tochter in Beziehungen, die das Gesetz nicht gerne sieht, gibt sie daher f�r seine Gattin und indische Prinzessin aus, streicht sie auch olivenfarben an, das verwischt die �hnlichkeit. Sperrt sie im �brigen meist ein, mit einem chinesischen Drachen als Wache, und gibt ihr nichts zu essen; die arme Puppe hat noch kein geradegewachsenes europ�isches dinner zu kosten bekommen.“

„Es ist etwas dran, sie sehen sich irgendwie �hnlich,“ mischte sich her grace of D. wohlig angeekelt ins Gespr�ch, „wie skandal�s — ein Familienzug in den Bewegungen — auch die leichten langen wagrechten Augen, nur da� seine hell und ihre dunkel sind oder scheinen sollen, wissen kann man es ja nicht genau, bei diesen l�cherlichen Wimpern.“

„O, die Wimpern,“ jubelte Archie. „Sir Osmond, erz�hlen Sie doch die Geschichte mit den Wimpern.“

Der schmunzelte: „Keine Geschichte — ein Wort h�chstens. Nun, Sie wissen ja, wie Madame Bavarowska ist — scharmante Frau — nur ein bi�chen Steinzeitpersonnage. Wir waren alle zusammen in dem gleichen Hotel in Paris. Madame Bavarowska sitzt neben dieser jungen Prinzessin oder Mi� Elcho oder Mrs. Elcho, wie Sie lieber wollen. Pl�tzlich greift sie nach diesen ber�hmten Wimpern — zupft ein wenig daran, besieht ihre Handschuhe auf Koholspuren, findet keine, fragt �griert:

„Wie macht man das.“

Da sagt dieser v�terliche oder br�derliche Geliebte ganz ernst — ganz sachlich:

„Angeklebte Fliegenbeine aus den Galeries Lafayettes in Bagdad, das laufende Meter zu einer Zecchine six pence.“

„Doch recht brav f�r so einen Wilden,“ r�hmte Archie — jetzt ganz Manager und Impresario.

„Und nichts war ihnen in Paris gut genug,“ erinnerte Winifred Cadogan Lady Eveline — „wei�t du noch, bei Callot, bei Cheruit, bei der Chanel. Die Leute schwitzten Blut, wollten aber die gro�e Bestellung auch nicht verlieren — alles mu�te neu entworfen werden, kein Modell fand Gnade — und man sollte doch meinen, solch asiatische Provinzler lie�en sich alles anh�ngen.

„Das Resultat war allerdings stunning. Der Manager von Martial & Armand versicherte, k�me der Mann wegen Inzest ins Kriminal, er engagierte sie vom Fleck weg als Mannequin — so h�tte ihm noch niemand seine ‚Creationen linear entwickelt‘ — was immer das hei�en mag.“ — Winifred hielt nichts von Fremdworten.

Die Principessa Dango aber reagierte nicht — h�rte nichts von diesem indirekten Angriff, war doch schon in ihrer Gegenwart von andrer Eleganz zu sprechen Sakrileg. Er war jetzt ganz nah — in Greifweite ihrer Augen. Taub f�r Zurufe und Einladungen, ignorierte er die ganze Picknickpartie v�llig, schien mit irgendwelchen Messungen besch�ftigt. Sie sah ihn hier zum erstenmal. Im Astoria war es schwer, in ihre Merkwelt zu gelangen; am Abend, weil das kobaltblaue Pulver auf den Lidern eine gewisse Starre der Blickrichtung forderte, nur was unmittelbar im Sehfeld lag, konnte aufgenommen werden — bei Tag, weil der Einfallswinkel des Hutes stets gr��ere Teile der Umwelt ausschlo�. Hier, in der Schlichtheit ihrer Schneeleoparden mit Brabanter Points, war es unbehaglich frei und weit, voll neuer Gesichter auf einmal.

Warum begr��te er niemanden — welche Affektation — gab nur mit dem Fu� einem Champagnerkorb einen formidablen Tritt, der gerade im Wege stand. Eigentlich war er auch gar nicht hergekommen, vielmehr das Picknick ihm allm�hlich in sein Arbeitsfeld gerutscht. Erst hatte man sich an der Stelle gelagert, wo die Spuren verschwanden, dann aber war jeder der Damen alle paar Minuten gewesen, als vernehme sie irgendwo aus der Tiefe Seufzer oder Gest�hne. Nat�rlich wanderten hierauf Flaschen und Sandwichsch�sseln den unheimlichen Lauten nach — immer weiter auf die schon konsolidierte Lawine hinauf.

Als Horus, wieder bei seinen Leuten, zur Schaufel griff, f�hlte er etwas wie eine entschuldigende Haltung hinter sich:

„Kann ich irgendwie von Nutzen sein?“

Er wandte sich und sah in Sir Osmonds Gesicht. Das alte englische Herrengesicht, zwischen wei�em Schnurrbart und wei�em Haar, f�llte sich langsam mit einem hellen Rot.

„Eine reizende Eigenschaft angels�chsischer Epidermis,“ dachte er. „Eine Art pr�stabilierter Harmonie zwischen ihren Taten und Vasomotoren“ — und er gab ihm eine Hacke zu beliebigem Gebrauch.

Dann entstand Aufsehen: die Principessa Dango erkl�rte pl�tzlich, sie wolle zur Rettungskolonne und schaufeln. Drei Schritte war sie schon gegangen. Strondoli hinter ihr sagte nichts als:

Impossible. Um zehn Uhr Kost�mball im Carlton — jetzt ist es halb zwei, impossible,“ dann geleitete er sie hinunter zum Schlitten.

Doch der Sensationen sollte kein Ende sein. Auf einmal bog um die Talnase ein endloser Zug an Menschen und Vieh: Kolonnen von Pionieren — hundert — zweihundert — f�nfhundert Mann, Lastpferde daneben. Sie behaupteten, erst die Vorhut zu sein — Bergbauingenieure aus dem Rheintal seien telegraphisch herauf beordert, noch heute Nacht w�rden Schneepfl�ge eintreffen. M�rrisch fra� peinliche Anerkennung um sich. In etwas gest�rter Stimmung erfolgte der Aufbruch. Um zu glossieren, da� nichts geschehe, war man doch all die Stunden heraufgefahren; wie kam man jetzt dazu?

In der Hall des Astoria fand Archie Payne ein artfremdes Wesen, einen Regenschirm mit ungeheurem Horngriff zwischen den Beinen. Es wartete scheinbar auf den Omnibus zur Bahn. Archie lud es zu einem „maiden’s blush“ in die Bar, denn er vermutete in ihm den Anwalt aus Z�rich.

„Leicht zu liquidieren?“ frug Payne, auch Cavadini war hinzugetreten. „Man spricht von einer Million bar f�r jede der Damen?“

„Vorl�ufig keinen Cent,“ und der F�rsprech strich mit dem Horngriff seines Regenschirms den Schnaps im Schnurrbart glatt.

„Nicht — einen — Cent, ehe die Leiche gefunden und einwandfrei agnosziert ist, sonst gilt er f�r das Gericht lediglich als verschollen, und die Todeserkl�rung, nebst Freigabe des Verm�gens, erfolgt erst nach drei Jahren. Im Fr�hling aber, bei pl�tzlicher Schmelze und Hochwasser, k�nnen die Reste leicht fortgeschwemmt werden ... es ist riskant.“

Archie, F�uste in den Hosentaschen, warf sich hint�ber und bi� in den Plafond vor Lust.

Am Abend hatten Waanebeekers ihre fr�here Beliebtheit in vollem Umfang wieder erlangt.

Um sieben, vor der Abreise des F�rsprechs, war es noch etwas peinlich geworden. Die Wittib Piatti kam in jener unertr�glichen Haltung europ�ischer Mittel- und Unterschichten bei Schicksalsschl�gen. Nicht aus Mangel an Herz — aus mangelndem Instinkt f�r nat�rliche Gesittung fallen sie in jene greinende Kinogeste, die das echte Leid �berl�gt und zwecklos entw�rdigt. — Flucht oder Brutalit�t — ein drittes ist da schwer.

Es ergab sich, da� die Wittib Piatti vor Schmerz zuv�rderst nicht sitzen konnte; sie schleifte ein wildfremdes Kind rastlos im Zimmer herum und sch�ttelte es drohend gegen die Damen Waanebeeker, lie� hilflose Posen mit erpresserischen abwechseln. Endlich kam es heraus: den F�hrerlohn f�r die Tour wollte sie ausbezahlt haben.

„Den Ganzen?“

„Nat�rlich.“

Nun war Mrs. Waanebeeker oben auf:

Die Katastrophe h�tte sich doch beim Aufstieg ereignet, die Spuren zeigten es unwiderleglich ... also h�chstens halbe Taxe, aber h�chstens. Hier gab ihr der Anwalt voll und ganz recht.

Die Witwe Piatti sch�umte durch die G�nge, brach just vor der Bar zusammen und mu�te gelabt werden. Sie lag in einer Lache ihr widerfahrenen Unrechts, und es wurde immer gr��er. Auf dem Heimweg frischte sie auf; Mr. Waanebeeker hatte im Dorf schon die halbe Taxe als Angabe vorausbezahlt — davon aber konnten die im Hotel oben nichts wissen.

In diesen Tagen und N�chten a� Helena Karachan zum Entsetzen. Ja — auch in den N�chten. Verweigerte ihre gewohnten Schlafdroguen. So sa� sie bei gel�schten Lampen im Mondlicht, den Kaftan aufgerissen und schlang in Verzweiflung, bis fahles Fr�hlicht um die grauen Reste der Sch�sseln lag. Keine Stunde Ruhe mehr den m�den, entstellten Organen, als wolle sie sich von innen heraus zerrei�en um jeden Preis.

Es war da n�mlich noch eine Person vorhanden, die darauf sah, da� keine Bet�ubungsmittel, gegen der F�rstin Willen, den Speisen beigemischt w�rden: Ithnan, ihr georgischer Diener. Auf seiner ganzen Haut empfand er jeden Wunsch der Herrin. Lie�e sie ihm den Kopf abschlagen, H�nde und F��e dienten ihr noch nach. Manasse und Dr. Sobelsohn achtete er unreinen Tieren gleich. Letzterer verdiente Unsummen in dieser Zeit, lie� aber doch den Plan, sich ein zweites Konto in der Schweiz er�ffnen zu lassen, weise und resigniert fallen. Stand eben von fr�h auf dem Boden der Tatsachen, seinem einzigen Heimatboden, wu�te: bald versiegte der Segen. Die F�rstin sollte geheilt werden.

„Geheilt?“ frug Horus ungl�ubig-froh.

„Von der Fre�sucht, ja — daf�r steh ich gut.“

„Warum ist es dann nicht l�ngst geschehen?“

Er wurde erregt:

„Wie soll es geschehen sein, wo sie sich wehrt wie me ... n�rrisch,“ verbesserte er, „und bis jetzt mit Erfolg, — Gewalt? — Nu, ma scheut vor Gewalt. Unter Kuratel? Gewi� Kuratel. Solang aber nicht unmittelbare Lebensgefahr besteht, was hat man davon? Keine gesetzliche Handhabe. Jetzt endlich, bei der fortschreitenden fettigen Degeneration aller Organe, hat er ein Machtwort gesprochen, der Gro�f�rst. Kommt herauf mit einem ber�hmten Operateur aus Deutschland. Jener wird es machen auf seiner Klinik. Aber erst soll die Kapazit�t sagen — sie wird schon sagen,“ f�gte er resigniert hinzu.

„Und warum ist denn die F�rstin so verzweifelt dagegen?“

„Nu, Sie kennen doch die Voreingenommenheit der hohen Frau gegen unsre Wissenschaft — rein pathologisch zu werten nat�rlich; wie soll man noch auf ihre Meinung geben �ber Medizin, wo sie doch ganz degeneriert ist durch die Totalexstirpation? H�tt’ sie sich wenigstens den Eierstock von einer Ratte einsetzen lassen, k�nnt man noch reden — aber so! Sehen Sie mich an; reg ich mich auf bei ihren Geh�ssigkeiten? Kontr�r! — Objektiv bleib ich als Fachmann. Nu, die Heilung: sind da Details, an denen der Patient selbst sich manchmal ein bissele st��t. Die F�rstin, sie kennt sich aus, man kann ihr da nichts vormachen, wie sonst aus Humanit�t geschieht. Aber eine gl�nzende chirurgische Leistung — ich sag ihnen gl�nzend,“ er wuchs immer h�her, ein ferner Schein fiel auch auf ihn, den schlichten Internisten.

„Sie sind Laie, also Ihnen popul�r gesagt: der Magen wird k�nstlich verengert und gewisse Nervengruppen in der Weise gereizt, da� k�nftig keinerlei Speise — zu deren Aufnahme der pathologische Hang dr�ngt — mehr behalten wird, sondern unter dauerndem Ekelempfinden erbrochen; das ist das Entscheidende,“ f�gte er triumphierend hinzu. „Der Patient ist somit dauernd geheilt und wird von nun an k�nstlich ern�hrt.“

„Falls er es nicht vorzieht, sich zu erschie�en.“

„Gegen das Erschie�en haben wir allerdings noch keine Operation — aber es handelte sich doch um Fre�sucht — von der ist er geheilt.“

Verdru� mit den Laien. Gar nicht einlassen sollte man sich mit ihnen — au�erhalb der Ordination.

Nun sollte zur Stunde des dinner, gleichzeitig mit dem Gro�f�rsten, die Kapazit�t eintreffen — Untersuchung und Gutachten blieben f�r den n�chsten Vormittag anberaumt. Die F�rstin war zum besten. In einer heitren Wut an Grenzen ins Hell-Bacchantische. Sprach auch wieder, zum erstenmal seit Tagen. Der schwarze Kaftan wurde vor aller Augen auf dem Balkon mit Benzin gereinigt, die karierten Schlapfen geklopft; Ithnan mu�te sogar den Coiffeur des Hotels holen, mit dem sie lange verhandelte. Er verlie� ihr Appartement, eine Perle an der Krawatte. In Kugelwellen ging Begeisterung vor dieser sonst so gl�ttenden Personnage her: „In der Tat, eine wahrhaft vornehme, eine durchaus seigneurale G�nnerin;“ da wisse man, wem man diene und wof�r. Er schien wie in Brillantine getaucht und ward nachmittags beim Rennen gesehen.

Lange vor Abend erschien — ganz gegen ihre Gewohnheit — Helena Karachan in der Hall. Querhin, bis ans andre Ende, stie� ihre Stimme lanzettscharf:

„Elcho, bringen Sie schnell Peribanu fort — der Gyn�kologe kommt und findet sich hier ein, ‚interessierter Laie‘, der gern ihren Uterus genauer von innen besehen m�chte — legt er sie direkt auf die Bar. Allerdings, jetzt vor dem dinner, mit leerem Magen, vielleicht geht es nicht einmal letal aus.“

Sie hatte franz�sisch, somit allgemein verst�ndlich, gesprochen; wie eine zweite Schicht im Saal stand die Luft plan in allen Lungen hoch.

Zum erstenmal verlor Sobelsohn an betulichem Gleichmut, versuchte fast, sie aus der Hall zu dr�ngen. Beim ersten Schritt schon hatte ihn Ithnan am Genick, trug ihn mit spitzen Fingern hinaus bis in eine ferne Besenkammer mit hoher Lichtluke, sperrte von innen ab und schwang sich oben hinaus — den Schl�ssel zwischen den Z�hnen. Sobelsohn h�rte ihn wie eine Echse von Gesims zu Gesims rascheln, dann, es war aus Stockh�he, einen dumpfen Sprung in den Schnee. Drei Minuten sp�ter stand Ithnan mit gekreuzten Armen hinter seiner Herrin wie zuvor.

Sie sa� nun neben Horus, Gargi hatte sich entfernt, w�hrend die �brigen Damen fluchtbereit, doch hingegebenen Ohres die beiden umflatterten.

„Was, Sie kennen unsren Simon nicht, unsern Geheimrat und seinen letzten Triumph? Durch alle illustrierten Zeitungen ging doch der Gelehrtenkopf mit dem Denkerbart. Da� die Wissenschaft souver�n sein und bleiben m�sse — — er hat es glorreich bewiesen. War da eine mechante Chose: durch die Stadt, deren Frauenklinik er leitet, reiste j�ngst ein Prinz. Der wu�te — es regnete grade — mit seinem Vormittag nichts Rechtes anzufangen. Kino — nischt, Museum — Quatsch. Aber dem Lysolonkel k�nnte telephoniert werden, man m�chte gern wieder mal ’nen Damenbauch von innen sehen. �a fait toujours plaisi-i-i-r. Leider war keiner parat. Der Gelehrte, geschmeichelt durch das wissenschaftliche Interesse des hohen Herrn, pumpt behende einer Frau den Magen aus und l��t sie, trotz ihres Str�ubens, narkotisieren, in Erwartung irgendeines Botokudenkreuzes f�r Kunst und Wissenschaft oder sonst eines mittleren Hundssterns. Die Frau stirbt nat�rlich in der Narkose infolge des fl�chtig und ungen�gend ausgepumpten Magens. Man hat vor Laparotomien, wie sattsam bekannt, vierundzwanzig Stunden zu fasten.“

Horus war, sehr bla�, aufgefahren. „Sparen Sie mit ihren Emotionen, Elcho, jetzt kommen doch erst die Pointen, die Hintergr�nde, die weiteren Perspektiven.

„Weltfremde Angeh�rige der toten Frau verklagen die Kapazit�t, verklagen einen europ�ischen Arzt, dem doch das Doktorat schon Freibrief ist f�r — wie hei�t es doch dr�ben beim Jus, wenn’s einer nicht gelernt hat? — Richtig: f�r vors�tzliche schwere K�rperverletzung mit Todeserfolg.

„Also, das war aussichtslos von vornherein. Es sterben ja auch sonst Leute in der Narkose — sozusagen selbst�ndig — und unmittelbare, eindeutig nachweisbare Ursache des letalen Ausgangs ist ja immer ‚nur‘ — Herzschw�che.

„Aber da war ein andrer Punkt, in dem Richter und Geschworene, versch�chtert in ihren wirren Hundeseelen, um Belehrung, Unterweisung durch ‚Sachverst�ndige‘ winselten. Und jetzt steht der ganze Schleim der Clique auf aus den Kan�len: aus Akademien — Universit�ten — Kliniken und deckt die kriechende, verbrecherische Krap�le. Inkorrekt? — Nicht da� sie w��ten, vom Standpunkt der Wissenschaft sei durchaus nichts dagegen einzuwenden, da� ‚interessierten Laien‘ die Anwesenheit bei einer Operation gestattet werde.

„Begreifen Sie, Elcho. Wenn also ein beliebiger Schweinkerl die Geschlechtsorgane einer bestimmten Dame, ohne ihr Wissen von innen und praktisch mit Spiegeln erleuchtet sehen will, gen�gt es bei diesem wundersch�nen Brauch, sich als ‚interessierter Laie‘ zu geb�rden.

„Statt nun die Kollegen des saubern Herrn, wenn sie als Zeugen solches f�r �rztliche Usance erkl�ren, schleunigst zu einem Bankwechsel aufzufordern — hopp, hin�ber zum Angeklagten — bricht die instinktfremde Herde von Richter und Geschworenen auf den zust�ndigen K�rperteil zusammen: die Herren m�chten doch nur entschuldigen, man wisse in Fachdingen eben nicht so Bescheid — kenne die Br�uche nicht gen�gend ... aber nach so lichtvollen Ausf�hrungen ... kurz: Freispruch mit Speichelflu�. Die weltfremden Angeh�rigen aber fliegen wegen Verleumdung ins Loch. Im Triumph kehrt der Edeling als Leiter in seine Frauenklinik heim, wo hundert ihm geweihte Ehrenb�uche lorbeerumwunden seiner harren.“

„F�rstin, verh�lt sich das so — auch nur ann�hernd so?“

„Die Verhandlungsberichte — im Stenogramm — stehen Ihnen jederzeit zur Verf�gung, falls Sie den Zeitungsnotizen nicht trauen. —

„Das Frechste ist aber doch dieser Sachverst�ndigenunfug mit Ausbeutung der Stumpfheitskonjunktur durch die Medizinm�nner. War es je noch erh�rt, hatte ein Bock etwas ausgefressen, da� dann seine ‚Mitb�cke‘ als Sachverst�ndige einzusetzen seien �ber den im Garten angerichteten Schaden? Nein, �ber den werden wohl die Gesch�digten gef�lligst selbst bestimmen. Nur die allergr��ten K�lber liefern sich dem Metzger selber.“

„Aber die M�nner. — Sind denn europ�ische M�nner so weit unter jedes Vieh gefallen, da� der adelige Schauder, sich sch�tzend vor die Quelle des Lebens — f�r die Quelle des Lebens — zu stellen, ihre Herzen nicht mehr treibt? — Wie geborgen in der M�nnlichkeit, wie beh�tet ist die Frau bei uns. Wohl kommen erotisch sadistische Verbrechen vor — auch Gewinns�chtige, wie �berall; erwischt man aber das Schwein, so wird es in der Luft zerrissen. Den �stlichen Menschen m�chte ich sehen, der sich das, was Sie mir hier erz�hlt haben, diesen schlechtrassigen Zynismus von einer Fakult�t als ‚korrekt‘, als ‚wissenschaftliche Usance‘ aufschwatzen lie�e.“

Seit Marseille, seit ihm zum erstenmal das europ�ische Kotwesen durch das Auge an die Seele gespritzt war, hatte er nicht dies deprimierende Grauen mehr empfunden.

Die F�rstin grinste infernalisch: „Ja, das europ�ische M�nnchen. F�r das sind solche Dinge schlichthin beg�hnenswerte Banalit�t. Gott, denkt es in seiner erotisch-ethischen Verstumpfung, ist’s eben wieder einmal beim Aufschlitzen schief gegangen, und tr�gts ansonsten mit der gleichen Standhaftigkeit, die es bei verzweifelten Entbindungen an den Tag zu legen pflegt — alles gesteigerte Feingef�hl f�r den eigenen Schnupfen wahrend. Betrachtet sich eben hier ausschlie�lich als ‚interessierter Laie‘. In dieser Eigenschaft stellt es sich allerdings nicht ungern — wie sagten Sie doch — ‚vor die Quelle des Lebens‘. Aber einen ‚adeligen Schauder‘ dabei ...?“ sie lachte, da� ihr die Z�hne zitterten.

Orgiasmus an Verachtung trieb ihr Worte aus, von absto�ender und doch wieder hinrei�ender Brutalit�t. Sie erinnerte ihn da irgendwie an Ganapati Sastriar und die Weltesche seiner machtvoll-breiten Unz�chtigkeit, wenn so der Geist: sein ‚guter Dschinn‘, �ber ihn kam — nur da� dieser ein Geist der Lust war, nicht der Emp�rung.

„Da gibt es nur Selbsthilfe der Frauen,“ die F�rstin jauchzte f�rmlich vor Hohn. „Die Gyn�kologen boykottieren, bis jede Gepflogenheit, gegen die ‚nur‘ wissenschaftlich nichts einzuwenden w�re, f�llt.

„Aus ist’s dann mit den Konsilien von drei Professoren und einem St�ckchen Traubenzucker f�r die Analyse. Nota: 10000 Frs. — Mark — Kr. Im Abonnement 10% Rabatt. Nichts da. Schlu�. Wir kehren zu den treuherzigeren Praktiken weiserer V�lker zur�ck. Uns alle k�nnen sie ja dann doch nicht ins Zuchthaus sperren wegen lauteren Wettbewerbs.

„Denn darauf sah man in Sachverst�ndigenkreisen von je und streng: der ‚unerlaubte Eingriff‘, der hatte auch unerlaubt zu bleiben. Sonst kamen ja H�chstpreise, beh�rdlich kontrollierte Tarife, fatale Beschr�nkungen finanzieller Art. Da aber die Unterwerfung unter einen solch barbarischen Paragraphen allj�hrlich f�r viele Hunderttausende von Frauen den sozialen — �konomischen — oder das Bitterste: erotischen Ruin bedeuten mu�te, war es Juristen im idealen Zusammenflu� mit Medizinern stets ein Leichtes, ihn, als ‚dem sittlichen Empfinden des gesamten Volkes entsprechend‘, dauernd aufrecht zu erhalten — und freier Wucher treibt Fr�chte wie noch nie — ab.“

Mit M�wenschrei und gebreiteten „Sorties“ wandten sich die Frauen jetzt im Gleitflug zur Flucht; die jungen M�dchen aber waren schon l�ngst nicht mehr zu halten gewesen, umdr�ngten Horus und die F�rstin, h�tten sich, allem zum Trotz, am liebsten gro��ugig zu ihren F��en gelagert — weit weg von der erqu�lten Naivit�t dieses zerdehnten Jahrzehnts.

Auf immer weg von einer Naivit�t, mit der sie hatten herumtasten m�ssen an dem abweisenden Gehaben der „Epouseure“ — immer wieder hingetrieben von s�uerlichem Staunen — gesteigerter Mi�billigung ihrer Lieben im abgestandenen Heim. — Nur weg — gleichviel zu wem; nur es endlich anders haben, anders machen d�rfen, als in dieser verwesenden, �bergaren M�dchenstube neben dem krassen Elterngemach, an dem sie niedriger, unzarter sich werden f�hlten von Jahr zu Jahr in abscheulichem Wissen. Hangend an Ger�uschen. Ern�chtert ohne Rausch. Der Illusionen bar und bar der Klarheit.

Horus begriff. In diesen hemmungslosen Sekunden taten sich ihre Gesichter f�r ihn auf. Nicht geschlossene, strahlende Jungfr�ulichkeit, von Wildernis geheiligt, stand ihnen als freies Blau im Blick, vielmehr eine s��elose — hartabgedr�ngte strich in gr�nschwarzer Furche am Auge vorbei — bettete es in gar �ble Kissen der Einsamkeit.

Ihm ward leid um sie — herzzersprengend leid, er f�hlte: Welche fahrl�ssige Roheit einer Gesellschaft, ihren Jungfrauen dem�tigendes Herabsteigen in die sexuelle Arena aufzub�rden, in deren n�chternem und weihelosen Dunst sie aus jedem Mann den m�glichen Gatten sich erwittern m�ssen, in uneingestandenem, wie oft vergeblichem Versuch. Diese Schamlosigkeit — dies Crude bleibt jungen Wesen im Osten erspart.

Ja, das ist wohl der Sinn unseres obersten Gesetzes aller Vaterpflicht: zu sorgen, da� die Geschlechtsreife keines seiner Kinder unverm�hlt: hilflos finde und bedr�nge. Nichts darf gezeugt werden, dem nicht seinerseits das elementarste Recht der Kreatur: ebenb�rtige Liebe, verb�rgt ist, und zu rechter Zeit.

Und Gl�ck! Soweit Gl�ck �berhaupt vorherzusehen in diesem r�tselvollsten Chemismus, den erst das Letzte offenbart, hat es bei uns nicht, aller menschlichen Voraussicht nach, mehr Chance durchzubrechen: in zwei unl�dierten jungen Wesen — parallel geboren — von hoch erotischer Kultur, ist nur die sinnliche Feinheit des Knabe-Liebhabers reich genug, erblich gepflegt genug, der kleinen Braut gerade das zu wecken, was sie sucht: ein junger Prinz im ganzen Reich der Liebe, bef�higt, ihr die innere Heimat zu richten, wo sie will, denn alles ist ja sein.

Nur bei Rassen von ungepflegter Sinnlichkeit scheint f�r die Frau die Wahl so wichtig — der Irrtum eine Katastrophe.

„Freie Wahl.“ Seit Cavadini Genia durch das Lasso ihrer Rente geschl�pft, war diese Faselphrase �fter im Kreis um Mi� Waanebeeker aufgetaucht, und die jungen Damen taten dabei fern und wunschlos unbek�mmert.

Er �berlegte. Wohl waren ihm noch wenig Orte bekannt, galt aber nicht dieser als Zentrum internationaler Geselligkeit? Und doch: die gleiche kleine „set“ wie fr�her in Paris, und sie schien sich von London, von Baden-Baden, von Kairo aus zu kennen; schwamm als winzige Blase von Klima zu Klima mit geschlossenem Oberfl�chenh�utchen. In der schmalen Spanne ihrer hohen Zeit — kaum zwanzig bis drei�ig M�nner kamen f�r diese M�dchen in Betracht. Von diesen zwanzig oder drei�ig wollte die eine H�lfte offenbar �berhaupt keine Ehen, die andere H�lfte schied aus pekuni�ren oder anderen — ihm noch viel r�tselhafteren — Gr�nden aus.

Und das war die „gro�e Welt“. Wie mochte es um individuelle Wahl erst in kleineren Orten — kleineren Verh�ltnissen bestellt sein.

Wenn Gargi solch lange Erniedrigung h�tte leiden m�ssen, ehe sie seine Arme fand — wie eine Blasphemie wies er das schmutzige Bild ab. — Und gedachte des lieben Alters — ihm verschmolzen: des besonnten und bestirnten M�rchens ihrer und seiner dreizehn Jahre, des nie zu Vergessenden.

Keine Kinderehe! — Ihm schauderte vor der Armut dieser Leute. Vor der Verarmung an Leben, an Gl�ck, insonderheit an Frauengl�ck. Bedauernswerte Frauen, denen auch noch das Wunder jener wenigen Monde sinnlos verwelken mu�, da es jedem Wesen, in bescheidenem Ma�e wenigstens, verg�nnt ist — reizend zu sein. Wie viel ging hier unwiederbringlich — ungenossen — in Leere, zugrund: das Zarteste, Holdeste.

Oder verwechselten diese wei�en Barbaren Eheschlu� mit Ehevollzug. — Zuzutrauen war es ihnen schon. Kannten vielleicht �berhaupt die Abst�rze zwischen Sinnlichkeit, Erotik, Sexualit�t, Zeugung und die schwebenden Nervenbr�cken �ber sie hin nur wenig oder roh. Anders konnte er sich die eisige Verlegenheit schon beim ersten Wort, das jene Sitte seiner Heimat streifte, nicht erkl�ren. Und gar Sobelsohn. — In ein ganz leises Erinnern, mit Gargi halblaut getauscht, spie j�ngst unaufgefordert sein infernalisches Grinsen. Gefragt, was er damit meine, ward er streng, und seine Stimme brodelte pl�tzlich im Schmalz der W�rde:

„Die Wissenschaft brandmarkt das alles als der Rasse sch�dlich.“

Woher die Wissenschaft die Erfahrung habe, wenn es hier nie Sitte gewesen?

Das gebe einem der gesunde Sinn. —

Was sich der ‚gesunde Sinn‘ denn eigentlich vorstelle unter ‚dem allem‘?

Nun kam etwas heraus wie das Liebesleben eines geilen Pavians, nur mit weniger Sachkenntnis — zu widerlich f�r Worte. Massig entr�stetes Behagen, als ob da Gewicht reifer Mannheit auf ein Kind losgelassen w�rde, statt da� gleiches Reis: Weidengerte — Weidenrute, sich im Fr�hlingswind verzweigen.

Und so etwas ma�te Urteil — ma�te Richteramt sich an.

Nie mehr vor einem Europ�er von feinen Dingen sagen.

Die F�rstin hatte damals einfach die Achseln gezuckt:

„Die Sobels�hne haltens nicht f�r zutr�glich. Sie leuchten der Rasse ja mit ihren Leibern voran. In deine H�nde, o Herr ...“

Dann wollte er alles wieder auf die schlechte Kaste dieses promovierten Schimpansen geschoben wissen. Auch die Rhodias, die outcasts auf Ceylon, waren ja von den inneren Vorg�ngen der h�heren Schichten getrennt.

Aber da gab es noch anderes. Woher die furchtbare Abh�ngigkeit der wei�en Frauen: der Herrinnen der Erde, von Gyn�kologen, also M�nnern, in ihrer eigensten Frage, ja der Frauenfrage �berhaupt, selbst von Suahelinegerinnen l�ngst gel�st?

Er gedachte Agai’s: der „Gewalt der Brandung“, und ihrer Stellung im Hause Elcho.

Es gab doch auch in Europa Erzieherinnen. Da war gleich dieses Frauenzimmer bei Beermanns. Wozu hielt man das? Doch nicht etwa nur zur „Schule der Gel�ufigkeit?“ Zu diesen scheu�lichen Klavier�bungen mit der J�ngsten, wie sie diesem Kinde und allem Lebenden in der Runde jede Lust am Klang zerhackten auf lange hinaus? Da, mit Ausnahme des Fr�ulein Erika Unbehagen, fast alle Erzieherinnen Franz�sinnen waren, hatte er eben gemeint, diesen sei in Europa die Funktion der Suaheli anvertraut.

Und dann die M�nner? Junge vermieden offenbar �berhaupt, Ehen einzugehen. Aber die bereits Verheirateten. Warum nahmen die nicht das eine oder andere dieser armen M�dchen noch in ihren Harem? Mehrere Frauen hatten sie ja so schon, f�r elementare Beziehungen zwischen den Geschlechtern war ihm der Sinn untr�glich. Mochten die Frauen eines Mannes noch so k�hl zueinander tun oder, wie die zweite Mrs. Beermann, gar in einem anderen Hotel wohnen.

Doch frug er nie. Hatte die Scheu des orientalisch erzogenen Mannes vor allem privaten Leben, vor allen Dingen der Innerlichkeit. Was sich ihm nicht — wie heute — optisch unwillk�rlich bot, lie� er unbefragt an sich vorbeistreichen, sah auch wohl mit Absicht weg.

Eine Stille weckte ihn aus sich. Er f�hlte seine �bergeschlagenen Beine und eine Wange in der Hand. Die jungen Damen waren fort, und Helena Petrowna verschwand eben am Arm eines greisen Riesen aus der Hall. Hinter ihnen ging ein zweiter Herr in gut sitzendem Abendanzug und vielen Orden. Jetzt wandte er sich um. Der Riese war offenbar der Gro�f�rst. Vom andern sah man nicht eben viel — auch jetzt en face. Scharfe Brillen �ber den Augen und von diesen niederrieselnd in dunkelblonden Wellchen ein �beraus wohlgepflegter Denkerbart. Die Stirn schien einmal schlecht zusammengefaltet worden zu sein. Die B�ge wie in der Mitte zerbrochen, und die zweite H�lfte setzte dann immer um ein St�ckchen h�her ein. Arme F�rstin.

Die F�rstin aber schien an diesem Abend gar nicht arm. Nein, ganz gro�e Dame, Kaftan und karierten Schlapfen zum Trotz.

Man speiste ausnahmsweise zu dritt im Grillroom auf Helena Karachans Anordnung. Keine Glasw�nde dichteten die Herrschaften ab, und ihre Worte gingen, ohne von submissesten Grenzen gleich wieder in sie selbst reflektiert zu werden, rundum weg von ihnen, wie bei andern Leuten.

Zum �grierten Staunen Eingeweihter verlief das dinner ann�hernd klaglos, mit Ausnahme eines passageren Zwischenspiels: man sprach von Musik. Zu Ehren des Gro�f�rsten — eines Getreuen aus dem alten Bayreuther Kreis — verfiel Simon pl�tzlich in leicht gesteigerte Diktion:

„Mir und meinen Fachgenossen gilt Parsifal im wesentlichen als Symbol des heroischen Kampfes der Wissenschaft gegen die Lues, ja, wenn ich so sagen darf, handelt es sich bei dem Weihefestspiel ausschlie�lich um das Mysterium dieser Lustseuche, wie sie Amfortas sich unvorsichtigerweise, an verrufenem Ort, bei T�nzerinnen und Blumenm�dchen geholt hat. Letztere gehen ja auch, wie sie selbst zugeben m�ssen, in k�rzester Zeit an ihrem Beruf zugrunde: Im Herbst pfl�ckt uns der Meister.

„Wenn nun auch die eigentlichen Symptome von Wagner — der eben doch nur Laie war — am Patienten nicht einwandfrei geschildert werden, immerhin, da� sich die Wunde absolut nicht schlie�en will, gibt zu denken. Nat�rlich,“ er l�chelte nachsichtig, „sind laue B�der da v�llig zwecklos. Aber sehen Sie wiederum die treffliche Symbolik des Speeres: die Wunde heilt der Speer nur, der sie schlug — Serumtherapie. Parsifal mu� von den Infizierten selbst das Heilmittel bringen, sozusagen musikalisch die Lymphe, wobei man den Speer als primitive Form der Spritze mag gelten lassen. Das Ganze ist nat�rlich nur als musikalisch-dichterische Vorahnung zu werten, die glorreiche Erf�llung der Vision war hier wie immer den Leuchten der exakten Forschung vorbehalten.“

„Noch eine musikalisch dichterische Vorahnung der glorreichen Erf�llung haben Sie vergessen, Geheimrat Simon,“ der F�rstin Ton war bezaubernd, „da� Amfortas noch w�hrend der Heilbehandlung den Geist aufgibt.“

„Durchlaucht belieben ungerecht zu scherzen. St�rende Nebenerscheinungen, die der Laie zu �bersch�tzen geneigt ist, sind zuweilen unvermeidlich.“

„Gewi�, gewi�, und da Sie uns so treffend, auch frei von der �blichen verschwommenen Mystik, die Serumbehandlung aus dem Geist der Musik erl�utert haben, gestatten Sie mir, Ihnen zum Dank, die modernste Gyn�kologie bis in ihre kleinasiatische Heimat an der Hand der Bibel nachzuweisen. Denn schon Evangelium Marci V, 25 steht geschrieben:

„Und da war ein Weib, das hatte den Blutflu� zw�lf Jahre gehabt und viel erlitten von vielen �rzten und hatte all ihr Geld darob verzehret und half sie nichts, sondern vielmehr ward es �rger mit ihr.“

Der Gro�f�rst schmunzelte. Und es schmunzelte noch weit �ber die Tische hin und wieder zur�ck zu Simon. Da war es aber schon etwas in G�rung �bergegangen. Und es gor:

„Wart, altes Beast. Hab ich dich erst unter dem Messer gehabt, sollst du mir f�r den Rest deiner Tage so sch�n jede halbe Stunde in dich hineinvomieren, da� dir keine Zeit bleibt, verdiente M�nner mit deinen Niedertr�chtigkeiten anzuspeien.“

Und von nun an summste er devot ausschlie�lich um den Gro�f�rsten herum.

Vers�hnlich reichte sie ihm nach aufgehobener Tafel die Hand, und als er sich dar�ber neigte:

„Also darf ich Sie morgen p�nktlich um elf Uhr zur Untersuchung erwarten; ich sehe Ihrem Urteil mit so viel Ungeduld als Vertrauen entgegen.“

Dann auf Ithnan hinter sich weisend: „Sie haben keinen Diener bei sich, darf ich Ihnen den meinen f�r morgen anbieten?“

Simon nahm dankend an. Es war ihm heute genant gewesen, etwas ungepflegt sogleich nach der Reise vor dem Gro�f�rsten zu erscheinen, da dieser viel auf �u�eres gab, ja Leuten, deren Physiognomie ihm nicht pa�te, einfach den R�cken zu drehen nicht ungewohnt war. Simon wollte Stirnbinde und Ohrenklappen auf alle F�lle heute Nacht anlegen.

Restlos durchlichtet wurden die Ereignisse dieses n�chsten Vormittags nie.

Der Coiffeur beteuerte jedem, der es h�ren mochte, seine Unschuld.

Ein unseliges Mi�verst�ndnis — bedauerliches Versehen, wenn man so wolle. F�r zehn Uhr sei er durch Ithnan zum Herrn Geheimrat bestellt gewesen, wie er verstanden habe, um diesen zu rasieren. Nat�rlich glatt, wie er es eben durch die vorwiegend amerikanische Klientel des Hauses nicht anders gewohnt sei. Die Zeit dr�ngte sehr, und so erbot sich Ithnan — w�hrend er, der Coiffeur, unten besch�ftigt sein w�rde — oben das etwas gelichtete Haar des Gelehrten mit Bayrum zu behandeln. F�rsorglich, da� nichts in die Augen rinne, habe Ithnan dem Herrn die obere Gesichtsh�lfte mit einem Tuch bedeckt. Nur so sei es zu erkl�ren, da� diesem das tief bedauerliche Mi�verst�ndnis unten nicht rechtzeitig in seiner ganzen Tragweite augenf�llig geworden sei.

An dieser Stelle griff meist der Zimmerkellner ein und pflag der weiteren Erz�hlung.

Gepoltert habe es drinnen und dann geschrien: „Freiheitsberaubung, Hilfe.“

Ein umgeworfener Stuhl, und auf ihn losgaloppiert sei pl�tzlich ein wehender Mensch mit einem halben Gesicht, habe aber bei seinem, des Kellners Anblick, sozusagen auf allen Vieren in der Luft kehrt gemacht, sei mit einem Tigersprung zur�ck ins Zimmer, um vor der zugeschmetterten T�r nur einen Fluch lotrecht stehen zu lassen.

„Alles herunter jetzt,“ war von innen als gebr�llter Befehl vernehmbar geworden. Mehrere Minuten Lautlosigkeit ... dann ein Wutschrei und Klirren, als ob der Toilettenspiegel zu Pulver zerkrache.

Hier, als Relais, legte sich das Fr�ulein aus dem Frisiersalon in die Sielen der Geschehnisse:

Aus Zimmer 560 h�tte der Chef wie rasend angeklingelt — nach den Ersatzteilen gerufen — Transformationen — B�rten. Alles herauf.

Im ersten Schreck sei sie mit einem Gretchenzopf am blauen Band in der Faust angest�rzt gekommen; au�erdem habe man noch auf Lager gehabt: einen eisgrauen zweiteiligen „Knecht Rupprecht“ vom „Nikolo“ her und ein Reserveexemplar jenes Haarkranzes f�r den Marque� of Kar and Kinstone zum letzten Kost�mball, auf dem seine Erlaucht als „Krao, das Affenweibchen“ durch das Lied:

I like a wow-wow

very good a chow-chow

einerseits, andrerseits durch eine fulminante Buntheit allgemein entz�ckt hatte. Besagter Haarkranz war dazu bestimmt gewesen, sich mit Hilfe d�nner Kautschukf�den �ber der �rtlichen Buntheit zu schlie�en oder, nach Bedarf, als gestr�ubte Gloriole zu �ffnen. Mancher M�he und Probe hatte es dazu bedurft. Aber der Herr Geheimrat w�re ganz dagegen gewesen.

Indes sei es sp�ter und sp�ter geworden. Ein ums andre Mal h�tte die F�rstin her�bergeschickt, besorgt anfragen lassen, warum denn der Herr Geheimrat noch immer nicht zur Untersuchung k�me; auch seine kaiserliche Hoheit warte mit Ungeduld des Resultats.

Kern und Wesen des Ganzen aber wu�te nat�rlich wieder Archie Payne zu berichten, der auf dem frischgef�llten Aas jedes Tratsches als erster: ein Wei�kopfgeier, sa�. Knapp vor der Abfahrt des Mittagszuges sei in der Richtung nach dem Bahnhof in einem Schlitten das bartlose Profil des Geheimrats Simon an ihm vorbeigejagt. Mancherlei wu�te er �ber dieses Profil auszusagen, denn er selbst hatte einen recht gutgeschnittenen Kopf.

Wie jedes Erlebnis durch wiederholte Darstellung Neigung zeigt, erst steil zu einem Zenith der Stilisierung anzusteigen, dann aber teils durch Hypertrophie der Bilder, teils durch Verdr�ngung ins lustlos Unscharfe zu verquellen sich anschickt — so auch dieses. Der relativ reinsten Periode entstammte noch das Bild:

„Halb Hy�na-Schnauze, halb abgetropfte Kerze.“

Dem Gro�f�rsten und der F�rstin meldete das hinterlassene Billett, eine dringende Depesche h�tte den Herrn Geheimrat nach Deutschland berufen, es handle sich da um Tod und Leben, darum h�tte er nicht z�gern d�rfen, im Interesse hoher Menschlichkeit, die er als edelstes Vorrecht seines Berufes stets zu betrachten gewohnt sei, den so ehrenvollen Auftrag seiner Kaiserlichen Hoheit vorl�ufig an zweite Stelle treten zu lassen. Indem er f�r die ihm erwiesene hohe Auszeichnung alleruntert�nigst danke usw. usw.

Helena Karachan erachtete die ganze Episode als gar der Rede nicht wert. Gab sich, nach dem letzten Aufflackern ihrer Wut ins Hell-Bacchantische, nur mehr der Erf�llung ihres Schicksals hin. Mutig, scheu�lich und wahr. H�heres Menschentum durfte ihr nicht mehr nahen. Sie wurde b�s und stumm. Winkte Horus verzweifelt weg:

„Fort mit Ihnen, Sie machen mich wieder — denken, und Peribanu macht mich wieder — f�hlen. Ich will nicht mehr.“

Wenige Tage danach reiste sie mit ihrer ganzen Suite gru�los ab. Noch vor Saisonschlu� war es Archie zu melden verg�nnt:

„Die alte Karachan ist in Nizza mitten in einem Evans-Gambit endg�ltig explodiert.“

„Mein Karma beh�te mich davor, je in Europa als Schwester neben Schwester reinkarniert zu werden,“ dachte Horus. „Zur Bestie w�rde es mich machen, und die Arbeit von Jahrmillionen w�re glatt umsonst gewesen.“

Es waren nat�rlich wieder die Raeburn girls.

In Paris, wo Mrs. Raeburn mit ihren T�chtern zwar das gleiche Hotel bewohnte, doch einen andern Flur, war ihm gleichsam zwischen T�r und Angel lediglich aufgefallen, wie von diesen v�llig gleichgekleideten M�dchen immer, je nach Schnitt und Farbe des jeweiligen Kost�ms, die eine oder die andre �bellaunig vor sich hinzumaulen und Tr�nen nahe schien. Die jeweils Ungl�ckliche sah, wiewohl sonst nicht h��lich, auch an diesem Tag immer bis zur Karikatur unvorteilhaft aus.

Sie waren von entgegengesetztem Typ. Nicht nur an Gr��e und Gliederbau, auch an Haut und Incarnat. Hazel: bread and butter girl, frisch, plump, hochfarbig mit braunem Haar, Gwen: m�de, k�sig, hatte feine H�ften und elegante Beine. Was der einen stand, entstellte naturgem�� die andere, und stimmte es einmal halbwegs im Schnitt, so war es dann in den Farben umso desastr�ser. H�te kr�nten die Katastrophenstimmung. Mrs. Raeburn aber schien, was immer geschah, von eiserner Zufriedenheit. Dies waren seine Pariser Eindr�cke gewesen.

Seit hier im „Astoria“ die Raeburn girls ihr gemeinsames Zimmer neben seinem Appartement hatten, wu�te er mehr von ihnen, als ihm nach zehnj�hriger Ehe gut gewesen. Die zwangsl�ufige Vielliebchenschaft an Kleidern, M�nteln, H�ten, seit Jahrzehnten auch noch im gleichen Schlafzimmer gipfelnd, hatte eine Hemmungslosigkeit in der Erbitterung gezeitigt, die dem unfreiwilligen Nachbar, bei gesellschaftlicher Fremdheit, genante akustische Intimit�t aufzwang — j�h und voll Pein. Einen Erfolg ihres sonderbaren Familiensinnes jedoch konnte Mrs. Raeburn niemand abstreiten:

Die Schwestern ha�ten einander jetzt doch noch mehr als ihre Mutter. Sonst w�re es vielleicht anders gewesen. Aber diese pausenlose Gleichheit Tag und Nacht reizte die eine gegen die andre als unmittelbares Objekt zu sehr, als da� sie sich gefunden h�tten gegen die wahre Urheberin.

Man h�tte es bei Mrs. Raeburn beinah f�r �berlegung halten sollen, da es nicht Geiz sein konnte: dieses Doppelzimmer kostete ja durchaus nicht weniger als etwa zwei Kabinette. — Es war aber nur Dummheit.

Heute, am Tag des gro�en fox-trott match, war, was aus diesem Doppelzimmer drang, phonetisch von einer Qualit�t, da� er es vorzog, den Rest des Nachmittags — bis seine Nachbarinnen angekleidet sein w�rden — in der Hall zu verbringen.

Nach einer Weile schreckte ihn aus seinem easy-chair kleines pausenloses Wehen. Mrs. Raeburn jagte durch die Seiten ihres Romans, bl�tterte fieberhaft nach der Liebesnacht und der Leiche. Er wu�te, wie aussichtslos das sei, weil Hazel diese Teile soeben oben laut las, beide Ellenbogen in halbe Zitronen aufgest�tzt. Als Sportdame litt sie an roten Armen, und wenn auch bestimmt worden war, da� heute die wei�en Kleider mit den halblangen �rmeln getragen werden sollten — zu Hazels Freude — es grellte doch durch das Gewebe hervor.

Nun schlenkerte Gwen mit feinen langen Beinen durch die Hall auf ihre Mutter zu. Bald wu�te diese um Verbleib von Liebesnacht und Leiche. Mrs. Raeburn tat so emp�rt, da� es Gwen ein Leichtes war, ihr doch noch die bananenfarbnen �rmellosen f�r heute abend abzuschmeicheln.

Wie zur „Feier der Heraufkunft des Geistmenschen“, so gab man sich auch heute vor dem gro�en fox-trott match gegenseitig endlose Essereien. Elchos waren einer Einladung der Principessa Dango zu Fr�chten und Nachtisch gefolgt. Hier konnte Gargi beruhigt sein, denn der Gastgeberin selbst — ganz Hy�nenprinzessin, mit scharfer Trennung von Tag- und Nachtdi�t — durften lediglich rohe Gurkenscheiben auf Rubinglas und Eis serviert werden. Von diesen schnitt sie wieder Segmente rundum ab — a� also eigentlich nur die Differenz zwischen dem Kreis und der Ludolffschen Zahl, auf da� der chinesische Lack der langen Lippen nicht springe, die, querhin wie durch Taubenblut gezogen, den superben Totenkopf wagrecht orientierten.

Da leider keine Antiphone gereicht wurden — o weise Helena Petrowna, dachte Horus —, steigerte sich dieser Auftakt des Festes ins Unertr�gliche. Zu Ehren Monseigneurs und her grace of D. hatten Payne und Quadrupedescu — letzterer schwamm seit der Geisterbeschw�rung in Geld — eine ber�hmte Zigeunerkapelle von weither kommen lassen; dazu noch ein paar andre verd�chtige Erscheinungen mit rotgetupften Schlipsen, Kastagnetten und Okarinen.

Der Zigeunerprimas stand hinter dem Ehrengast, winselte diesem, infernalisch falsch, eine Art getretner Katzenschwanzweis bis tief ins Ohr. Jede Blatternarbe an ihm grinste einzeln. Monseigneur lehnte aufatmend immer tiefer zur�ck — ganz in den Geigenbogen hinein — und geno�, wie man es ihn f�r solche F�lle gelehrt hatte.

„Erstaunlich,“ dachte Horus, „was der Organismus dieses H�ufleins �u�erlich Gewaschener innerlich an Dreck nicht nur vertr�gt, sondern direkt zu fordern scheint.“ Da traf den Primas das Auge seiner Bande:

„Du bist nicht mit diesen Idioten allein,“ schien es zu sagen, „wir verbitten uns das.“ F�rchtend, die Kapelle w�rde meutern, gab er nach.

Im gro�en Tanzsaal stand der Ball nun in seinem Zenith. Staunend sah Horus auf diese erotische Friktionsgymnastik. Nicht da� sie h��lich gewesen w�re, durchaus nicht. Es traf ihn nur etwas unvorbereitet, diese jungfr�ulich erhaltenen Damen der besten Welt pl�tzlich, wie auf Verabredung, mit ihren K�rpern die Sprache s�damerikanischer Prostitution mehr oder weniger begabt nachahmen zu sehen; als eine Art Esperanto des Berufs war sie nat�rlich auch in Asien bekannt. Etwa jener Wink mit dem Abdomen, wie er vor Hafenbordellen dem Zuh�lter anzuzeigen pflegt, die Kundschaft sei abgefertigt. �ber solchem Gebaren von der Taille abw�rts standen nun oben, wie allein gelassen, hilflose Ladygesichter: gequ�lt und unbeteiligt.

Dann wieder trieb der Gentleman-Zuh�lter, ganz in sie gew�hlt, das Fr�ulein mit langen glatten St��en vor sich her durch den Saal, von einer Ecke in die andre, wo das Ganze jedesmal in einem verlotterten Bockssprung erlosch. Oder hinter sie schl�pfend, stie� er ihr von r�ckw�rts das Knie unter den Scho�, warf sie ein wenig in die Luft, um die Wehrlose im Herabgleiten dann seinem K�rper hart und zielstrebig entlangzuf�hren — immer wieder.

Was mochte das bedeuten? Offenbar erotisch zu verarmt, um einen neuen Eigentanz selbst zu schaffen, hatte man im Warenaustausch gegen gedrechselte Klavierbeine oder Biskuitgruppen oder Konfirmationsbecher au�ereurop�ische Bordellwerte eingehandelt: Hafenware nat�rlich. Doch auch als solche an ihrem Ort gewi� voll Reiz, Berechtigung und Wahrheit; wertvoller als das Tauschobjekt auf jeden Fall. Doch was sollte man hier damit ... so wenig oder so viel, wie dort mit den Konfirmationsbechern.

Korrekt und ohne Tadel machte soeben Gloria Rawlinson, wei� und golden wie immer, nacheinander diese lebhaft verdauenden Bewegungen, wie sie ihr Machado Magalaes, der Tangomeister, zu hundert Frs. die Stunde, beigebracht. Nun und dann, am Ende dieser komischen Bewegungen, w�rde wohl heute Mr. Rawlinson noch in ihr Zimmer kommen. Warum man das eigentlich alles machte, wu�te sie nicht recht — man machte es eben mit, wie ein Picknick �ber Versch�tteten oder eine spiritistische S�ance — the correct thing to do.

Unter Preisrichtern und Zuschauern stritt man indessen, was eigentlich die Principessa Dango heute anhabe. Es war von der Farbe Turnerscher Nebel, ganz erlesen, ganz preti�s, bestand aber aus keinerlei bisher irgendwie bekannten Kleidungsst�cken. Sie selbst, ihre Haut blieb unsichtbar wie immer. Sonderbare lila und schw�rzliche Flecke in seltener chinesischer Lacktechnik standen auf der mit Silberpuder �berstreuten Herme. Ja, Herme. Was dann kam, nicht Kleid nicht K�rper war es; am ehesten noch ein flie�ender, nach unten keilf�rmig sich verengender Gazeblock.

Man dr�ngte um die Arch�ologen: ratbed�rftig.

Dr. Hafis meinte schlie�lich versonnen:

„Gott straf mich, aber es ist doch eine Hose. Eine Hose, die bis zum Dekollet� hinaufreicht.“

Murren entstand. Wer rede denn vom „hinauf“. — Beim „hinunter“ beginne doch erst das Problem.

„Wissen Sie denn, was eine Hose ist?“ frug Horus.

„Nun, wissen Sie es?“ klang es zur�ck.

Er �berlegte: „Mir scheint eine Hose ihrem Wesen nach aus drei Teilen zu bestehen. Zwei R�hren und einem Verbindungsst�ck. Dieses Verbindungsst�ck will offenbar hier fehlen, die beiden R�hren scheinen lediglich durch ein im Fadenkreuz schwebendes Feigenblatt aus Mondsteinen einander fragil anzuhangen. So fragil, da� es dort ganz ohne Rei�n�gel wohl nicht abgehen d�rfte. Es sind also auch M�rtyrermotive in die Toilette verarbeitet. Ein Drittel Kreuzigung etwa auf zwei Drittel Hose.“

„Was folgt daraus?“ gab Hafis unger�hrt zur�ck.

„Da� es unanst�ndig ist,“ entschieden die Damen, und enteilten mit diesem Urteil wie mit einer K�stlichkeit — rasch, ehe ein neuer fachlicher Gesichtspunkt Revision erzw�nge. Sie irrten schwer. Unanstand fiel in ein so anderes Reich — vor der Princesse macabre verlor es jeden Sinn.

Sie tanzte wundervoll, in fast schmerzhaft geschlossener Vollendung. Nur mit Machado Magalaes, dem professional und hors concours. Sie tanzte weder um Gottes, noch um des Mannes, noch um des Tanzes willen. Nicht einmal mehr — narzi�haft — f�r sich selbst. Auch periphere Sehnsucht hatte sich ihr von den eigenen Gliedern gel�st, hin�ber in das Gewand. F�r dieses tanzte sie — entflammte sich an ihm; verzehrt von seinen ewigwechselnden Anspr�chen an Leib und Seele, wie von dem launenhaftesten Geliebten. Nach kl�glichen Versuchen zur Untreue — zu ihm kehrte sie stets als ihrem vielseitigsten, raffiniertesten Gebieter zur�ck.

Biegsam, einsam und auserkoren, hatte diese grande passion „die Mode“ sie gemacht, sie herausgeeinzelt aus der faulen Herde, die gar nichts wollen konnte und voll Schrecken auf sie sah, wie etwa ganze Ballen dieser hopsenden College-Boys. Eine ratlosere junge M�nnlichkeit hatte Horus nie und nirgends noch gesehen; im Querstand aller Glieder suchte das mit eigent�mlich taubem Holzgebein die Schlangenwindungen des gro�en Triebes in eigene Plumpeckigkeit zu �bertragen. Erwarb auch wohl mit rotem Ohr, hier beim Tango, eine erste, versp�tete Materialkenntnis an instinktlosen leeren Stengeln, die — l�ngst mit Chemikalien und S�uren gegen das Leben abgedichtet — nur dem Schein nach menschlicher waren als die Principessa, weil sie, ungleich jener, der gro�artigen Konsequenz, der stilbildenden, ermangelten.

Quadrupedescu — du Perron — Cavadini: romanische Kenner, doch viel zu bequem, um wie Strondoli auf rare Abst�rze der Principessa, herunter von ihren hohen Abwegen, zu warten, widmeten sich heute ausschlie�lich jungen M�dchen. Schl�ngelten sich in ihre Nerven, griffen in ihr Blut, rissen es an sich und hin, wo es ihnen beliebte — umspielten den Gattungsakt in immer engeren, gesteigerten Brunstbewegungen. Schlie�lich waren sie wohl selbst erregt in ihren K�rpern, doch �ber diesen stand wie immer ein Boshaftes, ein Sp�ttisches auf den gar so selbstsicheren Gesichtern.

Die jungen M�dchen wanden sich im Tango wie W�rmer an unsichtbarer Angelschnur, die von den Lorgnons der M�tter hing. Knapp vor dem Allerletzten schien diese Schnur immer mit einem Ruck anzuziehen, und die Begattung ging fehl.

Konnte das klaglos so weiter funktionieren? Immer schwerer und gejagter wurde die Luft; alles trieb einer Erl�sung entgegen. Schon klebte Talkum-Puder von den Damendekollet�s dr�ben als bl�uliche Milch auf den Fr�cken der Gentleman-Zuh�lter, oder war mit den fettigen Wassern, die als Fixativ gedient, im R�cken breiig geronnen. Oben auf den Wangen zerfiel trockenes Pulverrot, wurde eingesogen in schwammig erweiterte Poren. Ganz dr�ber aber knickte schief und hilflos etwas, das nicht mehr Wellblech schien und noch nicht wieder Haar geworden. Etwas, das zu leben verlernt hatte — verlernt, in Kraftlinien liebliche und geheimnisvolle Gesetze eigenen Falles zu bilden. Und die Toiletten: schon in der Ruhelage an den Grenzen des Grotesken, weil anorganisch verbunden, hingen sie jetzt als verschobene K�rperteile in ganz hoffnungslos untalentierter Weise um die gl�cklosen Frauen. — Dieser ganze, Milliarden verschlingende europ�ische Modebau, in dem sich nicht sitzen, liegen, gehen und leben lie�, dessen einziges, offen verk�ndetes Ziel sexueller Anreiz sein sollte: bei der ersten sinnlichen Welle, statt nun in seinem wahren Element, die Tr�gerin zu entfalten, desavouierte er sie — lie� sie l�cherlich und entstellt im Stich. Denn nicht stammte er aus liebenden Sinnen, aus lebendigen Menschen — nein, Aktiengesellschaften hatten ihn zusammenkreiert — hadernd und amorph als Kontraimitation seiner vorletzten Erscheinungsform.

Da sagte Gargi auf einmal ganz leise, ganz sanft, ganz unerbittlich:

„Gestatte, da� ich mich entferne. Ich darf der Vermischung von outcasts nicht anwohnen.“

Das Weihelose dieser eisigen Affenhausgesten — der Mangel an Achtung vor dem Orgiasmus — das Zynische in den Mannsgesichtern stie� sie bis zum Ekel ab, sie, die unbedenklich im Haus der Elchos nackt durch die Farben getanzt — sie, grauenhaftester Verw�hntheit dem�tig und k�hn gewachsen.

„Meine weise Gazelle hat recht,“ dachte ihr Gef�hrte. Es mu� doch wohl wie bei den outcasts: den Rhodias im Felsentempel, so auch hier bei diesen zu einer Art Orgie der Shivat�nze f�hren. —

Doch nichts dergleichen geschah. Die Scharen der T�nzer begannen sich sogar merklich zu lichten, w�hrend der Damen nicht weniger wurden. Immer mehr M�nner verschwanden spurlos auf geheimnisvolle Weise, herausgesogen aus den Armen ihrer Partnerinnen. �fter fiel aus einem vorbeieilenden Tr�ppchen mit etwas speichelnden Lippen das Wort „Sguerdo suleijl“.

„Kommen Sie mit, Elcho,“ sagte Archie. „Gar nicht weit. Gut eingef�hrter Betrieb. Filiale des Pariser Hauses,“ er nannte die Firma. „Diese Woche frischer Import.“

„Danke,“ sagte Horus, „ich kenne das Stammhaus. Die Versuchungen sind gering. Es ist einer der wenigen Orte, wo man leicht in Ehren ergrauen kann. Dazu sind wir doch etwas zu verw�hnt — danke.“

So also, mit Relais wurde das gemacht.

„Frisch gepudert werden sie jetzt dort wenigstens sein,“ sagte Cavadini mit bezeichnender Handbewegung ringsum. Er blinzelte du Perron zu. Der aber — Margot, die Gl�ckliche, Gl�hende zwischen den Schenkeln — verneinte. Sie waren das siegende Paar im fox-trott. Erst mu�te er mit ihr zur Preisverteilung, dann sollte der Triumph noch mit ein paar cock-tails begossen werden.

Vor der Bar staute sich indessen eine freudig erregte Menge und verfolgte die Vorg�nge in dem kleinen Raum. W�rde man — w�rde man wirklich zwei ganz gro�e Damen raufen sehen? Her grace of D. und donna Maria de la concepci�n Jimenez de Monserrat y Garcia waren, jede aus einem Separ�e kommend, an diesem Abend erst hier in der Bar zusammengetroffen und hatten mit Best�rzung, dann wachsender Emp�rung bemerkt, da� sie beide die gleiche Creation von Lucile trugen.

„Sie m�ssen meine Vendeuse bestochen haben,“ rief her grace au�er sich, „ich hatte das alleinige Recht darauf.“

„Dann haben Sie eben die Vendeuse vorher bestochen, es andern zu verheimlichen,“ h�hnte Donna Maria.

„Das Haus verkauft eben seine Modelle jedem gern, der sie bar zahlt.“

Her grace pflegte lange schuldig zu bleiben.

„Wechseln Sie das Kleid sofort — die Idee ist mein Eigentum,“ kreischte her grace.

Donna Maria lachte blo�.

Pl�tzlich sprang alles mit einem Schrei zur�ck. Hoch spr�hte es auf, wie ein Geysir. Her grace hatte den Hahn einer vollen Syphonflasche gespannt und ihren Inhalt in Donna Marias Dekollet� gespritzt — senkrecht durch, da� es in den silbernen Abendschuhen nur so pl�tscherte.

W�tend wie eine nasse Henne st�rzte die Spanierin hinaus. Kam nach zehn Minuten zur�ck, in einer zweiten trockenen — her grace erstarrte zu einem Block Wut — der vorigen ganz gleichen Toilette. Her grace gab sich besiegt. — Vielleicht hatte die Gegnerin noch ein halbes Dutzend in ihren Koffern, da konnte man die ganze Bar vergeblich verspritzen.

Von neun Uhr abends bis drei Uhr fr�h war der Kaufherr aus Braila m�uschenstill in einer Ecke gesessen. Hatte kein Auge von den Tanzenden gelassen. Jetzt erhob er sich seufzend, schritt zum Foyer, sah hinaus und murmelte resigniert:

„Glatteis. Aber was will me machen.“

Ja, da lie� sich eben nichts machen. Es war ein zu exklusives Hotel; Frauen, in der Lage, ausschlie�lich von ihrem Liebreiz zu leben, wurden hier nicht geduldet.

L�ngst lagen die S�le leer: eingefressene L�cher, schwarz im Hotelleib. All ihre Lichtchen, die erst wie in eine Versenkung gesprungen schienen und dann irgendwie fortgelaufen, gleichsam durch schwarze Adern, durch innere Stollen, um auf einmal, jedes einzeln, in einer Zimmerzelle einer Einsamkeit gute Nacht zu leuchten — auch sie waren gr��tenteils erloschen.

Das Dunkel aber war falsch und schwieg ungern.

Durch T�ren, Korridore entlang strich eine manische Ruhelosigkeit wie von eingesperrten Katzen.

Knisterndes Fluidum gel�ster Haare, durch die gereizte Finger wie Nervenk�mme fahren. Vages und Erbittertes aus ratlosen jungen K�rpern stand in Herzh�he durch das ganze Haus.

Aus dem Zimmer der Raeburn girls war erst greller Hader zu Horus her�bergeschrillt. Die Ursache gar der Rede nicht wert: ein verwechseltes St�ck Seife, dann ein Disput, wer morgen den Toilettetisch zuerst ben�tzen d�rfe. Hazels Stimme:

„Ich will nicht immer deine ausgegangenen Haare in meinem Coldcream finden.“

„Und ich nicht deinen ekelhaften Puder auf meinen B�rsten! N�tzt ja doch nichts — schau nur, wie deine Nase wieder gl�nzt.“

Schlie�lich waren beide in hysterisches Weinen ausgebrochen. Hazel schluchzte aus den Kissen:

„Ist es jetzt nicht ganz — ganz egal, da� du heute mommo die �rmellosen abgeschwindelt hast?“

„Satt hab ich’s — ich gehe zum Kino.“

„Wo man deinen Sprachfehler nicht merkt — na ja h�bsche Beine hast du ja. Die in ‚Sguerdo suleijl‘ haben gewi� nicht so h�bsche, man soll sie sich dort immer rasieren — vorher.“

Nun wiesen die Stimmen aneinander auf dies und das hin; wurden hei�er, gieriger daran — kaum liebevoller. Der Ha� blieb in ihnen, nur kicherte er jetzt und kam ganz nah, erl�ste sich in Not und Verachtung.

„Hatte es nicht geklopft? Da, noch einmal!“

„Wer ist es,“ zischte Gwen — „ein Mann?“

„Mach auf!“

„Ja — auf!“

Die T�r �chzte leise in den Angeln.

„Ich bin’s,“ sagte Linda Bordones m�hsames Stimmchen.

„Ich sah Licht bei Ihnen, o, bitte, k�nnen wir nicht noch ein wenig plaudern und ... und,“ sie z�gerte — „zusammenbleiben?“

Linda stand da in voller Balltoilette. Die ganze Nacht hatte Cavadini fast ausschlie�lich sich um sie gewunden, in ihren Nacken geatmet, dann aber, kurz ehe er mit den andern nach ‚Sguerdo suleijl‘ ging, sich j�h, wie durch einen Schnitt, aus der Verschmelzung mit ihr gel�st, und ziemlich k�hl angedeutet, er f�hre auf einige Zeit nach Paris, um den Damen Waanebeeker bei der Ordnung ihrer Verlassenschaftsangelegenheiten an die Hand zu gehen. Sie m�ge ihn nicht allzubald zur�ckerwarten und indessen lieber mit dem Onkel nach Bologna heimkehren. Eine Szene im Ballsaal, davor hatte ihr gegraut. Ein Handku�, perfid und lang, dann war er, h�chst angeregt, verschwunden.

Seitdem f�rchtete sie sich derart vor dem Alleinsein, da� sie durch das Hotel gewandert war, bis zu diesen fremden englischen M�dchen. Hatte erst an Winifred, ihre Zimmernachbarin, gedacht. Aber das kannte man. Nach Tangon�chten klang sofort stumpfer Schlafatem durch Winifreds T�r, eine Flasche Kognak, heimlich, von ihrer Mutter bridge-fond angeschafft, half ihr zu dieser sicheren Ruhe.

Hazel und Gwen waren unterdessen zu einem Doppelblock Wohlanst�ndigkeit erfroren.

Oh I beg your pardon,“ sie waren so erstaunt, so ins Mark erstaunt, da� es die arme kleine Linda nur trieb, ins Niegewesene zu zergehen. Ein paar vage Entschuldigungen und sie hastete zur�ck durch all diese Korridore — R�hren der Unrast, in die es aus den Komfortpferchen m�ndete: verzerrte K�lte oder �belberatende Not und gieriges Bellen des Stoffes — Sattheit aus einigen — aus keinem Gl�ck.

Bei Hazel und Gwen l�ste sich der Ha� der �bern�he nun in gemeinsame Entr�stung.

Nein, diese foreigners — man konnte eigentlich als Lady nicht mit ihnen verkehren — nicht proper waren sie — keine. Allein in der Nacht im Hotel herumlaufen. Fremde Damen aus dem besten Schlaf wecken. Sicher wollte sie wo anders hin und sich hier nur ein Alibi verschaffen. Nun, mommo w�rde Sorge tragen, da� man dieser verd�chtigen S�dl�nderin von nun an allgemein mit geb�hrender Zur�ckhaltung begegne. Sie entr�steten sich bis zu Z�rtlichkeiten, die erst das Fr�hlicht schied.

Lizzi Beermanns Zimmer stie� an das Gemach ihrer Eltern.

Sie pre�te die Polster vor die Ohren. So — so war man also entstanden. So beh�big hingesudelt in eine tr�ge Weite, gleich nach dem Disput �ber die letzte Hutrechnung, und vor dem ersten G�hnen verdrossener Abkehr.

Da lag man, gedem�tigt in seiner ungetanen Jugend, die es so ganz anders wissen und wahrhaben wollte. Lag hilflos hei� auf planen, toten Laken; in Emp�rung gegen ein weiheloses Nebenan.

Aufspringen h�tte man m�gen, T�ren aufrei�en, drauflosschreien:

„Da — das ist der ‚Kinderschlaf‘ meiner dreiundzwanzig Jahre, an den eure Faulheit zu glauben vorgibt. Ja ihr — ihr, zu tr�g in euren salopp gewordenen K�rpern, um auch nur ein Glied selber zu straffen — anregen la�t ihr euch von dem Blut in unsren obsz�nen T�nzen, die wir am Schn�rchen machen d�rfen. Dann fragt ihr: ‚Nun Kleine, gut unterhalten? So, jetzt aber brav ins Bett‘.“ — O, wie widerlich — welch ein verlogener K�fig, dieses ganze Leben. Aber ausbrechen? Nein, zu riskant. Lieber behalf man sich noch bis zum korrekten Ende.

Manchmal gelang es wohl und man verga� ganze Teile von sich — sank dann wie an eine fremde W�rme — an sie hin. Da waren zum Beispiel die Arme: ferne Gliederwesen, die frei spielen konnten, wo sie wollten. Aber Kopf und Lippen blieben leider immer allein und zu weit weg von allem Wesentlichen. Wie gut es die Raubtiere, �berhaupt die Tiere hatten: von nichts an sich waren sie getrennt; Kelch und Gegenkelch durch eine wunderbar bewegliche Wirbelschnur biegsam verbunden. Schon als Kind hatte man im Zoo immer davon tr�umen m�ssen, wenn „mi�“ vor den K�figen die Zahnformeln repetierte. Was sich da alles machen lie�e.

