Wenn Kinder ihre Eltern verlassen Show
Von Catalina Schröder · 03.09.2018 Brechen Kinder den Kontakt zu ihren Eltern vollständig ab, beginnt für diese meist eine Zeit der Verzweiflung, Selbstvorwürfe und Scham. Denn die wenigsten Eltern haben eine Erklärung für das Verhalten. Solche Kontaktabbrüche werden häufiger, vermuten Psychologen. "Vor ungefähr 21 Jahren hat mein Sohn von jetzt auf gleich den Kontakt abgebrochen. Ich weiß bis heute nicht, warum. Ich hab nur eine Vermutung, dass es angefangen hat, als er nochmal von meinem Ex-Mann eine Schwester bekam. Und um diese Schwester hat der Ex-Mann sich liebevoll gekümmert, während er sich um den Sohn überhaupt nicht gekümmert hat. Und dann
kam mein Sohn irgendwann nach Hause und sagte: Ich geh da nicht mehr hin, ich kann mir das nicht angucken. Ich will den Kontakt nicht mehr. Und da hab ich gesagt: Das geht nicht, ihr müsst dann miteinander reden und reden tut mein Sohn nicht, der verlässt höchstens das Zimmer. Aber reden tut der nicht, grundsätzlich nicht. Egal, um was es geht. Und damit kann ich überhaupt nicht umgehen. Nur, warum er dann den Kontakt auch zu mir abgebrochen hat, das weiß ich jetzt nicht." Tränen, Verzweiflung und SchuldzuweisungenFast ein Drittel ihres Lebens hat Böhler schon keinen Kontakt mehr zu ihrem erwachsenen Sohn. Er spricht nicht mehr mit ihr, hat vor vielen Jahren seine
Telefonnummer und die E-Mailadresse geändert. Warum das so ist, das hat Böhler, die mit richtigem Namen anders heißt, bis heute nicht verstanden. Und erklärt hat ihr Sohn ihr den Grund nie. So jedenfalls erzählt sie es selbst. Kontaktabbrüche sind keine SeltenheitClaudia Haarmann glaubt allerdings, dass es immer mehr Familien gibt, die auf diese Weise zerbrechen. Haarmann ist Psychotherapeutin in Essen und hat schon mehrere Bücher über Kontaktabbrüche zwischen Kindern und Eltern geschrieben. "Diese Generation benennt die Konflikte deutlich"Bei der heutigen Generation der erwachsenen Kinder, also denjenigen, die jetzt zwischen Anfang 20 und Mitte 40 sind, sei das anders, glaubt Haarmann: Zwei Sichtweisen – der Kinder und der ElternDoch sind es immer nur die Eltern, die alleine die Schuld an einer schlechten oder abgebrochenen Beziehung zu ihren Kindern tragen? Oder hat so manches erwachsene Kind vielleicht auch überzogene Erwartungen an seine Eltern? Als Außenstehender lässt sich das kaum beurteilen. Sicher ist aber: Jeder Kontaktabbruch lässt sich aus der Kinder- und der Elternperspektive
erzählen – und die Erzählung wird sich je nach Blickwinkel immer unterschiedlich anhören. Ernsthaft miteinander reden – "Das gab es nicht"Heute, nach vielen Jahren Grübelei, ist Sabine Böhler aber auch bewusst geworden, dass es schon damals eine Sache gab, die im Zusammenleben mit ihrem Sohn
nicht gut funktionierte: ernsthaft miteinander reden. "Was hast du gemacht? Was könnte es sein?"Vor jedem neuen Versuch keimt Hoffnung in ihr auf: Vielleicht klappt es ja diesmal. Vielleicht geht ihr Sohn nun endlich ans Telefon, öffnet endlich die Haustür und erklärt ihr wenigstens, was los ist. Doch nichts passiert. Besonders in der ersten Zeit bricht für die vierfache Mutter jedes Mal eine Welt zusammen. "Meine Eltern haben mich nie verstanden"Dunja Voos behandelt häufig erwachsene Kinder, die den Kontakt zu ihren Eltern abgebrochen haben. Auch dass die Kinder ihren Eltern keinen konkreten Grund für das andauernde Schweigen nennen, ist für Voos nichts Ungewöhnliches. Trauer, Zweifel, SelbstvorwürfeNeben der Trauer, den Zweifeln und Selbstvorwürfen, plagt viele Eltern noch ein anderes Gefühl: Sie schämen sich vor anderen und fürchten, sich für den Kontaktabbruch rechtfertigen zu müssen. Um beinahe jeden Preis versuchen deshalb viele zu verhindern, dass andere sie auf den Sohn oder die Tochter