Und die Tr�ume gingen bald in Geschichten �ber — etwas besch�mende Geschichten, an denen sich ein zweites, h��licheres Ich m�stete — zu vampirhaftem Leben erweckt von unbedenklicher Hand. Die arme junge Hand wu�te nicht, da� sie das Gl�ck entwurzelte in ihrer Not. Wie es dann, am Tag der Erf�llung, heimatlos sein w�rde am abgelenkten Quell.

Aber es waren in diesen gef�hrdenden Jahren eben immer wieder nur die Zahnformeln repetiert worden, und etwa: wann und unter wem Sizilien an das Haus Anjou gekommen — dann noch etwas Eckiges mit einer Hypotenuse, aber das hatte man nie recht verstanden.

Nat�rlich wu�te man, das „andere“ sei wohl improper. Es war aber au�erdem so viel „improper“, gar nicht zu leben w�re gewesen, h�tte man sich �berall daran gekehrt. Wie also Sinn von Unsinn am „improper“ scheiden, da die Erkl�rung, erhielt man sie, ja doch gelogen war und immer weithin sichtbar falsch.

„Oh wann — wann wieder.“

Und im langen saut-du-lit hing Margot abschiedtrunken mit gel�sten Gliedern um du Perrons Hals.

Dieses r�hrende und entz�ckende Bild bot sich zwischen T�r und Angel von Mademoiselle Chenals Hofzimmerchen einem Trupp heimkehrender Herren, als sie in der D�mmerung auf Zehenspitzen j�h um einen Korridor lugten. Von der andern Seite hatte schon l�ngst der Zimmerkellner verborgen ge�ugt, der, so lange nicht nach ihm geschellt wurde, die g�ttliche Allgegenwart „love“ zu schlagen pflegte.

Ob die Herren von dem Bilde entz�ckt gewesen, war schwer festzustellen — ger�hrt wohl kaum, denn es gab einen ungeheuren Skandal. Ganze angels�chsische Tribus erkl�rten abzuwandern mit ihrer Brut, mutete man ihnen die Gesellschaft einer solchen Person noch weiter zu. Man sehe ja so �ber manches hinweg, zum Beispiel — und nun wurden alle erdenklichen sexuellen Querst�nde nach der Variationsrechnung durchgeprobt —, aber eine Tochter neben T�chtern. Das war zu viel. Die �brigen jungen M�dchen indes bl�hten an diesem Tage argloser wie je in den Klubsesseln herum: es war das reine Konzert-Bl�hen, sahen mit etwas umr�nderten Kinderaugen s�� und leer um sich.

Gegen Mittag lie� die Direktion Madame Chenal mitteilen, man bedaure unendlich, aber durch ein fatales Versehen seien die Zimmer der Damen telegraphisch an neue G�ste vergeben worden, auch habe man leider gar nichts anderes f�r den Augenblick verf�gbar, ob vielleicht an ein anderes Haus telephoniert werden solle? Auf alle F�lle sei der Gep�ckschlitten um vier Uhr bereit.

Die darauffolgende Szene zwischen Margot und ihrer Tante schrie durchs Mark des Hauses. Madame Chenal erbrach wie rasend nach einander alle Opfer, die sie der Nichte von der Wiege an gebracht, und wie nun das m�hsam gesparte Geld f�r die Lancierung zu dieser kostspieligen Saison hin sei, und alles Schmach und Ruin. Keine Heiratchance mehr. Und was ihre bedauernswerte Mutter nur sagen w�rde, und nach Rouen k�nne sie �berhaupt nicht mehr zur�ck. Sie selbst ziehe jedenfalls ihre Hand von der Deklassierten und enterbe sie.

Dann eine Atempause der Hoffnung. Madame Chenal lie� Aquetil du Perron zu sich bitten und erkl�rte ihm, sie gehe wohl nicht fehl, wenn sie ihre Nichte, nach dem Vorgefallenen, als mit ihm verlobt betrachte.

Du Perron wurde ganz Gentleman und so korrekt, da� einem das Atmen verging. Er h�re wohl nicht recht. M�nner von seinen Grunds�tzen und seiner gesellschaftlichen Stellung pflegten wohl nicht eine junge „Dame“, — er l�chelte G�nsef��chen — die sich nach einer Ballnacht gleich einem quasi Fremden an den Hals werfe, zur Mutter ihrer Kinder zu machen.

Und als Madame Chenal etwas von Vergewaltigung und gerichtlicher Klage anfing, schnitt er ihr kurz das Wort ab:

„Ganz nach Belieben, er habe ja Zeugen genug daf�r, ob der Abschied nach Gewalt von seiner Seite ausgesehen — oder eher anders herum.“

Tiefverschleiert schlichen sich die beiden Frauen durch einen Seitenausgang des Hotels zu ihrem Schlitten, ignoriert von den Hotelg�sten. Daf�r bildete das gesamte Personal, dem keine Abreise noch je entgangen war, auf dieser ungewohnten trace Spalier. Aus allen Korridoren quollen button boys, sonst gewohnt, sich auf der Freitreppe pomp�s zu entfalten. Dieses Spie�rutenlaufen, bei dem die Verurteilten noch jeden ihrer Qu�ler zu beschenken hatten aus der mageren Tasche — es war zu viel. Endlich beim letzten Lungerknaben angelangt, brach aus Margot — der Beschimpften, Verh�hnten, Getretenen — der erste Strahl Menschenw�rde. Als dieser gl�cklose allerletzte Lungerknabe, schon beim Schlitten, nicht nur die Hand, sondern auch — und gar nicht wenig — die Zunge vorstreckte, klappte sie ihr zwei Frankst�ck in die B�rse zur�ck und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

Aber eigentlich war dieser Skandal von weniger nachhaltiger Wirkung gewesen, als man h�tte meinen sollen, denn ein neues, tieferes Zittern schwoll durch das Haus. Wie stets zur Zeit der �quinoktien, war, gleichsam �ber Nacht, die Hutbrunst ausgebrochen und die bewegten und beunruhigten Frauen sammelten sich zum Zug nach Paris.

Schon vor Wochen war es Horus aufgefallen, da� die Neuangekommenen merkw�rdig anders gebaut zu sein schienen als die Winterfrauen, besonders die Partie zwischen Schulter und Ellenbogen strebte offenbar immer mehr dem Schenkel eines Schweines nachzueifern, und so w�hnte, was noch Frauenarme besa�, sich allzusehr im Nachteil. Und die Zeichen mehrten sich. Letztarrivierte sahen schon so vollkommen verkehrt aus, da� man ganz verzagt wurde.

Die Principessa Dango — als Sturmvogel der rue de la Paix — war l�ngst fort mit ihren Hutkoffern: eine Art L�wenk�figen mit Saugn�pfen, letztere bestimmt Toques — Cloches — Canotiers: alles pneumatisch — nadellos an den Innenw�nden festzuhalten.

Als Elchos ihr Kupee bestiegen hatten, fiel Horus ein Herr auf, in englischer Reisekappe, und an dem nagelneuen �berzieher N�hte, wie die Nieten eines Dampfkessels. Wo hatte er den Mann schon gesehen? Eben schob er jene kostspielig aussehende Franz�sin in einen Waggon erster Klasse, hinter der drein der Zimmerkellner am ersten Abend blitzschnell eine Geste von geradezu infernalischer Gemeinheit gemacht.

Wo war der Dame sonstiger Gatte — oder Begleiter? Glich nicht der Mann in der englischen Reisekappe auffallend besagtem Zimmerkellner? Wen-Ki�n, Gargis Dienerin wu�te Bescheid. Sie ha�te den Zimmerkellner.

Ja, dieser „gro�e Kerl Gauner“ hatte beim Rennen gewonnen und der Master der Dame hatte verloren. Und so war der Master ohne die Dame abgereist, und ohne die Rechnung zu bezahlen. Und so hatte der Zimmerkellner die Rechnung beglichen und die Dame f�r die Begleichung der Rechnung behalten.

„Warum auch nicht,“ sagte Horus zu Gargi, „hier, wo es keine Kasten gibt: sondern nur einen P�bel mit verschieden viel Geld. Schlie�lich in einem easy-chair l�mmeln, das bi�chen E�manieren, die paar Redensarten! Leicht ist es da, Herrenbr�uche erf�llen; g�lte es, einer �stlichen Teezeremonie gewachsen sein oder den Begr��ungsformalit�ten zweier chinesischer Kaufleute, das w�re etwas anderes, das m��te gelernt werden. Aber europ�ischen Gentleman spielen — welchen K�nnens bed�rfte es da.“

Er l�chelte Wen-Ki�n zu in heiterer Erinnerung. Dieser Zimmerkellner war der Chinesin Privatfeind. Einmal standen um den ganzen „Astoria“-Block jene eigent�mlichen Schnatterlaute, wie sie Chinesen in h�chster Aufregung eigen:

„Du verkehrt gezeugtes Schildkr�tenei, die Hund is eine Gentleman, nur noch nicht fertig. — Du fertig und nie Gentleman.“

Der Zimmerkellner hatte auf zwei Hunde, die sich im Sonnenschein zu paaren versuchten, wie das hier so Brauch, unter Zoten und Gel�chter losgeschlagen.

Von ihrem Master scharf zurechtgewiesen wegen solch unziemlichen Fluches, hatte sie mit der Unbeirrbarkeit eines Kindes, das noch keine Kompromisse anerkennt, gesagt, dem�tig, und doch wieder m�tterlich ihm �berlegen an uralter W�rde:

„Wir t�chtig im Unten Sein ... diese aber nirgends t�chtig.“

Die Gondel der Principessa Dango flo� auf den ponte della paglia zu.

Silberbrokat schleifte breit im Kanalschlamm hinterdrein. Faulende Tomaten, ein paar Kohlbl�tter, zogen auf seinen harten Metallf�den mit. Zwei hypnotisierte Barsois, mit Silberpuder bestreut, flankierten steilen Profils die Principessa, schnitten, ihren unbegreiflichen Hut zwischen sich, wahnsinnige Dreifalt ins Blaue.

Jetzt stieg sie langsam zwischen ihren lebendigen Wappentieren hindurch, gegen den Dogenpalast an. Hinter dem Eckpfeiler mit dem betrunkenen Noah lauerte es ihr entgegen, duckte sich, st�rzte vor: Strondoli. Eine ewige Sekunde wies der klotzige Browningfinger krachend auf die Niederst�rzende.

„Abdrehen!“ schrie Archie Payne dem Mann am Apparat zu, und, F�uste in Hosentaschen, zur Principessa:

Oh! drat it ... was f�llt denn Ihnen ein!“ Keine Spur Snob-Devotion lag mehr in seiner Stimme.

Mitten im Todeskampf hatte sie pl�tzlich das Lorgnon erhoben, lie� ihr Sterben liegen, ging an Regisseur und Filmstab vorbei in eine Gruppe Zuschauer hinein:

Beautiful boy.

Und sie hielt Horus Elcho den Mund des Handschuhs zum Kusse hin.

Impossible.

Schon f�hrte Strondoli sie h�flich-fest zur�ck. Aus Archies Stimme aber pfiff nackt die Impresariopeitsche; die „princesse macabre“ wurde Schulden halber von ihm verfilmt: ihr Palazzo — ihr grandioser Totenkopf mit Toque — ihre Windhunde — ihr Foxtrott, alles war diesem Raubepheben von �bersee h�rig geworden, der in Schmier�l und Champagner spekulierte, einen Rennstall, eine Bar in Verbindung mit einem Kunstsalon betrieb, ein Filmunternehmen gegr�ndet und nun unter der Hand ihre Wechsel aufgekauft hatte.

Also schnell den Todeskampf noch einmal; die anschlie�ende Szene, bei der Lord Byron in Schwimmhosen aus zehn Meter H�he per Kopf in den Kanal zu springen hatte, dr�ngte sehr, denn schon zog Ebbe die Wasser von der Stadt zur�ck, wie wenn Speichel sich zur�ckzieht von einem entfleischten gelben Gebi�, die geschw�rzten Ringe der falschen Kronen auf verfaulenden Wurzeln blo�legt. Der sch�ne Archangelo, im Bademantel als Lord Byron, erkl�rte, den Sprung heute kaum noch riskieren zu k�nnen. Indessen umfeilschten er und Genia Waanebeeker bei dem Antiquit�tenh�ndler an der Ecke des San Sovino einen r�mischen Sarkophag, den wollte er als Toilettetisch zum Rasieren und f�r seine englischen Reiseflacons im neuen Heim verwenden. Halb St. M. wirkte hier „im siebenfachen Mord an der Seufzerbr�cke“ mit. Seine Darsteller — es war Archies Clou f�r „dr�ben“ — sollten Mitglieder der „Gesellschaft“ sein. Taten auch jetzt untereinander sportlich-heiter, amateurisch-unbeschwert, nach der eiskalten Wut, mit der jeder um den Vertrag gerungen, Vorsch�sse heraus, Vorteile hineingekniffen und seine Fu�angeln heimlich durchgenagt hatte.

Archie bereute. Diese Amateurverdiener, von kaufm�nnischen Usancen v�llig unbeschwert, hielten im Gesch�ftsverkehr einfach alles f�r erlaubt, waren stumpf f�r Grade innerhalb merkantiler Unanst�ndigkeit und von uferloser Beutelust.

Zuweilen gab es ja Spa�, wenn etwa Gwen Raeburn ihm mit ihren h�bschen Beinen beinah die Schlafzimmert�r einrannte, zu allem bereit, damit er sie nur ja nicht mit Hazel gleich einkleide zu einem venezianischen Pagenpaar.

Die Erschie�ung der Principessa Dango aber h�tte sich auch besser in St. Peter gemacht, w�hrend der Papst die Ostermesse zelebrierte. Wie bei dem Schu� die Kardin�le geh�pft w�ren; first rate, so eine echte Panik. Wenn man Gl�ck hatte, gab’s wirkliche Tote. Ein Fehler, da� er sich nicht direkt mit dem heiligen Vater ins Einvernehmen gesetzt. Lord Byron in Schwimmhosen konnte ebensogut von der Engelsbr�cke springen.

H�tte ihm nur dieser gold�ugige Sklavenh�ndler seine Reisefrau f�r die Film-G. m. b. H. verkauft. Er hatte Gargi einmal in den „flie�enden Wassern von Bengalen“ �berrascht, wie sie mit ihren Armen spielte, die — zwei Schlangen — aus ihr erwacht, fortglitten, Milch aus Schalen tranken, dann aufgereckt, rosige Opale auf den schmalen K�pfen, ihren b�sen Schwebetanz begannen um eine zitternde junge Antilope, die ein zarter Frauenschenkel war. Mit eins hatten all diese Zauberwesen sich dann aufgerollt und dahin wie Wolke am Boden, die langsam steigt, sich losl�st aufw�rts in eine andre Dimension. Was Opale in Schlangenk�pfen gewesen, stand nun hoch, zwischen Schleiernebeln, zeitlos: ein Sternbild �ber einer weiblichen S�ule, gleich Rauch.

Tausend Prozent.

Auf was wartete dieser asiatische Wucherer denn noch? Dort schritt er �ber die Piazetta — schien immer �ber alles hier wegzuschreiten und trat es doch nicht nieder dabei. Diese H�flichkeit gegen seine Sklavenprinzessin! Kein Zweifel, entweder sie hatte das Geld oder wu�te eine ganz �ble Schweinerei von ihm. Jetzt nahmen sie einander gar bei den Fingerspitzen wie Kinder im M�rchen. Perverse Sache.

Ja, sie gingen Hand in Hand, wie einst zur Schillerfalterjagd, auf hohen, schlanken Beinen in die Goldh�hlen von San Marco hinein. Gargi um Weniges voraus. Hier in der Insel von Byzanz, schwimmend auf gestohlenen S�ulen des Ostens, bl�hten wieder die unerh�rten Farben ihres Sonnenblutes auf, gl�nzend wie Bl�tter; �ber Silber ein gr�nlicher Samt. Als Ampel, auf magischer Spur, leitete sie den Mann an hingekreuzigten Tieren, toten Engeln und Goldadern entlang, in lieblichem Triumph einem noch Dunklen zu — vor Freude ernst. In der Apsis, hinter der malachitnen Schlachtbank f�r das Me�opfer, hob sie den schweren Ledervorhang — lie� ihn schauen:

In den Raum der pala d’oro.

Durch seine enge Nacht hing leuchtend die morgenl�ndische Altarplatte aus Gold und aus Lazur. Gebuckelte Juwelenbeeren trieben blasig aus ihr und um die erzenen Engel ihres Grundes. Auf diese Engel fiel von oben Honigschein einer Kerze hoch aus der Hand eines neuen Wesens. Einer Frau?

Es stand wie wehender Springbrunnen — wie Lebenskraft fabelhaft aufgeschossen zu einem einzigen verwegenen Strahl. In eine Nat�rlichkeit k�hneren Ranges hinaufflie�end — schwerelos.

Der Elf von einem gro�en Stern.

Die blanke Nadel am Faden einer feinen Spur.

An dem Zittern der Wasser seines Lebens hatte er sie schon hinter dem Ledervorhang erkannt, jetzt von r�ckw�rts an den Sprunggelenken. K�hn und scheu hielt sie die Kerze einem dunkelh�utigen, eher kleinen Mann — wie begl�ckt, ihm so Sch�nes weisen zu k�nnen, und glich an Haltung ganz jenen Cherubim aus Niello und Opal, die ihr wie fernes Geschwister entgegen zu wandeln schienen aus dem goldmilden Grund. Des dunkelh�utigen Mannes Blicke schwollen wie Beeren. Aufsaugend gingen sie von jenen zu ihr, f�llten sich mit dem Gewonnenen. Dann glitzernd, schmeichelnd, leise:

„Mein pala d’oro-Wesen.“

Dann noch leiser, wie eine Inkantation, ein feuriges Gewebe, jedes Wort kennerisch setzend und genie�end:

„Mein nobles, langes, schlankes, schlangenanmutiges pala d’oro-Wesen.“

Horus lie� den Ledervorhang fallen. Schied sich diskret von dem Stromkreis drinnen.

„Falsch,“ f�hlte er.

„Nicht pala d’oro-Wesen. Denn noch niemals konnte sie da sein. Ihr Kanon erflie�t aus einer k�hneren Ordnung der Materie, aus eignem eigensinnigem Gesetz. Erst seit der Planetengeist durch Schwebebr�cken, durch zart ragenden Stahl zu uns spricht, ist sie als K�rper auch nur m�glich, die Wei�este der Wei�en, die schlichthin Neue: St. Elmsfeuer aus den Spitzen alles Bisherigen. Fern ragt sie auch �ber die Sch�nheit weg, die noch nicht bis zu ihr gelangt, sie noch nicht einzuholen vermocht.“

Und er blies wie reifen L�wenzahn das Wesen der Pallas und Nausikaa von seiner Seele. Ganz Geburtstagskind wieder. Und tat — als ein Wissender — jedes Wollen und jede Willk�r von sich ab. Er w�rde sie nicht suchen; hatte zuviel Ehrfurcht vor dem gro�en Finden. Das sollte vom Rang jener Dinge sein, die hoch �ber Einsicht und Bestimmung des Einzelnen hinaus, einem geheimnisvollen Kr�ftespiel �berantwortet zu bleiben haben, oder sie sind nichts. Nur den Vorhang ber�hrte er noch einmal mit jeder Pore seines K�rpers und war irgendwie getrost. Hatte ja die Fee Peribanu zur Lieblingsfrau, und eine Fee ist lauter Gabe und deshalb so �beraus m�chtig, weil frei von Furcht, da� man ihr etwas raube; wer aber k�nnte das, da sie ja selbst lauter Gabe ist?

Als Mittagssonnenstaub in den schmierigen kleinen Waggon auf der Strecke nach Padua hereinbrannte, kam von nebenan eine Stimme. Die Stimme. Erst wortlos leuchtend. J�nglinghafter Vogelton �ber einem dunkelerregten Grunde. Auf eine Frage hin zitterte sie zu Klarheit, setzte Worte wie Kristalle an; ward ein kleiner Bericht — Alltagsvorg�nge nach einer Trennung — vielleicht in einer deutschen Stadt — Besuch eines „Zoo“. Die Stimme griff Tiere heraus, r�ndete Bilder mit jener neuen Kinderkraft am andern Ende des Wissens, wie sie Diana Elcho eigen gewesen. Er horchte all seine Adern entlang. Ganz verspielte Worte kamen getanzt auf seinem Blut, einten sich, flossen honigfarben dahin: ... „und es war sommerlich warm zur Stunde der L�wenf�tterung — ganz sonnig — die lieben Gro�en drau�en in ihrem dreigeteilten Raum. Die sch�ne, starke L�win schmachtete hin�ber zu dem jungen afrikanischen L�wen mit der etwas pauvren Hinterhand; aufrecht stand sie am Gitter, kratzte kl�glich und ununterbrochen. Da kam er ganz nah, legte und pre�te sich gegen die Drahtmaschen, so da� sie ihn wenigstens streicheln und ein bi�chen durchlecken konnte — auch seine intimeren Teile — und hub ein gigantisches Geschnurre an, da� der Boden zitterte; prachtvolle Sehnsuchtslaute dazwischen, da� einem das Herz schlug! Wenn man sich dagegen so eine christliche Ehe vorstellt!

Das Publikum starrte verst�ndnislos die seinem Instinkt so fremden Vorg�nge an. Von Mitgift war auch nichts zu sehen, so schwoll der allgemeine Unwille: ‚Die grauslichen Bestien — die Falschen!‘

Und auch die rotznasige Brut echote schon zwischen Trenzen und N�gelkauen zur Wonne der Alten:

‚Die grauslichen Bestien — die Falschen‘.

Da ging ich.

Von r�ckw�rts ins Raubtierhaus, wo auch Affen, Schildkr�ten und wei�e M�use sind. Mit mir trat der W�rter ein. Kaum witterten ihn die drei Herrlichen drau�en, kamen sie hereingest�rzt. Der mittlere L�we steht still im Tor, zwischen seinen Beinen den untergehenden Sonnenball, und die M�hne von r�ckw�rts durchleuchtet, da� sie f�rmlich knistert vor Gold.

Da hab’ ich ihm alles abgebeten, auch das mit dem ‚Giletteapparat‘ zum Geburtstag. Jetzt wei� ich ja erst, was eine M�hne sein kann und wie sie gesehen geh�rt.

Ruhig hielt der W�rter seinen ganzen Arm in den K�fig. Da legte sich der Herr der M�hne genau so auf den R�cken, streckte die Beine zum Himmel und den Bauch unter die liebkosende Hand, wie unser kleines rosenpfotiges K�tzchen seinerzeit in Chamonix — gepriesen sei sein Andenken.

Und dann zw�ngte der W�rter seine Wange durchs Gitter und der Herr der M�hne leckte sie inbr�nstig und schmiegte seine Wange daran ... und so blieben die zwei.“

„Und so blieben die zwei.“ Eine tiefsaugende M�nnerstimme fing die Worte, trank sie nachschmeckend, schwoll warm am Gewonnenen — schwieg dann. Durch die Stille ging jene Umschichtung der Luft, als w�rden nebenan lautlos Pl�tze getauscht, Lebendiges anders verteilt. Nun lag einen Augenblick die dunkelh�utige Wange der Ganz-Wei�en an. Wie mit Seidenf�den eine gespannte Marionette, hing Horus am Dr�ben: wu�te alles durch den gebogenen Pl�sch der Lehne — durch Wand — und wieder Lehne strahlengrad hindurch.

In Padua ri� der Schaffner einen Augenblick die Nebent�r auf. Nun sah er als Bild, was jedes Glied ihm einzeln l�ngst ins Aug gesagt: reiherschmal, ganz in silbergrau, sa� sie langhin eingeritzt in ihre Ecke, da� Raum blieb f�r die quergestreckte, schlummernde Gestalt, deren Kopf in ihrem unfa�bar schmalen Scho� — schmaler wie er — gebettet war. Ganz gro�e, fremde Dame, trotz scheinbarer Formlosigkeit einer Situation, der Hitze und Einsamkeit auch so das Befremdliche entzog, doch mehr noch die geschlossen scheue Ferne, mit der die Mondstrahlen ihrer Schenkel, die langen H�nde in den grauen Schweden an diesem M�nnerkopf vor�berflossen, als w�re er Statue und Stein. Nur ihre Z�ge aus Eis und Honig waren unbeh�tet geblieben. Die einsamen Augen legten sich �ber ihn, weideten g�tterfrei auf dem dunkelh�utigen Greifengesicht, das sie betreuen durfte, voll r�hrend befiederter Erwartung eines namenlosen Gl�cks.

Geisterhaft unhaltbarer Duft nie wiederkehrender Einzigkeit war um diesen seligen Augenblick. Hellrunder Tropfen Gottes hing er aus allem grauenhaft Verflie�enden herausgesch�pft und leuchtend da. Durch ihn: das Keusch-Einmalige seines wolkenlosen Glanzes hatte er: der Fremde, mehr Teil an dieser Fremden als durch die Liebe des zwillingsbr�derlich Geliebten eines ganzen Lebens.

Der gro�gewellte Greifenkopf in ihrem Scho� aber flo� drau�en in Schlaf an dem ewigen Augenblick vorbei — in sich versteint — war nicht mit in dem, was an ihm entstanden war.

Horus blieb auf dem por�sen Bimsstein-Perron der kleinen Stadt zur�ck. Abends w�rde sein Weg wieder die Schleife nach S�den ziehen. Nordw�rts an ihm vorbei fuhr der Wagen mit dem Elf von einem gro�en Stern.

In bitterem Bedauern ging die Fee Peribanu in Padua an den Giottos vorbei. Nur sie hatte gesehen, da� zwischen den langen, spiegelnden Lenden von edelster Enge ein Kind wuchs.

In Rom sagte der verbl�ffte Dr. Hafis, getroffen in seinem Europ�erd�nkel:

„Man mu� sich eben historisch einstellen auf Werke der Kunst.“

„Einstellen,“ das hie�: sich immer ein bi�chen wilder, oder sch�biger, oder ungerechter, oder einf�ltiger geb�rden m�ssen, als man wirklich war.

Hie�: auf einer Seite ganz klein geduckt, sich auf der andern gleichzeitig einen Buckel tolerieren.

Hie�: irgendwie Barbarei — geleckten Kitsch — prahlendes Ohngef�hr, wohlwollend �bersehen zum Genu�.

Hie�: irgendwo besseres Wissen — klarere Einsicht — gr��eres Empfinden tr�ben; nicht Distanz, eine Froschperspektive gewinnen, um sch�tzen zu k�nnen, denn es gab hier nur partiellen Rausch.

Er f�hlte: es ziemt mir nicht oder besser: es ziemt meiner grenzenlosen Ehrfurcht vor der Kunst nicht, da� ich mich limitieren m�sse — in sie kriechen — statt mich zu recken in ihr Ma�. Da� sie Stil werde durch das, was fehlt: durch irgend Irrsinn, Unreife, Fetischismus oder Leere. Nicht durch ungeheuren Runddruck der Vollendung, ihr nur eigner zarter oder machtvoller Verdichtung der Welt. Stil: lediglich �berlappen nach der einen oder Schrumpfen nach der andern Seite, und h�tte doch Ersch�tterung des Betrachtenden aus seinem Ma� heraus zu sein, auf da� er alle Kr�fte �berspannen m�sse nach dem Uns�glichen hin, es ausbl�hend rings zu umfassen.

„Man mu� immerhin bedenken ...“ Dr. Hafis machte die fade „tout comprendre“-Geste des vor Wisserei Verblindeten.

„Ich ‚bedenke‘ ja gerade, was Sie, Herr Doktor, mir in diesen Wochen an europ�ischer Kunstgeschichte zu lesen gaben, und darum sehe ich erst recht das Menschenfresserische dieser Renaissance-‚Pracht‘ ein: ihre optische Unreinlichkeit bei aller Rei�brettk�lte, die billige Art, wie �berg�nge, Fugen, Ecken als Probleme einfach ignoriert werden: diese ganze Kulissenrei�erei an Sonnenunterg�nge gelehnt; sehe ihre Palazzi ein, als das, was sie sind: Parvenuebuden f�r soldateske Raubbankiers � la Medici — optisch zu unerzogen, um sich ihre K�nstler zu ziehen — ohne Sinn f�r Heimkultur, und sich in ihren Wohnst�tten eben begn�gend mit Menschenfresserprunk, weil sie ja nebenbei an einem Vormittag immer noch drei Kardin�le zu vergiften hatten und einen Kaiser zu betr�gen.“

„Durch Versailles, die M�bellager aller Louis im Louvre ging ich j�ngst noch fassungslos. Jetzt sehe ich auch den franz�sischen Barock ein: Stil der auf ‚M�tresse‘ erzogenen Hausmeisterst�chter. Die Herrenkaste, durch Irrenbr�uche, Raufh�ndel und Seuchen zu m�d, um noch auf Wertungen zu halten: Noblesse — Gemeinheit, alles gleich. Lie� ihr Seigneurales �berklatschen vom Luxusbegriff der proletarischen Bettweibchen aus den Kloaken, f�r die viel �berfl�ssiges haben — ‚vornehm‘ sein bedeutet.

Das sehe ich alles ein. Was ich aber nicht einsehe, ist, da� Privatdozenten daherkommen, Kunstkenner, Snobs und als ‚h�fisch feine Bl�te‘ bestaunen, was Paradigma daf�r, wie sich eine europ�ische Stra�endirne den Reichtum vorstellt. Eine europ�ische, wohlgemerkt, weil — und darunter leiden wir Asiaten hier am meisten — der Akzent gepflegter Armut fehlt: Armut als selbst�ndige, formensch�pferische Qualit�t; so bleibt auch Reichtum in Europa immer nur eine gl�cklose Blase �ber Seelenschmutz.“

Und da geschah es, da� Gargi auf einmal ein ganz klein wenig zu l�cheln begann und Horus �beraus rot ward. Er hatte zum ersten Mal seit Jahren wieder „wir Asiaten“ gesagt, nicht mehr: „wir Europ�er“.

Er lenkte ein:

„Meinen Sie bitte nicht, ich sei blind gegen die verzeichnete Anmut etwa der ‚dame � la Licorne‘, f�r den falschen Galoppsprung des Rappen auf Carpaccios Drachenkampf, auch sehe ich, wie etwas, sie nennen es Gotik, aus verworrenen Wurzeln seinen gigantischen Clownismus gegen den Geist des Steins durchtrotzt, denn warum sollte einer verworrenen Seele nicht auch gestattet sein, sich verworren auszudr�cken? Sie hat ein Recht auf die Fehler ihrer Echtheit. Was aber der Renaissance abgeht, ist diese Inbrunst im Danebenhauen. Sie macht es mit d�nnem Zirkel in Architektur, in Plastik mit kaltem Muskel — und in Malerei: nun, ich f�rchte, in wenig Wochen schon so gut zu sehen, da� ich einen echten Raffael nicht mehr von seinem �ldruck werde unterscheiden k�nnen.

Wo eben in Europa die Verworrenheit endet, f�ngt schon der G�hnkrampf an. Kann sich die Seele hier denn immer nur als Wahn bet�tigen? Pausiert aber der Wahn, bleibt eine gewaltsame, unsolide und leere Freiheit irgendwo am Grund der Lenden, wo bisher gehetztes Irrsein schwoll.

Nie noch sah ich hier den Finger des Geschlechts frei auf die Seele weisen. Nie: Ethik von unten. Aus den Zellen der Generation geboren, somit Basis der ganzen lebendigen Pyramide. Immer Glassturz aus der H�he �ber einer ewig rebellierenden Masse aus Blut und Gestank oder — Hoffart, Leere und Langeweile.

Als h�tten stets nur begabte Kr�ppel — irgendwie zu lang Eingesperrte und doch wieder zu fr�h Freigelassene — alles Wichtige Europas, so auch die Kunst in H�nden gehabt.“

Gargi meinte:

„Doch auch bei uns, auch im Osten sind Tempel, Statuen, Bilder barbarisch, unwert unsres Lebens.“

„Eures Lebens, ja — gl�cklicherweise. Denn ihr braucht nicht Kunst zu eurer Rechtfertigung. Braucht nichts aus euch hinauszustellen als steinerne, h�lzerne, �lige Sehnsuchtsprojektion. �bersteigert euch selbst zum Kunstwerk, in euren ganz beseelten K�rpern. Wenn ihr einander einen Mango reicht, ist darin alles, was hier als Tr�mmer durch alle Galerien liegt. In eurem Ruhen, Schreiten, Gr��en, Danken erzeugt sich Unersch�pfliches: lebt sich Erl�sung aus, denn in ihm ward das Geheimnis des Zugleichbestehens von Freiheit und Notwendigkeit lebendig offenbar. Indiens Kunst ist f�r seine untersten Schichten da, die H�chsten bed�rfen ihrer nicht mehr.“

Er sah Gargi wieder vor sich im Museum am Kapitol. Wie sie, belustigt �ber gellend falsche Erg�nzungen an Bildwerken, das leuchtend Wahre aus ihrem Leib herausgesch�pft; den marmornen Moment der Statuen aufgerollt hatte vor und zur�ck in ein Band Bewegtheit.

Und Krumbichler, der gro�e Krumbichler vom arch�ologischen Institut, war ihr sodann vorausgehumpelt zum kapitolinischen Wagenlenker. H�ngend in seinen Beinen, wie in unsichtbaren Kr�cken, wies die Autorit�t auf den k�hnen steinernen Spielfu� der Figur.

„Ei, meine Dame, wie k�me aber diese Haltung zustande? Haben die Kollegen und ich sie doch f�rwahr, als dem Experiment nicht stichhaltig, des �fteren erprobt. �berzeugen Sie sich selbst,“ er schob eine Samtbank dem Lenker parallel, „nun besteige ich den Streitwagen.“

Aus seinem Oberk�rper, der bis in die Beine lief, hob er ein Restchen Hose und schlich damit hinauf, der andre Zugstiefel strich indes die Schleimspur einer Schnecke hinten nach durch die Luft.

„Sie sehen“ — Krumbichler �ugte �ber die Brille an seinen Hosenknollen abw�rts, unsichtbare Z�gel in Baumwollf�ustlingen. Da aber beschlich ihn Schwindel auf seinem B�nkchen und er kroch auf den Rocksch��en eilig erdw�rts.

Es hatte wirklich keinen Moment mit dem Epheben oben �bereingestimmt, und man best�tigte es ihm gerne.

„Steigt man so auf,“ er wies kopfsch�ttelnd auf diesen eigenholden Spielfu�. „Steigt — vielleicht nicht.“ Gargi sammelte sich am Ende des Saales. Ein Nebel von Gliedern scho� daher, wehte an Krumbichlers Nase vorbei, landete hoch im Aufsprung, nachgegossen dem Marmor neben ihr.

Wie wollte so einer die Welt sp�ren: Zu Kunstwerk verdichtetes St�ck Welt, der nicht erst gelernt, seinen eignen K�rper sp�ren. Da� er sich �berhaupt unter diesen Antiken ertrug! Erster Bef�higungsnachweis h�tte doch — der Selbstmord zu sein gehabt! Und das verwaltete hier oben in baumwollenen F�ustlingen die Kunst ...

Unten die gutgegliederten Epheben, die Cavadinis, die Strondolis aber sprangen lieber mit einem „evoe“ und beiden Beinen in die aufspritzende Senkgrube der Politik: Goldgrube der Advokaten. Ja, es war ein Geschlecht von Advokaten, Politikern, Kommis und Chauffeuren, das da den ganzen Tag aufgeregt lungerte in Kaffeeh�usern, zwischen seinen historischen Rei�brettkulissen, �berspien mit dem Eintagspapier der gro�en Rotationsverbl�dungspressen, aus dem alle bis in die Nacht hinein mit eingespeichelten Brocken, vorgekauten Phrasen von Gier, Gr�uel, L�ge, Demagogie um sich warfen. Andre zogen wieder mit aufgeregten H�nden eine Schleimspur von Privat-Skandal von Tisch zu Tisch durch die Saat gierig gesenkter Papierfetzen: wie Tintenfische, die einen dunklen Schlamm um sich verbreiten, mit dem sie alles in der Runde bekleckern, um dann selber darin spurlos zu verschwinden.

Fremde kamen und gingen. Die M�nner bestellten jedes Getr�nk von Bier bis Whisky; die Frauen sagten, sowie man hinhorchte: „oh Giorgione“ oder „oh Pinturicchio!“

Dann zog Archie Payne jedesmal den Hexenmund lang und die Knie bis zum Kinn, blinzelte seinem Kunstkuli Dr. Hafis zu:

„In sechs Monaten werden sie alle nur mehr ‚oh Gecco Pintaccio‘ sagen.“

So hie� irgendein Nebenseiter dritten Ranges aus dem spanischen Barock, in dem Archie momentan spekulierte. Bei Erweiterung seiner Newyorker Bar in Verbindung mit dem Kunstsalon hatte seine eisig freche Unwissenheit sich gerade mit dieser Marke — warum wu�te er selbst nicht — stark eingedeckt. Nun sollte von Europa aus die hausse einsetzen und beteiligte Fachkreise, Hafis an der Spitze, bereiteten sich, demn�chst den Gecco Pintaccio in seiner epochalen Bedeutung f�r den modernen Expressionismus neu zu entdecken. Man schnupperte nur noch ein wenig in der Peninsula herum, eventuell hier flottierende Werke rechtzeitig aufzukaufen, damit der Ring geschlossen sei, ehe mit den ersten Artikeln, Gegenartikeln, Polemiken, H� und Hott des Metiers, die Preistreiberei in dem aufgespeicherten Artikel einsetzen konnte.

Seit dem Erlebnis mit der grauenhaften Greisin in Lederhosen ging Horus nur mehr zu Opern und geno� dort, geschlossenen Auges, das bisher in Europa einzig zu Genie�ende: Musik. In der gro�en Galavorstellung hob er nun einmal zu fr�h die Lider, als eben unter schmalzigen Sequenzen der Vorhang: ein gemalter Fr�hling aus Blech, tangential zu den B�uchen des talg�berrieselten Heldenpaares niederging. Da kam ihm urpl�tzlich die Einsicht, wie er hier unter Kolosseen, Kommis und Kulissen: drau�en wie drinnen, edle Zeit vertat.

Nat�rlich daran lag es. Er hatte sich einfach bisher in einer falschen Schicht dahintreiben lassen, vermeinend, Hotels und Logen „ersten Ranges“ enthielten auch die korrespondierende Menschheit. Zwar was anderw�rts herumwimmelte, schien nicht eben besser — optisch formal noch unerfreulicher: doch wie man seine Illusionen liebt und deren Minderung fast manisch ablehnt, so flog doch immer wieder all seine wei�e Sehnsucht, Liebe und Verehrung strahlengrade vor ihm her in ein noch Unbekanntes, dem Schnee von Paradiesen zu. �berall, wo er noch nicht gewesen, dahin warf er die Erwartung wie in ein Fort.

Wer solche Kleider, M�bel, W�nde, Kellner, Ten�re, Kaufh�user ertrug, war etwas, das er einfach nicht wahr haben wollte als wei�e Rasse. Konnten es nicht vielleicht in Verfall geratene Ureinwohner sein, gleich den Weddas auf Ceylon? Ausgebleichte, irgendwie herabgekommene Papuas, die mit mechanistischen Abf�llen der echten: wahrhaft Wei�en, instinktirr und kl�glich herumhantierten wie ein Affe mit einem Sextanten.

Die echten Europ�er aber, die lichten Herrn der Welt, in l�ssig larger Achtung vor den territorialen Rechten dieser Urbev�lkerung, hatten sich l�chelnd unnahbare Wohnpl�tze geschaffen auf eine ihm, dem Fremden, vielleicht noch nicht begreifliche Weise: am Ende gar mitten inne allem Wust und totem Geheul?

Was war den Sch�pfern der Weltgleichungen unm�glich?

Hatte er doch noch keinen Vertreter jener Gebiete getroffen, die er als typisch „europ�isch“ anzusprechen gewohnt gewesen.

Ihr Wirken aber kannte er: Wirklichkeit mu�ten sie also sein, diese Gesch�pfe wie aus Schnee und Gold in ihrem ohnegleichen Cherubtum; die Sternenklaren, Bestirnten, Newtonhaften, die s�perben Gl�cklichen, und das Gef�ge ihrer Glieder ebenb�rtig den k�stlich gleitenden Erzwesen ihres Hirns und ihrer H�nde. Irgendwo mu�te es sie geben, dort vielleicht, wohin der Elf von einem gro�en Stern entschwunden war.

So taumelte ihm das Herz doch wieder in seinen hei�esten Lieblingstraum. Gegen alle Vernunft. Trotz allem. Ja, gerade die singenden B�uche, der gemalte Fr�hling aus Blech, zwangen das Pendel seiner Stimmung, zur�ckzufahren, da� es sich beinahe �berschlug.

In diese verborgene Welt der Ganz-Wei�en aber w�rden van Roys weltg�ltiger Name, seine Empfehlungsschreiben dem Sch�ler, dem bescheiden Nahenden, den Weg bereiten. Eine Pers�nlichkeit, frei, k�hn, bizarr, deren Primzahlengesetz, deren Knotenexperimente, die vierte Raumdimension betreffend, ihn erst k�rzlich entz�ckt hatten, zog ihn dort vor allem an. Wie hatte er es nur ertragen k�nnen, diesen Besuch so ins Unbestimmte zu verlegen f�r eine Zeit, wenn ihm Deutschland etwa gerade in den Weg k�me? Bei der Einheit und H�he an Mensch und Ding, wie sie ihm einst als Merkmal des ganzen Kontinentes vorgeschwebt, galt es ja berauschend gleich, wem und was er zuerst begegnete.

Morgen w�rde er fahren. Und er fuhr. Gewi�, auch in Italien oder Frankreich gab es Namen genug, zu denen es ihn mit dieser neuen Hoffnung gezogen h�tte, aber er sch�mte sich ein wenig seiner Aura. Wie, wenn das wirklich nur kastenlose, verwilderte Ureinwohner, unter die er ahnungslos geraten? W�re es ihm etwa eingefallen, aus dem K�rperdunst von Rhodias kommend, einen Brahmin hoher Kaste aufzusuchen? Nicht, da� etwa unliebensw�rdiger oder gar ver�chtlicher Empfang gedroht h�tte. �rgeres. Die h�fliche und feierliche Gestalt mit hanfner Schnur auf dunkelblasser Brust sa�, tat, l�chelte dann wie immer. Doch die Poren der Pers�nlichkeit blieben zu. Man merkte das erst beim Sprechen. Lieblichste Einf�lle — tot wie Steine plumpsten sie vom Mund einem senkrecht vor die F��e — und da blieben sie liegen. Zum Schlu� sa� man oben auf einem Schotterhaufen eigner Weisheit mit ganz ausgeweidetem Gehirn. Das verborgene Sonnengeflecht von Gesch�pf zu Gesch�pf, des Fluidums magischer Faden, auf dem Worte als Weberschiffchen hin und her fliegen, spann sich nicht an.

Eine Pause demnach und etwas wie reinlicher Zwischenraum.

Er nahm ein Auto, lenkte es selbst und fuhr mit Gargi und Wen-Ki�n �ber die Alpen. Das brachte ihn zum ersten Mal mit Europ�ern, au�erhalb der gro�en St�dte, in Ber�hrung.

Auf dem Brenner zwang eine Panne zu l�ngerem, unfreiwilligem Aufenthalt unter Eingeborenen. Es schien ein wilder V�lkerstamm, im Besitz von vier deutlich unterscheidbaren Lauten: „H���aaahhh — sell woll — Sakra und Teifffi.“ Ersteres zur Verst�ndigung mit dem Vieh. Zweites zur Verst�ndigung mit dem Fremdling. Drei und vier: orgiastische Erregungszust�nde mit fetischistischem Einschlag andeutend.

Die ausgewachsenen M�nnchen trugen entwurzelte Fangz�hne wilder Tiere an Schn�ren vor dem Nabel, und als Hauptschmuck grasgr�ne Kegel, an denen die ausgerissenen R�ckenhaare einer kleinen Zweihuferart b�schelf�rmig angebracht waren. Die Lenden bedeckten gegerbte Felle der gleichen Tierspezies. Die nackten Beine zeigten durchweg nat�rliche und dichte Behaarung. Die heranwachsende Brut pflegte artfremde Gesch�pfe aus dem Hinterhalt unter aufgeregtem Geschnatter mit allerhand Unrat zu bewerfen.

Doch richtig: noch �ber einen f�nften Lautkomplex verf�gte der Stamm. Unmittelbar vor der Abreise sollten es die indischen G�ste erfahren. Horus kurbelte bereits den Motor an, da schlurfte mit h�ngenden Vordergliedma�en, endend in schwarzen, zerquetschten Klauen, ein halbw�chsiges M�nnchen vorbei und spie etwas aus: halb Kautabak, halb „gelobt sei Jesus Christus“ — ging zwanzig Sekunden weiter — duckte sich und schmi� einen Stein. Die Bewegung, bei aller h�mischen Wut, war aber von so wasserb�ffelhafter Langsamkeit — bis eben das Tief-t�ckische durch die Borke heraufbrach — da� Horus unschwer das spitze St�ck Schotter vor seinem Ziel: Gargis Schl�fe, mit erhobenem Arm abzufangen vermochte.

Dann, als der Wagen mit dritter Geschwindigkeit den Grenzen dieser Weidepl�tze zustrebte, bemerkte er, den schmerzenden Arm am Volant:

„Ob ein gewohnheitsm��iger Zusammenhang zwischen Gru� und Steinwurf besteht — �berhaupt noch eventuellen andern Stammeseigent�mlichkeiten nachzusp�ren, bleibe unerschrockeneren Forschern bei einer k�nftigen Durchquerung des dunkelsten Mitteleuropa vorbehalten.“

Drittes Buch

F�nf Eing�nge hatte die Mietskaserne. „Aha, die unnahbaren Wohnpl�tze,“ er mu�te l�cheln. Im vierten Stock trug endlich die T�r einer Hofwohnung den gesuchten Namen. Auf einer Visitenkarte an vier Rei�n�geln in Fraktur: Dr. Oskar Samossy, au�erordentlicher Professor f�r Mathematik. Eine Weibsperson �ffnete. Sie war von jenem saloppen Kleidungsst�ck umschlampt, das Europ�erinnen f�r einen Kimono zu halten schienen, da sie es also benannten. „Nein, nicht zu Hause; botanisieren sei der Professor gegangen.“

Unter einem vermodernden Vogelnest aus Haar sahen vertrocknete Holunderbeeren den Besucher frechverlegen an. Lockeres Fleisch der Arme schaukelte mit, w�hrend das Weibsst�ck ein goldnes Kettenarmband mechanisch die lange klebrige Hand auf und ab gleiten lie�.

Horus �bergab seine Karte und Erasmussens Brief an den einstigen Sch�ler, jetzt gro�en, ebenb�rtigen Kollegen. Die Person �ffnete den „Kimono“, legte Karte nebst Kuvert horizontal vorn auf eine gelbliche, rechteckig hinaufgepre�te Masse. Schlo� die T�r. Gru�los, grob.

Innen mehrmaliges Aufsto�en des Besens, und unter dem T�rspalt hervor versuchte die grauporige Zungenspitze eines nassen Lappens etwas Sp�licht gegen den mutma�lichen Standort des Besuchers zu spritzen. Endlos stieg er wieder die idiotisch konstruierte Treppe hinab. An jedem Absatz reckte ein Gasarm, von blecherner Blumenranke sadistisch unter der Achsel gekitzelt, seinen zerfetzten Gl�hstrumpf durch ein tulpenf�rmiges Glasgeschw�r in die gefleckte Tr�be des Zylinders.

Beim Eingang vertrat ein andres Weib mit einem Wasserkopf am Sch�rzenband ihm j�h, aus einer Glast�re heraus, den Weg. Hinter ihr her brach Brutw�rme Kleinen-Leute Geruchs: nach eisernem Ofen, scharfen M�nnersocken, s��licher S�uglingsw�sche. Im T�rausschnitt erschien die Lehne eines geschweiften, gr�nen Ro�haarsofas, ein Brautkranz unter Glas, verstaubte Bierflaschen, eine Rute an rotem Band, die Mutter Gottes und s�uische Ansichtskarten f�cherf�rmig �ber die Tapete genagelt. Ein Jegliches stank f�r sich.

Das Weib geiferte: was er wolle, wen er suche. Sie sei die Bordi���s Gattin. Habe auf Ordnung zu halten. H�tte gesehen, wie er am Gashahn geschraubt. Jetzt sei der Strumpf zerrissen. Sie fordere Schadenersatz. Der Wasserkopf am Sch�rzenband versuchte indes dem fremden Herrn auf die Stiefel zu spucken, und der Geifernden grimmer Birnenbauch drohte schon wieder neuen Wurf. Jetzt pl�rrte der Wasserkopf los, weil sein Speichel im Gleitflug versagt hatte; tr�stend wurde er an die keimende Hoffnung gequetscht und Wutblicke schossen gegen den herzlosen Kinderfeind.

Der Kinderfeind blieb kalt. So verlegte sie sich aufs Winseln, begann die Gebreste ihrer Familie herzuz�hlen, hielt Tor und Hand vor ihm offen. Drau�en traf den Enteilenden unerwartet ein Bild wie aus einer Haschisch- oder Meskalwelt.

Etwas Eckiges kam die leere Vorstadtstra�e herauf, eine Art Gespensterheuschrecke im frock-coat. — Das hagre Pferdeprofil von einem ausgefressenen Ziegenbart umdreieckt, den Zylinder weit aus der prachtvollen Stirn gesto�en, pendelte der gro�e K�rper daher. Aus seiner Rechten schleiften etwa drei Meter Strick voll seltsamer Knoten im Stra�enschmutz nach — „seine Knotenexperimente zum Beweis der vierten Raumdimension“ — scho� es dem Beschauer durch den Sinn. Die Linke trug, mit Riesenkraft �ber den viel zu engen Salonrock geschultert, eine junge Tanne mit erdigem Wurzelballen. Um den Wipfel brauste ein Bienenschwarm. Das Ganze bewegte sich unter einem Sturz undurchdringlicher Geschlossenheit dahin. Diesen versunkenen Wandel mit der Trivialit�t einer Ansprache st�ren, — nein. Voll Achtung trat er zur�ck, vergn�gt, als w�re ihm eben ein Tarnhelm bedingungslos geschenkt worden; lie� den Ahnungslosen an sich vorbei in die Zinskaserne biegen. Die junge Tanne brauste durchs Tor, die Bienenpyramide gereizt ihr nach —.

„Und sticht den Wasserkopf an“ — dachte der „Kinderfeind“. „Zuchthausstrafe auf jede weitere Lebendgeburt f�r eine Frau, die so etwas aus sich herausgehudelt hat: Ein taktloses Kind sch�ndet ja die Welt mehr als tausend Verbrecher — ein Dutzend davon, und die ganze Rasse ist gerichtet.“

Andern Tags kam eine dringende Einladung, auf den wei�en Rand einer abgerissenen Zeitschrift gekritzelt.

„Gleich“ stand zweimal unterstrichen und schnitt in teilweise erhaltene Annoncen f�r Schmier�l und ein Berliner Bureau zur Vertiefung des Familienlebens.

So machte er sich abermals auf den Weg quer durch die fremde Stadt. Nicht mehr suchend, diesmal gem�chlich schauend. An seinem Schritt glitten zahllose Buch- und Kunstl�den vorbei. �berall hinter Glas stand auf Pappe: „Der sch�ne Mensch“ — „Sch�nheit des Ganges“ — „Rhythmische K�rperkultur“ — „Die Kultur des Wohnens“ — „Heimkultur“ — „K�nstlerische Bekleidungskunst“ — Stil, Sch�nheit, Rhythmus — wo man hinsah aufs Papier. Dann wieder zahlreiche Glasscheiben, blechgolden, schr�g verkritzelt mit „Konditorei“. Dahinter alles voll k�siger Frauengesichter unter irrsinnigen Hutgeschw�ren, die von geh�uften Tellern faden Kram in sich hineinstopften. Wie hie� doch all das Zeug? Richtig: „Schillerlocken, gef�llter Bienenstich.“

„Einst Stier — Schwan — Goldregen. — Hier m��te sich der Gott wohl zu Schlagsahne wandeln, um einen begehrten Scho� erzittern zu machen,“ sann der Fremde belustigt.

Dann stieg er wieder am Windeldrachen vom gr�nen Kanapee vorbei die idiotisch konstruierte Treppe hinauf. Fand diesmal die T�r nur angelehnt. Schellte vergeblich, trat durch eine K�che, die nach Abort stank, in den speckigen Arbeitsraum; nein, zwei R�ume — drei. Durch alle drei lief ein schier endloser Papierstreifen. Stellenweise war er mit Nadeln, Haarnadeln, Streichh�lzchen und Zahnstochern immer wieder angest�ckelt worden. Buchstaben, Zahlen, Zeichen bedeckten ihn: ein Zaubernetz, �ber und �ber. Fern im dritten Zimmer lag Samossy in seinem Salonrock flach auf dem Bauch, schrieb weiter an dieser einzigen, ungeheuren Gleichung.

Entz�ckt und ger�hrt, mit einem hei�en Gef�hl von Heimat vor diesem schmierigen, geflickten Band stand der Herr des Hauses Elcho zwischen Abort- und K�chengeruch. Bog ein Knie, und mit aller Anspannung sich sammelnd auf das Faszinierende zu seinen F��en — spontan hineingerissen in seine Magie — lag nun auch er, Raum und Zeit verloren, auf dem Fu�boden; einem geisterhaften Schema, nach dem die Welt geschah, �ber Haarnadeln, Zahnstochern, Z�ndh�lzchen hinweg zu folgen. Da nur Resultate zu durchlaufen waren, fand er sich, ob nach Stunden oder Minuten, blieb so ungewi� wie belanglos, neben Samossy. Nun verweilten beide, parallel eingestellten Geistes, hingegeben an ein klareres Sein, bis in der D�mmerung jeder �berblick erlosch.

Dann begr��ten sie einander. Samossy raste zum gedeckten Teetisch, sich am Tischtuch enthusiastisch den Staub von den Fingern zu wischen. Zerkn�llte dabei, eh man’s versah, mit affenartiger Behendigkeit alle vier Ecken wie Papier. Sein Gebaren hatte etwas Gaulhaftes: ein durchgegangener Klepper, wie er von hohem Schiefgalopp herab blindes Feuer und erschrecklich wei�en Wahn aus blutigen Augenb�llen kegelt.

Des Gastes Aufmerksamkeit hatte er nach den ersten Bemerkungen gewonnen, denn untr�gliches Merkmal �berlegener Menschen: sorgliche Wahl, fl�ssige Placierung auch des scheinbar untergeordneten Wortes, war sein — wenn er wollte. Jetzt wollte er. Des Gastes Herz aber ging aus zu ihm, nach der ruhigen Verbeugung seiner Stimme vor van Roys Werk und Wesen. Dieses: seiner ersten J�nglingsjahre Erlebnis — Begleiter seines ganzen Mannesalters: Jenes.

Nach einer angenehmen Weile wandte sich das Gespr�ch, und der Gast bemerkte beil�ufig:

„Es scheint ein recht gl�ckliches Land, dieses Deutschland. Nach Annoncen, Inseraten, Plakaten ist ja hier alles zu haben gegen Einsendung von f�nfundsiebzig Pfennigen in Briefmarken an eine G. M. B. H. oder sonst einen, mir unverst�ndlichen Lautklumpen. Da bekommt man ‚postwendend‘ die ‚Weltr�tsel‘ gel�st in Monismus, Schutzmarke: ein Griff, ein Bett; den ‚W�lsungenring‘, ‚v�llig geruchlos‘, oder verwechsle ich das mit: ‚keine Schwei�f��e mehr‘. Auf Mystik scheinen Rabattmarken zu gelten. Ihrer zehn — ‚beigebogen in der Falte‘ — was immer das hei�en mag, ergeben gratis: ‚das Bauchschnellen oder Sonnengeflecht und Schicksal‘ von der Lichthortvertriebsgesellschaft.“ — —

Hier drang vom Flur schmetternd das Siegfriedmotiv.

Samossy sprang auf. „Treudeutscher M�nnerpfiff, Sie entschuldigen,“ und seinem Gast wie einem Verschworenen zuzwinkernd, galoppierte er die Gleichung entlang, bis zu deren Ursprung im ersten Zimmer. Dort blieb er t�rmend �ber ihr, spreizbeinig wie der Kolo� von Rhodos. Keinen Moment zu fr�h. Man h�rte es durch die Materie trampeln, und zwei K�rper prallten von Samossy ab; die Gleichung aber blieb heil.

„H�ppla,“ sagte der Eine.

„Da brat mir eener n’en Storch,“ der andre.

Der mit dem Storch hatte viel Gesicht, aber nichts der Rede Wertes drin. Nur ein Zwicker sa� irgendwo hineingekniffen in den Speck. Der hingegen „h�ppla“ gerufen, der wallte: vom Haar bis zu den Hosen, �ber Schillerkragen und lockichtem Bart zu beiden Seiten der slawischen Kn�pfchennase hinab. Ganz Bizeps und Sonnigkeit, entbot er den Gru� mit Schlagring: „Professor Dallmeyer.“ —

„Sogar Ordentlicher — f�r Biologie,“ erg�nzte Samossy aus infernalischen N�stern.

Der mit dem Storch ri� jetzt auf absonderliche Weise seinen Speck vor dem Fremden zusammen, begann dabei mit dem Fu� am Boden zu scharren, �hnlich den �ltesten jener Huftiere, die sich notd�rftig eben erst aus der Mischgruppe oberhalb der Beuteltiere gel�st hatten:

„Hans Horst Krause.“ Das Scharren klappte zu.

Beide barsten vor Fachklatsch. Es spritzte f�rmlich aus ihnen.

„Ob Samossy schon das Neueste in der ‚Affaire‘ des Kustos Pappla vom Museum wisse?“

„Lassen Sie mich — lassen Sie mich,“ schrie Dallmeyer, als der feiste Student ihm zuvorkommen wollte.

„Ein beispielloser Skandal. Bei—spiel—los.“ Er rang jubelnd die H�nde.

„Die reine Meteoritenb�rse hat er eingerichtet. Das war ein Get�uschel und Getue, angeblich f�rs Museum Meteoriten gekauft, Preise in die H�he getrieben, dann wieder nach London verkauft; keine Sau hat sich mehr ausgekannt. Aber direkt nachzuweisen ist ihm wieder nichts — und wenn auch — ich bitte Sie, Schwiegersohn vom alten Mehmke: Pr�sident der Akademie.“

Samossy wieherte bei dem Namen auf, als st�ke ihm eine brennende Lunte unter dem Schweif.

„Mehmke rast �brigens gegen Sie, seit der Geschichte in der geographischen Gesellschaft neulich.“

„Also ist es wahr?“ Krause verlor vor Interesse den Zwicker und blieb v�llig als Uhr ohne Zeiger �brig. „Onkel hat heuer als Rektor so viel zu tun, konnte leider nicht dabei sein; ich wei� also noch gar nichts Authentisches.“

Dallmeyer beg�nnerte:

„Nat�rlich ist es wahr. Nach zwei Stunden welken Bl�dsinns hat der Alte endlich ausgekohlt, da spricht unser Professor hier dem ber�hmten Ehrengast f�r die ‚lichtvollen Ausf�hrungen‘ den Dank aus und schlie�t w�rtlich:

‚Es ist mir zwar schon fr�her nicht unbekannt gewesen, da� Wasser bergab flie�e, ich freue mich aber aufrichtig, es nun von solcher Autorit�t best�tigt zu h�ren.‘“

Dallmeyer lachte mit sch�nem Tenor, wie er dem Manne wohl ansteht — dann lauernd zu Samossy:

„Ich f�rchte nur, werter Kollega, es wird Ihnen bei den n�chsten Akademiewahlen — wieder — schaden.“

Der bockte gereizt: „Der Alte hat rechtzeitig umzustehen, sein dritter Schlagflu� mit doppelseitiger L�hmung ist l�ngst f�llig. — Haben Sie �brigens den Angriff gelesen? ...“

Das Wort Angriff schien eine magische Wirkung auszu�ben. Sie steckten die K�pfe zusammen und begannen aufgeregt zu schnattern. Angriff — Polemik — Angriff. Immer war eben einer erschienen oder im Begriff zu erscheinen. Eifrig hockten sie, ganz eng, wie drei gro�e alte Affen, die zwischen sich immer einen ganz Kleinen lausen. Der ganz Kleine schien die Wissenschaft. Samossy, mit allen Fakult�ten gehetzt, stak offensichtlich von Mittelpersisch bis zur Numismatik, von der projektiven Geometrie bis zur oberen Trias in Intriguen, Tratsch und Hetzereien. War das noch derselbe Mensch, grotesk aber gro�: der wilde Tr�umer mit den Knotenexperimenten, Herr der transzendenten Gleichung, Entdecker des Primzahlengesetzes, und geiferte, trunken von Klatsch, mit knochig boshaften Geb�rden seiner Bordi���sgattin, w�hrend beide andern, verhohlen lauernd, von jeder Injurie sich heimlich Notizen zu machen schienen — nicht ruhend — bis der ganze Mann ein einziges Gedankenfletschen war, aus dem spitze Argumente, gleich Rei�z�hnen, sich in die Weiche jedes guten Namens gruben. Auf Personalien und Details horchte Horus kaum hin, was ging ihn Privatgeifer zwischen Fachbarbaren an; dazu hatte er nicht nach den „unnahbaren Wohnpl�tzen“ der Ganzwei�en gestrebt.

Wie dieser Krause dasa�. Die speckig obsz�ne Talentlosigkeit, wenn so ein Europ�er nur einen Froschschenkel �ber den andern schlug.

„F�ngt der auch noch an �ber Frauen zu reden, so geh ich,“ dachte der Beschauer. Nein, der Andre fing an.

„Wissen Sie schon, wo Margrinchen Mehmke sich jetzt kneifen l��t?“

„Vermutlich in die Waden,“ gr�lte Samossy.

„Da h�tte es doch korrekt hei�en m�ssen: wohin —“ feixte Krause dazwischen. „Nein, bei ihm — von ihm — in seinem Institut; ist mit sechs andern Jungfrauen von uns Chemikern weg, hin�bergewechselt zur Biologie.“

„Ja, seit dem Dr�senrummel wei� ich mir vor Frauenzimmern keinen Rat mehr.“ —

Dallmeyers befiederte Lockigkeit brauste auf, wie an einem z�rnenden Schwan.

„Jede will Hoden transplantieren — egal — den ganzen Tag. Der Verbrauch an Ratten und m�nnlichem Ungeziefer auf meiner Abteilung steigt ins Ungeme�ne. Und schlampig sind die Luder. Wird es ihnen zu fad, oder winkt der Konditor, lassen sie ihre angeschnittenen Versuchstiere herumfahren, wie eine H�kelei. W�r’ nicht der Laboratoriumsdiener, tagelang spazierten mir noch halbe Krebse durchs Institut.“ —

Er hielt mit einem Ruck; etwas so Starkes ging pl�tzlich von der lebendigen Ruhe dieses schweigenden, eleganten Fremden aus: stumme Reaktion des gesitteten Orientalen auf den ersten Einblick in die Beziehung des Europ�ers zur Kreatur.

Der Ruck — die Strahlenohrfeige hatte rundum eingeschlagen; Klatschnebel zertropfte. Da sa� ja, bisher ignoriert, ein ganz Fremder zwischen ihnen. Das Hemmungslose gerann, ward t�lpicht h�lzern. Auch bei Samossy; er hatte allzurei�end Niveau verloren gehabt. Mit einem ungeheuer schiefen Galoppsprung startete er jetzt die Konversation falsch. Gab das Signalement seines Gastes, taktlos wie eine Beh�rde. Die Andern aber atmeten auf. Nur so ein Hinterw�ldler, von wo der Pfeffer w�chst. Na also — wozu die Aufregung. Krause, ein Bein �ber das andere geschlagen, beg�nnerte schon:

„Inder — n’gutes, aber n’schlappes Volk. Nich forsch. Sollen erst mal die lausigen Engl�nder rausschmei�en — aber schlapp eben. Nee, so Lotusonkels — nich in die Lamaing.“

„Ihnen gesagt,“ best�tigte der wallende Germane.

Zartf�hlend sein, niemanden verletzen, war Horus wie Herzschlag — doch auch Anma�ung nicht zu dulden; und der Herr des Hauses Elcho sprach:

„Ich bin zwar nur der unwissende Bewohner einer wilden und abgelegenen Gegend, aber gestatten Sie mir dennoch die Frage, warum Sie dieses Rowdy-Dogma logischerweise nicht auch auf den Heiland Pal�stinas anwenden; dem man hier so viel Tempel errichtet hat, ihm vorwerfen, da� er kein Preisboxer war, sich nicht mit einem wohlgezielten ‚undercut‘ die Kreuziger vom Halse gehalten hat.“

„Na nu, Christ sein hei�t doch lediglich: kein Jude sein,“ belehrte Krause. „Es sind eben die zwei einzigen vom Staat anerkannten Religionen. Was geht mich modernen Menschen der olle Mumpitz sonst an.“

„Schmonzes,“ bekr�ftigte der wallende Germane.

„Warum erkl�ren Sie sich dann nicht von jeder Religion frei?“

„Er meint konfessionslos,“ jappte Dallmeyer und erschauerte bis ins Gebein.

„Unm�glich, Verehrtester, das sind erst recht nur Juden. Auch schadet’s der Karriere. Im �brigen kann mir, als modernem Forscher, alles transzendente Geschmuse restlos gestohlen werden. Kraft und Stoff, sonst gibt’s nichts f�r mich. Das einzig Sichere ist die Beobachtung der Materie, die k�mmert sich nur um reale Dinge und liefert daher untr�gliche Tatsachen. Tat-Sachen.“ Sein Speichel ward gro� in ihm.

„Was ist ein reales Ding, eine Tatsache?“ frug Horus.

„Dieser Tisch.“ Er nahm besagtes St�ck Hausunrat gestreckten Armes, um durch den Krach des Niederstellens dessen „Realit�t“ sinnf�llig zu erh�rten.

„Viechskerl,“ dachte Horus, „so ist dir wirklich noch nicht einmal aufged�mmert, was an Transzendentem alles n�tig ist, damit ein ‚Gegenstand‘ in der Anschauung m�glich werde; das, was du, unpr�ziser Analphabet: ‚reales Ding‘ nennst? Dein Tisch ist doch, wie alles Ausgedehnte, eine dreifache Mannigfaltigkeit von Punkten, die erst in der Anschauung restlos durchlaufen werden m�ssen, damit etwas �ber dieses Mannigfaltige ausgesagt werden k�nne. W�hrend aber z. B. eine Tischkante durchlaufen wird, m�ssen die schon durchlaufenen Teile als weiterexistierend hinzugedacht — aus dem Flu� sinnlichen Geschehens — herausgehoben werden. Der ‚Gegenstand‘ Tisch ist somit gar keine ‚Beobachtungstatsache‘ — sondern etwas zur Wahrnehmung lediglich Hinzugedachtes: bedingt ein Nichtsinnliches, au�erhalb der Zeit Stehendes, an dem die Wahrnehmungen vorbeiflie�en, und in dem sie sich r�umlich erst ordnen. Was aber au�erhalb Raum und Zeit steht, ist notwendig als ‚transzendent‘ anzusprechen, da es niemals Objekt der Erfahrung sein kann, ist das ‚Erkennende‘, ‚nie erkannte Subjekt‘. Nur insoferne also der Tisch — als ein Hinzugedachtes — an diesem Transzendenten teil hat, ist er Realit�t. — Viechskerl! Die Grundfrage nach der M�glichkeit aller Erkenntnis lautet demnach: wie ist Erfahrung �berhaupt m�glich. F�r mich jedoch lautet die Grundfrage:

„Mu�ten dazu s��e Tiere zermartert werden, um dein Gesamtniveau zu erreichen; notabene hundertdrei�ig Jahre nach einem gewissen Kant? — Viechskerl.“

Laut aber widersprach er nur soweit, als es die aufgekl�rte Ignoranz des Fachmannes zu ergr�nden galt.

Es ergab sich, da� auch Dallmeyers naturwissenschaftliche Bildung haupts�chlich darin bestand, nichts von Philosophie zu wissen und da� er stolz darauf war. Schon das Wort schien Schande. Er streifte es voll mitleidigen Ekels ab wie eine halbtote Schmei�fliege.

Probleme gab es nur noch im Detail. „Geist“ war eine st�rende Nebenerscheinung der Materie, alles �brige „Schmonzes“ und langweilte ihn uns�glich.

„Beobachtungstatsachen — Beobachtungstatsachen,“ schrie er ein ums andre Mal.

„Hab’ ich aber das Bed�rfnis nach dem endg�ltigen �berblick, lese ich: H�ckels ‚Weltr�tsel‘ oder: Machs ‚Analyse der Empfindungen‘. Denk�konomie ist die Hauptsache. Sich’s vereinfachen.“

„Dann haben wir wohl zu wenig Gemeinsames f�r eine Diskussion,“ meinte Horus, um h�flich zu Ende zu kommen.

„Denn ich wiederum mache gerne einen noch so halsbrecherischen Umweg, sch�rft oder vertieft er mir die Einsicht nur um ein Weniges, und diese, hoffentlich nur vorl�ufig letzte Einsicht besagt, da� die Welt den Spezialfall aus zwei Scheingleichungen darstellt.“

„Nur keine Mathematik,“ wehrte Dallmeyer be�ngstigt ab, „oder mathematische Physik, da verliert man den Boden der Tatsachen. Der Samossy ist auch schon halb meschugge mit seinen Knotenexperimenten.“

Und h�chst �griert �ber die St�rung im Fachklatsch — der Besuch hatte doch so anregend begonnen — entbot er wieder Gru� mit Schlagring. Krause scharrte am Boden, knallte die Hufe zusammen, und die T�re schlo� sich hinter den beiden.

Aus Samossys weitem Ro�haupt begann es zu kichern. Es hatte das unbegreiflich Irre des Pferdes in allen Z�gen, bis zur n�sternen Nase, wenn sie — eine ganze Landschaft f�r sich — weichgeh�ckert, aus Mulden von gro�porigem Moos, �berraschend Hauch ausst��t. Wenigstens ein ganzer Gaul, statt dieses Dallmeyer, der — slawische Kn�pfchennase oben — P�belbeine unten — au�enherum wallender Germane und innen ein Rindvieh war.

Das knochige Kichern aber klang nicht angenehm, kam aus einem viel engeren Wesen. Er grinste diabolisch und mit gro�eckiger Bewegung hinter den beiden drein, wieder hinrei�end in ihrer Art — hub er an, genie�end zu pointieren:

„Mitnichten k�nnte erhofft werden, dem Halbgebildeten st�nde ja annoch frei, so sukzessive 3/44/59/10 ... schlie�lich ganz gebildet zu werden. Daran aber hindert ihn die unausrottbare Arroganz eben dieser verd�chtigen Halbheit, ihr vages ‚wei� schon‘, gierig tr�ge Hast, nur bedacht, in jeder Tiefe eigne Flachheit zu spiegeln, die edle Demut der Unwissenheit verloren — edle Demut des Wissens nie erworben hat. Da aber so ein halbgebildeter Sensationsdeflorateur, so ein all-round Kommis auch noch m�helos in alles dreinschnauzen will und die Welt von seinesgleichen �berfleu�t, erstanden ihm, wie in pr�stabilierter Harmonie, avancierte Oberlehrer und frohe Greise, denen man nicht gram sein darf, denn sie sind bieder und wissen es wirklich nicht anders. Die lieferten ihm Taschenphilosophien f�r Minderbemittelte, und weil er das Fertigfabrikat stets neu liebt, lieferten sie ihm modernen Sch�pfungstratsch statt des Mosaischen. Schutzmarke: ‚ein Griff ein Bett‘, wie Sie vorhin sagten, denn er hat nicht eben viel Zeit f�r dergleichen — gerade ein Maul voll von allem gen�gt. Und weil er keine Zeit hat, sind die Monistengreise und avancierten Oberlehrer immer zugleich ‚Esperantisten‘, um das ‚Un�konomische‘ auch in der lebenden Sprache zu ‚bereinigen‘.“

„Weg damit,“ schnoddert begeistert der all-round Kommis, der nur Haupts�tze nebeneinander stellen kann und will, ohne feineres Bed�rfnis nach kausaler �berblickung durch Ko- und Subordination, denn: den Spannbogen des Gedankens ermi�t man an der Syntax. Hochcharakteristisch nun, wie monistische Sonntagsprediger und avancierte Oberlehrer, weil sie nicht einmal philosophisch den Begriff der Kausalit�t noch erfa�t, und sich daher r�hmen, ihn abgeschafft zu haben, gierig eine k�nstliche Unbildungssprache propagieren, der alle Geisteswurzeln ausgerissen sind, in der niemand je einen Gedanken weder zu fassen noch auszudr�cken verm�chte.

„Was ist ein Esperantist?“

„Einer, der sich eigens ein Idiom zusammenstellt, das keines zu sein braucht. Einer, der freiwillig wieder weit hinter den Affen retourmarschiert, denn dieser hat ja — nach Garner — schon Ans�tze zu etwas wie einer lebendigen Muttersprache: jenem mystischen Meer, in dessen suggestiver L�sung Gedanken wachsen, wie glasklar flie�ende Gesch�pfe genialen Lebens. Zum Wachsenlassen aber hat der all-round Kommis keine Zeit. Auch die Kofmich-Lautklumpen, deren Sie vorhin schaudernd erw�hnten, kommen davon, da� er eben nie Zeit hat.“

„Ja, um Himmels willen, warum hat er denn nie Zeit?“

„Weil er immer schnell noch einen �bers Ohr hauen mu�.“

„Sensationsdeflorateur — Monist — Esperantist — all-round Kommis: doch letzten Endes Einer, der den Vertrieb sch�dlichen Schundes besorgt, nicht? Einer, der das Leben mit falschem Schleim �berziehen hilft? Doch Dallmeyer, bei seiner stillen Gelehrtenlaufbahn, k�nnte wohl Zeit haben, etwas zu lernen.“

Samossy johlte: „Stille Gelehrten-Laufbahn ist gut, wenn man mit f�nfunddrei�ig schon Ordinarius und kriechendes Mitglied der Akademie sein will! In wieviel gewisse geheimr�tliche K�rperteile, glauben Sie, mu� man da nicht nur geschl�pft sein — nein, in diesen Organteilen direkt �berwintert haben? ‚Stille Gelehrten-Laufbahn‘!“ Er wand sich vor Wut.

Der Gast tr�stete.

„Aber Sie sind ja auch l�ngst wohlbestallter Professor?“

„Wohlbestallt?“ — mit doppeltem Armschwung nach K�che und Abort — „das ist der Stall, den ich mir leisten kann.“

In die letzten Worte war merklich ein Unfreies gekommen, geduckte Zerstreutheit, als sch�be sich ihm ein Keil quer zur Gedankenrichtung. Das Weibst�ck stand im Zimmer, trug heute keinen „Kimono“, sondern war „angezogen“: der K�rper grundlos halbiert, in etwas schwarzwei� Gew�rfeltes unten, Gestreiftes oben. Das horizontal Hinausgepre�te vorn stand noch eckiger weg wie das erste Mal: be�ngstigendes Toppgewicht gegen schr�ggestellte Lackhufe unten.

Das Niveau sank stumm und unbegreiflich schnell. Hoch und leer hing die Konversation noch dar�ber. So oft die Person am Teetisch zu hantieren begann, klirrte das goldne Gliederarmband und sie schob es die klebrige Hand auf und ab. Samossys Blick fing sich daran. Wurde h�misch, irr, hilflos, dunkler S�chtigkeit voll. Er ignorierte sie und schien doch seit ihrem Eintritt an allen Organen verschroben.

Der Gast ging.

Schon war Licht angesteckt hinter den Glasscheiben voll k�siger Frauengesichter, vor ihren Tellern geh�uft mit fadem Kram.

Das war also des wei�-goldnen Traumes neueste Wandlung:

Pallas und Nausikaa: Dallmeyers H�rerinnen. Nicht gesch�rzte Korybanten etwa im Brunstschweif eines Gottes, Hindinnen anspringend und zerrei�end, entr�ckt von ihrem tanzenden Blut. Nein, Pallas und Nausikaa: inskribierte M�naden im Laboratoriumsschurz, mit spitzem Gel�stchen und spitzerem Skalpell in den Geschlechtsteilen gemarterter kleiner Tiere herumschnitzelnd, bis der Orgiasmus zu dreimal Apfelkuchen mit Schlagsahne gerann. Jetzt glitten die andern Glasscheiben wieder vorbei und hinter ihnen auf Pappe: „Der vornehme Mensch“ — „Stil“ — „Kultur“. Dann Ladenschlu�. Blindes Blech rasselte �ber die Rachen der Gesch�fte.

Samossy lud ihn zu seinen Vorlesungen, auch andre Professoren. —

Jugend sa� hier herum, ruhte gr�ndlich sein �berfressenes Ged�chtnis aus. Nur die vor Rigorosen standen, mu�ten wegbleiben. Auch Krause.

„Keine Zeit auf die Universit�t zu gehen,“ qu�kte er gereizt, „der Mensch mu� ja schlie�lich doch mal was lernen — promoviere heuer.“

Die �brigen aber r�kelten s�� das Hirn. Ihr Dionysisches schien sich mehr in den W. Cs. zu konzentrieren. Auch das Rassenideal war dort wie zu Hause. Bunte Etiketten mit: „Juden hinaus“, klebten an allen Pissoirw�nden, neben mit Bleistift festgehaltenen Vorg�ngen aus dem Geschlechtsleben. Unter diesen stand wieder mit andrer Hand:

„Und das sind die Arier.“

Man konnte der andern Hand nicht so ganz Unrecht geben. An Technik und Niveau vermochten diese Darstellungen analogen Steinzeitfunden, auf Renntierknochen geritzt, keineswegs das hier zust�ndige Wasser zu reichen, trotz ihres Fundortes, der im Technisch-sanit�ren sie wieder zweifellos als dem zwanzigsten Jahrhundert zugeh�rig zu datieren zwang. Der Pithecanthropus war erotisch schon weiter; europ�ischer aber schien dies, in seiner eigent�mlich zwinkernden Verquickung von Liebe und Pissoir mit Glaube und Hoffnung, es sei eine Schweinerei.

Diese eigent�mliche Verquickung blieb auch in der schmatzenden Verliebtheit an den Kaffeehaustischen, wo abends sich alles traf, Rudel halbw�chsiger M�dchen hereinl�rmten, jede Geste ein: hurra, wir sind defloriert; Ordin�rheit mit Temperament verwechselnd. Manche jugendh�bsch und doch: lendemain auf den ersten Blick, weil diese irren Barbarinnen nicht wu�ten, da� der Takt eines ganzen Lebens in der Liebesgeb�rde zu gipfeln hat. Ab und zu kam eine D�monin, totschwarz, entbl��te einen goldnen Raubzahn, snobte auf Morphinistin, a� aber dann doch mit Behagen zweimal Schlackwurst mit Kraut. Eines Sonettes �ber Fruchtabtreibung wegen war sie bei den Literaten angesehen.

Dort sprach man ausschlie�lich von Prozenten. Nur ab und zu sah einer vom Tisch, wo sie die erste Nummer einer Zeitschrift zusammenstellten auf und frug, ob man „sehr“ mit „h“ schreibe. Oder Jemand rief: „aus—ge—schloss—en—!“

Ein Rudel Russen: fanatische Nasenbohrer, redeten in einer Ecke endlos �ber Kommunisierung der Frauen; trugen alle Knochen aus ihren schlacksigen Leibern ins Gesicht geh�uft eckig unter den Augen.

Sonst hockten rings durchs Lokal Klumpen dickh�utiger Gelassenheit um Bier, wie Kr�ten um einen Edelstein. Diese Klumpen ohne G�te hatten eine uns�glich h�mische Art, die Pfoten �ber ihr ausschlie�lich aus Nahrung bestehendes Selbst zu kreuzen. Grinsten — ewig Ungef�hrdete — aus den strohwarmen Hundsh�tten ihrer Belanglosigkeit zu allen menschlichen M�hen und Qualen, Streben nach Besserem; hatten daf�r ein Leibwort: „wird’s schon billiger geben“. Wu�ten denn diese unersch�tterlichen Nullen noch nicht einmal, da� es ein Andres ist, wieder zum Ausgangspunkt zur�ckzukehren, als ihn nie verlassen haben?

Vor diesen Quallen aus neunundneunzig Prozent Quatsch graute ihm ha�voller fast, wie vor der Umwelt der Greisin in Glac�h�schen.

„Samossy,“ frug er einmal fassungslos, „wie geht denn das zu? Jedes Wesen ist doch irgendwann zu irgendwas gut, oder k�nnte Wert haben, oder man denkt, es k�nnte — aber das da!“

Der sch�ttelte die Ro�kiefer vor Lust:

„Das da — oh, das hat Wert als moralisches Lackmuspapier!

L�uft bei irgendeinem Reformvorschlag der Spie�er blau an im Gesicht vor Wut, ist die Sache was nutz, man wird ihn sich in einer k�nftigen Gesellschaftsordnung als Cyanometer f�r „Moral“reaktionen erhalten m�ssen!“

Fast z�rtlich sah er um sich. Wer Samossy Gelegenheit zu einer Bosheit gab, den liebte er beinahe.

Durch die verhockten Massen sentimentalte vertr�umt die sandhelle Kellnerin dahin; versch�ttete von Zeit zu Zeit Kaffee. Eine aufbr�llende Kanaille, ein blaurotes Tier, st�rzte dann der Manager jedesmal herzu. Die Ro�diebsvisage versank fast bis zum Balkanscheitel im Hals, so schwoll ihm der Schl�chtertorso vor Wut.

Einmal war bei den Literaten der Doyen der �stheten erschienen, hatte in einer Sprache — von Krause als „gepflegtes Galizianisch“ bezeichnet — ein R�sonnement gehalten, anscheinend �ber die Grenzen des Stehlens oder wie er es nannte: „das Sch�ne aus der Vergessenheit heben.“ Und er deutete mit zarter W�rde an, der Menschheit diesen Dienst �fters geleistet zu haben.

„Bei Plotin oder dem Kusaner w�rde sie es weder suchen noch fassen.“

Nach einem Blick auf die Hosenbeine hatte Horus beschlossen, es doch lieber bei Plotin, wenn �berhaupt, zu suchen. An diesem Abend lie�en sich die �brigen gleichfalls ethisch los. Ein L�ngst-Arrivierter dozierte:

„Nur immer in Russen machen, so kleine feine Z�ge � la Dostojewski — sind ja billig genug — im Buch verstreuen, wie Ostereier in Salonecken, damit der verbl�detste Kritiker sie noch finden mu�; das freut ihn dann so, da� er den Kneifer verliert.“

Ein Eben-Arrivierender warf mit dem Ende des Eckzahns Offenbarungen und Tips unter die minder erleuchteten aber zahlreicheren Glieder der Zunft:

„Nur immer Galopp schreiben. Transitive Verben. Intransitiv gebrauchen. Vorn. Hinten. �berall. Alles weg.“

Erl�uterte an Beispielen.

Das Resultat schien Horus eine Art „Pidgin“-Deutsch analog dem „Pidgin“-Englisch: Hafendialekt wie ihn Kulis und Nigger sich aus aufgeschnappten Brocken zusammenl�ppern, die Sprache dabei, um eine Dimension verst�mmelt, in die Froschperspektive r�cken, statt Klavier etwa sagen:

„Gro�er Kerl Kasten Master haut ihn er zu viel schreien.“

Nur da� bisher Niemand in Asien gefunden hatte, der Begriff: Klavier sei in diesem Kraut- und R�ben-Ausdruck konziser geworden, weil der Kuli die Artikel weggelassen.

Schlie�lich endete es wie immer an hohen Geistesfesten hier: alle pfauchten Kultur durch die Polypen ihrer Nase oder stelzten auf den Eiszapfen ihrer Phrasen einher, bis Scheuer-Weiber, aus Sp�licht gezeugt, K�bel voll Grauen durch ein Lokal erbrachen, das vor Entsetzen Kopf stand auf Inseln aus Kaffeesud und Tabak.

Der Fremde sann: Da sind sie so stolz; weil alle hier Lesen und Schreiben k�nnen, und k�nnen doch nicht stehen, schreiten, ruhen, gr��en, danken, also: leben. Somit eigentlich doch auch wieder nicht „lesen und schreiben“, insofern „Lesen“ Erfassen fremden Lebens — „Schreiben“ Lautform des Eigenen ist.

Professoren traf man selten im Caf�. Nur eines Platzregens wegen war Dallmeyer fl�chtig hereingetropft, mit ihm eine dunkle, eher feine Person, und drei slawisch-germanisch-semitisch gew�rfelte Kinder. Beim Anblick Bekannter wehte der Lodenkomet samt Schwanz eilig von dannen. Krause, gleichfalls im Fortgehen, gr��te nach, schlug sich auf die Froschschenkel: „Familie Dallmeyer.“

„Da� ein so rabiater Antisemit eine J�din zur Frau und, wie es scheint, gar Kinder mit ihr haben mag,“ meinte Horus.

Krause verteidigte den G�nner:

„Oh, das ist nur eine Gewissensehe. Er kann sie jederzeit ruhig sitzen lassen.“ — Krause betrachtete wohlgef�llig seine Couleur durch die Regenhaut hindurch. — „Die Kinder illegitim, da braucht er so wenig zu zahlen — nein, das z�hlt wirklich kaum.“

In seiner zerstreuten Verbl�ffung griff Horus nach dem Blatt, das der Enteilende zur�ckgelassen. Seit jenem ersten Morgen in Paris hatte er keine Zeitung mehr ber�hrt. Schon eine Tatsache auf diesem Weg erfahren, schien ihm, als solle er seinen Durst mit Wasser aus einem Kamelmagen stillen. Was er jetzt in H�nden hielt, war eine akademische Fachschrift: Deutsche Korpszeitung stand darauf: ja, war er denn irrsinnig geworden ...?

„Und die M�glichkeit des Vieltrinkenlassens ist auch notwendig. Verbieten wir das Resttrinkenlassen, so kann jederzeit jeder trinkfeste Fuchs jeden weniger vertragenden Korpsburschen in Grund und Boden trinken, und die Autorit�t ist hin oder aber, wir schaffen die Bierehrlichkeit und damit die Grundlage jeder Kneipgem�tlichkeit ab. Verbieten wir das Vollpumpen, so geben wir ein Erziehungsmittel aus der Hand. Die Kneipe ist f�r uns, was der vielgel�sterte Kasernenhofdrill, der Parademarsch f�r den Soldaten ist. So wie dort das hundertmal wiederholte ‚Knie beugt‘ nacheinander Faulheit, Wurstigkeit, Trotz, Wut, Schlappheit und Ermattung �berwindet, und aus dem Gef�hl hilfloser Ohnmacht und v�lliger Willenlosigkeit vor dem Vorgesetzten die Disziplin hervorgehen l��t, so bietet bei uns der ‚Rest weg‘ dem �lteren vor dem J�ngeren immer Gelegenheit, seine unbedingte �berlegenheit zu zeigen, zu strafen, Abstand zu wahren, die Atmosph�re zu erhalten, die f�r das st�ndige Erziehungswerk des Korps unbedingtes Erfordernis ist, wollen wir nicht Klubs werden. Der ‚Rest weg‘ ist nicht immer, nicht bei jedem angebracht, aber es mu� �ber der Kneipe schweben ...“

War er denn irrsinnig?

Auch Samossy versah ihn mit Fachlekt�re. „Vielleicht interessiert Sie das,“ — es waren Korrekturfahnen zu Dallmeyers neuem Werk, einem breitschultrigen Band �ber: Periodizit�t im Organischen. Dann nach einer Woche, mit erwartungsvollen N�stern: „Nun?“

„Der eigentlich beweisende: der mathematische Teil strotzt ja von kindischen Fehlern.“

„Das Rindvieh,“ jubelte Samossy ein ums andere Mal. „Und das Rindvieh merkts nicht, die Fachkollegen merkens auch nicht und andre lesens nicht. Also Niemand merkt’s. Das ist der Segen der Spezialisierung.“ Er duckte sich zu einem Kn�uel funkelnder Bosheit zusammen.

„Dieser Teil ist n�mlich von mir, und kommt es schlie�lich heraus, ist auf alle F�lle er der blamierte Europ�er. Genannt hat er mich nicht als Mitarbeiter, m��te also nachtr�glich eingestehen, er lie�e sich seine B�cher heimlich von Andern schreiben.“

Samossy spie Gl�ck.

„So ein M�useschl�chter, Dr�senkitzler, Vergifter kleiner Nagetiere. Quirlt einen Frosch und wird Dozent. Sperrt einen Ratzen in einen Labyrinthk�fig, schaut zu, um wieviel schneller das Vieh jedesmal herausfindet, wird daf�r Professor. Und das packt pl�tzlich der Raps f�rs Fundamentale; Eitelkeit ist ja doch die Hauptwelle im Betrieb, der �brige Schwachsinn rotiert nur blind drum herum.

Na, da hab’ ich ihn eben her—ein—ge—legt. Auch Freundchen Krause werd’ ich he—rein—le—gen beim Rigorosum. Weil der Alte in Remscheid Klosettpapier verkauft, glaubt man sich reif f�rs Doktorat der organischen Chemie, und weil der Onkel gerade Rektor ist, glaubt man sich bei mir im Nebenfach sicher.

Wie das bei den Vorlesungen zugeht, wei� ja jeder. Der Vortragende schmiert vier Semester lang Zahlen an einer Tafel herunter, die man mechanisch kopiert, sulzt dann Formeln in sich hinein, von deren Konstruktion man keine Ahnung hat und die — weil nur gemerkt und nicht begriffen — vier Tage nach dem Rigorosum durchs Hirn gefallen sind, wie ein Pflasterstein durch Nebel. Der pers�nliche Erkenntnistrieb beruhigte sich ja l�ngst bei der Variante: ich saufe, darum bin ich. Aber hereinlegen werd ich ihn, schmei�en werd ich ihn, den ‚Fernhintreffer der Taktlosigkeit‘.“ Er feuerte hinten aus vor spastischem Wutgl�ck.

Horus war so leid um ihn, herzzersprengend leid. Dann, um abzulenken, auch in dem Wunsch, mit diesem Dennoch-Gro�en einmal andere Geistesgebiete, als die seines Faches, zu ber�hren:

„F�r all diese jungen Leute w�re es eben r�tlicher, statt der ‚Korpszeitung‘ lieber doch noch einmal: ‚�ber Anmut und W�rde‘ von Schiller nachzulesen.“

Und erschrak. Bei dem Wort: Schiller hatte sich Samossys m�chtiges Gesicht auf einmal zu einem ganz kindischen Knoten hilflos diabolischen Hasses zusammengeschn�rt. Es war so entsetzlich, so unbegreiflich, so schamlos und besch�mend zugleich, da� der fremde Gast rasch die Aschenschale umwarf, die ganze Situation damit umwarf; Trivialit�ten dazwischen warf, um nur ganz wo anders wieder beginnen zu k�nnen. Weg von dem b�sen Infantilismus, der gr�nen Wut, die unbegreiflicherweise Schillers Name ausgel�st zu haben schien.

Da sagte Samossy unvermittelt, dranghaft:

„Kommen Sie mit �ber Pfingsten. Wir wollen auf einen hohen Berg steigen und Zarathustra lesen.“ Dann, hinterh�ltig, geheimnisvoll: „Man mu� vom Weibe loskommen.“

Horus erw�rmte sich. Seit dem Abschied von Asien hatte er keinen Sonnenaufgang auf einem Pilgergipfel mehr erlebt. Gut w�rde das tun. Endlich wieder.

Sie trafen sich am Bahnhof. In Deutschland sein erster. �berall auf Plakaten hingen, zwischen Ausrufungszeichen, an den W�nden lapidare Beflegelungen des Publikums und andrer Wesen: —

„Wanderv�gel benehmt euch!“ ... „Unterla�t ... sonst ...!“ „Keine Kirschkerne ausspucken, sonst ...!“ „Wer unbefugterweise ... der wird nach Polizeiverordnung vom ...!“ —

Lauter hingeschnauzte Imperative. So geleitet fuhren die Leute in ihre Spiele und in ihre Mu�e hinein. Noch fuhren sie aber nicht. Barsche G�tzen mit Schirmm�tzen und l�cherlich doppelt zugekn�pft, hinderten vorl�ufig jeden, dort hinzukommen, wo er hin sollte und wollte. Erbitterte Menschentrauben hingen um zwei vergitterte L�cher, wo in K�figen andre G�tzen hockten und sich weigerten, Geld zu wechseln, oder pl�tzlich das Milchglasfenster ihres K�figs den gehetzten Massen vor der Nase herunterknallten. War es endlich wieder offen, mu�te jede zitternd abgequetschte Menschenbeere sich ducken vor dem K�figloch, als kr�che sie um Gnade; sie kaufte aber nur um ihr gutes Geld eine Fahrkarte, von einem, den sie daf�r selbst angestellt und bezahlt hatte.

Genau wie vor dem Postamt neulich, mit seinem B�cherpaket f�r Erasmus! Auch dort vor einem Gitterk�fig die zust�ndige Sklaventraube: M�nner mit Krampfadern, Frauen, Angst um anbrennende Milch in den Augen, Arbeitnehmer aller Grade, bei denen Qual marternder Langeweile mit h�mischer Genugtuung, ihre Brotgeber um so viel sch�ne Zeit zu prellen, rang. Alle aber bekamen diese dunkelleere, geduckte S�chtigkeit im Blick, traf er den K�fig.

Endlich mit seinem Paket dem G�tzen im Loch gegen�ber, war dieser ans Gitter gefahren:

„Unvorschriftsm��ige Verschn�rung.“

Also hie� es heimkehren, dann zur�ck, mit dem neuverschn�rten Paket sich wieder anstellen. Diesmal stocherte der unrasierte G�tze vermittelst einer Feder unter der schwarzen Nagelplatte des Mittelfingers mit dem r�ndigen Ring — �ugte das Paket wie einen Todfeind, dann sich erhellend, grob:

„Siegel fehlen.“

„Bitte wo und wie viele?“

Der G�tze bl�hte sich violett auf:

„Hier ist kein Auskunftsb�ro, glauben Sie, ich bin da, mich mit Ihnen hinzustellen — — weiter.“

Er kam zur�ck mit drei Siegeln.

„Vier,“ spie es aus dem K�fig.

Er kam mit vier. Aus dem G�tzenloch triumphierte es:

„Die Schnurenden sind nicht mitversiegelt.“

Schr�g stand schon die Sonne, doch dies mu�te ausgefochten werden, und er st�rzte fort, zum f�nften Mal wiederzukehren. Da winkte ihm ein alter Herr mit einer Pfundnase heimlich in eine Ecke beim Papierkorb. Er schien sie den ganzen Nachmittag nicht verlassen zu haben. — „Psh — Psh,“ sein Speichel gl�nzte vor ihm her. Dann hinter einem Paravent aus Wurstfingern:

„Da ham’s,“ er kramte eine Handvoll runder, gummierter Pergamentpl�ttchen mit verschiedenen Monogrammen aus der Tasche —.

„I schau Ihner scho n’ ganzen Nomitto zu, und jetzt schau i no zu wie ‚er‘ — sein Daumen wies gegen das Loch — ‚zerspringt‘ — d�s san n�mli Verschlu�marken“ — er klopfte auf die Pl�ttchen — „d� gelten statt Siegel, wanns ihm no mo net recht is, glei hinpappen — alleweil glei hinpappen, da kann er fei nix machen.“

Er duckte h�misch gegen den G�tzen. Der aber mu�te den Vorgang gemerkt haben, lie� bis auf zwei Vorderm�nner den neuger�steten Feind an sich herankommen, dann klappte das Milchglasfenster einfach zu. Die wartende Masse �chzte vor Angst. „Abrechnen tut er,“ raunte es ringsum, und kl�gliche Blicke hingen sich an den Minutenzeiger, da� er nicht springe: vier F�nferspr�nge und das Postamt schlo�. Der Zeiger sch�ttelte die Augentraube ab und sprang zum ersten Mal. Das Milchglas r�hrte sich noch immer nicht. Die Herde knurrte bek�mmert vor sich hin, bis oben voll geduckter Wut. Da wagte der Fremdling sich aus der Reihe, wand sich fechterglatt zum leeren Nachbarschalter, streckte den Kopf durch das G�tzenloch und sah jenseits der niedren Zwischenwand den mit dem r�ndigen Karneol am Mittelfinger sich noch immer die schwarzen Nagelplatten ausstochern, w�hrend er einer kanariengelben Mitbeamteten aus dem Abendblatt vorlas. Da ri� ihm die Geduld. Gut: diesem Lande Gast, hatte er sich seinen Br�uchen zu f�gen, dies aber ging die W�rde des ganzen Planeten an. Mit geballter Faust drang er gegen das Milchglasfenster vor, dem frechen Bureaukretin seinen albernen Scherben zerschmei�en; es war das einzig Gegebene. Welche Erl�sung f�r die mi�handelte Herde, wenn es endlich geschah. Doch siehe da! Hatte er denn den Weltuntergang angezettelt? Die meisten flohen sofort, beherzte M�nner voran, die fr�her am lautesten gemurrt.

„I muas nit von allm ham,“ kreischte der heimliche Obstruktionist mit den Verschlu�marken und weg war er. Eine Rotte erbitterter Weiber warf sich indes mit Meg�rengeb�rden auf Horus, nicht mehr Angst um angebrannte Milch gab es, keine Krampfadern, keine bespiene Menschenw�rde, nur einen, der ihnen allen zu Hilfe kam: der gemeinsame Feind.

Ach so: sie liebten das also offenbar, bezahlten es eigens. „Pardon, ein Mi�verst�ndnis.“ Eben ganz wie in dem Masochistenbordell zu Paris. Sir Osmond hatte ihn der Kuriosit�t halber einmal dort eingef�hrt — Zuschauer beide — denn manche Kunden w�nschten ausdr�cklich auch Publikum zu dem etwas gewaltsamen Empfang, den sie sich bis auf jeden Handgriff genau, brieflich und um schweres Geld vorausbestellt hatten.

An jenem Abend hatte sich nun, der Himmel mochte wissen wieso, ein schlichter outsider hierher verirrt. Offenbar fehl am Ort und durchaus nicht im Bilde, war der brave Mann in heller Emp�rung einem Habitu� zu Hilfe geeilt, als dieser, seiner innersten Neigung nach, schon an der T�re, nachdem er lange vergeblich gewartet, mit einer Flut von Injurien durch eine Beamtete des Unternehmens empfangen worden war. Der in seinem Vergn�gen Bedrohte, an Ureigenstem verst�rt und gehemmt, zeterte nun seinerseits los:

„Wo die Ordnung bleibe — Wirtschaft —! Ob man meine, er zahle sein Geld f�r nichts? Sacr� nom d’un petit chien marron! — Wozu unterhalte man denn sonst den ganzen Betrieb!“

Und nun begannen alle: Handelnde und Behandelte �ber den schlichten outsider herzufallen und warfen ihn die Treppe hinab. Sogar ein �lreisender in Pyjamas war, wie aus der Kanone geschossen, pl�tzlich dabei und beteiligte sich unter Beteuerungen, da� er ganz normal sei, aber sicher noch seinen Nachtzug nach Lyon vers�umen werde, an dem Strafgericht. St�rzte dann wieder zur�ck — — fait vite — fait vite — rief es aus dem Zimmer, machte bei halboffener T�re ein paar Griffe an seiner Dame, fuhr herein, heraus und in seine Kleider, fand zwischendurch noch Zeit, sich bei der Direktion �ber „cette grue“ zu beschweren. Frechheit, w�hrend seiner Liebe habe sie einen Apfel vom Nachtk�stchen genommen, hineingebissen und die Kerne zum Plafond gespuckt, wie um zu zeigen, auch sie wolle eben ein Vergn�gen dabei haben. Kr�nkend sei das! „Freche Hure“. Er spuckte aus und sauste mit zwei Musterkoffern die Treppe hinab. Vielleicht hatte er vor dem Tor gar den Hinausgeworfenen noch �berholt und im Vor�berst�rzen Zeit gefunden, diesen �ber den Grund des Treppenflugs sexuell aufzukl�ren.

Ein Mi�verst�ndnis eben. Nein, Horus w�rde in deutschen Amtslokalen nicht mehr „schlichten outsider“ zu spielen versuchen. Staunte auch nicht, als jetzt ein neues System teuflischer Netze den sch�umenden Haufen, knapp vor seinem Ziel: dem Bahnsteig, abfing, da� er davor zu einem Block Unluststoffe gerann, dessen Lodenh�lse unter dem Druck sich durch die Gitterst�be spannte als platzende Ballonhaut. Drei Zentimeter jenseits, vor Himmel und Schienen, g�hnten ein paar G�tzen mit Zwickzangen im Leeren, vor der leeren, l�ngst bereiten Zugsgarnitur.

Samossy, in die Ecke getrieben, bis an den Hals im P�bel, starrte dunkel und s�chtig hin�ber. Hatte die Ohren zur�ckgelegt, spannte die Stirnhaut, r�chelte dumpf und eingespeichelt gl�cklich. Dann wie zu schlechtem Gewissen erwachend:

„So ein moderner Verkehr hat doch etwas Imponierendes, diese musterhafte Ordnung, da� alles so klappt.“

Und sank wieder in tr�umende Starre.

Im Block unter der Lodenh�lse aber brodelte �rgernis: unerzogene M�tter trieben mit P�ffen Anstand in ihre falschgebornen Kinder hinein, den diese wieder schreiend erbrachen. M�nner rissen sich immer wieder viehisch Wege zu B�fett und Zeitungsstand. Den Raubmord von heute gierig schwingend, den Raubmord von gestern achtlos um den Leberk�s gewickelt, ritten sie dann, zur�ckgaloppierend, Schinkenstullen unter dem Rucksack m�rbe.

Jeder Ank�mmling aber stie� auf wutgerundete R�cken der Abwehr. Wieviel so �ble Zweibeiner gab es denn noch, wie man selber einer war? Fassungslose Emp�rung! Man konnte das eigne Zahlreichsein offenbar noch nicht meistern, hatte sich schneller vermehrt als da� dem Einzelnen seine pers�nliche Gleichung gestattet h�tte, sich dieser Verdichtung anzupassen.

P�beldichte ist das Infernalische hier, f�hlte der Fremde; dieses geistig und leiblich einander auf die Hufe spucken. P�beldichte, nicht Menschendichte, denn diese schafft ja positive Qualit�ten: etwa Chinas R�cksicht und Diskretion, kann doch bei �berv�lkerung die unersetzliche Einsamkeit dem Einzelnen nur durch zarte und kultivierte Manieren der Vielen gew�hrleistet werden. Er tr�umte sich zur�ck in das s�dliche Bl�tenland, das „Land der Lebendigen“. Wieder stieg die Paganinipyramide auf, doch diesmal trug sie ihn durch Stunden und �ber diese ganze Fahrt hinweg, wie zum Dank f�r einst. Manchmal schrak er gl�cklich l�chelnd auf, wog seinen Reichtum: „Wieviel war meiner Jugend beschieden“. Auch „gefl�gelte Perle“ kam.

„Ich will dich das Geheimnis des Fu�es lehren und meiner �lteren Schwester das Geheimnis der Blume Lan.“

Seidnes Wesen!

Sie hatte ihr Versprechen gehalten.

Aus der Zahnradbahn keuchte es jetzt, sich �berrennend, dem Hotel unter dem Gipfelkopf zu, einer im Kielschwei� des Andern, Kinder und Rucks�cke schleiften nach. Im Tor sch�umten Wirt und Pilgrime gegeneinander an.

„Zu f�nft drei Betten — ausgeschlossen, da sorcht ja schon die Beh�rde jejen!“

„Aber Ludwig, ich bitte dich, Trude und Hans in einem Zimmer!“

„Bleibste in der Depandanxe — n�ch?“

„Na, denn nich.“ — Und auf einmal lie� man das ganze �bernachten stehen, ri� sich angstvoll um die Speisekarte — zu reservieren, was zu reservieren war. Familienv�ter bestanden auf f�nf Kalbshaxen, Kinder gr�lten nach Apfeltorte; es ging um Tod und Leben, als eine Person mit angekettetem Kropf zwei graue Beete aus Kr�gen in den M�nnerarmen hereintrug.

Auf einmal waren alle Mehmkes da, samt T�chtern, Schwiegersohn und Enkel Fritz, von Krause flankiert. Dallmeyer blies schon Bierschaum in den Ausschnitt von Margrinchens rosa taffet Bluse �ber dem Lodenrock.

Samossy, g�nzlich verwildert, umwieherte indes die Kellnerin. Doch ihre rotpunktierten M�nnerarme in den kalkharten Puff�rmelchen waren jetzt frei und sch�tzten sie erfolgreich ringsherum.

Langsam mit dem Speisendunst ging die Stimmung ins Breite, Qualm nikotinisierte den Verdru�. Schon war die Luft fast so dick wie zu Hause, und nahrhaft von vergastem Fett.

Jetzt hieben ein paar Tatzen voll T�ne in den Brodem. Ein Auswendigh�mmerer begann Kraut und R�ben durcheinander zu hacken, ri� dem Klavier die Stockz�hne aus, schmi� sie der Dulli�h-Stimmung in den Rachen: aus einer Art Beethoven cake walk schmalzte er in ein Carmen-Meistersinger-Potpourri hinein, schlang diesem den Liebestod als Boa um und markierte dem wiehernden Saal die Glocken aus Parsifal, mit dem Ges�� auf der Klaviatur, landete dann mit einem Flohsprung mitten im letzten Satz der Neunten Symphonie, boxte sich durch bis an die Menschenstimme — — —:

„Nee, so was Gem�tliches, nee so was Gem�tliches,

Mir wackelt vor Lachen der Bauch,

Na siehste, dir wackelt er auch.“

Und die Sonnenpilgrime fielen mit der zweiten Strophe des Sensations-Schlagers der Saison ein:

„Vor Gericht zur Ehescheidung ist zur S�hne heut Termin.

Er in eleganter Kleidung, sie sehr schick, Hut voll Jasmin.

‚Wollen Sie sich nicht vertragen?‘ fragt der Richter ehrfurchtsvoll.

Als sie grade ja woll’n sagen, schreit ein Weib: ‚Paul, bist wohl toll!

La� die alte Zicke t�rmen!‘ ‚Was, Sie Mensch!‘ schreit darauf die Frau;

Nun geht’s los mit Regenschirmen, alles schl�gt ein’n Mordsradau.

Z�hne, Z�pfe umherliegen und der Richter bietet Ruh.

S��e Schmeichelworte fliegen. Ekel, Lulatsch, alte Kuh!

Selbst der Richter kriegt zum Schlu� im Gew�hl eins auf die Nu�.

Nee, so was Gem�tliches etc.“

Drau�en — drau�en standen irgendwo Sterne — gro� und weit weg.

Um Morgengrauen barsten Wecker auf Tellern, kreischten spitze Trichter hinein. Ein finstrer Kn�chel kam von T�r zu T�r, zerklopfte durch Holz hindurch Tr�ume im Hirn. Das Hemmungslose der Aufstehger�usche stand pl�tzlich mitten in fremden Zimmern. Durch Korridore schlurfte es ohne Kragen, in Hemd und Unterhosen. Wie ertrugen sie nur eine Tracht, die tagt�glich durch dieses entw�rdigende Stadium hindurch mu�te?

„So mach doch vorw�rts — noch nicht fertig?“ — Dann wieder in seltsamem Hedonismus: „Na, freu’ Dich bis wir nach Haus kommen!“ T�ren knallten; gr�n vom Fleisch und Bier der Nacht, stolperte es in karierten Plaids durch die silberne Fr�he. Ein Pfahl im Schotterhaufen und eine Ansichtskartenbude markierten den Gipfel.

Jetzt war es so weit:

Ungezogenes Gebr�ll verk�ndete das Herannahen der Sonne. M�nner riefen: „Na also!“ Frauen: „Ach wie s��.“ Jeder rief irgend etwas.

„Ja, so ein Sonnenaufgang bleibt doch ein Sonnenaufgang,“ begann Fr�ulein Mehmke — dann ward es ihr bleich vor dem an�mischen Hirn, sie h�tte gestern nicht so viel Schlagsahne zu den Birnen essen sollen.

Dallmeyer stie� indes aus den Wolken seines Bartes die ersten T�ne von Br�nhildens Erwachen: „Heil dir, Sonne!“

Krause war dagegen:

„Nee, nee, lassen Se se lieber in alter Weise t�nen.“

Und Margrinchen, die wieder funktionierte, ratschte weiter:

„In Brudersph�ren Wettgesang, und ihre vorgeschriebne Reise —“

„Reise“ — erinnerte sich Frau Geheimrat, im Rucksack kramend — „hast du am Ende das Reisebesteck vergessen? — Vater braucht den Pfropfenzieher.“

„Nun, Fritz, wie geht es weiter,“ examinierte Mehmke, „in deinem ‚Goethe f�r Jungens‘ hast du’s ja beinahe unverk�rzt.“

Aber Fritz maulte: „jetzt is Ferien.“ Und er intonierte das Lieblingslied von jung und alt:

„Mariechen,

Du s��es Viechen,

Sie ist eine ne—te—te—te,

Diva von der Oper—e—te—te—te.“

Da es ihm seine Mutter oben verwies, qu�kte er es um so lauter etwas weiter unten bei den K�hen, kam aber bald zur�ck, denn man leerte aus den Rucks�cken Konserven in die Natur, die Fransen von Mehmkes Plaid schwammen schon im Sardinen�l. Man kaute und schrieb zwischendurch Ansichtskarten. M�nner entfalteten markig das Abendblatt; weise diesem zeitungslosen Sonnenaufgang entgegengespart. Es war voll der neuesten Pariser Sensation: dem Hosenrock. Seit Wochen flossen die Gazetten aller Parteirichtungen �ber von Bulletins. W�rde er sich wirklich auch au�erhalb Frankreichs als Mode durchsetzen? Unm�glich ... bei keiner anst�ndigen Frau ... die Entr�stung war allgemein.

„Geiler, welscher Tand.“ Dallmeyer r�hrte auf germanisch.

Margrinchen zeigte ihm, wie m�helos ihr eigner Rock aufzukn�pfen sei: entarteter Abk�mmling eines verj�hrten Pariser Schlitzmodells, nur da� sein planlos Affenhaftes hier ins stockend Barbarische geraten war.

„Echt weiblich und doch praktisch,“ lobte Dallmeyer, „echt deutsch!“

„Auch malerisch,“ erg�nzte ihre verheiratete Schwester, die den gleichen trug, und drapierte einen Batikschal �ber den Wettermantel und die auseinander geronnenen H�ften.

Wer ohne Zeitung, hatte anders vorgesorgt f�r die langen Stunden hier drau�en, wo nichts los war: „Wollen wir n’en Skat dreschen?“ Und aus Handfl�chen sprangen karierte Bl�tter per Kopf auf gebreitete Lodenflecke ringsum. Manchmal zorniges Grunzen: „Rindvieh dappigs, so pa� schon auf.“ — „Halts M�u!“

Akademisch Gebildete spielten hier nicht Karten. Wu�ten, da� man in der Natur nat�rlich zu sein und sich in ihr zu lagern hatte. So lagerten sie erst angezogen, als Fremdk�rper umher, begannen dann aber, als es w�rmer wurde, auf grauenhafte Weise Bekleidung von sich abzusto�en, unter andauernd witzigen Bemerkungen �ber diesen Vorgang. Die Rhododendren hingen schon voll Hosentr�ger, und das schlurfende Stadium von den Korridoren war wieder erreicht; selbst halbe Akte tauchten vor�bergehend auf, verschwanden wieder: nein, es war allerdings kaum anzunehmen, da� die Natur das zum sichtbarlich au�en Tragen bestimmt haben sollte.

„Mal bi�chen Natur kneipen.“ Auf dem R�cken liegend, hob Krause das Ges�� und klappte die Hufe in der Luft erlaubnisheischend gegen die Damen zusammen. Oben die Sonne wiederk�uend, buk er unten die gelbliche Riesensemmel seines Bauches gar, im eignen s�uerlichen Speck. Der Geheimrat kraute mit dem kleinen Fingernagel seine grauen Achselhaare:

„Was Samossy, dieser Intrigant wieder ausgeheckt habe — ein Narr — ein gemeingef�hrlicher Narr, ob Dallmeyer den Angriff ...“

Aber Dallmeyer hatte die Stiefel ausgezogen und war l�ngst Jung-Siegfried; dahin rollten die St�cke des morschen Speers, an Notung zerschellt. Keine Abfindung f�r die Schwarzalbin, j�dische Mitl�uferin und was ihr entsprossen. Seine m�nnische Kraft sollte eine reine Jungfrau erwecken ... nur wer durch das Feuer bricht ... als korrespondierendes Mitglied mu�te er heuer noch in die Akademie hinein.

Kein Gru� aus der Kreatur klang in diesem �ther. Kein aufjubelndes Fluidum aus wilden, freien, vielgestaltigen Herzchen entz�ndete sein zeugendes Netz. Leergescheucht auch er: ein �bler Doppelspat, auch er, durch den das Un-Sein hereingebrochen kam.

Kinder machten auf ein paar gl�cklose Kriechtiere Jagd, die nicht Beine genug gehabt, sich rechtzeitig einzugraben. Fritz kroch umher, kratzte aus dem Moos, was er an F�hlern und Fl�geln erwischen konnte, brachte es in seiner scheu�lichen Gymnasiastenm�tze Margrinchen. Sie sonderte die m�nnlichen Tiere aus, und er durfte sie in eine Glasflasche f�llen, w�hrend das Fr�ulein ihr biologisches Besteck auspackte.

„Unten nicht so zerquetschen,“ mahnte sie, wenn seine Fingerstummel mit den verkehrt eingesetzten N�geln ihr eine Kreatur nach der andern reichten. Dann sah er mit abstehenden Ohren zu, wie sie hineinschnitt.

„Immer flei�ig,“ schmeichelte Dallmeyer. Er war endg�ltig durch das Feuer gebrochen und n�herte sich bereits Margrinchen auf ihrem Fels: „Immer eifrig bei unsrer Wissenschaft.“

Vom Hotel herauf schellte es jetzt Mittag. Sie warf das angeschnittene Tier weg und begann ihre Frisur zu richten. Dallmeyer st�hnte in Stiefel hinein, Krause suchte nach Hosentr�gern — Plaidfransen blieben an Uhrketten h�ngen, rissen Geld und Karten ins Gras, alles kn�pfte sich zu — stob abw�rts zu Hauf.

In die lange, neue Stille hob sich aus Geb�sch mit eins ein verschlafener Kopf, blinzelte ins Leere — begriff dann. Ma�loser Schreck ging in seinen Z�gen auf, er blickte wirr um sich, dann schreiend:

„Ist es schon losgegangen?“

„Wenn Sie die table d’h�te meinen, so glaube ich: ja.“

Der Europ�er warf die Arme gen Himmel und wollte fortst�rzen, da vertrat ihm Horus den Weg, packte ihn vor der Brust:

„Was ist das jetzt eigentlich f�r ein Fest heute?“

„Na, Pfingsten doch.“

„Was ist das: Pfingsten?“

Dem Andern wurde �ngstlich, er klammerte sich an seine Brieftasche:

„Die Ausgie�ung des Geistes nat�rlich, oder so was �hnliches.“ Ri� sich los und machte im Lauf kopfsch�ttelnd vage Geb�rden vor dem Hirn, wie er sie in irgendeinem verlogenen Theater gesehen.

Jetzt waren also endlich alle hinuntergeflossen, diese Ohne-Hunger-Esser, zu ihren dicken Suppen, die ihnen wieder ausbrachen als unm��iger Schwei�, und der Gipfel tauchte frei empor; der get�tete �ther um ihn aber trug keine Seeligkeit mehr. — Vielleicht das Moos? Er b�ckte sich: Enzian sah ihm in die Augen herauf, dann ein kleines Gelbes, das sehr keck schien, r�tliche R�llchen rochen gut. Vielleicht enthielt die Erde f�r ihn die ant�ische St�rkung eines Gru�es.

Wie einst zwischen die aufrauschenden Ohren Rama-Krishnas, warf er sich nach vorn, pre�te das Gesicht ins Lebendige, fuhr auf und mit der Hand an die Stirn: dort klebte quer eine Wursthaut. Worin lag er da? Eine Bergwiese? — ein Kehrichthaufen? — ein Magengeschw�r? — ein ungemachtes Bett? Zerw�lzt ohne Wonne, in dem Frigidit�t, Geile und Feigheit aneinandergeklebt hatten! — War das noch Enzian oder schon ein Tintenklex, roch die zerkn�llte Stanniolkugel da oder das Kohlr�schen? Er suchte nach dem angeschnittenen Versuchstier der jungen Dame. T�tete das sich Windende rasch, fest, ehrf�rchtig.

Samossy kam erst knapp vor der R�ckfahrt aus einer T�r zum Vorschein, an der geschrieben stand:

„Nur f�r das Personal, G�sten ist der Eintritt nicht gestattet.“ Beim Abstieg rieb er �u�erst animiert die knorpeligen Enden seiner langen Finger aneinander, als wollte er Feuer aus ihnen schlagen, wieherte in der Fistel:

„Ja — ja, man mu� vom Weibe loskommen.“

Die Kellnerin hatte ihm aus kalkharten Puff�rmeln mit einer roten Pranke nachgewunken, die kein goldnes Kettenarmband trug.

Zarathustra war ungelesen im Rucksack geblieben.

Abends entlie� der Ostbahnhof die Ausfl�gler in fahle Vororte hinein. Aus einem politischen Keller stank eben strukturloses Gew�lle breit in den Platz, jenem gleich, das im Hafen von Marseille, als Ballen von Mi�gunst, das rhythmische Arbeiten der asiatischen Bemannung mit h�mischer �berheblichkeit zu zergaffen versucht. Hier schien es in Flu� geraten, in stumme, ma�lose Geschwollenheit hinein. Sah man n�her zu, zerfiel es in einzelne, aus allen Angeln gedrehte graue Brocken, die torkelnd neben ihren Stiefeln gingen. Weiber hakten sich in M�nner, reckten die abgebundenen Spitzb�uche, stampften auf kolossalen F��en eine namlos verlogene Degagiertheit einher. Junge, mit wilden Papuafrisuren lachten wie aus Grammophonen. Allen stand k�siger Schwei� aus Wurst und dicken Phrasen um die eingetriebene Nase und den sackf�rmigen Mund.

Es waren die absto�endsten Gesch�pfe, die er je erblickt. Nicht so sehr durch das �belgeratene selbst, nein, durch eine beispiellose �berheblichkeit weltg�ltigen R�peltums, mit der jeder gerade dies �belgeratene, wie eine hohe Rechnung pr�sentierend, an sich zur Schau trug; Gesitteteren damit schadenfroh unter der Nase herumzufuchteln nicht m�de ward, als w�re er das Unma� aller Dinge.

Auch hier wieder der typisch europ�ische Blick: er, der nicht sah, als bliebe die ganze Umwelt dauernd in den gelben Fleck der Netzhaut ger�ckt.

Auf dem andern Gehsteig kam jetzt eine einsame Frau dem Haufen entgegen, strebte, dunkel gekleidet, unauff�llig und still — etwas eilig auch — ihres Wegs.

Schon waren die Vorderbrocken blind �ber sie hinausgetappt: das ausrangierte Schachr�ssel mit der roten Schleife an der Spitze, einer der fanatischen Nasenbohrer aus der Russenecke im Caf� und ein kleiner Herr mit Zwicker von au�erordentlich semitischem Typus.

Da ersp�hten zwei Halbw�chsige die Einsame, vertraten ihr aus der Flanke des Zugs heraus den Weg — noch probeweise — wie suchend vorerst, t�nzelten von Bein auf Bein — endlich glaubten sie etwas gefunden zu haben:

„Mir scheint gar, d�s is a Hosenrock.“

Und der eine bl�hte h�misch vorn seinen Latz, ganz wie die Crapule in Marseille vor Gargi getan. Der Unflat, der auf seinem Hals an Stelle des Gesichtes sa�, stank ihm dabei aus den Augen.

Der andre, geb�ckt, Zigarettenstummel im eckigen Maul, tat, als inspiziere er streng von unten.

Die unscheinbare Frau hob sanfte H�nde der Abwehr:

„Lassen Sie mich vorbei, bitte, ich mu� nach Hause.“

Aber schon kreischte es rundum:

„A Hosenrock, a Hosenrock.“

Spitzb�uche und Papuafrisuren rissen die Mannsleute heran:

„A soa Weibstuck, a soa ganz ausg’schaamts, a soa Gro�kopfate!“

„A soa Madame.“

„Oin iebermietiger Adel und ein verrottetes B�rgertum“ ... begann das ausrangierte Schachr�ssel — —

„Eiterbeule am Pestleib des Kapitalismus“ ... fuchtelte der kleine Leitjude. „Schamlose Provokation des klassenbewu�ten Proletariats ... Genossen, setzt euch zur Wehr ... der gesunde Sinn des werkt�tigen Volkes darf nicht dulden ...“

„Geiler welscher Tand,“ r�hrte es jetzt dazwischen aus dem wallenden Dallmeyer-Sch�del, den H�usern angeklemmt im Trupp der Ausfl�gler.

Nur helleingesehene Unm�glichkeit, sich dorthin durchzuboxen, hielt Horus ab, sich gerade auf diesen rei�end Verp�belnden zu werfen, doch auch seine Glieder waren eingekeilt zwischen Mauer und Mob.

Einen Moment duckte sich Stille im Raum. Bogenlampen flirrten hoch dar�ber. Dann grellte ein Ton auf, dem sich in der ganzen Natur an Gemeinheit nichts vergleicht. Der infernalische Ton eines johlenden Europ�erhaufens pfiff hinter dem hingespienen Zigarettenstummel drein, zwischen Fingerstumpen hinausgegellt als onanierende Niedertracht.

„Der Hosenrock mua� aver ... �bern Hintern gspannt, gh�rat er ihr, der Hosenrock.“ Ein Stierkerl mit Wurstpratzen hatte es gebr�llt. Temperamentlose Wut aus eiskaltem Schweinespeck gebar zuerst Moralsadismus. Die Weiber heulten Triumph. Das wieherte, spie, trampelte im Rudel heran um die weinende Frau. Unter gingen ihre Hilferufe im Gegr�le des Mob. Von der Welle aus Feigheit in Frechheit hin�bergesp�lt, warfen sich die zwei Halbw�chsigen platt auf den Bauch, krochen ihr unter den Rock, hoben ihn rechts und links mit den K�pfen hoch, zerrten die Beine der Wimmernden auseinander, da� sie mit dem Gesicht platt in den Kot fiel ... Mit ha�krummen Pfoten st�rzten sich die Weiber �ber die Liegende, rissen ihr die Kleider in die H�he, die Hose auseinander ... der russische Nasenbohrer fanatisierte die Herde rechts und links, wie ein anspringender Hetzhund.

Vorn der kleine Leitjude kniff sich eilig einen zweiten Zwicker auf, reckte feixend den Hals, um besser sehen zu k�nnen.

Eine Meg�re heulte wehleidig auf: „A soa Kanalli.“ Sie hatte sich an der Hutnadel ihres Opfers geritzt.

„Volksgericht ... Volksgericht,“ das ausrangierte Schachr�ssel zerri� sich fast in der Luft, doch keiner scherte sich drum. Eine Blase gr�ner Gier, schwoll die P�belgeile �ber ihrem Opfer, immer h�her aufgetrieben von den fanatisierenden Spr�ngen des slawischen Nasenbohrers.

Auf einmal stach ein Polizeipfiff die Blase an, feig und flach fiel sie zu einer Linse zusammen, gerann immer d�nner, bis das Stra�enpflaster aus ihr aufstieg, in dem ganz allein, in Qual und namenloser Scham, sich die gemobte Frau mit grellentbl��tem Unterk�rper wand.

Au�er ihr fand die Wache eigentlich niemanden mehr zum Verhaften vor. Zwei Polizisten f�hrten die Halbohnm�chtige ab, ein Dritter b�ckte sich nach dem Hosenrock. Mit strenger Hand hielt er das „�rgernis“ in sittlichem Ekel weithin von sich ab. Wies es anklagend rundum, begann pl�tzlich zu gluren, zu grinsen, und alle rings im Kreise grinsten mit. Man schlug sich auf die Schenkel vor Vergn�gen.

Das war ja gar kein Hosenrock.

Auf die entleerte Stra�e schlich es sich jetzt hinter einem H�userblock schlacksig heran, alle K�rperknochen eckig unter die engen Augen geh�uft: der Hetzhund des Haufens warf sich platt nieder, windelweich auf einmal. Begann das glitschige Frauenblut aus dem Stra�enschmutz zu saugen, umarmte das Pflaster, quetschte seine Seele wie einen verschnapsten Schwamm �ber den Brei aus Blut und Kot, in greinendem Gefasel, menschheitsduselnd aus.

Da stie� ihm Horus Elcho in sternblanker Wut den Fu� ins R�ckgrat:

„Auf — Schwein — aufh�ren mit dem sentimentalen Dreck.“

„Bruderherz,“ harnte es flennend na� von unten herauf — „la� dich umarmen, Bruderherz, wir sind ja alle gleich, mein Seelchen, — alle, alle gleiche Menschen.“

„Nein — Gott sei Dank — nein!“

Und der gold�ugige Exote schritt auf den andern Gehsteig. Der Erdradius war nicht so lang, als jetzt diese Vorstadtstra�e breit war.

Viele Stunden lief er noch durch die milde Nacht, in den Anlagen Flu� auf und ab, mit hei�en Adern. Als schwefelige Blitze standen ihm die Nervenf�den um das bew�lkte Herz. Und dann trieb ihn Trotz unwiderstehlich, ein St�ck Maskerade seiner Zugeh�rigkeit zu dieser wei�en K�terrasse nach dem andern wegzuwerfen — einfach weg ... Erst die Fu�schachteln in eine Wiese, den Rock ins Wasser, den albernen Stoffkopf hing er an einen Strauch, kam zur�ck, drehte ihn um zu einem Nest zwischen drei Astgabeln; vielleicht diente er so einem anst�ndigen Vogel zur Brutstatt — tat es in vagem Trieb, s��es Leben als Gegengewicht zu f�rdern.

Ins silberduffe Gras auf die Flanken gekauert, �berdehnte er dann die zehn Gliedspitzen wie ein g�hnender Jaguar — wehende Halme streichelten den Stromkreis zu, leiteten das ausgetriebene �bel erdw�rts, da l�ste es sich �ber die makellose Riesenkugel hin auf.

So mochte es zwei Uhr geworden sein.

„Das gibts nicht da. Das ist Vagabundage, — im Freien darf nicht �bernachtet werden.“ Ein Ordnungsg�tze voll Blech am Kopf t�rmte schwarz und lotrecht in die Natur.

Langsam drehte er sich auf den R�cken, sah was zwischen ihm und dem Polarstern stand, bekam einen gelachten Wutanfall.

„Also nur im Unfreien darf hier �bernachtet werden? Jetzt sagen Sie, was darf man in dieser europ�ischen Dreifalt von Schlachthaus, Irrenhaus und Zuchthaus denn eigentlich? Leben verhunzen, was? Natur verhunzen! s��e Tiere zermartern! P�bel z�chten! Bosheit m�sten! Moralsadismus treiben? Kurz, auf jegliche Art ein Schweinkerl sein: das darf man. Will aber einmal der Arme eine Nacht lang Sterne statt Wanzen �ber seinem Kopf haben, so hei�t ihr das Vagabundage. Oh eure L�genworte. Eure schiefgemaulten L�genworte! Da laufen Asphaltstra�en, rein wie Schnitte an einem Torten�bergu� durch eure glatte Welt. Was hilft’s, sind sie allesamt mit b�rokretinistischem Sekret �berzogen, nur im H�rtegrad, nach den L�ndern wechselnd, von Eisenbeton zu fromage de Brie: stinkender wenn weicher — dr�ckender wenn h�rter; lebensundurchl�ssig alle.“

„Habt ihr denn so ganz des g�ttlichen Kontinents, aus dem ihr kamt, vergessen? Seine jahrelangen Stra�en sind staubig und trockenen B�ffelmistes voll, der in die Augen brennt. �ber diesen B�ffelmist aber schreiten mit Mantel und Schale Hunderttausende in die Vergottung hinein — frei und unbefragt. Hier an dem wei�en Rand ins Nirvana tut jeder das herrlich z�chtende Joch der Kaste von sich ab, das ihn herangeleitet, steigt aus der tiefen Farbenmulde seiner Art und verbrennt zu Gott, wandernd im Anhauch dieser freien Stra�en.“

„Sie gehen jetzt mit,“ sagte das Triefauge des Gesetzes, noch uneins, ob das mit dem B�ffelmist Amtsehrenbeleidigung oder nicht.

Im Polizeigeb�ude hingen an verwanzten W�nden schwachsinnige Zettel in Rahmen herum: „wir wollen helfen, nicht strafen“ — „nach eignem Sinne leben ist gemein“ und �hnlicher Fibelschund.

Da� er Seidenw�sche aber keine Stiefel trug, rettete die Situation. Auch das Pfingstfest.

„Nun ja, der Feiertag! total besoffen eben — aber sonst ein feiner Herr.“ So lie� man den kuriosen Fang nach Abnahme seiner Personalien gehen, machte ihn aber auf die Folgen eventueller doloser Irref�hrung der Beh�rden aufmerksam.

Europa hatte nur eben probeweise ein paar Maschen ihres Jusgarns ein bi�chen um ihn zugezogen, so zum Spa�, nur um zu zeigen, was sie alles konnte. Lie� ihn dann wieder laufen, — weiter in gesenktem Netz, das �ber die klebriggespannte Ballonhaut dieser ganzen aufgetriebenen Welt schleppte.

Seit der „Hosenrock“-Episode begriff er mit eins den Geldkrampf aller. Ihre schlotternde Angst. Das an eignem oder andrer Geld Kleben, hemmungslos, zum Gemeinsten bereit, aber nur mitschwimmen d�rfen im Oberfl�chenh�utchen, sich mit Dreck dort anpappen — oh, alles — nur nicht heruntergest�rzt werden zu diesem aus seinem stinkenden Brodem aufschnappenden Mob.

Schicksal eines Beutetiers war Adel und Wohltat dagegen.

Hier hie� arm sein ja nicht in veredelnde Einsamkeit wandern, mit vollkommenen Tieren frei durch Flur und Licht spielen, die Diademgestirnte zur Genossin haben, bei Ganapati Sastriar hocken, mit dem Schikari schweifen, im sanften Gewimmel blauer Kulis unbel�stigt leben oder sterben, unbeschn�ffelt von der taktlosen Tyrannei beh�rdlichen Humanit�tsschnauzentums.

Ging es einem Hindu schlecht, umgab ihn immer noch Distinktion der Geb�rde, Zartsinn, Niveau der Kaste, durch die das Individuum mehr — schon dem Typus nach mehr ist — als es aus sich selbst zu sein verm�chte. Arm sein hie� daher nur: Form der Gesittung tauschen.

In Europa aber hie� es, dank diesem sadistischen Wohnzwang, wirklich in der H�lle sein: bis zum Tod eingesperrt leben mit Roheit, Bosheit, Intoleranz und Gekeif, umlauert von h�mischer Neugier. Hie� statt s��er Kinder falschgeworfene, verzogene, gr�hlende Mi�geburten haben, hingesudelt im Fuseldunst, denn nie k�nnten klare Sinne den Ekel vor erotisch so ungepflegten Weibern, wie sie dem Armen hier einzig zur Verf�gung stehen, �berwinden.

Hier ohne Geld sein, hie� also f�r einen Menschen von nur durchschnittlichem Feingef�hl: Selbstmord. Nicht Entbehrungen der Armut, des Niveaus der Mitarmen wegen. Denn so etwas wie einen entrassten europ�ischen Mob, das hat ja die Welt noch nicht gesehen, hat es nie und nirgends noch gegeben! Lag es an L�hnen? Lebenshaltung? Keine Spur. Gab doch das Volk hier nebenbei f�r Alkohol und Tabak t�glich mehr aus, als ein Chinese f�r den Unterhalt einer ganzen Woche. Der kroch morgens aus seinem Kanalloch, eine halbzerkaute Ratte zwischen den Z�hnen und war doch ein Wesen an Courtoisie und Herzenshaltung von den H�chsten seiner Rasse, einem Li-Hung Tschang etwa, nicht gar zu sehr verschieden, �bte wie sie die Selbstzucht eines komplizierten Zeremoniells, lebte wie sie das „Buch der Riten“ und die „Religion des guten B�rgers“. Lag es an psychischer Qual? Beweis, da� diese europ�ische Masse nicht wirklich litt, war ihre Taktlosigkeit: erste Frucht des Leidens ist der Takt.

Eine unbegreifliche latente Bosheit bildete hier durch alle Schichten hindurch Knoten, um gelegentlich an der Stelle geringsten Widerstandes durchzubrechen: dem Sehen.

Aber warum sahen sie nicht? Warum waren alle am hellsten Sinn verk�mmert, aus dem die Liebe erflie�t und die Vision? Konnten Hose von Rock nicht unterscheiden, echt von unecht, Kunst von Kitsch, fielen und legten einander rastlos wechselseitig optisch herein.

Gargi, die nie Fragende, hatte einmal sch�chtern gemutma�t.

„Ist es ein Gel�bde?“

Meinte den ersten Backenzahn, den die meisten golden trugen, neben vorderen Porzellankronen.

Nein, sie glaubten eben, man sehe das nicht, weil der Zahnarzt, der auch nicht sah, es beteuerte. Ein Blick h�tte das Gegenteil erwiesen, aber es war eben kein Blick da. Anfangs konnte er in Paris immer wieder �ber die schleierlose Roheit erschrecken, mit der Menschen in Sehweite �bereinander medisierten, vermeinend, das merke sich nicht, au�er H�rweite zu sein gen�ge. Lang hatte er gebraucht, um an solch optische Verstumpfung faktisch glauben zu k�nnen. Alles was die Europ�er in ihrer Biologie von den niedren Tieren behaupteten, war wirklich ganz richtig — auf die Behaupter selbst angewendet. Reagierten auch so automatisch mechanistisch, wie sie es den Am�ben zuschrieben; auch ihre Fundstelle (das Heim) der einzig v�llig reizlose Ort, wo sie ihr Futter fanden.

Hing mit dem fl�chlichen: oberfl�chlichen Sehen nicht auch die �bersch�tzung des „Malerischen“ hier zusammen? Welt der niederen Tiere, die sich in verschieden belichtete Flecke aufl�st; noch nicht aufgestiegen in die dritte Dimension. Daher vor allem der Hang ihrer �berkleideten konturscheuen Weibchen zur palettenumschweinzten Aura. Dieser ewige Kunstschwatz und in Bilderausstellungen Rennen der Europ�erin, was sie gar nichts anging, statt was sie unmittelbar angehen sollte zu beherrschen: die Raumsch�pfung des Heims. — Schaukraft fehlte eben: Durchschauung des dreif�ltig Gef�gten: Architektur.

Ja, die �bersch�tzung des „Malerischen“ lebte von zerronnenen Weibern.

Nur konturreine Maschinen waren hier auch zu w�rdigen Behausungen gelangt. Er hatte sich die modernsten Architekturwerke kommen lassen, da herrliche Bahnh�fe, Silos, Fabriken, Betriebsst�tten gefunden, dabei gedacht:

„W�re ich eine Turbine, lie�e ich mir mein Heim von Behrens einrichten.“ Auch R�sser und Exkremente hatten es gut. St�lle und Kan�le gelangen manchmal wunderbar. Nur Menschenheime im Sinn und Rang des Hauses Elcho fehlten, denn es fehlten die Menschen dazu. Langsam begann er die Leistung seiner Mutter zu begreifen. Diese jahrelange, z�he, unbeirrbare Treue zum Ideal. Das einzig im h�chsten Sinne europ�ische Heim war am Herzen des Dschungls erschaffen worden.

Welche Selbstverl�schung, ihn in diesem Werk Europa anbeten zu lassen, statt sie. Wie weise lang hatte sie ihm die spr�henden Sporen dieser Illusion bewahrt, die ihn hinaufgeb�umt aus goldner Sinnenmulde in die herbe Kraft lotrechter Geistigkeit.

Langsam drehte sich die ganze Kuppel an seiner Jugend Wunderbau in einen neuen Aspekt hinein. Manche Absicht kl�rte sich, �berraschend gel�st — mehr noch blieb vieldeutig, doch war er ohne Ungeduld. Zog wie auf Wolken �ber diesen Kontinent dahin, unangreifbar in seinem Kraftfeld: fern, stark und unber�hrt als ein Schauender.

Seit der Hosenrock-Episode schnitt er Dallmeyer. Sch�mte sich zu sehr f�r ihn. Sa� denn bei so einem kastenlosen, durch ewige Bastardierung Entz�chteten keine einzige Hemmung, keine einzige Qualit�t mehr generationenfest? Hatte man so einen Mischkerl allein, war er meist ganz leicht besserem Niveau zug�nglich, schon seiner affenartigen Charakterlosigkeit wegen, mimte unter der Hypnose eines Vornehmeren Verst�ndnis ohne Heuchelei, um sich dann, bei der ersten Probe, fiel Einzelverantwortung weg, der Masse: „dem Vieh ohne Gro�hirn“ gleich zu benehmen. Das erkl�rte dieser furchtbaren Vibrionen der Verp�belung Virulenz und leichte �bertragbarkeit auf scheinbar Immune. Immer waren eben hier die wichtigsten Dinge einem schauerlichen Zufall, einem schamlosen Ungef�hr ausgeliefert. Heiratete man etwa eine Frau, die einem gefiel, w�nschte sich gleiche Kinder, krochen vielleicht Wechselb�lge aus ihr, nicht von Hexen in der Wiege, von �blen Tanten im Mutterleib vertauscht, weil der Typus nicht feststand, die Frau selbst nur ein freundlicher Zufall war, aus einem qui pro quo gemischter Akzidenz zusammengew�rfelt.

Nat�rlich hatten sie wieder aus ihrer torkelnden Planlosigkeit eine wissenschaftliche Theorie gemacht. Samossy versuchte ihm einmal so einen Humbug mit dem Ahnenverlust einzureden: da das Individuum die Summe aller Eigenschaften und Erfahrungen seiner s�mtlichen Vorfahren sei, bedeute jede Inzucht: jeder Vater und Mutter gemeinsame Ahne eine Verminderung des m�glichen Eigenschafts- und Erfahrungskomplexes: Mensch. Je heterogener daher an Stamm, Rasse, Kaste, Blut, Heimat, die Vorfahren, desto reicher die Nachkommen.

Da hatte er nicht mehr an sich zu halten vermocht:

„Mein Gott, was f�r ein Verk�terungsschwindel! Auf Sto�kraft und Richtkraft der Erbmassen kommt es doch an, auf Qualit�t und Intensit�t, nicht auf einen m�glichst hohen Kehrichthaufen von Anlagen und Erfahrungen, die, wenn nicht gleichgerichtet wie Eisenfeilsp�ne im magnetischen Feld, einander hemmen, schw�chen, aufheben, und das Endglied ist dann schlie�lich nichts als eine ganz volle Null. Bei euren Pferden und Hunden wi�t ihr doch recht gut, worauf es ankommt, wollt ihr hohe Geldpreise gewinnen aus gez�chteter Form und Leistung. H�chstens, da� fremdes Blut bei gleicher Kaste m�glicherweise vielseitige und doch gleichgerichtete Erbmassen ergibt.“

Samossy hatte langsam das hilflos verschrobene Sch�lergesicht bekommen, wieherte dann wie erwachend manisch in der Fistel:

„Vorfahren, was Vorfahren! Der einzig vern�nftige Fundort der Spezies Mensch ist doch die Drehlade. In einem Findelhaus aufwachsen!“ Dann schadenfroh geduckt sein Unvermitteltes:

„Man mu� vom Weibe loskommen.“

Horus gedachte Lizzi Beermanns, der Raeburn girls, Margots; ihrer weihelos beschnupperten und doch versperrten K�rper, jahrelang saumseligen Reflektanten von tr�gen M�ttern hingek�dert:

„Eltern haben ist ja h�chstwahrscheinlich ein Ungl�ck,“ bemerkte er, „keine haben aber ganz bestimmt eins. Auch soll ja das Heim eine Art Placenta f�r das geborene Kind bedeuten.“

Sagte es eigentlich vorbei an dem hohen Vierziger da, dem Kinderlosen; dieser Frage Brennen wohl zwiefach Fernen. Hatte er �berhaupt Anverwandte? Wer stand ihm nahe? Wer war ihm Freund? Fachfeinde �berall. Blieb das Weibst�ck mit dem Kettenarmband sein einzig menschlicher Verkehr? Vor Gargis Erscheinung wurde er linkisch, voll gereizten Unbehagens. Wu�te mit ihr so wenig anzufangen wie ein Mandrill mit einer Kamee. Da frug Krause eines Tages aus kondolenzbeflissenen Mundwinkeln:

„Wie geht es Ihrem Vater?“

Samossy machte eine frivol hoffnungslose Geste:

„Von Tag zu Tag besser.“

Krause, mit verkniffenem Zwicker, bekundete Freude. Man habe F�lle gesehen, wo Wassersucht jahrelang fast station�r geblieben ... Das Gesch�ftsjubil�um w�rde also doch in der elterlichen Villa gefeiert. Und Horus erfuhr, da� dieser Vater Gr�nder einer seit f�nfzig Jahren bestehenden Kattunfabrik und offenbar sehr wohlhabend war. Er gedachte jenes Armschwunges zwischen Abort- und K�chengeruch: „wohlbestallter Professor? Das ist der Stall, den ich mir leisten kann.“

Nun kam polternd und verlegen auch an ihn die Einladung zu dieser Feier im Vaterhaus.

„Man hat dort schon so viel von Ihnen geh�rt“ — dann halb entschuldigend: „nicht durch mich.“

Er lauerte, sch�lerhaft geniert, gelangweilt und wieder �ngstlich um ein Ja. Schlug, als er es hatte, sein zerfahrenes Gewieher an und empfahl sich.

Der Mann war unberechenbar. Doch machte das den Verkehr nur erm�dender, nicht reicher, lie� nie sch�pferische Kontinuit�t der Stimmung sich entwickeln, es sei denn in seinem engsten Fach.

Man stand leer herum in der gro�en Backsteinvilla. Wartete auf das Jubil�umsessen.

Manchmal beklopfte ein zugereister Gesch�ftsfreund, geneigten Ohres, mit dem Zeigefingerkn�chel pr�fend den bronzenen „Lauscher“ in der Ecke auf Metallst�rke hin, oder versuchte Signaturen unter �lbildern zu entziffern. Niemand sa�. Unverr�ckbare Fauteuilarrangements hinter Tischen waren von vornherein dagegen, nur zwei Rollst�hle an den Salonenden, um die wechselnde Gruppen sich stauten, schienen besetzt.

In dem einen ragte ein riesiger Greis aus Stein und Wasser.