ansprechen. Wenn die Liebe und Geborgenheit fehltIm Leben der Eltern von Martin Osterberg gibt es diese Lücke nicht. Jedenfalls nicht offiziell. Martin Osterberg, der eigentlich anders heißt, ist Anfang 50, trägt graue Haare und Dreitagebart. Er hat ein Buch mit dem Titel "Das kalte Haus" über seine Kindheit und die Beziehung zu seinen Eltern geschrieben, zu denen er formal Kontakt hält. Er ruft sie zum Geburtstag an, auch wenn die Gespräche
jedes Mal nur wenige Minuten dauern. Und trifft sich mit ihnen, wenn auch höchstens einmal im Jahr oder seltener - und jedes Mal widerwillig. Doch innerlich hat Osterberg die Beziehung zu seinen Eltern schon vor Jahren aufgekündigt. Im Winter fuhr die Familie in den Skiurlaub und im Sommer zum Campen, ausgerüstet mit einem Wohnwagen voller Vorräte, die die Mutter selbst eingekocht hatte. Osterberg hatte Freunde, interessierte sich nie großartig für die Schule, schaffte aber trotzdem sein Abitur. Materiell fehlte es der Familie an nichts und doch hat Osterberg stets etwas vermisst, für das er erst viele Jahre später, als Erwachsener, das
passende Wort fand. "Familien – das sind Notgemeinschaften"Fragt man Osterberg nach einer Situation, die einen Außenstehenden sein Familienleben, das er als so unangenehm in Erinnerung hat, besser nachvollziehen lässt, erzählt er ausgerechnet von einer Zeit, die viel fröhlicher war, als Osterberg es von zu Hause gewohnt war. "Der sichere Hafen, der Zufluchtsort fehlt"Doch je häufiger er darüber nachdachte, desto mehr stellte er für sich selbst fest, dass der Kontaktabbruch ihn nicht für das entschädigen könnte, was er bis heute vermisst – und ihn folglich nicht weiterbringt. "Ich hab einfach dieses Problem, das hat jeder, der so eine Familie hatte, dass eben dieser letzte Zufluchtsort, dieser letzte sichere Hafen fehlt. Und es gibt Momente, in denen ich merke, ich hab den nicht und ich würde ihn jetzt vielleicht auch nicht unbedingt in Anspruch nehmen wollen. Ich möchte nicht unbedingt einlaufen in diesen Hafen. Aber eben die Erkenntnis, dass ich ihn auch nicht im Notfall hätte, die kann einen ziemlich fertigmachen. Und das ist eben der Unterschied zu anderen, die ein emotional funktionierendes Elternhaus hatten. Wie meine Frau zum Beispiel. Wenn wir uns streiten, richtig fies und dann steh ich am Ende da und hab das Gefühl: Scheiße, ich kann nicht irgendwo hin, wenn wir uns jetzt trennen. Meine Frau ist mein Hafen, meine kleine Familie, die ich mir da gebaut habe, das ist mein Hafen und wenn der kaputt geht, hab ich keinen anderen. Ich kann rein formal zu meinen Eltern gehen, ich werde dort ein Bett kriegen, ich werde dort was zu essen kriegen, aber ich werde nicht in den Arm genommen werden und sagen: Du bist hier richtig, du kannst nichts falsch machen, komm erst mal an, du arme Sau. Das bin ich für meine Kinder, hoffentlich. Und das sind die Eltern meiner Frau für meine Frau. Und auch wenn die mal weg sind, wird sie immer dieses Gefühl haben: Sie hatte diesen Hafen und der gibt einem einfach eine Sicherheit im Leben, die Leute wie ich nicht kennen." "Kinder lieben ihre Eltern"Aus der Beziehung mit einem Partner können wir uns lösen, einen Schlussstrich ziehen