Die Beine zu Bl�cken geschwollen, trugen flach auf den Knien violette H�nde, schwer wie Porphyr. Bis an die H�ften war er zu einem mit Wasser gef�llten Sarkophag geschlossen. Dar�ber k�mpfte das harte alte Bauernherz z�h um jeden Zentimeter Leben, gegen das innere Ertrinken an. Ganz oben, aus blutigem Blauauge troff schon immer ein wenig Feuchtigkeit �ber, sickerte die fahlen Wangenfalten herab. Er bi� in seinen wei�en Bart vor barbarischem Starrsinn: da sein, nur da sein. Fuhr manchmal aus den schauerlichen Vorg�ngen in sich auf, zu wahnwitziger Eitelkeit �ber die eigne Z�he. Sah allen der Reihe nach in die Augen, trotzig, lauernd, wie ein erliegender Gladiator, im Gef�hl drohend gesenkter Daumen ringsum.

War er vor Lebenswut hellh�rig geworden an den schweren Birnenohren?

Seine blutigen Blauaugen drohten leuchtend hin�ber zu dem andern Rollstuhl am Ende des Saales.

„Oh, er ist schon kalt bis zu den Knien,“ schmunzelte die greise Frau mit ruhiger Genugtuung Horus Elcho zu.

Ein goldnes Kettenarmband klirrte erledigend an der ganz verkr�mmten Hand. Der restliche K�rper hing: ein gerunzelter Strick, an den Enden mit Gicht verknotet, im Sessel. Hinter ihr stand ein erloschener Mensch mit geduckten Augen: der zweite Sohn und nunmehr Inhaber der Fabrik. Ihm schien auch die zerpatschte Frau daneben mit den drei kleinen Kindern anzugeh�ren. Das �lteste, einen schweren Bleichkopf im Phantasie-Matrosenkost�m aus Satin, hielt sie zwischen den Schenkeln aufgepflanzt, memorierte angstvoll etwas Gereimtes mit ihm und es zupfte an seinen Nagelwurzeln. Jetzt hatte es zu tief gesch�lt, heimlich wischte der blutende Finger �ber den wei�en Seidenslips.

Nun trollte sich Oskar Samossy, fast ebenso verdonnert wie das satinene Kind, hinter den Greis aus Stein und Wasser. Und beide Br�der schoben die elterlichen Rollst�hle an die T�ten der Speisezimmertafel.

Drei Menus wurden gereicht — nacheinander. Das erste wie es der Gr�nder der Fabrik anfangs gehabt: dicke Suppe, Erbswurst, K�se. Dazu Bier. Beim zweiten, dem 25j�hrigen Bestand entsprechend, erschien schon Fisch, Kalbsbraten mit Salat und eine s��e Speise. Dazu leichter Mosel. Das dritte endlich zeigte voll und ganz, was man sich der heutigen Bilanz entsprechend leisten konnte, durfte und sollte. Begann mit Austern und wollte schier kein Ende nehmen an primeurs und durablen Weinen. Vom sechsten Gang mit Champagner aufw�rts, stand immer jemand auf, der nicht stehen konnte, und sprach, ohne sprechen zu k�nnen: etwas, das man sich wohl w�rdig, witzig oder feierlich zu denken hatte. Manchmal wurde dazwischen „hoch“ geschrien, manchmal nur am Ende. M�nner erhoben sich dabei halb. Frauen sa�en ganz da; schienen einzig und ausschlie�lich zum Sitzvorgang geschaffen. Die Schw�le stieg. Eine Dame l�ftete ihr Kollier.

„Perlen machen so hei�, besonders echte.“

Eben schlo� ein Stehender:

„Nichts lobenswerter am Manne als recht reinliche Triebfedern.“

�ber die Enden des Beifalls weg schnatterte es aus einer arroganten kleinen Person laut in ihren Tischherrn hinein:

„Und denn is mal so’n schmieriger kleiner Jude gekommen und hat gefragt, ob ich ihn heiraten will. Waschen Sie sich erst, hab’ ich ihm gesagt. Na, sehen Sie, dort sitzt er — das ist mein Mann.“

Der riesige Greis aus Stein und Wasser war unterdessen wieder ganz in die schauerlichen Vorg�nge seines Inneren versunken, wies mit Grauen alles Getr�nk weit ab, w�rgte nur ein wenig Kaviar auf Zwieback hinunter, lauerte ihm schweigend nach. Langsam stieg Triumph in den blutigen Blaublick. Dann aber trieb die aufdr�ngende Fl�ssigkeitss�ule das Kaviarbr�tchen aus dem erstorbenen Magen in den Schlund zur�ck. Triumph im Aug oben zerfiel. Der Hausarzt n�herte sich rasch — eben jener Mann, den die arrogante junge Person zu ihrem Gatten reduziert — �ffnete ihm rasch das Frackhemd, bohrte eine Spritze mit irgend etwas: Kampfer oder Theobromin dem Aufst�hnenden unter die lederz�he Haut. Dunst, Schnaps und Schwatz hatten den Vorgang nahezu vernebelt.

Eben stand Dallmeyer da, spann aus seinem Bart heraus einen Phrasenstrang �ber das dreifache Festessen hin: wie der verehrte Gastgeber hier, erfolgreicher Mann der Arbeit, Leuchte modernen Handelsgeistes, unentwegt die Fahne des Idealismus hochgehalten, und wiewohl selbst geistig und k�rperlich noch ungebrochen — als z�rtlichster Vater dem einen Sohn den Fruchtgenu� seiner Lebensarbeit �berlassen: dem Nachfolger solcherart in selbstloser Weise ein frei fr�hliches Schaffen aus dem Vollen g�nnend, seinen Erstgeborenen hinwiederum auf das Gro�z�gigste der hehren Forschung geweiht habe, gleichsam mit dem �l seiner Bilanzen das reine Licht der Wissenschaft speisend. Und Dallmeyer schlo� mit einem „Hoch“ auf seinen genialen Kollegen und der Hoffnung, da� dessen epochaler Bedeutung — in engstem Kreise l�ngst neidlos anerkannt — endlich auch offiziell die verdiente Sanktion durch ein Ordinariat und Aufnahme in die geweihten Hallen der Akademie zuteil werden m�ge.

Samossy sah ihn an und er verschluckte sich.

Der greise Riese war unterdessen an der Injektion aufgelebt, stieg aus seinen Gebresten wieder empor, diesmal in eine Art erzieherischen Tropenkollers. Sch�ttelte herrisch das Haupt bei der Wendung vom „Fruchtgenu�“ und „G�nnen aus dem Vollen“:

„Sind froh, wenn sie trocken Brot haben.“

Er sah ger�hrt �ber die eigne H�rte auf die Familie seines Nachfolgers, wie feindliche Erwachsene auf ein gedem�tigtes Kind blicken. Und dann hub dieser Memnonsblock auf einmal an in greisenhafter Geschw�tzigkeit zu t�nen:

„Ja, der Idealismus“ — er konnte nur gradaus sprechen, doch galt es wohl Horus Elcho, dem exotischen Ehrengast an seiner Seite — „und dann immer m�glichst billig kaufen und teuer verkaufen, das habe er den Jungens von fr�h gepredigt. Aber der Idealismus, der sei ihnen direkt eingebl�ut worden, fast von der Wiege an. Schon im vierten Jahr habe der Oskar die l�ngsten Schillerschen Gedichte auswendig heruntersagen m�ssen, wo es besonders edel zuging: die B�rgschaft, den Drachenkampf, den Taucher. Ein einziges Steckenbleiben und er habe ihn j�mmerlich durchgehauen.

„Das Lied an die Freude, das konnte er sich lang halt gar nicht merken.“ Der Greis lebte in Erinnerungen auf.

„Da durfte er schon gar keine Hosen mehr dabei anhaben, drei spanische Rohre sind f�r dieses einzige Gedicht draufgegangen. Mit f�nf Jahren konnte er dann auch schon die ganze Glocke. Eine vorz�gliche Schulung f�rs Ged�chtnis nebenbei, weil ja der Oskar ein ber�hmter Gelehrter werden sollte, so habe er es schon bei der Geburt bestimmt. Leider sei ja nur Mathematik draus geworden, darauf gebe er nicht viel, das entziehe sich seiner Kontrolle. Chemie, gro�e Erfindungen w�ren besser gewesen. Philologie und so, das habe er von vornherein verboten.“ Der Greis hielt nichts von klassischer Bildung:

„Siebzig-Einundsiebzig war doch viel blutiger,“ sagte er mit Tr�nen des Stolzes im Aug.

„Wozu Griechen und R�mer, wozu immer noch diese Lappalien bei Homer lesen, das kann man ja gar nicht vergleichen mit unsern modernen Schlachten.“

Zu Ende des dritten Menus wurde das satinene Kind vor den Gro�vater aufgestellt, reichte linkisch eine Rolle hin, die in zackichte Papierspitzen auslief: Gl�ckwunsch stand vorn in verzitterter, �bergro�er Sch�lerkalligraphie.

„Gradstehen,“ fl�sterte die zerpatschte Frau.

Nun begann es, Nagelwurzeln zupfend, den Hymnus: „An die Freude“ aufzusagen. Angst rann ihm die Beine hinab unter dem blaublutigen Tyrannenblick des Alten. Einmal stotterte es, stockte ganz. Gierige H�rte trat lauernd in das alte Steingesicht dort oben, gleichzeitig hob dr�ben die greise Gattin im Rollstuhl ihren Kr�ckstock, als wolle sie ihn dem Manne hin�berreichen, dabei klirrte das goldne Kettenarmband, und sie schob es die ganz vergichtete Hand auf und ab. Es war nur ein Augenblick gewesen, wie aus uralter Gewohnheit heraus. Dann schrak sie zur Wirklichkeit zur�ck: ein Enkel — gro�e Gesellschaft! Auch ratschte das satinene Kind schon wieder weiter. Horus aber hatte diese Sekunde lang, inmitten der Tafel zwischen den Rollst�hlen, Oskar Samossys Gesicht geschaut: das Gleiche wie damals, als Schillers Name zum ersten Mal zuf�llig fiel: ein ganz kindischer Knoten hilflos diabolischen Hasses und doch vager S�chtigkeit voll.

Es war entsetzlich. Schamlos und besch�mend. Der Gold�ugige lie� eine Gabel fallen, b�ckte sich weg, tauchte fort aus dem Augenblick, bis die Gesichter oben wieder neu geworden waren. Hatte begriffen.

Gleich nach aufgehobener Tafel wollte er gehen. Im Rauchzimmer hielt ihn Dallmeyer an, vor �liger Schnapss��e hemmungslos:

„Was hat der alte Gauner gemurmelt, wie ich das mit dem ‚z�rtlichsten Vater‘ und ‚Sch�pfen aus dem Vollen‘ gesagt habe, Sie sa�en ja neben ihm?“

„Etwas recht Unverst�ndliches. Klang wie: ‚sind froh, wenn sie trocken Brot haben‘.“

Dallmeyer quetschte die Importen im Kistchen der Reihe nach w�hlerisch durch:

„Recht verst�ndlich f�r den Eingeweihten, Verehrtester. Der Schnorrer von Sohn hat wirklich nicht Brot auf Hosen. Die Butter vom Brot hat sich der Alte selber reserviert; ihm das Inventar viel zu teuer angeh�ngt, vorher fast das ganze Betriebskapital aus dem Gesch�ft herausgezogen, schlie�lich sich noch ein skandal�s hohes Fixum j�hrlich ausbedungen, so da� der Nachfolger seit �bernahme der Fabrik abh�ngiger von ihm ist als je zuvor. Ab und zu, wenn er ihn die Kinder durchhauen l��t, darf er sich f�r sechs Hemden Kattun aus dem eignen Betrieb nehmen.“

„Warum ist der Sohn auf solche Bedingungen eingegangen?“

„Weil er ihn erst ein Leben lang mit dieser Nachfolgerschaft hingehalten, ihn verhindert hat, sich rechtzeitig eine andre Existenz zu gr�nden. Soll er jetzt mit f�nfundvierzig und drei kleinen Kindern in der Fremde von vorn anfangen? �berdies droht dann noch Enterbung. Schlie�lich hat er sich gedacht: ein j�hrliches Fixum bei der Wassersucht? Warum nicht? Aber das alte Luder ist ja z�hlebig wie ein Krokodil.

Den meschuggenen Oskar hat er wieder anders am Hosenbund. N�hrte in ihm von fr�h auf die Illusion, der v�terliche Wohlstand gestatte es ihm, sich ohne R�cksicht auf den Mammon einer reinen Gelehrtenlaufbahn zu widmen, die ja auch der Ehrsucht des Alten schmeichelt. Jetzt l��t er ihn t�glich seine Abh�ngigkeit f�hlen, gibt ihm Taschengeld wie einem Primaner. Dabei — haben Sie bemerkt — gr��en sich die Br�der kaum, weil der Alte den einen immer glauben macht, er setze ihn auf den Pflichtteil zugunsten des andern. Famose Deckung �brigens, dieser Enterbungsschwindel f�r unsern Primzahler, um von seinem Frauenzimmer nicht zum Altar geschleppt zu werden. Die h�tet sich jetzt, ehe der Sarg vom Alten nicht zweimal abgesperrt und der Schl�ssel an ihrem Kettenarmband h�ngt — neben meinem verehrten Kollegen von der vierten Dimension, der schon lang dort zappelt. Betamte Goite.“

Dallmeyer war stolz auf jeden neuen Jargonausdruck, den niemand verstand.

„Warum handelt dieser Greis eigentlich so bestialisch an seinen Kindern?“

„Bestialisch? Der h�lt das f�r Ethik, Reckentum und Idealismus, und sich f�r ein musterhaftes Familienoberhaupt alten Schlages. Edelpatriarch: vor Weisheit streng, schirmt in verrotteten Zeitl�uften Zucht und Sitte. Rauhe Schale, nobler Kern ... eh schon wissen. Jede Sch�bigkeit geschieht aus Pflichtgef�hl, denn er ist noch eitler als er geizig ist; Bauernklotz mit Schillerphrasen. Immer abwechselnd stolz und neidisch, da� es seine S�hne besser haben sollen als er.“

Dallmeyer leerte noch einen Lik�r und steckte eine frische Importe an. Horus staunte �ber solch ungewohnten Geist. Was Dallmeyer sprach, war immer teils klug, teils albern: klug was er �ber andre, albern was er selber meinte.

Man verabschiedete sich vom Herrn des Hauses. Dallmeyer wieder ganz Biederkeit, hielt eine lockichte Rede, schlo� mit der Hoffnung, man werde sich in diesen gastlichen R�umen noch zum seltenen Fest der diamantenen Hochzeit treffen.

Der Greis aus Stein und Wasser sch�ttelte stiller Genugtuung voll das Haupt, dann mit erledigender Geste hin�ber zu der Greisin zwischen Gichtknoten:

„Oh sie ist schon kalt bis zu den Knien.“

Oben troff wieder ein wenig Feuchtigkeit aus dem Auge �ber, sickerte die fahlen Wangenfalten hinab.

Es war das Letzte, was Horus Elcho von ihm sah. Eine Woche sp�ter scho� Oskar Samossy eines Abends aus der Telephonzelle des Caf�s. Schrie auf nach einem Auto, er, der fanatische Renner.

Wie damals auf der Stra�e frug Krause:

„Wie geht es Ihrem Vater?“

„Mein Vater stirbt.“ Dann schlotternd: „Er darf nicht sterben, sonst bin ich verloren.“

Nichts glich der frivol hoffnungslosen Geste damals: „Von Tag zu Tag besser.“

Am n�chsten Morgen fuhren Elchos nach England zu Sir Osmond und Lady Cadogan.

Sie gingen im milchblauen englischen Juli auf den Waldwiesen des Hydepark. Die milde Riesenaue gepflegter Freiheit um sie schien angenehm leer zu bl�hen, und barg noch vielerlei Leben. Ab und zu am Horizont, auf einem Sessel, steht ein Herr mit verdorrtem Zylinder und redet, um ihn die Scheibe der Horcher wie das Blatt um den Lotos. Einer erl�utert das Gesundbeten — dem andern d�nkt es im Patentamt faul. Carson l��t sich zu oft photographieren, und regiert wird man schon miserabel. Unbel�stigt aber weiden die Schafe ringsum, und zwischendurch f�hrt die Hundheit ein ganz gl�ckseliges Leben f�r sich. Jeder darf sprechen. Keiner mu� zuh�ren. Niemand ist an der Leine. Nicht einmal der Mensch. Vor dem Schilderhaus steht, siegellackrot, ein Mann der Garde. Das prachtvoll �berfl�ssige Gesch�pf tr�gt einen ausgestopften Bison auf dem Kopf, eine Sperrkette vor dem Gesicht, Edelmetall an der Leber und starrt von Ger�t, vermutlich erbeutet in der Schlacht bei Hastings. Der praktisch Denkende hat das Gef�hl: man kann den Mann ruhig mit einem Taschenmesser langsam abschneiden, er ist ganz wehrlos vor Uniformierung. Aber schade drum.

Pl�tzlich lie� es Gargi wie Schwalbenfl�gel �ber ihre Augen st�rzen, sah zur Seite und begann zu laufen ... Er lachte:

„Keine Angst. Gar nicht so arg, mein Nervifein!“

Es waren die harmlosen vier dorischen S�ulen am Serpentine lake. Sie hatte sich gew�hnt, drohten irgendwo S�ulen, gar nicht erst hinsehen, rasch die Wimpern gesenkt und laufen. Denn wie an fein und freistehender Pers�nlichkeit geringer Fehl bereits schwerer ertr�glich ist, k�rperlich betr�bt, so lie� Gest�rtes an diesen empfindlichsten Baugliedern: den S�ulen — eine zu tief sitzende Entasis etwa — ihr schon das Blut im Becken stocken. Beil�ufig hatten sie erfahren, da�, um dieses Resultat zu erreichen, auf jeder Akademie vier Semester lang die moduli aller S�ulenordnungen durchzuzeichnen, obligatorisch war. Nun, diese da wirkten wenigstens nicht aggressiv. Das meiste schien ja relativ harmloser hier. Nie so schlecht, wie das schlechteste in Paris, nie so gut wie bestes in Deutschland. Entweder die Architekten hatten zu keiner Zeit ganz �bel gehaust oder ein klimatischer �berzug: d�mpfende Beru�ung, verschmolz brutales Geb�u, belie� seinem Detail die Wohltat des Zweifels, seinem Kontur dauernd die Vorteile der D�mmerung, indes der Beschauer sich animalisch der Sonne freute und der vielen Wiesenzungen, die in der Stadt herumleckten, mit Schafen, Teichen und Blumen obendrauf.

Kurz, man konnte wieder ein wenig um sich schauen, wenn auch lieber ungenau.

At His Majesties“ — in Coventgarden — im „Globe“ sa�en sie in einem Parkett von Leuten, die glichen G�ttern, nein — Gipsabg�ssen von G�ttern, sa�en an festlichen Tafeln neben der erfreulich lotrecht stilisierten Dame des Hauses, wenn sie auf den Schwingen ihrer Anmut �ber den Abgrund ihrer Interesselosigkeit hinwegglitt.

In Wroxton Abbey, Sir Osmonds Landsitz, h�tten sie sich, �ber ein weekend, beinahe in einen entz�ckenden J�ngling verliebt, der an H�he, Schlanke, Wei�e dem „Elf von einem gro�en Stern“ ganz leise glich. Die k�hnen Beine in rostfarbenen breeches, blond gegen die feurigen Tulpen ringsum, schritt er die Terrasse hinab, auf der Eichk�tzchen von der Farbe seines homespun spielten. Sah in die jubelnde Fr�he hinauf, �ber die zwitschernden B�sche der Wieseninsel hin und sagte ... ja was sagte da dieser vornehme Ephebe, angestrahlt von der Glorie der Welt, wie feierte er das Fest des Daseins? Was empfand er? Sie horchten gespannt! Er sagte:

What a fine day, lets go out and kill something“[1].


[1] Welch herrlicher Tag, gehen wir etwas umbringen.

Andern Morgens: dem Sonntag dozierte ein schwarzrockiger Engl�nder aus einem dicken schwarzen Buch:

„Eure Furcht und Schrecken sei �ber alle Tiere auf Erden und �ber alle V�gel �ber dem Himmel.“

An diesem Morgen hatte man sich zwei Stunden lang in ein kellerkaltes Backsteingeh�use von zweckloser N�chternheit gesetzt. Kern der fanatischen und eisigen Vorg�nge dort, war ein f�r seinen Gliederbau fremdgekleideter Engl�nder, der zweitausend Jahr alte obskure Familienangelegenheiten einer kleinen semitischen Horde zu denen der Menschheit zu machen vorgab. Er donnerte Gebote aus seinem schwarzen Buch in die Anwesenden hinein, dessen ungeschlachten Ton Horus sofort wiedererkannte. Also auch hier? Wie kam dieser besseren Kreisen Angeh�rige dazu, auf einmal vor Damen so zu reden:

„La� dich nicht gel�sten deines N�chsten Weibes ... noch seines Ochsen, noch seines Esels, noch alles was dein N�chster hat.“

Gargi machte eine Geb�rde, sich zu entfernen, bittend r�hrte er an ihr Kleid. Sah sich um. Keine Dame wahrte Selbstachtung: ging demonstrativ. Lady Eveline allerdings schien eingenickt; bis drei Uhr fr�h waren zwei gew�hnliche Spirits und ein Boddhisatwa in ihrem Tisch gesessen. Auch andre mochten nicht ganz klaren Sinnes sein, der Tangonacht wegen. Dieser, seinem K�rperbau so fremdgekleidete Angelsachse dort oben aber hatte doch sicher irgendeine humanistische Schule besucht, vielleicht sogar die Universit�t. Dennoch sprach er vom Privatfetischismus jener fernen Barbarentributs wie dazugeh�rig. Wu�te offenbar jeden Tag genau, was der „Herr“ wollte und was er nicht wollte. Behauptete, da� die Tiere keine Seele h�tten, wandte sich gegen den G�tzendienst der „Heiden“, der dem Herrn ein Gr�uel sei, und empfahl seinen Zuh�rern, rastlos Missionare auszur�sten, um ihre Seelen vor der ewigen Verdammnis zu retten. Also immer noch die alte Arroganz aus Ignoranz! Vor dieser Verdammnis aber schienen nicht einmal jene ganz sicher, die Vater und Sohn in den Geb�uden mit den geschraubten S�ulen dienten; nur in den Backsteingeh�usen mit gar nichts drin war man, nach des Schw�tzenden Versicherung, vor der H�lle so gut wie geborgen. Sein Gesicht: dieses starkknochige, n�chtern anst�ndige matter of fact Gesicht, bekam einen unbeschreiblichen Ausdruck innen harter, au�en ge�lter Verschrobenheit.

Lieder, die alle mitsangen, waren inhaltlich ungef�hr der Predigt gleich. Und diese erfreulich weltg�ltig lebenden Menschen, an Wochentagen von allen Kulturen der Erde umsp�lt, leierten nun zweitausend Jahre alten j�dischen, von Juden doch selbst verschm�hten Nonsens nach.

Als alles vorbei war, schienen sie uns�glich befriedigt, sich zwei Stunden lang unbehaglich gef�hlt zu haben, vermieden aber, �ber das Vorgefallene zu sprechen und so sprach auch er nicht �ber diesen, der restlichen Lebensf�hrung fremden Zwischenfall. Vielleicht war es heuer wieder Mode, gleich dem Humpelrock oder Gecco Pintaccio, von dessen flammichten Skeletten unter braunen Teetassenaugen Dr. Hafis die ganze Saison in Konferenzen himmelte, als sei alle Kunst vor und nachher Affenschande. War heuer vielleicht sogar Polizeiverordnung, dieser Sonntagsvormittagsbrauch? Hatte Dallmeyer nicht etwas von Konfession und Karriere gesagt? Diese Europ�er legten sich ja unbegreifliche Zw�nge auf. Durften sie in einer Sommernacht nicht unter Sternen schlafen, warum sollten sie es nicht einmal in der Woche, vormittag von neun bis elf in einem kalten Backsteingeh�use m�ssen? In Piccadilly war er Hazel Raeburn begegnet, einen verkehrten Brotkorb mit Bindb�ndern unterm Kinn, die gro�e Trommel schlagend und in einem Zug Gleichgekleideter durch London marschierend. Alle gellten im Falsett etwas hinaus. Verse:

„O Herre nimm mich Hund beim Ohr

Wirf mir den Gnadenknochen vor

Und schmei� mich S�ndenl�mmel

In deinen Freudenhimmel.“

Hazel hatte erkl�rt, dies spreche am reinsten zu Herz und Seele des niedren Volkes und ziehe es aus stumpfer Verworfenheit ans Licht. Damen der ersten Gesellschaft seien bei der Heilsarmee, und nun ginge sie definitiv anders gekleidet als Gwen. Hier geschah es also eines Blusenschnittes wegen. Kompliziert aber harmlos.

Sonntagnachmittag beim high tea in Wroxton Abbey warf Sir Osmond einen chokierten Blick aus der „Morning post“:

„Furchtbar die Enth�llungen im Parlament �ber Deutsch-Ostafrika. Diese Greuel an wehrlosen Eingeborenen.“

Man sah einander voll Unwillen tief und edel in die Augen.

„Sind denn Kupferminen gefunden worden?“ —

Dr. Hafis, der einzige Deutsche, betrachtete interessiert seine N�gel. „Oder Silber? Richtig, beg your pardon, Kupfer, das war ja bei den Kongogreueln.“

I do not quite grasp ... ich verstehe nicht ganz.“ Sir Osmond versteifte sich rosenfarben. Hafis g�hnte ein wenig.

„Nun, ich meine das seit f�nf Jahrhunderten �bliche: geh�rt das Land mit dem Kupfer noch Eingebornen, dann erwacht das christlich-angels�chsische Gewissen, und ihr schickt so lange Missionare hin, um ihre Seelen zu retten, bis die armen natives sich schlie�lich Luft machen; la�t auf diese Art die Greuel an den Missionaren begehen und steckt, um die Missionare zu sch�tzen, das Land mit dem Kupfer ein. Oder das Land mit dem Kupfer ist schon fr�her von andern Wei�en gestohlen worden, dann la�t ihr wieder von diesen Andern die Greuel an den Eingebornen begehen und steckt diesmal das Land mit dem Kupfer aus Gewissenhaftigkeit ein, um die Eingeborenen zu sch�tzen. Als es aber Gold war, da mu�ten drei�igtausend wehrlose Burenfrauen und Kinder dran glauben — an euer Gewissen.“

„In S�dafrika ist auch die Bl�te Englands gefallen.“

„Ohne jedoch die rechtm��igen Besitzer des Landes besiegen zu k�nnen. Da machtet ihr sie m�rbe, indem ihr die Frauen und Kinder von den Farmen fingt, in verseuchte Konzentrationslager pferchtet und die Totenlisten jeden Tag den Gegnern in die Sch�tzengr�ben schicktet. Nach dem drei�igsten Tausend gaben’s dann die Buren auf, gegen ein so m�chtiges Gewissen anzuk�mpfen.“

Mit allen war jetzt eine wunderbare Wandlung vorgegangen. Sir Osmond sah direkt verkl�rt aus:

„Wir hatten eben die moralische und religi�se Pflicht, uns der verlassenen Frauen und Kinder auf den Farmen anzunehmen. Dort mit der schwarzen Dienerschaft allein, wie leicht h�tten Ungeh�rigkeiten — ja unsittliche Attentate vorkommen k�nnen. Darum wollte sie die englische Regierung in ihrem eignen Schutz wissen.“

„Und das gr�ndlich — im Grab.“

Dann aber gab Hafis es auf. Da war nicht anzukommen gegen die Pathologie tugendsamer Litanei ringsum. Alle glichen mit Eins dem Schwarzrockigen am Morgen. Auch Sir Osmonds anst�ndiges matter of fact Gesicht hatte den gleichen, unbeschreiblichen Ausdruck innen harter, au�en �liger Verschrobenheit angenommen. Diese Leute waren unbesiegbar durch eine Art, statt rein und gradaus zu l�gen, die Wahrheit aus ihrem urspr�nglichen Bett unmerklich in Nebenkan�le abzulenken und so versickern zu lassen.

Die kurze Verzauberung war bereits abgefallen. Auf der R�ckfahrt nach London, vorbei an den Kilometern von Lebertran- und Liverpill-Annoncen, die an Pf�hlen aus dem Grasigen stachen, sah er schon wieder. Auch die seelische Hartleibigkeit dieser Rasse. Ging durch die m�nnlichen Stadtteile, deren L�den Hosentr�ger beherrschen und der kl�gliche Kragenknopf: alles dem �blen Mittelstadium der Bekleidung Dienende, sah, wie h�lzern die hellbehaarten H�nde dieser M�nner waren, wie schwer die Kiefer mit stumpfen Zungen. Gut gepflegt wuchs ihr Gebein, abseits vom Geist. Schienen zu riesigen, �ber die Welt reichenden Verb�nden: football, cricket, hockey geschlossen, mit dem fanatischen Ziel, ausschlie�lich das falsche K�rperende zu entwickeln.

Durch die weiblichen Stadtteile, voll allen Narrenkrams der Welt, liefen Streifen wahrer Eleganz, schmal wie bondstreet. Auf ihnen sah er Damen den Autos entsteigen, schon auf dem Trittbrett, beim ersten Schritt, die Maschen ihrer Seidenstr�mpfe zu wei�en Leitern rei�en, und wie sie gingen, neue kaufen, erneuend ihren m�hevollen Liebreiz ohne Rast, in edlem Irrsinn. Sah auch, wie schmal der Streifen ihrer Anmut war. Gipsabg�sse der Vornehmheit auch sie, nicht genial variabel aus innersten Sicherungen heraus. Damen, mehr durch ihr Lassen, als ihr Tun. Feine R�hren wei�en Zimtes, duftend ohne Saft. Die breiten Klassen, stolz darauf, urteilslos zu sein, waren ja reich genug, sich nur Weltg�ltiges kommen zu lassen. Da gab’s keine Blamage. Indische Dichter als Nobelpreistr�ger, alles, was gro�e goldne Medaillen hatte: Gelehrte, Meisterboxer, Poloponies. Applaudierten frenetisch fremdartigen Wellenz�gen rings um das harte Ohr, wenn sie ber�hmten Dirigenten unter den beschw�renden Armen aufrauschten. Vor diesem tauben Gejubel konnte Hafis in uferlose Wut geraten, zitierte dann mit Vorliebe Carlyle, der gesagt haben sollte, wie im gro�en ganzen das englische Publikum mit seiner ansteckenden Begeisterung ihn an nichts so sehr erinnere, wie an die Cadaraner S�ue:

„Zuerst w�hlen und grunzen sie ruhig und suchen nach Erdn�ssen oder andrer Nahrung zu Unterhalt und S�ttigung. Dann f�hrt pl�tzlich der Teufel in sie, werden unruhig, jagen davon und st�rzen in einen Abgrund von Raserei, Verwirrung und bodenloser Verst�rtheit.“ —

Nein, f�r ihren alten Reichtum waren sie nicht kultiviert genug. Nichts von �berw�ltigender Vollendung. Kein Edelsitz, trotz seiner geh�uften Werte, den ein unbeugsamer Geschmack, gl�hend bis ins Letzte, ans Licht getrieben. Und doch erschien ihm die Anglomanie als eine Pubert�tserscheinung des besseren Continentalen begreiflich. Haderte er von nun ab mit der wei�en Rasse, immer wieder wurde sie unmerklich zu diesen hier, denn nur sie waren ann�hernd wei� und rassig, nur in ihnen war Europ�ertum zu etwas wie Gestalt geworden, etwas, woran man sich wenigstens halten konnte, war es einem nicht recht.

Auf dem Horst dieser Kalkklippen hatte sich immerhin ein Typus gebildet oder — erhalten, und waren seine Schwingen auch unbegreiflich h�lzern, leblos und unbefiedert, hoben sie doch auf ihrer Kraft wie von selbst sogar die unbetr�chtliche Pers�nlichkeit hoch �ber die eigene Grenze hinaus, wie aus seinem Gestr�pp dem Zaunk�nig auf einem tragenden Adler der Aufflug in die Himmel gelingt.

Ende September traf in Wroxton Abbey ein schiefes Gekritzel ein: Samossy meldete der Eltern Tod, erbat sich Horus Elcho zum Trauzeugen. Nannte das Datum. Kein Name. Kein Wort weiter.

Er kam am Abend vor der Hochzeit an. Stieg wieder endlos die idiotisch konstruierte Treppe zur alten Wohnung hinauf. Fand sie halb ausger�umt. Ein Bett auf B�cherkisten improvisiert. Ein Lavoir voller Kragenkn�pfe, die eiserne Kasse offen und mit Schmutzw�sche angestopft. Am Schreibtisch, dem einzigen restlichen M�bel, Oskar Samossy selbst. Rings im Kranz standen, wie Spielzeughunde, Schemel voll Schriften und an Leinen, um nach Bedarf herangeschlittelt zu werden.

In der Luft eine wilde Stille. Hindurch schnitt der gro�eckige Arm. Dann, ohne aufzusehen, in einem neuen tieferen entgifteten Ton:

„Bis zur dreimillionsten Primzahl hat es gestimmt. Nach der Dreimillionundersten nicht mehr.“

Der Angeredete verbeugte sich in seiner Stimme: ohne Mitgef�hl oder jovialen Protest.

„Ihr Gesetz wurde empirisch gefunden — seine Allgemeing�ltigkeit haben Sie selbst ja nie behauptet. Die neue Grenze innerhalb der es Geltung hat, pr�zisiert nur, mindert nicht seinen Wert. Wer hat es �brigens �ber die dreimillionste Primzahl hinaus verfolgt?“

„Ich selbst. Immer suchte ich nach einer deduktiven Fassung. Seine sch�bige Empirie lie� mir nie Ruhe. Nun erfuhr ich, dieser Arbeit sei — als erster — der Preis aus der neuen ‚Samossy‘-Stiftung zugedacht — Vater hat n�mlich meinen Bruder und mich auf den Pflichtteil gesetzt, den Stamm seines Verm�gens aus schwachsinniger Eitelkeit der Akademie der Wissenschaft vermacht, damit eine Schenkung seinen Namen trage, — uns bleibt fast nur das Haus. Da packte mich wieder das Mi�trauen. Ich pr�fte �ber die dreimillionste Primzahl hinaus und habe das vernichtende Resultat sofort rechtzeitig publiziert.“

Nun verneigte sich der H�rer auch im K�rper:

„Und wer wird jetzt der erste Preistr�ger sein?“

„Dallmeyer f�r seine ‚Periodizit�t im Organischen‘. Er hat Margrinchen Mehmke geheiratet. Ist jetzt korrespondierendes Mitglied der Akademie.“

Die neue Stimme blieb tief und entgiftet.

„Es macht nichts — nichts macht mehr etwas. Ich habe zeither ein neues Gesetz gefunden: das Endg�ltige. Aus ihm aber folgt ...“

Und nun verlie� er jene vage und l�ckenhafte Sprache, die zum Feilschen, Rechtsprechen, Dichten ausreicht, begann in der geheimen Zauberzunge aus Phantastik und Pr�zision zu reden, „in der das Buch der Natur abgefa�t ist“.

Nach Stunden kehrten sie wieder. Noch durchwellt von dem pausenlosen Blitz h�chster Anspannung, trug Horus in sich belichtet alle Verzweigungen dieses Geisterbaus an den Grenzen des Fa�baren. Einen Augenblick lang schien ihm daneben alle Kunst, Musik — selbst das Schreiben der Neunten Symphonie h�bsche, doch recht unerhebliche Besch�ftigung. So entr�ckt lag er in der klaren Brunst des Geistes.

Schwieg lange. Schwieg sich wieder zur�ck zur Welt: der empfundenen Zahl: der t�nenden, strahlenden, geschmeckten, allumarmten Zahl. Sagte in der Leutesprache:

„So ist durch Sie Minkovskys ber�hmtes Wort erf�llt: ‚Die Geringachtung der reinen Zahlentheorie wird aufh�ren, wenn man erkannt haben wird, da� zum Beispiel chemische Eigenschaften mit Teilbarkeitseigenschaften ganzer Zahlen zusammenh�ngen: der Schmelzpunkt eines K�rpers von Zahlenwerten abh�ngt.‘ Dank Ihnen ordnet sich uns das dreifache Reich der wirren Dinge nach unerh�rt k�hner Einsicht neu: je nachdem der ‚spielende Gott‘ aus seinem W�rfelbecher ‚grad‘ oder ‚ungrad‘ wirft, wird eine andre Natur.“

Samossy l�chelte:

„Die �gypter meinten, die Genien der Welt w�ren mit Hilfe der magischen Zahlen des Pythagoras imstande, einander anzuziehen: durch mannigfaltige Kategorien von Weltketten. Vielleicht ist mein Primzahlengesetz solch eine Weltkette aus magischen Zahlkonstellationen.“

Sie sprachen und schwiegen. Die Stimmung dieser ganzen Nacht war von einer au�erordentlichen und zarten Sch�nheit, die auf der Br�cke gegenseitiger Ehrerbietung hin und wieder ging, geweiht mit vollkommener Weihung.

Das Fletschende des durchgegangenen Kleppers: „aller Starrsinnigkeit Freund, glasaugig und rauh um die Ohren“, das war alles von Samossy wie abgefallen ... Des Plato edles Ro�: die erinnernd sich neubefiedernde Seele allein stieg und stieg, auf dem R�cken der Himmel stehend und zu dem wahrhaft Seienden das Haupt emporgerichtet.

Dann schlo� Samossy einen Augenblick die Lider, lehnte sich vor und bat, die Stirn entspannt in ungewohnter Milde:

„Erz�hlen Sie mir von dem Kristallei, in dem Sie ausgebr�tet wurden.“

Und Horus erz�hlte: vom Haus der Elchos. Von Menschen, Tieren und Liebe ... Und zum Dank f�r diese Nacht manches von Erasmussens letzten Arbeiten. Sollte er ihm auch von dem F�hrer sprechen, der nicht stets im Fleische war? Von dem Aschenauge, unter dessen Blick sein Wesen rhythmisch wechselnd eintreten durfte in immer neue schwingende Zahlen? Ihm andeuten, was es hie�, im Leib dieses Schwingenden sein und durch die Farben gehen? Doch nein, da war eine Grenze.

Das Licht wurde fad. Jene Schemel voller Schriften ringsum, die Spielzeughunden glichen, lie�en auf einmal in der D�mmerung ihre Leinen hangen, wie �ber etwas ertappt.

Morgen. Wirklich am selben Morgen noch w�rde sich dieser Hirnstern in eine so schmutzige, unw�rdige Hand gefangen geben. War diesem Gelehrten nirgends gelehrt worden, auf eine edle und mannigfaltige Weise nicht nur zu denken, auch zu lieben? Ja, ein Hirnstern. An dem hing nun der �brige Geschmackskr�ppel: der Sinnenkr�ppel.

Nur das Gehirn war ihm davongewachsen.

Er selbst blieb zur�ck, eingeschrumpft, eingegeilt zum Fetischisten, den Seim des Gl�cks an einziger armer Ekelstelle suchend, mit kl�glich verknotetem Gesicht, voll Scham, Sucht und Wut, statt mit des m�chtigen Eros ewigem Antlitz.

Z�gernd stand der Gast auf.

„Bleibt es dabei — heute?“

„Ja, ja, um zehn.“

Das Wiehern in der Fistel kam Samossy wie ein Schluchzen wieder. Dann h�misch geheimnisvoll und jetzt so uns�glich deplacirt:

„Man mu� vom Weibe loskommen.“

Gleich darauf mit ruhigen Augen:

„Aber mein Primzahlengesetz ist gefunden.“

„Soll ich Sie abholen? Treffen wir uns hier oben?“

„Nein — nein — gleich unten im Hof.“

Um zehn Uhr kam er vorgefahren. Sah es sich aufregen, gegen den Hof laufen, dort eine Linse bilden. Auf dem Pflaster lag Samossy zerschmettert. Der Hirnstern freiwillig aus seiner Schale geschlagen zu einem Brei aus Blut und Kot. Das Gesicht, wei��ugig, glich auf einmal jenem zu Schiefgalopp gepeitschten Gaul in Marseille: dem armen gesch�ndeten Gott.

Ringsum mi�billigte man die Tat. Mit untr�glichem Instinkt nahm das Volk gegen die Gr��e Partei. L�sterne dr�ngten, der Braut zu telephonieren: in die Villa vor der Stadt oder aufs Standesamt? Die Portiersgattin wiegte den grimmen Birnenbauch:

„Soa stattliche Person, ihre ganzen guten Jahr bei dem gro�kopfatn Narr’n falirn und jetzt war d�s for nix gwen. A soa ganz Ausgschamter.“

Der Wasserkopf am Sch�rzenband hatte die bl�ulichen, hingespritzten Hirnst�ckchen an der Mauer bemerkt, nahm von dem tr�be zittrigen Schleim, begann ihn sich an den eignen Sch�del zu schmieren, der bla� war und weich wie ein Froschbauch.

Das Weib schrie auf:

„A soa Sauhaufen.“

„Und wer mu�’ wegputzen? I.“

Es war in Wien.

Gleich nach der Ankunft sollte Gargi ihren Gatten im Restaurant des Hotels erwarten, das als mitt�giger Treffpunkt angesehener Pers�nlichkeiten aus Beamtentum und Adel galt; letzterer pflegte auch hier abzusteigen. Es ergab sich, da� statt der Waschvorrichtungen in jedem Zimmer Weihwasserkessel eingebaut waren.

Der Speisesaal, ein wei�lich-grauer, stellenweise geplatzter Darm aus Stuck, in dem vergoldete Putten mit durchgewetzten Nasen, staubiges Barockobst und andern tr�bseligen Kram gestreckten Armes von sich abzuhalten suchten, schien m��ig voll.

Als Gargi ungemein und fremd — in der fernen Tadellosigkeit ihrer Bondstreet- und Darjeeling-Atmosph�re an der T�r erschien, brach alles j�h ab: Schmatzen, lautes Verhandeln mit den Kellnern. — Man starrte, vagen Hohnes voll, aber noch unsicher. Da stand eine Stimme laut und vernehmlich in der Stille auf: „Wo is denn die auskummen?“

Der Bann war gebrochen. Weithinschallend setzte Austausch der Ansichten �ber jedes Detail an K�rper und Haltung der Einsam-Fremden ein. Die von der Statthalterei streckten in den Falten br�chige Lackstiefeletten ein wenig in den Weg, wo sie vor�ber mu�te — andre, ironisch h�flich ausweichend, markierten durch pl�tzlich �bertriebene Schmalheit Furcht vor Ber�hrung. Aus einer Gruppe zerronnener Frauen starrte der einzige Mann der Gesellschaft, da sie vorbeiging, ihr schamlos ins Gesicht. Seine Begleiterinnen lauerten, dann — in der Fremden R�cken irgendein erotisch-abf�lliges Wort, das �hnlich wie: „Nix zum Anhalten“ klang.

Jetzt wieherte es befreit hinter ihr auf, spritzte f�rmlich tief aus erl�ster Galle. Nein, Gott sei dank, der Trottel hatte also nichts bemerkt, oder es galt eben auch nichts bei M�nnern: dies Reinumrissene, Schmal-klare, vor dem sie alle sich einen Augenblick bedroht gef�hlt in ihrem schwammigen Bestand.

Gargi, um die Marter abzuk�rzen, ging auf das erste freie Tischchen zu, doch des Kellners erotischer Typus: die Vally Feschak aus der „quo-vadis“-Bar und Tochter der Abortfrau, war eben ganz anders und so drehte er blitzschnell den Stuhl um: „beseeezt biede“. Beim zweiten, beim dritten Tisch das Gleiche. Alles blickte gespannt auf den beliebten Hofrat und Feuilletonisten. In seinem Ressort hatte er sich einen geachteten Namen erworben, als Vork�mpfer einer Verordnung, die Briefk�sten zwischen neun Uhr abends und sechs Uhr fr�h abzusperren. Im Nebenberuf go� er aus der Sulze seines Hirns in F�rmchen erstarrte hors d’œuvres als Extrafra� f�r Sonntagsleser. —

Infolge des vorhergegangenen Doppelfeiertages aber war der Witzbold ausgeronnen.

Nichts kam heraus.

Der Saal war reichlich durchsetzt mit entrassten Semiten. Durch slowakische oder lokale Schutzf�rbung schienen sie bereits stark an Virulenz und Beweglichkeit eingeb��t zu haben, w�hrend hinwiederum die stagnierenden Unarten der neuen Umwelt durch sie abgerundet und w�rmer belebt wurden.

�ber dem Ganzen lag etwas von der Schamlosigkeit typisch europ�ischen Familienlebens: dieses pausenlosen Beieinander in hemd�rmliger Geringsch�tzung. Fremde gab es hier offenbar keine — oder doch? War das nicht der Herr aus Braila, dessen gerundete Handbewegungen immer noch liebevoll die Qualit�t der Schweinsbohnen abzuw�gen schienen, indes seine �uglein wie L�use �ber alles hinkrochen? — Der war da.

Nun hatte er Gargi Elcho erkannt, zog h�flich das Dessertmesser aus dem Schlund und erhob sich, ihr Platz zu machen. Der Kellner, er hatte nicht mehr Zeit gefunden, sein „beseezt biede“ herzumeckern, beeilte sich, ihr alle Speisereste vom Tisch in den Scho� zu wedeln und verk�ndete mit Genugtuung, da� Rindfleisch aus sei und Schlu�braten auch nur mehr ganz vom Schlu�. Gargi bestellte Reis und Fr�chte, jedoch so leise, da� der Kellner erst von Tisch zu Tisch es melden mu�te. Hierauf ging das noch immer lauernde Grinsen kugelwellig ins H�mische �ber. — Nebenan, in einer Art Ehrenecke, wurde pl�tzlich ostentativ franz�sisch gesprochen. Vielleicht hielt man die Fremde f�r eine exotische Pariserin und wollte nicht verstanden werden. Denn es war das ein gar skurriles Franz�sisch: Kreuzung aus Ollendorf und dem spanischen Erbfolgekrieg — untermischt mit „Jalousie“ und „Lavoir“ — lauter Bezeichnungen, seit zwei Jahrhunderten keinem Franzosen mehr gel�ufig.

Der andern Ecke gab ein Rennhabitu� aus Ungarn viveres Kolorit. Er a� schon mit den H�nden, stahl aber offenbar noch mit allen vieren.

Neben ihm st�lpte ein bestialischer Herr mit roten Streifen l�ngs der Hosen Spargel ganz tief in das Vorderende seines Verdauungstraktes — einen Augenblick schien es, als vomiere er — dann aber taten sich die Kinnbacken seines Antlitzes auf und nur ein Gew�lle von Spargel, an seltsam singenden F�den, entzog sich wieder dem Schlund. Noch eine kleine Nachgeburt aus Schleim — und mit der n�chsten Spargelstange fing alles wieder von vorn an.

Gargi schr�g gegen�ber sa�en drei Personen. Das fast beinlose, madenf�rmige Gesch�pf, hineingeknallt in eine braune, reichlich mit Fl�hen gesprenkelte Sache: Foulard genannt und den obligaten Reiherstei� auf der Stirn, hatte nur einmal den gro�en Kr�tenblick auf Gargi geheftet, wandte dann den Kopf mit jener emp�rten Gleichg�ltigkeit ab, die durch unfreie Haltung ihr Gegenteil verr�t. Unter dem Tisch pre�ten die Badeschw�mme ihrer Knie die Hose eines ganz verfaulten Oberleutnants. Der schluckte oben Schnaps in seinen Leib. �ber dem seltsam rotierenden Mund lie� das k�lberne Schnurrb�rtchen die verwesten Hauer frei. Auch das Nasenbein fehlte fast ganz. Dazwischen sa� der Bourgeois-Mann, ein r�lpsendes Neutrum, und zahlte alles.

Er entfernte sich f�r einen Augenblick, da steckte der Oberleutnant die ganze Schachtel Zigaretten wortlos ein. Das Weib aber war am Ende ihrer Hemmungen ... konnte einfach nicht mehr; den Kopf schief, stie� sie ihn z�rtlich an und nach der Fremden blinzelnd:

„Sag’ megst du mit der da?“

Der g�nzlich verfaulte Oberleutnant sch�ttelte sich von oben bis unten. Sie girrte entz�ckt, und noch einmal mu�te er sich sch�tteln und zeigen, wie er es mit „der da“ nicht m�chte.

Gargi bestellte eine deutsche Zeitung, um anzudeuten, sie verstehe die Sprache.

Doch unbeirrt fuhr die „Fesche“ fort:

„Das G’stell und no so aufgedonnert dazu!“

Gargi trug ein schwarzes Trotteur von Creed, kleine schwarze Toque und war v�llig schmucklos.

Die reichlich mit Fl�hen gesprenkelte Mond�ne vermochte eben au�erordentlichen Stil zwangsl�ufig nur als au�erordentliche Bekleidung zu empfinden, da ihr ungebildeter K�rper noch der Anschauung entriet: Eleganz sei eine Funktion des Skeletts.

Nun brachte der Kellner das Bestellte. Es war wie ein Signal. Dumpf diffuses Lauern im ganzen Raum, salopp nur und obenhin von Geschnatter unterbrochen, hing sich jetzt vampirhaft an jede ihrer Bewegungen, hockte als vierzigerlei Grinsen auf jedem Bissen, ging mit vom Teller — auf die Gabel — durch die Luft — bis in den Mund. Wenn sie eine Frucht teilte, zum Glas griff, instinktiv gierend danach die Unbefangenheit, die schwierige Schlichtheit dieser Ungemeinen zu st�ren. Vielleicht lie� sie dann die Gabel fallen, verschluckte sich, irgend etwas Positives geschah, an dem man das dumpfe Unbehagen r�chen konnte. Man w�rde dann so tun, als berste man vor Lachen und zugleich, als ersticke man aus Wohlerzogenheit dieses Lachen, das einem gar nicht kam, doch keineswegs so vollst�ndig, als da� nicht die Fremde in ihrer Bl��e es durchh�re; da� es sie treffe und besch�me. Selbst der Stumpfsinnigste bekam plumperdings eine Art zweiten Gesichts, ging es gegen das, was ihn in seiner Herzensf�ule st�rte. Die meisten waren ja optisch zu ungeschult, um an dieser geisterfeinen, stillen Dame sich �ber das Edel-Fremde in Bau und Haltung Rechenschaft zu geben. Nur ein vag unbehagliches Erinnern kam sie an, von S�len in Museen, wo man durch mu�te, um zu den Doppelsternen im Baedeker zu kommen. Man lief da immer sehr rasch, denn erstens war man nicht verpflichtet und dann sah es �bertrieben aus, fad und steif. Nun — in Stein und Bronze, und weil’s weit weg und lang her war, mochte das hingehen, aber in Wirklichkeit; wie ungem�tlich:

„Das fehlert, da� des einrei�en t�t, da h�tt ma ja nit einmal mehr seine Ruh beim Essen,“ war so der Nukleus, um den gallertige Rachgier Blasen trieb.

Zwei B�rger, Gargis Nachbarn zur Linken, der eine mit einer Pfundnase, der andre mit einem Abdomen auf Flaschen abzuziehen, br�teten seit ihrem Eintritt in dumpfer Wut — Biergischt im Bart — vor sich hin. Abreagieren mu�ten sie sich, so ging das nicht weiter. Es fiel ihnen aber gar nichts ein, genau wie dem ausgeronnenen Witzbold. Endlich, als Gargi in nie gesehener Anmut eine Orange zerteilte, gebar die Wolke den Blitz.

Der mit der Pfundnase hatte eine trouvaille gemacht.

„Die wer mer scho au�i lahnen.“

Zwinkerte er rundumher — nahm den Mund voll und blies ihr tief den beizenden Stank seiner „Virginia“ in beide Augen. Es war der Gemeinderat Pogatschnigg, Ehrenpr�sident des Vereins zur Hebung des Fremdenverkehrs.

Gargi rief vor sich hin das Pantherbaby und die Diademgestirnte, Ganapati Sastriar, Erasmus, die Welt der Elchos und den Palast von Travankor, und der Anstand der Geb�rde im letzten Bettler ihrer Heimat half noch den Schutzwall um sie schlie�en, da� nichts aus der gerotteten Jauche dieser Entrassten in sie dringe. Wie Lanzen starrten ihre Nervenenden um sie aus — ganz aktiv — Sch�tzer der Kaste. Doch welch grauenhafte Anspannung all diese Monate, seit Marseille; immer in einen Block von „Selbst“ geschlossen — belagert von Gemeinheit, nie verstr�mend an ein Ebenb�rtiges ausruhen d�rfen: arglos, m�d und froh — im gro�en Ihresgleichen.

Jetzt regte sich, zum erstenmal, auch etwas gegen den Gef�hrten in ihr. Wie durfte er eine indische Dame, an der Gesittung Asias erwachsen, in solche Mi�zucht zerren?

Da war er selbst — — hatte mit einem Blick die Situation erfa�t und seine Haltung lie� kaum einen Zweifel, da� er in gradliniger Bet�tigung zu blendenden Handgreiflichkeiten ohne Verzug �berzugehen gewillt war. Sein Gesicht sah aus wie eine konzentrierte und h�chst vermeidenswerte Tracht Pr�gel. Alles verebbte in Unschuld; treuherzig sah man einander in die Augen, und aggressive Zudringlichkeit flaute sichtbarlich ins Unterw�rfige ab. Er staunte. Hier gedieh offenbar eine besondere Spielart europ�ischen R�peltums: das Knieweiche; immer feig bereit bei festem Zugriff als „Gem�tlichkeit“ wieder ins Verantwortungslose zu zerrinnen. Ein verwester K�se, den eine scharfe Klinge trifft.

Nun wuchs aus dem Pl�schl�ufer pl�tzlich der Hoteldirektor heraus — in kriechendem Salonrock und wei�er Atlasbinde — letztere immer neu aus dem alten Brautkleid seiner Frau geschnitten, und verteilte in falscher Hausv�terlichkeit die Mittagsration Banalit�ten von Tisch zu Tisch. Horus Elcho wisperte er so ungefragt als wichtig zu, die Herrschaften in der Ehrenecke seien ihre f�rstliche Gnaden die Durchlaucht W. und ihre Gesellschaft — der melierte Herr in der Pepitahose neben der F�rstin, Exzellenz Graf X., lenke die �u�ere Politik des Landes. Am Tisch der Durchlaucht meldete er wieder, die Fremden da, die Neuen, h�tten chinesische Dienerschaft mit und k�men gar aus Indien. Die „Fesche“ atmete herablassend auf:

„Na also — a Murl is.“

In der Ehrenecke war man indes vom Franz�sischen endg�ltig abgekommen, nachdem das Wort „Kokotte“ wiederholt und deutlich gefallen. Offenbar sollte damit gemeint sein, was in Paris „femme entretenue“ hei�t. Nun wandte sich das mit Kose- und Eigennamen reichlich durchsetzte Gespr�ch irgendeinem alpinen Jagdunfall zu:

„Und wie er aus die W�nd scho beinah heraust war,“ berichtete die melierte Exzellenz, „is a Steindl wie eine Erbsen oder wia Haselnu� von ganz oben kommen, das hat ’n am Kopf erwischt und aus war’s.“

„Aber geh, Ferdi, plausch nicht,“ tadelte die Durchlaucht und wiegte den winzigen Strau�enkopf.

„A so a kleins Steindl kann do net an Menschen erschlagen!“

„Na, wanns von so hoch kommt.“

„Was is da f�r a Unterschied — — was sein das wieder f�r neumodische Sachen.“

Der Minister sammelte sich in seiner letzten Erkenntnis vom Theresianum her:

„Wann’s von weit fallt, nachher wird’s schwerer, a jed’s mal,“ f�gte er, nachdenklich geworden, hinzu. Doch die andern dr�ngten, da� man das wissenschaftliche Gebiet endlich verlasse, um zu leichteren Gespr�chsthemen zur�ckzukehren.

„Hast scho g’h�rt — — der Rudi hat an H-Hahn g’schossen?“

„Ah geh, der Rudi hat an H-Hahn g’schossen — jetzt au�er der Zeit.“

„Ja, hast net g’h�rt, Mittwoch hat ern g’schossen.“

Horus stand auf, nach Wen-Ki�n zu sehen, ob man ihr ungesch�lten Reis gebracht und Fisch, wie er bestellt. Kaum war Gargi allein, als wieder ein Schnuppern begann, saloppes Zusammenrotten, um den Moment der Wehrlosigkeit einer Dame nicht ungenutzt verstreichen zu lassen. Jene „Fesche“, die Gargis Rasse mit so tiefer Einsicht vermerkt, stand eben auf, mit ihren Begleitern den Darm des Saales durch einen perforierten Appendix zu verlassen. Gedr�ngt — gleichsam hingesp�lt von allem Abschaum — vielleicht auch nicht mehr ganz n�chtern, murmelte der g�nzlich verfaulte Oberleutnant im Vor�bergehen Gargi ins Gesicht:

„Sie gefollen mir aber schon garrrrr nicht.“

„Behalten Sie Ihre erotische Meinung f�r sich, nach der Sie nicht gefragt worden sind und entschuldigen Sie sich augenblicklich bei der Dame“ — Horus stand vor ihm. „Wird’s ... drei Sekunden gebe ich Ihnen Zeit.“

Sollte er nicht doch lieber kneifen? Aber schon hatte es sich hinten an den Fremden herangeschlichen — die gesamte jeunesse dor�e des Lokals — und eine Traube von Ministerialbeamten hing pl�tzlich an seinen Armen — hielt ihn von r�ckw�rts fest. Nun ri� der Krieger seinen S�bel heraus, schrie etwas von beleidigter Ehre, rief alle zu Zeugen auf und machte sich unter den anfeuernden Rufen von Damen und Herren daran, einen v�llig Wehrlosen mit blanker Waffe zusammenzuhauen.

Leider wies es sich, da� eine lediglich an Ohrfeigen erzogene Jugend intelligenteren Formen der Brutalit�t gegen�ber versagt. Durch eine ungeahnte Drehung aus Schulter und H�fte des Gefesselten barst die tr�be Traube, kollerte abgerebelt beerenweise auseinander. Ein Griff, und die Rechte des Oberleutnants lag krumm geschlossen auf dessen R�cken. Quer durch den ganzen Saal flog der S�bel — gerade in den Spucknapf, wo er als zust�ndige Waffe zitternd stecken blieb. Und dann — der Unterk�rper seines Gegners lag in einem Leg-Lock festgeschraubt — ganz langsam, ganz ruhig in dem Panzer seiner Wut, tastete sich Horus an diesem krummgeschlossenen rechten Arm entlang — verschob ihn erst ein Weniges in den Gelenken und immer mehr — — Der Krieger winselte um Gnade, dann mit einem kurzen Ruck, brach er dem halb Ohnm�chtigen den Knochen, knapp �ber dem Ellenbogen, ab. �berlegte: sollte er ihm zu mehr offensichtlicher Erinnerung das Nasenbein eintreiben? Aber das hatte ja bereits sein Vorleben klaglos besorgt. Lie� also die Arme sinken und wartete ruhig auf seine Verhaftung. Wu�te: Notwehr hatte er weit �berschritten und sich schwerer K�rperverletzung schuldig gemacht. Gewi� verst�ndigte schon der bestialische Herr mit den rotgestreiften Hosen die Polizei, denn er war — kaum flog der S�bel in den Spucknapf — zwei Spargel im Mund, in der Flaggengala seiner Serviette mit Linksgalopp zur T�r hinaus.

Doch nichts geschah. Und seltsam — hub da nicht ein Wedeln an, als w�re es an ihm — als l�gen Gnaden in seiner Hand? Der Hofrat fand zuerst Worte:

„Bittsi, bittsi, Sie wern do nicht eine Anzeige machen.“

Und der Hoteldirektor meldete: Exzellenz Novotny von Eichensieg lasse auf ein paar Worte ins Nebenzimmer bitten.

„I hab von nix was g’sehn,“ begr��te ihn der Feldherr.

„Wie bitte?“

„No ich meine halt, Sie werden doch nicht einen verdienstvollen Offizier um seine Karriere bringen am End!“

„Davon kann keine Rede sein — es ist ein einfacher Bruch und in sechs Wochen ohne Folgen geheilt.“

„Aber nein, aber nein“ unterbrach die Exzellenz ungeduldig, „net wegn em Armbruch — ich meine die Vel��tzung — sondern do weils ihn ihm brochen haben, wird er g’spritzt — verabschiedet, vastehn S’!“

„Aber wenn nur Sie die Anzeig net machen t�ten — mir ham nix g’sehn. Nacha geht sie sie no gut aus.“

„Und h�tte ihr ‚verdienter Offizier‘ mich, den Waffenlosen, obendrein niedergemacht, weil er vorher meine Lieblingsfrau angeflegelt, w�re es dann, nach Ihrer Ansicht, auch noch ‚gut ausgegangen‘?“

„Na hin wern S’ halt gwest,“ grinste die Exzellenz gem�tlich.

Man darf doch die Beobachtungen der Alten nie leichtfertig ablehnen, dachte der Fremdling — nach Aristoteles soll es Ochsen geben, die einen Knochen im Herzen haben.

G�ste waren nachgedr�ngt, besonders jene, an denen die stagnierenden Unarten der neuen Umwelt ausgerundet und w�rmer belebt schienen. Mit abschnellenden Handgelenken schleuderten sie einander ihre Argumente wechselseitig ins Zwerchfell, nahmen dann pl�tzlich wieder den Nukleus der Sache, sozusagen als K�gelchen, auf die f�nf geschlossenen Fingerspitzen wie eine erbeutete Laus, um dem Widersacher damit vor der Nase auf und ab zu wedeln. Ratlos sah er um sich:

„Ein Dackel, ein Pintsch, ein Mops — gut! Sie begl�cken mich als Typen nicht; doch gut und zugegeben. Aber diese Kreuzung hier aus Dackel, Mops und Pintsch — nein, das geht nicht. Dachte: als ich im Recht war, wollten sie mich nieders�beln helfen, da ich im Unrecht bin: jemanden schwer verletzt habe, flehen sie mich an, nicht nach der Polizei zu schicken; wie wenn ein b�sartiger Irrer das alles gemacht h�tte.“ Am Schwersten war der Hofrat loszuwerden, witterte einen raren Fang f�r „jours“. Endlich an der T�r seines Appartements wandte sich Horus zum erstenmal direkt an den Betulichen:

„Ich w�nschte Ihren Landsleuten so sehr Kolonien — das ist, scheint mir — was sie zuv�rderst brauchen.“

Der Andre dalberte entz�ckt etwas von Gem�tlichkeit, leichter Musik und alter Kultur verbreiten.

„Sie irren: ich meine, da� durch fortgesetzte Ber�hrung mit Anmut, Anstand und Takt — sagen wir der Botokuden, sich schlie�lich auch der Standard ihres Landes heben lassen m��te.“

Dann schlo� er die T�r. Packte gar nicht erst aus. Zog um. In eine Pension.

„Lassen Sie wenigstens ab und zu die Leute mit Ihnen reden,“ riet die Inhaberin, eine erfahrene Person, „wenn Sie schon fremdartig leben, ich wei� mir keine Rettung mehr, sonst besticht man das Personal, schleicht sich hinterr�cks in ihre Zimmer und der Tratsch und Gierberg begr�bt uns noch alle.“

„Haben denn die Leute hier ein so pauvres Dasein, da� sie nur durch schleimiges Abtasten fremder Erlebnisse sich befriedigen k�nnen? Entr�stete Neugier als Brunstersatz brauchen?“

„Ja,“ sagte die erfahrene Person.

„Und zu tun haben sie sonst gar nichts?“

„Nein,“ sagte die erfahrene Person.

Die Weiber erw�rgten langsam ihre Tage mit fortw�hrendem Lauern: auf das neue Modeheft — die Manicure — die Sommerreise, allem zum Grund: ein vag erotisches Lauern. Schon am Morgen begann es mit Rudeln von Schlafr�cken um den Fernsprecher im Korridor, bis die junge Frau „in Scheidung“, — sie trat jeden Tag ein Kind per Telephon ab, — mit ihrem Advokaten fertig war; ihm f�r den Proze� alle Arten unnat�rlichen Verkehrs geschildert hatte, zu denen ihr Mann sie angeblich gezwungen. Der am andern Ende des Drahtes schien als Frager emsig und gewissenhaft, doch nicht eben leicht zu befriedigen.

Dann kam f�r die �brigen das Lauern auf die B�rsenkurse. Lie�en sich mit Stellen verbinden, die sie neckisch oder bet�rend „Herr Spitzer“ oder „Herr Neustein“ anredeten, girrend nach Tips f�r „Prager Eisen“, „Rima“, „vereinigten Gummi“. Alles in merkw�rdig breiigen Kretinlauten; galt es doch in dieser Stadt offenbar f�r unweiblich, einen korrekten Satz zu sprechen, die M�nner fanden das gespreizt, witterten f�r sich Unbequemlichkeiten, winkten ab.

Nun erschien meist das Stubenm�dchen im Korridor, um sich laut zu beschweren: Nacht f�r Nacht m�sse sie bis ein Uhr wachbleiben, um dem Fr�ulein von Nummer acht, der sozialdemokratischen F�hrerin, noch die Bluse hinten aufzuhaken, wenn sie aus den Versammlungen in Ottakring nach Hause k�me. Jetzt gehe sie zur Direktrice k�ndigen.

Mit den fr�hen Nachmittagsstunden begann jenes Lauern, das die Frauen „Ordination“ nannten oder „den Professor konsultieren“. Es bestand offenbar darin, da� ein indifferenter Mann, durch Entgegennahme von Geldeswert bewogen wurde, ihre intimsten Teile t�glich l�ngere Zeit hindurch — wenn auch ohne sonderliche Freude — eingehend zu betrachten, und dort wom�glich operationsreife Geschw�lste oder krankhafte Entartungen zu konstatieren. War dieses Ziel erreicht, wisperten die Arrivierten, glitzernd aufgeregt, nur mehr �ber ihren Unterleib, der von nun an auch in der Konversation den breitesten Raum einnahm. Gebrauchten schleierlose medizinische Ausdr�cke: Uterusbespiegelung — Auskratzung — Eierstockzisten gleich Aphrodisien. Durfte man ihrem Gehaben trauen, war so ein Operationstisch das reine Lotterbett.

„Ich bin es meiner Gesundheit schuldig,“ eiferten sie, wollte der Mann das viele Geld nicht hergeben. Daliegen und mit Instrumenten an sich herumstochern lassen, galt f�r Pflege; sonst hatten sie nur eine nachweisbare T�tigkeit: Zu- und Abnehmen.

„F�nf Kilo hab ich schon abgenommen, seit Sie da sind,“ sagte die Dame mit der Auskratzung und machte M�rchenaugen, „mir scheint, Sie sind ja f�r Magere.“

„Doch nicht f�r Abgemagerte.“ Dann h�flich belehrend: „Eine Frau darf nach dem f�nfzehnten Lebensjahr ihr Gewicht nie mehr ver�ndern, sonst ist durch Spannung oder Schlaffung ihre Oberfl�che nicht mehr kindlich zart genug, feinste Entz�ckungen zu geben und zu empfangen. Mu� doch, wo immer man eine Frau hink��t, ein winziger Muskel den Ku� erwidern k�nnen.“

Von da ab galt er f�r eine Art �sthetischen Ogers, hatte aber Ruhe vor den Weibern.

Manchmal erlustigte er sich zu staunen, wie dies alles schon mit differenzierten Organen protze. Lie�en sie sich denn wirklich nicht mehr beliebig durchschneiden wie niedre Lebewesen? Gerannen nicht doch wieder irgendwie zu einer amorphen Masse, die „Fritschi“ oder „Lentscherl“ hie�?

Nach der Ordination wurde von vier bis sechs „bridge“ gespielt, dann ging man in eine Schubertposse mit Gesang oder den Tristan.

Dieser unaufh�rliche Musikbetrieb gab ihm zu denken.

„Der Blinde h�rt gut,“ fiel ihm ein. An Stelle des verk�mmerten Sehens scheinen die mehresten Menschen eben mit etwas musikalischem Schwachsinn behaftet. Auch ist ja insofern Musik die bequemste Kunst, als in ihr Reproduktion bereits die Illusion selbst�ndiger Sch�pfung gibt. Schlie�lich gilt es schon beinahe als eine Art Leistung, in einem Konzert gewesen zu sein. Er dachte: schlappschenklig sitzen, d�send rezipieren, ohne da� die dicken Augenlider dabei aufgehen m�ssen oder sonst etwas, das ist bei �briger Denkf�ule und Stagnation noch eben m�glich. Hatte aber etwa ein Fremder hier noch nicht jedes Musikwerk und in jeglicher Bearbeitung geh�rt, wich man vor ihm zur�ck wie vor einem Auss�tzigen, kam sich ma�los �berlegen vor.

„Da� Sie irgendwelcher Rezeption — man k�nnte auch fragen: warum gerade dieser — solche Bedeutung beilegen m�gen?“ Erkundigte er sich erstaunt.

„Mir scheint bei Sch�tzung von Menschen wichtig, wie eigenartige, irgendwie wertvolle oder erfreuliche Gesamtexemplare sie sind. Wie gro�er Schwingungen, welcher Erregung oder Bewegbarkeit f�hig, welcher Verl��lichkeit und Verst�ndnisf�lle, welcher Intensit�t in ihren Leistungen, welcher Hingabe an irgend ein Werk, eine �bernommene Verpflichtung.“

„Sie reden ja wie ein Preu�’,“ hie� es dann h�misch, und man nahm die hier zu allem �bliche, zerwitzelnde, breiig zynische Haltung an. Denn nichts ha�ten sie so sehr wie Gr��e. Und immer waren sie geistreich: Merkmal schlechter Rasse. Ein Pack Ansichten und Erfahrungen h�chst gemischter Pedigree, noch nicht zu einer Pers�nlichkeit einmalig und eindeutig verkn�pfbar, lag wie Kraut und R�ben in ihnen, konnte aber, weil nicht organisch verwachsen, durch kaleidoskopartig wechselnde Anordnung in verbl�ffender Reihenfolge etwas wie Witz vort�uschen; ranziger Ironie voll, doch ohne Leuchtkraft im Ernst. Relativ Erfreuliches war nie aus unbeugsamem Geschmack, bestenfalls aus beugsamem Ungeschmack heraus, entstanden.

Der kleine Dr. Eskenasi nahm ihm den letzten Glauben.

„Musikstadt?“ Er schwenkte die melancholischen Augen in dem langen Emmanuel-Kant-K�pfchen her und hin, dann, die winzigen, schlaffvenigen H�nde ineinandergepre�t, um sie am Dreinreden zu verhindern, noch einmal:

„Musikstadt! Lesen Sie doch nur die einschl�gigen Biographien. Immer das gleiche: erst Massengrab, dann Ehrengrab. Mozart hineingeschmissen — Fidelio ausgepfiffen — Wagner zergrinst — den alten Bruckner bis aufs Blut gequ�lt — Hugo Wolf hungern lassen — Mahler vertrieben. Jedes Urteil eine Blamage: zweiunddrei�ig — vierundsechzig — hundertzwanzig Weltblamagen. Von der Wiener Musikzeitschrift 1787 und Sarti angefangen, der �ber Mozart schrieb: „Die Musik m��te zugrunde gehen, wenn Barbaren von Mozarts Art sich einfallen lie�en, komponieren zu wollen,“ an Hanslicks Definition des Rheingold als: ‚Hurenaquarium‘ vorbei, bis in die neueste Zeit. In der Allerneuesten m�chten sie zwar auch noch, trauen sich aber nicht mehr so recht, feiern daf�r Kuschorgien. Wedeln erst einmal zur Sicherheit jeden Kitsch an.“

Der Kleine litt an Kitschpsychose. Sonne, Fr�hling, Blumen, Melodien: alles was ihm wirklich gefiel, hatte er im Verdacht und wandte sich schaudernd ab. Mied auch das elterliche Palais, wartete noch auf Endg�ltiges, lebte bis dahin in der Pension, gleich seiner Schwester, jener sozialen Vork�mpferin mit den hinten und unzeitgem�� zu erschlie�enden Blusen. Doch verkehrten die Geschwister kaum, sch�mten sich einer des andern noch mehr als ihres Vaters, der, dem innersten Ring der Bank- und B�rsenhaie zugeh�rig, daf�r bekannt war, selbst dort die schmutzigsten, gr��ten und anr�chigsten Brocken anstandslos zu schnappen. Beide Kinder gaben sein Geld unter M�rtyrerall�ren f�r einen Marstall von Steckenpferden aus. Betrachteten das wie eine Art Aufgabe, als solche auch zu werten und zu w�rdigen, nur da� einer des andern Methode �bel fand. Er ertrug ihre vergr�bernden Versammlungsgesten nicht — die schrille Stimme. Nannte sie: „P�belsklavin“. Sie ihn einen „aus der Zwiebel gezogenen Narzi�.“

Er sagte: „C�sarenwahn des Mob z�chtet ihr, statt ihm zu sagen: anders werden, zuerst und vor allem um Gottes willen anders werden, dazu wollen wir euch helfen, aber da fl�gt ihr sch�n aus euren Mandaten heraus,“ und er zitierte:

„In diesen Zeiten war die Menschheit irre geworden durch Leute, mit denen ich nicht rechten will. Sie stellten sich der Masse gleich, um sie zu beherrschen, sie beg�nstigten das Gemeine als ihnen selbst gem��, und alles H�here ward als anma�end verrufen.“ — „Jeder ein Kretin oder ein Schuft, der anderer Ansicht ist als ihr.“

„Wir sind eben der Fortschritt,“ sagte sie, „somit richtet sich jeder selbst, der nicht f�r den Marxismus ist.“

„Du vergi�t, das hebr�ische Wort: „Fortschritt“ wirkt nicht auf jeden wie ein Fetisch.“

„Snob,“ sagte sie und verlor jede Selbstbeherrschung, „ver�chtlicher Snob.“

Horus nahm ihn in Schutz:

„Die andern hier sind noch nicht einmal das: ich w�rde sogar Kurse f�r snobs einf�hren. Erst scheinen wollen, was man nicht ist: ein Weg vielleicht, dereinst zu sein, was man scheint.“

„Ach was: Schein, — Sein, alles erst einmal in die gro�e Arbeitsarmee eingereiht, dann h�ren sich diese Faxen von selbst auf,“ rief sie grob.

Er sah ihr mit solch warmem Wohlwollen in die Augen, nicht ohne Respekt und voll Humor. Sie konnte nicht widerstehen, wollte die Worte zu diesem Gesicht wissen:

„Legen Sie los, Sonnenprinz.“

„Arbeit? Was ist Arbeit? Der chinesische Weise Schun sa� die gr��te Zeit seines Lebens unbeweglich nach S�den gewandt und l�chelte. Da blieben die Jahreszeiten in ihren Grenzen, alle Gatten liebten einander, der Sohn des Himmels wurde erleuchtet und — alle Beamteten pflichttreu und unbestechlich.“

W�re dieser kleine Doktor Eskenasi nur nicht so ma�los feig gewesen. Seinem Lebens�berdru� hielt panischer Schreck vor dem Tod die Wage. Die Jahre waren ihm pausenlose, fressende Angst, das Sonnensystem geriete auf seinem Flug durch unbekannte Weltr�ume doch einmal unversehens in eine riesige Wasserstoffblase und dadurch in Brand. Jedes Wissensgebiet erschlo� immer neue Gefahren. Endlich hatte er sich ganz auf die Malerei, als relativ unbedrohlich, zur�ckgezogen, f�hlte sich: der zweidimensional Organisierte, hier unter Blinden, die gut h�rten, schon als K�nig; stieg manchmal sogar in die dritte Dimension auf und sagte dann: Palladiesk oder Brunellescesk. Angst, die ihn nie ganz verlie�, nahm in der Kunst die Form der Kitschpsychose an, um manchmal an ganz unvorgesehener Stelle auszuschw�ren.

„W�re der Durchschnitt: was man so in Kaffeeh�usern und Gesellschaften trifft, wie dieser Herr von Goethe, den ich jetzt lese, lie�e sichs in Europa leben,“ bemerkte Horus eines Tages, von der Farbenlehre aufsehend.

Eskenasi hob angeekelte H�nde der Abwehr. War er beleidigt? Vers�hnend frug Horus dem Kleinen in die Augen:

„W�re das denn wirklich so viel verlangt? Ich meine nat�rlich als menschliche Pers�nlichkeit, von dichterischer Spezialbegabung abgesehen: ein heller �lterer Herr von durabler Einsicht, weil das Auge ihr geleuchtet, mit gepflegten Umgangsformen, allem Wertvollen offen, leider mathematisch und musikalisch wenig begabt. Alles in allem: ein Vollsinniger. Einer, der Raum und Zeit hatte, ein ganzer Mensch zu sein, daher vielleicht das Aufsehen hier.“

Eskenasi dr�ngte offensichtlich vom Thema Goethe ab:

„Die Wirtschaft kann sich das heute nicht mehr leisten, oder wie ein sehr Kluger j�ngst schrieb: „An einem ganzen Menschen h�tte sie zuviel Lagerverlust.“

„Ach so, ich verstehe: ein linker Hirnlappen, ein Paar Pratzen, jedes f�r sich, f�gt sich besser, weil pausenlos, dem Betrieb ein. Bleibt die Frage: ist das Leben f�r die Wirtschaft oder die Wirtschaft f�r das Leben da? Mich am�sierte immer, wenn in Deutschland solch linker Hirnlappen, war er zumal technisch verkollert, sich gl�hend w�nschte, ein Gro�er fr�herer Zeiten, am liebsten Goethe, weil er den f�r einen Monisten h�lt, kehrte wieder, er aber sei ihm F�hrer, verg�nne dem alten Herrn den Anblick, wie herrlich weit man’s gebracht. Wie er dann schon beim Aussteigen am Gleisdreieck zu Berlin anfinge, den Faust umzuarbeiten, ihn gleich im ersten Teil Wasserbauingenieur werden lie�e, statt erst am Schlu� des zweiten.“

„Bitte nichts vom Faust,“ wehrte Eskenasi ab, mit einem Gesicht, ganz wie Samossy, das arme geniale Ro�wesen, bei Schillers Namen.

„Dieser Schlu�“ — er wand sich vor Ekel — „wie ein schlechtes Barocktriptychon komponiert: rechts und links als bewegliche Fl�gel die s��lich gedrehten, himmelnden Patres, ertr�glich nur der quere Durstrahl durch das Ganze: neige Du Ohnegleiche ... gn�dig meinem Gl�ck.“

„Gl�ck ist gut — wenigstens dort ‚lustig im Fleck‘, wie wir Maler sagen.“

„Aber die f�rchterlichen Putten ringsum: ‚fr�hlich im Ringverein‘. Diese Engelriege, wie vom Turnvater Jahn einstudiert ... bitte, lassen wir das. Dazu ist mir der Barock zu heilig, ja ich habe in letzter Zeit Grund anzunehmen, da� sich in ihm das �berhaupt H�chste, vielleicht das Endg�ltige manifestiert habe.“

Er schwieg geheimnisvoll. Verk�ndete dann ein paar Tage sp�ter seine Abreise nach Spanien.

Und nach einer Pause, da niemand frug:

„Ja, es sei f�r immer. Er �bersiedle. Und zwar nach St. Esteban de Molar, dem Geburtsort des Gecco Pintaccio. Schon beg�nnen die wenigen �ber Europa verstreuten Eingeweihten ihren Pilgerzug vor das Jugendwerk des Erleuchteten: den kleinen Fresko im Ziegenstall hinter des Meisters Wohnh�uschen. All das geh�re seltsamerweise einem Amerikaner: Mr. Payne. Nur durch Vermittlung und Protektion des begeisterten Gecco Pintaccio Entdeckers und Apostels Dr. Hafis sei es ihm, Eskenasi, dennoch gelungen, das H�uschen auf vorl�ufig ein Jahr zu mieten, allerdings zum Preis seiner Hitzinger Villa, doch mit dem Recht, die Stunde von neun bis zehn ganz allein im Ziegenstall verbringen zu d�rfen, dann erst beginne die �ffentliche Besichtigung. Gleich gehobener Stimmung wie er, sah die Schwester einem neuen Aufenthalt entgegen: dem Landesgericht; hatte es endlich erreicht, ernst genommen und wegen Aufwiegelung zu zwei Monaten Arrest verurteilt zu werden. N�mlichen Tags verschwanden beide. Der Exclusive jedoch nicht allein. Er nahm zur Weihest�tte die Vally Feschak von der quo vadis-Bar, Tochter der Abortfrau und Typ des Speisentr�gers aus dem Stadthotel mit. So war er f�r Horus gerichtet, denn im feineren Menschen decken sich �sthetisches und sexuelles Ideal. Same und Seele erstrahlen von dem gleichen Eros.

Doch warum z�gerte er selbst noch hier: gerade mitten im Verk�terungsherd Europas? Wartete. Gerade am Ort geringster Wahrscheinlichkeit erwartete er, treu einem ernsten, s��en und sehr geheimnisvollen Gesetz, dem Folgsamen hold. Und im Erf�hlen dieses Gesetzes wu�te er sich verstanden und gest�tzt.

Auch aus Gargis Einschlafen hatte es unl�ngst gl�cklich, wie in eine wachsende N�he hineingefl�stert:

„Dann nehmen wir den ‚Elf von einem gro�en Stern‘ nach Haus und f�hren ihn in unsere samtenen W�nde.“

Oft ging er, die Ringstra�e: diesen Kranz �bel gegr�ndeter Erhebungen, von dem Tempel mit jonischen S�ulen als Rauchf�ngen, bis zur Gotik f�r Gemeinder�te, �ngstlich meidend, auf den stillen Josephsplatz, vor des Fischer von Erlach Bibliothek. Wie ihm schien, einem der sch�nsten Profanbauten der wei�en Welt.

Barg sich dann halb hinter einem fetten Palast im tr�chtigen Kuhstil mit vier Renaissance-Trampeln als Karyatiden, um ungest�rt schauen zu k�nnen. Denn er hatte bemerkt: das Nat�rlichste: in der Stadt die Stadt anzusehen, fiel hier peinlich auf. Ihre Bewohner, ausschlie�lich damit besch�ftigt, einander erst entgegen — dann an — dann nachzustarren, sammelten sich alsobald im Kreis, stierten eine Weile mit hinauf, frugen schlie�lich �grirt, wo der ausgeflogene Kanarienvogel denn s��e.

Dort aber stand er in Deckung vor dem wimmelnden Heute. Gegen�ber der stumme Platz einer verschwundenen Menschheit, mit dem segnenden Reiterbild in steilem Empire, nicht eben gut, doch echt in seinen Fehlern. Dahinter stieg, unvergleichlich an Ma� und Adel m�nnlicher Anmut, des gro�en Saales steinerne Schale. Sein inneres Rund, wie leise hindurchgeatmet durch des Sockels breite Kantigkeit, hatte etwas vom Tier und vom Kristall.

Oben die fein verdr�ckte Kuppel. Er liebte Kuppeln, das Dreifache weisend in schwierigem und edlem Schwung, irgendwie verwandt dem Broncereifen der Ekliptik auf wundersamen Weltmodellen Tycho de Brahes oder auch einem �berpers�nlichen Haupt vergleichbar, durch das sich der Geist des dreifachen Raumes Gestalt erw�lbt.

Als er diesmal den menschenarmen Platz betrat, sahen die N�herkommenden alle aus, als w�re ihnen etwas passiert. Verlegener Hohn in der Haltung; die ganze Atmosph�re wie um Gargis Erscheinung, ersten Tags im Speisesaal, nur noch manierloser, aggressiver. Gargi hier? Doch nein! Er lie� sie ja an diesem Ort nicht mehr allein ausgehen, seit vor ihm zwei junge „Herren“ auf der Stra�e — gleichsam als Promenadespiel — einander die m�glichst niedrige Summe jeweils zugerufen, die jeder f�r den Geschlechtsakt mit den ihm entgegenwandelnden M�dchen und Frauen anzulegen sich bem��igt f�hlte. Das tiefste Angebot teilten sie sich dann immer grinsend, von den zehn Fingern pantomimisch unterst�tzt, �ber die K�pfe der Ahnungslosen hinweg, mit.

Die Principessa Dango? Wohl kaum. Als Archies H�rige war sie momentan am Tempelhofer Feld in einem Gecco Pintaccio-Film prostituiert.

Doch wozu die L�gen um sein Herz. An dem strahlenden Schauder wu�te er, was — nicht wei�e — noch schwarze — einzig die rote Magie intensiv w�nschender Sehnsucht ihm, nach so vielen Monaten da zu erscheinen zwang. Es stand: eine lichte, leicht noch nachschwingende Lanze, wie in einer Steilrechten heruntergez�ckt, aus klarerer Heimat, ohne das Weichbild dieser Stadt auch nur ber�hrt zu haben. Hob kritisch begl�ckt das Profil dem andern, steinernen entgegen, dort wo der Eckbau aus Pylonenbreite in einer h�fisch feinen Kurve der Vollendung sich verj�ngte.

Ganz langsam genie�end kam er heran auf erh�hten Sinnen, seinem gewohnten Standort zu, unmittelbar hinter dem ihren. Selbst jetzt h�tte er dieses ernste, holde und sehr geheimnisvolle Gesetz nicht durchbrechen, sich ihr in Willk�r auch nicht um einen Schritt n�hern m�gen. Gerade deshalb war sie nun auf seinen Weg gestellt worden, in so viel verhei�ungsvollerer, weil freigeborner Weise „zuf�llig“, somit aus reinster Notwendigkeit.

Ganz in die Erblickung gest�rzt, beobachtete er noch mit dem erleuchteten Saum seiner Sinne am�siert den ganzen ranzigen Aufruhr: die mannigfachen Schreckph�nomene aller Unreingegliederten dem Niegeschauten gegen�ber. Hier, wo der Mob viel h�her heraufreichte wie irgendwo anders, glaubte jeder Vor�berkommende sich berechtigt, durch Haltung, Miene oder erk�nstelten Naturlaut eine Meinung, um die er nicht gefragt worden war, der Dame kund zu tun.

Frauen versuchten, voll h�hnischem Mitleid zu erschrecken, zwinkerten um Solidarit�t hin�ber zu wildfremden, achselzuckenden M�nnern. Andre, mit Kindern an der Hand, ermunterten diese, die nicht recht wu�ten weshalb, sich kichernd umzudrehen. „Pfuitterdeixel“ pfiff ein ganz ausgekegelter Schlosserlehrling mit O-Beinen, �berbeinen und Plattf��en, in die Luft. Er nickte ihm zu: „So recht Crap�le, h�tte sie bei Deinesgleichen Succzes, m��te sie sich doch erschie�en“. Gleich bei jener ersten Szene im Restaurant hatte er ja f�r immer begriffen: nichts ha�t und f�rchtet der K�termensch so sehr, wie den Stilbildner, der durch sein blo�es Dasein etwas zu fordern scheint, eine Anstrengung, das Niveau zu �ndern. Weder Bescheidenheit noch Diskretion retten da den Ungemeinen. Erst wird man ihn mit boshafter Herablassung niederzugrinsen, dann mit aggressiver Infamie von sich abzutun versuchen, denn als „sch�n“ vermag der optisch Ungebildete nur den eigenen Komparativ zu begreifen, lediglich was einer zum gr��eren Grade als er selbst besitzt. Das in der Linie des leicht Erreichbaren gelegene allein gef�llt ihm, soda� im Wohlgefallen noch Faulheit und pers�nliche Eitelkeit befriedigenden Platz finden. Erst der sich selbst Erziehende, welcher Art er auch sein m�ge, wird Fremdes: daher Befremdendes sogleich optisch „vom Blatt zu lesen“ und zu werten verm�gen.

Jetzt war er hinter ihr, auf seinem gewohnten Platz. Sie stand abgeschirmt mit unvergleichlich l�ssiger Verachtung. Schaute. „Die Wellen dieser zappelnden Gemeinheit sind viel zu kurz, um ihre langen Wogenz�ge zu st�ren,“ f�hlte der Entz�ckte, „k�nnen garnicht an diesen hohen Sender mit strahlender Antenne r�hren.“

Sein M�nnerschatten beugte sich �ber. Da rief sie sich wie in eine bedrohte Festung zur�ck. Das unverweslich Herbe an ihr, diese steigernde Dissonanz des Reizes, vereiste sofort ins Abschreckende, absichtlich Absto�ende. Hochgemutes gerann zu Hochmut. Das war ihm neu! Eine Kultur des Hasses, kundig und erlesen.

„Kristallumpanzerte“ f�hlte er. „Ganz Wei�e. Fremdeste der Fremden hier.“

Sie einfach vom Trottoir wegheben, ganz in Zartheit wickeln und hintragen, wo er der Herr war. Ihr Wesen und ihr Ort trafen ihn wie eine Blasphemie von Gott aus; mindestens wie ein schwer zu verantwortender faux pas himmlischerseits. In des Schattens Haltung lag jetzt so viel Diskretion, wie er jede Ber�hrung mit dem ihren mied, da� sie sich halb wandte. Die einsamen Sternsaphire sahen ihn zum erstenmal an. In Padua hatten sie durch ihn hindurch in die Erwartung des Gl�cks geschaut. Sahen jetzt statt eines �berl�stigen, statt eines p�belnden M�nnchens einen Menschen vor sich: einen br�derlichen Gentleman. Geschwisterlich gleichgerichtet, Seite an Seite flog von nun an ihr Genie�en alle Linien des Baus entlang; einen Augenblick verschmolzen die Schattenkerne in Eins. Wann dieses Schauen auch zu klingen begonnen, wem zuerst Worte sich geformt, wu�te er nie. Es waren Worte von jener scheuen, weil tiefsten Vertraulichkeit, die wie aus einem Abgrund der Zeiten herauf-, her�bergetastet kommt in eine erste Begegnung voll seltener, unbegreiflicher Anziehung; lustvoll und furchteinfl��end zugleich. Die Worte selbst? Das Geheimnis ihres Reizes? Da� einer vom andern alles vorauszusetzen schien: alles Wissen und alle Erkenntnis und da� es doch wie nichts war, kaum mit juwelenen H�nden gestreift, um ganz drau�en nur die Spitzen der Pers�nlichkeiten im Licht miteinander spielen zu lassen.

Jetzt wandte sie sich ganz, pr�fte mit den Wimpern durch die Luft hin die Knabengl�tte seiner gro�en Z�ge, das starke Kinn aus Stein. Verwundert, als w�re sie gewohnt, nur in durchackerten Gesichtern Saat von Geist aufgegangen zu sehen.

Die gel�hmte Zeit stand wie ein ins Unertr�gliche gespannter Bogen ausgestrahlt um ihn. So ganz nah, war sie von verwegener �berw�ltigender Vollendung. Nicht nur ausgespart aus einer saloppen Umwelt. Der niegesehene Typus, jene neue Schlankheitsgrenze, hatte auch neue Gesetze der Anmut erfordert und erschaffen. Welch z�he Treue zum Ideal war hier bis in die letzten Lineamente offenbart. Hingerissen und sachlich zugleich, ingenieurhaft beinahe f�hlte er dieser neuen Anmut: dieser Nat�rlichkeit h�herer Ordnung nach. Ihre gepflegte Wahrheit kam aus einer solch adeligen Tiefe her, da� jede Bewegung sie ganz enthielt. Etwas von Tier und Seraph und gleitendem Erz.

„Alle St�dte, durch die sie geht, m��te man vor ihr niederlegen,“ dachte er. „Denn keine pa�t noch zu ihr. Sie aber ist im Recht.“

War seine Musterung indiskret geworden? Sie schrak auf aus holdem und tiefem Vertrauen. Verherbte wieder. Schl�pfte in einen schwarzen Block Abwehr.

Indessen hatte sich ein loser Halbkranz von Gaffern gebildet. Eine d�stre Kuh mit Plattf��en mi�billigte beide Erscheinungen. Andre starrten des Fischer von Erlach Meisterbau auf den entflogenen Kanarienvogel hin an. Ungeratenheit, die sich dreist machte. Noch einmal gr��ten ihn die einsamen Sternsaphire ganz fl�chtig, und die hohe Silhouette schwankend vor Schlauheit entwich in eine Nebengasse. Er sah den k�hnen Gang ihrer g�ttlichen Beine durch das Kleid hindurchspiegeln, dann sog der braune R�ssel eines Durchhauses sie ein.

Gleichen Abends reiste er ab. Wu�te: hier f�hrte kein Weg mehr n�her heran zum

„Elf von einem gro�en Stern“.

Viertes Buch

Zur Zeit als Horus ins Haus der Elchos zog, erwuchs auf der andern Seite der Erde ein kleines M�dchen gleichen Alters in einem sonderbaren Geb�ude: halb Palais, halb Fabrik.

T�glich Punkt zwei bog die wenig stilvolle Equipage um das grasige Viereck im asphaltierten Innenhof, an den Statuen und dem alten Nu�baum vorbei, der G�rtner �ffnete weite Torfl�gel unter der gew�lbten Einfahrt, und man fuhr bis vier spazieren. Papa und Mama im Fond. Immer denselben Weg: erst durch ratternde Vorstadtstra�en voll anr�chiger Kraml�den und Klaviergehacke, dann um den Ring herum. Die Beinchen reichten nicht bis zum Wagenboden und schliefen einem immer ein in den kleinen Prunellestiefeln. Baumeln durfte man nicht, reden meist auch nicht. Oben redeten die Eltern diese endlosen, gereizten Erwachsenensachen, bei denen man nicht st�ren sollte, obwohl es doch immer dasselbe war und so �berfl�ssig. Manchmal hob Papa den Hut schr�g weg und Mama nickte mit einem s��schiefen und entz�ckten Gesicht, wie sie es zu Hause nie hatte. Dann mu�te man auch nicken und mit dem Mund knicksen, meist ohne Ahnung, wer die Leute gewesen, denn Besuch kam fast nie ins Haus.

Alles war fader, als es sich sagen l��t. Bis auf die Ecke mit der Ballonfrau. Da wurde man innen voll aufreizender Kugelchen. Bekam man ihn? Und wenn ... rot oder blau? Leider machte die Ballonfrau auch immer so einen Freundlichkeitskrampf im Gesicht, wie Mama beim Gr��en, w�hrend sie einem mit H�nden voll gemeiner Fingern�gel die leise aufw�rts ziehende Kugel ums Handgelenk band. Pl�rrte dabei:

„Nein, a soa sch�ns blond’s Kind!“

„Aber recht eigensinnig und unfolgsam“ pflegte Mama zu erwidern, „gerade heute sollte sie gar nichts bekommen.“

Meist log Mama. An Ballontagen war zuf�llig nie das Kleinste passiert. Der Ballon aber war ein Wunder, obwohl er schlecht roch; denn er blieb aufrecht oben am Faden, w�hrend sonst alles unten an F�den hing. Hatte auch am Bauch ein komisch verrunzeltes, herausgest�lptes Kn�pfchen, vor dem einem ein wenig ekelte, wie ein Schwein. Ein fliegendes Gasschwein ohne Fl�gel.

Jetzt begann die gro�e Versuchung: heimlich die Schnur vom Handgelenk gleiten lassen, damit der Ballon frei hinauf k�nne, immer schneller und kleiner w�rde, schlie�lich wie eine Traubenbeere mit Schwanz. War er aber auch ganz weg, hinter ihm, das Loch im Himmel blieb noch lange, indes man Best�rzung heucheln mu�te und gezankt wurde wegen der Unachtsamkeit. Es schien: Geschenke geh�rten einem doch nicht recht. Nie durfte man mit ihnen Lustiges tun, meist nicht einmal sagen, was man tun m�chte. Sie war im sechsten Jahr — eben bog der Wagen wieder einmal ins Tor heim — da verga� das kleine M�dchen mit dem Mund zu knicksen, w�hrend Papa den Hut schief weg zog und Mama das Gesicht, denn: etwas �berw�ltigendes war geschehen und viel zu gro� f�r Angst:

Sie wu�te nicht mehr, wo sie aufh�rte.

Da war die Hand; ihre Hand mit dem aufrechten Ballonfaden. Fl�ge jetzt die Hand mit dem Ballon davon, durfte dann der Ballon zur Hand „ich“ sagen oder die alleine Hand zu sich selber ich?

Wer ist Ich? f�hlte das Kind. Sah �ber den Rand der Frage in ein Bodenloses. Streifte den Handschuh ab, spannte und entspannte jedes d�nne Fingerwesen, lie� es tun — empfinden ...

„Wo fange ich an — wo ende ich?“ staunte immer weiter. Rann noch einmal mit allem Gef�hl vom Herzen in die K�rperspitzen, wollte ins Grenzenlose, konnte nicht weiter, war von diesem Augenblick an bewu�t mit der Welt in Ich und Nicht-Ich zerfallen, das Wunder Dasein hatte fragende Augen aufgeschlagen, die sich erst im Tode schlie�en. Das Fremdlinghafte war da; f�r immer. Mit ihm: Pers�nlichkeit, Einsamkeit und Sehnsucht.

Das wu�te aber die winzige Philosophin noch nicht. Vorerst ging alles in Staunen auf. Probleme spannten helle spitze Fl�gel, wollten durch sie hindurchbrechen, pfeilrecht und silbrig, die junge Seele erf�llen und tragen.

„Warum hast du nicht gegr��t? Was wird die Frau Regierungsrat Dostal denken.“

Papas Augen und Stimme rissen durch den d�nnh�utigen Kinderk�rper hindurch. Die gestockte Zeit begann auf einmal heftig zu laufen. Der Wagen fuhr weiter durchs Tor. Alle Dinge taten wieder und man schrak auf in einem Abgrund von Verworfenheit, sa� best�rzt mit einem Bums mitten in un�bersehbaren Folgen: hatte zu gr��en vergessen. Das Herz schlug breit wie ein F�cher durch die ganze Brust.

„Weil du immer deine Hand angeschaut hast. Immer mu� sie sich bewundern, der eitle Fratz,“ sagte Mama.

„Fratz,“ das war wie ein verzerrter Blitz und kreischte obendrein.

„Aber ich hab’ ja gar nicht ... bewundert,“ wollte das Kind beteuern.

„L�g nicht, ich hab’ es doch selbst gesehen.“

„Ja, aber ...“ man stammelte, suchte gierig das mit dem „Ich“ und „Nicht-Ich“ zu erkl�ren.

„Wirst du endlich still sein und nicht fortw�hrend nachmaulen.“ Papa machte seine aufgerissenen Glasaugen aus ungeheurer Macht, vor denen man immer sehr erschrak.

Noch einmal setzte das Kind zum Sprechen ein, wurde hilflos, gab es auf, denn am Vordersitz hub jetzt jenes aufgedonnerte Entsetzen an und didaktische „pour la galerie“-Reden, dem die kleinen Kinder ihre gro�e Erwachsenenverachtung verdanken.

„So eine abscheuliche Rechthaberei, dieser Eigensinn, wo sie das alles nur her haben mag, von uns doch nicht.“

Und Papa wandte sich in seiner schlanken L�nge Mama zu, sch�ttelte dabei edel und gebrochen den Kopf.

„Von mir gewi� nicht,“ himmelte Mama mit ganz verzuckerten Augenlidern, und beider Eltern linde Vollkommenheiten sahen einander schwergepr�ft an.

Dem verworfenen blonden Wechselbalg am R�cksitz ballte sich das kleine Herz zur Faust. Alle echte Besch�mung war weg:

„Vielleicht bin ich wirklich nicht ihr richtiges Kind? Welch Gl�ck!“ Und den Gedanken weitertrotzend:

„Meine echte Mama tr�gt keinen Bauch unterm Korsett und mein wirklicher Papa ... nun aussehen tut er vielleicht wie Papa, aber er schreit gewi� nicht so h��lich in der Fabrik herum. Die Katze und das Reh nehm ich nat�rlich mit in mein K�nigreich, sonst aber niemand. Da stehen dann Papa und Mama voll Reue am Haustor und flehen. Aber erst ganz zum Schlu� dreh ich aus dem Wagen heraus ein wenig den Kopf und sag: ‚Sp�ter einmal — vielleicht‘.“

Sie l�chelte in das K�nigreich hinauf.

„Der Ballon,“ sagte Mama emp�rt und hatte zwei h�ngende kleine Schrots�cke in den Mundecken, alles Verzuckerte war auf einmal fort, „man sollte ihn ihr wirklich zur Strafe wegnehmen.“

Papa zog sein Taschenmesser, durchschnitt die Schnur. Wundergrad stieg der Ballon bis �ber den Rauchfang. Dann drehten ihm Krallen aus Gas den Hals um, er duckte sich, wutschte weg, schr�g packte ihn ein Wirbel — sie hob entz�ckt die H�nde, f�hlte an ihren R�ndern wieder das Problem eigenen Aufh�rens. Dunkle Angst und Verantwortung, so ein ganz alleines Ich zu sein unter lauter fragw�rdigem Drau�en, �berw�ltigten pl�tzlich das Kind. Es brach in Tr�nen aus.

„Das kommt davon, wenn man vorlaut ist,“ sagte Papa, dann tr�stend: „aber vielleicht gibt es morgen einen neuen Ballon, den binden wir dann so fest, da� er gewi� nicht wieder fortfliegt.“

Voll Mitleid mit so viel dickh�utiger Begriffst�tzigkeit sahen die jungen Sternsaphire sich diesen desolaten Erwachsenen an, der obendrein ein Papa war.

Gro�en konnte man ja �berhaupt nichts erkl�ren, sie aber auch nichts fragen; wenigstens nichts „Eigentliches“. Mama sah dann aus starrgrauen Augen meist zur Seite, tat, als tauche sie eben aus einer �beraus wichtigen Erwachsenensache auf, in die sie sofort wieder zur�ck m�sse, nickte fl�chtig und falsch zerstreut:

„Ja, ja, schon gut, aber halt dich grad.“

Papa lie� sich gern fragen, doch nie durfte man weiter wollen als er selber wu�te, nannte die Frage dann albern und wurde heftig. Als ganz kleines Kind hatte sie einmal stolz von ihm gesagt: „der Papa wei� alles.“ Diese vierj�hrige Voreiligkeit sollte sich bitter r�chen. Er hatte nachsichtig und doch wieder ehrgeizig dazu geschmunzelt, sich in seine riesige R�bezahlh�he gereckt, so mit einer Haltung, als w�nsche er, dies m�ge dauern. Darum tat man auch viel sp�ter noch oft so, lie� es hingehen, h�rte widerspruchslos zu, redete er mit herrischen Bewegungen vag daneben, hatte man aus Versehen nach einem „Eigentlichen“ gefragt. Er roch ja doch so vertraut und gut, mit den graublonden weichen Wellen drau�en �ber der Stirn voll trotziger L�wenfalten, und man k��te ihn fieberhaft gern, obgleich er j�hzornig schrie und einen viereckigen Daumen hatte; �berhaupt lang nicht so mit allem in Ordnung war, wie etwa Butz, die Katze, und Iblis, das Reh. Aber das waren ja die wenigsten. Bei den andern lie� sich stets ein „noch“ hinzudenken.

Was f�r ein „noch?“ Sie gr�belte: „noch sch�ner? Nein noch nocher, ganz einfach.“

Da war zum Beispiel das Matterhorn. Alle hatten im Sommer davor so �berw�ltigt getan. — War man aber schon ein Berg, hatte man doch eigentlich noch steiler zu sein, noch h�her, mit noch eckigerer Schulter, und mit einer solchen Eisnase hinaufzusto�en durchs Blaue, da� es in Spr�nge zerkrachte wie ein Glasdach.

Die Dinge waren eben irgendwie faul und nie bis zu ihren eigenen Enden gegangen. Das hatte aber durchaus nicht immer etwas mit „gro� sein“ zu tun ... Butz und Iblis waren klein und doch bis in ihre Enden gekommen und ganz rundherum wunderbar, da� man nie satt an ihnen wurde vor Z�rtlichkeit und Entz�cken.

Das also war das „Noch-nocher“. Au�erdem gab es das „Eigentliche“. Von dem aber mochte erst recht keiner was h�ren; auch ein paar Jahre sp�ter die Lehrer nicht. Versuchte man es zu begreifen, hie� es, man sei begriffst�tzig und halte die Flei�igen nur auf. Lange weigerte sie sich einzusehen, warum eine Flaumfeder und ein Bleist�ck im leeren Raum gleich schnell fallen sollten. Das Gerede mit dem Luftwiderstand war doch nur Nebenschein, tief drinnen aber lag ein Unbegreifliches. �berall lag ein Unbegreifliches tief drinnen: das „Eigentliche“ eben. Wie im Ich und Nicht-Ich.

Auch magische Worte gab es, wie „Masse“ und „Substanz.“ Sie erregten einen oft so, da� man den Kopf in die Waschsch�ssel stecken mu�te, f�hrten aber doch nur zu Konflikten, bis man es gleich den andern Kindern weghatte, Lernen von Verstehen zu trennen, alles so glatt zu wissen wie die albernste Gans; es auch nicht mehr beanstandete, da� die Welt Dienstag und Samstag von zehn bis elf in „Naturgeschichte“ Jahrmillionen zur Entwicklung brauchte, und auf ihr aus einem Schleimpatzen, einfach durch „�berleben des Passendsten“ einmal etwas wie ein Elefant wurde, ein andermal etwas, das die Neunte Symphonie schrieb oder den Tristan, je nachdem; w�hrend wieder alles, einmal der Woche von drei bis vier, beim Religionsunterricht, in sechs Tagen gemacht worden war, von einer heftigen �lteren Pers�nlichkeit ganz pl�tzlich und ohne jede ersichtliche Veranlassung.

Als Kind eines eingewanderten deutschen Patriziers fanden die Religionsstunden, im Gegensatz zu dem gemeinsamen katholischen Unterricht der Schule, privat bei dem evangelischen Pfarrer statt. Man landete dort wie auf einer Insel von Gespreiztheit und durchgesessenem Pl�sch, ohne recht zu wissen warum, schon allein durch die Art, wie Mama devot, verschroben und leer „Hochw�rden“ sagte. Dann gab es Verse auswendig zu lernen:

Das Wort, sie sollen lassen stahn

Und keinen Dank dazu haben.

Er ist bei uns wohl auf dem Plan

Mit seinem Geist und Gaben ...

Sie hatte das nie begriffen. Da nicht, aber auch niemals sp�ter. Doch wozu diesen Greis, der so schon einen Stockschnupfen mit rotgew�rfeltem Taschentuch hatte und einem — lie� man ihn in Ruhe — automatisch „sehr gut“ gab, durch Fragen entfesseln. Au�erdem geh�rte er ja zu den Leuten, die sterben. Schon als kleines Kind hatte sich diese Idee bei ihr festgesetzt: nur Leute, die zur Kirche gehen, sterben. So alte Weiber eben, die immer im Weihrauch lungern, mit Kerzen und Gepl�rr bei Leichenbeg�ngnissen herumschlurfen. Ein gut und gradgebornes Wesen stirbt nicht. Wie k�nnte etwa Iblis, das Rehli sterben? H�chstens haaren. Dann bekam es eben ein noch gl�nzenderes Fell, und man grub das Gesicht noch lieber hinein, wenn man, die Arme um seinen Hals, mit ihm aus der Heukammer in den Garten sprang, bis unter die Fichtengruppe beim Neptunbassin, wo Iblis seine lackschwarze Nase in die Leberbl�mchen steckte, sie rupfte und fra�.

Und gar Butz! Wie k�nnte Butz je auch nur so w�ssrig aufdunsen oder knotig vertrocknen wie Begr�bnisweiber? Sie warf sich flach auf den Boden und betete Butz an. Es war eine lichte und festliche Andacht: lebendige Adoration, steigender als Fieber, tiefer als Schlaf, mit der alle bewunderte Bewegung in den eigenen K�rper her�bergesogen wurde. Denn sie hatte entdeckt: war man auch ein ganz alleines Ich, vermochte man doch Dinge in sich hereinzulieben nach Wahl, denn da war eine Welt von au�en nach innen und eine von innen heraus; durch den feinh�utigen, zartherzigen Kinderk�rper osmosierten sie hindurch und man meinte, einmal m��ten sie sich zueinander k�ssen.

Jetzt war Butz dran, hereingeliebt zu werden. Bald hatte der Kater den Schwanz um sich getan, sa� mitten in ihm wie ein Turm mit Ringmauer, sah ganz oben aus zwei gr�nen Scheinwerfern in Lichtkegeln um sich; bald strich er, schm�ler wie sein Schnurrbart, durch T�rspalten, schwanzhoch, l�ssig und einsam. Oder man nahm ihn auf den Scho�, streichelte sich die Herrlichkeiten seines Lebens hinein.

Andern Tags ergab es sich dann richtig, da� man den deutschen Aufsatz total vergessen hatte mit seinen zwei Themen zur Wahl: „Hausm�tterchen, der Sonnenstrahl im Elternhaus“ oder „Kleopatra“ (Richtlinie: schade, da� in einem so sch�nen K�rper nicht eine ebenso sch�ne Seele wohnte) und auch in der Geschichtsstunde dem Faktum, da� durch Margarete Maultasch Tirol an das Erzhaus gefallen war, eher fremd, um nicht zu sagen lieblos, gegen�berstand.

Bald hie� es: „dieses ewige Herumschmieren mit den Tieren im Garten mu� aufh�ren. Es lenkt zu sehr ab.“ Schien ein System: bei allem Erhabenen, Hinrei�enden, Holden, es verbieten unter der Devise: „es lenkt ab“.

„Unverstand in idealem Zusammenflu� mit Malevolenz,“ wie sie ein paar Jahre sp�ter diese Bestrebungen innerlich zusammenfa�te. Zeigte man Freude an etwas, ward es zu Erpressungen ausgenutzt, seine Entziehung angedroht; verbarg man deshalb seine Neigungen, hie� es: „pfui, ein Kind und schon so blasiert.“

„Warum spielst du nicht mit dem sch�nen, teuren Spielzeug?“ frug Mama. „Andre Kinder w�ren froh und dankbar ...“

Hinter diesem sch�nen, teuren Spielzeug aber lauerte endlos und heimt�ckisch das Aufr�umen. Gar noch zum Schlu�, wenn man jedes St�ck schon so satt hatte. Butz und Iblis bekam man nie satt, und sie r�umten sich selber auf. Oh, nur rasch gro� sein, erwachsen sein, frei sein. Nicht mehr bis in seine Spiele hinein gezwungen werden, die verkappte Plage waren! Diese Gro�en aber sagten:

„Sei froh, da� du noch ein Kind bist, immer sorglos und gl�cklich.“

Und wie war das mit der Margarete Maultasch, he? Und das fr�her: nicht mit den eingeschlafenen Beinen baumeln und nur gefragt reden d�rfen? Und gar jenes andre, von dem man nicht sprechen mochte, nein, lieber sterben! Jenes: in der hohlen Nacht schiefgekauert vor Grauen, ganz allein im Schwarzen liegen, wenn es sich in den Ecken ballt ohne Gegenstand und man es anfleht, nur nichts zu werden! Wo man die �berm�den Augen immer wieder aufrei�t, denn sie sind das letzte, mit dem man das in den Ecken noch b�ndigen kann. Ist man aber eben eingenickt, sofort wieder zitternd heraus m�ssen im Winterdunkel, mit Nebel im Magen, um �bel vor Hast zur Schule zu st�rzen, �bern�chtig in Angstschwei� ... jeden Tag und jeden Tag, Jahr um Jahr.

Selber wu�ten sie allerdings k�mmerlich wenig anzufangen mit der unerme�lichen Macht und Wonne ihrer Erwachsenheit, diese Wesen, �berzogen mit Tr�be, Z�he und Verdru�. Taten immer so, als t�ten sie: unausdenkbar Wichtiges. Dabei war es gar nichts. Lauter sch�bige, tr�ge, unreine, st�rende, �berfl�ssige Dinge. Warum wedelte Mama, zerzaust und verzerrt, mit einem widerlichen Lappen in der Hand, den halben Tag zwischen den M�beln herum, wo doch das Stubenm�dchen und der Diener dazu da waren? Eine b�se und schwei�ige M�rtyrerin des sch�nen Hauses, statt lieber durch die weiten, hellen R�ume oder den Garten zu galoppieren und Reif zu schlagen. Warum hie� es „Ernst des Lebens“, wenn Papa am Kontorofen lehnte, die Zeitung las und rauchte, w�hrend genau dasselbe vor dem Speisezimmerofen getan „Erholung“ hie�?

Einmal geschah etwas zum Zittern Ekles. Nie zu Vergessendes: w�hrend die K�chin appetitlich dasa�, in gr�nwei�er Sch�ssel reizende rote Radieschen wusch, griff Mama mit ihrer Hand — der eigenen nackten Hand — griff sie ganz von selber, ohne da� sie doch mu�te, einem blutigen H�hnerkadaver von unten in den klaffenden Stei� hinein, ganz tief bis in die violetten, stankgeschwollenen Eingeweide, ri� an den glitschigen, da� sie herausspritzten. Oh, wie es dann unter ihren N�geln aussah!

Das Kind ballte die F�uste. „Wer das �ber sich bringt, ist keine Dame mehr.“ Und fast weinend vor emp�rter Reinlichkeit: „nein, lieber verhungern.“ Papa war dabei gewesen, hatte es auch gesehen und doch begann er ihr nach Tisch mit jener reuigen Gedr�cktheit schmatzend die H�nde abzuk�ssen, wie immer, wenn sie zerlechzt dasa� und in schwei�iger �berb�rdung schwelgte, denn beide sch�tzten Szenen sehr. Seither war er f�r seine kleine Tochter nie mehr derselbe, war irgendwie herabgekommen. Sie f�hlte dunkel: es gibt H�nde zum H�hnerausnehmen und H�nde zum K�ssen. Beides, nein! Schmiegte sich von nun an seltener in seine Arme und a� H�hner �berhaupt nicht mehr, erbrach sich schweigend immer wieder, wenn man sie dazu zwingen wollte. Hatte Mama etwas geahnt? Sich hinter Papa gesteckt? Pl�tzlich hie� es:

„Du bist jetzt gro� genug, es w�re Zeit, der armen Mama ein bi�chen in Haus und K�che an die Hand zu gehen.“

Sie f�hlte die schmutzige Schlinge. Mit zusammengebissenen Z�hnen, gefrorenen Mord im Gesicht:

„Dazu sind die vier Dienstleute da, �berdies G�rtners und Portiersfrau.“

Man nahm ihr die Geige weg, verbot Latein und Griechisch, die sie privat betrieb. Auftritt �ber Auftritt. Mama st�lpte polternd Keller und Bodenger�mpel um, sank dann ersch�pft in Sessel, r�ckte eine ausgearbeitete rechte Hand mit zerbrochenem Zeigefingernagel anklagend in den Augpunkt t�chterlichen Mitleids, w�hrend Papa dr�uendes D�ster aus knochen�berhangenen Augen hervorscho�, bis schlie�lich alles zu einem latenten Dauervorwurf gerann.

Oh, wie sie Szenen ha�te! Szenen deckten ja alles auf, und es hie� doch schon so genug vertuschen, damit es nicht herauskam, wie minder sich die Gro�en benahmen. Das aber sollte nie offenbar werden. Lieber warf sie sich mit ausgebreiteten Unarten rechtzeitig dazwischen, um eine auftauchende Hemmungslosigkeit, unvornehmes Gehaben der Eltern vor Fremden ins Erkl�rliche zu r�cken. F�hlte sich irgendwie f�r diese Eltern verantwortlich aus ihrem Tiefsten heraus: dem Drang nach Reinheit. Wollte wie aus klarem Bade gestiegen sein. Setzte sich darum oft vor sich selber knirschend ins Unrecht; keineswegs aus Liebe oder G�te. Von letzterer hielt sie vorl�ufig nicht viel. War noch zu jung, vertrug die Dummheit nicht, die vom Guten zweiten Ranges ausstrahlt, verwechselte G�te noch mit Sentimentalit�t.

Einmal galt es, nicht nur Unrecht —, bitterer noch: das Odium des Ungeschmacks f�lschlich auf sich zu nehmen. Es war am zw�lften Geburtstag, als Mama das mit der neuen Zimmereinrichtung verdrehte.

„Du kannst sie dir selbst w�hlen, heuer zum Geschenk,“ hie� es.

K�hne Pl�ne wurden geschmiedet. In der Tanzstunde riet die gedunsene Valerie:

„Nimm Eiche mit Gobelins.“

„Nein, blaue Seide mit wei�em Lack, auch ein Bidet aus wei�em Lack mit Goldkn�pfen dazu,“ dr�ngte Olga, die den finnigen Teint hatte vom vielen K�seessen.

Das beneidete Geburtstagskind aber h�llte sich in seliges Geheimnis: „nein, etwas ganz Neues, ganz anderes, ihr sollt sehen. Und zu mir passen mu� es wie das Haus zum Schneck.“

Mama sah die Entw�rfe. Ja, aber auf dem Boden liege noch ein bedruckter Kreton, der m�sse f�r die M�bel verwendet werden, auch zwei Vorzimmerschr�nke sollten herein. Schlie�lich ergab es sich, da� alles schon bestimmt war, lauter vorhandene Reste. Nur die Form der Sesselgestelle unter dem scheu�lichen Bl�mchenkreton blieb ihrer freien Wahl �berlassen. Sie h�rte gar nicht mehr zu, was der Tapezierer schwatzte. Aus. Kein Kompromi�. Mochten sie machen, was sie wollten. Alles oder nichts ... nat�rlich wurde es dann immer „nichts“.

Zum Geburtstag kamen die aus der Tanzstunde mit Buketts, r�mpften die Nasen. Jetzt Z�hne zusammen und Kopf hoch; dann leichthin:

„So sei es gerade recht, so m�sse es sein.“

Und sie warf sich vor diesen Kreton, vor diese Vorzimmerschr�nke, als w�ren es elterliche M�ngel.

Abends aber hie� es in ihre verdunkelte und freudlose Miene hinein:

„Nicht einmal bedankt hast du dich noch bei der armen Mama und hat doch solche M�he gehabt mit deinem neuen Zimmer, hat sogar da wieder alles allein machen m�ssen.“

Samstag von f�nf bis sieben war Tanzstunde im Institut Cromb�e-Wokurka. Schon die Ankunft im Vorraum, ein kleiner Triumphzug f�r jede der sechs Elitesch�lerinnen. Vom Salonschreibtisch, vor den verschlossenen gr�nen L�den, erhob sich im Gaslicht Madame Cromb�e-Wokurka, und unter der Mahagoniper�cke fletschte ihr wunderbar falsches Gebi� schmeichelhaft Willkomm. An der T�r des Tanzsaales aber stand Monsieur Cromb�e-Wokurka selbst und seine Beflissenheit teilte vor einem die hopsende Plebs auf dem Weg zur kleinen Privatgarderobe der Auserlesenen. Er schwebte dahin wie der Ballon ihrer Babytage, denn sein Bauch schien lauter Luft. Aus ihm hingen die Beine herab mit krummen Lackschuhen als Gondeln. Ein leichter Auftrieb nur, ein Zephir, und er stiege zum Plafond, dort entlang zu bumsen, noch immer mit den F��en trillernd.

In der Garderobe a�en die sechs Bevorzugten dann selbstherrlich Orangen und Bonbons, indes das Anf�ngervolk drau�en in seinen Niederungen schwitzte, bis man es f�r gut befand, zu erscheinen und die hohe Paradeschule anhub: unechte Sachen auf der gro�en Zehe, ein kastrierter Fandango, dann Polnisches, Russisches, Schottisches, Indisches, Lappl�ndisches, Dionysisches f�r den Mittelstand.

Und doch war jeder dieser Samstage ein kleines Fest bis zum Tag des Skandals mit der Frau Binder um Ernas willen. Schon zu Hause mu�te sich Dunkles und Emp�rendes bei Binders abgespielt haben, denn von den Schwestern kam Erna, die halberwachsene, die nu�braune, sonnige, ganz verweint an, w�hrend Mimi, das kleine Aas, triumphierend die Mutter umschw�nzelte. Sp�ter ein Streit um ein Paar Tanzschuhe, Mimi, weil im Unrecht, quietscht um Hilfe, l�gt w�hrend der Tanzpause alles heimt�ckisch und verdreht der Mutter vor; die schleift Erna aus dem Kranz der T�nzerinnen, ohrfeigt sie klatschend unter Gekreisch vor aller Welt, Erna, zerschluchzend in Scham, st�rzt zur Garderobe, gr�bt den Kopf in den Diwan, riegelt sich ein.

Mitten unter beschwichtigenden M�ttern sitzt roh und feig das Binderweib. Oh, wie war diese Person widerlich! Als risse sie den ganzen Tag fanatisch Eingeweide aus H�hnerstei�en. Und das sollte Macht haben �ber menschliche Wesen?

„Sag’ Erna, sie hat herauszukommen — sofort hat sie herauszukommen, bring sie her, h�rst du, Sibyl?“

Eine Verbeugung, ein l�ssiges Gehen. Dann wiederkehrend, eine zweite tadellose Verbeugung. Dann eisklar vor Emp�rung — �ber alle angeborne Scheu begafftes Zentrum zu sein, hinweg — in die verlegene Stille hinein:

„Erna wird erst kommen, bis Sie, gn�dige Frau, sich anst�ndig betragen.“

Zu Hause erz�hlte sie, noch ganz im roten Nebel gerechten Zornes das Geschehene.

Da verschrob sich auf einmal wieder alles in dieser unberechenbaren Erwachsenenwelt, und sie sa� — wie damals im Wagen — best�rzt mit einem Bums selber in unabsehbaren Folgen: in einem Abgrund eigener Verworfenheit.

Man schlug die H�nde zusammen. „N�chsten Samstag wirst du �ffentlich in der Tanzstunde Frau Binder um Verzeihung bitten.“

„Aber Erna war im Recht, wir waren im Recht.“

„Ganz gleich, ein Kind wie du hat sich kein Urteil anzuma�en.“

Also Erwachsene durften sich unkritisiert Kindern gegen�ber das Gemeinste erfrechen! Nicht nur, da� man nie Recht bekam, hie� es auch noch sich knirschend, mit gestr�ubten Nerven gegen besseres Gewissen dem�tigen, denn tat man es nicht, wurden die Eltern schreiend und w�rdelos; das mu�te jedoch um jeden Preis verhindert werden.

Sie w�nschte Frau Binder oder sich bis Ende n�chster Woche gl�hend den Tod. Oder ging vielleicht die Welt rechtzeitig unter. Jetzt blieb nur noch ein Tag — eine Nacht — ein halber Tag. Schlie�lich die Hinfahrt. St�rzte doch ein Pferd! Br�che der Wagen! Gasse um Gasse, Eck um Eck kroch der Moment t�dlicher Schmach heran. Schon die Treppe! Kaltgr�nes Eis stieg das Mark hinauf, bittre Wasser quollen im Mund. Jetzt noch drei — zwei — eine Stufe; das Vorzimmer. Noch ein Hirnblitz Hoffnung: vielleicht fehlten Binders heute? Nein, dort standen schon die Galoschen. Keine Rettung — aus.

Die Qual dieses Samstags verseuchte alle die fr�heren, frohen — alle ferneren auch.

Aber konnte denn das schon das Leben sein? Diese unharmonischen Brocken, aufgereiht an einem Faden Angst. Sie gew�hnte sich, alles als unwirklich zu empfinden, als Fehler und irrer Vorhalt nur: lebte wie von einer fernen K�ste her, ganz in Silberd�mpfen der Phantasie. Lernte sich auch immer reiner und herber abgrenzen gegen das Vorl�ufige. Z�chtete sich ausschlie�lich dem Eigentlichen entgegen. Es hatte doch auch sein Gutes, so ein ganz alleines Ich zu sein, nur aus sich selbst heraus ver�nderbar. Da schlo� man sich zu und liebte blo� nach Wahl herein.

Zum Beispiel einen Barsoi.

Beim ersten Anblick des unvergleichlichen Tieres, das fremd und resigniert hinter seinem wiener Herrn schritt, geriet sie in tagelanges Entz�cken, bekam feuchte Augen vor der Harfe dieses Leibes, dem durchscheinende Rippen gleich Saiten anlagen, ruhte auch nicht, bis sie die eingezogenen Flanken des russischen Windspiels am eignen K�rper lebendig besa�. Eine �bung war dazu besonders gut: auf dem R�cken liegend, den Leib sichelf�rmig einsaugen, und in die Mulde das Gef�� mit den Goldfischen ausgie�en. Konnten die Fische dann in dieser Beckenschale, ohne Grund zu ber�hren, flossenschlagend umherschwimmen, war es in Ordnung und ergab am aufrechten K�rper den hei�erliebten Kontur! Wenn nicht, �nderte sie Nahrung, Bewegung, Atem, bis es wieder ging. Eine Kontroll�bung, nichts weiter.

Einmal bekamen die aus der Tanzstunde es zu sehen.

„Du bist �bertrieben,“ hie� es.

War etwas halbwegs wie es sein sollte, nannten sie es immer �bertrieben.

„Du bist eine eitle Egoistin“ und Olga, die trotz finniger Haut vom Fettk�se nicht lassen mochte, bl�hte sich: „Man mu� f�r andre leben. Ich werde f�r die Idee der Menschheit auf den Barrikaden k�mpfen.“

Sie probierte vor dem Spiegel eine Jakobinerm�tze aus rotem Seidenpapier ...

„Und �berhaupt kommt es auf die Seele an.“

Sibyl, die J�ngste, zog sich scheu und v�llig un�berzeugt in sich selbst zur�ck. F�hlte tastend: weil Olga zu schwach und faul ist, vom K�s zu lassen, dr�ckt sie sich an sich selber vorbei ins Gemeinwohl. Weil sie nicht die Kraft hat, die Menschheit zuerst einmal am eignen Leib zu vervollkommnen. Eine Watschelgans bleiben und darauflos begl�cken, wie billig; Seele? Eine saubre Seele, die noch nicht einmal imstande ist, sich eine reine Haut, edle Glieder zu machen.

„Ich glaube auch gar nicht, da� es den M�nnern gef�llt,“ sagte die gedunsene Valerie.

Wollte sie denn damit gefallen? Nein, in Ordnung sein, ganz einfach: wie geputzte Z�hne, polierte N�gel haben. Wozu deshalb Aufsehen und Getue? Merkte eigentlich immer erst an dem dumpf rindhaften Glotzen ringsum ganz j�h, wie wenig man dem nachfrage, was ihr wie Lebensluft: leicht und unentbehrlich.

Und verstummte dann meist; aus einem gro�en jungen Nebel von Scheu heraus, beinahe Scham. Mu�te denn wirklich jede Wahrheit, die einem durch und durch ging, immer erst noch oben in diesem negligablen Sch�lchen Gro�hirn zu Argumenten gerinnen, damit sie gelte?

Waren Diskussionen nicht entweder vergeblich oder �berfl�ssig? Sp�rte irgendwie beweislos, gleich einem Axiom: „so lang in meinen eignen Weichen noch ein Gran Fett, also: Tr�ges und Gemeines sitzt, ist es einfach eine Frechheit, die B�rde der Selbstvollendung in Form von Gemeinwohl von sich abtun zu wollen.“

Seit dem Malheur mit dem deutschen Aufsatz war es mit den „ablenkenden“ Spielen im Garten bei Butz und Iblis ziemlich aus.

„Das schickt sich nicht mehr f�r ein so gro�es M�dchen,“ hie� es, „dieses Herumkugeln auf der Erde mit den Tieren.“

Niemand aber konnte sie hindern, daf�r t�glich beim Durchfahren des Hofes die Schultern des bronzenen „Eidechsent�ters“, den Papa in der Fabrik hatte nachgie�en lassen, inbr�nstig in sich hereinzulieben. Das J�nglingsfreie, Feenfreie dieser Schultern, wie eines gefl�gelten Wesens, gl�nzte ihr jedesmal ins Herz, bis sie es auf geheimnisvolle Weise mitversponnen in ihr Blutnetz, durch eine Art von nun an das Haupt zu tragen, sich zu recken, wenn sie laut Pindar vor sich hinsprach.

Aber eigentlich war auch das noch nichts. Genau wie das Matterhorn konnte alles immer doch noch besser sein, sogar in seiner eignen Linie und: „in mir mu� es besser werden“ ward zur Mission. Die harfenden Flanken des Windspiels, das Ruhen der Katze, das �ugen des Rehs, die Fl�gelschultern des praxitelischen Knaben; alles nur zu durchlernende Stadien, Mittel, um selbst das „Noch-nocher“ zu werden. Hie� „leben“ denn nicht einfach die Verpflichtung, eine neue Vollkommenheit in sich k�rperlich zu machen?

Alle seine Ideale direkt in die Materie zu s�en!

Sich wie ein k�stliches einmaliges Gef�� zu halten, dessen Schale nicht verbeult, dessen magischer Inhalt nie verunreinigt werden durfte.

Weit und breit tat’s ja keiner sonst, und um Himmels willen: endlich mu�te doch etwas geschehen. So ward dieses junge Wesen, da es um sich keinen Idealtypus ausgebildet vorfand, gezwungen, die eigne Pers�nlichkeit �berwertig werden zu lassen, beinah weinend manchmal in seines Herzens Andrang.

Die Eltern aber sa�en Tag um Tag nach Tisch bei ihrem ewigen stumpfen Schach. Herausschreien h�tte man sie m�gen aus ihrem Schach.

„Ich, ich, ich bin noch ein unl�diertes Exemplar! Un—l�—diert —, h�rt ihr! Noch ist nichts verdorben! Nicht helfen, oh Gott, nur hindern sollt ihr mich wenigstens nicht! Bitte, bitte nicht!“

Alles in ihr b�umte sich auf gegen die freudlose Routine, die verfaulten und schauerlichen Kindereien der Erwachsenenwelt. Wie war das Alter widerlich und ver�chtlich. Ohne Selbststrenge in seinem m�rben Fleisch! Ein Weltbeben — w�rde doch der Sirius einmal explodieren — mitten in den schwarzen Kaffee und mitten hinein ins Schach!

Die Eltern sahen immer ratloser diesem Giraffen- und Windspielwesen zu, das kerzengrad, erbittert, stumm und �ber die Ma�en wunderbar von ihnen wegwuchs. Es selbst aber ward jammervoll herum geworfen zwischen Schwachmut und Hochmut. Denn nichts ersehnt ja ein feinerer Mensch inbr�nstiger, als nur Ebenb�rtiges um sich zu haben; mehr noch: sich hinbreiten d�rfen vor etwas, das besser ist als er. Gl�cklich nur in einer Welt, die ihn zum guten Durchschnitt reduzierte. Denn der sinnlich Wohlgeratene mag auch nur wieder Wohlgeratenes um sich dulden, anderes tut ihm zu weh in seinen Augen. Wer dagegen die Inferiorit�t seiner Umwelt mit befriedigter Eitelkeit, statt mit Qual und Scham konstatiert, geh�rt ihr selber zu, und ein �berlegenes solange h�misch umlauern, bis man gl�cklich einen Fehler, eine L�cherlichkeit, eine Schw�che daran entdeckt zu haben meint, ist untr�gliches P�belmerkmal.

So wehrte sie sich qualvoll immer wieder, ihr Anderssein als H�hersein werten zu m�ssen. Vielleicht war alles falsch? Vielleicht lie� es sich doch noch abgew�hnen, oder ein Schleier wuchs einem vor den Augen, den allzu klaren, man sah nicht mehr wie kalt, unrein und tr�ge die Welt ringsum war.

Erst vor der Wahrheit ihres vierzehnj�hrigen Aktes sank jeder Zweifel dahin. Hohe zarte Beine wuchsen aus allen Kleidern heraus, hoben sie h�her, immer h�her �ber Morast und Mob, lange Schenkel spiegelten durch die Scheu�lichkeit aller Moden hindurch. Voll Ehrfurcht stand sie im Springbrunnen ihrer Glieder: dem h�ftenlosen Strahl aus Milch und Silber. Wo er an den Fl�gelschultern in die Arme niederflo�, dort oben spielten in ihm zwei winzig harte Kiesel, von paradiesischen Wassern hochgeschliffen. Das M�dchen-Kind aber trank sich, berauschte sich mit zitternden Wimpern an diesem verwegenen, makellosen Strahl, zu dem es „ich“ sagen durfte.

Und war von nun an nicht mehr gemein zu kriegen.

Aber warum, um Himmels willen, sollte man denn nicht so, ganz so, durch die Welt jubeln und alle rufen und ihnen diese ungeheure Freude immerw�hrend in ihre Augen schenken? Nicht einmal Papa sah es richtig und Mama verstand ja nichts davon.

Damals erweckte sie die erste grenzenlose Hingebung und beging die erste �berfl�ssige Infamie.

In drei Zimmern, voll geretteten Strandgutes aus Lebensschiffbr�chen, wohnte Madame Paola Swoboda n�e comtesse de Noailles „le�ons de conversation et litt�rature fran�aise“. �lige Korkzieherl�ckchen hingen ihr, gleich der Kaiserin Josephine, in die alternde Stirn. Aus dieser wieder hing an einem d�nnen Stiel mit Zwicker eine gedunsene Nase herab. Gro�, w�rfelf�rmig und unendlich einsam sa� sie den ganzen Tag vor der einen Seite des L�schblattes. Auf der andern sa� jede Stunde ein andrer Frischling dieser verachteten Tribus und zergrunzte die adorable Sprache Racines und Moli�res. Auf das L�schblatt selbst aber malte w�hrend der Lektion die schmale alte Hand mit dem Rotstift unaufh�rlich Schn�rkel, wie aus einer bessern Welt. Ganz aus dieser besseren Welt her�bergerettet schien nur der kleine Finger mit dem wunderbar geschliffenen Nagel. Sie hielt ihn immer �ngstlich weggestreckt vom Vierten und seinem Doppelreif der Witwenschaft, nach einem �sterreichischen Leutnant Swoboda aus Greislerblut. Eine romantische Seebad- und Entf�hrungsgeschichte. Epilog: „le�ons de conversation et litt�rature fran�aise,“ den ganzen Tag. Nur die Stunden vor und nach Sibyls Lektion blieben leer. Ein kleines Fest der Distanz zu Ehren der Lieblingin. Kein andrer Sch�ler durfte ihr Kommen kreuzen. Das bedeutete acht Stunden entgangenen Honorars pro Woche. Aber was machte es, sa� nur dort wieder das Zauberkind mit den Zykadenbeinen und man durfte aus seinem Mund die eigne geliebte Sprache h�ren. Eine Blume, ein Bonbon bezeichneten stets die Stelle, wo weiterzulesen war. Sp�ter zerbrach sie sich ihren lieben alten Kopf, immer seltenere Proben der angebeteten Kultur aufzust�bern und war gl�cklich, wenn etwas davon, so so — la la vor dem hellen Giraffenkitz ihr gegen�ber Gnade fand.

Dieses nahm der Madame Swoboda daf�r ganz en passant den lieben Gott weg und schenkte ihr zu Weihnachten, an seiner statt, einen leider ganz verlausten Papagei. Die alte Comtesse hatte ihr Leben lang den lieben Gott geliebt und Papageien geha�t. Nun gab sie klaglos Gott dahin, weil die Lieblingin sich einmal mi�billigend �ber die Unsterblichkeit ge�u�ert und schlo� das ganz verlauste Paperl mit Entz�cken in ihr gro�es, zartes, brennendes Herz. Blusterte sich „Coco“, w�hrend der Stunde auf ihrer Schulter hockend, auf, streifte sein Brustflaum nur ihre Wange, traten ihr schon Tr�nen der Z�rtlichkeit in die Augen: „ch�rie ador�e“, und sie ber�hrte sein K�pfchen mit den Lippen.

Eines Tages traf Sibyl die Franz�sin recht niedergeschlagen. Eine Todesnachricht.

Mon oncle, qui �tait toujours si bon pour moi.

Nun entfiel der monatliche Zuschu� aus Paris. Zwar war sie im Testament bedacht worden, doch bis alles erledigt, konnte der Sommer vergehen, man sa� da in der hei�en Stadt, konnte ohne Bargeld nicht aufs Land, trotz der Erbschaft.

„Wie unangenehm,“ sagte Mama, „nun ja, wenn du dein Erspartes daf�r hergeben willst? Ich werde es ihr anbieten, als k�me es von Papa und mir.“

Im Herbst war noch immer nichts erledigt. Madame Swoboda erbot sich, das Darlehen in Form von Lektionen abzutragen. Die Eltern nahmen an, wiewohl es Sibyls Taschengeld gewesen. Immer bedr�ckter wurde es in den drei Zimmern. Die Miterben hatten das Legat angefochten. Advokaten fra�en den Rest. Malheur mit Sch�lern kam dazu. Noch einmal half Sibyl heimlich aus mit allem was sie hatte. Heimlich, denn daheim war Panikstimmung. Das b�rgerliche Gespenst des Angepumptwerdens ging schlotternd im Hause um. Papa stand wie vor einem Abgrund, bewegte stumme Lippen gegen einen unsichtbaren Bel�stiger, sch�ttelte dabei geniert und sauer das Haupt. Bei Mama war es direkt ein kopfloses Grauen, ganz wie im Theater, um vor Schlu� rechtzeitig die Garderobe zu erreichen. Noch bei offener Szene dr�ngte sie da, wie eine Gejagte, zum Aufbruch. Von der Mitte des letzten Aktes an war an sorgloses Zuh�ren nie mehr zu denken.

Einer eventuellen neuerlichen Bitte um ein Darlehen vorzubeugen, wurden die franz�sischen Stunden abgebrochen; Vorwand: eine Reise. Wie vom sinkenden Stein die fliehenden Wellenringe, zog es sich jetzt von Madame Swoboda zur�ck. Warum eigentlich? Diese tolle und bedrohliche Erwachsenenwelt war immer voll solcher Sachen. Einmal gab Papa etwas wie eine vernichtende Erkl�rung daf�r ab.

„Sie mu� schon vorher vom Kapital gezehrt haben.“

Das klang wie: „seine eigne Gro�mutter gefressen haben“. Oder wie die S�nde wider den Heiligen Geist: auf alle F�lle das einzig wahrhaft Uns�hnbare je und je.

Dennoch — dieser Abbruch schien zu unanst�ndig — schickte Sibyl nach einem halben Jahr ein paar h�flich liebe Zeilen, versprach einen Besuch, verschob ihn dann immer wieder unter der latenten Suggestion, verga� schlie�lich ganz. Nach Monaten kam ein Weheschrei:

„ch�rie ador�e,

pourquoi me faire autant souffrir? Quel supplice que cette attente!“

Aus Scham z�gerte sie nun erst recht. Scheute diesmal das Aufgebauschte der ganzen Situation. Wieder nach einem halben Jahr war Madame Paola Swoboda n�e comtesse de Noailles still, arm, einsam gestorben.

Die erste �berfl�ssige Infamie. Das kam davon, lie� man sich von Erwachsenen auch nur halbwegs in etwas wie Beeinflu�barkeit hineindupieren und �berhaupt: „vom Kapital zehren“ konnte gar nicht so wie etwa „die Gro�mutter auffressen“ sein, gleichen Jahres tratschten es die Leute in der Sommerfrische doch auch von Papa. Allerdings war das Mamas Tun. Frucht ihrer zitternden Andeutungen von dubiosen Bergwerksunternehmungen. Gedr�ckt und machtlos schlich sie dahin: eine hilflose Frau eben, mitgerissen in den Ruin des halsstarrigen Gatten.

„Ich darf ja nicht klagen,“ klagte sie der Tochter — dann bitter: „es ist ja sein Geld.“ R�chte sich so, halb unbewu�t, durch Kleinheitswahn f�r die peinliche �berlegenheit des erfolgreichen Gef�hrten, statt die Vorteile seines Arriviertseins froh mitzugenie�en. Meisterin nur in einer ehelichen Kunst: „l’art d’�tre martyre.“

Ja, er hatte wirklich Verluste gehabt, Bruchteile seines j�hrlichen Einkommens betragend, lie� es aber aus �rger oder Schw�che schweigend zu, da� reine Sparorgien anhuben. Sibyl angesteckt, getraute sich kaum mehr zu essen. Es war ein stillschweigender Ehrgeiz zwischen Mutter und Tochter ausgebrochen, die Rechnung im Restaurant t�glich zu verringern, auf ein l�cherliches Minimum zu reduzieren; schlie�lich a� man nur mehr jeden zweiten Tag zu Abend. Die Sommerg�ste stutzten. In gleichen �ngstlichen Wellenkreisen, wie vor Madame Swoboda, wich es jetzt vor ihnen zur�ck.

„Sie f�rchten sich, wir k�nnten sie um Geld angehen,“ und Mama rang die H�nde im Scho�, mit der Miene verschlagenen Jammers. Dann begann sie zu weinen.

Dieselben Leute waren sp�ter ehrf�rchtig erstaunt, in der Stadt, anl��lich eines Blumenkorsos, in ein Privatpalais mit gro�em Park und angrenzender Fabrik geladen zu werden, mit Stallungen, Wagen und Dienerschaft. Auch Sibyl sch�pfte wieder Mut: „das alles geh�rt doch Papa.“

Die Mutter, in der Not der fast ertappten Hysterischen, tat geheimnisvoll. Dann schadenfroh fl�sternd:

„Im Haus ist doch der Schwamm.“

Der Schwamm! Sibyl meinte f�rmlich zu sehen, wie ihr Heim aufrechten Leibes verweste, eines sch�nen Tages aus den Grundmauern heraus zu stinkendem Brei zerfiel, vor dem man ratlos auf der Stra�e sa�.

Durch den gro�en Organismus dieses Haushalts lief immer Geiz in Krampfadern. Im Licht von vierzig Gl�hlampen ward am Z�ndh�lzchen gespart. Wunderliche Hemmungen im Hausherrn selbst. Starre, Schw�che, Wahn, ihm anhaftend aus enger Jugend, lag dem allem zum Grunde. Ein Ku�, ein Scherz, anmutiger Spott h�tten diese Restbest�nde vielleicht l�chelnd aufgel�st, so aber verbreiterte sie das karikierende M�rtyrertum seiner Frau wie mit Scheinwerfern �ber das gemeinsame Leben. Schon stumme Duldung einer Ersparnis wurde zu stummem Befehl umgedeutet, dem man mit leidender Beflissenheit zuvorkam, wie um weit �rgeres auf diese Weise eben noch abzuwenden. Seine intimsten Irrwege fand er solcherart immer schon vor seiner Nase zu Chausseen ausgebaut; was Wunder, da� er sie mechanisch weiterging.

Einer alten nordischen Stadt entstammend, war er als Erster aus der Geschlechterkette von Gelehrten, Staatsbeamten, �rzten, erobernd herausgetreten, in der Fremde die langgez�chteten F�higkeiten lukrativ als Erfinder und Unternehmer zu verwerten. Kulturell Patrizier, materiell Parven�, blieb der reine Ruf seines Blutes der Kargheit zugewandt, sein starkes k�nstlerisches Sehnen aber brach sich am Weltpovel dieser ganz von Gott verlassenen siebziger und achtziger Jahre. So schnellte er auch aus Trotz zuweilen wieder in die Kargheit zur�ck.