und irgendwann, vielleicht nach unglücklichen Wochen, Monaten oder Jahren abschließen mit dem, was war, und mit einem neuen Partner wieder glücklich werden. Aber eine Trennung von den Eltern? Geht das überhaupt? Psychotherapeutin Claudia Haarmann hält solch eine Trennung zumindest für eine der größten Herausforderungen. Obwohl sie meist von den Kindern selbst angestrebt wird. Die Beiträge in den Foren klingen nicht selten verzweifelt und sie zeigen: Der Wunsch nach einer guten Beziehung zu unseren Eltern lässt uns nie los. Ganz egal, wie alt wir werden, ob wir im Job als durchsetzungsstark gelten und die Geschicke ganzer Abteilungen lenken, oder längst eine eigene Familie gegründet haben. Die Beziehung zu den eigenen Eltern bleibt für viele ihr Leben lang ein Punkt, an dem sie besonders verletzlich sind. Dann stand der Sohn plötzlich wieder vor der TürBei Sabine Böhler und ihrem Sohn gab es vor acht Jahren eine überraschende Wendung. Genauso plötzlich, wie er 13 Jahre zuvor aus dem Leben seiner Mutter verschwunden war, tauchte er eines Tages wieder auf. "Vor acht Jahren stand er hier vor der Tür, klingelte und ich war im Garten und ich hab gedacht: Ach, das könnt die Stimme deines Sohnes sein. Das war er dann auch und dann: Ja, ich wollte mal gucken, wie
es euch geht. Mir geht es gut, ja können wir nicht reingehen – und so. Und es war wirklich eine harmonische Woche, kann ich nicht anders sagen. Ich hab immer wieder versucht, ihn in diese Richtung zu bringen, mal mit mir zu reden. Nein, jetzt ist es zu schön, jetzt will ich nicht. Und dann reden Sie mal mit jemandem, der nicht mit Ihnen reden will. Funktioniert überhaupt nicht. Dann fuhr er, umarmte mich, er liebe mich, er sei ein Idiot und er meldete sich regelmäßig jetzt. Ja, das ist jetzt
acht Jahre her." "Liebst du deinen Sohn noch so?"Doch genauso überraschend wie ihr Sohn aufgetaucht war, verschwand er nach einer
harmonischen Woche bei seiner Mutter wieder und ihre Kontaktversuche liefen erneut ins Leere. Dabei hatte es laut Böhler in dieser Woche keinen Streit zwischen Mutter und Sohn gegeben. Hinweis: Die Namen Sabine Böhler und Martin Osterberg sind Pseudonyme. Beide Protagonisten möchten nicht erkannt werden. Wie geht man mit schlechten Eltern um?Lass die Hoffnung für einen besseren Umgang mit den Eltern gehen, denn Hoffnung ist manchmal Gift für unser Leben. Es ist ein schwieriger und häufig langer Prozess, macht aber den Weg für dich frei, anders in dein Leben zu gehen. Was mir wirklich wichtig ist, ist dich von dem Gefühl der Verpflichtung zu entbinden.
Was Kinder Eltern nicht verzeihen?11 Dinge, die ein Kind seinen Eltern nie verzeihen wird. Schweigen als Strafe.. Kinder zu anderen "abschieben". Vernachlässigung der Kinder.. Schuld für scheiternde Ehe geben.. Die Ängste des Kindes auslachen.. Lieblingsspielzeug einfach entsorgen.. Zu religiösem Glauben zwingen.. Kindern den Mund verbieten.. Warum bricht ein Kind den Kontakt zu den Eltern ab?Wenn Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen, ist das keine spontane oder kurzfristige Entscheidung. Ein wichtiger Auslöser sind Missbrauchserfahrungen oder schwerwiegende emotionales Fehlverhalten durch die Eltern.
Kann man sich von seiner Familie lossagen?Die familiäre Solidarität und Verbundenheit ist unkündbar. Da kommt man nicht raus und da kann man sich auch nicht gegenseitig von lossagen. Eltern können auch nicht auf solche Ansprüche verzichten.
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