Ein j�hzorniger, steckengebliebener Weltherr, dessen m�chtiger nordischer Same durch den nichtigen Leib seiner h�bschen Frau hindurchgeschlagen hatte, als w�re sie Nur-Gef��, um in einem einzigen Kind geheimnisvoll sehns�chtig sich selbst zu „�berzeugen“. Oder r�hrte die Entstehung dieses Wesens schon an das Geheimnis, wo die Natur pl�tzlich zu „springen“ anhebt: fecit saltus. Das Beispiellose aus sich heraufwirft in einer generatio spontanea als neue Art, wie es im Reich der Pflanze sich zu offenbaren beginnt? Ma�los f�r dieses Sp�tgeborne war seine Eitelkeit, seine Liebe und sein Unverstand. Gewaltsam, instinktirr, barbarisch und sentimental dilettierte er an ihm herum. Entfachte Diskussionen, um seinen Stolz in dem leuchtend frischen Hirn zu sonnen, zugleich mit seiner Tyrannei, denn nahm die Polemik eine andre Wendung als er vorausbestimmt, oder ward er gar selbst in die Enge getrieben, verbot er seiner Tochter einfach den Mund, und um so heftiger, je hohler der formale Vorwand:

„Genug — kein Wort mehr — ein junges M�dchen hat sich nicht so apodiktisch zu �u�ern, das wirkt unbescheiden und absto�end.“

Wie sie als Kind nicht hatte weiterfragen sollen als er wu�te, so jetzt nicht weiterwissen als er frug. Emp�rt tat sie unter so unfairen Bedingungen nicht mehr mit, lehnte Diskussionen schweigend ab, oder gab ausweichende Antworten. Nun verfiel er darauf, sie bei Tisch, wo Flucht schwieriger war, systematisch so lange zu reizen durch h�mische Angriffe auf gro�e moderne Geister, die er nicht kannte, aber mi�billigte, bis sie in zitternde Worte ausbrechend, sich wieder fangen lie�; denn hier war das ja anders als mit denen in der Tanzstunde; Papa wollte man nicht so ohne weiters aufgeben, wenigstens nichts unversucht lassen, ihn doch noch zu heben, zu entwickeln. H�tte es nur nicht immer gerade bei dieser barbarischen, gemeinsamen Esserei sein m�ssen, mit ihren trivialen Vorw�nden zum Unterbrechen:

„Die Leber vielleicht etwas brauner r�sten, das n�chste Mal ...“ oder:

„Nimm noch von der Paradeissauce.“

So trieb dieses verha�te, nichtige Erwachsenengew�sch stets Keile quer in die Gedankenrichtung hinein: gerade wenn man mit gl�henden Ohren im K�hnsten und Herrlichsten gewesen.

Reitstunden begannen. Der Pferder�cken wurde Ziel ihrer noch diffusen jungen Sinne. Ein Gef�hl kam sie da an von G�ttlichkeit, wenn ihr liebkosender Wille allein, ohne Hilfen durch Ferse oder Hand, �bersprang als sch�umender Galopp in die gro�e fremde Kreatur, die zitterte, bis das Fell der Kruppe zu gl�nzen begann wie reife Kastanien. Und der Sturm des Sprunges erst. Wie war das sch�n! Sein triumphierendes Arom nach Tier, Lohe, Leder, H�rde, nach verdichtetem Fr�hlingswind.

Man grinste: „Reiten! Nat�rlich. Will sich einen Grafen fangen, die kalte Streberin!“ Der Stallmeister verschwor sich, seit der Kaiserin Elisabeth sei so etwas an Begabung nicht dagewesen, drang auf hohe Schule, gab sein Bestes. Der v�terlichen Eitelkeit jedoch gen�gten ein Dutzend Ausritte pro Saison, um in den gro�en Alleen angestarrt zu werden. Weitere Abonnements wollten erbettelt sein, gaben ihm dann das Recht, war er gerade schlechter Laune, zu rohen Anspielungen, die Kosten und dubiose Rentabilit�t einer Tochter betreffend. Da kam es wieder �ber sie wie am zw�lften Geburtstag bei der Zimmereinrichtung: alles oder nichts. Kein Kompromi�. Und gab das Reiten auf. „Undankbar und unbescheiden“ nannte es Papa.

„Man sieht Fr�ulein ja gar nicht mehr zu Pferd?“ frugen die Herren aus dem Tattersall, freudig Unrat witternd.

„Es langweilt mich,“ log sie, dem Weinen nah, um Papas Sch�bigkeit zu decken, pre�te die N�gel dabei ins Fleisch vor Schmach.

Man sch�ttelte die K�pfe:

„Nein, was dieser Backfisch schon blasiert ist!“

„Und wie unertr�glich affektiert,“ erg�nzten die Damen. „Schauen Sie sich nur diese Bewegungen an.“

Und man schnitt mit triumphierendem Daumen l�ngliche Biskuits von idealer Schlichtheit in die Luft. Optimisten meinten zwar: „vielleicht w�chst sich das noch aus.“ Hielten sich mehr an Milch und Silber der siebzehnj�hrigen Blondheit, denn wiewohl sie abf�llig gereizte Erregung auszul�sen begann, gab man nichts verloren. Vielleicht lie� sich dieses unbequeme Ph�nomen, tat man ihm sch�n, doch noch meuchlings — schmeichlings — zu dem degradieren, was hier gefiel, oder das Unfixierte an ihm war wenigstens noch herunterzuretten ins Rasselose.

Fern wie ein Birkenwipfel sah das M�dchen-Kind �ber das alles hinweg, dachte nur erstaunt:

„Wozu ern�hren sich eigentlich die Leute? Schade um alle die Engel von K�lbern, den herzigen Salat, von den Radieschen ganz zu schweigen. Das ist doch wie es liegt und steht bei weitem erfreulicher als der Zellhaufen: Regierungsr�tin Dostal, oder Herr von W., oder Frau Dr. K., in den es sich dann umsetzen mu�.“

Eines Tages erschienen ein paar Herren in Hof und Stall. Besichtigten alles, verma�en alles; in der Mitte ein Ausgemergelter mit Geierschnabel und sch�ngebogenen, harten Krallen: Pferdegraf und K�ufer der Realit�t. Zimmer, Statuen, Garten k�mmerten ihn wenig, schlief und a� ja doch mit den Ro�knechten im Heu. Aber ging es aus, im Hof die Viererz�ge zu wenden, deren er vierzig hielt? Darum drehte sich alles. Ja, es ging aus. Mama schlich, die Faust an den Mund gepre�t, herum.

„Wenn er nur nicht dahinterkommt, da� der Schwamm im Haus ist.“

Nach Monaten noch konnte sie ganze Nachmittage unter Angst setzen, von Schadenersatzprozessen schw�rmen, denn: „Schwamm br�che Kauf.“ Ihre ewigen Klagen �ber Kosten und M�hsal so gro�en Haushaltes hatten schlie�lich den Gatten vermocht, sich von dem geliebten Barockschl��chen Hildebrandts zu trennen. Nun konnte ihre Tyrannei der Schw�che den �berragenden Mann und das viel zu herrliche Kind in eine Mietwohnung ducken. Schwammersatz w�rde sich schon finden lassen.

Sibyl, in verkrampften N�chten, gab sich zum ersten Mal ganz der Onanie des Leidens hin. Kein Eigenheim: also kein Reh, keine Katze, keinen Garten: keinen Fleck Leben mehr! Man grinste:

„Jetzt ist es wenigstens aus mit der ewigen Tierschinderei. Soll ja da eine ganze Menagerie gewesen sein.“

„Was, Sie wissen nicht? — Aber das ist doch stadtbekannt. Ins Wasser geworfen, gepeitscht, gebraten hat sie die armen Kreaturen ... h�userweit war’s ja zu h�ren ... und auch sonst noch ... Die Frau Regierungsrat Dostal, die doch danebenwohnt, hat erz�hlt ... na, ich sag’ Ihnen ... mit dem gro�en Hund ... Sie verstehen.“ Die Herren zwinkerten. Die Damen konnten es gar nicht fassen, lie�en es sich denn auch immer wieder erkl�ren und sinnf�llig dartun.

Papa brummte, es w�re ihr ja freigestanden, weiter hier zu wohnen, als Herrin sogar. Der neue Besitzer hatte sie zu Pferd gesehen.

Da hob das M�dchen-Kind, statt aller Antwort, nur ein ganz klein wenig die Brauen, im unbesieglichen Hochmut einer Siebzehnj�hrigkeit, die sich nur von der Phantasie bespringen l��t. Dieser Ro�mensch? Der fuhr mit seinen Viererz�gen doch irgendwo ganz drau�en, vor dem Leben herum! Geh�rte noch gar nicht zum „Eigentlichen“, ein fehler und irrer Vorhalt, wie das �brige.

Ihr unruhig schlafendes Blut aber tr�umte davon, alles W�rdige zu umarmen: G�tter, Tiere, Ideen, Taten. Einer Dreieinigkeit aus Dionysos, Buddha und Newton hob es sich springrot entgegen, mit Hilfe des alten „Noch-nocher“ aus der Babyzeit: noch h�her, geschmeidiger, weiser, gl�hender, reiner werden. Dieser Trieb nach Reinheit, bis in die entlegenste Minute hinein, begann ihr etwas von einem jungen Gralsritter zu verleihen. Von diesem lichten Doppelg�nger kam ein befl�geltes Schreiten, eine Schwerelosigkeit an den Grenzen der Flamme, des Schleiers, der Welle. Auch im Stra�enschmutz sollte der Saum des Schuhs noch ohne Makel bleiben.

Doch sie war so ein ganz alleines Ich — nicht hilflos — aber ohne Hilfe und begann daher allm�hlich aus jenem vollkommenen Zustand der Gnade zu fallen, als welcher allein das reine Befolgen des Instinktes ist; wollte jetzt wissen, warum sie recht hatte, suchte nach Gr�nden, letzten Endes also nach einem Rechthaben vor der Welt, somit leicht angesudelt.

Es war eine Philosophie der Schlankheit, die sie sich da zurecht gelegt hatte: Das Wesen des Lebens sei Bewegung. Bewu�te, aus Innervationen erflie�ende Bewegung, im Gegensatz zum Toten, das sich nicht bewegen k�nne ... Demnach m�sse alles Dichte, was der Durchflutung mit Geist entgegenstehe, als fehl empfunden werden, vollendet hingegen jener Kanon der Glieder, der die leichtest zum Ziel strebende Bewegung erm�gliche ... also Langbeinigkeit, Schlankheit (gr��te �bersetzung bei kleinster Speichendicke) ... Das Lebendigste, jenes, in dem der Geist als Anmut schwinge, wie im Wimpel der formgewordene Wind. Fett sei demnach eine schwere Erkrankung oder ein Charakterfehler. Im Wohlgeratnen m�sse es unaufh�rlich restlos zu Temperament verbrannt werden.

Nicht aus ihm, nicht aus wucherndem Bindegewebe wollte sie bestehen, sondern aus Tausenden winziger Herzchen: den Muskeln, deren jedes das Leben wirkt.

Der ganze K�rper eine Herzprovinz!

Man grinste nicht mehr. Von nun an war sie irgendwie eine dauernd Angeklagte, begann wie Scheidewasser auf ihre Umwelt zu wirken: wer etwas Sch�nes hatte, mu�te es ihr geben, der Gemeine sein Gemeinstes an ihr auslassen.

Mit gez�ckten Operngl�sern setzte man sich vor diesem anhebenden Leben zurecht, wie im Theater vor einer Skandalpremi�re, hielt auf alle F�lle das Schamgef�hl parat, in der Hoffnung, es gr�blich verletzt zu finden.

Das M�dchen-Kind begriff nicht. Vor ihr war immer zwinkernde Beflissenheit, drehte sie den R�cken, flog es wie feige Bestien ans Gitter, sie f�hlte das mit einer Art emp�rter Best�rzung, bekam etwas Steiniges und w�re so gern weich, sonnig und h�flich gewesen.

Mama hatte keinen rechten Schwammersatz finden k�nnen. Suchte endlich in sich selbst, st�berte eine beginnende Stoffwechselerkrankung dort auf und begann sie mit Hingebung auszubauen.

Das Leben wurde zur B�hne der Dekrepidit�t.

Unkontrollierbare Schmerzen brachten Gatten und Tochter um den Schlaf ihrer N�chte. Die freie Hand �ber einen Stock verkr�mmt, hing sie sich im schnellf��igen, bewegungshungrigen Mann fest, machte ihn durch die g�hnenden G�rten der Kurorte schleichen bis er, psychisch hilflos wie ein Bernhardiner und voll Engelsgeduld, sich jedes normalen Lebenstempos zu sch�men gelernt. Auf der andern Seite trug Sibyl mit h�ngenden Fl�gelschultern Plaid und Luftkissen. Pl�tzlich klagte es vorwurfsvoll durch die wehleidige �de:

„Heitre uns auf. Jugend ist zum Aufheitern da.“

Besonders hinf�llig gestaltete sich stets der Eintritt in Speises�le, mit Stehpausen aus verbissenem Schmerz. Scharf gr�n blieb ihr Blick dabei auf jede Miene des Gatten zentriert — wehe wenn er zuckte. Dann weinte sie oben der Tochter vor:

„Er geniert sich. Es ist ihm peinlich, mit einer Leidenden gesehen zu werden.“

Hinter dem R�cken des Einen verleumdete sie den Andern. Kam es heraus, steckte sie sich hinter den Arzt: „Was, einer Kranken Vorw�rfe.“ Stets schlau bedacht, beides zu genie�en: die Rechte der Vollsinnigen zugleich mit allen Vorteilen der Unverantwortlichkeit. Die Nachteile blieben den andern. �ber jeder lebendigen Regung hing als Damoklesschwert die Herzlosigkeit, und nie h�tte der Mann es wagen d�rfen, sich der unappetitlichen Fron des ehelichen Schlafgemachs zu entziehen, in dem seit Jahr und Tag f�r ihn weder Ehe noch Schlaf war.

Sie kannte Sibyls Ha� und Verachtung f�r Frau Binder, seit der erzwungenen Abbitte im Tanzinstitut, und es gelang ihr unschwer, sich in die manische �berzeugung hineinzusteigern, nur im Hause Binder k�nne sie gesunden. Man solle die edeln, g�tigen Menschen um Gottes willen anflehen, sie auf ein paar Monate als Gast aufzunehmen — mit Sibyl nat�rlich — ohne ihr einziges Kind ginge sie zugrund. Dieses knirschte vor Verzweiflung, solch bornierten und anma�enden Spie�ern zu Dankbarkeit verpflichtet zu werden f�r alle Zeit, sie, die von niemandem, den sie nicht mochte, auch nur eine Handreichung annahm, oder das Odium des Muttermordes auf sich laden!

Das alles geschah weniger aus Boshaftigkeit, als um der eignen Person gesteigerte Bedeutung zu erschleichen. Da sich die Effekte abstumpften, griff sie mit der Zeit naturgem�� zu immer bedenklicheren Mitteln, ihre Lieben in Angst und Friedlosigkeit aufgescheucht zu halten. Schlie�lich blieb nur noch die Todeskoketterie wirksam �brig. Eines Tages sagte sie Datum, Stunde und Minute ihres Hinscheidens genau voraus, arrangierte das Szenarium, wies jedem seine Funktion zu. Sibyl wurde, als die Zeit kam, mit einem Batistt�chlein hinter den Lehnsessel postiert, ihr den Todesschwei� von der Stirn zu wischen, doch eben im Begriff, sich in ein wohlgeratenes Herzkr�mpfchen hinaufzusentimentalisieren, ergab es sich, da� man heimt�ckischerweise die Uhren falsch gestellt, sie um ihre Todesstunde geprellt hatte.

Endlich eines Nachts versuchte sie es mit Veronal. Sah schon die „sc�ne � faire“ vor sich: andern Tags die zwei B�sen, Freien, zerknirscht vor dem Bett ins Knie gebrochen und sich selbst von den herbeigeeilten �rzten gest�tzt, noch schwach aber unendlich r�hrend, die Lippen bewegen:

„Ich wollte fort. Ich bin euch ja doch nur zur Last.“ Und ohne Worte, nur mit stummem Blick, um die �belt�ter vor dem Personal zu schonen: „So weit habt ihr es gl�cklich mit eurer Herzlosigkeit gebracht.“

Sie vergriff sich aber in der Dosis — nahm genug. Der Vorhang hob sich nicht wieder.

Es war nach dem Trauerjahr, bei einer gro�en Teegesellschaft. Da trat ein Mensch zur T�r herein. Niemand kannte ihn. Um niemanden k�mmerte er sich. Ging pfeilrecht mit nachtwandlerischem L�cheln auf Sibyl zu und blieb vor ihr stehen. Nicht wie einer, der etwas zu sagen, sondern zu h�ren kommt.

Er war jung, gradhaarig, schm�chtig, doch von der verdrechselten Knorrigkeit van Eyckscher Engel, wie mit einem trotzigen Feigenblatt geboren. Aus der Haut einer Hostie sahen Augen des Illuminaten. Das Zahnbein war schlecht. Der Anzug unauff�llig korrekt.

Johannes der T�ufer im frock coat? Aber sie war versch�chtert, ja, ersch�ttert von dieser z�hen Gradheit. Angelus: der Bote fiel ihr ein. Frug schlie�lich, als er unbek�mmert weiter schwieg:

„Was kann ich f�r Sie tun?“

„Es w�re eher an mir, so zu fragen, da ich zu Ihnen entboten bin.“

Er sprach herbe schlesische Mundart. Die Silben kollerten als kleines Urgestein aus seinem jungen Mund, der dabei eckig anzusehen wurde. Dieser Fremdling stand da — wie aufgetaucht — beladen mit den Morgengaben einer unbekannten Tiefe vor ihr, als sei sie die einzig lebendige Seele in der ganzen Welt. Er kl�rte nichts auf. Manches ergab sich, erriet sich, andres blieb: ein dunkler Reiz. Sie sprachen durch Stunden. Die Leute ringsum zogen am Rand ihrer Sinne in einem ganz andern Medium dahin, wie in den Wasserw�rfeln der Aquarien bewegter Schleim zieht. Er machte sie sp�ren, sie sei beh�tet, irgendwie auserkoren, von geistigen F�hrern erwartet. Er, deren Bote und Mittler nur. Worte wie Sterne fielen auf sie nieder, von herber dunkler Glorie. Sie fing ein Jegliches mit dem Herzen auf, denn ihr Hunger nach Seele war sehr gro�.

Gabriel Gruner hie� der Fremde — nein: der Bote.

Wieder schossen die Silberd�mpfe der Phantasie auf. In Tag- und Nachttr�umen warf sie sich hinein. So gab es doch eine magische Br�cke ins „Eigentliche“! Gab Schl�ssel, die Reich auf Reich erschlie�en durch verborgene Kr�fte im Menschinnersten selbst!

Mit seinen Holzschnittgeb�rden, mehr als mit Worten, hatte Gabriel Gruner an all das ger�hrt. Wie von fern, unnahbar der Rede, mystische �bungen angedeutet, die den K�rper so von innen heraus verwandeln sollten, da� lebendige Zeichen am Fleische sich bildeten: Marksteine gleichsam auf der Vergottung Pfad. „Und sehen sein Angesicht, und sein Name wird an ihren Stirnen sein.“

Nie hatte sie Bibelworte so sprechen geh�rt. Seine Art ragte wie ein Magnetberg herein in den seichten Aufkl�richt, die passive Intelligenz, den Unernst ringsum. Da sagte einer dies, der andre das — keiner sah aus wie das, was er sagte.

Endlich ein Ausweg. Loszukommen aus dem Leben ohne Tod. Ohne das heilige junge Gebilde zertr�mmern zu m�ssen, das sie beh�ten durfte, und dessen Kniekehlen ihr verehrungsw�rdiger schienen als das Himmelreich.

Doch in welch eine Existenz war es gefallen. So voll Sonnigkeit sein und immer hinter innerlicher chinesischer Mauer, immer aus Notwehr in die Isolierzelle des Niveaus gesperrt bleiben m�ssen. Nur mit zusammengebissenen Z�hnen war es eben noch zu ertragen gewesen. Aber konnte man denn anders? L��t sich in kaltem Eiter atmen? Wo alle ihre verfaulten Jugendw�nsche wie petrefakte F�tusse in sich herumschleppten, boshaft geworden an ihren feig verhaltenen Fr�chten! Fliehen mit dem geretteten jungen Seelenleib aus solcher Welt. Wie leicht mu�te es sein, ganz auf sie verzichten.

Und Sibyl nahm sich Gott vor, mit �berspringung aller Zwischenstufen.

Sprang Gott an wie eine junge L�win. Bei IHM w�rde man endlich in Reinheit geborgen sein, denn: „Da wird nicht hineingehen irgendein Gemeines und das da Gr�uel tut und L�ge, sondern die geschrieben sind in das Lebensbuch des Lammes.“

Eigentlich w�re ihr ein andres Tier und Kraftsymbol lieber gewesen. Nun also gut: „Lammes.“

H�tte auch gerne den Boten befragt, warum das innere Wort, als welches die geistige Wiedergeburt des Menschen wirkt, tr�gt und vollendet, gerade hebr�isch sein m�sse? Dem fremden Buch einer fremden Rasse in fremden Gleichnissen entsch�pft? Flottierte der verborgene Geist nicht frei und ward je nach der Menschenart anders in jeder offenbar? Doch klang das nicht wieder trivial, roh, vorlaut, undankbar? Endlich bewundern, vertrauen, gehorchen d�rfen, wie war das sch�n. Sie forschte auch nicht, als eines Tages der Bote geheimnisvoll verschwand, wie er gekommen. F�hlte ja f�rmlich den Ort der mystischen Bruderschaft: deutsche Herbe, Enge, Handwerk, Wald, dort in Gabriel Gruners schlesischer Grenzheimat, wo der Vater Organist gewesen.

„Man mu� den Schild der Armut �ber die Sch�tze des inneren Lebens halten,“ war alles, was er von sich gesagt.

Das gab es also wirklich! Auf demselben Gestirn mit Gasrechnungen, Ex- und Import, Hundesteuer und Leitartikeln.

Brief �ber Brief kam voll Weisungen f�r die j�ngste J�ngerin. Es war ein Werben ohne Werbung. Aus verborgenem Licht schlug sich ein Regenbogen von ihm zu ihr. Seine manische Sicherheit war frei von Anma�ung, denn hinter ihm stand mehr als Sterblichkeit, und das s��e gro�e Du brach ihnen aus gemeinsamer J�ngerschaft als seine erste Knospe auf.

„Mein geschwisterlich Gemahl im Geiste — zeitlos atmen mit Dir,“ schrieb er einmal.

Noch andre Briefe kamen. An Papa. Mit Insinuationen. Das Auftauchen dieses Fremden war nicht unbemerkt geblieben. Eines Tages fand sie ihre Korrespondenz erbrochen; die widerlichste Szene folgte. Denn es ist eine indezente Wahrheit, da� die hoffnungslose Eifersucht von Vater zu Tochter, weil k�rperlich rein, um so gewissenloser mit allen psychischen Begleiterscheinungen der Ausschweifung, als da sind: Gewalt, Arglist, Betrug, Wortbruch, Verrat, in Form von Elternpflicht sich auszutoben sucht. Das jungfr�uliche Kind steht nun emp�rt, begreift nicht, weil kein grimmes Gl�ck die Kette der infamen Nervenspiele je durchst��t und ihnen Sinn gibt.

Der junge Nebenbuhler wiederum kommt heil nur an dem leidenden Vatertier vorbei, befriedigt er ma�los dessen Eitelkeit, da wird es resigniert satt und still.

�ber Sibyl aber ergo� sich nun eine ganze Marlittiade: wie Papa vermeint, eines Tages m�sse ein Goethe, der zugleich Vanderbilt, englischer Herzog und franz�sischer Botschafter, in einem Auto aus den Wolken fallen als sein Schwiegersohn. Die Tochter mochte bis dahin auf Eis liegen oder sonstwie Neutrum sein, wie es gerade f�r ihn am bequemsten schien.

Jetzt, bei der ersten Abweichung von diesem naiven Programm, beging er gleich das Allert�richteste: drohte, da sie minderj�hrig, mit der Polizei. Zur�ckbringen w�rde er sie lassen im Fall einer Heirat und den Mann wegen Entf�hrung verhaften. Trieb Sibyls Selbstachtung damit in ein fait accompli hinein, wo bisher nur immateriell jungfr�ulicher Rausch gewesen.

All dies unwiederbringlich Zarte, das Edle, Einzige, Innige, alle Keuschheit erster Liebwerdung hing jetzt: ein abgeh�uteter Seraph wie zwischen ausgespreizten Viehkadavern in einem Schl�chterladen in seinen cruden Worten. Da sammelte sie sich in ihrer Trauer und Emp�rung, schwang sich wie eine Lanze — und traf — traf — traf —, den Menschen, den Vater, den Mann. Sagte, was sie nie gewu�t, hellsichtig vor leuchtend intelligentem Ha�, in Worten von leiser, blanker, t�dlicher Mi�achtung.

Und weinte und weinte dann auf ihrem Bett, fassungslos entsetzt �ber die Sch�pferkraft des Hasses.

Zwei Jahre lang wechselten Vater und Tochter kein Wort. Am Tag ihrer Gro�j�hrigkeit ging sie aus dem Haus und lie� sich mit Gabriel Gruner trauen, war so ersch�ttert dabei, da� sie ihr eignes „Ja“ �berh�rte, es sp�ter nochmals stammelte, taumelnd von dem cherubinischen Hochzeitsflug: dem Fl�gel an Fl�gel durch die anwachsende Glorie flie�en, ohne Trennung, ohne Tod, lotrecht auf den Fluten des Strahls — bis zu Gott. Das sollte die Ehe sein.

Ihre scheuen Knabenk�rper kannten einander kaum.

Schwarzgekleidet bis zum Hals sa� Gabriel in der Sonne und sagte:

„Es fehlt dir an Demut.“

Seine Macht war sehr gro�; ging aus von der verborgenen Morgengabe hinter dieser breiten, bleichen Stirn. Sobald er sprach, lag ihre Seele quer �ber seinen Knien und die flutende Empfindung sp�lte jede Vision herauf, deren er bedurfte.

Bei diesem Wort: Demut aber stockte die sch�pferische Hingabe. Langsam stand sie auf, wie ganz wo anders. Ihr Gesicht schwebte in die H�he, kantig wie ein Windenkelch und pl�tzlich von heidnischer Eleganz.

„Demut!“ Das Wort mu�te doch jedem Menschen mit Selbstachtung irgendwie widerstehen. Ja: h�tte er „Ehrfurcht“ gesagt, das w�re etwas anderes gewesen. Demut ist Ducken, Ehrfurcht sich aufrecken zu Gott.

„Gut, gut, man wei� schon: „wir sind allzumal S�nder und sollen nicht wider den Stachel l�cken.“ Und ich sage mindestens drei L�gen an einem einzigen Vormittag und verunreinige sie auch noch mit Wahrheit, da� es einen Sudel gibt, und da ist kein heiligster Augenblick, in dem ich nicht auch ein klein wenig an meine Frisur gedacht und kein Erkenntnisrausch, den das Wort „Jause“ nicht ganz freundlich unterbrochen und da ist kein geliebtester Mensch, dessen Tod ich nicht spielerisch ausgekostet und durchprobiert h�tte. Aber das schie�t alles wie Sternschnuppen rechts und links vorbei. Innen steh’ ich ohne Demut, bis in die Seelenspitzen aufgereckt in Sehnsucht nach dem Reinsten, und so sehr kann ich wollen, da� mein Herz aus der Brust greift und es sich nimmt.“

Sie hatte die ganze Zeit geschwiegen. Gabriel Gruner bekam seine manisch hellseherische Knorrigkeit:

„Man darf nie etwas wollen. Wer nicht mehr will, zu dem kommt alles.“

„Dann braucht er es nicht mehr,“ sagten die zwei st�rrischen Sternsaphire oben in dem kantigen Windenkelch von heidnischer Eleganz.

„Nur solang ich mich danach zermartre, brauch’ ich’s. Nur solang jahrelange herzzersprengende Sehnsucht sich, fahl vor Ungeduld, an unsichtbaren Widerst�nden schluchzend zerst�rt: da mitten hinein hat die Erf�llung zu brechen oder sie ist nichts.“

Etwas Taubes war in seine Haltung gekommen. Das, was sie „das Feigenblatt vor dem Kopf“ nannte. Als wiche zur Strafe ihrer St�rrigkeit die verborgene Verhei�ung hinter seiner Stirn weit von ihr zur�ck.

Nein, nur das nicht. Sie warf sich ihm nach. Gab alles Eigen-Sein, �berhaupt alles Sein auf, �bte Demut und versuchte die Sehnsucht zu verlernen.

Der geistige F�hrer war ein Doppelwesen. Hie� Scheible und Radinger.

Jeder f�r sich war nichts. Stiller, l�ndlicher Handwerker in schlesischem Walddorf. Zusammen bildeten sie ein magisches Zwiegesch�pf, dem Seherschaft eignete, inneres Schauen, F�hrertum. Ob ihre K�rper dabei r�umlich getrennt, blieb belanglos.

Im Alltag war Radinger: der Schreiner am Dorfplatz, weitaus der Bedeutendere: von intelligenter, schlichter Gro�artigkeit, dem Selbstportr�t D�rers �hnlich, doch mystisch ohne Sch�pferkraft. Das „in den Geist kommen“ hub stets in Scheible an, einem alten Flickschuster, von kl�glicher Wortarmut, unbeholfen, auch bresthaft. Nur wenn diesen kleinen Greis — in seiner Werkstatt oben am Kirchenh�gel, die er selten verlie� — Starre und Traum befiel; wenn er, gleichsam horchend �ber den krei�enden Geistkeim in sich gebeugt, dasa�, dann begann es aus Radinger in Sturzgeburten zu reden, als das „innere Wort“. Das „innere Wort“ gab auch jedem Sch�ler den ihm eignen Geistnamen. Das Lebendigdenken dieses „wahren Namens“ sollte allm�hlich den Leib, den „alten Namen“ verwandeln zu Geist. Angeblich unverkennbare Anzeichen �u�erer Art am K�rper: wie Wundmale, Linien, Buchstaben begleiteten diesen verborgenen Werdegang. Markierungen auf dem inneren Pfad, vor jedem neuen Gipfel und Ausblick. Diese Vorg�nge durch �bungen wecken, ihr Kommen voraussagen, den Sch�ler rechtzeitig lehren, wie er sie auswirke, durchlebe, �berschreite, war des mystischen F�hrers Mission.

Geistnamen, Vorzeichen, Zust�nde, alles war eng christlich an Symbol und Diktion. Ging in den Sielen der Apokalypse.

Die kleine Gemeinde hatte sich hermetisch rein zu erhalten gewu�t vor dem alles wissenden Schn�ffel des Zeitgeistes. Da gab’s kein Dranhinriechen, kein Hinterbein zu fl�chtiger chemischer Analyse dranheben, so einfach zwischendurch, im Galopp von Prellstein zu Prellstein.

In den vierzig Jahren seiner gemeinsamen Bahn hatte das innere Doppelgestirn kaum acht bis zehn Trabanten aufgenommen in seinen Wandel. Als Ersten Gabriel Gruners toten Vater: den Organisten. Ein alter Stich zeigte ihn von jenem grobk�rnigen und s��starrsinnigen Schlag, der als Herrnhuter, b�hmische Br�der, Rosenkreuzer, Albingenser, Europa von je seine bockbeinige Elite gegeben.

Sibyl hatte das magische Doppelwesen noch nicht zu Gesicht bekommen, wu�te nicht einmal seinen Ort, war J�ngerin durch Gabriels Mittlerschaft allein. Ungeheure Abweisung wehrte von vornherein jeder Frage, noch ehe eigener Takt sie verbot.

Ab und zu tropfte Einer aus dem geheimen Kreis herein, verwirrte sich ob ihrer Erscheinung, noch mehr als er entdeckte, wo sie schon hielt oder man fuhr pl�tzlich f�nfzehn Stunden an einen ganz obskuren Ort, traf die Br�der einen Abend lang — fuhr wieder auseinander. Dabei wurde kaum gesprochen, das lagerte um den Tisch eines beliebigen Kaffeehauses, k�hl und schwer wie Schlangen und verdaute Seele. Alle hatten etwas lind Versinkendes: Schiffe mit zu viel Tiefgang, schon die kleinste Welle �bersp�lte sie. Dann wieder fing einer was an: eine Fabrik, ein Studium, eine Kunst. Nie wurde was Rechtes draus. Von Fehlschlag zu Fehlschlag nickten sie einander saturiert mit steinharter Genugtuung zu. Hatten ein L�cheln des Ekels f�r siegreich Unbeschwertes. Immer hing aller Mi�erfolg mit dem „inneren“ Wort zusammen. Statt nun praktische Ziele ganz zu lassen, bohrten sie doch immer wieder weiter, halbherzig und sauer ahndevoll.

Gabriel Gruner war Quartalsasket.

Sein Geistname Matthias, als welcher nachtr�glich den Aposteln zugeordnet, mit ihnen ausgestreut ward in die Welt, gab symbolisch Veranlassung genug, sich pl�tzlich in Geselligkeit zu st�rzen, die Geselligkeit ihrer Geburtsstadt noch obendrein. Gerade hier war es ihm gewiesen zu wohnen. Ganz in die N�he zogen sie aufs Land. Blinkende und kleinliche Sachen trug er ins Nest.

Daran nahm sie kein Teil. Alles oder nichts. Entweder Herzog oder Anachoret. Mayfair oder die W�ste Gobi. Zu Palast oder Steinh�hle konnte sie „Heim“ sagen — zu einer Sommerwohnung nie.

Doch war das alles nicht leer und gleich? Hatte sie, Sibyl, sich nicht Gott vorgenommen mit �berspringung aller Zwischenstufen?

Sah sich manchmal ameisenklein, hierhin, dorthin rennen, in Vorortz�ge krabbeln, und stieg dabei, inwendig riesengro�, in einen tiefen Bronnen, sah �ber sein erl�stes Rund noch einmal zur�ck nach dem fremden Flohzeug: sie selbst, das vielleicht gerade um seinen Platz rang, in der rollenden Streichholzschachtel auf ihrem steifen Stahl-Faden zum Spinnennetz Stadt. Was das Ameisige dort Kl�gliches trieb, war belanglos. Ihr K�rper hob sich indes wie ein Gef�� wieder aus der F�lle des inneren Bronnens, und als solches blieb sein Umri� ihr teuer wie nur je.

Als ein Kind die mondwei�e Mulde zwischen den Barsoiflanken beulig zu heben begann, nahm sie selbst stets genau soviel ab, als die Frucht schwoll, sog die feinen, harten Sehnen straff ein, ohne Erlahmen, von Willen �bergossen.

„O das kommt schon von selbst wieder in Ordnung,“ sagten �berlegene M�tter, bei denen es offensichtlich doch nicht wieder in Ordnung gekommen.

Von Monat zu Monat hoben sich zudringliche Lorgnons h�her in der gestielten Erwartung: endlich, endlich „normal“.

Nein, die noble Mulde f�llte sich nur eben aus. Ein planer Spiegel blieb die Grenze.

Die Lorgnons bebten entr�stet:

„Es ist nicht nat�rlich.“

Sie hob die Brauen stumm, leicht bel�stigt. Dachte:

„Hat man je geh�rt, da� eine L�win vor dem Wurf die Figur verliert? Nein, nur das Mutterschwein. Ist ausschlie�lich dieses „nat�rlich“. Ihr, die nicht laufen, springen, tauchen, klettern k�nnt — nichts von der Natur k�nnt ihr, wie sie als Kn�ppel mi�brauchen, um jeden edeln Aufstieg niederzuhalten.“

Schon liefen anonym Anzeigen wegen verbotenen Eingriffs bei Gericht ein, da trieb ein Wirbel von Wehen das Ausgetragene springlebendig aus.

„Den Schild der Armut �ber die Sch�tze des inneren Lebens halten.“

Jeden Morgen gab Gabriel zehn Kronen f�r den Haushalt, um elf schon mu�te das M�dchen ihm von dem Geld eine Schachtel Zigaretten zu acht Kronen holen. Sie lernte B�gen gehen um Eckladen, von Endsummen in Einkaufb�chern wegschauen, erst auf den zweiten, dritten Blick sich nahewagen, vor dem Kohlenmann in den Platzregen entweichen. Dabei glaubte man sie reich, den l�ndlichen Taubenschlag eine Inseparablelaune der einzigen Tochter aus verm�gendem Haus. Sibyl merkte, wie alles sie langsam abzutreiben versuchte vom pfeilrechten Stolz, und blieben Geldfragen zwischen den Gatten auch ignoriert, zuweilen glitten Gabriels Augen des Illuminaten in der Haut einer Hostie doch so wartend erstaunt �ber sie hin. Wenn er nur nicht anfing, den Zauber nicht br�che. �berwand sich schlie�lich aus Angst, er k�nne es doch noch fordern, kam ihm zuvor, ging zu dem alten Familienanwalt, der sie als Kind auf dem Arm getragen:

Aber nat�rlich. Das kleine Verm�gen m�tterlicherseits war seit der Gro�j�hrigkeit f�llig. Man w�rde die Herausgabe brieflich von Papa verlangen. Da kam er auch schon gekrochen, die starren Glasaugen aus ungeheurer Macht w�rdelos vor Einsamkeit. Aber es war zu viel, es war zu viel gewesen. Das, was man fieberhaft gern gek��t, mit den graublonden Wellen �ber der Stirn voll trotziger Falten, lag l�ngst mitverkohlt im hellichten Ha�strahl von damals.

Was blieb: ein fremder alter Mann — sonst nichts.

„Komm mit,“ bat Gabriel, aus monatelangen Versunkenheiten aufschreckend zu seinem periodischen Anfall wahllosen Menschenhungers, und wies eine Einladungskarte.

„Ich kenne diese Hersons doch gar nicht. �brigens, welch ein Name, — so hei�t man doch nicht ganz von selber?“ Weder deutsch, noch englisch ist es.

„Dein hellsichtiger Hochmut! Immerhin, der Spr��ling vom alten Leiser Herschsohn ist bereits in Eton erzogen: Gelehrter, Sportsmann, Weltmensch, gegenw�rtig Professor in Cambridge — kann noch Vizek�nig von Indien werden.“

„So,“ sagte Sibyl. „Dieser Ralph Herson.“

Der alte Bankier begr��te jeden, ganz fahrig vor Gl�ck.

„Mein Sohn ist zu Besuch!“ Und zitterte. Sa� sonst mit einem schwarzen Seidenk�ppchen auf dem Eiersch�del und verachtete alle seine G�ste. „Wer schon zu mir kommt ...“ Spitzte h�chstens ein Ohr, fiel irgendwo das Wort „Million“.

In der Bibliothek staute es sich heute interessiert, alle horchten, einer sprach: ein dunkler gro�gewellter Greifenkopf auf eher kleinem, �beraus wohl gebautem K�rper. Warmes Wogen ging in die Luft �ber von diesem Haar, durch das ein wei�er Str�hn, wie der Montmorencys silberte. Die Augen, gleich braunen Beeren, von denen das eine gr��er war, spannten sich in ewig wacher Vitalit�t.

Sibyl erschien in der T�r und es geschah wie immer: alles wandte sich und starrte. Auch aus dem Schwarm um Ralph Herson stie� es sich jetzt ab, und wie ein gestr�ubter Kometenschwanz ihr zu.

Einen Augenblick standen er und sie, von Augen umklammert an den zwei Enden eines leeren Luftstrahls. Man sah sein Herz im Halse. Dann war es, als nehme er seine ganze magnetische Vergangenheit zusammen, w�rfe sie �ber die Frau. Sie stand, mit seinem Fluidum �bergossen. Es flutete an ihr hinauf, drang, zur�ckgewiesen, nicht ein, rann ab. Er senkte die m�chtigen braunen Augen wie best�rzt, bewu�t knabenhaft, dozierte weiter, ignorierte sie. Zog sp�ter Gabriel sehr h�flich ins Gespr�ch, verneigte sich nur stumm vor ihr. Lie� alle �brigen, lud das Paar zu sich in den ersten Stock, zeigte seine naturwissenschaftlichen Sammlungen, seine Bilder, das photographische Atelier. Bat kommen, Aufnahmen machen zu d�rfen. Entz�ndete den gro�en Gaskamin, r�ckte Klubsessel, Kissen, arrogant und dem�tig zugleich, gab nicht Ruhe, bis er es endlich erreicht hatte:

Die jungen Sternsaphire sahen ihn an, pr�fend und gro�.

Er senkte den Kopf, den Wohllaut der Schultern. Hatte eine Art hinter blinden Lidern die Augen erst mit W�rme sich f�llen zu lassen, dann warf er die zwei Schalen voll schwebender Minerale dem andern mitten ins Gesicht. Vor Sibyl aber lie� er es. Hob die Lider nicht mehr — leerte quasi seine ganze Macht vor ihr auf einen Gebetsteppich aus.

Nach korrekter Pause machte er seinen Gegenbesuch auf dem Lande, machte Meisteraufnahmen, ordnete Gew�nder, demolierte die Wohnung, unter der schwarzen Schabracke des Stativs ein moderner f�nfbeiniger Centaur. Schickte Separata seiner Arbeiten, trug seine �berlegene Sinnlichkeit wie eine wabernde Toga, zeigte Menschen-, besonders Frauenmi�achtung, zitternd vor Anspruch, unterstrich den Unarier, den Ungermanen, zielte wunderbar ebenm��ig gebaut auf �gyptisch-griechisch „made in England“.

Sein engeres Fach war das Tierexperiment. Er arbeitete gerade am lebenden Vogelauge, hatte nebenbei einen Python unter dem Messer, von Hunden, Katzen, Fr�schen, wei�en M�usen zu schweigen, alles provisorisch in einem Pavillon des v�terlichen Gartens untergebracht. Er lud sie zu einem besonders interessanten Versuch ein, wurde abgewiesen. Nahm es als Weibchenpose einer gro�en Fee. Sie hatten heftige Diskussionen. Sibyl leidenschaftlich, ging aus sich heraus. Er provozierte, geno� es als erlesenes Extraexperiment.

Sie blieb im Garten, angeekelt.

„Heil aus gemarterten Tieren mu� letzten Endes Unheil sein. Ihr Vivisektoren verge�t, da� �skulap der Sohn Apollons ist. F�rdert die Hartf�hligkeit, wie kann da der delphische Mensch gedeihen: Einer, dessen Leib so sensitiv geworden, da� ihn schon ein Lorbeerblatt, in der hohlen Hand gehalten, hellwissend macht und heil. Lorbeermenschen brauchen wir!“

Er widersprach, hochfahrend gereizt, und unterwarf sich im selben Atem. Wer rede vom „Heilen“, das interessiere ihn nicht, aber ohne Sinnesphysiologie g�be es kein Verst�ndnis der tiefsten Dinge. Dazu sei die Vivisektion eine praktisch unentbehrliche Technik, genau wie die chemische Analyse, die ein Anh�nger der Allbeseeltheit — er sch�ttelte sich vor Ekel bei dem Wort Seele, — dann allerdings auch unterlassen m��te. Er pers�nlich gebe zwar das Tierexperiment endg�ltig auf, sobald sein gro�es vergleichendes Werk vollendet. Laienhafte Sentimentalit�t dagegen wirke l�cherlich. Nie h�tten es Tiere in der Natur so gut, gingen so human zugrunde, w�rden so behandelt und gepflegt wie Versuchsexemplare vor und zwischen den Experimenten. Sie m�ge sich pers�nlich �berzeugen, wie die Tiere an ihm hingen. Er pfiff. Aus dem Pavillon brach Freudengewinsel. Ein verbundener K�ter kam herausgekrochen, leckte seine H�nde. Er streichelte, wie das Schicksal streichelt:

„N�chste Woche kommt er wieder dran, aber er wei� es nicht — das ist die Hauptsache. Nur ich wei� es voraus.“

Er l�chelte, gab dem Gesch�pf, das ihn wedelnd umhinkte, einen Leckerbissen. Dann reiste er ab.

In einem gro�en Kuvert des Nizzaer Tennisklubs kamen als �berraschung Meisteraufnahmen von Baby und Gabriel — keine von ihr. Ein Brief dabei, zw�lf enggeschriebene Seiten. Sie las kaum die erste. Er schrieb von den Bildern, freue sich, da� ihr die fr�heren einiges Vergn�gen bereitet. Noch mehr freue ihn, da er sie �ber Phrasen erhaben halte, der Wunsch eines Wiedersehens.

Und weiter:

„Ich darf Ihnen wohl aus so gro�er Entfernung und ohne die Bitte um Geheimnis sagen, wie sehr gerne ich Sie gewonnen habe. Es ist gewi� nichts Seltenes, da� man Ihnen das sagt oder andeutet, aber es ist etwas au�erordentlich Seltenes, da� ich das jemandem sage, da� ich es sagen kann. Ja, ich habe es wie hier, ohne den leisesten egoistischen Anklang, noch nie einer Frau gesagt.

Ihr ganzes Wesen, Ihre psychische Eigenart, Ihre noble Pers�nlichkeit, viel mehr noch als selbst Ihre Erscheinung — dies alles sprach mich gleich das erste Mal so an, da� ich fast zu allem ‚ja‘ sagen mu�te. So oft ich mit Ihnen beisammen war, gewannen Sie, w�hrend die meisten Frauen rasch verlieren. Wo mich andere hundertmal verletzt h�tten — ich meine nat�rlich sich selbst verletzend, ihr eigenes Bild tr�bend, — haben Sie mich nicht mehr als vielleicht zweimal verletzt. Ich h�tte das gar nicht f�r m�glich gehalten.

Sie haben mich arm und reich gemacht. Reich, weil ich meine ganze Vorstellung von der Frau erh�hen konnte, weil ich erfuhr, da� es doch Wesen voll Anmut und Noblesse gibt, die meinem klar geahnten Ideale nahekommen; arm, weil ich, seit ich Sie kenne, noch anspruchsvoller geworden bin. Weil ich die Frauen jetzt an Ihnen, nicht mehr blo� an einer abstrakten Sehnsucht messe, und kaum je eine finden werde, die Ihnen als meine Frau vorzustellen mich auch nicht in einem verborgenen Winkel meines labyrinthischen Inneren genieren wird.“

„Labyrinthischen Inneren“ — da brach sie ab und lachte. Ohne Bosheit, aber unb�ndig wie ein Bub. Nein, dieses „labyrinthisch“. Wie geschmacklos!

N�chsten Tags nahm sie den Brief doch noch einmal auf, wog ihn in der Hand, las diesmal nur die letzte Seite:

„Es f�llt mir schwer, Ihre und Ihres Herrn Gemahls Gesellschaft zu missen. Ich bin Geselligkeit liebend und bed�rftig, aber ich finde sehr schwer Menschen, mit denen ich auftauen, mit denen ich freundlich sein kann — ich bin es �beraus gerne — oder die mir sogar Funken entlocken k�nnen. Ich danke Ihnen manche Anregung und freue mich, sie zu erwidern. Am sch�nsten w�re es, wenn wir uns einmal in England oder in Italien oder im Hochgebirge treffen, miteinander Sport treiben oder Kunst genie�en k�nnten. Ich mu�te immer allein oder mit gleichg�ltigen Menschen reiten oder reisen oder bergsteigen — vielleicht habe ich auch einmal die Freude, Sie beide als meine G�ste zu sehen, im S�den, wo ich mir ein Heim zu bauen gedenke.“

Sie antwortete kaum. Doch durch Monate, �ber L�nder und Meere her kam es „hochachtungsvoll“ herbeigestr�mt. Einmal auf Briefpapier der British Association, einmal mit dem Abdruck einer Gemme aus Syrakus. Dann wieder eine Anfrage, ob er ihr aus Paris etwas besorgen k�nne.

Sie antwortete gar nicht.

Nun schrieb er:

„Wenn ich jemanden gern habe, ehre ich seine Freiheit — wenn Sie just einmal keine Lust h�tten, mich auf der Stra�e zu gr��en, ich w�rde nichts anderes denken, als eben dies.“

„Was will der seichte Jude!“ sagte Gabriel, mit der ganzen knorrigen Hoffart des Reformationspatriziers, als beim Fr�hst�ck immer die gleiche vergr��erte Schrift bewu�t und wohlerwogen den Spiegel exotischer Kuverts plastisch durchma�. Papier, Schriftbild, Verschlu�marke: ein zusammenstilisiertes Kunstwerk, stets variiert, doch gleicher Grundkraft, so da� sie sich gew�hnte, es um sich zu dulden als �sthetischen Genu�. Ein warmer Schauer von lauter viereckigen Ausschnittchen einer weiten und gepflegten Erde. Alles, was sie gelassen in Sehnsucht nach noch nicht dagewesener �berh�hung — im Spitzentrieb nach �u�erstem.

Dann sank eins ums andere aus dem Schwarm dahin in den Papierkorb, sah ihr von dort doch noch in die Augen — hartn�ckig durch Wohlgestalt.

Auch sein Schweigen war Kotau.

„Ich hatte Ihnen aus Bonn und Heidelberg geschrieben, fand kein Ende, vielmehr, es gewann nicht die Form, in der ich Ihnen Geschriebenes gern sehe. So lie� ich’s ganz.“

Also keine „labyrinthischen“ Innereien mehr!

Um das R�tsel ihrer Ehe: dieser magischen Starre eines geschlossenen Systems, glatt gegen Angriff, strich er mit eingezogener Hinterhand, leise fauchend. Wagte keine Frage.

Alle Probleme des Wissens er�rterte er mit ihr als Macht zu Macht. — Versuchte, sie zur Detailforschung her�berzuziehen, weg von den gro�en Grenzgebieten. Doch als Beweis, wie er auch hier zu Haus, verfa�te er eine Brosch�re �ber „Scheinprobleme“ mit Anp�belung aller m�chtigen Geister von je bis ehegestern. Schrieb dazu:

„Wollen Sie diese kleine Studie als Ihnen gewidmet betrachten. Sie haben mir immer so wohl getan, da� ich Ihnen stets nur Angenehmes erweisen m�chte. M�gen Sie dieses bescheidene Zeichen einer au�erordentlichen Verehrung freundlich und freundschaftlich aufnehmen.“

Sie lehnte die Widmung ab, �bte h�flich schonungslos Kritik an dem Dilettantismus der Arbeit. Ge�bter, intensiver im letzten Zusammensehen, denn dies war ihr eigenstes Gebiet.

Er ging �ber die sachlichen Einw�rfe hinweg, nahm es pers�nlich, wenn auch als milder Psychiater, schob alles auf Rassenunterschiede.

„Ich bin sehr schwer zu beleidigen,“ lief seine linde Entgegnung, „habe aber nat�rlich nicht l�nger als zwei Minuten — nicht zwischen den Zeilen gelesen — Absicht merken lassen und doch nicht merken lassen, das geht eben nicht, aber es h�tte mich gefreut, wie alles, was Sie erh�ht, wenn es auf so feine Art geschehen w�re, da� man ganz im Zweifel h�tte bleiben m�ssen, ob eine verletzende Absicht vorlag. Das war Ihnen wieder nicht wichtig genug! Sie sind offenbar enorm reich! Ich ganz Alter vermag sogar die Frische solch scharfer Urteile zu genie�en, die, wie fast alles, was von Ihnen ausgeht, eine besondere Anmut haben. Es erinnert an Jugend und �berschwang, fast Schnurspringen. Aber ich wittre etwas anderes dahinter, was neben der metaphysischen Narrheit — oder milder: �berfl�ssigkeit — in den allermeisten Ariern steckt, n�mlich eine gewisse Not und Sorge, eine privilegierte Fasson der Erkenntnis und Seligkeit zu besitzen. Solchen pa�t ein vorurteilsloser Standpunktwechsel nicht, sie h�ufen Scheinprobleme in Physik, Chemie, Biologie, umnebeln sich mit philosophischem Schwulst, der den einzigen Vorteil hat, da� ihn kein normaler Mensch versteht und man in ihm ‚unter sich‘ ist. In dieser arischen Intoleranz, diesem Bonzentum und Parteinehmen aber liegt etwas Armes, und es stimmt mir nicht zu ihren sonstigen Weiten. Mein Wesen ist zu sehr Vernunft, praktischer Idealismus und G�te — G�te und noch einmal G�te ‚bedingungslos‘.“

Immer, wenn er etwas Sch�nes sagte, was sehr rein, sehr vern�nftig klang, zog sich ihr durch den Reiz ein leiser Widerwille, als h�tte er so Richtiges zu sagen noch kein Recht.

Und diese dreimal hochgehaltene „G�te“! Als schwenke er sie — ein Gelegenheitskauf — frisch von der Auktion. Sie bohrte weiter:

„Zeigt die Begeisterung, mit der er von ‚bedingungsloser G�te‘ spricht, nicht gerade, da� ihm jede praktische Erfahrung in der Materie fehlt? Mir scheint, wer wahrhaft g�tig, — noch traf ich keinen — ist es knirschend, abgewandten Gesichts, weil er nicht anders kann, trotz infamster Erfahrung, denn das ganze Ma� menschlicher Gemeinheit kennt nur er, weil nur an ihm die Feigheit ganz sich loszulassen wagt.“

In diesen Monaten sumste es durch alle T�rritzen in ihre siebzehnfach verriegelte Zur�ckgezogenheit: Geschmei�, die R�ssel na� vom Aas allen Tratsches, der hinter ihm herstank. Nun r�chten sich Gabriels Anf�lle von Leutegier: fl�chtige Vorstellung einst mit einem Nicken quittiert, ward zum Vorwand st�rmischer Begr��ungen an Stra�enecken, und nach drei S�tzen fiel der Name des Ber�hmten — Ber�chtigten. Ungute Damen verwandelten sich in m�tterliche Freundinnen, Lebekommis in ethische Warner. Man �bergruselte sich gegenseitig mit Andeutungen der Woll�stlingslaunen dieses Verderbers der Jugend. M�tter beteuerten, ihre jungen S�hne nicht in seine N�he zu lassen, ihre jungen T�chter aber warfen sie ihm alle nach, denn er war die gro�e Partie.

„Rein de Thier mi�t mer zusperren vor den Damen,“ sagte der alte Leiser Herschsohn, ganz angeregt, und r�ckte sein schwarzes K�ppchen — sehnte sich nach einer Schwiegertochter, nach Enkeln.

War er wieder im Lande, sah Sibyl es sofort. Selbst die entferntesten Cousinen der Clique erschienen pl�tzlich mit Sportm�tzen aus Pardelfell, hielten Regenschirme wie Tirsusse, und schaute man hin, wandten sie sich ins Profil, mit einem fragw�rdigen und grausamen L�cheln.

Sibyl am�sierte sich: der Arme — welch ein Evoe-Kitsch — das verdient er denn doch nicht. Zu ihr und Gabriel kam er stets am letzten Tag vor einer unaufschiebbaren Abreise, vers�umte zwar den Zug, fuhr aber doch mit dem �bern�chsten. Ritt rauh, arrogant, st�rrisch seine Steckenpferde vor: Philosophie des Standpunktwechsels, Zuchtwahl, Eugenetik; gewaltsam, unpers�nlich und heftig. Als Baby Charmion hereinkam, brach er ab, vor diesem Arielwesen beugte sich das zerrissene Greifengesicht and�chtig �ber die rosigen F��chen. Dann wieder brutal dozierend.

Jede ph�nomenale Frau m��te von Staats wegen mit sechs — sieben auserw�hlten M�nnern Kinder bekommen. Welch ein Versuchsmaterial das ergebe.

„Und wenn sie nicht will?“

Ein unbeschreiblicher Ausdruck von �bermut, Grausamkeit, Verspieltheit, Wollust rann aus den Augenecken �ber das sch�ne Gesicht, und von seinen eigenen, dunklen, magischen, unerh�rten Strahlen gehoben, mit einer gl�cklichen, brechenden Knabenstimme:

„Dann wird sie angebunden.“

Beim Abschied in die laue Sommernacht hinaus, vermied er sorgsam ihre Hand. Verbeugte sich nur b�s und tief. Dann tonlos vor Erbitterung: „Sie sitzen hier in diesem Nest und die ganze Welt d�rstet.“

Um Weihnachten, Gabriel war in Schlesien, lie� eine Dame sich melden. Ralph Hersons Empfehlungsbrief lag eine Visitenkarte bei: Lady Tatjana de Walden war unter wei�em, dekorativem Wappengetier zu lesen.

Gleich darauf stand eine Frau im Zimmer, exotisch, robust, resolut und unfrei zugleich, die Arme voll Blumen, ein gro�es Kuvert in der Hand. Schaute und schaute in fast tierhafter Spannung mit sch�nen, grauen Augen unter allzu neugelbem Haar. Keine Engl�nderin. Das sah auch Sibyls gro�gewordene Kindlichkeit. Keine Fremde, eine �berfremdete nur. Sie sprach in vorsichtig ausgelaugtem Deutsch, das zu dem urw�chsigen Umri� der Gestalt nicht passen wollte. �ber das angenehme, etwas breite Slavengesicht rann manische Devotion. An was erinnerte nur das? Richtig, Manege. An alles, was zu erhobener Dompteur-Peitsche auf Hinterbeinen steht. Die Dame war mit umst�ndlich vereinfachter Eleganz gekleidet — sah aber doch aus, als h�tte sie fr�her einen Ring am Mittelfinger getragen.

Als der Gast unter st�rmischen Erscheinungen von Gl�ck und Entz�cken Abschied genommen, �ffnete Sibyl das gro�e Kuvert. Ihr eigen Bild: in Dutzenden von Auffassungen. Ein kleines darunter, leicht get�nt. Wieder sie: mit blo�en F��en, und �ber die trocken hellen Halme ihrer Glieder st�rzte als bananenfarbener Regen alles Haar.

Mit dem Haar vermischte es sich: seine unverkennbare Schrift, doch so bla�, da� v�lliges �bersehen m�glich blieb.

„Wer ist sie, der ich sie vergleiche,

Die sch�ne Freudenreiche?

Das m�ssen die Sirenen sein,

Die wie mit dem Magnetenstein

Die Herzen ziehn in ihren Bann.“

„So zog Yseult viel Herzen an,

Die sich vor der Sehnsucht Leid

Sicher f�hlten und gefeit.“

Die Dame kam, verschrieb wappenreiches Briefpapier, schickte Blumen, verh�tschelte Charmion. Und aus ihr sprach immer ein anderer. In ganzen Schn�ren von S�tzen kamen seine Worte. Erschrocken stockte sie, hatte sich auch nur ein Adjektiv verschoben — fing noch einmal an, bis es originalgetreu sa�. Diese H�rige schien resolut, z�h, schlau, doch alles Eigenw�chsige war ausgetrieben, nur die Vitalit�t hatte er ihr belassen, seiner eignen zur Verst�rkung, wie es schien.

Als sie abgereist, schauerte ein Regen von Papier hintennach, wie blinkende Schnitzelchen aus einem Reklameballon. Auf einer der Karten stand:

„Dank, Dank, f�r alle Lebenssteigerung, die Sie, einfach durch ihr Sein, mir gespendet haben. Hoffentlich sind Sie so zufrieden und gl�cklich, wie Sie scheinen, und nur das Gute erf�llt sich, das in diesen vornehmsten aller sch�nen H�nde f�r den Kundigen geschrieben steht. Und wenn Sie doch einmal einer Brang�ne bed�rfen, so rufen Sie mich.“

Von nun an unterschrieb sie sich nur mehr: „Brang�ne.“

Ralph Herson selbst hatte w�hrend der Episode Tatjana geschwiegen. Nun schrieb er wieder:

„Lady de Walden dankt mir in einem begreiflich �berschwenglichen Brief, da� ich ihr zu Ihnen, der fr�her nur aus Bildern Gekannten und danach schon Verehrten, einen Weg gebahnt. Es ist mir immer erfreulich und eine Art Ziel der Lebenskunst, wenn ich mit einem Schlag mehreren Angenehmes erweisen oder n�tzen kann, und so hoffe ich, da� auch Ihnen die Begegnung erfreulich war.“

Nein, ein Ende machen. Es war zu viel, dieses ruhelose Ineinanderspielen von H�nden, dieser vorgeschobene Posten in gl�hendem Spionagedienst, dieser neue Trabant und Zwischentr�ger, Konduktor und Strahlenleiter und W�rmevermittler. Es war zu viel. Ein widerwilliges Herzklopfen befiel ihre Selbstachtung beim Kontakt mit dieser „Lady“, bei der alles fragw�rdig bis auf das Sklaventum. So also d�rrte er einem die W�rde aus — dieser Samum. Entwurzelte Menschenzungen, dieser Vivisektor, pflanzte Papageienzungen daf�r, auf da� sie einzig seinen Ton verst�rkten. Nein, genug.

Da depeschierte er aus Genua:

„Lady de W. ist schwer, vielleicht lebensgef�hrlich erkrankt, ein paar freundliche Zeilen von Ihnen, die sie so grenzenlos und heimlich liebt, w�rden ihr im Innersten wohltun. Wenn irgend etwas Gemeinsames zwischen uns ist, erf�llen Sie meine Bitte, von der die Kranke nat�rlich nichts wei�, und senden Sie ihr, durch mich, einen Gru�. Es gibt Arzneien, die nicht in der Apotheke zu kaufen sind.“

Sibyl dachte an Madame Swobodas Liebe und Ende, an ihre erste �berfl�ssige Infamie ... und schrieb. Auch hatte sie die Frau gern, ihre Kraft und Treue.

Er jubelte.

„Ich wu�te, da� ich nicht vergeblich bitten w�rde, da� auch Sie der Liebe haben. Die arme Lady T. lag eine Woche zwischen Leben und Tod, trotz Morphium schlaflos in entsetzlichsten Schmerzen. Doch wenn Sie gesehen h�tten, welche Freude ihr der Brief der ‚besten �rztin‘, mit den gewissen langhebelbeinigen schlanken Z�gen, bereitet hat! Ich danke Ihnen aufs innigste, da� Sie mir diese erlesene Mitfreude erm�glicht haben, der Brief trug gewi� zur Besserung bei. Ich wu�te �brigens nicht, da� der Verkehr abgebrochen war. Warum, warum �berfl�ssiges Leid zuf�gen? Ich habe allerdings die Empfindung, da� Sie eben noch nicht traurigste Erlebnisse hinter und unter sich haben, ja, da� das Leben noch nicht einmal sehr gro�e Schwierigkeiten, Hemmungen, Entt�uschungen f�r Sie hatte. Das ist ein kleiner Defaut und l��t Sie vielleicht auch Verl��lichkeit, Treue, alles positiv Erfreuliche, nicht so sehr sch�tzen, wie Narbenbedeckte. Es gibt Ihnen aber andererseits etwas Erhabenes, Heiteres, Unber�hrtes, das ungemein edel, sonnig und erfreulich wirkt.

M�ge Ihnen dies noch recht lange, ja f�r immer erhalten bleiben! Ich w�rde geradezu leiden, wenn Ihnen irgend etwas geschehe.“

So war sie wieder im Garn der G�te, denn auch die Rekonvaleszentin brauchte noch „Arznei“. Und was als Antwort zur�ckstr�mte: stumm eingesagt klang es von einem unh�rbaren Mund. Schon diese Schrift! Als h�tte er ihr vorzeiten jeden Buchstaben einzeln mit der Wurzel ausgerissen, um ihn frisch hineinzustecken in ein Schriftbild von seinen Gnaden; jetzt hing das Ganze steil hint�ber, einer Frau gleich, die hinter dem R�cken etwas zu verbergen sucht.

„Es nimmt dich auf,“ sagte Gabriel nach seiner R�ckkehr, ganz durchsichtig in den Z�gen vor Ergriffenheit.

„Als erste Frau. Du wirst erwartet. Jetzt hebt erst unsere wahre Hochzeit an, denn nichts kann uns mehr trennen.“

Immer noch, seit dem ersten Tag, ging sie mit Gabriel die inneren G�nge ihrer Verbundenheit. Bisher war er Mittler gewesen f�r die Weisungen des Zwiegesch�pfs an sie. Nun sollte endlich ein wichtiger geistiger Vorgang dem Stadium der Reife sehr nahe sein, sich auch von innen her in einem Zeichen k�rperlicher Art auswirken: als Meilenstein am Weg. So war es angesagt worden.

Noch am Abend wollte Sibyl reisen, taumelte vor Erregung wie im Traume durch den Tag. Es flimmerte ihr so vor dem Herzen, da� sie sogar von der Leiter glitt. Kam da auf der Jagd nach einem Koffer eine uralte Tasche aus des toten Organisten Nachla� vom Bord herunter, traf ihre Schulter, sie verlor das Gleichgewicht und st�rzte, gerade mit dem Handgelenk, auf ein seltsam graviertes Petschaft, das aus der verblichenen Tasche gerollt war. Der scharfe Steinschnitt grub in ihr Fleisch ein weinrotes Mal. Rasch wand sie ihr Taschentuch darum. Gut, da� Gabriel nicht dabei gewesen, er liebte nicht Gegenst�nde seines Vaters profan ins Licht gestreut. Nun, es war ja nichts B�ses geschehen, die kleine Quetschung gewi� in einer Woche vergessen und heil.

Am zweiten Abend kam Scheible in den Geist. Sa� halbstarr auf dem Strohsessel seiner d�mmrigen Werkstatt — ferne schwebten die sch�nen Augen mit den Greisenringen in dem kleinen Gesicht. Knotige H�nde, im Gegensatz zum blutlosen Sch�del, mahagonibraun, lagen mit ihren eingewachsenen Rillen Pechs im gr�nen Schusterschurz. An der Wand, breit wie ein Ba�, ragte Radinger mit seinen Holzschnittschultern. Gleich einem Block f�llte Ruhe den Raum, bis auf des Schreiners unaufh�rlich zitternden Kopf. Die s�dlich fremden Mandelaugen lagen geschlossen darin und man ahnte sie hinter den Lidern nach oben gebrochen wie einer empfangenden Frau. Der Mund war leer und wartete.

Sibyl sa� auf der Ofenbank, sah Scheible ins tr�umende Auge. Zuweilen spannte und erweiterte sich die Greisenpupille, dann begann es aus Radinger zu murmeln, biblisch Klagendes oder Verz�cktes, das sie nur vag verstand, ihr auch nicht galt. Etwa nach einer Stunde st�tzte sie den Ellenbogen aufs Knie, den m�den Kopf in die Hand. Der �rmel glitt zur�ck. Das Aufwachsen ihres lichten Armes ins Dunkle mochte Scheibles schwebenden Blick gefangen haben. Er sprang �ber, blieb wie ein Bl�uling, ehe er sich auf eine Blume niederl��t, �ber dem Blutmal an Sibyls Gelenk in der Luft stehen, dann sog er sich langsam dran fest, und Freude brach aus Radingers dunkelgerundetem Munde: das Doppelwesen sprach die Quetschung an als das erwartete Zeichen. Sprach mit ihr von Dingen, die sie nun wissen sollte und nicht wu�te, da doch das innere Leben zu dem Male fehlte.

Langsam kroch die grauenhafte Entdeckung sie an, vereiste ihre Haarwurzeln:

Das „innere Wort“ hatte geirrt. Wo Irren nicht m�glich sein durfte, oder es sank herab zu — — Hysterie.

War das Doppelwesen auseinandergefallen, ganz gleich was dann zwei knorrig liebe, kreuzbrave, tiefgl�ubige und g�tige Handwerker, ganz gleich, was sie da: Wachblinde, zu wissen vermeinten — doch als innerer Doppelstern! Hier T�uschung und der ganze Weg war falsch oder konnte falsch sein. Sie wartete in Todesangst, wie ein Verurteilter auf Gnade. Nichts Erl�sendes kam. Das Murmeln h�rte langsam auf. Starre wich von Scheible, von Radinger das Wort.

Im elenden kleinen Gastzimmer der Dorfherberge starrte sie vernichtet auf die leicht verschwimmende blaurote Stelle an ihrem silbrigen Arm.

Zwei M�glichkeiten gab es: Diese Quetschung glich �u�erlich, sei es durch Zufall, sei es, weil die Sigille des alten Gruner wirklich jenes Zeichen darstellen sollte, dem wahren Mal, dann war der Irrtum f�r ihr Vertrauen t�dlich, denn der F�hrer hatte mit innerem Gesicht das Wachstum ihrer Seele zu sehen: das Mal von innen an ihr zu sehen, nie durfte �u�erer Sto� in die Haut ihn t�uschen. Oder: und es war die letzte Hoffnung: das Zwiegesch�pf hatte tiefer in ihr gelesen, als sie selbst noch wu�te. Das Zeichen war schon auf dem Wege sich zu bilden, die innere Knospe nur noch nicht ins Bewu�tsein aufgesprungen. Nichts als eine leichte Verschiebung in der Zeit hatte stattgefunden und durfte es, denn das Geistwesen „sieht die Zeit wie durch ein Rohr: alles auf einem Haufen!“

Bald mu�te es sich entscheiden, ob das echte Mal erschiene, das die Seher vorgeahnt.

Noch ein Drittes gab es: aber darauf lie�e sie sich nicht mehr ein: Das „credo quia absurdum“. Nein, hatte man einen Bund geschlossen und sein Teil des Paktes gehalten, so hatte sich auch der Dr�ben anst�ndig zu benehmen, und w�r’s der liebe Gott. Alles oder nichts. Und gab’s einen Weg solch absoluter Demut, ihr Weg konnte es nicht sein, war sie nicht schon weit genug abgekommen von sich selbst?

Und Hysterie, ihr Kinderschreck, sollte wie die Jugend, so das ganze Leben an einer fremden Gehirnkrankheit zugrunde gehen.

War es nicht, als setzten die Br�der dieser mystischen Gemeinde sich in ein skurriles Geistesgef�ngnis, des perversen Ehrgeizes voll, da� ihnen alles fehlschl�ge und einer dumpfen Hoffart gegen jedes Unbeschwerte, durch Freiheit Siegreiche.

Und man erfror vor Bedeutsamkeit bei ihnen.

Wo aber blieb jetzt der Sinn ihrer Ehe?

Nicht mehr Gabriels „geschwisterlich Gemahl im Geiste.“

Sie wartete mit aller Inbrunst auf das versp�tete Zeichen des Lebens. Es blieb aus. Suchte an des Mannes Schulter um Rat.

Er glaubte ihr nicht. Da� ES geirrt haben k�nnte, schien ihm unausdenkbare Blasphemie, sie wolle ihn anstecken, vergiften, mit ihrem Zweifel die Saat, ges�t in Geschlechtern, verrotten in seinem Blut.

Da kam — an Bord der „Titania“ geschrieben — viele hundert Seiten lang, ein Brief Ralph Hersons.

Wie brennende Schiffe trieben gl�hende Wortgruppen ihr entgegen und vorbei, abgel�st von irisierenden Wirbeln der Verhei�ung, rosig und leise dahinrotierend in dem endlosen Strom der Anbetung. Eine schmerzhaft konzentrierte Noblesse der Sprache, auch der Gesinnung wohl. Denn wie h�tte es schon zu Beweisen, zu Taten �u�erster Treue kommen k�nnen, so lang sie ihr Leben ihm nicht anvertraut. Nun schrie es aus ihm „in heiligster Not“:

„Wollten Sie meine Frau werden? Ich geh�re nicht zu jenen, die solches Wort leicht auf der Zunge f�hren — Sie sind die Erste und Einzige, an die ich je solche Aufforderung gerichtet“ — dann Prinzessin Augenweide ... und nun bot er ihr alles, was ein Mann einer Frau nur bieten kann. Und es kamen hunderte Bilder der Inbrunst, und sein verz�cktes, verzweifeltes Begehren rann als ma�lose Erh�hung durch ihr Blut.

Da ward ein solcher Brand nach Bl�te in ihr, da� sie, nackt hingeworfen, alle diese Bl�tter �ber sich gelegt, mit jeder Pore, mit dem ganzen Sonnengeflecht die magischen und dunkel duftenden Ausstr�mungen der breiten M�nnerschrift in sich trank.

Der Brief schlo�:

„Ein Kind von Ihnen w�re die Kr�nung meines Lebens — eine Tochter gar, die Ihnen gliche an m�rchenhafter Anmut — ich glaube, da w�rde ich toll vor Gl�ck. Doch w��te ich selbst, Sie k�nnten nie mehr Kinder haben, auch dann w�re mir Ihre blo�e N�he schon so wertvoll, da� ich nichts unversucht lie�e, Sie zur Frau zu gewinnen. Nur hinter Ihnen hergehen d�rfen ist mehr als jede Andere umarmen.“

Sie erbat Bedenkzeit. Das Beste von ihr war noch dr�ben in jener Ehe, die doch bis zu Gott h�tte reichen sollen. Hatte aus ihrem Phantasiek�rper sich ein Abbild Gabriels geschaffen in einer strahlenden Materie in den lichtesten Stoffen der Welt. Dieses Ikon konnte nicht so schnell verwesen. Sie hatte es noch nicht ausgeliebt — ausgeglaubt. Alles kam von den zwei Jahren der Verz�gerung, und da� man die Erwachsene hatte einsperren d�rfen in Minderj�hrigkeit. Jetzt h�tte sich das Ikon bereits reif und leidlos aufgel�st gehabt. Wieder �berstrahlte sie der erste gro�e Ha� gegen Papas verbrecherische Torheit.

Als sie Gabriel von Trennung sprach, vermochte er es nicht zu fassen, hielt alles f�r Wahn. Flehte: „Versuche es wenigstens noch ein Jahr mit mir.“

„Begeisterung ist keine Heringsware, die man einp�kelt f�r mehrere Jahre,“ feixte Ralph Herson.

„Zeit: das Kostbarste vergeuden.“ Gleich m�sse sie fort. Drang auf rascheste Scheidung. Er als Engl�nder liebe klare Verh�ltnisse. Nicht einmal sehen wolle er sie vorher. Lady Tatjana tauchte wieder auf, trug Sturm hin und her, schluchzte, beschwor. Ein Wortbruch — Sibyl hatte ihr Wort noch gar nicht gegeben — w�re �rger als Mord.

Aber gerade diese Lady Tatjana lie� sie auf einmal wieder tief z�gern. Nein, es ging nicht.

Wem es gefiel, mochte der in freier Liebe leben, nat�rliche Kinder Unnat�rlichen vorziehen. Nie hatte sie den Beziehungen der beiden nachgeforscht. Aber es ging nicht, der fr�heren Bediensteten im elterlichen Haus einen Scheinmann, seinem eignen Kind einen fremden Vater zu kaufen: einen verhungerten kleinen Beamteten, der es billig tat und Edler von Walden hie�. Es ging nicht, diese Frau dann — sie hie� Leopoldine Sedlaček — nach vertuschenden Reisen, mit vertuschtem Dialekt, vertuschter Schrift, unecht-wahr, als „Lady“ Tatjana de Walden einer Dame ins Haus zu schicken. Diese Fakten waren aus der Gerichtssaalnotiz einer Provinzzeitung ersichtlich — mit Rotstift gerahmt, ihr zugeschickt — denn der kleine Beamtete klagte endlich auf Zahlung der bedungenen Heiratssumme, ein paar Tausende im Ganzen. Man hatte ihn auch noch bei dem Handel zu �bervorteilen gesucht, seinen Anspruch juristisch bestritten, weil solch ein Vertrag gegen die „guten Sitten“ versto�e. Den sch�nen Namen aber war die Dame andererseits nicht mehr herzugeben gewillt.

Sibyl verschwieg ihr Wissen, aus Scham f�r beide. Auch h�tte er, sofort Edelanarchist und nur auf das Wesenhafte eingestellt, befremdet aufgeschaut:

„Das ist doch alles nur �u�erlich.“

Schlie�lich: Jemandem die Brieftasche ziehen, war dann auch nur „�u�erlich“, stak sie in der �u�eren Rocktasche.

Ein edler Schw�tzerkniff.

Sie z�gerte tief — schlo� dann die Augen in der n�chtlichen Fieberkurve der Sehnsucht, lie� die geliebten dunkelsaugenden Strahlen �ber sich ein. Und alles war wieder gut.

Da drohte er mit — Heirat. Stellte ihr ein befristetes Ultimatum von drei Wochen. Jetzt solle sie sehen — jedes junge M�dchen k�nne er haben bis dahin. War es erwachende Reaktions-Pr�flust des Vivisektors?

„Es gebe auch Leute, die man peitschen m�sse, um sie zum Reagieren zu bringen,“ lie� er sagen.

Sibyl wurde zu Eis und Honig — w�nschte viel Gl�ck. Poldi Tatjana, die arme H�rige, irrte mit Botschaft zwischen ihnen hin und her, widerrief Drohungen, die sie tags zuvor gestammelt:

Nur kein Mi�verstehen: da sie noch z�gere, sei der Plan einer Zwischenheirat aufgetaucht, gerade ihretwillen, ihr Au�erordentliches zu bieten. Der alte Leiser habe dem Sohn das halbe Verm�gen — sofort zahlbar — als Pr�mie gesetzt f�r eine ihm genehme Ehe. Ralph war nicht mehr so jung, wie die eigenwillige Bronze seines K�rpers es wahrhaben wollte, schon den z�heren Vierzig nah. Also Scheinehe, Scheidung, die junge Dame erhielt Freiheit und Mitgift zur�ck und man war unabh�ngig im gr��ten Stil; die ersten Jahre sollten ja ein unaufh�rliches Fest sein, ein goldenes Gewitter, eine Lebenserh�hung, wie sie wenig Sterblichen verg�nnt.

Andern Tags war wieder Minotauros Pose: er brauche, rein physiologisch, alle drei Monate eine Jungfrau — dies sei die letzte Ration, ehe er sich einer fairy-queen verb�nde.

„Also war die junge Wegzehrung wohl schon gefunden?“

„So halb.“ Die H�rige, beflissen, ging in die Falle, zeigte weitgehende Bilder, die sie „im Auftrag“ von dem Fr�ulein gemacht.

Drei Wochen auf den Tag heiratete er. Schrieb am lendemain „der gro�en schlanken Ehestifterin“ einen seiner perfiden, verworfenen, verbotenen, ersehnten Briefe, als w�re nichts ver�ndert. Dann reiste das junge Paar.

Und es war keine Ruhe.

Die H�rige, im Kielwasser der Lustfahrt, schmeichelte, flehte, klagte:

„Ahnen Sie nicht, sp�ren Sie nicht, wie n�tig jetzt ein paar Zeilen von Ihnen w�ren? Ich f�rchte, Sie haben noch immer keine Ahnung von der ungeheuren Liebe, die er f�r Sie empfindet. Fancy — — — come!

Dann wieder:

„Er h�tte Ihnen so viel zu sagen. Aber wollen Sie denn h�ren? Sie haben ihm ja die Schleusen gesperrt. Vesta! Wie walten Sie des heiligen Feuers?“

Manches klang diktiert:

„Der Trotz, mit dem er diese t�richte Scheinehe einging, ist mir beinah unheimlich. Es ist so komisch, die Menschen ihm dazu ‚Gl�ck‘ w�nschen zu h�ren. Es tut mir in der Seele weh, da� ihm nur Mesalliancen beschieden sein sollen. Ich liebe ihn und g�nne ihm die einzige Erf�llung, die f�r ihn m�glich ist. Oh, werden — werden Sie kommen?“

Immer lagen Kuverts mit verstellter Schrift bei und die Mahnung, nur diese zu ben�tzen, denn:

„Die junge Frau hat keine Ahnung von Ralphs Stellung zu Ihnen, er hat noch kein Wort mit ihr dar�ber gesprochen.“

„Mein Gott, wie komm’ ich zu diesem Schmutz?“ Und Sibyl zerri� die falschen Kuverts bis auf eins, steckte die Schnitzel in dieses letzte — das schickte sie ihm zur�ck.

Doch auch in ihrer Ehe mochte sie nicht bleiben unter falschem Stern. Die Glut dieses Mannes hatte sie ruhelos gemacht, einsam und unfrei. Gabriel bewilligte die Probetrennung, hielt es f�r mystischen Urlaub nur. Behielt Charmion als Pfand. Das Arielewesen sollte nicht leiden, von nichts wissen, nicht in Heimlosigkeit gezerrt werden. Damit es sich ihr nicht entfremde, kam sie in Pausen immer wieder zu ihm. Bestimmte die H�lfte ihres kleinen Depots f�r seine Pflege.

Notre Dame du wagon-lit.“ Ahasvera jetzt. Sie war beinah arm. Und lieber noch jeden Tag eine andere Fremde als „Heim“ nennen m�ssen, war unter ihrer Art.

Arbeitete bei Kocher in Bern, bei van t’Hoff in Berlin, lernte den Skisprung bei Sarnstr�m in Dalarne, h�rte Bergson in Paris. Kam aber aus Europa nicht hinaus, um Charmions willen.

Das Gl�ttende und ortlos Weltg�ltige im Stil war jetzt �ber die so sehr kindlichen Spitzen ihres Wesens geschmolzen, aber ihre innere Fremdheit wuchs. Der Vorfr�hling ihrer Glieder blieb fixiert, duftete nach Birken und Erdbeeren. Es war da nichts zu �ndern, nur �berg�nge auszugie�en, zu feilen, zu veredeln. Welchen Sinn h�tte denn das �lterwerden je gehabt, wenn nicht: Sch�nheitsfehler verbessern und �berhaupt etwas dazu lernen. Wie ein Virtuose auf Urlaub �bte sie auf dem stummen Wunderinstrument ihres K�rpers. Alles oder nichts, auch hier. „Narzissa“ hatte Ralph Hersons wissendes Begehren sie einmal genannt.

Und es war keine Ruhe. —

�ber L�nder und Meere her rann das Gef�lle seiner stechenden W�rme in einer hei�en Linie auf sie zu und hetzte ihr Herz. Ein Buch kam, ihm einst geliehen. An ihrem Geburtstag, unbekannt woher, ein P�ckchen mit seiner Schrift, darin retourniert ihr Hochzeitsgeschenk an seine Frau. Dann wieder ein andermal hatte sich die H�rige bei Papa eingeschlichen, die Dienstleute bestochen, um Nachricht. Sie f�hlte Spione um sich. Ger�chte zerst�ubten vor ihrem Weg: die junge Frau ein Jahr nach der Hochzeit tot. Hatte sich in einem schottischen See ertr�nkt.

Er, das Opfer von Erpressungen, wolle Cambridge verlassen.

Es war keine Ruhe.

Aber warum gerade dieser? Was gab ihm solch brennende Macht?

Sie lie� das wissende Haupt sinken.

Sein Erbteil: Die purpurne W�rme Asiens. Sie lie� sich sinken:

Sweet Prince of darkness.

Aus Olympia zwang sie ein Telegramm zur�ck. Papa war tot, sie selbst nun wohlhabend, fast reich. Tratsch trieb das Erbe zu Millionen auf.

Da brach er durch die Schranken. Der Anla� war hinl�nglich — ja korrekt. Kondolierte vom ligurischen Strand, wo er sich angekauft. Und siehe! Auch Lady Tatjana wieselte wieder �ber den Weg, wo immer man ging. Schlie�lich geschah es vor des alten Anwalts Haus, der die Verlassenschaft f�hrte, da� die H�rige, einen Affront riskierend, herzu trat, ihr Beileid auszusprechen. Unter der Mache aber leuchteten die grauen Augen froh und echt — wie erl�st. Sie redete nur von ihm — in seinen eigenen S�tzen und, wie Sibyl dies einst gewidert, so r�hrte gerade dieser Zug sie jetzt. Dachte auch �ber manches milder. Die unbestechliche Kinderh�rte von ja und nein, dies Kompromi�lose! Weil es ihr eigenes Ma�, mu�ten ihm deshalb andere standhalten? Sie lie� das Haupt sinken:

Sweet Prince of darkness.

Prinz Augenlust.

Sinn der Erde.

„Wie, sie wolle auf ein paar Wochen nach Spanien?“

Wie gut sich das tr�fe, da k�nne man vielleicht gemeinsam bis Genua fahren, und die H�rige sprach von dem Heim, das Ralph Herson im Begriff war, sich am Meer zu bauen. In den n�chsten Tagen tr�fe er �brigens zum Besuche seines Vaters hier ein.

Beim Abschied warf Sibyl noch halb unbewu�t hin:

„Und — das, wie die ungl�ckliche junge Frau zugrund ging (dachte dabei: durch ihn zugrund ging), ist es schon �berwunden?“

„O, er hat ihr l�ngst verziehen,“ sagte die H�rige pathetisch, „er ist ja so g�tig.“

Dieser nachgesprochene Satz war schuld, da� Ralph Hersons Besuch nur in der Hotelhalle und mit den �u�ersten Enden der H�flichkeit angenommen wurde. So gro��ugig nat�rlich, so geistig gel�chelt, so sehr leidlose Anmut war alles um Sibyl, da� die Magie in seine ungleichen Augen tief zur�cktrat und alle kauernde Freude dazu. Er blieb und blieb. Ging z�gernd, fast mutlos endlich, als sie den Lift bestiegen. Drehte, schon an der T�r, doch noch um, — war in vier Spr�ngen wieder am Aufzugschacht — horchte in ihn wie in leere, letzte Erwartung; vielleicht, um ihren Schritt �ber der Stufe oben zu sp�ren. Der Lift hielt falsch, etwas zu hoch, dann wieder zu tief. Da h�rte er lotrecht �ber sich die m�dchenhafte Damenstimme sagen:

„Aber Sie fahren mich ja hinab, statt hinauf.“

Ein vogelheller Jubelton —. Eine ger�hrte Erl�sung — ein beispielloses Entz�cken: eine Hymne der Hingabe — an den Liftboy.

Ralph Herson neigte den gro�gewellten Greifenkopf. Zog die Luft ein in einem endlosen Atemzug, ging ganz langsam ins Schreibzimmer, entnahm der Brieftasche vor dem Herzen die eigens f�r ihn gebaute Feder von niegesehener Breite, verschrieb die halbe Nacht und den ganzen Vorrat an Hotelpapier. Faltete es. Sammelte sich noch zu den starken und k�hnen Z�gen der Adresse, wie zu einem Weitsprung. Hielt. Es blitzte in dem Ge�der seiner Schl�fe. Kleine Verst��e, die er begangen, kamen ihm peinlich wieder: ein deplaziertes Wort, eine rauh gereizte Bewegung, wegstrecken des kleinen Fingers von der Teetasse.

Gutmachen sofort! noch mehr: vorbeugen. Er entbreitete noch einmal das ganze Pfauenrad der Verz�ckung, schrieb darunter:

„Meine liebe Zauberin! L�cheln Sie �ber mich? Doch bin ich mit Ihnen, ist stets die H�lfte meines Geistes in Adoration verloren — Du kennst mich nicht, mein besseres Teil. Die Sch�chternheit vor Dir — vielleicht die Letzte, die mir im Leben geblieben — l��t mich dann trivialer, t�richter, rauher erscheinen, als mir wirklich zu Mut ist, ja ich suche manchmal nach irgendeiner albernen Bemerkung, manierlosen Geste, um die wirkliche Bewegung zu verbergen.“

Als sie kam, fuhr er ihr doch zur letzten Station entgegen, wider alle Vertr�ge. Sprang vom Rad, lief die bremsende Expre�kette entlang, die Arme voll bl�hender Zweige, warf sie durchs Fenster, dunkle Strahlenb�ndel hintennach.

„Dem liebsten Gast!“

Sprang aufs Rad zur�ck. Der Montmorency-Str�hn auf seinem Kopf silberte im Sonnenstaub.

Dann fra� ihn Oleander- und Lorbeergeb�sch weg.

„Abrasieren sollte man die alberne Gegend,“ dachte sie.

„Nichts sieht man.“

Und die Sternsaphire leuchteten.

Sein Gast? Nein. Stieg in einer kleinen Pension neben seiner Besitzung ab.

Am Morgen holte er sie, zeigte ihr das provisorische Haus — die Stelle des k�nftigen. Kaufte immer noch Gut auf Gut, Ufer und H�gel mit Wein.

Die weltg�ltigen Anreden der Fremdheit: „Gn�dige Frau“ — „Herr Professor“, tanzten auf dem �ther und Kokainrausch ihres gemessenen Nebeneinander. Jedes geno� sie als Verhei�ung:

So viel liegt noch vor uns.

Nur einmal, als er Baupl�ne erl�uternd, von dem H�gel niederwies auf seinen Grund, da hielt er an im Sachlichen und Klugen. Und in die lange Pause brach es leis, m�hsam, ger�hrt und r�hrend:

„So im stillen habe ich mir doch immer gedacht, da� Du einmal hier wohnen wirst.“

Die n�chsten Tage lie� er sie b��en. Ward sie an seinem verzehrenden Werben warm, winkte er ab mit z�rtlichem Hohn, posierte Vorsicht — gebranntes Kind.

„Ja, wenn ich so was sagte, das w�re was anderes. Ich verspreche nicht — ich halte.“

Einmal brach er los:

„Verehrter Energievampir. Zeitvampir! Zeit, das Kostbarste! Jahre hast du mich gekostet: Jahre der Sehnsucht und Leere.“

An einem Hauch Humor �ber ihre abgewandte Wange hin sah er, sie rechne nach, womit er diese Leere minotauroshaft und auch ansonsten recht vergn�glich ausgef�llt.

„Aber verlieben konnt’ ich mich nie mehr, seit damals.“

Am Abend lag ein Blatt in ihrem Zimmer:

„... und dachte: sieh, zu andern,

La� Dein Begehren wandern

Und liebe, was sich lieben l��t.

Da hielt ihn stets die Schlinge fest.

Oft pr�ft er sorgsam Herz und Sinn,

Als sp�rt er eine Wandlung drin;

Doch fand er stets darinne,

Isolden und die Minne.“

Sie sa�en in tiefen St�hlen, unterm Mond, auf der Terrasse seines alten Landhauses.

Die Ruhe ihrer Posen trog. Ruhe gab’s nicht bei ihm. Zeitvergeudung! Zirkus im Hirn war angesagt.

Im roten Frack festlicher Hatz stand er: Kenner, Liebhaber, K�ufer, Dompteur, Publikum: alles in Einem. Ohne Peitsche, nur auf Zungenschlag lie� er sie get�rmte H�rden nehmen, h�her — h�her, oder, indes billiger Erdenl�rm schwieg, oben im Raum durch Trapeze st�rzen und schwingen.

Seine stolze Wut nach Probe ihres Wissens, Erfassens, Durchdringens, Beherrschens, war ohne Ma�. Nichts von Literatur, Kunst, Musik: dem Weiberschwatz. Er pre�te sie ins Letzte, Ernsteste vor, drehte dann z�h wieder zur�ck ins Detail, verlangte einen Griff voll Fachwissen hier, einen dort. Geno� dabei das Luftgeb�ude ihres Tons in An- und Abklang, das Uns�gliche am gepflegten Menschen, das um seine Worte ist. Ersch�pft endlich vom blo�en Pr�fen, Fragen, H�ren, Folgen, fiel seine Gier die bessere Beute an, die langerlechzte. Bot ihr Champagner — er selbst, aus Angst um seine prachtvolle Konstitution, trank nie — doch am Andern sch�tzte er die rosenhafte Steigerung im Weine, und �ber alles den Griff der Grazie um den Kelch.

Sein zahmes Eichk�tzchen, aus dem Schlaf geschreckt, hopste hinten auf den Stuhl, lief �ber Sibyl herab und nestelte in ihrem miederlosen Scho�; angenehm erstaunt. Sie bog das Bein ein wenig, legte eine Nu� aufs Knie, hob die schlanken Arme wie schneeige �ste, Fr�chte in den Fingerzweigen. Auf und ab, �ber sie hin scho� das fuchsrote B�schel den schwarzen Seidenstamm hinauf, entlang die nackten, schmelzend wei�en Zweige und wieder zum Scho� zur�ck.

„Bist du am Ende Ratat�skr?“ frug sie den Kleinen, „der von der Weltesche? Ist das wahr, da� du, dasselbe Wesen, oben Gutes, unten B�ses sagst?“ Es spitzte pfiffig das winzige Gesicht, lief an ihr, die aufstand, empor, und hin�ber auf den Arm des Mannes, der sich ihm entgegenwarf.

Sein Schweif fegte ihre Haut zusammen.

Sie standen �berschwemmt von ihrem Blut. Dann k��ten seine Fingerspitzen sich, in streichelnden B�ndern ganz langsam ihre Arme entlang, zu den Fl�gelschultern hin. Verweilten auf kleinen Inseln der Lust, umspielten die zwei winzigen Glockenbl�ten, die Br�ste, rannen die Wege des Eichhorns entlang.

Sie stand nackt unter der zergehenden Seide.

Die Endchen der freien Rippen zwischen den Fingern, bog er in die glatte Sichel der Weichen ein. Da wurden beide H�nde flach, bedeckten in einem rasenden Genie�en den ganzen schleierschmalen Leib. Er st�rzte in die Knie. Da lag der ersehnte dunkle Kopf endlich zum Greifen nah vor ihr. Sie hielt die H�nde dar�ber, wagte nicht, ihn zu ber�hren, als ob er Flamme w�re. Trank seinen Nardenduft, vor Erregung fast besinnungslos. Und wieder flossen die k�ssenden B�nder seiner Finger, diesmal von den Fersenspitzen weise aufw�rts, die edellangen, seidenschwarzen zitternden Beine in den Silberschuhen hinauf.

„Meine Zauberrappen,“ stammelte er — „aber eigentlich sind es Schimmel, und einmal werden wir sie ausschirren.“

Von der Schmalheit der Knie kam er nicht los. Da bog sie ein wenig das Bein. Er verstand. Die Fingerb�nder rannen jetzt mit ihren kleinsten Muskeln um die Wette hinauf, st�rzten in die Kniekehlen, umspannten hart die wundervollen Sprungsehnen, breit und rein wie Dolche.

„Zehntausend Entz�ckungen — — wie — wie soll ich dich genie�en — ausgenie�en!“

Dann taumelte er auf — st�rzte fort, Tatjana aus dem Schlaf zu rei�en:

„Das ist ja gar kein Wesen wie wir, was das f�r Kn�chelchen hat, mein Hermelin vom Mars. Solche Lieblichkeit bei solcher Gr��e.“ Und er raste sich aus.

Etwas ruhiger kam er zur�ck — brachte sie, die zitterte, nach Haus, wie sie gebeten. Sie begriff, da� er alles aufsparen wollte f�r das, was sie „Noch-nocher“ nannte, und war stolz auf ihn in aller Qual. Stumm glitten sie nebeneinander �ber den Wiesenpfad. Vor dem Tor in der Mauer ri� er pl�tzlich die Arme auseinander — weit, hing in ihnen wie gekreuzigt.

„Alles, was mir je geschehen, war nichts gegen das, was du mir damals angetan, als du nicht kamst, aber in diesen drei Tagen hast du alles gutgemacht — ja, es ist tausendmal aufgewogen und ich bin nur Dankbarkeit.“

Und wieder von diesen nur ihm eigenen magischen, unerh�rten Strahlen gehoben, mit einer gl�cklich, heiseren brechenden Knabenstimme:

I love you immensely.

Da lie� sie ihre H�nde durch die Flammen fallen und umfa�te den silberdunklen Kopf.

Es war zwei Uhr nachts, unter einsamen Sternen. Und sie hatten sich noch nicht ein einziges Mal gek��t.

Das war also der „ber�chtigte W�stling“ und „Materialist“, ihm hatte sie so lang mi�traut — seiner Rasse wegen.

Scham tropfte aus den jubelnden Sternsaphiren.

Noch ein b�ser Vorhalt kam: ihr schien in den n�chsten Tagen, als miede er geflissentlich ihre Lippen — gewisse Ber�hrungen. An ihrem Staunen zuckte er dann jedesmal h�misch und h��lich vorbei. Einmal, Gesicht an Gesicht, nahm er ihre Arme sich vom Hals, dann brutal:

„Kann ich dich denn so k�ssen, wie ich m�chte? Was sich mir in solcher Weise bietet, mu� ich dagegen nicht das gr��te Mi�trauen haben?“

Es war nur wie Auf- und Abtauchen im Strom endloser Anbetung gewesen. Sie wu�te kaum, was sie geh�rt. Begriff es erst allein in ihrem Zimmer ganz.

Ihr — das. Er konnte glauben, da� sie — nicht nur widerlich verseucht, auch noch hierher gekommen, um ... ihn ...

Das kam davon: sie kannte doch seine offene Geringsch�tzung der Frau. „Ich, als Orientale,“ pflegte er zu sagen, und erhob damit jede Privatroheit zur „Weisheit des Ostens“. Der Kult ihrer Pers�nlichkeit: eine d�nne Schicht Laune nur, die sie von der gro�en Weiberverachtung — so lang’s ihm pa�te, notd�rftig schied.

„Und wie war das gewesen, das andere? Was sich mir solcherweise bietet: anbietet.“

„Mein Gott, in welchen Schmutz bin ich geraten!“

Sie warf alles in die Koffer, frug nach dem n�chsten Expre� — er ging erst in zwei Stunden, verlangte die Rechnung. Rache war es, heimt�ckische Rache, weil sie ihn damals abgewiesen. Hierher geschmeichelt war sie worden, aufgespart f�r diese Schmach.

„Brang�ne“ erschien mit Botschaft, sah die Koffer, eroberte das Telephon, beweinte, beschwor das Mi�verst�ndnis ... hielt die Fliehende ... bis die T�r aufflog.

Der letzte Verbrecher habe noch das Recht, vorher geh�rt zu werden. Er bitte von vornherein um Vergebung, wiewohl er nicht wisse, worin er gefehlt.

Ein Wink und Brang�ne verschwand.

Ach so. Das. Habe er geirrt? Niemand k�nnte dann seliger sein wie er. Sie selbst — so gro�es Kind wie Dame, wisse vielleicht nicht einmal, was ihr unbeh�tet geschehen. Da� sie, ohne ersichtlichen Grund und ohne doch zu ihm zu kommen, pl�tzlich ihren Gatten verlassen, habe bei ihm Verdacht — Pardon: Sorge erregt — — aber nein, vor diesen feindseligen Koffern k�nne er nicht sprechen, und er gab dem n�chsten einen Tritt.

So galoppierten sie spazieren, den Weg des ersten Morgens hinan.

Er leugnete gar nichts. Wurde einfach vorurteilsloser Naturforscher. Ob sie, leider sehr unpraktisch erzogen, ahne, wie viel namenloses sexuelles Elend es gerade f�r die Vornehmsten gebe. Da sei Vorsicht nicht beleidigend, sondern einfach praktischer Idealismus. Doch mit einem Lachen — einem klaren Wort von ihr, w�re alles abgetan gewesen.

Ja, er kam so sehr ins Recht, da� sie nur besch�mt gestehen konnte, sie sei es eben noch nicht recht gewohnt, weil bisher in Gesellschaft ihre Tischherren gerade diese Frage nie an sie gestellt. Und lie� den Kopf h�ngen.

Ein erstes, leichtes Funkeln von Humor erl�ste ihre Seele schon. Und schlie�lich: nachdem sie durch Gabriel in eine Sackgasse des himmlischen Jerusalem geraten, nun zur�cktastend, bei diesem hier den Sinn der Erde suchte, durfte sie sich gehaben, erwies er sich gr�ber, rauher, als der sterile �therpfad.

Da schrak sie noch einmal zusammen.

„Ja, aber das mit dem sich anbieten,“ und trotz aller Anstrengung brach die Stimme doch.

Er konnte sich nicht fassen vor entz�ckter Heiterkeit. Er — er h�tte das gesagt, der seit Jahren zum Monomanen geworden — an ihr.

Und pl�tzlich ernst: ja doch, er habe so was gesagt: da� sich ihm eine solche Erf�llung doch noch biete. ... Mi�trauen gegen das Schicksal habe er gemeint, einfach Furcht, weil es doch noch nicht erlaubt sein k�nne, so gl�cklich zu sein.

Dann mit Bitterkeit: Also gerade im Zartesten, im Bescheidenen werde er verd�chtigt.

Schlie�lich voll Trotz: „Warum soll nur ich immer der Rowdy sein? Weil man in England Erpressungen an mir versucht und meinen Namen durch die Schandpresse gezerrt hat? Jetzt glaubt man mir alles zumuten zu d�rfen.“

Sie standen auf dem H�gel, er wies ihr, wie am ersten Tag, seinen Besitz:

„Und wo das doch alles f�r dich ist. Und wo ich dir so lieb sage: I love you immensely ... und wo ...“

Dann aber wurde er verschlagen und schmunzelte das Feinste:

„Gn�dige Frau m�ssen ein sehr schlechtes Gewissen mir gegen�ber haben. Aber, ich stehe turmhoch �ber Ressentiments. Fast bin ich froh �ber dieses kleine Mi�verst�ndnis, das dich — verzeih — Tr�nen gekostet hat, denn ich habe daraus ersehen, da� du doch endlich wenigstens zu ahnen beginnst, was dir da bl�ht.“

Vor dem alten Landhaus irrte die H�rige wie gejagt. Beim Anblick der beiden lebte sie auf. Er nickte ihr leicht zu:

„Ich habe das Reh wieder eingefangen und zur�ckgebracht.“

Am Abend erschien Sibyl noch einmal in Schwarz und Silber, und diesmal wurden die Rappen ausgeschirrt.

Sechzehn Stunden lang k��ten sie einander, ohne Pause, ohne Schlaf. Tatjana, vermeinend, ein Ungl�ck sei geschehen, st�rte sie endlich auf. Aber immer noch war ein Schwert zwischen ihnen gelegen.

Jetzt hie� es, die Abendrobe verh�llt, in geborgten Schuhen in die Pension zur�ck — am hellichten Nachmittag. Das erste Renkontre mit der „Welt“.

Ein rasendes Gebelle und Gekl�ff war pl�tzlich ausgebrochen in dem abgesperrten Raum unter Ralph Hersons biologischen Versuchstieren. Im schneewei�en Sezierkittel kam er pfeifend angelaufen. Dann mit spitzb�bischem Gefunkel:

„Aufregung im Hundekotter, das Weibchen ist da.“

Und er sah mit Experimentier-Pr�flust zu, wie sie es aufnehme.

Sibyl beeilte sich, Versuchskarnickel zu sein, gab eine so heitere und dabei verbl�ffende Antwort, da� er, in ruheloser Gier, sofort wieder den Hirnzirkus er�ffnen wollte. In der Pension aber lag schon ein festlicher Brief f�r sie bereit und er begann:

„Wann wird uns beiden

Je wieder hier auf Erden,

Solch s��e Stunde werden!

Vergesset mein um keine Not,

S��e, herrliche Isot.“

Andern Tags reiste sie — seufzend in die so lang vermiedene �ble Stadt. Nun hoffentlich zum letzten Mal. Es hie� sofort ihre Ehe l�sen, Ralph Herson Taten zeigen — diesmal. Ihr einstiges Schwanken gutmachen, denn er glaubte ihr noch nicht. Dieser Zustand war unw�rdig, immer mu�te ein Schwert zwischen ihnen liegen, ehe sie frei. Alles oder nichts, wie gut sie ihn begriff. Wie stolz es sie machte.

„Zeit, Zeit, das Kostbarste, wieviel meines Lebens wirst du noch vergeuden?“ hatte er gesagt. „H�tte ich dich doch mit f�nfzehn Jahren gekannt, mit dir w�re ich sofort sogar eine katholische Ehe eingegangen, h�tte ja gewu�t, da� mir nie jemand besser gefallen k�nne, und bes��e dich jetzt schon zum zweiten Mal in einem neuen gro�en, kleinen M�dchen.“

„Willst du denn ein Baby von mir?“

„Eins ist doch gar kein Ausdruck. Sechs will ich von dir haben — vorl�ufig.“

„Wie lang dauert eine Scheidung?“ frug sie den alten Familienanwalt.

„Ein Jahr. — Ist gar kein Hindernis (aber das gibt’s ja nicht) und schiebt man gewaltig an, ein halbes — vielleicht.“

Sie erschrak. Wu�te, sehr weltfremd, in diesen Dingen nicht Bescheid.

„Welche Gr�nde �brigens? Falls Sie nicht auf Ehebruch besonderen Wert legen, der allerdings das Sicherste und Schmutzigste — auch Billigste ist, bleibt nur ‚un�berwindliche‘ Abneigung. Die mu� aber bewiesen werden. Ich hoffe, Ihr Mann hat Sie vor m�glichst vielen, einwandfreien Zeugen wiederholt angespuckt, blaugepr�gelt — �rztliches Attest erw�nscht — und mit den unfl�tigsten Ausdr�cken belegt, ‚Hure‘ ist gut. Auch alle Komposita mit Sau ... Also bringen Sie mir das Material.“

„Niemals, wir sind doch zivilisierte Menschen.“

„Das Gesetz hat nichts mit dem zivilisierten Menschen zu tun.“

„Wenn aber zwei m�ndige Leute auseinander gehen wollen ohne Aufsehen, brauchen sie da nicht blo� ihren gemeinsamen Entschlu� irgendeiner Beh�rde zu melden, und die Sache ist erledigt? Das Gericht h�tte doch nur gefragt zu intervenieren, wenn es sich eben um Schlichtung von Streitigkeiten handelt, kurzum zu helfen, sollte man meinen.“

„Meinen Sie,“ sagte der Alte.

„Auch bin ich schon zwei Jahre von meinem Mann getrennt.“

Da belebte er sich. „Nie dazwischen in seinem Haus gewesen?“

„Ja, doch nur um meines kleinen M�dchens willen, damit dem Kind das Wissen um den Konflikt erspart bleibe.“

„Schade,“ sagte der Alte, „sehr t�richt.“

„Aber“ — Sibyl war au�er sich — „wenn drei Menschen ihre privatesten Privatangelegenheiten ordnen wollen: anst�ndig, reinlich und ohne die einzige k�stliche Spanne Gl�cks dabei zu vers�umen — —“

„Ausgeschlossen,“ sagte der alte Anwalt, denn er war mosaischen Glaubens.

Sie sch�ttelte seinen ranzigen Jargon ab:

„Wenn also eine Frau in Yokohama von jemandem ein Kind bekommt, deren Mann in Berlin ist, und der in Yokohama, sowie die Frau bezeugen es beide, und der Yokohamaer will sein Kind haben und anerkennen, w�hrend der Mann in Berlin keinen Wert drauf legt — ist es dann automatisch durch Fernverkehr doch sein Kind — auf Jus?“

„Nat�rlich. Au�er, der Gatte klagt auf Ehebruch, und dann wird im laufenden Verfahren schon ganz von selber eine gro�m�chtige Schweinerei draus.“

„Welch pr�chtige Einrichtung,“ sagte Sibyl.

„Nun, dies eine Mal nur — dann mein Leben lang nichts mehr von Gerichten.“

Da setzte Dr. Lederer einen zweiten Zwicker auf, um sie mitleidig anzustarren.

„Jeder Tag ist verloren ohne Liebe,“ hatte er beim Abschied gesagt. Sie ging auf alles ein, nahm die Schuld „b�swilligen“ Verlassens auf sich, trat durch Schenkung einen Teil des v�terlichen Erbes an Charmion ab, Ralph Hersons Frau w�rde es entbehren k�nnen. Ihm Zeit ersparen war wichtiger. Gabriel, fanatisch und bigott verwildert, stellte immer b�sere Bedingungen, nicht um sie erf�llt, um die Scheidung abgebrochen zu sehen. Ihm schien seine Frau, der gefallene Morgenstern — ein br�nstig gewordener Seraph. Nur um Charmion rang sie mit ihm. Einen Teil des Jahres mu�te ihr das Kind verbleiben. Er ging darauf ein mit einer Klausel: so lang ihr Wandel einwandfrei. Das lie� sich unterschreiben.

Ralph Herson traf sie in Paris, Venedig, Rom. Sein Heim mochte sie nicht als Gast, erst als Dame des Hauses wieder betreten. Warum er sich nicht lieber in England einen Landsitz errichte, als am ligurischen Strand?

Er wehrte erschrocken ab: „Unter solchen Gesetzen leben.“

Sie dachte an Wildes Schicksal, gab ihm recht.

Auch war das Land so wundervoll, auf dem er zu bauen gedachte.

„Ich h�tte dich gerne gleich in ein fertiges Haus gesetzt, doch auch so ist es gut, nun magst du mitbestimmen.“

Hatte Bilder, Bronzen, edle Stoffe in vielen Jahren vorausgesammelt. Die alte Landvilla war vollger�umt wie ein Museum.

„Da� ich jetzt nicht nach meiner innersten Art schenken kann,“ sagte er einmal trotzig, als sie durch die juwelene Rue de la paix gingen — „es dem�tigt mich. Da ich aber das sch�nste lebende Material verschmerzen mu�te, verrannte ich eben meine Mittel in Totes —, und so wird es am Ende von mir hei�en, da� ich geizig bin.

Wie — wie soll ich dich jetzt w�rdig genie�en?“

Nun, so weit es an ihr lag, sollte auch der anspruchvollste aller Sinnenprinzen nichts zu vermissen finden. Sie bot ihm jenes letzte Zusammenspiel der Tadellosigkeit zu allen Stunden, das nur in Nerven anspannender M�hsal, um ein Verm�gen bei den ganz gro�en Couturiers, erreichbar ist — f�r Wenigste. Fuhr manchmal eigens �ber den Kanal, um ein tea gown, einen Hut. Schade, da� ihre Mittel nicht so unbegrenzt. Doch nur ein einziges Mal versuchte sie zu sparen.

Es war in Rom. Am n�chsten Abend sollte er eintreffen, ein M�rchengewand, von Fortuny, lag schon bereit, da sah sie ihren Kontoauszug durch — und erschrak. Scheidung, Schenkung, Reisen, der vielf�ltige Luxus, den er als �sthet brauchte zum Genu�, hatten mehr verschlungen, als sie geahnt. Was f�r Schuhe zu dem graugoldenen Nebelgewebe morgen? Roter Saffian, geschnabelt, und im Schnabel oben h�ngend, eine schwarze Perle. Der Kontoauszug. Sie seufzte, und verzichtete weise, doch bedr�ckt, auf die schwarze Perle.

Nach Stunden ersch�pfender Pflege war sie p�nktlich zur Minute — er liebte Warten nicht — im gro�en Vestibul: dem Treffpunkt. Wartete. Ging auf und ab. Ging ans Klavier. Spielte. Nacheinander gespannt, erregt, befl�gelt, besorgt, entt�uscht, leer und namenlos zermartert. Drehte endlich mutlos der Treppe zu. Da kam er, verschlagen und selig, hinter einem Pfeiler hervor:

„Ich habe mir gedacht: erst schau’ ich, macht sie ein gar zu b�ses Gesicht, schleich’ ich mich wieder weg.“

Hatte unbemerkt in ihrer Art zu warten geschwelgt, und wie man ihn vermi�te.

Sie umflammend, nahm er oben im Schlafgemach das Saffianschiffchen am Ende des feinen Seidenbeines an sein Herz, k��te die rote Spitze.

„W�re ich reich, hier hinge morgen eine schwarze Perle — riesengro�.“

Dies: „w�re ich reich“, scherzend nannte sie es: seine irreale, hypothetische Periode. Doch das Festliche des Wiedersehens war f�r diesmal verdorben. Der n�chste Kontoauszug blieb uner�ffnet. Das Sparen hatte er ihr somit abgew�hnt und gr�ndlich.

Wie sie ihn begriff, in der Ganzheit ihres Herzens, da� er den Anspruch h�her trieb und h�her: in die Grenzen des Unm�glichen hinein und, wenn ihr die Erf�llung doch gelang, wie war er voller Dankbarkeit:

„Endlich, ohne Surrogatempfindung lieben k�nnen, welche Erl�sung. Wieviel Entt�uschungen habe ich schon an Frauen erlebt.“

Der Kult ihrer Pers�nlichkeit steigerte seine H�rte gegen alle Anderen. Gern �bertrieb er dann den Physiologen durch Kra�heit der Diktion:

„Jede Frau sollte man eigentlich, hat sie ihr Erstgebornes abgestillt, erschlagen, als f�r den Mann erotisch nicht mehr brauchbar und �berfl�ssig f�r das Kind. G�te, R�cksicht, Gro�mut, Treue: alles M�nnerart, ob eine Frau einen wahrhaft liebt, wei� man ja erst, bis sie sich f�r einen umgebracht hat.“

Sibyl gr�belte:

„Hat er das wohl auch seiner achtzehnj�hrigen Frau, der schwer hysterischen, gesagt, eh’ sie ins Wasser ging?“

Da ihnen die letzte Erl�sung versagt war, �bertrieben sie die periphere Lust. Glitt er nach endlos verk��ten N�chten aus ihren Gliedern auf, stand ihm, dem Mann — ganz Rom — Paris — Venedig zur Erf�llung frei. Sie: die Dame, lag da, mit hilflos aufgew�hlten Adern ohne Frieden, ohne Schlaf — nur Arbeit noch vor sich. Da warteten Werke seines engsten Faches neben dem Bett. Sie griff danach. Nichts gab es zwischen Himmel und Erde, �ber das er nicht pl�tzlich mit ihr zu sprechen begehrt. Dann schrak sie auf zum Morgenritt mit ihm, zu Dauerl�ufen durch Ausstellungen, Museen. Tage pre�te er in Stunden — klagte: wir haben Jahre vers�umt. Sein schnellstes Tempo ging er neben ihr: zur Probe, denn �ber alles begl�ckte ihn, was er die h�herwesige Anmut ihres Ganges nannte, und dies auf Erden unbekannte Gleiten im kleinsten Schritt. Schlief er bei Tag, hie� es: sich umkleiden von Kopf zu Fu�, nach dem sechsf�ltigen F�cher t�glicher Mond�nit�t die Linien wechseln.

Als Physiologe studierte er den auserlesenen Organismus seiner Dame stolz, wie wenig Nahrung sie bed�rfe — welch guter Motor sie sei —, wollte die Grenzen ergr�nden. Sie wu�te kaum mehr, wie sie leben sollte.

Seine Gier, sie auszukosten, war ohne Ma�.

Man trennte sich am Bahnhof. Nach letztem Abschied sank die Zerliebte tief ersch�pft in ihr Kupee. Endlich Frieden, seliges Nachgenie�en ohne get�rmten Anspruch, Qual der Hast. Da ging die T�r. Heimlich war er mitgefahren, stand st�rmisch, in Erwartung einer Freude — die nicht kam, in ihr erbla�tes Gesicht. Ein Augenblick Verstimmung nur, dann flog die echte Sonnigkeit drin auf.

Er scherzte:

„Du bist mich noch nicht los.“

Um seine Miene aber lag gekr�nkte M�nncheneitelkeit. Dann aber war’s ihm wieder recht, erh�hte irgendwie den Wert der eigenen Glut und pa�te in das Liebesspiel der beiden.

Sie spielten Faun und wei�e Prinzessin, Pan, der die Pranken um den Mondstrahl schl�gt. Er wollte jenen Schmelz an ihr aus Eis und Honig, und da� es mit dem Eis beg�nne. So �berflog er seinen eigenen Brand, blieb alleiniger Herr des Feuers. Ihre W�rme, ihre Liebe aber neckte er hinweg:

„Du wirst doch nicht etwa ein Herz — so ein ganz gemeines irdisches Herz vort�uschen wollen, das, womit wir Menschen lieben. Auf den Mangel dieses Organs habe ich immer das entz�ckende Untergewicht meiner gro�en Fee geschoben.“

Er korrespondierte mit ihren F��en, mit jedem Glied.

Seine Briefe schwollen jetzt zu Brosch�ren an, kamen zusammengeheftet und mit der Maschine geschrieben. Sie vermi�te den stilisierten Eigensinn seiner breiten Feder. Damit, aus dem Papierkorb heraus, hatte es ja begonnen. Ihr war: geliebte Schrift in die Augen empfangen, sei ein sublimer Eros, und sagte es ihm auch.

Er bat: „Ich habe dir doch unaufh�rlich Zehntausenderlei zu sagen — und endlich darf ich auch — die Feder ist viel zu langsam.“

Sie einigten sich. Den Inhalt gab sie der Mechanik preis, Nachschrift (eine mindestens) und Kuvert sollten der lebendigen Hand verbleiben.

Daf�r bat er sich leihweise all seine Briefe aus, von jenem fr�hen, mit dem Antrag angefangen, damit er sie kopiere, f�rs Archiv — um einst zu sehen, „wie alles ward.“ Wollte alles besitzen, was sich auf ihr gemeinsames Schicksal bezog.

Das „laufende Verfahren“ zog indes seine Schleimspur durch die Monde. Vers�hnungsversuche, Verhandlungen, bei denen ma�los ange�dete Leute in schwarzen Babykleidern schamlose Dinge fragen mu�ten, die sie nichts angingen, um Antworten zu erhalten, die notgedrungen L�gen waren. Es hie� „Erh�rtung des Tatbestandes.“

Seit die Scheidung im Gang, wollte Ralph Herson nicht mehr ohne sie sein, fuhr einfach mit.

„Jetzt kann nichts mehr geschehen, vor einer Ehebruchsklage deines Mannes bin ich sicher.“

Angenehm war es ihr nicht, hetzte er sie hier, von allen gekannt, an seiner Seite durch die Stra�en der Stadt.

Man klebte f�rmlich vor geblicktem Schmutz.

Ralph Herson staunte, wieder ganz Edelanarchist, �ber solch kleinliche Scheu bei einer so gro�en Dame. War auch sonst schwarz gelaunt und von wahnwitzig gereizter H�flichkeit. Sie befragte Tatjana.

Es sei um der Besitzungen bei Genua willen. Eben b�te sich Gelegenheit, den Grund aufs Wertvollste zu arrondieren. Dann w�re man auf viele Kilometer im Umkreis f�r alle Zeit gesichert vor Fabriken, L�rm und Unflat. Doch m�sse Ralph ihretwegen jetzt seine fl�ssigen Mittel f�r den neuen Bau bereit halten. Sibyl lie� sich die Summe nennen, bot sie ihm — war es doch f�r ihr k�nftiges Heim — diskret, fast en passant, als Darlehen an. Er brauste auf. Nach gutem Zureden ging es aber dann doch. Solche Gelegenheit kam ja nicht wieder. Er trug ihr einen Schuldschein an, die ganze Summe nach zehn Jahren r�ckzahlbar, die Zinsen zu jedem Quartal f�llig.

Sie setzten es zusammen auf und lachten sehr.

Es ergab sich, da� der Million�rssohn in diesen Dingen ein weltabgeschiedener Gelehrter war, und gestand das auch freim�tig zu. Da ihn dergleichen ekle, regle stets der Prokurist des Hauses Herschsohn alles Geldliche f�r ihn. Und so verga� er denn auch richtig das mit den Zinsen hineinzunehmen. Sie mochte ihn nicht mahnen. War es nicht gleich? Die Fl�ssigmachung der Summe gelang nicht ganz leicht. Sie mu�te Effekten ung�nstig verkaufen, andere belehnen lassen, denn er brauchte die Summe gleich.

R�hrend, wie chronisch er wieder sparte, an kleinsten Dingen, der gro�e Herr, der Forscher und �sthet, als w�ren sie von Belang. In Venedig hatte er mit dem Gondolier um eine halbe Lira einen Auftritt. Mitten im Kreis der Gaffer lie� er seine Dame stehen. In einer Wallung Zorn, Verachtung fast, griff sie bereits zur Tasche, dem Schiffer ein Geldst�ck hinzuwerfen und ihres Wegs zu ziehen. Da scho� ihr die Scham ins Gesicht.

„Es ist f�r mich — f�r unser Heim.“

Und wartete geduldig im Kreis der Gaffer, bis Fahrgast und F�hrer sich auf f�nf Soldi geeint.

Endlich kam der letzte Verhandlungstag. Die Erniedrigung schien ausgelitten. Sibyl atmete schon auf, da stand pl�tzlich wieder ein neuer Jude da und sagte, er sei Ehebandsvertreter und von Staats wegen bestellt, auf alle F�lle dagegen zu sein. Nichts war ihm recht, nichts lie� er gelten. An „un�berwindliche Abneigung“ glaubte er so wenig, wie an b�swilliges Verlassen. Riet im Gegenteil den anwesenden Parteien dringend zu neuerlichem Geschlechtsverkehr, von dem er sich viel erhoffe. W�hrend sein eingespeicheltes Wohlwollen bewies, wie doch selbst so gewissenhaft gef�hrte Verhandlungen gar nichts Trennendes zutage gef�rdert, das zu einer Scheidung berechtige, streifte Sibyl ganz langsam den Handschuh ab, betrachtete, Tiefes sinnend, die kleine Narbe am Gelenk, sah dem Ehebandsvertreter dann pl�tzlich mit solcher Kraft des Hohnes in den Mund, da� er zwar noch alberner wurde, von den d�senden Richtern jedoch nur ein Probejahr verlangte, statt zwei. Es n�tzte ihm aber nichts. Die Ehe wurde getrennt.

Also frei. Sie dankte ihrem Anwalt, sprach ihm, zum ersten Mal, von neuer Bindung.

„Ausgeschlossen,“ sagte der Alte — „erst in sechs Monaten — als Frau. Nur der Mann kann sofort wieder heiraten.“

Da verlor sie zum ersten Mal den Mut, stammelte:

„Und wann — wann d�rfte sie ein Kind ...“

Der Alte kam ihr zu Hilfe, hatte dieses hohe, zartfremde Wesen lieb gewonnen, das da hilflos in seiner Kanzlei sich die Fl�gel zerstie�, und dem er als Baby einst das schmale Goldhaupt gek��t.

„Kommt das Kind ein Jahr nach erfolgter Scheidung zur Welt, geh�rt es der Ehe nicht mehr an, kann aber ohne weiteres durch eine andere Heirat legitimiert werden, die allerdings erst sechs Monate nach erfolgter Scheidung geschlossen werden darf.“

Sibyl war ganz perplex �ber die klare Antwort. Mochte der Inhalt auch Unsinn sein, man wu�te wirklich, woran man war.

Wie zart, wie gut von Ralph Herson, da� er nie frug. Die ganze rechtliche Kloake vornehm ignorierte, durch die sie gemu�t, um ans andere Ufer hin�ber zu kommen, zu ihm, wie er gew�nscht.

„Mein Wunderwesen vermag so wonnevoll leicht aus diesem trivialen Leben zu entgleiten,“ sagte er nur.

Und nach einer Pause:

„Da� wir sofort nach deines Vaters Tod uns wiederfanden, es ist, als h�tte er dich irgendwie mir sterbend anvertraut, da� dir nur nichts geschehe.“

Sie sprachen nie von T�glichkeiten. Gewi� wu�te er gleich ihr juristisch Bescheid. War die peinliche Wartezeit um, erledigte man eines Vormittages obenhin und m�glichst in der Stille, was der Gesittung und der Kaste zukam.

So strichen noch drei Monate unter Qualen an den Grenzen der Erl�sung hin, die heilige erste Flamme sollte erschaffen d�rfen, nicht in Halbheit erstickt, verschw�len.

„Dir will ich meine ganze Liebe und meine ganze Z�rtlichkeit auf einmal geben.“

Und ging aus ihren Armen zu Gleichg�ltigen. Konnte sie denn ein Jahr Askese von ihm verlangen — ja, nur w�nschen?

Doch nun. Immer �fter, tiefer, sahen die m�chtigen braunen Augen in ihr Herz und klagten:

„Begeisterung ist keine Heringsware, die man einp�kelt f�r mehrere Jahre.“

Und die silberne Locke auf dem dunklen Greifenkopf im Spiegel angeseufzt, hie�:

„Ich bin nicht mehr so jung, wer wei�, wann die m�chtige Flamme erlischt.“

Sollte noch mehr Leben und Gl�ck vergeudet werden, um einer leeren Formalit�t willen, die ja in wenig Monaten nach Belieben nachzuholen war?

Und so geschah es. Manisch, brutal, nur einem Zwecke zu. Sie dachte:

„Da� er mich nicht nachher noch an den F��en aufh�ngt, wie die Tartarenkhane ihre Weiber, ist alles.“

Er vertr�stete: „Dann, ist das gro�e Ziel erreicht, alle Orgien der Welt.“

Sie war wie eine Gefangene. Und doch tat er, als glaube er ihr das Kind nicht. Nur ein einziges Mal hatte sie davon gesprochen, wie eine Frau die Sekunde wisse, wann es in ihr um einen neuen Kern zu kreisen beg�nne, als du im ich. Wie das Empfinden da gleichsam blitzhaft zucke, her und hin, mit erstem Gru� und Gegengru�.

„Hysterische Faxen,“ hatte er gelacht, „mir, als Physiologen, macht man nichts weis. Sicher sind erst die Herzt�ne.“

Nun w�rde sie schweigen bis zu den Herzt�nen. Fuhr trotzig zu Charmion, das Kind mit sich in die Berge zu nehmen, verschmachtet nach Freiheit und Bewegung. Glitt auf Skiern ins Blaue �ber W�chten — da es ja doch nur „hysterische Faxen“ waren. Auch hatte er noch etwas gesagt, das sie verdro� und trotzig machte.

„Ich bin nicht mehr jung. Vom eugenetischen Standpunkt aus h�tte ich eigentlich mit einer Sechzehnj�hrigen zeugen sollen.“

Sie hatte gelacht: „Recht aneifernd f�r mich.“

„Seine sch�ne Offenheit,“ fuhr Tatjana dem�tig dazwischen, „wie wunderbar objektiv er immer ist.“

Die Frau hatte ein h�ndisches Geschick, alle peinlichen Tatsachen um ihn zu verwedeln. So ertrug er — voll Sehnsucht nach Ebenb�rtigkeit — doch kein freies Wort mehr, nur kritiklose Unterwerfung, unbewu�t gewohnt, seine Umgebung ausschlie�lich von dem Gesichtspunkt zu w�hlen, sich ungest�rt �bersch�tzen zu k�nnen.

An die „Kr�nung seines Lebens“ schien er wirklich noch immer nicht zu glauben, h�tte er sonst von ihr, in diesem Zustand, Geld verlangt?

Nat�rlich nicht „verlangt“, eben nur angefragt, ob man nicht f�r ihren Baderaum jetzt einen Marmorblock kaufen solle — in Carrara sei ihm ein besonders sch�ner preiswert angeboten — k�me sie aus den Bergen zur�ck, f�hre man zur Besichtigung hin. Auf alle F�lle m�chte er die Summe als Scheck schon jetzt haben.

Sibyl wu�te nicht so ganz genau, was ein Scheck sei, sch�mte sich, tief sch�chtern, zu fragen, f�rchtete Spott. Begriff nur, da� es sofort bares Geld bedeute, sagte nun zwar ja, sp�ter aber fiel ihr ein, er brauche die Summe ja nicht gleich, so k�nne sie neuerliche Belehnungszinsen bei ihrer Bank indessen sparen. Hatte Angst davor, seit dem letzten Mal. Diese ewigen Belehnungen zehrten zuviel auf, und Ralph hatte ja in seinem Schuldschein die Zinsen vergessen, so trug sie alle Lasten f�r ihn allein.

Ein bitteres Schreiben flog ihr in die Berge nach. „Geld“, als Wort, kam nat�rlich nicht vor. Er umschrieb es:

„Dein Benehmen gegen mich verschlechtert sich rapid. Du h�ltst Abmachungen nicht und bringst mich dadurch in peinliche Abh�ngigkeit. H�ttest Du Deine Zusicherung aus irgendeinem Grund nicht halten k�nnen, es spielte gar keine Rolle, was w�re Finanzielles zwischen uns, nur in der Nicht-Mitteilung erblicke ich eine �u�erst verletzende Geringsch�tzung meiner Person, um so weniger ertr�glich an jemandem, den man so sehr um guten Benehmens willen liebt, die ganze Natur hat sich da gleichsam so ‚gut benommen‘. Und all das — mir, der ich Dir eine Liebe entgegenbringe, wie sie nur noch im M�rchen vorkommt.“

Ihn an die vergessenen Zinsen gemahnen: den wahren Grund des Aufschubs — niemals. So schickte sie zwar sofort die ganze Summe, doch kommentarlos, nahm lieber den Schein der R�cksichtslosigkeit auf sich, sein Gentlemantum zu schonen.

W�re nur die erdenschwere Pein der n�chsten Monate schon vorbei. Wie w�rde der �sthet Entstellung ertragen? Was anderen fast verborgen, war f�r sein an Vollendung verw�hntes Auge bereits degoutant. Nie durfte der Vater Herschsohn nach Genua kommen, alte Leute duldete er nicht um sich, sein Kind mit Tatjana wuchs in Instituten auf, weil es unsch�n ausgefallen war. Das leichteste Unwohlsein schon galt als Schande. Welcher Jammer, als sie einmal die Spitze eines Fingernagels brach. Andern Tags kam er halb scherzend mit einem Formular von Lloyds angelaufen: „Wie Paderewski jeden Finger, so la� ich jetzt jeden deiner Fingern�gel versichern.“

Oben kritzelte er etwas mit Bleistift, unten mu�te sie wahrhaftig mit Tinte unterschreiben.

Man fuhr nach Carrara, nach San Gimignano, nach Ravenna, man fuhr, man fuhr ... Endlich war selbst er, der Unerm�dliche, m�de und die Zeit ihres freiwilligen Exils von seinem — ihrem Heim zu Ende.

Nur mehr wenige Wochen dort, als sein Gast, ein „gravider Gast“ allerdings, dann: Dame des Hauses. Alles Falsche, Schiefe, der Kaste unwert, war �berwunden.

Endlich ein Heim haben. Sie f�hlte, wie sich Tr�nen in ihr erzeugten, w�hrend der staubige, kleine Waggon gegen Padua holperte. In ihrem Scho� lag der dunkelh�utige Greifenkopf, den sie betreuen durfte, in tiefem Schlaf. G�tterfrei weidete ihr Auge auf ihm in befiederter Erwartung eines namenlosen Gl�cks. In einem dichten Lichte schwamm ihr Herz. Ergriffen sah sie auf. Da, gleichsam geformt aus diesem Gl�ck, zogen vor dem gro�en Glaswagen zwei wundervolle Menschenangesichte langsam und lautlos an ihr vorbei, wie eine ungeheure Erweiterung der eigenen Seele.

Die Versuchstiere waren fort aus der alten Landvilla, als sie ankamen. Wie lieb. Sie dankte ihm.

„Ich sagte dir ja vor Jahren schon, eine Zeit k�me, wo ich das Tierexperiment zeitweise entbehren k�nnte.“

Hinter seinem breitweggerollten Mund lagen die sch�ngesetzten Z�hne fest aufeinander.

Sibyl war morgens beim Arzt gewesen, hatte sich die Herzt�ne best�tigen lassen, nun waren es keine „hysterischen Faxen“ mehr. Nachmittags fuhr er in die Stadt zu seinem Anwalt. Kam sp�t nachts zur�ck. Lie� sie zu einer Unterredung in sein Arbeitszimmer bitten. Er liebte Form. Schon im Nachtgewand, kleidete sie sich nochmals sorgf�ltig an, wie zu einem kleinen intimen Souper, trat ein. Er r�ckte einen Klubsessel beflissen zum Schreibtisch, das undurchdringliche Gesicht l�ssig neugierig gespannt �ber der kerzensteifen Hemdbrust. Nahm dann eine frische Feder, pr�fte die Spitze, legte sie ihr hin wie zu einer kommenden Unterschrift, entfaltete ein Dokument. Begann zu lesen. Es war ein Ehekontrakt.

Nein, eigentlich mehr ein Scheidungskontrakt. Ihr Verm�gen und ihr k�nftiges Kind verblieben auf alle F�lle ihm, w�hrend er das Recht haben sollte, sie jederzeit entsch�digungslos auf die Stra�e zu werfen. So ungef�hr klang der verschleierte Sinn hindurch.

Sie sa� ganz still. Alle Wirbel begannen zu zittern. Tief innen zuckte sein Kind.

Er erl�uterte:

„Es war recht schwierig, das in rechtsg�ltige Formen zu bringen. Nach diesen l�cherlichen gyn�kokratischen Ehegesetzen, denen ich mich niemals unterwerfe, h�tte ja meine Frau bei einer Trennung den Anspruch auf den vierten Teil meines Verm�gens. Gegen solche juristische Attentate auf meine materielle Freiheit mu� ich mich zu sch�tzen suchen, und mit etwas gutem Willen und einem guten Advokaten l��t sich viel machen, also bitte zu unterschreiben. Es ist das wie ein Sicherheitsg�rtel, ehe man sich auf hohe See begibt. Gerade weil du ja hoch �ber den selbstischen Interessen der gemeinen Weibchen stehst, liegt deiner Unterschrift nichts im Wege.“

„Vielleicht die Selbstachtung,“ sagte sie leise.

Es waren zwei Dokumente. Im ersten mu�te sie ihm eine phantastische Summe, viel gr��er, als ihr tats�chliches Verm�gen, als Mitgift zubringen. Das zweite, weit vorausdatiert, enthielt das Gest�ndnis eines Ehebruches — aber, da verstand sie schon nicht mehr ganz — offenbar irgendeiner Infamie, die sie v�llig in seine Hand geben sollte. Ob das alles wirklich rechtsg�ltig — ob es auch nur m�glich, was ging es sie an. Ihr Gehirn stotterte nur in einem fort:

„Die ersten Herzt�ne seines Kindes ben�tzt er zu Erpressungen.“

„Zu Erpressungen, die Not, in die er mich durch Vertrauensmi�brauch gebracht.“

„Wie eine Alimentenj�gerin behandelt er mich. Aus Angst vor dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestma� an Anstand.“

„Mein Gott, nur heraus aus diesem Schmutz.“

Dann stieg langsam eine ungeheure Emp�rung in einer Welle von Rot auf. Sie erhob sich, ging zur T�r. Wenn nur die Stimme jetzt noch hielt, ohne zu brechen:

„Jemand, mit dem man erst einen Vertrag schlie�en mu�, — mit dem schlie�t man auch keinen Vertrag mehr. Wie den M�bel-, den Marmorlieferanten, versuchen Sie nun auch der ‚Kinderlieferantin‘ nachtr�glich Abz�ge zu machen? Einen M�rchenprinzen glaubte ich zu finden und finde — Leiser Herschsohns Nachfolger.“

„Ganz wie gn�dige Frau w�nschen. Ich m�chte nur konstatiert wissen, da� ich die Eheschlie�ung wollte, die Sie — in der beleidigendsten Form — abgelehnt haben. F�r weitere Konsequenzen bin ich demnach nicht mehr verantwortlich.“

Sie wollte an ihm vorbei. Er vertrat ihr die T�r. Seine ungleichen Augen genossen die Situation. Dann mit wohlwollender T�cke:

„Nun, vielleicht w�re die Klausel mit dem Kinde unn�tig gewesen, es verbleibt mir ja auch so. Wenn du dich um dieses K�nftige so wenig k�mmerst, wie um Charmion — das gen�gt mir vollkommen.“

Auch das noch. F�r ihn, um ihm andere schenken zu k�nnen, hatte sie unter bittersten K�mpfen auf das Arielwesen zum Teil verzichten m�ssen. Selbst daraus wurde ihr noch der Strick gedreht.

Menschenscheu, ganz allein, irrte sie von Stadt zu Stadt. Sprach durch Monate kaum ein Wort. Mied Seen, Br�cken, Felsen. Einmal, in Madrid, war im Hotel nur noch ein hochgelegenes Zimmer frei.

„Nicht im vierten Stock, ich will nicht an dieser Bestie zugrunde gehen.“ Ganz laut geschrien hatte sie es wohl, die Leute schienen so verdutzt.

Nein, diesen Triumph befriedigter Eitelkeit sollte er nicht haben.

Ballten sich in ihr die kleinen Gliedma�en und schlugen nach oben aus, gegen das Herz, begann sie zu rennen. Ins Freie. Hielt das Bewu�tsein mit aller Kraft noch auf Armesl�nge von sich ab. Stetig umkreiste es sie in unsichtbaren Spr�ngen nach ihrer Kehle. Sie z�hlte krampfhaft, immer noch bis zehn, und dann noch bis f�nf, um es wegzuhalten. Pl�tzlich, ein Moment inneren Erlahmens: da sprang es ihr an die Gurgel. Sie sp�rte den stinkenden Hy�nenatem der Schmach. Ihre Wirbel zitterten vor Wut.

Im Gral ihres Wesens krei�te also die Jauche eines Wucherers. Was Niggergier in sie hineingespien durch Vertrauensmi�brauch ohnegleichen, sollte sich Leben erm�sten d�rfen durch sie.

Mutterinstinkt! �ber nichts wurde wohl so ausdauernd, feig, schamlos gelogen, und gar von niemandem so heuchlerisch, wie vom Mann.

Das k�nnte ihm gefallen, den viehischen Bruttrieb als „heilige Pflicht“ auspl�rren: als weibliche „Natur.“

In der Natur kann eine L�win ihre Jungen auffressen oder liegen lassen, ohne da� die Vormundschaftsbeh�rde sich einmischt, sie vor die Wahl �chtung oder Zuchthaus stellt. Das ist Natur: frei sein, zu geb�ren, frei das Geborene zu vernichten.

Wie, jeder Instinkt sollte sich veredeln, erh�hen d�rfen, und nur die Schwangere wahllos, bestialisch bleiben m�ssen? Wahlloser Muttertrieb so ver�chtlich wie wahlloser Geschlechtstrieb! Wie aber k�nnte die �rmste echt von falsch erkennen, ehe sie den Mann „erkannt“. Da erst f�llt die Maske. Erst da wei� sie, was sie empf�ngt.

Das Gesetz. „Wer sich Infamem beugt, wird selbst infam.“ Nein, dies Kind w�rde sterben, ausgesto�en werden — reuelos, sie selbst aber leben, jetzt gerade.

Und dann schlug sie das Gesicht in die H�nde und hoffte, da� ihr das Herz br�che.

Wie sie crude geworden war. Wie sie sich verrohen f�hlte in dieser H�lle. Wo war die Zartheit, wo die Scheu? Wo das reine und k�hne junge Wesen, dem selbst im Stra�enschmutz der Saum des Schuhs noch ohne Makel blieb? Das �rgste am Ungl�ck war nicht, da� es ungl�cklich, da� es so schamlos machte.

Und nun begann das Pendel langsam zur�ckzuschwingen aus dem h�chsten Ha�. Sie litt so sehr, da� sie nach ihrem eigenen Unrecht suchte.

Zwei, drei, vier Stimmen erhoben eine bebende Litanei: rechtfertigend, beschw�rend, ringend, hadernd:

„Du Philosophin, du neunmal Weise. Es wird ein Mensch doch nicht pl�tzlich zur Bestie, zum Verbrecher?“

„Nein, denn er war es stets, l��t nur die Maske fallen, sobald nichts mehr herauszuschinden ist.“

„Bedenke, er war Erpressungen ausgesetzt. Verfolgungswahn, nichts weiter. Er ist krank. Kann man nicht auch einen Kranken sehr lieb haben?“

„Krank? Ein recht gesunder Wucherer. Selbst aus Erpressungen, an ihm begangen, versteht er es noch Vorteile zu ziehen, markiert Verfolgungswahn, um seinen einfachsten Verpflichtungen heuchlerisch sich zu entziehen.“

„Und wei� nicht jede Pore deiner Haut von Liebe, wie sie nur im M�rchen vorkommt?“

„Ja, solang’ es nur Vergn�gen war. Zu einem Tee im Ritz reicht die Liebe, falls die Dame ihren beau jour hat und — den Tee bezahlt.“

„Wei�t du denn wirklich, was er wollte in dieser schrecklichen Nacht? Hast du dich verh�rt am Ende? Warum nicht in Ruhe und Geduld den Kontrakt bei Tag noch einmal pr�fen?“

„Aufs Nichtpr�fen war es ja angelegt. Selbst um den ehrlichen Heiratsschwindel hat er sich noch herumzuschwindeln gewu�t. Ist es nicht gerade meine Qualit�t, nicht pfiffig zu sein? Klugheit zu verachten? Oft genug schlich er sich mit Nachschl�sseln der Konversation in mein Innerstes ein, um das zu wissen.“

„Warum darfst nur du unklug sein, nicht auch er? Vergriff er sich nicht lediglich im Mittel? Durch deine Rechtlosigkeit solltest du ihm sicherer sein. Hat je eine Frau gez�rnt, weil man sie angekettet, um sie besser k�ssen zu k�nnen.“

„Welch ein Arzt und Physiologe, der es nicht besser wei�, als eine gravide Frau zu beunruhigen? Anketten? Er l��t dich doch hilflos monatelang umherirren — ganz allein. Ist es nicht, als sehe man ruhig zu, wie ein Fieberkranker aus dem Fenster springt, und denkt dabei: ist er unten heil gelandet, wird er sp�ter schon wieder einmal depeschieren.“

Ach nein, alles hoffnungslos, und sie warf die Stimmen wieder in sich zur�ck.

Dann eine Pause bitterster Verliebtheit. Was war die ganze alberne Ethik gegen das Wehen seiner Haare im Wind!

Und nur einmal ist das da, in allen Ewigkeiten. Wenn ich an dem Kind sterbe, sehe ich das nie wieder. Wertlos alle Seelenwanderung f�r die Liebende. Denn steht er auf und hat nur ein Haar auf seinem Kopf anders wehen, so ist alles wie nichts.

Da schrieb sie ihm. Eine Zeile blo�:

„So hast Du mir in solcher Zeit kein einziges liebes Wort zu sagen?“

Keine Antwort. Pl�tzlich st�rzte sie �ber seine Briefe her, ein Koffer voll, der sie nie verlie�. W�hlte nur mit der Maschine geschriebene. Ein unertr�glicher Verdacht war in ihr aufgestiegen. Hatte seine schlaue und lachende Stimme nicht einmal zu Tatjana gesagt:

„Eigentlich sollte man dem Empf�nger nur den Durchschlag schicken, so beh�lt man das Original, das Urspr�nglichere, Wertvollere f�r sich, und der Andere merkt es ja nicht.“

Sie pr�fte genau. Ja, es waren Durchschl�ge. Und vernichtete nun alle: Blatt um Blatt.

Der ber�hmte Gyn�kologe in Berlin sagte ihr nichts Neues.

Nach Charmions Geburt, als Fachleute dazukamen, war irgendein schwerer Kunstfehler begangen worden, weitere Kinder mu�te das Messer ans Licht bringen, sonst starben sie ungeboren.

Das Schicksal gab ihr somit alles noch einmal in die Hand. Sie brauchte nur — nichts zu tun. Sich nicht rechtzeitig der Operation unterziehen; wer konnte sie zwingen? — und die Schmach war tot. Auf ganz korrekte Weise tot.

Eine Nacht lang rang sie nach Gerechtigkeit. Das Todesurteil �ber diesen Bastard zu verh�ngen, war ihr gutes Recht. Ja. Doch hat eine gravide Frau ein Urteil? Eine arme belastete Irre nur ist sie, mit verdr�ngten Nerven; ein Wesen mit verschobenem Kern. Wie, wenn sie erwachte, vom Druck befreit und die b�s verzerrte Welt, die durch das Doppelich Gebrochene, war wieder eins und heil. Alles wieder gut, und jenseits der Nachtmahr stand der geliebte Mann, frei von Schuld, und zwischen ihnen lag das vernichtete Kind. Es war nicht auszudenken. Sie spornte sich an die Tat heran, wie an eine H�rde. Ein Bravourst�ck ihres alten „Noch-Nocher“. Sie mu�te hin�ber. Aber um Gottes willen rasch. Hin�ber in die Gewi�heit.

Auf seiner Klinik hatte sie eine letzte Unterredung mit dem Geheimrat. Beschwor ihn, sie nicht zu schonen, aber das Kind m�sse leben, um jeden Preis. St�rzend durch die stechende S��e des Chloroforms, noch aus dem Abgrund herauf, lispelte sie durch das Z�hlen hindurch immer wieder: Telegramm, Telegramm. Hatte Auftrag gegeben, w�hrend sie noch bewu�tlos, Ralph Herson sofort die Geburt des Kindes zu melden.

Lange war nichts. Vielleicht ein Jahrhundert. Dann wurde sie zur Erde, und ein Bergwerk voller Stollen h�mmerte und zerri� dumpf ihr Inneres, ri� durch alles durch und pl�tzlich rotierten vierzig Rasiermesser in ihr, Arzt und W�rterin hielten Arme und Beine. Nach vier grauenvollen Tagen und N�chten war die erste Frage nach der Post. Nein, nichts da. Ob sie das Kind sehen wolle, es sei ein so sch�ner Knabe.

Nein, die Post.

In der Klinik sprach man von nichts anderem. Diese fremdlinghafte Dame. Ganz allein. Flehte um die Operation und wollte dann nicht einmal ihr Kind sehen. Frug nur immer um ein Telegramm. Acht Tage, vierzehn Tage. Der Geheimrat stand vor einem R�tsel. Medizinisch ging alles bei dieser Vitalit�t ans Wunderbare grenzend gut, und die Patientin wurde immer elender. A� nicht, schlief nicht, verfiel. Nach drei Wochen hie� es, ein Herr sei da, lie�e diesen Brief �bergeben, warte auf Antwort.

Sie schickte die Pflegerin fort. Legte die Wange auf den Brief und schlo� die bebenden Augen. Streichelte ihn lange, �ffnete endlich and�chtig den Umschlag.

„Geehrte gn�dige Frau,“ stand mit Bleistift, fl�chtig gekritzelt. „Ich halte wohl eine Besprechung jetzt nicht f�r unbedingt notwendig und um so weniger dringlich, als ich selbst in hohem Grade der Erholung bed�rftig bin. Eines ist aber doch vielleicht wichtig, und zwar eine unterzeichnete Erkl�rung Ihrerseits, da� alle n�tigen Schritte getan werden, um mir die Vormundschaft �ber Ihr durch Kaiserschnitt von Geheimrat C. zur Welt gebrachtes Kind zu �bertragen, ferner Ihres Einverst�ndnisses damit, da� alle Abmachungen �ber Unterhalt, Aufenthalt, Aufzucht des Kindes zwischen uns, ohne Prozesse oder Geltendmachung rechtlicher Anspr�che Ihrerseits sp�testens in zwei Monaten getroffen werden.

Hochachtungsvoll
Ralph Herson.“

Kein liebes Wort. Keine Blume.

Sie klingelte und lie� ihn hinauswerfen.

Als er am n�chsten Tag um eine Unterredung ersuchte, schickte sie eine Zeile hinaus:

„Nur noch durch den Advokaten.“

Und war dann lange Zeit schwer krank.

Oh, warum, warum hatte sie ihn nicht wenigstens angeschaut in der Klinik. Dann ihm die T�r weisen, aber erst sehen, wie es heller wird im Zimmer, wenn er hereinkommt. Nur eine Minute ihn sehen. Monate lie�e sich’s wieder davon zehren.

Sie versuchte zu reisen. Umsonst. Jede Person Plage, jeder Ort Pest, wertlos jeder Weg, der nicht zu ihm f�hrt.

Manchmal packte sie die Wut des Gradgewachsenen, den man krummgeschlossen hat. Es war ja nicht mehr Liebe, war Besessenheit, hatte er doch nicht geruht, bis jedes St�ckchen seiner Haut unentrinnbare Macht der Erinnerung �ber sie gewonnen.

Nach zwei Monaten schrieb der alte Lederer, ein Dr. Kosches als Vertreter Ralph Hersons habe angefragt, ob und wann Verhandlungen �ber das Kind stattf�nden. Also noch einmal in Tratsch und Schmutz dieser Stadt zur�ck. Immer noch besser als in andrer einem fremden Anwalt die Situation, in die sie gezerrt worden, erz�hlen m�ssen.

„Was wollen Sie?“ frug der Alte.

Sibyl sa� mit Blut �bergossen da.

„Haben Sie nicht sogar Verm�gen bei der Sache zugesetzt?“ Er sch�ttelte den Kopf. „Vor allem hei�t es schauen, das irgendwie herauszukriegen.“

Sie beschwor ihn, nichts davon zu erw�hnen. Welch ein Niveau!

„Mag er es behalten! Auch nichts von seinem Geld oder seiner Person will ich, das er mir nicht aus freien St�cken bietet, aber ich verlange Eines als mein Recht: die meiner Kaste geb�hrende Form. Man kann jemanden auffordern, gemeinsam eine Reise dritter Klasse zu machen. Gut — dann wei� er es im voraus, kann mitfahren oder wegbleiben. Nicht aber geht es, jemanden in den Salonwagen zu laden, um ihn dann, ist der Zug in voller Fahrt, nachtr�glich in den Viehwagen zu sto�en. Ich verlange eine Scheinehe mit sofortiger Scheidung. Ist das Soziale erst in Ordnung, kann alles Menschliche wieder anheben oder zu Ende sein. Nach der Scheidung stehen wir aufs neue frei, ‚herrlich wie am ersten Tag‘ einander gegen�ber.“

„Nebbich,“ sagte der Alte und begann eine Art Schlangentanz um seine Klientin zu vollf�hren.

„Ich sag’ Ihnen: Heirat um jeden Preis, welche Bedingungen die Gegenseite immer stellen mag, sonst verlieren Sie Ihre kleine Tochter — v�llig, wegen der Klausel vom ‚makellosen Wandel‘. Kommt die Geschichte mit dem unehelichen Kinde heraus, hat ihr fr�herer Gatte das Gesetz f�r sich — ich h�re, er wartet nur darauf. Also Achtung.“

Sie verlie� ihr Hotelzimmer kaum mehr, ging erst in der Dunkelheit, Luft zu sch�pfen, so sehr war ihr die neue Schmach ins Mark gefahren. Nur jetzt niemandem begegnen, mit niemandem sprechen m�ssen. Eines Tages schrillte das Telephon: Dr. Lederer erwarte beide Parteien in der Kanzlei um vier.

Nein, nein, erst morgen, noch eine Gnadenfrist! Jetzt war es Mittag. Schon um vier! Sie stand wie eine Gerichtete. Weinen wallte auf. Mit einem Schwung des K�rpers warf sie sich flach auf den R�cken, da� ja nicht Tr�nen in die Augen stiegen, das Wei�e tr�bend. Lag dann still und wartete. Kannte die geheimnisvolle Transfiguration durch die erregenden Str�me der Erwartung, wu�te, wie sich Haut, Aug’, Duft, Haar wandelten, sich bereiteten; die letzten Stunden vor jeder Begegnung etwas Blumenhaftes, Durchscheinendes bekamen, das f�r ihn sich erschuf und mit ihm ging.

Aber was anziehen? Jede Modelinie war scheu�lich oder entz�ckend, je nach der freiwilligen Einstellung auf sie, und in zeitlosem Gewand erschien man nicht in Advokaturskanzleien. Dieses Wetter dazu: einmal Regen, einmal Sonne — immer Sturm. Endlich schien wirklich nichts mehr auszusetzen, und v�llig ersch�pft, noch schwach von der Operation, lie� sich die �berreizte in einen Stuhl sinken, aufs Bett wagte sie nicht, des Hutes wegen, und f�rchtete sich so, und wollte nicht fort, in das Lauernde hinaus. Doch auch hier im Sessel, mitsamt dem Sessel, zerrte sie ja die Zeit ebenso stetig und unerbittlich dem Schicksalsaugenblick entgegen.

Wie gut, da� die Kanzlei im dritten Stock lag. Jetzt noch zwei Treppen Gnade. Eine. Jetzt noch Stufen. Anl�uten. Woher kannte sie dieses gr�ne Eis im R�cken so genau? Von der Abbitte im Tanzinstitut Wokurka-Cromb�e. Schon einmal durchlitten, also. Irgendwie wurde es viel leichter dadurch. Aus Dr. Lederers Privatzimmer kamen Stimmen — die seine. Sie lehnte den Kopf an die T�r. Einen Augenblick war alles Harmonie, Klarheit, S��e. Leuchtend trat sie ein, ganz Sicherheit und Anmut. Die Herren sprangen auf, man wurde also doch noch als Dame behandelt. Sie hatte noch so gar keine Erfahrung im Deklassiertsein. In einem Augenblick hatte er ihre Erscheinung ganz �berschaut; wohin er auf sie blickte, war’s, als w�rden k�stliche Fr�chte gestreut. Die Luft um ihn zitterte wie �ber einer Flamme. Dann senkte er die Lider, die sich w�lbten von gesammeltem Triumph.

Gleich zwei Advokaten hatte er sich mitgebracht. Au�er dem s��fl�ssigen Dr. Kosches einen, der aussah, als sei er wieder aus Amerika zur�ckgekommen. Ein gerupfter Nackthalsgeier, Norman Bleiwei� mit Namen.

Es ergab sich, da� alles ein Mi�verst�ndnis gewesen und er, Ralph Herson, den Eindruck habe gewinnen m�ssen, genarrt und verlassen worden zu sein, nachdem er sich in exorbitante Ausgaben f�r das k�nftige Heim gest�rzt. Als milder Psychiater sehe er zwar manche Entschuldigung, das Vertrauen aber — ja, das m�sse erst wieder verdient werden. Die bedingungslose Abtretung seines Kindes sei er gern bereit als erstes Zeichen beginnender Einsicht gelten zu lassen.

Sie sa� zur�ckgelehnt und schwieg. Jetzt scho� ihr feurige Scham durch die Haut: Dr. Lederer hatte das Wort Heirat fallen lassen. Oh, in ein Mauseloch kriechen, noch lieber in seine Arme kriechen und ihn anflehen: „Schau, ohne dich kann ich schwer leben, ohne Selbstachtung aber doch gar nicht — mach’ ein Ende; keine Verhandlungen mehr.“ Und es fiel ihr ein, da� sie noch nie im Leben, an einer Schulter gel�st, hatte ruhen d�rfen — in ihm lie� sich nie ruhen, so wenig wie in Gabriel.

Da kam seine verschlagene Stimme und log:

„Ich will nicht l�gen. Erst Ehe, dann Scheidung aus ‚un�berwindlicher Abneigung‘ — aber ich scheine doch — ganz im Gegenteil — eine un�berwindliche Neigung f�r Frau Sibyl zu haben.“

Und streichelte lange ihren Namen und lie� ihn nur ungern.

Um eines Wortspiels willen sollte sie also f�r ihr Leben deklassiert bleiben. Als ob er nicht um ihre verzweifelte Situation w��te. Welcher Hohn! Und weiter:

Ihm l�ge es ob, die Dame vor einer Mesalliance zu bewahren, und das sei die Eheschlie�ung mit ihm: einem Juden, offenbar in ihren Augen, da sie dieselbe doch absichtlich verhindert habe, als er ihr den Ehekontrakt zur Unterschrift gereicht.

Sie sa� ganz still, gesenkten Hauptes, trank seinen Umri� ohne hinzusehen und jede Pore schrie:

„Wei� er denn nicht: man ist eine Frau, man geht fort, weil einem das Fortgehen die Seele bricht und man bleiben will, und man ist eine S�ule Stolz, weil man zerbrochen sein will, man z�rnt, weil man lieb sein will, man leidet Jammer, Ha�, Qual, weil man noch mehr gek��t sein will; noch besser gehalten, in noch h�rteren, lieberen Armen. Fester. Und sp�ren, tief in die N�stern einziehen das, wo man hingeh�rt. Er aber l��t es geschehen, da� meine gerechte Emp�rung mich wegtr�gt von ihm, und braucht nur einen Schritt zu machen und alle Stacheln schlie�en sich, und mein Herz ist eine wilde Rose der Lust und will nichts sein, als Haut unter seiner Hand. Er aber tut, als w�re Ha� Ha� und glaubt mir — der Heuchler. Doch lieber sterben, als es ihm sagen und die heiligen Spielregeln der Liebe brechen. Das ist das unbestechliche Erz an mir, denn ich bin eine Frau.“

Jetzt h�rte sie seine k�hle Infamie ganz zu Dr. Lederer sich wenden, vertraulich, als w�ren die Herren unter sich:

„Ich bin, wie Sie sich denken k�nnen, schon �fter in �hnlicher Situation gewesen, nun, da pflege ich mich jedesmal von den Damen einfach auf Alimente verklagen zu lassen und der Fall ist f�r mich erledigt.“

Da sie aufspringen wollte zur T�r, kamen schon seine d�mpfenden Arme, wie eines Dirigenten, sein flehendes L�cheln �ber sie, als sei diese ganze Kanzlei doch lediglich eine Liebhaberb�hne, auf der die Heldin so obenhin, von Pausen und h�fischen Scherzen unterbrochen, gerade eine Griseldisrolle probte. Die Geste erinnerte auch, da� sie dabei durch edle Haltung des Zuschauers Sch�nheitsgef�hl zu befriedigen habe. Ja, er verlangte unbedingt Anmut w�hrend der Vivisektion, alles, was eben ein Kaninchen doch nicht zu bieten imstande war. „Charmion, Charmion,“ sagte sie sich, wie man ein Pferd abklopft.

Die „Verhandlungen“ zogen sich durch Wochen ohne Resultat hin. Seine Advokaten brauten einen z�hlebigen Brei von Mi�verst�ndnissen, in den sie immer wieder zur�ckgesto�en wurde vom klaren Ufer der Tatsachen. Und h�tte man ernstlich verhandelt, jede menschliche Beziehung w�re ja dann zu Ende gewesen, so mu�te es schon deshalb vages Gerede bleiben: Schmollerei zwischen Verliebten, die ihre Stelldicheine aus fragw�rdiger Laune in Advokaturskanzleien verlegt hatten. F�r Sibyl ein kostspieliger Treffpunkt, diese stundenlangen Sitzungen, bei denen sie selbst nur ab und zu erschien, nicht f�r Ralph Herson, denn es ergab sich, da� er den beiden Anw�lten ein j�hrliches Pauschale zur Ordnung all seiner Angelegenheiten seit langem ausgesetzt. Norman Bleiwei� war f�r Bilanz und Steuersachen, der s��fl�ssige Dr. Kosches f�rs Private.

Und nie lie� er sie zur �berlegenheit der Verzweiflung kommen, trieb sie immer wieder in schw�chende Hoffnung, und auch so sehr war dies in ihr, dies zu h�chst Menschliche: dies �ber-Allem-Stehen, da� sie auf Augenblicke sogar hin�berl�cheln konnte, zu seinem genie�enden Skalpell.

Endlich eines Tages sah Sibyl die Erl�sung knapp vor sich und schlich ihr nach. Da war ein entfernter Vetter Ralph Hersons, Winkeladvokat und v�llig deklassiert. Hatte eine �hnliche Art um Augen und Lippen, wenn ihm was gefiel, nur wie mit ranzigem Schmalz �bergossen. Der sollte die Marter der Verzauberung brechen helfen. Sibyl, in einem alten Regenmantel versteckt, kroch um Stra�enecken hinterdrein zur schmierigen Spelunke, wo er verkehrte. Sah stundenlang in leidender Schadenfreude zu, wie das entg�tterte Abbild des andern, g�tig und gerissen die Kellnerin unter einspeichelnden Worten in den Arm zu kneifen versuchte, bis eines Tages eine furchtbare Entdeckung kam: der schmutzige Winkeladvokat versch�nte sich, bl�hte in den andern hinauf, statt da� jener zu ihm zerfiele. Sie schauderte: „Mein Gott, ich bin verloren.“

Zwischendurch fuhr man spazieren, als w�re nichts geschehen. Ralph kam, holte sie ab, sonniger, inbr�nstiger als je, wie begl�ckt, wieder sprechen zu k�nnen mit ihr. So blieb alles in der Schwebe. Sie lie� es geschehen, barg lieber das Haupt im Scho� der Ungewi�heit, denn wenn eine �bergro�e Liebe unter infernalischen Schmerzen ausgetrieben werden soll aus den Sinnen, wo allein die gro�e Liebe wohnt, entstehen Wehenpausen: linde Inseln aus Frieden zwischen der zerrei�enden Not.

Sie lebte fast ein wenig auf, wagte sich wieder hinaus und sah in diesen milden Pausen zuweilen, wie gro�e fremde V�gel, zwei wundervolle Menschen ihre Stra�e ziehen: Herr und Dame von nie gesehener Art. Zuf�llig immer vor ihr — die Gesichter sah sie nicht, wu�te sie schon aus Halshaltung, Kopf- und Ohransatz, verlangte nicht mehr, ganz erf�llt von dem Gu� des Ganges allein. Nachlaufen d�rfen, zwischen sie hinein, sie �berfl�gelnd, einen Arm um jeden legen, mitziehen, in diesen Gu� des Ganges geschlossen. Wie sich das f�hlen m��te: als Durklang gef�gt sein, in die reine Quint der beiden?

Dann schrak sie auf. Wieder ein ganz alleines Ich unter lauter fragw�rdigem Drau�en, wie einst als Kind.

Pl�tzlich brach er die Verhandlungen ab. Ein Telegramm riefe ihn nach Hause. �bergab alles seinen Vertretern. Dr. Kosches und Dr. Bleiwei� baten dringend um eine private Unterredung. Sie waren menschlichen Wohlwollens voll und bedauerten aufrichtig den — Pardon — falschen Stolz der gn�digen Frau. Alles w�re l�ngst zu allgemeiner Zufriedenheit geordnet, h�tte sie der Gegenpartei das Kind bedingungslos �berlassen. Wenn sie Professor Herson doch nachreiste, mit diesem gewi� sehr erfreulichen Wesen �berraschte! Er warte ja nur auf die goldene Br�cke zur v�lligen Vers�hnung.

Also gut, war nur das Schachern zu Ende, lieber den letzten Trumpf aus der Hand geben: das Kind.

Die kleine Pension am ligurischen Strand lag finster, als sie tief nachts mit Baby und Amme aus Berlin ankam. Sie hatte „Brang�ne“ brieflich in ihr Kommen eingeweiht, wollte hier im Verborgenen die �berraschung vorbereiten. Nein, Zimmer seien nicht reserviert. Erst nach zwei Tagen erschien Tatjana, triefend vor Entschuldigungen, bat um Geduld: Der Hausherr sei krank zu Bett, sie w�rde t�glich kommen, Bericht erstatten. Kam nicht. Am dritten Abend brach die Gefolterte aus, hingetrieben auf den breiten Schwingen eines schwarzen Windes nach dem alten Landhaus, wo sie ihm verfallen war. Schlich im Mondlicht �ber den bl�henden Grund voll �l und Wein, von ihrem Verm�gen erworben, wie eine Diebin von Baum zu Baum. Waren die Hunde los? Dr�ckte auf die geheime Feder der linken Seitent�r. Stand zitternd im Park. Ein einziges gelbes Fensterauge hing voll in der fahlen Mauer. Die Hunde, wenn die Hunde sie als Einschleicherin entlarvten!

Das Haus zog wie ein Magnetberg.

Lotrecht unter dem einsamen Licht warf sie sich mit ausgebreiteten Armen gegen die Wand.

Da drinnen lag er, wer wei� wie krank. Der M�rtel bl�tterte ab unter dem Druck ihrer Stirn. Quer — ein Sprung im Welthirn — klaffte oben die Milchstra�e durchs Dunkel. Leichter, gr�nlicher Nebel: Mehltau des Mondes hing auf der Luft, knochenhell schlich Kies auf krummen Wegen des Gartens. Pl�tzlich stand das Krankenzimmer voller L�rm, mitten im Mondschweigen. Rasend schnelles Schnattern hub an. Seine Stimme, doch ganz anders als sonst, wie aus dem K�rper eines Hundskopfaffen heraus. Weibliches Lachen dazu, wie von einer gekitzelten Nonne. „Brang�ne?“ Johlend irres Lachen, als kitzle das zotenfreche Affengeschnatter sie zu Tode. Unten — die Hingekreuzigte — verstand kein Wort. Galt das ihr? Machte man sich lustig �ber sie? Doch so infernalisch, so mit geheimer Verworfenheit vollgekichert war dieses obsz�ne Schnattern, da� ihr vor Grauen Glied um Glied abzufrieren begann.

Und es h�rte nicht auf dort oben.

Endlich entstand an ihrem Daumenballen wieder ein Fleckchen warmes Fleisch. Dandy, die gro�e Bulldogge, hatte es mit seinem Ledermaul ins Leben zur�ckgeleckt, sah mit weichen, weisen Kr�tenaugen hinauf, wie ein Freund, in ihr ganz zerst�rtes Gesicht. Jetzt erst konnte sie fl�chten.

Mitten in die fiebrige Abreise des Morgens schlenderte „Brang�ne“; machte erschrockene Augen:

„Ja, was sei denn geschehen, ja, was?“

Ja, was? Jetzt, im n�chternen Tagblau, durch das der Brieftr�ger daherkam, vor Rock und Bluse dieser robusten Vermittlerin, verkroch sich der Hundskopfaffen- und Nonnenspuk der Nacht. Also bleiben, die �berraschung vorbereiten.

In der Mitte seines Geburtstags legte Sibyl dem in der H�ngematte seines Parkes Schlummernden von r�ckw�rts das Baby auf den Scho�. Feig schreiend stob er weg, wie vor einem Browninglauf, sah dann nichts als Gr��e und S��e in ihrem Gesicht und fing sich wieder ein. Tat nur allzu programm��ig erfreut jetzt. Tatjana hatte sie also doch verraten, alles war abgekartet, man sah es an Blick und Gegenblick der beiden.

Sofort entkleidete er das Kind, nahm den Zollstab, das H�rrohr. Ma� den Sch�del, pr�fte die Genitalien, die Pupillen, das Herz. Das Kleine sah aus vielen Wimpern gro� und dunkelblau zu ihm auf, kupferh�utig wie ein Indianerprinz unter goldenem Flaum.

„Es ist fehlerlos. Hat deine unvergleichliche Anmut ins M�nnliche �bertragen. Welch richtiger Instinkt, dich zur Aufzucht zu verwenden.“

Er nickte, offenbar gewillt, die lebende Ware franko mit Zustellung zu �bernehmen. Behielt sie gleich im Haus. Sibyl zog ins Hotel. Vom Neubau stand sonderbarerweise noch immer kein Stein, in der alten Landvilla aber mu�te erst Platz geschaffen werden. Auch kam die Zeit des Jahres, da ihr Charmion geh�rte; da war kein Tag zu verlieren, mochte geschehen, was wollte. Man hatte sich geeinigt, nach ihrer R�ckkehr die Eheformalit�ten zu erf�llen, bis dahin sollte das Baby bei ihm im Verborgenen bleiben — diskret. Er tat peinlich erstaunt �ber diese Scheu, als kennte er die sozialen und rechtlichen Folgen f�r sie nicht. —

„Was k�mmert das einen freien, modernen Menschen.“

Und er hob die Schultern. Pre�te sie in diesen Tagen aus bis in die Sinnenspitzen. Seine wissenden H�nde, seine raffinierten Gluten �berstr�mten sie, seine Blicke aus b�sem Samt liefen brennend ihren zarten Schenkeln nach, doch hinter seiner Stirn blieb er f�r sich. Ward sie unter seinen Liebkosungen zu sch�n, glatt wie das Licht, duftend nach Birken und Erdbeeren in dem langen Gl�ck ihrer Haare, zog er sich hart, feig, lauernd zur�ck — nie erster Regung folgend.

Sein Mund war voller K�sse, die er dann boshaft wieder zerbi�. Aus Angst vor der eigenen Hingabe kl�gelte er unm�glichen Anspruch aus, in der Hoffnung, entt�uscht zu werden. So jagten sie hutlos durch Salzgischt und Mittagsglast, aber wehe, hatte die Linie des Lichts dann Grenzen gebrannt auf Milch und Silber des abendlichen Ausschnitts. Im Gesellschaftskleid — er liebte F�rmlich-Festliches am Abend, — f�hrte er sie nach dem Diner noch in die Dunkelheit hinaus, Wege voll Gestr�pp, durch Dornenhecken und boshaft dann ins Lampenlicht zur�ck. Ein Fleck, ein Ri�, und triumphierend angewidert sah er diskret zur Seite.

Kam sie korrekt in Juchtenstiefeln die steinigen Wege daher, vermi�te er das offene Spiel der feinen Fesseln, kam sie in Schuhen, wars nicht Stil.

Bei einem alten, schwerh�rigen Bauer blieb er stundenlang, lie� alle Rede mit dem beinahe Tauben ihr, damit die weiche, gepflegte Vogelstimme, zum Schreien gezwungen, hier ihren Reiz verl�re.

Sie trug es, wie man mit dem Gef�hrten auch schlechte Zeiten tr�gt. Die Zeit der Wahl lag lang schon hinter ihr.

Nie ging er mit bis zum Hotel; kam es in Sehweite, nahm er Abschied. Endlich in ihr Staunen hinein, gereizt, da� sie ihn nicht von selbst begriff:

„Der Portier sieht mich bereits ein wenig sonderbar an — deinetwegen. Unter diesen Philistern mu� man vorsichtig sein.“

Sie lachte ein wenig traurig:

„Und wie war das mit den freien, modernen Menschen?“

„Oh, du bist frei.“ Sie dachte: ja, vogelfrei. „Ich aber, als Grundbesitzer hier, bin von der �ffentlichen Meinung in hohem Grade abh�ngig, brauche auch den Sindaco f�r allerhand Konzessionen.“

Wie praktisch, als Sturmbock gegen Weltdummheit und Bosheit benutzte er allein die Frau, lie� sich den Preis f�r seine Ideale von ihr bezahlen.

Zwei blaugoldene Wochen verspielte sie mit Charmion am Gardasee, gab dem Kinde ein pausenloses Fest. Ganz f�r sich blieben die beiden, begafft nur von morgens bis nachts, in dem einzigen Hotel des Orts von Kaum- und Halbbekannten, denn die Welt ist unertr�glich eng.

Da kam eines Tages aus Genua ein Dokument zur Unterschrift, darin Ralph Herson die Vormundschaft und sonstigen Rechte an dem Kind �bertragen wurden.

Sie staunte. In wenig Wochen der legitime Vater, was brauchte er noch dies?

Legte es nachsinnend beiseite, wiewohl die Unterschrift als dringend f�r ein nahes Datum gefordert war.

Einige Tage darauf, zur Teestunde, machte der Postbote wie immer seinen Gang von Tisch zu Tisch auf der Terrasse und reichte ihr ein Telegramm. Sibyl sah vom „Dschungl-book“ auf, das Charmion immer wieder h�ren wollte, pr�fte den Inhalt des kurzen Klebestreifens — man starrte wie immer zu ihrem Tisch her�ber — steckte ihn ruhig ein, las laut dem Kinde das Kapitel zu Ende, schickte es auf den Spielplatz, lachte ihm nach, ging schwingend �ber die Terrasse ins Hotel, in ihr Zimmer, fiel in einem Herzkrampf aufs Bett. Die Depesche lief:

„Amme und Kind nach Gardasee unterwegs.“

Weder Strecke noch Zug bestimmt, so da� sie h�tte entgegenfahren, die Ankunft verhindern k�nnen. Und Charmion hier, von der sie bisher mit �bermenschlicher Kraft diesen ganzen Schmutz weggehalten! Ihr seinen Bastard mit Amme heimt�ckisch herschicken, welch namenlose Niedertracht.

Ein nasses Tuch auf dem Herzen, kroch sie zur Klingel. Sofort das Motorboot. Warf alles in die Koffer, floh zwanzig Minuten sp�ter mit Charmion �ber den See, ohne eine Adresse zur�ckzulassen, dann mit einem Zug in die Schweiz hinauf, und weiter bis an den Kanal. Mochte da hinten im Hotel geschehen, was wollte.

Seit diesem Tag sp�rte sie ihr Herz.

Der l�dierte K�ter fiel ihr ein, der seine t�ckisch-streichelnde Hand geleckt, nicht wissend, wann er wieder „dran k�me“.

Dann lanzenhart im Schwung des Hasses:

„Nein.“

Der alte Lederer hockte, wie immer, im Bureau, setzte seinen zweiten Zwicker auf, um besser reden zu k�nnen.

Ralph Herson war auf einen Tag nur erschienen, hatte erkl�rt: er, als g�tige und vornehme Natur, sei tief erschrocken �ber solche Gewissenlosigkeit einer Mutter, ihren S�ugling in unverantwortlicher Weise an fremdem Ort einfach im Stich zu lassen. Das sto�e nat�rlich alle Vereinbarungen um. Gehe er, aus Ritterlichkeit, vielleicht doch noch auf eine Scheinehe mit Scheidung ein, verlange er als Sicherstellung, als Kaution gleichsam, zweimalhunderttausend Franken. Danach aber werde Frau Sibyl, die sich leichtsinnigerweise bei ihrer Trennung von Gabriel Gruner einer allzu gro�en Summe ent�u�ert, wohl kaum mehr in der Lage sein, ein Heim zu erwerben und einzurichten. Unsicheren Verh�ltnissen k�nne er aber, als gewissenhafter Vater, ein Kind, das er so lange ersehnt, nicht preisgeben. Daher m�sse es ganz und gar ihm verbleiben.

Warum er denn annehme, eine Frau werde pl�tzlich ihre Stellung materiell ausbeuten, die sich doch bisher stets selbstlos gegen ihn gezeigt, ja, bedeutende Geldopfer auf sich genommen?

O gerade deshalb, das gebe ihr dann eben einen Schein von Recht und �berdies: Frau Sibyl pflege, wie er sich pers�nlich oft zu �berzeugen Gelegenheit gehabt, enorme Summen unbedenklich f�r erlesen kostbare Gew�nder auszugeben. „Die Kosten der Verschwendungssucht solch verw�hnter Dame zu riskieren, scheue er sich und baue deshalb vor durch die Kaution.“

Dr. Lederer sah zu seiner Klientin auf, sie lachte so irr:

„Besitzen Sie noch so viel Geld wie er verlangt?“

„Nein, ich bin ruiniert.“

So hatte er sie geschickt und planm��ig an eine Stelle im Schicksal gebracht, wo jeder Versuch einer Tat zu Skandal, Ruin oder — Verbrechen leitet, zu einem: sich �berall an blinden Mauern die Stirn zerschmettern, die Kn�chel blutig und schmutzig schlagen, wo das ganze Leben grau und rot wird vor Schmach bei jeder Bewegung, der Schlamm-Geysir nur gebannt bleibt durch regloses Stillhalten, Atemanhalten und Sichauspl�ndern lassen; denn eine Dame kann nicht durch Gerichtssaal und Zeitungen zerren lassen, was ihr geschlechtlich geschehen. Sie ist das Wehrloseste der Welt, noch der Feigste darf sich beruhigt an ihr vergreifen; bezahlen mu� sie ihn noch, damit er die ihr angetanen Infamien nicht bekannt mache.

So brauchte ein Ralph Herson nur die flottierende Niedertracht in Sitte, Meinung und Brauch f�r sich arbeiten zu lassen, und jeder Cerebralsadismus, jede Profitgier ward automatisch und ohne Risiko befriedigt, wenn nur frech genug, schamlos genug zu Ende gef�hrt.

Doch wie, wenn er sich diesmal irrte? Wenn sie ihm einen Schadenersatz-Proze� machte? Allen Ekel vor Maul und Ohr der �ffentlichkeit �berwand, um ihn an der einzigen Stelle t�dlich zu treffen, wo er verwundbar: mitten in die Brieftasche hinein.

Der alte Lederer sch�ttelte den Kopf.

„Haben Sie Beweise? Liebesbriefe — wenn schon. Lauter Ekstase, kein positiver Inhalt, und der Schuldschein ist zwar unvorteilhaft, aber unanfechtbar, er beh�lt Ihr Geld. Also: Proze� zweifelhaft, Schadenersatz sicher gleich Null. Sie bleiben ruiniert und er — kaum gesch�digt. Ja, in England, dort w�re es freilich anders, dort h�tte er es sich auch wohlweislich �berlegt. Da ruiniert ein ‚breach of promise case‘ den Mann.“

Dies also war der echte Grund seiner �bersiedlung aus Cambridge, daher die Flucht vor britischem Recht.

„So ist juristisch nichts zu machen?“

„Nichts, was einer S�hne gleich k�me, denn wann h�tte ein Gauner nicht das Gesetz f�r sich.“

Sie ging. Lahm vor Ekel. Auf der Stra�e, in einer Gruppe Leute, hob eine Frau das Lorgnon, frug:

„Was, die kennen Sie nicht?“ rief einer aus dem Kreis: „Ich werde Ihnen gleich ihre Geschichte erz�hlen,“ und Tratschgeifer troff ihm schon aus dem Mund.

Fern und leicht, das Gesicht hoch wie ein Windenkelch, schritt sie knapp an der Gruppe vorbei, und in den l�ngst ausgefressenen Bahnen der Emp�rung jagte ein Verzweiflungskrampf den andern durch ihr Hirn.

Jetzt schlug ein Ha�strahl leuchtend seine Kraft hindurch: die Zwillingskraft der Liebe, doch m�chtiger als sie, weil frei vom Wahn des Gl�cks. In diesem Ha�strahl erhellt, sah die Zerst�rte, zum ersten Male, Leiser Herschsohns Nachfolger als neuen Typus — unz�hliger Variationen f�hig:

Den Lebenswucherer.

Nicht mehr mit schmierigem Seinesgleichen nur um Geld — o nein, — als physisch Hinaufgepflegter auch noch mit seinen Generationszellen wuchernd, die Kalorien seiner H�ndedr�cke berechnend: Geist, Sch�nheit, Kultur, Liebe: alles bereits ein Fremdwort f�r Wucher!

Seine G�te: da� er den Schaden, den er zuf�gt, leicht vergi�t.

Seine Treue: wenn ihm in der Zwischenzeit begangener Verrat weniger Vergn�gen macht, als er glaubt beanspruchen zu k�nnen.

Seine Gro�mut: besten Falles eine unterlassene Infamie.

Ohne innere Not allen fremden Werten durch Gentleman-Mimikri falsch verbunden, hatte er in B�chern gelesen von Noblesse, von Vornehmheit, schaffte sich die Worte an, fing sich mit ihnen fremde Taten ein, die ihm den Preis der neuerworbenen Ideale dann bezahlen mu�ten, denn keine Bindung galt f�r ihn, der stets auch anders konnte als Entra�ter; sich beim „soll“ in den weltfremden Gelehrten wandeln, beim „haben“ behende in den Wucherer zur�ck.

Hatte sich nebst seinen Bronzen, Bildern, B�chern auch eine uneheliche Kindersammlung angelegt, als millionenfache Verzinsung einer einzigen investierten Zelle. Spesen: ein paar gut angew�rmte Briefe, die ihn zu nichts verpflichteten, weil er durch seine Advokaten l�ngst belehrt worden, wie ein Betrug, der im Gesch�ftsverkehr zwei Jahre Zuchthaus kostet, in Form von — Liebe, straflos bleibt.

Ein Zu-fr�h-Freigelassener auch, mit allen seinen Merkmalen, als da sind: Gier, Geiz, Mi�trauen und — Grausamkeit, wo sie ohne eigenes Risiko zu befriedigen: am sichersten somit an der graviden Dame, hat man sie vorsichtshalber erst durch Scheidung, Schmach und Schmutz getrennt von ihrem sch�tzenden Milieu. Erfreulicher f�r den �stheten jedenfalls, als der Gesch�ftsverkehr mit seinesgleichen, f�r den Gelehrten so spannend wie der Tierversuch, und lukrativer obendrein, da man vom Adler, dem gefesselten, ehe ihm die Augen ausgeschnitten werden, kein Geld entlehnen kann.

Nun glaubte er sich frei von ihr, nachdem er ja in diesem Jahr den ganzen Tierkreis seiner Perfidien durchlaufen. Somit bereit:

„Zu neuen Taten teurer Helde.“

Doch siehe: auf dem Kursblatt seiner Emotionen notierte sie noch immer „pari“ wie es schien, und die Verfolgte sp�rte seinen namenlosen Ha�, ja, sein Entsetzen, lieben zu m�ssen, wo nichts mehr herauszuschinden blieb, denn: Mittel war ihm jede Kreatur.

Was aber gab ihm solche Macht?

Die purpurne W�rme Asiens: sein Erbe. Unter erotischen Schwerbl�tlern, mit niederem Wissen um den K�rper, in einem Ozean lauer Geilheit, scho� dieser Menschenhai umher nach Beute, und alles Liebesreiche, Bl�hende fiel ihm voll Inbrunst zu.

In Sch�nheit gl�hen: auf dieser Sehnsucht aller Kreatur kam er dahergeschlichen, hinter den strahlenden Gaben seines Maules.

Der absolute Egoist.

Unsch�dlich machen! Mitsamt seiner Zutreiberin, mit der ganzen Brut — alles unsch�dlich machen — sofort.

Doch erst quitt sein, nichts ihm schulden. Und f�r jede Mahlzeit, je in seinem Haus genommen, f�r jeden Tag in seinem Haus verbracht, und f�r die erste Liebesnacht insonderheit, schickte sie die angemessene Summe an das Bankhaus Herschsohn. Raffte dann in irrer Trunkenheit ihr letztes Geld zusammen, — es reichte eben f�r die Reise, — und fuhr zu ihm.

Als Chauffeur verkleidet, zwei Revolver in den Ledertaschen, klingelte sie am Tor des alten Landhauses.

Eine fremde Person kam herausgeschlurft:

Alles verreist.

Der Herr und Mylady, auch das neue Kind seien fort. Nach Madeira, vielleicht auch Tunis, jedenfalls auf lange.

In ihren muffigen Gasthof zur�ckgekehrt, warf sie das Fenster auf. Es verspreizte sich, Anstrich bl�tterte ab. Vor ihr stieg, reich und frei, das herrliche Land, sein Eigentum, so weit man sah.

Da ri� der allzu �berspannte Wille j�h und traf das Herz. Also entflohen, unerreichbar weit; denn wie das Gesetz den Gauner sch�tzt, so diesen wieder sein Raub, der ihm Freiz�gigkeit des Reichtums gibt — dem Opfer nimmt.

Sie kroch in die entw�rdigende Verlassenheit des Fremdenbettes.

Lag so eine ewige Nacht.

Diese Nacht trat langsam, wie ein drehender Absatz, etwas in ihr aus, ohne das kein Mensch weder leben will noch kann. Etwas, das niedergekn�ppelt doch — wie oft — verharrt. Nicht gr��er zuweilen, als im Riesendom ein gasblauer Stecknadelkopf, doch gespeist mit heimlichem Herzhauch, der von Gott kommt oder ganz aus seiner N�he: Hoffnung.

Eben noch, in steigernder Gewalttat, waren Vernichtung und Hoffnung einander nicht feind gewesen. Auf unbegreifliche Art h�tte aus dem blauen Stecknadelkopf heraus gerade dann aller �ther noch einmal aufflammen k�nnen zu Glorie, weil in dem Blick des Sterbenden vielleicht etwas erschienen w�re, um darzutun: Auch dies sei nur ein armer, irrender Mensch.

Diesem Ende hatte sie heimlich zugehofft. Nun war der blaue Nadelkopf erloschen.

Und es ward grau. Oder war das �de Blei auf den Augen schon wieder Tag? So einer, der sich nicht aufknien kann aus dem Fahlen. An der �bel gr�nlichen K�lte bis in die Herzkammern hinein erkannte sie: jetzt m�sse der tiefste Stand des Blutes sein. Jene heillose halbe Stunde, ganz gr�n von verwester Nacht, wo die z�hen Greise es aufgeben und sich strecken. Im Stuhl die m�de Schwester nickt dazu.

M�hsam, widerwillig hob sie die zerqu�lten Lider. Herein schnitt das grenzenlos gemeine Hotelloch. Im Fensterviereck stand als grauer Pflasterstein die Luft.

Sibyl hielt den Atem an. Lie� das Verfaulte aus der Nacht in allen Adern sich zu Klumpen der Zersetzung stocken.

Wartete.

Da kam, erst schwach, weit herauf eine Stra�e ohne Anfang, Holpern eines Karrens, und auf ihm festgebunden ein Geheul.

Kein Schritt, kein Huf von etwas, das den Karren zog. Es fehlte wohl ein Rad. Der Karren hinkte.

Immer n�her kam das liegende Geheul. Ein gemartertes Tier? Ein Kind? Eine Frau? Kein Erkennungszeichen mehr: die Qual hatte jede Form zerbrochen. Was vielleicht einst Merkmal gewesen: Klage, Emp�rung, Angst, war l�ngst matt herabgeglitten auf die Stra�e ohne Anfang.

Jetzt war es da. Gerade unter dem Fenster. Da schwoll das Geheul zu einem Laut von so hemmungsloser Erniedrigung, da� das Graue aus der Luft an ihm gerann.

Ein gemartertes Tier? Ein Kind? Eine Frau?

Oder Schauer gereizter Ermattung, die sich aus Klang ein Gleichnis schufen? Sie w�rde es nie erfahren. Lag festgefroren an das Bett — die Brust bis oben voll bleicher Herzen im Kampf.

Langsam knirschte der Karren seinen schauerlichen Bogen vom Zenith des Fensters hinunter, wieder eine Stra�e ohne Ende, �ber der langhin das verblassende Geheul stand. — Fern und immer noch.

Sie erhob sich, um zu sterben. Tastete, in allen Kn�cheln zerbrochen, nach der Waffe. Etwas klirrte. Das Graue schwand.

Endlich ganz schwarz.

Aus der tiefen Nacht, auf der andern Seite der Zeit, trieb es sie langsam wieder zur�ck.

Der Tod schmolz ab, doch sie grub sich mit allen Fingern in ihn ein, wollte nicht mehr weg aus dem linden Schwarz.

„Genug“ war ihr erstes Wort. Dann brachen, angesogen von einer tiefen Wonne um sie her, die Lider auf. �ber ihrem Gesicht schwebten zwei wagrechte Augen aus unbegreiflich sanftem Samt, deren Wimpern fl�gelhaft bis in die Schl�fen schnitten.

„Wie gut“ und die Zur�ckgeholte lie� sich von nun an leben, ohne Widerstand.

Zwei Augenpaare waren es, die abwechselnd �ber ihr kreisten: wie gro�e, fremde V�gel und bebr�teten ihr Herz.

War es der Ort, wo man die unerf�llten W�nsche lebte? In scheuer und tiefer Vertraulichkeit legte sie eines Tages um jeden einen Arm: als Durklang gef�gt in die reine Quint der beiden. Wu�te ihre Namen nicht, nichts — frug nicht einmal, wie es gekommen, wie ihre Spur verfolgt, wie sie gefunden worden war. Lag hier selig und vollendet eingef�gt als k�hne Liebesstufe zwischen ihnen: frauenweicher als der Freund — j�nglingherber als die Freundin, dies k�stlich fremde Damenwesen, am ganzen K�rper so vollkommen, wie es der Ringfinger ganz junger M�dchen zuweilen ist.

So einfach, so nat�rlich schien alles, als h�tte sie es immer schon gewu�t, da� sie dazugeh�re, seit jenem ersten Mal, da, einer ungeheuren Erweiterung der eignen Seele gleich, zwei wundervolle Menschenangesichter durch ihre einzige Sekunde Gl�ck gezogen kamen, als sie den fremden Mann im Scho� gehabt, bis zu der Stunde, die wie Gold, weil der warme Schatten des br�derlichen Gentleman den ihren fand und ehrte. Die Haltung seines Schattens hatte alles offenbart.

Dazwischen aber war ein fremder Mann in ihrem Scho� gewesen: Der Lebenswucherer — der absolute Egoist.

Emp�rung �berbebte in St�rzen der Erinnerung ihr aufgescheuchtes Blut.

„Mein Elf von einem gro�en Stern“ — Gargis entsetzte Z�rtlichkeit umschlang das vor Ha� grau gewordene Gesicht.

„Gazellenfee, wie k�nntest du begreifen, was Unbesch�tztsein hei�t.“

Dann l�ste sich der Krampf der Einsamkeit zum ersten Mal, und Sibyl sprach — deutete an, nur herb, schamdurchblutet, was ihr geschehen.

Eines Tages breitete Horus sehr zart, sehr ernst ein Manuskript �ber ihren Scho�: jenes, das Erasmus dem Knaben in der Bibliothek gegeben, am Tag des Traumes und der Schillerfalterjagd, als sein Leben einschwang f�r immer in die beiden Bahnen: Ellipse und Parabel der Kegelschnitte Gottes.

Vor ihrem Lager hingekniet, legte er sie ganz in die St�rke seiner H�nde, sprach: „Alles ist darin: West und Ost — Ihr und Wir.“

Und sie las, wie einstmals er:

Der Kreis symbolisiert mir die Eigenliebe: den Egoismus.

Die Ellipse das Ideal der Liebesfreundschaft.

Die Parabel das der Liebe gegen das Unendliche, G�ttliche.

Die Hyperbel das Ideal des bittersten Hasses.

Der Brennpunkt in jeder der angef�hrten Linien stelle eine Seele vor; die Strahlen, die von da nach dem Umkreis gehen, die Bestrebungen dieser Seele, wiefern sie nach au�en (durch Handlungen) wirksam sind, und die Richtung der zur�ckgebrochenen Strahlen den Zweck, zu welchem die Bestrebungen auf das �u�ere gingen. — Ich kann z. B. nach au�en handeln, teils um meinetwillen, teils um eines andern willen. Wenn die Strahlen also, die von dem Brennpunkt ausgehen, die aktiven Bestrebungen der Seele vorstellen, so m�ssen umgekehrt — wenn wir das Symbol treu verfolgen wollen — die Strahlen, die von der Peripherie in den Brennpunkt fallen, die Gef�hle und Empfindungen vorstellen, welche die Seele passiv von au�en in sich aufnimmt. Wird daher ein Strahl, der von einem Brennpunkt an die Peripherie fiel, in einen andern Brennpunkt zur�ckgebrochen, so sind des letzteren Gef�hle — nach dem Symbol — durch Bestrebungen oder Handlungen des ersten Brennpunktes veranla�t worden.

Der absolute Egoist handelt nur um seinetwillen. Er l��t nur Strahlen gegen die Peripherie ausgehen, damit angemessene Gef�hle in seine Seele durch die R�ckwirkung kommen; er ist ganz in sich abgeschlossen. Was er auch tun mag, davon hat nichts auf eine Seele au�er ihm Bezug. Der Strahl, der aus dem Mittelpunkt des Kreises kommt, wird ewig wieder in ihn zur�ckgebrochen.

Die Ellipse l��t sich als ein Kreis mit in zwei Brennpunkten auseinandergetretenen Mittelpunkten betrachten.

Eine Seele hat sich in zwei gespalten, und beide existieren nur mit- und durcheinander; jeder ist die Seele eines Freundes; jede wirkt nur, um in der andern angemessene Gef�hle und Empfindungen zu erregen, denn welcher Strahl auch von dem einen Brennpunkt an die �u�ere Peripherie f�llt, der nimmt seine Richtung nach dem andern Brennpunkt zu. Was der eine nur denkt und hat, das gie�t er in des andern Seele aus. Um die Au�enwelt bek�mmern sich beide nur, insofern sie mittels ihrer in bezug aufeinander wirken k�nnen; beider Gef�hle erg�nzen einander stets: alle gebrochenen Ellipsenradien sind gleich der gro�en Achse, die beide Brennpunkt-Seelen zun�chst verbindet. Sie k�nnen jede einzeln nichts denken, nichts f�hlen, was nicht mit des andern Gef�hlen und Bestrebungen zusammenstimmte, da� es dieses Band darstellte: das Ideal der Liebesfreundschaft hat viel sch�nere Symbole — wohl kaum ein wahreres.

Nehmt die Hyperbel: beide Liebende sind durch einen ungeheuren Ha� gespalten worden! Der eine hat sich von dem andern abgekehrt, jeder rei�t seinen Brennpunkt heraus, h�lt ihn f�r sich fest und mag mit dem andern nichts zu schaffen haben. Sie fliehen sich in Ewigkeit — nein, sie sind noch aneinander gebunden, aber durch die Bande des feindseligsten Hasses. Ihre Gesinnungen beben divergierend voreinander zur�ck bis ins Unendliche, aber doch bleiben sie hadernd einander gegen�berstehen, und da� jedes Gedanken nur von des andern Seele zur�ckfahren, sieht man daraus, da� die Divergenz der Strahlen ihr Zentrum in dem gegen�berliegenden Brennpunkt findet. — Was in der Ellipse das Band war: die gro�e Achse ist in der Hyperbel in den Gegensatz �bergegangen und alle Strahlen, die von einem Brennpunkt in den andern fallen k�nnten, sind sich nur in der Differenz gleich.

Die Parabel ist ein erhabenes Symbol der Liebe zu einem Ideal, zum �bersinnlichen, zu jedem Gro�en und Sch�nen, was nur in der Unendlichkeit erreichbar, der Seele vorschwebt: alle Strahlen, die der Brennpunkt der Parabel aussendet, laufen in gleichf�rmiger Richtung nach dem andern Brennpunkt, der in der Unendlichkeit liegt; alle Bestrebungen und Gedanken sind nur dahin gerichtet. Umgekehrt kann kein Strahl in die Seele fallen, der nicht vom Unendlichen ausgegangen w�re. Alle Gef�hle beziehen sich auf dieses.

Sie lie� den Kopf an seiner Schulter ruhen, dann mit verdunkeltem Gesicht:

„Der Kreis und die Hyperbel; so bin ich immer noch durch einen achsengraden Strahl von Ha� mit ihm verbunden.“

„Ha�t du ihn noch?“

„Bis zum Tod, ich — ihn, er — mich.“

„Du warst wie tot, dies ist eine neue Wiederverk�rperung, und alle Bindung gel�st. Du ziehst in unsere Bahnen hin�ber als meine Frau, und mit meinem Haupt zwischen den F��en frage ich:

„Willst du das sein?“

Zweifelnd sah sie auf Gargi:

„Bist du ein Europ�er?“

Er hob die Schulter nur:

„Nein, ich bin Asiate, gehorche den Sitten Asiens, in wenig Wochen zergeht der ganze Irrenkerker hier, ganz klein und schmutzig, an unserem Horizont f�r immer. Und jedes Jahr nur kreuzt meine Jacht her�ber und bringt dir Charmion mit.“

Sie atmete auf, zu gl�cklich — m�d, um viel zu fragen.

Sobald der Lungenschu� verheilt war, fuhr Horus mit Sibyl nach England, lie� sich dort so rasch wie m�glich trauen, dann kehrten sie auf den Kontinent zur�ck.

In Hamburg lag schon die milchwei�e Jacht unter Dampf bereit.

Sie eilten �ber den Kai, Horus und Gargi, am Ende ihres wei�en Traums.

Zwischen sich, eingeschlossen in ihres Ganges morgenl�ndischen Gu�, entf�hrten sie den „Elf von einem gro�en Stern“ in seine neue Heimat.

Ringsum barsten Beete von Sirenen, vomierten �ble Trichter von Geheul in eine widerwillige Luft, gleich einem Unding, das sich selbst bejammert. Schneller schritten sie dahin, fast laufend schon, und wie Horus, im Andrang seines Herzens bei der Ankunft von Bord gesprungen war, so breitete er jetzt, den Landungssteg schon unter sich, die Arme weit der s��en Freiheit Asiens zu — und — f�hlte sich gepackt an diesen liebesoffenen Armen, zur�ckgehalten, wie das erstemal.

Zwei Polizisten standen da. Blech vor dem Hirn. Und an dem einzigen Streifen freier Haut, dort wo der harte Kragen rieb, hatte der eine ein aufbrechendes, der andere ein abheilendes Furunkel im Nacken.

„Halt.“

Ein Dritter in Zivil trat vor, wies seine Karte:

„Sie sind verhaftet wegen Bigamie. Die Frauensperson da auch.“

Er streckte die Hand nach Sibyl. Sie ri� ihre Waffe heraus, von der sie sich nicht mehr getrennt, traf diesmal gleich das Herz. Glitt still in sich zusammen.

Horus, herumgeworfen, br�llte auf, da� die Sirenen schwiegen, b�umte sich los; rechts und links traf sein erbarmungsloser Schlag. Dann nahm er die unvergleichliche geliebte Form aus Gargis Arm und f�hlte sie an seiner Schulter sterben.

Die armen Sternsaphire wurden blind. Ein langer Str�hn bananenfarbenen Haars durchschnitt, gleich einem bleichen S�belhieb, das ganz verirrte Gesicht; bei aller K�hne wie eines �berm�deten, zu Tod gehetzten Kindes.

Die Kaution war, dringender Fluchtgefahr wegen, vom Gericht abgelehnt worden. Er blieb in Haft, wehrte sich verzweifelt, pochend auf sein Indertum, begriff nicht.

„Sie mu�ten doch wissen, da� Monogamie in Europa herrscht,“ mahnte sein Verteidiger und sch�ttelte den Kopf.

Da lachte er zum erstenmal seit Sibyls Tod.

„Ein Jahr bin ich jetzt hier und hab’ sie nie gesehen. Wu�te bisher nur, da� bei den Weddas, dem beinah ausgestorbenen Affenurvolk Ceylons, das nicht bis f�nf zu z�hlen vermag, etwas wie Monogamie, Gesetz und Zwang besteht. Wie h�tte ich bei der ber�hmten wei�en Rasse darauf verfallen sollen? Nun erst verstehe ich den Gr��enwahn, den Zynismus, die widerliche Arroganz des wei�en M�nnchens gegen alle Frauen ganz. Die Gnade und Affaire, wen er mit seiner einen, einzigen, kostbaren Hand begl�ckt, umkrochen von den �berz�hligen Weibern. Welche Schmach der Europ�erin, da� sie das duldet, ihm Macht gibt, so viele ihrer Schwestern notwendig zu erniedrigen, dies Wettwimmeln der Eierchen um das Sperma: welche Perversion der Natur!“

„Doch was geht all das mich — was geht einen gesitteten Asiaten dieser Qualstall an, in dem b�sartige Irre einander daf�r bezahlen, sich gegenseitig in infernalischen Netzen Hirn, Kehle, Ged�rm und Geschlecht abzuschn�ren? Wie bin ich in die Gefangenschaft wei�er Barbaren geraten? Wirklich durch nichts, als eine einzige Tat nat�rlichen Anstandes allein?“

„Monogamie ist die gr��te ethische Errungenschaft des Christentums,“ sagte der Verteidiger gekr�nkt in seiner tiefsten Rasseneitelkeit, denn er war Jude.

„So habt ihr es sogar dahin gebracht, das klare Urfeuer eurer Lenden stinkend zu machen? So ordnet sich bei euch Geschlechtsverkehr nicht nach Physiologie, Medizin, Bev�lkerungszahl des Augenblicks —, nein, nach irgendeinem Hokus-Pokus, viel tausend Jahre alt? So bedroht euer Staat — wie immer man es machen m�ge — in der Liebe den einen oder anderen Teil mit schwersten Strafen: durch Einehe, den Mann mit lebenslangem Sexualkerker, ohne Ehe, die Frau mit �chtung, Verlust der Kaste und Ruin? So bringt Europa es richtig fertig, all seine passager entstandenen Wahnsinne noch zu verewigen, ohne da� gegenteiliger Bl�dsinn sich etwa aufh�be — welch ein Wunder wider die Natur.“

Bis zur Verhandlung glaubte er es doch nicht recht, wu�te es noch immer nicht, wie ihm geschah.

Dann sa�en eines Tages f�nf beisammen und hielten wirklich �ber ihn Gericht, Barette auf den Glatzen.

Dem einen ragten Kn�pfelschuhe, dem anderen Schn�rstiefel, dem dritten das Ende eines Sockens unter priesterlichem, unreinlich wallendem Gewand hervor. Dann stand ein sechster auf: der Staatsanwalt. Begann ein langes, trostloses Geschw�tz von der Verletzung ethischen und sittlichen Gef�hls, als h�chsten G�tern der Kultur. An allen W�nden hingen Zettel: das freie Ausspucken ist untersagt.

Erst ganz am Ende, als sein Verteidiger sich erheben wollte, da fuhr auch er empor:

„Nein, ich; Sie schweigen.“

Sibyl zu Tod gehetzt, und da sa� Gargi: seine liebe Gazelle „als Zeugin,“ von Fragen gesch�ndet f�r ihn — durch ihn. Nun wuchs er klar �ber die Emp�rung und stand auf. H�flich, ruhig war seine Stimme, wie eines W�genden und Richtenden.

„Ich bin ein Fremder und kenne nun die grauenhafte Not, in die ein Mensch auf diesem Kontinent geraten kann, wenn er ein Recht begeht.

Ich bin Asiate und daher gewohnt, wohl jeder Frau, die ich besitze und die mir teuer, Ehre, W�rde und Geborgenheit zu bieten bis zum Tod.

Ahnte nicht, da� man nur gegen eine einzige hier sich gut benehmen d�rfe, wohl aber gegen alle wie ein Schuft.

Doch war’s nicht dies — ich st�nde doch als Angeklagter hier, denn irgend etwas W�rdiges, Nat�rliches und Wahres, das h�tte ich sicherlich einmal begangen, da ich kein Europ�er bin.

Ethisches und sittliches Gef�hl soll meine Tat verletzt haben?

Was wei� Europa von Gef�hl? Von Sittlichkeit? Nie noch war einer Rasse Sinn und Ma� des Schicklichen so sehr entfallen, besteht sie doch aus Wesen, deren Blut seit zwei Jahrtausenden verlernt, aus freien, holden, heilen und verw�hnten Sinnen sich dieses Ma� selbst aufzubauen in Notwendigkeit und Harmonie.

So kam der P�bel durch Europa in die Welt:

P�bel: was Hemmungen nur kennt aus Zwang, nicht Wahl, was sich vor nichts und niemandem zusammennimmt, wenn es nicht mu�. Es scheint — vor vielen hundert Jahren nahm sich der Europ�er noch Sonntag vormittag, so zwischen zehn und elf, vor einem fremden Judengott zusammen. Adel und B�rgertum nahmen sich vor ihren Herrschern zusammen, der vornehme Mensch aber, der nimmt sich vor sich selbst zusammen: also immer.

Doch hier! Wohl nirgends noch hab’ ich solch geile, kalte, r�pelhafte Brunst gesehen, jetzt da der Zwang gefallen, wie in dem tausendj�hrig ungepflegten Eros von Europa. Endlich ausgebrochen aus dem fremden Pferch, gr�hlt die verkommene Sinnlichkeit durch eure wei�e Welt wie eine tollgewordene Mi�geburt, der jedes Edelma� abhanden kam, denn alles will gepflegt, geehrt, geheiligt sein, damit es hold und herrlich werde. Da tragen eure tr�gen Weiber Kind auf Kind in ihren kalten B�uchen aus, die Welt mit Unlustfr�chten �berf�llend, weil sie noch nicht einmal gelernt, was jede Negerfrau vermag.

Und neben dem verworfenen Ungeschick der Leiber w�chst das verworfene Geschick der Hirne auf, belebt der Stahl sich zur Maschine.

Was Hochgez�chteten in ihren Sinnen Erl�sung geworden von aller Erdenlast: die Mechanisierung der Welt, rei�t den erblindeten, instinktirren, amorphen Lebenshaufen unters Rad, statt ihn in Freiheit auf den Lenkersitz zu heben.

Diesen Erhobenen zu finden kam ich her. Ihn suchte ich: den Menschen hinter seinem Werk. Das Wesen wie aus Schnee und Gold, k�hn, arglos, wahr und anmutig.

Doch eure Werke sind nur Sehnsuchtsprojektionen eurer M�ngel:

Weil ihr armselig seid, rei�t ihr den letzten Reichtum dem Planeten aus den Eingeweiden.

Weil innerlich ohne Harmonie, schuft ihr — nach au�en — euch Musik.

Weil ohne Phantasie, la�t ihr in blechernen Waggons, in Ru� und Dampf, euch kalt, blasiert und frech, zu allen M�rchen dieser Erde rasseln.

Euer verarmter Kreislauf pulst in hundertpferdigen Motoren.

Euer Minus setzt ihr mit umgekehrten Vorzeichen aus euch heraus, als vielger�hmte Technik, Kunst und Wissenschaft.

Was ihr erschuft: Prothesen sind es nur, darunter, vollgeeitert, schw�rt ein brandiger Stumpf: ihr selbst.

Habt immer eure M�nder voll Geist und Theorie, ihr ethischen Barbaren; sinnt neuer Staatsform nach. Wie wenn ein Rudel von Hy�nen sich Paladine oder Republikaner, Monarchisten, Sozialisten, Kommunisten nennen mag: immer der gleiche Hy�nenhaufen, der die platzende Gier seiner blauen Eingeweide mit neuen Namen nennt.

Doch weil kein Wesen v�llig ohne Wahrheit existieren kann, habt ihr sie — sie unwirksam zu machen — in eure Wissenschaft gesperrt.

Dort lebt Europas letzter Wahrheitsdrang sich in zerw�hlten Hirnen, blo�gelegten Nerven gefesselter Gesch�pfe, stets „objektiv“ und f�r den Sucher schmerzlos aus.

Das eingefangene Opfer zahlt den Preis — nicht er.

So �bt ihr alle Infamien frei:

Forensische Verlogenheit gestattet sie euch gegen Menschen, und gegen Tiere euer Wahrheitsdurst.

Was tun?

Dem�tig zu edlen Tieren — nein, erst zu den plumpsten viehischesten Tieren in die Lehre gehen; sie anschauen, erst nur die Wahrheit ihrer Form erschauen. Auf dem Weg des reinen Auges wieder Gehen — Liegen — Ruhen — Atmen — sich Bewegen lernen: Sehen und durch das Sehen — Leben.

Erst wenn ihr die verworfene Behendigkeit aus euren schiefgez�chteten Gehirnen ausgetrieben, f�r die ihr noch nicht reif, dann kommt zu fragen, ob man euch wieder aufnimmt in den Ring beseelter Wesen, nicht mehr geha�t, verachtet, gemieden wie Pestilenz von allem, was da atmet.“

Nur auf wenige Minuten zog der Gerichtshof sich zur�ck. Das Urteil lautete:

F�nf Jahre Gef�ngnis wegen Bigamie.

Der Verurteilte verbeugte sich tief:

„In diesem Wahrspruch gr��e ich den Bankerott Europas.“

Bew�hrungsfrist ward abgelehnt. So nahmen denn die Gatten Abschied voneinander.

Allen Glanz des Menschentums sammelte Gargi in die Onyxampel ihres schmalen Antlitzes und in den unbegreiflich sanften Samt der Augen:

„Mein s��er Herr, was habe ich f�r dich zu tun, so lang du fort bist?“

„Flieh, und warte auf mich zu Hause zwischen Dschungl und Sternen. Ich komme wieder. Ich werde nicht zugrunde gehen. Leben will ich und helfen mit Hirn, Herz und H�nden, mit allem Geld, das ich besitze und aller Kraft, bis der Planet gereinigt ist von dieser wei�en Pest.“

Da reichte sie ihm einen Brief:

„Erasmus gab ihn mir f�r dich von deiner Mutter.“

„Meinem Sohn in Europa, blieb er l�nger als ein Jahr,“ stand auf dem Umschlag. — Nur wenige Zeilen darin. Er trank die lieben Z�ge wie ein Elixier. Diana Elcho schrieb:

„Ein Ungl�ck mu� geschehen sein, wenn Du dies liest. Freiwillig bliebst Du nicht so lang. Haben sie mein Sonnenkind gefangen in einem b�sen Netz? Verzeih, wenn ich geirrt, Dich vor Europa ungewarnt zu lassen. Dich warnen aber hie�, Dich zum Emp�rten machen, zum Belasteten, Getr�bten. Die Einzigkeit Deiner Jugend schien mir eben dies: die Unbeschwertheit, da� Dein Bewu�tsein unbesudelt blieb. So rettete ich Dir das Beste Deiner Rasse: Technik, Wissenschaft, Musik an Asiens Herz hin�ber. Weil Du aus ihrem Werk an Wesen glaubtest, wie aus Schnee und Gold, k�hn, arglos, wahr und anmutig, so wurdest Du dem Bildnis gleich. — Vor der Entt�uschung hielt ich Dich dann jahrelang zur�ck, h�tete Dir Deinen wei�en, so fruchtbaren Traum, wie ich gehofft, f�r immer. Lie� mich langsam sterben, damit Du bliebest. War alles doch umsonst? Nicht, da� ich Dir das Leid ersparen wollte! O nein, nur alle Kraft wollte ich Dir sparen f�r die sublime Zeit des Leids, damit Du ungebrochen, unverbittert, siegreich auf seiner fernen, gro�en, s��en Seite durchbr�chst ans Licht.

Verzeih, wenn ich geirrt.“

Er k��te einzeln jede Zeile:

„Nein, nein, du warst im Recht.“

Stark, frei, sonniger als je lie� Horus Elcho sich wie im Triumph nach seiner Zelle bringen.

Er, den Sibyl im Ha�strahl als Lebenswucherer gesehen, sa� am ligurischen Strand in seinem Landhaus und rechnete ab.

Lloyds hatten die Versicherungssumme wieder glatt ausbezahlt, wiewohl Selbstmord vorlag: ein �beraus kulanter Betrieb. Den ungeheuren Grundbesitz hatte er an ein Hotelkonsortium sehr g�nstig verkauft. Es war eine seiner gl�cklichsten Terrainspekulationen gewesen.

Nur das von Sibyls Geld erworbene Land behielt er.

„Ich trenne mich zu schwer davon. Wieviel Erinnerungen an die Frau, der ich Jahre meines Lebens geopfert.“

„Brang�ne“ wedelte zu ihm auf:

„Du hast ja so viel Piet�t.“

Sie blieb, was immer geschah. War geblieben als Haush�lterin, Maitresse, uneheliche Mutter, Zutreiberin, Komplize. Wartete, schlau und z�h, bis er erm�dete, und doch vielleicht noch ihre Stunde kam.

Er machte eine milde, bedauernde Bewegung mit der Hand.

„Ein Wesen, das mir so lange nahe stand: Ich mu�te die Beh�rden verst�ndigen, zu verhindern suchen, da� sie verschleppt werde, in einen asiatischen Harem. Da� eine Dame so weit sinken konnte?“

Dann, mit gro�en, braunen Augen, ger�hrt:

„Ich aber hab’ ihr l�ngst verziehen.“

„Brang�ne“ nickte verz�ckt:

„Du bist ja so g�tig.“

Anmerkung: Das Zitat Seite 35-39 stammt von Theodor Fechner. Dem Vedanta Entnommenes folgt Prof. Paul Deussens �bertragung aus dem Urtext.

Sir Galahad

Im Palast des Minos
Mit 12 Tafeln und einem Plan
2. Auflage

Zeiten und V�lker, Stuttgart: Keine leichte Lekt�re, daf�r aber gehaltvoll und von tiefgr�ndigem Wissen zeugend ist das Buch von Sir Galahad „Im Palast des Minos“. Von den Ausgrabungen Arthur Evans zu Knossos auf Kreta und den dabei gemachten Funden ausgehend, schildert das treffliche, mit 12 Autotypietafeln und 1 Plane des Palastes zu Knossos ausgestattete Buch des kunstsinnigen, namentlich auch auf dem Gebiete der Keramik wohlerfahrenen Autors, das Reich des K�nigs Minos in solch anziehender und mit einer F�lle tiefer Gedanken verwobener Weise, da� wir im textlichen Teile gern noch auf das bedeutsame Werk zur�ckkommen werden.

Von Sir Galahad
bearbeitet und aus dem Englischen �bersetzt:

Prentice Mulford

Der Unfug des Sterbens
Essays. 75. Auflage

Der Unfug des Lebens
Essays. 30. Auflage

Das Ende des Unfugs
Ausgew�hlte Essays. 15. Auflage

Albert Langen, Verlag in M�nchen

Druck von Hesse & Becker in Leipzig
Einb�nde von E. A. Enders in Leipzig

Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere �nderungen, teilweise unter Zuhilfenahme anderer Auflagen, sind hier aufgef�hrt (vorher/nachher):

  • ... wehrt, an einem Wesen andern Ranges teilgehabt. ...
    ... w�hrt, an einem Wesen andern Ranges teilgehabt. ...
  • ... „Lohn“. War das noch Liebe? Alles Warmbl�hende, ...
    ... „Lohn“? War das noch Liebe? Alles Warmbl�hende, ...
  • ... rief und frei, auf festlich erh�htem Deck, endlich hin�bergleiten ...
    ... reif und frei, auf festlich erh�htem Deck, endlich hin�bergleiten ...
  • ... Jahre von seiner Mutter Tod. Waren ein unaufh�rliches ...
    ... Jahre vor seiner Mutter Tod. Waren ein unaufh�rliches ...
  • ... Gegensatze zuzueilen. Ein schlichthin Infernalisches, dem ...
    ... Gegensatze zuzueilen? Ein schlichthin Infernalisches, dem ...
  • ... Symbol verweigert. ...
    ... Symbol verweigert? ...
  • ... „Sind das vielleicht Epouseure. Was treibst du dich ...
    ... „Sind das vielleicht Epouseure? Was treibst du dich ...
  • ... mit solchen Buben herum. Sind das Aussichten?“ ...
    ... mit solchen Buben herum? Sind das Aussichten?“ ...
  • ... erstenmal. Im Astoria war es schwer, in ihre Menkwelt ...
    ... erstenmal. Im Astoria war es schwer, in ihre Merkwelt ...
  • ... heraufgefahren; wie kam man jetzt dazu. ...
    ... heraufgefahren; wie kam man jetzt dazu? ...
  • ... Geselligkeit. Und doch: die gleiche kleine „set“ wie fr�her ...
    ... Geselligkeit? Und doch: die gleiche kleine „set“ wie fr�her ...
  • ... Gegenartikeln, Polemiken, H�t und Hot des Metiers, ...
    ... Gegenartikeln, Polemiken, H� und Hott des Metiers, ...
  • ... an seinen Kindern.“ ...
    ... an seinen Kindern?“ ...
  • ... in immer neue schwingende Zahlen. Ihm andeuten, was ...
    ... in immer neue schwingende Zahlen? Ihm andeuten, was ...
  • ... die Farben gehen. Doch nein, da war eine Grenze. ...
    ... die Farben gehen? Doch nein, da war eine Grenze. ...
  • ... sich der Geist der dreifachen Raumes Gestalt erw�lbt. ...
    ... sich der Geist des dreifachen Raumes Gestalt erw�lbt. ...
  • ... War seine Musterung indiskret geworden. Sie schrak ...
    ... War seine Musterung indiskret geworden? Sie schrak ...
  • ... Nagel. Sie hielt ihn immer �ngstlich weggesteckt ...
    ... Nagel. Sie hielt ihn immer �ngstlich weggestreckt ...
  • ... verbogene Kr�fte im Menschinnersten selbst! ...
    ... verborgene Kr�fte im Menschinnersten selbst! ...
  • ... Doch war das alles nicht leer und gleich. Hatte sie, ...
    ... Doch war das alles nicht leer und gleich? Hatte sie, ...
  • ... es pers�nlich, wenn auch als milder Psychiater, schon ...
    ... es pers�nlich, wenn auch als milder Psychiater, schob ...
  • ... Verz�gerung, und da� man die Erwachsenen hatte einsperren ...
    ... Verz�gerung, und da� man die Erwachsene hatte einsperren ...
  • ... Berlin, lernte den Skisprung bei Sarnstr�m in Dalverne, ...
    ... Berlin, lernte den Skisprung bei Sarnstr�m in Dalarne, ...
  • ... Eine fremde Person kam herausgeschrurft: ...
    ... Eine fremde Person kam herausgeschlurft: ...

End of the Project Gutenberg EBook of Die Kegelschnitte Gottes, by 
Bertha Eckstein-Diener and Sir Galahad and Helen Diner

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE KEGELSCHNITTE GOTTES ***

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